Ich, du und die Liebe
Irgendwie ist es immer schwieriger, über glückliche Zeiten zu erzählen als über schwierige.
Wieso ist das wohl so? Zwar kann man ausschweifen ohne Ende, und dennoch würde man wohl immer nur das selbe sagen... und zwar, dass es einfach nur wunderschön ist.
Denn das ist es... denn so sind die nächsten Wochen meines Lebens. Wunderschön wie nie.
Ich habe in den Jahren, in denen meine ganzen Beziehungen den Bach runter gingen, immer wieder gedacht, dass ich einfach nur nicht fähig für so etwas sei, dass ich nicht mit einem Menschen zusammen sein kann, dass ich für Zweisamkeit nicht geschaffen bin.
Doch Julian schaffte es in kürzester Zeit mir zu zeigen, dass es nicht so ist... dass es nicht nervig, sondern wunderschön sein kann, eine Beziehung zu führen, sich ständig nach dem Partner zu sehnen. Und das tue ich, wann immer ich die Gelegenheit dazu habe – und das ist fast immer, wenn ich gerade nicht mit ihm zusammen bin.
Tatsächlich vermisse ich ihn ständig... und jede Minute, die ich mit ihm verbringe, zeigt mir neue Dinge, die ich das nächste Mal vermissen kann.
Er hat so viele Kleinigkeiten, die ich mag. So viele Macken, die unglaublich niedlich sind, und ebenso viele wunderschöne Seiten, die man einfach nur lieben kann. Und er zeigt sie mir alle, in den nächsten Wochen, zeigt mir all seine schlechten und guten Angewohnheiten, zeigt mir Sachen aus seinem Leben, die er mag, die er gerne tut... Kein Tag vergeht, an dem ich nicht etwas neues von ihm lerne, ihn nicht ein kleines Stück mehr kennen und lieben lerne.
Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich sagen, dass ich nie daran geglaubt hätte, einen Menschen wirklich lieben zu können. Allein dieses Wort „Liebe“ enthielt für mich immer so viele Mysterien, fast so viele wie unser Universum.
Liebe, was ist das schon? Ein Gefühl, eine Art, sich Gedanken über jemanden zu machen... eine Angewohnheit?
Nein, es ist mehr als das... und doch kann ich es ebenso schlecht in Worte fassen, wie alle Personen, die ich je gefragt habe. Man kann sie einfach nicht beschreiben, denn man muss sie erleben... die Liebe.
Dass es Liebe ist, die ich für Julian empfinde, daran zweifle ich schon lange nicht mehr... wenn ich es überhaupt je so richtig getan habe. Das einzige Problem, das ich mit dieser Sache habe, ist, es auszusprechen.
Und dabei sind es doch gerade mal drei Worte.
Ich liebe dich
So einfach und doch so schwer, dass ich sie bis zum heutigen Tage nicht geschafft habe, ihm zu sagen.
Doch wieso nicht? So vielen Frauen habe ich es schon gesagt, auch wenn es nie stimmte, warum schaffe ich es dann nicht, wenn es wahr ist?
Weil es wahr ist?
Im Gegensatz zu mir hat Julian keine Probleme damit, die Worte auszusprechen. Es ist irgendwann, knapp zwei Wochen nachdem wir ein Paar wurden, als er sie mir das erste Mal sagte.
Ob er auf eine Erwiderung wartete?
Bestimmt, doch er bekam sie nicht. Ich erschrak mich selbst davor, dass meine Lippen einfach nicht auseinander gehen wollten, dass ich nichts weiter schaffte, als glücklich zu lächeln und mich gleichzeitig schlecht zu fühlen.
Dabei war ich mir schon vor jenem Tag im Klaren darüber, dass ich ihn auch liebe.
Wieso also schaffte ich es nicht, ihm genau das zu sagen?
Julian überspielte die Situation irgendwie... und sagte mir später, dass es okay für ihn wäre, wenn ich noch warten will, er wollte es mir einfach nur mitteilen.
Seit dem hat er nur ein paar mal die berühmten drei Worte gesagt, nur dann, wenn es ihm scheinbar besonders wichtig war... und nie wartete er mehr auf eine Erwiderung, zumindest auf keine mit Worten...
Ich habe einen anderen Weg gefunden, um ihm von meiner Liebe zu erzählen. Ich sage es ihm mit Gesten, Berührungen und darum schweifenden Wörtern, doch mehr schaffte ich bislang einfach noch nicht. Manchmal, wenn wir uns lieben und einander danach in den Armen liegen, bin ich zwar kurz davor, doch dann schweige ich wieder. Ist es nicht zu heuchlerisch es nach dem Sex zu sagen, dann wenn man seine Lust befriedigt hat? Klingt es dann nicht billig, abgestanden, gelogen?
Das wäre einfach nicht der richtige Zeitpunkt... doch gibt es den überhaupt?
Warte ich nicht auf etwas, was nie kommen wird, da ich mir den Augenblick selbst erschaffen muss?
Doch das mit der Liebe, ist ohnehin so eine Sache für sich...
Dass ich Julian liebe, er ist nicht der Winzige, dem ich das noch nicht gesagt habe. Da sind auch noch so viele andere Personen...
Es beginnt schon mit Anne, wobei ich mir sicher bin, dass sie es gar nicht hören will. Nach dem Geständnis in Julians Wohnung habe ich sie nicht mehr oft gesehen. Um genau zu sein, kann man fast an zwei Händen abzählen, wie oft sie in diesen knapp fünf Wochen mehr als zehn Sekunden mit mir im selben Raum blieb. Wann immer ich ihr so über den Weg lief, machte sie einen riesigen Bogen um mich, ließ mir Nachrichten überbringen, wenn es nicht anders ging, und wechselte selbst nie ein Wort mit mir.
So schlimm es klingen mag, habe ich mich doch daran gewöhnt. Was soll ich auch anderes tun, außer es akzeptieren? Ich kann sie nicht zwingen, mit mir zu sprechen, mir zu verzeihen und – noch viel wichtiger – vor allem Julian zu verzeihen, der natürlich weitaus mehr unter ihrer Wut und Enttäuschung leidet. Ein paar Mal hat er versucht, sie anzurufen, doch sie legte jedes Mal auf... und als er einmal bei ihr in der Kanzlei vorbeiging, tat sie, als gäbe es ihn nicht...
Doch selbst er hat langsam begonnen, sich damit abzufinden.
Eine weitere Person, der ich es bisher nicht geschafft habe, von meinem neuen Leben zu erzählen, ist Tom... und wenn er es nicht weiß, wissen es natürlich auch Frank und Martin nicht.
Alles was ich Tom gegenüber erwähnt habe, ist, dass ich nichts mehr mit Anne habe... und dass ich nun in einer neuen Beziehung stecke. Und in dem Moment, als sich die Gelegenheit bot, die Wahrheit zu sagen, machte ich einen Rückzieher und antwortete auf die Frage, wie meine Freundin den hieße, mit „Julie“.
Ja, ich bereue es, gerade zu ihm nicht ehrlich gewesen zu sein... doch den Mut, die Lüge aufzuklären, fand ich dennoch bis heute nicht. Zwar versprach ich ihm und den anderen beiden, Julie demnächst mal mitzubringen, nannte jedoch keinen genaueren Zeitpunkt.
Ich habe einfach Angst vor dem Tag, an dem meine wichtigsten Freunde die Wahrheit über mich erfahren werden...
Was das angeht, so hat Julian natürlich weitaus weniger Probleme... beziehungsweise gar keine. Fast alle Personen in seinem Umfeld wissen von seiner sexuellen Orientierung und nicht selten beneide ich ihn darum... oder die anderen Schwulen, die ich durch ihn kennengelernt habe, und von denen die meisten ebenso offen leben, wie er.
Da wären allein schon Sam und Max, die beinahe damit prahlten, schwul zu sein... und dann natürlich seine Freunde, die er damals in der Schwulenkneipe getroffen hat.
Diese lernte ich auch genau dort kennen, als er es bereits nach zwei Wochen schaffte, mich mitzuschleifen. Zwar stellte ich auch dieses Mal fest, dass diese Art von Kneipe einfach nichts für mich ist – auch nicht, wenn ich mich jetzt wohl als einer von ihnen bezeichnen kann – aber auch merkte ich zu meiner Erleichterung schnell, dass Julians Freunde nicht in das Schema passten, in das ich sie damals gesteckt hätte.
Im Gegenteil, eigentlich verstand ich mich sogar mit fast allen auf Anhieb ziemlich gut und am meisten freute es Julian wohl, als er sah, wie ich mich mit seinem besten Freund Marius bestimmt eine Stunde lang unterhielt.
Dabei war wohl eher ich es, der froh war... denn zuvor hatte ich tatsächlich Angst davor gehabt, dass Julians Freunden mich nicht mögen und ihn gar zum Zweifeln bringen könnten. Doch diese Sorgen waren zum Glück vollkommen unbegründet.
Als wir an jenem „Kennlernabend“ nach Hause gingen, meinte Julian zu mir, dass ich nun fast alle wichtigen Leute seines Lebens kennen würde, außer... ja, außer seiner Eltern.
Ich muss zugeben, dass mich diese Aussage ziemlich erschreckte, in jenem Moment. Zwar war es einerseits toll, zu hören, dass ihm schon nach so kurzer Zeit, die wir nun zusammen waren, wichtig war, dass ich all seine wichtigen Personen kennenlernte... und doch, verdammt, warum ausgerechnet seine Eltern?
Julian schien meine Scheu vor ihnen schnell zu bemerken, lachte, umarmte mich und sagte, dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte, durch die räumliche Distanz sehe er seine Eltern nur selten und das nächste Treffen sei erst für Weihnachten geplant. Ich schämte mich dafür, dass es mich erleichterte, doch auch das schien ihn nicht zu stören.
Dies war auch der Moment, in dem er mir seine Liebe gestand.
Doch das Thema Eltern ist nicht nur dann ein Problem, wenn es um seine geht, sondern besonders dann, wenn es meine eigenen betrifft... denn sie gehören zu letzten und wohl wichtigsten Gruppe der mir wichtigen Personen, die nicht die Wahrheit über mich kennen.
Wie um Himmels Willen soll ich denn bitteschön meinen Eltern sagen, dass ihr Sohn auf Männer steht, ohne dass sie gleich einen Herzinfarkt davontragen?
Tatsächlich habe ich es bis jetzt sehr gut geschafft, nicht über das Thema nachzudenken, doch lange wird das wohl nicht mehr gehen... was mir bewusst wurde, als meine Mutter vor ein paar Tagen anrief...
Dann nämlich, als sie mich fragte, wann ich denn am Heiligabend bei ihnen wäre. Ich wollte gerade antworten, als mir etwas bewusst wurde. Daraufhin sagte ich, dass ich es noch nicht so genau wisse, und beendete das Gespräch.
Julian merkte sofort, dass etwas nicht stimmte... und als das Wort „Weihnachten“ über meine Lippen kam, fand er mein kleines, großes Problem sofort.
Ein wichtiger Tag... zwei Einladungen.
Warum habe ich eigentlich nicht schon eher darüber nachgedacht?
Zuvor, wenn wir von Heiligabend gesprochen haben, war es immer der Tag gewesen, an dem ich seine Eltern kennenlernen werde... aber hallo, Alexander, aufgewacht, du hast auch noch eigene Eltern, die dich an dem Tag sehen wollen!
Die größte Frage, die sich nun also stellte, war: Würden wir Weihnachten nicht zusammen verbringen können?
Meine Antwort darauf: Kommt nicht in Frage!
Selbst wenn wir zugegebenermaßen noch nicht so lange ein Paar waren, sondern erst seit etwas mehr als einem Monat, würde ich es nicht einsehen, den Tag ohne ihn zu verbringen!
Aber... was nun tun?
Am nächsten Tag rief ich meine Eltern an und teilte ihnen meine Entscheidung mit: Ich werde den Heiligabend woanders verbringen.
Wo? Um diese Antwort redete ich mich mit Mühe und Not herum...
Warum? Weil ich Angst habe... weil ich ihnen nicht gerade den Heiligabend verderben und weil ich trotz allem nicht lügen will.
Traurig beließ es meine Mutter schließlich dabei und nahm mir das Versprechen ab, wenigstens am ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag bei ihnen vorbeizukommen.
Ich stimmte zu, legte auf... und fühlte mich unglaublich elend.
Seit 26 Jahren wird es das erste Mal sein, dass ich Weihnachten nicht zusammen mit meiner Familie verbringe... und das, weil ich einfach nur zu feige bin, ihnen die Wahrheit über mich zu erzählen...
An diesem Abend schaffte Julian es nur sehr schwer, mich wieder aufzumuntern.
ENDE Kapitel 6