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Chiisana LOVE-STORIES

Die ultimative Anime-Crossover-Dating-Fanfic
von

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Mousse und Taranee - Eine kleine dicke Ente

Von Ditsch
 

Bei diesem Pärchen gab es die Bedingung, dass beide Charaktere eine Brille haben mussten. Da Jitsch kein Anime-Mädchen mit Brille eingefallen ist, hat sie einfach Taranee aus W.i.t.c.h. genommen. Und ich hab mich für Mousse aus Ranma ½ entschieden. Die erste Schwierigkeit war, dass Taranee in Amerika wohnt und Mousse in Japan(obwohl er eigentlich Chinese ist). Aber natürlich haben wir auch dafür eine Lösung gefunden^-^

Inzwischen habe ich das Gefühl, der Titel Chiisana LOVE-STORIES passt nicht mehr. Die Geschichten sind immer so lang, da sind es keine kleinen Liebesgeschichten mehr. Ich hoffe, ihr habt trotzdem Spaß beim Lesen von:
 

           Eine kleine dicke Ente
 

Die Wintersonne strahlte vom fast wolkenlosen Himmel auf die Kleinstadt Heatherfield herab und schmolz erbarmungslos den letzten Schnee des Vortages, der sich noch in ein paar Ritzen versteckt hatte. Es war später Nachmittag und die Glocke des Sheffield-Institutes, der städtischen Higschool, zeigte mit einer kurzen Melodie das Ende dieses Schultages an. Sofort sprangen die Schüler in den Klassen auf, schnappten sich ihre schon längst fertig gepackten Taschen und verließen so schnell wie möglich erst ihre Klassenräume und dann das Schulgebäude. Draußen atmeten viele von ihnen erst einmal die frische Luft ein, die trotz der vielen Abgase erheblich frischer war als die stickige Luft im Gebäude.

Nur Taranee Cook, Schülerin der achten Klasse, hatte es überhaupt nicht eilig. Nachdem sie endlich all ihre Sachen in ihre Tasche gepackt und dann – von ihrem Mathelehrer, der den Raum abschließen wollte, gedrängt – die Klasse verlassen hatte, schlurfte sie langsam durch die Schule. Sie wollte zum Krankenzimmer, das am anderen Ende des Traktes lag. Dort wartete nämlich ihre Freundin und Klassenkameradin Hay-Lin auf sie, die in der vorletzten Unterrichtsstunde so starke Bauchschmerzen gehabt hatte, dass sie sich freiwillig in das kleine muffige Krankenzimmer begeben hatte. Ihre Lehrerin hatte ihr geraten, sich von ihren Eltern abholen zu lassen, aber da diese ein Restaurant führten und somit sehr viel zu tun hatten, hatte Hay-Lin sich entschieden, sie nicht mit so etwas Belanglosem zu belästigen.

Hoffentlich geht es ihr inzwischen besser, dachte Taranee gerade, als die Tür einer der Klassenräume zu ihrer Linken aufsprang und ein Schwarm Schüler herausgestürmt kam. Einer von ihnen rempelte Taranee an, wobei die Tasche, die sie sich nur locker über die Schulter gehängt hatte, zu Boden fiel.

„Sorry, das -“, begann der dunkelblonde Junge, doch als er Taranees geschocktes Gesicht sah, schwieg er und schaute zu Boden.

„Hallo, Taranee“, murmelte er so leise, dass die Angesprochene es zwischen dem Getrampel und Gerede der anderen Schüler kaum hörte.

„Hallo, Nigel“, begrüßte sie mit kühler, verachtender Stimme ihren Freund.

Nigel bückte sich und hob ihre runtergefallene Tasche auf, die sie ihm wortlos aus der Hand riss und sich wieder über die Schulter warf.

Er schwieg.

Sie sah ihn abwartend an und fragte dann: „Willst du mir noch irgendwas Wichtiges sagen oder kann ich jetzt gehen?“

Er schluckte, riss dann aber seinen Kopf hoch und sah ihr direkt ins Gesicht.

„Taranee, ich ... es tut mir leid, was Freitag geschehen ist! Ich würde alles geben, um es rückgängig machen zu können, ehrlich!“

„Ach ja? Du kannst es aber nicht rückgängig machen, egal was du tust! Also lass mich am besten gleich in Ruhe!“, schnauzte sie ihn an und ging schnell an ihm vorbei. An der Klassentür, aus der Nigel und die anderen vorhin gekommen waren, stand jetzt gerade ihr Biolehrer (der wie fast immer seinen selbstgestrickten grün-rot gestreiften Pullover trug) und schloss die Tür ab. Anscheinend hatte er ihr Gespräch verfolgt, denn er sah der Schülerin erstaunt hinterher und fragte: „Nanu?“ Sie ignorierte ihn schlichtweg und betrat dann schnell das Krankenzimmer, das sich glücklicherweise nur zwei Türen weiter befand, bevor die Tränen sich den Weg aus ihren Augen gebahnt hatten.

„Taranee!“, rief Hay-Lin erschrocken und sprang von der Liege, auf der sie bis zum Zeitpunkt von Taranees Eintreten noch gesessen und gelangweilt aus dem Fenster gesehen hatte.

Taranee sackte auf einem Stuhl zusammen und ließ ihre Tasche auf den Boden gleiten. Ihre Freundin hockte sich neben sie und fragte: „Was ist denn los?“

Die Angesprochene sah zur Seite und murmelte: „Ich hab gerade Nigel getroffen...“

„Na und? Hast du dich etwa mit ihm gestritten? Warst du darum heute so abwesend?“

Jetzt war es an Taranee, erstaunt zu sein. „Du hast es gemerkt?“

Hay-Lin lächelte.

„Natürlich. Wir sind doch Freunde, ich merk doch, wenn du was auf dem Herzen hast.“

Nun lächelte auch Taranee.

„Danke, du bist wirklich eine gute Freundin“, schniefte sie.

Nachdem sie sich kurz die Nase geputzt hatte, erzählte sie Hay-Lin, was am Freitag geschehen war. Sie war mit Nigel zum Kino verabredet gewesen, doch da er selbst nach einer halben Stunde noch nicht gekommen war, war sie wieder nach Hause gegangen. Am nächsten Tag erfuhr sie von ihrer Mutter, die Richtern war, dass Nigel sich mit einem ehemaligen Freund Uriah getroffen hatte. Sie hatten ziemlich viel getrunken und dann in einer Bar in der Innenstadt randaliert.

Hay-Lin war erst ziemlich geschockt, dann wurde sie wütend.

„Oh Mann, ich frag mich, womit Uriah Nigel erpresst hat, dass er sowas mit ihm gemacht hat!“

„Bist du sicher, dass er ihn erpresst hat? Vielleicht hat er ja auch freiwillig -“

„Du glaubst ernsthaft, dass Nigel sowas freiwillig machen würde?“

Taranee zuckte nur die Achseln und sah zu Boden.

„Mh, vielleicht solltest du erstmal ein bisschen Abstand von ihm halten, bis du dir darüber im Klaren bist, oder?“

„Muss ich sowieso. Meine Mutter verbietet mir den Umgang mit ihm.“

„Okay, dann wär das ja geklärt, oder?“

„Ja, dann kann ich ja jetzt nach Hause gehen. Meine Mutter hasst Unpünktlichkeit.“

„In Ordnung.“

Die beiden standen auf, schnappten sich ihre Taschen und verließen das Krankenzimmer. Dann machten sie sich auf den Weg zu den Fahrradständern hinter dem Schulgebäude.

„Moment mal!“, rief Taranee plötzlich, als sie gerade das Schloss von ihrem Fahrrad öffnen wollte.

„Was denn?“, fragte Hay-Lin erstaunt.

„Am Mittwoch ist doch diese Valentinstagsparty bei Matt. Ich habe Nigel fest versprochen, mit ihm dahin zu gehen.“

Eine Weile schwieg Hay-Lin, dann begann sie übers ganze Gesicht zu grinsen.

„Was ist daran so lustig?“, fragte Taranee.

„Nun, du hast es ihm zwar versprochen, aber was ist, wenn deine beste Freundin morgen nach China fliegt, um mit ihren Verwandten das Neujahrsfest zu feiern, und dich dazu gedrängt hat mitzukommen, weil sie sonst vor Langeweile stirbt?“

„Ich soll ihn anlügen?“

„Davon war nie die Rede!“

Erst starrte Taranee ihre Freundin verständnislos an, doch als sie merkte, was diese beabsichtigte, sagte sie: „Das geht doch nicht!“

„Ach was, ich werd meine Eltern schon rumkriegen. Und deiner Mutter wird das bestimmt auch lieber sein als eine Party mit Nigel.“

Jetzt fiel Taranee ihrer Freundin um den Hals.

„Danke, Hay-Lin, das ist total lieb von dir!“
 

Mit dem Argument, dass sie dann ein paar Tage vor Nigel sicher war, überzeugte Taranee ihre Eltern nach einer längeren Diskussion schließlich davon, dass sie mit Hay-Lin nach China fliegen und vier Tage „aufgrund ihrer schlechten psychischen Verfassung“ die Schule schwänzen durfte. Auch Hay-Lins Eltern stimmten dem Plan der Mädchen zu. Es gelang ihnen sogar, in dem Privatjet ihres chinesischen Freundes, der viele seiner Landsleute aus dieser Gegend für einen Freundschaftspreis von New York nach Peking und zurück brachte, noch einen Platz für Taranee zu bekommen. Nun stand der Reise nichts mehr im Wege.
 

Also holten die Lins Taranee am nächsten Morgen um kurz nach halb neun von zu Hause ab und machten sich mit ihr auf den Weg zum Flughafen von New York, wo der Jet starten würde. Hay-Lins Vater, der am Steuer saß, beschwerte sich über den schleichenden Verkehr auf der Autobahn, da er befürchtete, sie könnten zu spät kommen. Seine Frau beruhigte ihn damit, dass sie ja extra so früh losgefahren waren, damit sie den Flug um zwölf auch ganz sicher nicht verpassten, schließlich waren es bei freier Fahrt nur knappe anderthalb Stunden von Heatherfield bis nach New York.

Nachdem sie gegen elf Uhr endlich einen Parkplatz im obersten Deck des Parkhauses gefunden hatten, gingen sie mit ihrem Gepäck, das, da sie nur eine Woche unterwegs sein würden, nicht allzu umfangreich war, in die riesige Eingangshalle des Flughafens und Herr Lin ging gleich zu einem Informationsschalter, an dem ihm mitgeteilt wurde, wo ihre Maschine starten würde. Die vier ließen ihre Taschen kontrollieren und machten sich dann auf den Weg zu dem sonst nur selten genutzten Terminal H, das etwas weiter von den Hauptterminals entfernt lag. Dort sahen sie schon von weitem die vielen chinesischen Familien, die ungeduldig darauf warteten, endlich ihr Gepäck abgeben und in das Flugzeug einsteigen zu können.

Schon kurz darauf wurde das Terminal geöffnet und jeder, der eine Karte hatte, entledigte sich seiner Taschen und begab sich in den Warteraum, um sich einer Handgepäck- und Körperkontrolle zu unterziehen.

Um viertel vor zwölf – die Lins und Taranee saßen schon längst im Warteraum – kam endlich die Durchsage, dass das Flugzeug angekommen war und sie nun einsteigen konnten. Sofort sprangen sie alle erleichtert auf, schnappten sich ihr Handgepäck und betraten das Flugzeug.
 

Nach etwas mehr als zwei Stunden Flug bereute Taranee es sehr, dass sie sich nur ein dünnes Buch eingepackt hatte, denn das hatte sie jetzt durchgelesen und laut Herrn Lin würden sie erst weitere fünf Stunden später in Peking ankommen. Sie hätte sich gerne mit Hay-Lin unterhalten, aber die war schon kurz nach dem Start friedlich eingeschlafen. Also starrte Taranee abwesend aus dem Fenster und dachte über alles nach, was ihr gerade in den Sinn kam. Durch die sanften Bewegungen der Schäfchenwolken am Himmel gelang es ihr dann nach einiger Zeit doch noch, den Weg in einen tiefen Schlaf zu finden.
 

Als sie um sieben Uhr abends amerikanischer Zeit endlich auf dem hell beleuchteten Flugplatz in Peking ankamen, ging dort gerade die Sonne auf. Im ersten Moment war Taranee über diese Tatsache erstaunt, doch dann fiel ihr wieder ein, dass die Zeitverschiebung zwischen New York und Peking nicht unerheblich war. Sie fragte Hay-Lin, die ihr erklärte, dass es hier ganze dreizehn Stunden später war als in ihrer Heimatstadt. Hier war der neue Tag also schon längst angebrochen.

Die Lins und Taranee standen auf, nahmen sich ihr Handgepäck und machten sich zwischen den munter plaudernden Chinesen auf den Weg zum Ausgang des Flugzeugs. Taranee fühlte sich etwas verloren als einzige Passagierin ohne chinesische Abstammung. Deshalb war sie auch sehr froh als Hay-Lin zugab: „Ich bin so aufgeregt! Ich war schon sehr lange nicht mehr mit so vielen Chinesen zusammen.“

Taranee beruhigte sie: „Ich warnoch nie mit so vielen Chinesen zusammen.“

Hay-Lin grinste. „Ja, du hast recht. Aber wir werden uns schon irgendwie zurechtfinden, nicht wahr?“

Taranee nickte.
 

Nachdem sie ihre Pässe vorgezeigt und ihr Gepäck abgeholt hatten, begaben sie sich zu einem kleinen Café am Eingang des Flughafens, wo sie mit Hay-Lins Großvater verabredet waren. Taranee sah zwar kaum einen Unterschied zwischen den ganzen Chinesen, die dort saßen, aber Hay-Lin entdeckte ihn sofort an einem Tisch nahe dem Eingang. Sie lief auf ihn zu und begrüßte ihn freudig auf Chinesisch. Auch ihre Eltern gingen dorthin und Taranee folgte ihnen schüchtern. Als Herr Lin senior sie sah, sagte er sofort: „Hallo, Talanii.“ Sie war froh, dass er sie nicht auf Chinesisch ansprach und grüßte zurück. Anscheinend hatten Hay-Lins Eltern ihn darüber informiert, dass sie mitkommen würde.

Die fünf tranken noch jeder eine Tasse Tee und machten sich dann auf dem Weg zum oberen Deck des Parkhauses, wo das Auto der Lins wartete. Nachdem sie das Gepäck in dem kleinen Kofferraum verstaut hatten, setzten sich die Männer nach vorne und Frau Lin und die Kinder nach hinten in den Wagen. Dann machten sie sich auf den Weg durch die belebte Innenstadt von Peking.

Man sah kaum den Himmel vor lauter Hochhäusern, wie in New York, doch auf eine merkwürdige Art und Weise war es doch völlig anders. Und dieser Unterschied war nicht nur durch die Chinesischen Werbeplakate und Schilder bedingt; Peking hatte eine völlig andere Ausstrahlung als New York. Deswegen sah Taranee die ganze fast einstündige Fahrt über aus dem Fenster und starrte alles fasziniert an, woran sie vorbei kamen.
 

Als Herr Lin dann vor einem sechsstöckigen Hochhaus parkte, hatte Taranee sich noch längst nicht sattgesehen und sie war sehr froh darüber, dass sie in den nächsten Tagen noch Zeit haben würde, sich umzusehen und – was noch wichtiger war – alles zu fotografieren.

Noch während sie die Taschen aus dem Kofferraum nahmen, kam eine dickliche Frau mit kurzem schwarzen Haar – Hay-Lins Großmutter, wie Taranee vermutete – aus der Haustür und begrüßte sie auf Englisch. Hay-Lin lief sofort zu ihr und umarmte sie, ihre Eltern und Taranee erwiderten nur den Gruß.

Mit den Taschen in der Hand gingen sie die Treppen hinauf in den dritten Stock – einen Fahrstuhl gab es nicht. Frau Lin senior öffnete die Tür zu dem Appartement und sie traten ein. Taranee war sehr erstaunt über die Wohnung, denn sie war ziemlich klein. Der große Hauptraum schien höchstens eine Fläche von fünfundzwanzig Quadratmetern zu haben; die drei Nischen, die nur durch Vorhänge davon abgetrennt waren kamen jeweils höchstens auf fünf. In der Mitte des Raumes stand ein niedriger, runder Klapptisch und am anderen Ende, unter einem kleinen Fenster, durch das Sonnenlicht ins Zimmer drang, eine hölzerne Kommode, auf der ein zusammengeklapptes Notebook lag.

Taranee fand es unglaublich, wie jemand nur auf so kleinem Raum leben konnte. In ihrem Haus war fast jedes Zimmer so groß wie dieses ganze Appartement. Und Hay-Lin hatte ihr im Flugzeug auch noch erzählt, dass am Samstag, also am Tag vor dem Beginn des neuen Jahres, auch noch weitere Verwandte kommen würden. Wie sollten die bloß alle in diese Wohnung passen?
 

Um halb elf hatten sie sich alle ein wenig frisch gemacht und da sie sonst nichts zu tun hatten, bot Frau Lin senior ihrer Enkelin und deren Freundin eine kleine Tour durch Peking an. Die beiden stimmten sofort zu. Also schnappte Taranee sich ihren Fotoapparat und sie machten sich auf den Weg.

Es gab wirklich eine Menge zu sehen: neuste Architektur direkt neben traditionellen Gebäuden, Menschen, die ihn chinesischer Kleidung durch die Straßen gingen, Werbeplakate für CDs angesagter chinesischer Künstler und vieles mehr. Und da Taranee natürlich alles fotografieren musste, war ihr Film schon nach kurzer Zeit voll und sie bereute es, die Ersatzfilme in ihrem Rucksack gelassen zu haben. Doch sie mochte es auch sehr gerne, sich die Sachen einfach nur anzusehen und in ihrem Gedächtnis zu speichern, da sie sich sicher war, dass sie diese Eindrücke niemals vergessen würde, auch wenn sie sie nicht auf einem Foto festhielt.

Frau Lin erzählte auch ein wenig zu den wichtigsten Gebäuden und zu Taranees Freude sagte sie dies alles auf Englisch, wenn auch mit einer miserablen Aussprache und der Benutzung sehr simpler Wörter.

Nach mehr als zwei Stunden kehrten sie dann mit müden Beinen und leerem Magen, aber voller neuer Erfahrungen zur Wohnung der Lins zurück. Dort wechselte Taranee sofort den Film ihrer Kamera und steckte sich einen zweiten in die Jackentasche, und die beiden Frauen machten sich daran, ein schon nach wenigen Minuten in der ganzen Wohnung riechendes Essen vorzubereiten.

Da sie alle ziemlich geschafft waren, wollten sie schon früh ins Bett gehen. Also holten sie vier Futons aus einer der Nischen, stellten den zusammengeklappten Tisch in die Küche und machten es sich so gemütlich wie möglich. Taranee, die es gewohnt war, auf einem weichen Bett zu schlafen, brauchte ziemlich lange um einzuschlafen,
 

An den nächsten zwei Tagen verbrachten sie einen großen Teil der Zeit damit, alles für Samstag vorzubereiten. Besonders für das Festessen brauchten sie viele verschiedene Dinge. Das Huhn und der Fisch, die es traditionell an Neujahr gab, stellten ein Problem dar. Frau Lin senior weigerte sich, für so ein wichtiges Fest Sachen aus dem Supermarkt zu kaufen und deshalb mussten sie zu ihrem Lieblingslebensmittelhändler am anderen Ende der Stadt fahren um dann festzustellen, dass er weder Huhn noch Fisch da hatte, weil alle bei ihm für das Neujahrsfest einkauften. Also waren die drei Stunden Fahrt umsonst gewesen und als sie wieder zu Hause waren teilte Herr Lin senior, der keine Lust gehabt hatte, mitzufahren, ihnen mit, seine Tochter habe gerade angerufen und ihm mitgeteilt, dass sie Huhn und Fisch mitbringen würde.
 

Am Samstagmorgen wurde Taranee von den Gesprächen der anderen geweckt, auch wenn sie aus Rücksicht sehr leise sprachen. Alle außer ihr waren anscheinend schon auf den Beinen und hektisch dabei, alles vorzubereiten, was sie in den letzten Tagen nicht geschafft hatten, was bei fünf Leuten in so einer kleinen Wohnung manchmal etwas kompliziert war. Hay-Lin lief durch das Zimmer, stolperte über Taranee und stieß gegen ihren Vater, der gerade mit einer Teekanne in der Hand aus der Küche kam. Vor Schreck ließ er die Teekanne fallen, die dann zum Glück auf Taranees Futon landete und heil blieb. Hay-Lin entschuldigte sich kurz, huschte dann aber in die Küche, wo sie wiederum fast über den Klapptisch gestolpert wäre, den ihr Großvater eigentlich woanders hatte hinstellen wollen, aber es war nirgendwo Platz dafür gewesen. Die Frauen im Haus standen vor dem Herd und diskutierten über etwas, wobei sie heftig gestikulierten und eine von ihnen Hay-Lin auf die Nase schlug, woraufhin diese zu bluten begann. Alle liefen durcheinander, um irgendwas dagegen zu tun, bis Taranee ihr schließlich ein Taschentuch reichte. Damit sie nicht noch weiter im Weg rumstand, rollte sie ihren Futon zusammen, wickelte die Decke darum und legte ihn zu den anderen in die Schlafnische. Dann zog sie sich in das Bad zurück, um sich umzuziehen.

Als sie fertig war, fragte sie Hay-Lin, ob sie irgendwas helfen könne, doch die sagte nur: „Du bist doch unser Gast!“ und wuselte dann in die Küche, wo sie ihre Mutter darauf aufmerksam machte, dass das Gericht im Ofen schon ziemlich dunkel war, woraufhin diese schnell die Klappe des Ofens öffnete und sich fast die Finger am Blech verbrannte.

Tarannee seufzte und setzte sich in eine Ecke des Raumes, wo sie niemanden stören konnte. Es war jetzt gerade erst zehn und die Gäste würden erst gegen drei Uhr kommen. Taranee holte ihren Fotoapparat heraus und knipste lustlos etwas herum, aber das Appartement hatte nicht viel zu bieten, deshalb hatte sie schon bald alles fotografiert, was es zu sehen gab. Also bat sie Herrn Lin junior, ein wenig nach draußen gehen zu dürfen. Er willigte ein, nachdem seine Mutter ihr einen Stadtplan überreicht hatte. Taranee versprach, um halb drei zurück zu sein, zog ihre Jacke an und machte sich dann mit ihrem Fotoapparat auf den Weg.

Da sie die eine Richtung schon mit Hay-Lins Oma erkundet hatte, ging sie jetzt in die andere Richtung und fotografierte alles, was sie interessant fand – also praktisch alles. Sie hatte zwar auf der ersten Tour auch schon einiges gesehen, aber die Stadt zog sie ein zweites Mal in ihren Bann und Taranee wünschte sich, noch viel länger dort bleiben zu dürfen.

Um drei bemerkte sie dann, dass sie zurückmusste und rannte so schnell sie konnte durch die Straßen von Peking. Und so schaffte sie es tatsächlich, wieder bei Lins zu sein, bevor die Gäste eintrafen.

„Wer kommt eigentlich noch alles?“, fragte sie Hay-Lin.

„Also ... mein Onkel und meine Tante, meine zwei Cousinen und mein kleiner Cousin“, erklärte sie ihrer Freundin grinsend.

„Dann sind wir ja zu ... elft!“, schloss Taranee erstaunt.

„Stimmt!“
 

Um kurz vor drei klingelte es an der Tür und sofort liefen Hay-Lin und ihre Eltern und Großeltern zum Eingang, um den Knopf zum Öffnen der Tür unten zu betätigen. Dann liefen sie ihnen aufgeregt die Treppe hinunter entgegen. Schon wenig später kamen die zehn, sich munter auf Chinesisch unterhaltend, in die Wohnung. Eine Frau, wahrscheinlich Hay-Lins Tante, hatte eine große Schachtel in der Hand, die sie sogleich Frau Lin senior überreichte, die sie in der Küchennische ablegte. Als die fünf Neuankömmlinge Taranee bemerkten, kamen sie sofort zu ihr und begrüßten sie herzlich auf Englisch, mit Ausnahme des kleinen Jungen, der sich gar nicht traute, irgendwas zu sagen.

Die drei Frauen gingen dann gleich in die Küche, um das Huhn und den Fisch zuzubereiten. Hay-Lin und Taranee saßen derweil mit dem kleinen Cousin in einer Ecke und er erzählte etwas auf Chinesisch, wovon Taranee natürlich kein Wort verstand.
 

Gegen sechs Uhr waren dann alle Vorbereitungen getroffen und sie konnten endlich mit dem Essen beginnen. Herr Lin senior hatte elf Sitzkissen aus der Schlafnische geholt und um den Tisch verteilt. Seine Frau ging in die Küche und kam dann mit einer großen Platte, auf der ein Hühnchen und ein großer Fisch lagen, wieder. Alle ließen sich nieder und Hay-Lin gab jedem eine kleine Schüssel mit Reis und eine größere für das Fleisch. Ihr Vater schnitt mit einem großen Messer Streifen vom saftigen Brustfleisch des Huhns ab und verteilte sie an die Gäste. Dann wünschten sie sich einen guten Appetit (das glaubte Taranee zumindest, sie sprachen ja immer noch Chinesisch) und begannen, sich über das Essen herzumachen.

Taranee, die mit dem Essen mit Stäbchen trotz häufiger Besuche im China-Restaurant von Hay-Lins Eltern nicht sehr vertraut war, aß langsamer als die anderen, was sie aber auch nicht störte, da sie sich bei den Gesprächen sowieso nicht beteiligen konnte. Und die anderen redeten eigentlich auch mehr, als dass sie aßen, dadurch zog sich das Ganze ziemlich in die Länge.

Nachdem Taranee aufgegessen hatte, versuchte sie irgendwie, den Gesprächen der anderen zu folgen, was ihr allerdings nicht gelang. Zwischendurch versuchte sie einmal, ein Gespräch mit Hay-Lin anzufangen, doch diese wandte sich schon bald wieder ihrem kleinen Cousin zu, der mit glänzenden Augen und wild gestikulierend etwas erzählte. Taranee seufzte nur und sah ihm zu, konnte aber aus seinen Gesten nur schließen, dass er etwas wahnsinnig Spannendes erlebt haben musste.

Später sah Taranee auf ihre Uhr und stellte fest, dass es erst acht Uhr war. Das Essen würde wohl noch eine Weile dauern, deshalb fragte sie Hay-Lin, ob sie nicht ein wenig an die frische Luft gehen wollten. Hay-Lin hatte nicht so große Lust darauf, also beschloss Taranee alleine zu gehen. Sie zog ihre Jacke an, steckte den Stadtplan, den Frau Lin ihr am Vormittag gegeben hatte, in die Tasche und verließ dann die Wohnung. Die kalte Luft draußen tat Taranee gut und sie atmete erst einmal tief ein. Da es etwas abgekühlt war, zog sie den Reißverschluss ihrer Jacke höher und steckte die Hände in die Jackentaschen, dann schlenderte sie langsam los.

Die Straßen schienen wie leer gefegt, nur ein paar Katzen streunten durch die Straßen und miauten laut. Die Leute schienen alle in ihren gemütlichen Wohnungen zu sitzen und mit ihren Familien das Neujahrsfest zu feiern. Und ich laufe allein hier in der Kälte rum, kam es Taranee in den Sinn, doch dann dachte sie daran, dass es sowieso nicht ihr Fest war und dass sie die Lins nicht beim Feiern stören sollte. Also ging sie immer weiter.
 

Es wurde immer kälter und Taranee spürte ihre Zehen trotz ihrer dicken Winterstiefel kaum noch, außerdem war es schon fast zehn Uhr, also beschloss Taranee, heimzukehren. Sie drehte um und ging zu der letzten Straßenkreuzung zurück. Doch wo war sie hergekommen? Im ersten Moment hatte sie Angst, den Weg nicht mehr zu finden, dann fiel ihr die Karte wieder ein. Sie steckte die Hand in ihre Jackentasche um danach zu greifen – doch dort war nichts! Sie tastete die ganze Tasche nach einem eventuellen Loch ab, aber auch das fand sie nicht. Panisch blickte sie sich um. Dann sah sie auf die Straßenschilder und war sich schließlich ziemlich sicher, dass sie aus der rechten Gasse gekommen war. Sie bog ein und ging weiter. Immer wieder blickte sie sich zu beiden Seiten um, ob ihr irgendetwas bekannt vorkam, aber es war sehr dunkel geworden und diese kleine Straße war nur spärlich beleuchtet.

An der nächsten Kreuzung blieb sie erneut stehen. Der Grünstreifen an der linken Gasse kam ihr zwar bekannt war, aber war sie an diesem mit Graffiti besprühten Gebäude nicht auch schon vorbeigekommen? Ihr Herzschlag wurde schneller und langsam stieg Panik in ihr auf. Was, wenn sie nicht wieder zurückfand? Sie sprach kein Wort Chinesisch, und war somit in dieser Millionenstadt so gut wie verloren.

In dem Moment hörte sie hinter sich langsame Schritte. Sie wirbelte herum. Einige Meter entfernt, vor dem Eingang eines mehrstöckigen grauen Gebäudes stand ein Mann. Langsam kam er auf Taranee zu, wobei sein weißes, traditionell Chinesisch aussehendes Gewand sich bei jedem Schritt ein wenig bewegte. Kurz vor ihr blieb er stehen und fragte etwas auf Chinesisch.

Taranee erwiderte zögernd auf Englisch: „Sprechen Sie Englisch?“

„Ja“, sagte er, was Taranee nicht wirklich überzeugte. Er fügte hinzu: „Helfen ... dir?“

Sie sah ihn einen Moment an. Von seinem Gesicht konnte man kaum etwas erkennen, da seine Stirn von einem dichten schwarzen Pony verdeckt war und durch die außergewöhnlich großen runden Brillengläser seine Augen kaum zu sehen waren. Dennoch war Taranee sich sicher, dass sie ihm vertrauen konnte.

„Ja“, sagte sie und lächelte dankbar.

„Wohin?“, fragte er mit fürchterlichem Akzent.

„Äh...“ Taranee zögerte. Wie sollte sie ihm erklären, wo sie wohnte? Da fiel ihr ein, dass in der Nähe des Hauses der Lins ein Restaurant namens „Golden Moon“ stand. Von dort würde sie sicher zurückfinden. Also nannte sie ihm den Namen, und glücklicherweise schien er ihm etwas zu sagen, denn er sagte „Komm“ und machte sich dann auf den Weg.

Nach einiger Zeit fragte er vorsichtig: „Dein Name?“

„Taranee“, antwortete sie lächelnd. Irgendwie fand sie es niedlich, wie dieser Mann sich so bemühte.

„Mousse“, sagte er und zeigte verlegen lächelnd auf sich. Seinen Namen fand Taranee etwas merkwürdig, er klang ein wenig französisch, aber da sie nicht so viel Ahnung von chinesischen Namen hatte, fragte sie ihn nicht danach.

Taranee wollte ein Gespräch mit ihm anfangen, aber da sie nicht wusste, worüber sie mit ihm reden konnte, ließ sie es lieber. Also gingen die beiden einfach schweigend nebeneinander her.

Nach einer Weile hörten sie in der Ferne eine Uhr elf schlagen. Und auf einmal leuchtete und knallte es überall: hunderte von Raketen wurden in den schwarzen Nachthimmel geschossen, zeichneten Blumen und Sterne daran und erloschen, um gleich darauf von weiteren roten, gelben und grünen Gebilden abgelöst zu werden.

„Wunderschön!“, hauchte Taranee und starrte hinauf, das Licht des Feuerwerks spiegelte sich in ihren Augen. Mousse nickte nur lächelnd. Einige Minuten standen sie nur dort und betrachteten den Himmel, dann fragte Mousse: „Weiter?“ Taranee nickte nur. Die anderen würden sich bestimmt Sorgen machen, schließlich war sie schon drei Stunden weg gewesen.
 

Als sie wenig später vor der Tür des „Golden Moon“ ankamen, bedankte Taranee sich herzlich bei Mousse, auf dessen Gesicht ein deutlicher roter Schimmer zu erkennen war. Taranee wollte sich bei ihm noch erkenntlicher zeigen – vielleicht wollte sie ihn auch einfach wiedertreffen, das wusste sie selbst nicht so genau – also machte sie ihm klar, dass sie sich in zwei Tagen – denn am Neujahrstag würde zu viel los sein – mit ihm im Restaurant, vor dem sie standen, zum Dank treffen wollte. Als er endlich ihr Anliegen verstanden hatte, stimmte er begeistert zu und verschwand dann nach einem kurzen Abschied im Schatten außerhalb des Lichtfeldes der nächsten Straßenlaterne.

Die Lins und ihre Verwandten hatten sich tatsächlich schon große Sorgen gemacht. Als Taranee in die Straße einbog, wurde sie gleich von Hay-Lins Cousin entdeckt, der augenblicklich losschrie. Sofort tauchten all die anderen auf und liefen auf sie zu und fragten sie, wo sie gewesen war. Taranee erzählte es auf Englisch und Hay-Lin übersetzte es gleich für die anderen.

Als alle wieder in die Wohnung kamen, kramten die Erwachsenen kleine rote Papiertütchen heraus und gaben jedem der Kinder eins davon. Am Ende kamen sie sogar zu Taranee. Hay-Lins Onkel überreichte ihr das Tütchen und sagte auf Englisch: „Bitte sehl.“ Taranee bedankte sich erstaunt.

„Diese kleinen Geschenke bekommen alle unverheirateten Familienmitglieder und – wie du siehst – auch ihre Gäste“, erklärte Hay-Lin ihr wenig später.

„Hier in China gibt es wirklich eine Menge Traditionen!“, staunte Taranee.

Nachdem die kleinen Geschenke verteilt waren, setzten sich wieder alle auf ihre Sitzkissen und erzählten munter weiter. Taranee bestellte bei Frau Lin senior eine heiße Tasse Tee, weil es im Haus auch nicht viel wärmer war als draußen, da das Fenster weit geöffnet worden war um das Glück des neuen Jahres hereinzulassen, wie Hay-Lin ihr erklärt hatte.

Um kurz nach ein Uhr tranken alle die letzten Schlucke ihres Tees aus und gingen dann ins Bett; Hay-Lins Onkel und Tante, die Cousinen und der Cousin würden in ihrem Auto übernachten, denn in der Wohnung war beim besten Willen kein Platz mehr.

In dieser Nacht schlief auch Taranee schnell ein, obwohl sie eigentlich ziemlich aufgeregt wegen ihrer Verabredung mit Mousse war, denn sie kannte ihn ja eigentlich kaum und außerdem war sie noch nie mit einem Jungen Essen gewesen – mit Ausnahme einiger McDonald's-Besuche mit Nigel.
 

Der nächste Tag verlief, nachdem sie ihren Besuch verabschiedet hatten, relativ ereignislos, aber Taranee musste die ganze Zeit an den nächsten Tag denken, deshalb ging dieser nur schleichend vorbei.

Doch dann kam endlich der Montag und Taranee war am Morgen schon früh auf den Beinen, um von Hay-Lin noch ein paar wichtige chinesische Begriffe zu lernen (die sie vor lauter Aufregung sowieso nicht behielt) und sich für ihre Verabredung zu stylen. Nach langem Überlegen entschied sie sich für eine einfache Jeans und ihren schlichten schwarzen Lieblingspullover.

Um zwanzig vor zwölf konnte sie die Spannung wirklich nicht mehr aushalten und machte sich auf den Weg zum „Golden Moon“.

Vor dem üppig mit allen möglichen Figuren bemalten Gebäude stand schon der wartende Mousse, der sich nervös umblickte. Taranee beschleunigte ihren Schritt und als er sie entdeckte, kam er auf sie zu.

„Hallo, Mousse“, sagte Taranee freundlich, aber ziemlich nervös.

„Hallo“, erwiderte er.

„Gehen wir rein?“, fragte sie. Er nickte und öffnete ihr die Tür, woraufhin sie eintrat.

Der Innenraum des „Golden Moon“ war gewaltig: hohe vergoldete Säulen stützen die Decke, die mit bunten Drachen und anderen mythischen Figuren bemalt war, jeder der edel aussehenden Tische mit der typischen Drehscheibe in der Mitte war durch eine kleine Mauer, auf der kunstvolle Blumentöpfe mit großen Blumen standen, von den anderen Tischen getrennt und die Kellner trugen traditionell chinesische Gewänder. Einer von ihnen, der direkt neben der Tür stand, begrüßte die beiden mit einer tiefen Verbeugung. Nachdem er Mousse etwas gefragt und dieser geantwortet hatte, führte er sie zwischen den Tischen hindurch zum anderen Ende des gut besuchten Restaurants. Dort blieb er bei einem etwas kleineren Tisch stehen und zeigte darauf. Doch Mousse, der interessiert zu einem großen leuchtend roten Drachen an der Decke aufschaute, schien es nicht zu bemerken und lief deshalb prompt gegen den Bediensteten, wobei seine Brille hinunterfiel. Der Kellner machte erschrocken einen Schritt zur Seite und wollte gerade etwas sagen, als Mousse anfing, sich bei der Blume zu entschuldigen, die dort auf der Mauer stand. Er machte einen Schritt nach vorne und ein leises Knirschen verkündete, dass er gerade auf seine Brille getreten war.

Taranee seufzte und jetzt begann der Kellner, sich bei Mousse zu entschuldigen. Dieser erhob abwehrend die Hände, wahrscheinlich versucht er ihm klarzumachen, dass es seine eigene Schuld war. Irgendwann nickte der Mann und kehrte zu seinem Posten an der Eingangstür zurück.

„Siehst du ohne Brille etwas?“, fragte Taranee Mousse langsam.

„Nicht viel“, murmelte er. Zögernd nahm Taranee seine Hand und führte ihn zu einem Stuhl, sie selbst setzte sich ihm gegenüber.

„Tut mir leid“, sagte er und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf Taranees Schulter. Diese musste lächeln. „Kein Problem.“

Kurze Zeit später kam ein Kellner mit einer Speisekarte in der Hand. Anscheinend hatte er von seinem Kollegen gehört, dass Mousse ohne Brille so gut wie blind war, deshalb las er ihnen alle Gerichte vor. Mousse nannte ihm seinen Wunsch und Taranee bestellte der Einfachheit halber dasselbe, auch wenn sie keine Ahnung hatte, worum es sich dabei handelte.

Während sie auf das Essen warteten, waren beide sehr still. Taranee versuchte ein paar Mal, ein Gespräch mit dem anderen anzufangen, aber er verstand sehr wenig von dem, was sie sagte, deshalb verstummte sie schnell wieder.

Er hat hübsche Augen, stellte Taranee fest. Nigel hatte zwar ebenfalls braune Augen, aber die von Mousse waren auf eine faszinierende Weise noch tiefsinniger. Es war schade, dass man von diesen Augen durch seine Brille sonst so wenig sah. Überhaupt war er ohne die Brille völlig verändert. Er sah sehr erwachsen aus, nur an seiner Frisur konnte man vielleicht noch ein klein wenig feilen. Taranee stützte den Kopf auf die Hände und lächelte. Sie hätte wirklich nicht gedacht, dass ihr hier so ein freundlicher Typ begegnen würde.

Schließlich kam der Kellner, der ihre Bestellungen angenommen hatte, mit einem Tablett in der Hand, auf dem zwei Tassen Tee und zwei Suppenschüsseln standen. Er stellte sie ihnen hin, verbeugte sich kurz und ging dann wieder. Mousse tastete nach seinem Löffel und steckte ihn in die Teetasse. Bevor Taranee ihn warnen konnte, hatte er den Löffel schon im Mund. Er machte einen verwunderten Gesichtsausdruck und sagte dann: „Schmeckt wie Tee!“ Taranee musste lachen und klärte den verwirrten Mousse auf: „Es ist Tee.“ Jetzt musste auch Mousse grinsen.

Das Essen schmeckte Taranee besser als in vielen amerikanischen China-Restaurants, in denen sie mit ihren Eltern schon gewesen war. Vielleicht lag dies einfach daran, dass es in Amerika schwierig war, an die richtigen Zutaten zu kommen. Vielleicht lag es aber auch an ihrer amüsanten Begleitung. Taranee hatte das Gefühl, mit Mousse würde es nie langweilig werden.
 

Nach dem Essen winkte Taranee einen Kellner heran, Mousse sagte ihm, dass sie zahlen wollten und er ging kurz weg, um kurze Zeit später die Rechnung auf einem kleinen Silbertablett zu präsentieren. Taranee, der die Lins extra noch ein wenig Geld zugesteckt hatten, zog ihr Portmonee heraus und bezahlte die Summer. Eigentlich wollte sie auch noch Trinkgeld geben, aber zum einen wusste sie nicht, ob das hier üblich war und zum anderen hätte sie es sowieso auf Chinesisch sagen müssen.

Als Taranee ihre Jacke anzog, stand Mousse schon mal auf und lief natürlich gleich gegen eine Mauer. Also nahm Taranee seine Hand und führte ihn zum Ausgang. „Danke“, murmelte er verlegen. Vor der Tür blieben sie stehen und eine peinliche Stille entstand. Keiner der beiden wusste so genau, was er sagen sollte.

Irgendwann fragte Mousse: „Wann zurück nach Hause?“

„Morgen“, antwortete Taranee.

„Wir werden uns nicht .... wieder treffen“, stellte er fest und sah zu Boden.

„Nein“, sagte Taranee. „Es wahr sehr nett mit dir.“

Mousse zögerte einen Moment, dann fragte er: „Dich zurückbringen?“

„Okay“, sagte Taranee lächelnd. Damit er nicht wieder mit irgendwem zusammenstieß, nahm sie erneut seine Hand und sie schlenderten los.

Als sie fast bei dem Hochhaus, in dem die Lins wohnten, angekommen waren, spürte Taranee einen Wassertropfen auf ihrer Hand.

„Es fängt an zu regnen“, sagte sie.

„Oh“, war das einzige, was Mousse dazu zu sagen hatte.

Vor der Haustür angekommen ließ Taranee Mousses Hand los und drückte auf die Klingel. Sie blickte hoch und sah Hay-Lins grinsendes Gesicht hinter der Scheibe. Taranee warf einen Blick auf ihre Uhr und stellte fest, dass es erst ein Uhr war.

„Kommst du noch mit rein?“, fragte sie und drehte ihren Kopf zu Mousse. Doch er war weg! Taranee blickte sich um. Die nächste Gasse, in der er hätte verschwinden können, war mindestens

zwanzig Meter entfernt, sie hätte doch seine Schritte hören müssen!

„Hey, Taranee!“, begrüßte Hay-Lin sie da.

Als Taranee nicht antwortete, fragte sie: „Wo ist denn Mousse hin? War der nicht eben noch da?“

Taranee nickte langsam.

„Was ist denn das für ne komische Ente?“, wollte Hay-Lin wissen und zeigte auf den Boden. Taranee sah ebenfalls hinab und entdeckte eine kleine dicke Ente, die auf dem Bürgersteig hockte.

„Ist das Mousse?“, fragte Hay-Lin ihre Freundin.

Taranee lachte. „Nein! Mousse ist schon gegangen.“ Sie hob die Ente hoch und streichelte sanft über ihre feuchten Federn.

„Ist die echt?“, wollte Hay-Lin jetzt wissen. Taranee schüttelte den Kopf und sagte: „Ich glaube nicht. Aber jetzt lass und reingehen, sonst werden wir noch nass.“ Hay-Lin nickte und die beiden betraten das Haus. In der Wohnung angekommen suchte Taranee ihr Handtuch aus ihrer Tasche und trocknete die Ente damit ab. Danach streichelte sie sie erneut. Ihre Federn fühlten sich sehr echt an... Aber eine echte Ente würde sich wohl kaum einfach von jemandem mitnehmen lassen. Oder war sie vielleicht tot...? Nein, warum sollte eine tote Ente auf der Straße liegen? Bestimmt hatte ein Kind einfach seine Kuschelente verloren oder so...

Obwohl Taranee selbst nicht wirklich überzeugt davon war, zwang sie sich, nicht weiter darüber nachzudenken.

An diesem Tag unternahmen sie nichts besonderes mehr. Sie unterhielten sich ein wenig, aßen und tranken etwas und packten ihre Sachen für den Abflug am nächsten Tag zusammen. Taranee fand es ziemlich schade, dass die Reise nur so kurz gewesen war, aber sie hatte ihr sehr viel Spaß gemacht. Und, was das wichtigste war, sie hatte sie tatsächlich von der Angelegenheit mit Nigel abgelenkt, auch wenn sie sich vorher nicht so sicher gewesen war, ob das möglich war.
 

Am nächsten Morgen standen sie schon um sieben Uhr auf, zogen sich schnell an, packten die letzten Sachen ein und verabschiedeten sich dann herzlich von Frau Lin senior, bevor ihr Mann sie zum Flughafen brachte.

Gegen neun kamen sie dann dort an, ließen ihr Gepäck kontrollieren und begaben sich dann zu Terminal F, wo schon viele Chinesen warteten. Sie stellten sich dazu. Irgendwann konnten sie dann ihr Gepäck abgeben und, nachdem sie sich von Herrn Lin verabschiedet hatten, es sich im Warteraum gemütlich machen.

Taranee, die von der ganzen Reise ziemlich ermüdet war, fielen schon bald die Augen zu. Doch eine Viertelstunde später begann plötzlich ihr Handy in ihrer Tasche zu vibrieren. Schnell zog sie es heraus. Auf dem Display blinkte ein kleines Briefchen. Sie wählte es an. Als sie sah, dass die SMS von Nigel war, wollte sie sie erst wieder schließen, doch dann siegte doch ihre Neugier. Hey Tara! Ich freu mich schon auf deine Rückkehr. Wegen Freitag: Uriah hatte mich erpresst, ich konnte nichts dafür. Ich komm nochmal vorbei. Taranee lächelte. Sie glaubte Nigel. Es war einfach zu unwahrscheinlich, dass er wieder auf die schiefe Bahn geraten war.

Um halb elf wurden sie endlich ins Flugzeug gelassen. Dort verstauten sie ihr Handgepäck und setzten sich dann auf ihre Plätze, wo sie alle ziemlich schnell einschliefen.
 

Nach langen sieben Stunden Flug landeten sie endlich auf dem hell erleuchteten Flughafen New Yorks. Hier war es erst vier Uhr morgens des Tages, an dem sie um zehn Uhr losgeflogen waren. Taranee empfand diese Vorstellung als sehr verwirrend.

Die vier verließen das Flugzeug, ließen ihre Ausweise kontrollieren, bekamen ihr Gepäck wieder und kamen dann schließlich in die große Eingangshalle des Gebäudes. Sie gingen zum Parkhaus und machten sich, nachdem sie ihr Auto wiedergefunden hatten, gleich auf den Weg zurück nach Heatherfield. Diesmal war im Gegensatz zur Hinfahrt am Montag nur sehr wenig Verkehr, deshalb kamen sie schon um zwanzig nach fünf beim Hause der Cooks an. Dort verabschiedete Taranee sich von den anderen, bedankte sich noch einmal, dass sie mitfahren durfte und schleifte schließlich ihre Taschen zum Hauseingang. Nachdem sie ihren Schlüssel hervorgekramt hatte öffnete sie die Tür und betrat das Haus. Auf der Treppe, die zu den Schlafzimmern führte, stand schon ihre Mutter im hellblauen Morgenmantel und begrüßte sie kurz. Nachdem Taranee ihr fröhlich einen guten Morgen gewünscht hatte, schlurfte sie mürrisch in ihr Zimmer zurück. Sie schien ziemlich müde zu sein. Taranee hingegen war topfit. Sie brachte ihre Sachen in ihr Zimmer und setzte sich dann dort an ihren Computer.

Sie beantwortete ein paar E-Mails, trieb sich in diversen Chatrooms herum und schaute sich interessante Artikel auf ihrer Lieblings-Mathematikwebsite an, doch irgendwie konnte sie sich auf nichts wirklich konzentrieren. Sie musste die ganze Zeit an Nigel denken. Er hatte geschrieben, er würde vorbeikommen, aber wie oder wann wollte er das machen? Ihre Eltern würden ihr bestimmt nicht erlauben, ihn zu treffen.

Doch ihr Gedankengang wurde unterbrochen, als etwas gegen die Fensterscheibe schlug. Sie sprang auf, lief zum Fenster und sah hinaus. Unten im dunklen Garten stand grinsend Nigel mit ein paar kleinen Steinen in der Hand. Schnell riss Taranee das Fenster auf.

„Darf ich hochkommen?“, fragte er. Sie nickte nur verwirrt. Er kletterte geschickt die Hausfassade herauf und schlüpfte in ihr Zimmer.

„Was machst du hier?“, fragte Taranee endlich, nachdem sie das Fenster geschlossen hatte.

„Ich hab dich vermisst“, erklärte er. „Und ich glaube, ich muss dir noch was erklären.“

„Ja, ich glaube auch“, sagte sie.

„Weißt du ... Uriah hat mich erpresst. Er hat gesagt, er würde dir etwas antun, wenn ich nicht mitkäme. Und da hatte ich natürlich keine Wahl.“ Taranee fiel ihm um den Hals. „Ist schon in Ordnung, Nigel. Ich verzeihe dir.“

„Danke, Taranee“, sagte er und fuhr durch ihr Haar.

Die beiden setzten sich auf das Bett, auf das Taranee schon die dicke Ente gelegt hatte, die sie gefunden hatte.

„Wo hast du die denn her?“, fragte er und nahm sie in die Hand.

„Hab ich gefunden“, erklärte sie.

„Sie fühlt sich ziemlich echt an, oder nicht?“

„Jaah, du hast recht. Aber wenn sie echt wäre, würde sie sich doch bewegen, oder?“

„Stimmt“

Nigel legte die Ente zurück und stellte die Tasche auf den Boden, die er dabei hatte.

„Was ist da drin?“, fragte Taranee neugierig.

Nigel zog eine kleine Thermoskanne und zwei Tassen heraus, die er auf den Boden stellte. „Tee“, verkündete er strahlend. „Ich dachte mir, dann musst du dich nicht so umgewöhnen.“ Taranee grinste. „Ich war doch nur ne Woche weg!“

Während er die Thermoskanne aufschraubte und in beide Tassen etwas von dem Tee goss, sagte er: „Ja eben. Viel zu lange.“

„Nigel, das ist so lieb von dir!“, stieß sie aus und küsste ihn ohne zu überlegen auf den Mund, wobei sie die Ente vom Bett stieß. Unglücklicherweise landete sie mit dem Hinterteil direkt in einer der beiden Tassen.

Urplötzlich war die Ente verschwunden und Mousse rollte in seinem langen weißen Gewand über den Boden, wobei er sich mit beiden Händen an seinen Hintern fasste. Nigel und Taranee stießen gleichzeitig einen kurzen Laut aus, doch dann fiel ihnen ein, dass Taranees Eltern sie nicht hören durften und verstummten.

„Die ... die Ente hat sich doch nicht etwa gerade in diesen Typen verwandelt, oder?“, fragte Nigel, der stark an seinem Verstand zu zweifeln schien.

„Doch“, sagte Taranee und fasste sich mit der Hand an den Kopf. „Ich glaube schon.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Black1
2008-08-23T06:41:22+00:00 23.08.2008 08:41
Interessante Story gefällt mir
der Schluss ist ein wenig kurz würde mich sehr interessieren wie Mousse auf diese Situation reagiert hätte aber trotzdem hat mir sehr gefallen^^
Von:  Freia
2007-03-28T14:58:19+00:00 28.03.2007 16:58
*g*
Das war echt goldig am schluss irgendwie xDD
*Ich weiß ich bin komisch aber who cares? xD*
Ich fands echt toll macht/mach weiter so!
Wird immer besser^^
Nur ein kleiner Fehler ist mir aufgefallen:Kennt Taranee Hay-Lins Großmutter nicht schon?
Aber das ist nichts weiter schlimm^^


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