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Master and Commander

Die Kehrseite der Medaille
von

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Schicksalhafte Schlacht

Master and Commander
 

Die Kehrseite der Medaille
 


 

An Kapitän J. Aubrey, Seiner Majestät Schiff Surprise.
 

Von Sir Francis Ives, K.B., Vizeadmiral der roten Territorien, etc. etc.
 

Bezug :
 

Bericht von Lord Melville, Seiner Majestät Erster Seelord, der mir mitgeteilt hat, dass das von Ihnen bis zu den Galapagos-Inseln gejagte und dort gestellte Schiff, die französische schwere Fregatte Acheron, Ihnen letztendlich doch entkommen konnte. Die Admiralität geht davon aus, dass der Feind den nahegelegenen Hafen von Valparaiso anlaufen wird.

Hiermit werden Sie aufgefordert und angewiesen, sich zunächst nach Whitehall zu begeben, dort um eine Besprechung mit Sir Joseph Banks nachzusuchen und mit ihm alle geeigneten Maßnahmen abzustimmen, welche die Situation erfordern mag.

Sei es, um den Gouverneur von Valparaiso in einer Audienz mit allem Nachdruck die Unvernunft darzulegen, die es bedeutet, einem französischen Kriegsschiff einen sicheren Anlaufhafen zu bieten, die Gefahr der Vernichtung seines Handels und seiner Fischerflotte, falls er so unbedacht ist, auch nur den geringsten feindlichen Akt gegen die Person oder das Vermögen eines Untertans Seiner Majestät zu begehen; ihm gleichzeitig die Taten und Intrigen der französischen Regierung zu enthüllen oder die Evakuierung des Konsuls, seines Gefolges und Gepäcks sowie aller britischen Untertanen und ihres Eigentums vorzunehmen, falls dies gewünscht wird.

Bei Ihrer Konferenz mit dem Gouverneur wird Selbstbeherrschung dringend geboten sein. Keinesfalls dürfen Sie seinen Standpunkten nachgeben, die er äußern mag, oder gar einräumen, dass Seiner Majestät Schiffe bei irgendwelchem Gelegenheiten einen Bruch der Neutralität begangen haben; falls Sie feststellen müssen, dass alle Ermahnungen die Herausgabe des feindlichen Schiffes oder ein es betreffendes Einlaufverbot betreffend wirkungslos bleiben und Seine Hoheit auf seinem Standpunkt der Neutralität des Hafens beharrt und den feindlichen Kräften vielleicht sogar zur Hand zu gehen gedenkt, indem er Seiner Majestät Flagge beleidigt oder andere flagrante Verstöße gegen die zwischen unseren beiden Regierungen geschlossenen Verträge begeht, dann haben Sie Seiner Hoheit klarzumachen, dass zeitgleich mit der Ausführung eines solchen von ihm befohlenen feindseligen Aktes der Kriegszustand zwischen Großbritannien und Valparaiso eintritt; und dass Sie für diesen Fall von mir ermächtigt sind, zur Strafe für die Ungerechtigkeit Seiner Hoheit alle Schiffe unter seiner Flagge aufzubringen, zu verbrennen, zu versenken oder anderweitig zu vernichten, seine Häfen zu blockieren und jeden Verkehr zwischen ihnen und den Häfen anderer Nationen zu unterbinden. Sie werden in Begleitung der Pollux, die Admiral Harte befördert, nach Valparaiso segeln. Es ist nicht beabsichtigt, dass der Admiral an den Verhandlungen teilnimmt. Abgesehen von anderen Beweggründen, würde ein Linienschiff mit einem Stabsoffizier dem Gouverneur und den örtlichen Machthabern den falschen Eindruck übertriebener Bedeutung vermitteln und unliebsame Folgerungen zeitigen. Andererseits könnte die bloße Tatsache seiner Anwesenheit in diesen Gewässern eine günstige Wirkung ausüben. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass bei den kürzlichen Stürmen einige französische Kriegsschiffe dem Blockadegeschwader vor Toulon entkommen sind, und gegenseitige Unterstützung könnte angebracht sein. Und sobald die Ziele dieser Mission erreicht sind, haben Sie mir ohne den geringsten Zeitverlust Vollzugsmeldung nach Gibraltar zu erstatten.
 

"Haben Sie noch Fragen dazu?" erkundigte sich Fellowes.

"Ich glaube nicht, Sir", antwortete Aubrey, "es scheint mir ein direkter, eindeutiger Auftrag zu sein. Ist sich Admiral Harte völlig klar darüber, dass allein die Surprise die Verhandlungen zu führen hat?"

Ihre Blicke trafen sich, denn beide kannten Hartes berüchtigten Drang, sich einzumischen, und wussten, dass sein kürzlich ererbter Reichtum ihn in der Überzeugung, alles besser zu wissen, noch erheblich bestärken würde.

"Ich glaube ja", antwortete der Bote und fuhr nach vielsagender Pause fort: "Hier ist noch eine Beurteilung der Lage in Valparaiso. Haben Sie Ihren Zustandsbericht dabei?"

"Jawohl, Sir." Jack überreichte das Papier mit der Aufstellung von Besatzungsstärke, Seetüchtigkeit der Surprise, Vorräten an Munition, Proviant und Ersatzteilen jeder Art.

"Ihnen fehlt Trinkwasser", stellte Fellowes fest.

"Jawohl, Sir. Wir mussten die oberste Lage unserer Wasserfässer opfern, um die Acheron einholen zu können. Aber falls Sie unser sofortiges Auslaufen wünschen, können wir sehr gut in einer der zahlreichen Buchten vor Valparaiso nachbunkern. Dort gibt es keine Probleme - Süßwasser ist reichlich vorhanden."

"Das wäre vielleicht die beste Lösung: Die Pollux soll schon am frühen Morgen auslaufen. Sie kennen die Buchten, Aubrey?"
 

Mit leichter Besegelung glitt die Surprise durch die See: durch eine glatte, träumerische, grenzenlose See in allen Perlmuttfarben, die unter dem weiten, klaren Himmel untereinander verschmolzen. Es war einer jener Tage, an denen kein Horizont zu sehen war, an denen man unmöglich sagen konnte, wo in dem perlweißen Dunst die See an den Himmel grenzte. Dies erhöhte noch den Eindruck der Unendlichkeit. Der Wind kam etwas achterlicher ein als dwars und summte leise im Rigg, während das Wasser mit sanftem Plätschern an der Bordwand ablief, so dass aus beidem eine Art spezieller Seestille entstand.

Jack sah nach vorn, und dort stand zwei Kabellängen voraus die Pollux, ein Linienschiff von vierundsiebzig Kanonen; mit seinen turmhohen Segelpyramiden, den exakt vierkant gestellten Rahen, seinem breiten, nach Lee auswehenden Admiralswimpel und der ganzen maritimen Geometrie von geraden und geschwungenen Linien bot es vor der tiefstehenden Sonne ein prachtvolles Bild.

James Mowett, seines Zeichens Erster Offizier, trat an Jacks Seite.

"Sir", sagte er, "sollen wir heute zum Abenddrill die Schotten vorn und achtern abschlagen?"

An jedem Abend ihres Lebens unter Kapitän Aubrey hatte die Surprise klar zum Gefecht gemacht, übungshalber, aber so gründlich wie vor einem ernsthaften Kampf, wobei die Querwände aus der Kapitänskajüte verschwanden, Jacks ganze Habe schleunigst nach unten in die Kuhl wanderte und die schweren Kaliber darin ausgefahren wurden. Nach kurzem Blick auf die sie flankierende Pollux meinte Jack schließlich: "Vielleicht begnügen wir uns heute damit, nur die vorderen Jagdkanonen ein- und auszufahren. Und wenn die Pollux für die Nacht ihre Marssegel refft und die Bramsegel wegnimmt, tun wir es ihr nach."

Abends dann tanzten und sangen die Matrosen auf dem Vordeck bis weit in die erste Wache hinein, während Jack und sein Bordarzt und enger Freund, Stephen Maturin, noch viel länger in der Kajüte oder auf dem Achterdeck musizierten.
 

Früh am nächsten Morgen erschien der Kommandant an Deck, musterte die See und den Himmel und wies Honey, den Flaggoffizier der Surprise, an: "Signal an die Pollux: Erbitten Erlaubnis, uns abzusetzen."

Wilkins, der Signalgast, hatte das schon erwartet, genau wie sein Kollege auf der Pollux. Deshalb flogen Ersuchen und Erlaubnis mit Höchstgeschwindigkeit hin und her, ergänzt um den höflichen Abschiedsgruß der Pollux: "Glückliche Heimkehr!"

Die Surprise hielt auf Land zu, und das Linienschiff wendete, um entsprechend ihrer Vereinbarung draußen auf See auf und ab zu stehen für den Fall, dass die Fregatte noch vor dem nächsten Tag wieder zu ihr stieß.
 

Mit dem ersten Boot voll leerer Fässer ging Jack an Land und verspürte zum ersten Mal an diesem Morgen wieder das Gefühl, das ihn schon in den letzten Tagen so stark heimgesucht hatte. Eine düstere Vorahnung.

Aber zwanzig Tonnen Wasser an Bord zu schaffen, Fass um Fass, das verlangte seine ganze Aufmerksamkeit und Energie. Mit den Böen aus Nordwest setzte prompt ein leichter Nieselregen ein, was den Umgang mit den schlüpfrigen, schweren Fässern noch mehr erschwerte und verzögerte.

Noch während er so seinen Gedanken nachhing, feuerte die Festung hoch oben auf den Felsen von Valparaiso einen Schuss ab. Vom Wind getragen, hallte der Knall laut und deutlich über das breite Gewässer, und jeder Mann, der momentan unbeschäftigt war, blickte hoch. Aber weiter geschah nichts. Nur Jack kam die Sache mehr als seltsam vor, denn über dem Fort wehte keine Fahne, und er studierte das Kap immer noch im Teleskop, als ein großes Schiff die Landspitze aus Richtung der Bucht rundete: ein Kriegsschiff mit drei Batteriedecks und 90 Kanonen, unter englischer Fahne und dem breiten Wimpel eines Kommodore. Dichtauf folgten ihm zwei Fregatten, die eine mit achtunddreissig, vielleicht sogar vierundvierzig Kanonen, die andere mit etwa achtundzwanzig etwas leichter. Kaum hatte Jack Zeit, sich einen Überblick zu verschaffen und zu bemerken, dass sich die schwere Fregatte an der Backbordseite des Kommodore entlang nach vorne schob, da wurde die englische Flagge niedergeholt, die französische stieg empor, und der Dreidecker schoss seine Bugkanonen auf die Pollux ab. Die Pollux drehte vor den Wind, vor das bisschen Wind in Lee des Kaps, aber binnen zwei Minuten holte der Franzose sie ein, segelte fast Rahnock an Rahnock neben ihr her und begann, volle Breitseiten in sie hineinzujagen, während die schwere Fregatte auf der abgewandten Seite des Flaggschiffs vorbeizog und sich quer vor den Bug der Pollux legte. Aber noch bevor sie ihr mörderisches Feuer eröffnete, preschte schon die Surprise - Barkasse, Fässer und Anker zurücklassend - hinter den drei Inselchen hervor, wobei sie immer mehr Segel setzte und klar zum Gefecht machte.

Insgesamt ein Weg von neun Meilen, bei herzlich wenig Zeit dafür.

Aber der Wind hatte aufgefrischt, und die Surprise lief bereits zehn Knoten; die Pollux erwiderte das Feuer in schneller Folge, und sie hatte zweiunddreissiger Karronaden auf Achterdeck und Vorschiff. Soweit Jack in den dichten Rauchwolken sehen konnte, die vom Gefecht zu ihm heruntertrieben, standen noch alle ihre Masten. Vielleicht konnte sie durchhalten, bis Jack bei ihr war und entweder das Feuer der schweren Fregatte von ihr abzog oder den Zweidecker durchs Heck längsschiffs beharkte. Die kleinere französische Fregatte schien keine Rolle zu spielen; sie tändelte herum, steuerte gelegentlich einen Schuss bei, richtete aber weiter keinen Schaden an und schien auch nicht versessen darauf, ins Gefecht einzugreifen.

"Großbram-Stagsegel!", befahl er, und sowie dessen Schot belegt war, krängte die Surprise noch stärker. Schon gruben sich ihr Backbord-Kranbalken und ihre Backbordrüsten tief in ein Bett von Schaum; weißes Wasser raste an der ganzen Länge ihrer Reling entlang; und dennoch beschleunigte sie noch von Minute zu Minute. "Bleibt stehen, ihr guten Masten", murmelte Jack und rief: "Außenklüver!"

Das Deck hatte so starke Schräglage wie ein Hausdach, und Jack Aubrey stand da, den rechten Arm um die achterste Besanwant gehakt, in der anderen Hand seinen langen, schweren Kavalleriesäbel, neben sich Mowett und als Melder einen Kadetten. Zwei kräftige Quartermaster, Devlin und Harper, standen am Ruder, hinter sich den Segelmeister Allen, der das Schiff navigierte.

Die Stückgasten, um die Segeltrimmer reduziert, warteten an ihren Kanonen, und mit ihnen ihre Offiziere und Kadetten. Auch die Seesoldaten und ihre Scharfschützen in den Marsen waren auf den ihnen zugewiesenen Plätzen.

Und alle starrten gebannt auf das tobende Nahgefecht, den dunklen Rauch und die pausenlosen orangefarbenen Mündungsblitze.

Schneller und schneller ging die Surprise durch den Wind und er trug jetzt den Geruch des Schießpulvers zu ihnen.

Jack sagte: "Egal, was man vom Admiral hält, niemand kann ihn einen feigen Hund schimpfen. Herrgott, wie sich die Pollux wehrt!"

"Sir", meldete Mowett, das Fernrohr am Auge, "ihr Vormast ist weg."

Noch während er sprach, wehte ein Windwirbel den Rauch beiseite, und tatsächlich, da lag die Pollux verkrüppelt, konnte nicht mehr nach Lee abdrehen, feuerte aber immer noch mit eindrucksvoller Regelmäßigkeit.

Im nächsten Moment fiel die schwere Fregatte auf ein Signal des Dreideckers etwas ab und hielt zusammen mit der anderen nach Süden, um die Surprise abzufangen.

"Doktor", mahnte Jack, "es wird Zeit, nach unten zu gehen."

Seit die Fregatten die Rauchwolken hinter sich gelassen hatten, beobachtete Jack sie mit höchster Konzentration.

Die vordere war wie vermutet keine andere als die mächtige Acheron, schnell und schnittig gebaut, bewaffnet mit ihren todbringenden vierundvierzig Achtzehnpfündern. Die zweite hatte wie die Surprise achtundzwanzig Kanonen, doch das war auch die einzige Ähnlichkeit; sie besaß einen plumpen Bug und einen breiten Rumpf.

"Einen halben Strich nach Luv", befahl er.

"Aye, Sir, halber Strich nach Luv."

Wenn sie in Reichweite der Kanonen kamen, würde der Franzose etwas beidrehen, um der Surprise seine Breitseite zu zeigen, und normalerweise hätte diese dann angeluvt, um nicht der Länge nach unter Feuer genommen zu werden. Doch mit diesem kaum merklichen halben Strich konnte er wieder etwas abfallen und damit nicht nur der Breitseite entgehen, sondern vielleicht sogar durchbrechen, ehe dem Feind viel Zeit für eine zweite blieb. Aber nur vielleicht. Viel hing davon ab, was das zweite Schiff unternahm. Es würde ein sehr riskantes Geschäft werden, an den beiden gerade noch vorbeizurutschen.

Trotzdem musste er es wagen.

Als hätten sie seine Absicht durchschaut, änderten die beiden Fregatten ihre Kurse, die eine etwas nach Steuerbord, die zweite leicht nach Backbord, um ihn in die Zange zu nehmen.

Jack fühlte sich äußerst angespannt, aufs äußerste gefordert; und doch erinnerte er sich in einem Winkel seines Gedächtnisses, dass Stephen ihm erzählt hatte, wie das französische Kommando für Klar zur Wende lautete: nämlich à-Dieu-va, was im übertragenen Sinne hieß: Wagen wir's im Vertrauen auf Gott.

Genau das gilt auch für uns, überlegte er mit Blick auf die beiden fernen Linienschiffe, die sich weiterhin mit wütender Entschlossenheit beharkten. Und während er noch hinsah, teilte sich die gesamte Rauchwand, zerriss von innen nach außen, in der Mitte zuckte ein riesiger Blitz gen Himmel, und eine enorme, turmhohe Flammensäule stieg empor, verspritzte kleine schwarze Objekte, die höher und höher flogen; ein weißer Rauchpilz krönte das Inferno.

Die Pollux war in die Luft geflogen.

Und noch ehe die gigantische Feuersäule in sich zusammenfiel, erreichte sie der ohrenbetäubende Knall ihres explodierten Pulvermagazins, der See und Segel erzittern ließ.
 

Und Kapitän Aubrey fuhr schreiend in seinem Bett empor.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2006-07-13T12:18:04+00:00 13.07.2006 14:18
Waaaa!
Was ein Ende. Da wird einem ja ganz anders.

Die Segelmanöver und die Schiffe schön beschrieben!


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