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Zweiter Betriebsausflug des Enma-Cho 1998

angesiedelt nach Band 8, weil ich weder Zeit noch Geld hatte ihn zu kaufen v.v
von

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TAG 8, 3. JANUAR 1999

TAG 8, 3. JANUAR 1999
 

Tsusuki hatte sich geirrt. Watari konnte sehr wohl Hass empfinden. Er hockte auf einem alten Stuhl an einem ziemlich ramponierten Tisch und streichelte 003, die es sich auf der unebenen Tischplatte bequem gemacht hatte. Sie schnurrte wohlig und der Wissenschaftler erinnerte sich zum dreißigsten Mal heute daran, dass er eines ganz besonders hasste: Langeweile. Er hob die Hand vor den Mund und gähnte ausgiebig, sehr zum Ärgernis seines kleinen Anwalts. Der rabenähnliche Vogelgeist sah aus wie ein Gushoshin, der eine Hungersnot, einen Ölteppich und eine Streckbank hinter sich hatte. Er zog auch ein dementsprechendes Gesicht.

"Watari-san, es geht um Ihre Zukunft! Ein bisschen mehr Aufmerksamkeit, wenn ich bitten darf!"

"Äh... ja..." Watari stützte den Kopf in die Hände und 003 shuhute enttäuscht.

"Haben Sie es jetzt also verstanden?"

"Jaja. Sie schreiben ein paar Anträge und so weiter, appellieren an mein vorbildliches Verhalten und so weiter und meinen guten Willen und ich gestehe alles. War's das?"

Er gähnte wieder.

"Nein nein nein! SIE füllen die Anträge aus und ICH fertige ein Geständnis an, mit dem wir möglichst gut wegkommen! Wo haben Sie nur ihren Kopf?"

"Da." Watari deutete sich mit dem Finger an die Stirn.

"Es wäre zu Ihrem eigenen Vorteil, wenn...!"

"...Sie etwas besser kooperieren würden. Ich weiß schon."

Der Rabe nahm auf dem Tisch platz, woraufhin 003 sich ängstlich shuhuend hinter Wataris Ellbogen verkroch.

"Es interessiert Sie wohl gar nicht, dass in zehn Tagen Ihre Verhandlung stattfindet?" Watari nahm die Eule schützend in seine Hände.

"Wie lang arbeiten Sie schon hier?" fragte er genervt.

"Am 18. 7. 1995 bin ich von der Schweiz hierher versetzt worden", kam prompt die Antwort.

"Fragt sich nur warum", murmelte Watari bei sich.

"Wie meinen?"

"Nix wichtiges. Hatten Sie schon mal mit der Abteilung für Vorladungen zu tun?"

"Nein, nicht direkt. Weshalb?"

"Weil da garantiert wieder was dazwischen kommt. Deshalb."

"Ach! Meinen Sie? Sie glauben doch nicht, dass Sie einfach so unser Konferenzzimmer in Schutt und Asche legen können und dann fein heraus sind! - Was gibt es da zu grinsen?!"

"Ich grinse nicht, ich lächle."

"Lassen Sie das!"

"Warum? Sind Sie allergisch darauf?"

"Sie gehen mir auf die Nerven!"

"Nein, Sie mir. Für Sie ist gute Laune wohl ein Fremdwort, hm?"

"Seien Sie doch einmal ernst!"

Jemand hämmerte gegen die Tür.

"Ruhe da drinnen!"

"Shu!" machte auch 003.

Der Rabe seufzte verbittert. "Sie sind ein hoffnungsloser Fall!"

"Dass Sie's nur endlich merken!"

"Sie machen mir die Arbeit wirklich nicht einfacher!"

"Man wächst an seinen Herausforderungen."

"Am besten lassen Sie mich reden und tun gar nichts." Der Rabe schnappte sich seine Aktenmappe. "Wir sehen uns vor Gericht. Auf Wiedersehen."

Als der Vogel-Anwalt draußen war, ließ Watari erleichtert den Kopf auf die Tischplatte sinken. Ein Schlüssel rasselte, als die Tür wieder abgeschlossen wurde.

"Mann, der Kerl schafft mich!" stöhnte Watari.

"Shuhuhu Hu (Meinst du wirklich, das war klug)?"

"Klar." Watari richtete sich auf und streckte seinen steifen Rücken. "Tsusuki und Hisoka überweisen meine Kaution, das Konferenzzimmer bezahle ich mit den Wettgewinnen vom letzten Kyudo-Turnier und die Sache mit dem Hades bringt mir höchstens einen Monat Zwangsurlaub."

Die kleine Eule bestand von oben bis unten aus Zweifeln und setzte gerade zu einem neuen Einwand an, als es an der Tür erneut rasselte. Quietschend wurde sie aufgeschoben und der Geister-Polizist winkte Watari heraus.

"Siehst du?" Der Forscher zwinkerte fröhlich. Wortlos flatterte die Eule auf seine Schulter.

Am Ende des langen Ganges warteten Tsusuki und Hisoka.

"Da bist du ja! Geht's dir gut?" Die beiden betrachteten ihn besorgt.

"Aaach, ich hab mich furchtbar gelangweilt! Sind wir schon zu spät?"

"Fast."

Watari sah von einem zum andern.

"Was ist denn los mit euch? Warum kuckt ihr so?"

Hisoka warf Tsusuki einen Blick zu und ergriff dann das Wort: "Geht's dir auch wirklich gut?" fragte er.

"Äh... ja, warum?"

003 wich einem der Fragezeichen aus, die sich hinter Wataris Ohren materialisierten.

"Na ja, nur wegen gestern", Hisoka hängte die Daumen in die Gürtelschlaufen seiner Jeans. "Und du warst ja immerhin im Gefängnis."

"Ach iwo!" Watari winkte lachend ab. Tsusuki und Hisoka sahen sich wieder an und schließlich beugte Tsusuki sich näher zu Watari.

"Sag mal..." raunte er.

"Ja?" fragte Watari gedehnt.

Tsusukis Stimme sank zu einem Flüstern. "Hast du wirklich... 4 655 817 391 Yen auf deinem Konto?"

"Ihr Schlingel! Was fällt euch ein! Her mit meiner Geldkarte!"

"Da...!" Tsusuki zog sie ehrfürchtig aus seiner Jackentasche. Watari schnappte sie sich und begutachtete sie von allen Seiten.

"Wo hast du das alles her?" wollte Hisoka wissen.

"Gewonnen! Letztes Jahr beim Kyudo-Turnier...!"

Den beiden Shinigami klappte simultan die Kinnlade herunter. "Alles?" fragen sie synchron.

"Pschschscht!" machte Watari. "Das bin ich sowieso los, weil ich das Konferenzzimmer bezahlen muss! Jetzt kommt, sonst sind wir zu spät dran." Er marschierte voraus und winkte mit der Geldkarte. Tsusuki folgte ihr wie hypnotisiert mit den Augen. Hisoka schüttelte den Kopf und setzte sich ebenfalls in Bewegung...
 

__________
 

"Komisch, dass die Verhandlung schon so früh ist", meinte Tsusuki, als sie das Gerichtsgebäude erreichten. Der viele Schnee war von Sonne und Kälte hart geworden und knirschte unter ihren Schuhen. Ein frischer Nord-West-Wind wehte (das bedeutet: Sonne, keine Wolken, eiskalt^^ <-*Erdkundefreak*) und blies die Atemwölkchen der drei Shinigami davon.

"Wahrscheinlich hat unser Herr Doktor so hohe Priorität", vermutete Watari.

"Äh, Watari...?" Tsusuki nahm ihn beiseite.

"Was?"

003 hockte wieder hinter Wataris Ohr und kuschelte sich in seine Locken.

"Gehst du schon mal vor, Hisoka, und besetzt uns einen Platz? Ich muss Watari nur kurz was fragen."

Hisoka nickte und entfernte sich knirschenden Schrittes, kleine Dampfwölkchen vor sich herblasend.

"Worum geht's?" wollte Watari wissen.

"Wir kennen uns schon ziemlich lange", begann Tsusuki, offenherzig wie immer, "und du bist mein bester Freund. Dass du uns an Muraki verkaufst, das glaub ich nie und nimmer, ganz gleich was Tatsumi sagt. Ich glaube dir. - Aber... was hast du vor? Du musst es mir nicht verraten! Aber ich mache mir Sorgen um dich, Watari. Du warst noch nie so... Ich meine, du warst schon immer so, aber noch nie so sehr."

Watari lächelte tiefgründig und gedankenschwer. Tsusuki hatte tatsächlich genau den Punkt getroffen: Genau wie immer, aber noch nie so sehr... (Was bin ich stolz auf diese Formulierung!^^) Tsusuki ahnte ja gar nicht, wie sehr er auf dem richtigen Weg war. Und wie schwer es fiel, so etwas in Worte zu fassen. Deshalb legte er Tsusuki die Hände auf die Schultern. Sein Freund tat es ihm gleich. Eine Weile standen sie so schweigend.

"Wenn ich dir sage, was ich vorhabe, dann lässt du mich vermutlich nicht in den Gerichtssaal."

" - Dann lasse ich dich nicht rein."

Watari grinste. "Dann bind mich an den Baum."

"Quatschkopf!"

Sie lachten.

"Nein, Watari. Jetzt sag schon." Tsusuki wurde wieder ernst. "Ich würde ja auch versuchen, mal mit Muraki zu reden, aber er scheint das gar nicht zu wollen. Und außerdem bringt mich dieser Arzt immer dermaßen in Rage...!"

Watari erkannte den versteckten Schmerz und die Erinnerung an Kyoto in diesen Worten. Er zog Tsusuki näher zu sich und sah ihn fest an. "Ganz egal, was ich vorhabe, und ganz gleich, was da drinnen passiert: Wir bleiben Freunde."

"Watari!" nuschelte Tsusuki und knuddelte den Forscher, dem daraufhin eine besonders große Dampfwolke entwich.

"Wir sollten los", meinte Watari, als er wieder Luft bekam.

"Oh, ja, es ist ja schon fast zwei."

DONG. Eine Glocke schlug. DONG.

Sie eilten die Treppe hinauf durch die Eingangshalle in das öffentliche Vorzimmer.

Dort erwartete sie Tatsumi.

Watari stutzte, dann folgte er Tsusukis Beispiel und hängte seinen Mantel an die fast volle Garderobe. (Nicht, ohne vorher die Geldkarte rauszunehmen.^^) Tsusuki nickte Tatsumi kaum merklich zu und öffnete leise die hohe Tür zum Gerichtssaal. Lautes, hallendes Klopfen war zu hören, welches für Ruhe sorgte, dann schloss sich die Tür.

Watari und Tatsumi standen sich gegenüber; der eine hoch aufgerichtet, erwartungsvoll, bereit zur Verteidigung, der andere halb abgewandt, gesenkten Hauptes und offenkundig im Widerstreit mit sich selber, der aber schon fast entschieden schien.

Watari dachte an gestern, als ihm beim Gespräch mit Tatsumi der bittere Geschmack des Hasses im Mund gelegen hatte. Ihm fiel auf, dass er eigentlich immer wusste, wie Tatsumi reagieren würde. Nur jetzt hatte er überhaupt keine Ahnung, und das ließ ihn sich fürchten. So vieles war passiert in den letzten Tagen... Er hatte sich verändert. Tatsumi hatte sich verändert, und ebenso Tsusuki und Hisoka. Wer konnte noch mit Bestimmtheit sagen, was er vom anderen zu erwarten hatte?

Tatsumi schob seine Brille hoch und wandte sich Watari zu.

"Ich habe nachgedacht. Über alles, was geschehen ist in den letzten Tagen: Deine Entführung, die Sitzung, Murakis Tod und der Hades." Er hob den Blick und Watari erkannte eine vertraute Regung darin. Der Sekretär sah müde und mitgenommen aus. Wahrscheinlich hatte er mit den Leuten vom Verhandlungsausschuss die Nacht durchgearbeitet, oder nachgedacht. Allerdings sah man das nur in seinem Gesicht, denn sein Äußeres war wie immer gepflegt und ordentlich.

"Ja?" fragte Watari, möglichst neutral, um es dem armen Tatsumi nicht noch schwerer zu machen. Dieser trat vor Watari hin und verbeugte sich tief.

"Gomen nasai", murmelte er. "Ich war blind vor Sorge und habe dir Unrecht getan. Bitte verzeih mir."

Er verharrte in seiner fast waagrechten Stellung und erwartete sein Urteil.

Erschrocken und gerührt hielt Watari die Luft an. Doch, oh, wie war er froh! Am liebsten wäre er jetzt zu Tatsumi hingegangen und hätte ihm hundert Mal, tausend Mal alles verziehen, was vorgefallen war... aber er konnte es nicht. Nicht mit dem vor Augen, was ihn im Gerichtssaal erwartete. Von plötzlicher Trauer erfüllt biss er sich auf die Unterlippe und blinzelte heftig.

"Hai", brachte er hervor.

Von Tatsumi wich eine große Spannung. Er richtete sich auf und lächelte gelöst. "Tsusuki hat mir erzählt, dass Muraki dich gefoltert hat. Trotzdem war ich so dumm, dich für einen Verräter zu halten. Es tut mir leid."

"Gn!" machte Watari. Die Erinnerung an Tatsumis Berührungen brannten plötzlich auf seiner Haut und er kam sich furchtbar schäbig vor.

"Tatsumi, ich... ich werde für Muraki bürgen."

Er hörte, wie der Sekretär erschrocken einatmete, und er spürte genau, dass auf dem Gesicht kein Lächeln mehr war.

"Willst du das wirklich?" fragte Tatsumi, und seine Stimme hatte einen scharfen Beiklang. "Ist dir... ist dir klar, was das bedeutet? Du wirst mit ihm gehen und seine Strafe ertragen... vielleicht kehrst du nie wieder zurück!"

Watari schwieg und fühlte sich selbst wie ein herzloser Verräter.

Das gehört doch nicht zusammen. 003's wohlgemeinter weiser Spruch fiel ihm ein.

"Warum?" fragte Tatsumi leise. Der besorgte, enttäuschte und tief betrübte Ton traf Watari tiefer als der kalte Hass von gestern. Ja, die Eule hatte recht, man konnte Mitleid für einen Feind empfinden, ohne dabei die eigenen Freunde zu verraten. Aber es war nicht zu leugnen: Was er da fühlte, war längst kein Mitleid mehr...

Er fiel auf die Knie und krallte die Finger in den dicken Teppich.

"Ich...!" rief er, setzte zu einer Antwort an, doch die Stimme versagte ihm.

Tatsumi kniete sich neben ihn und legte seine Hand auf Wataris verkrampfte Finger. "Schon gut, Yutaka. Ist schon gut. Du musst das nicht tun, wenn du nicht willst."

"Doch...!!"

Eine lange Stille folgte. Watari biss die Zähne zusammen, bis es schmerzte.

"Verstehe", sagte Tatsumi und streichelte Wataris zitternde Faust. "Du willst Muraki helfen, aber du kannst dich nicht zwischen ihm und uns entscheiden, nicht wahr?"

Watari nickte schwer.

Tatsumi hob die anderen Hand und strich langsam über Wataris Locken. Es war eine geringe Wiedergutmachung für die harten Worte, die zwischen ihnen gefallen waren - aber es war ein Anfang.

"Ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen", sagte er, "aber ich wünsche dir, dass du die Entscheidung triffst, die dich glücklich macht."

"Aber wenn ich das tue, dann...! Tatsumi, ich komme mir vor wie...! Ich wollte dich nicht verlassen, noch dazu wegen Muraki! Ich komme mir echt vor wie ein Verräter...!"

"Yutaka." Der Sekretär nahm die verkrampfte Hand des Shinigami und legte sie auf seine Brust. Watari sah auf.

"In meinem Herz ist Platz für jeden von euch." Ihre Blicke begegneten sich. "Ich hatte es schon fast vergessen. Du hast mir geholfen, meine Gefühle zu zeigen und sie nicht länger zu verleugnen." Seine andere Hand berührte Wataris Brust. "Hier wirst du deine Antwort finden. Wenn du nicht auf deine Gefühle hörst, wirst du dich selbst verraten. So wie ich."

In Wataris Gesicht zuckte es.

"Du bist stark, Yutaka", sagte Tatsumi fest. "Vielleicht bist du der einzige auf der Welt, der Muraki noch zurückholen kann."

"Aber... du bist mir deswegen... nicht böse?"

"Ich stehe hinter dir, wie immer du dich auch entscheidest. Das bin ich dir schuldig. - Und du weißt doch, dass ich bei Schulden nicht gern säumig bin."

Sie lächelten beide.

"Nein..." Watari richtete sich auf und umarmte Tatsumi. "Arigato... gozaimashita." (=vielen vielen Dank, glaub ich^^)

"Schon gut, schon gut. Jetzt beeilen wir uns aber, die Verhandlung hat schon angefangen. Wenn du bürgen willst, musst du kontinuierlich anwesend sein."

"Shuhu!" 003 flatterte zur großen Eingangstür und setzte sich auf die Klinke.

"Tatsumi..." Watari wollte noch nicht loslassen... Vielleicht war es das letzte Mal... "Tut mir leid, dass ich dich angelogen hab... Wegen meiner Gefühle für Muraki, du weißt schon... Ich war mir da selber noch nich sicher..."

"Solange du dir jetzt sicher bist."

Watari drückte den Sekretär. "Du bist'n echter Freund!"

"...!"

"Shu!"

Der Chemiker löste seinen Klammergriff. "Aber... du wirst mich doch vermissen, oder? Woher dieser plötzliche Sinneswandel?"

Tatsumi seufzte bedrückt. "Ich wäre froh, wenn du hier bleibst, aber ich kann dich doch nicht halten, wenn du hier nicht glücklich wirst."

Sie sahen sich an.

"Und... du?" flüsterte Watari. Wie schwer das Tatsumi fallen musste! Der traurige Blick seines Freundes tat ihm in der Seele weh.

"Hier." Er langte in die Tasche, nahm die Hand des Sekretärs und legte etwas hinein. Dann schloss er Tatsumis Finger darüber. "Ich hab es selbst von Misao geschenkt bekommen. Jetzt sollst du es haben. Es ist nicht sehr wertvoll, aber vielleicht..."

Watari sah auf und lächelte breit. Dann trennte er sich von seinem langjährigen Freund und schritt auf die Tür zu. 003 kam auf seine Schulter geflattert. Als er die Hand nach der Klinke ausstreckte, hielt ihn ein letztes Zögern zurück... doch dann atmete er tief durch, packte entschlossen zu und betrat den Gerichtssaal.

Tatsumi starrte auf die Hand und öffnete sie langsam. Ein silbernes Kettchen mit einem winzigen Anhänger lag darin. Der Anhänger hatte die Form einer kleinen Eule.
 

__________
 

Als Watari durch die Tür trat, schlug ihm kalte Luft entgegen. Ein merkwürdiges Halbdunkel herrschte, hervorgerufen durch die starken magischen Schilde und das geöffnete Tor zum Hades. Die Decke des Saales war in der Dunkelheit nicht auszumachen.

"Mörder!" kreischte eine schrille Stimme von links. "Du hast mich sterben lassen!"

Muraki stand in der Mitte des Saales er trug seinen weißen Mantel und hatte dem Eingang den Rücken zugewandt.

"Keine Medizin der Welt hätte dir helfen können", entgegnete er gelassen, fast belustigt. Seine Stimme war leise, doch bis in jeden Winkel zu hören. "Jeder Arzt kann es dir bestätigen, wenn du mir nicht glaubst."

"Seit du mich behandelt hast, ging es mir immer schlechter!"

Muraki drehte sich zu der Person auf der linken Seite und Watari konnte zum ersten Mal sein Gesicht sehen. Es war kalt, und mit einem selbstgefälligen Lächeln überzogen, wie immer.

Die Tür hinter ihm fiel ins Schloss. Watari drehte sich um und sah in Tatsumis blaue Augen.

"Und?" fragte dieser mit einer vagen Bewegung Richtung Muraki.

"Pffff..." Watari ließ die Luft durch die Zähne entweichen. "Unverändert."

Tatsumi klopfte ihm auf die Schulter.

"Setzen wir uns."

Enma-Daio schlug mit dem Hammer auf sein Pult. "Der Angeklagte wird in Punkt acht freigesprochen. Er hatte keinen Einfluss auf das Leiden der Klägerin."

"Was?! Das ist eine Lüge! Ich erhebe Einspruch...!"

"Abgelehnt!" Der Hammer des Richters dröhnte. "Punkt neun." Eine dunkle Gestalt zur Linken von Enma-Daio erhob sich und verlas die nächste Anklage.

"Da seid ihr ja endlich!" Konoe und die anderen Todesengel rutschten ein Stück zusammen, und Watari und Tatsumi nahmen Platz.

"Haben wir viel verpasst?" erkundigte sich der Wissenschaftler.

"Nein. Bis jetzt geht es noch um seine frühen Patienten und kleine Lappalien. Und das übliche. Viele machen die Ärzte für ihre Leiden verantwortlich und meistens tragen sie gar keine Schuld. Die Medizin hat ihre Grenzen."

"So viele waren noch nie hier..." Tatsumi ließ den Blick über die linke Seite des Gerichtssaales schweifen, wohin die toten Seelen zur Verhandlung berufen wurden.

"Seit ich hier bin, waren es nicht so viele... und nur ganz wenige sind hell..."

"Wundert's dich?" warf Terazuma ein. "Ich hätte ja gar nicht erwartet, dass Fürsprecher da sind, aber irgendwie sind selbst beim größten Schurken immer welche dabei, die er glücklich gemacht hat."

"Außerdem", warf Konoe ein, "heißen die Farben jetzt noch gar nichts. Manche ändern im Lauf der Verhandlung noch ihre Meinung und setzten sich dann doch für den Angeklagten ein."

"Ich glaub's nicht", entgegnete Hisoka.

"Auf der anderen Seite ist fast niemand", stellte Tatsumi fest. "Ich kann nur Oriya und eine Frau erkennen."

"Wie kommen die lebenden Seelen eigentlich hierher?" wollte Hisoka wissen.

"Sie werden aus ihren Träumen hierher gebracht", erläuterte Tatsumi, "damit sie auch Gelegenheit haben, ihre Anliegen vorzubringen. Danach erinnern sie sich nicht mehr daran."

"Aber es sind wirklich viele", grübelte Hajime, der immer noch nach links schaute. "Wahrscheinlich lernt man als Arzt einfach so viele Leute kennen. Was meinst du, Watari?"

"...Wie? Ja, zweifellos."

"Du hörst mir gar nicht zu! Ich sagte..."

"Ich hab's mitbekommen."

"Bist du nicht auch Kläger?" wollte Wakaba wissen.

"Ja klar, aber ich komm ganz zum Schluss. Das geht doch chronologisch."

"Ach, stimmt... Ich war schon ewig bei keiner Verhandlung mehr..."

"Freigesprochen in Punkt neun."

"So hab ich mir die Verhandlung nicht vorgestellt", raunte Tsusuki seinem Partner zu. "Er scheint ja ein richtig guter Arzt gewesen zu sein."

"Ich weiß nicht..." Hisoka hatte die Hände gefaltet, stützte sein Kinn darauf und schwieg.

"Hm?" Tsusuki drehte sich zu ihm um.

"Na ja... aus gutem Willen ist er sicher nicht Arzt geworden. Ich hoffe, er bekommt, was er verdient!"

"Und was", fragte Watari, "hat er deiner Meinung nach verdient?" Der Wissenschaftler drückte sich an den andren vorbei und setzte sich zu Tsusuki und Hisoka. Der Junge sah in Wataris braune Augen und fixierte dann wieder seinen verhassten Feind in der Mitte des Saales. Dieser schien den Blick nicht zu bemerken, dich seine Lippen umspielte immer noch das typisch spöttische Lächeln.

"Jemand sollte ihn zur Vernunft bringen und ihn genauso leiden lassen, wie er es mit uns getan hat."

Watari hob den Finger. "Na, aber das eine schließt doch das andere aus, findest du nicht?"

Hisoka legte die Hände auf die Knie und ballte sie zu Fäusten.

"Er empfindet kein bisschen Reue! Ich kann es spüren... Er hat nicht einmal vor, sich zu verteidigen...!"

"Punkt elf", hallte die Stimme des Vorlesers. "Der Kläger Saki Shido möge vortreten."

"Was?!" rief Muraki.

Alle Todesengel hielten den Atem an. In den Augen des Doktors funkelte kalter Zorn, als sie sich auf die schwarze Gestalt richteten, welche sich aus den Reihen der Toten löste.

"Du wagst es...!" zischte Muraki. Ungerührt trat Saki näher und erwiderte den frostigen Blick.

"Ich klage dich an", sagte er kühl.

"Ist das nicht Murakis Text?" wunderte sich Hajime leise. "Oder hab ich was verpasst...?"

"Pschscht!" machten alle, und Terazuma hielt beleidigt die Klappe.

"Du", begann Saki und deutete auf seinen Halbbruder, "hast mir in der Familie keinen Platz gelassen. Immer musste ich hinter dir zurückstecken und dir den Vortritt lassen! Immer war ich der zweite hinter dir, immer das fünfte Rad am Wagen, überflüssig und unerwünscht! Obwohl es nicht meine Schuld war, hast du mich für dein Unglück verantwortlich gemacht!"

"Lügner!" knurrte Muraki. "Ich habe versucht, dir entgegen zu kommen, aber du hast die Situation schamlos für dich ausgenutzt! Ich sollte DICH anklagen! Dir hat es Spaß gemacht, mich leiden zu sehen!"

"Dasselbe gilt für dich!"

"Schweig, du hast meine Familie zerstört! Von dir angeklagt zu werden ist eine Farce! Ich erhebe Einspruch!"

Die Gestalt zur Rechten von Enma-Daio erhob sich. "Muraki-san, Ihr fühlt euch also für das Unglück Eures Halbbruders nicht verantwortlich?"

"Nein!"

"Habt Ihr jemals versucht, es zu lindern?"

"Ja!"

"Und hattet Ihr Erfolg?"

"Nein."

"Habt Ihr es aufgegeben?"

Stille folgte, in der alle Blicke im Saal gespannt auf Muraki Kazutaka gerichtet waren. Dessen geballte Fäuste entspannten sich und sein heimtückisches Lächeln kehrte zurück.

"Ja, Saki, nachdem du mich so behandelt hast, hatte ich keine Lust mehr, mich mit dir abzugeben. Ich wollte dich leiden sehen, Saki, so wie du mich hast leiden lassen..." Er kicherte irre und streckte die Hand aus. "Saki, mein Bruder, wenn wir uns in der Hölle wiedersehen, dann werde ich dir zeigen, was Leid bedeutet!"

Saki Shido erwiderte Murakis wahnsinnigen Blick herausfordernd und mit einem ähnlichen Glitzern in den Augen. Dann wandte er sich ab und ging auf seinen Platz zurück.

"Bereust du, was du getan hast?" fragte Enma-Daio. Muraki drehte sich um.

"Wieso sollte ich diesem Bastard gegenüber Reue empfinden?"

"Dann befinde ich den Angeklagten für schuldig in Punkt elf." Der Hammer schlug auf den Tisch.

Watari klickte nervös die Fingernägel aneinander. Dieses Urteil reduzierte die Chancen, Muraki in einen Menschen zu verwandeln, fast auf Null. Die große Waage, welche vor dem Richterpult stand, begann zu zittern und sich leicht zu einer Seite zu neigen. Nach kurzem Knarren und Quietschen blieb sie gleich wieder stehen und auf der niederen Waagschale erschien eine schwarze Scheibe.

Murakis Gesicht verdüsterte sich.

"Das Urteil", fuhr Enma-Daio fort, bevor der Doktor etwas entgegnen konnte, "lautet ein Jahr und 4 Tage. Du hast es unterlassen, deinem Bruder zu helfen und hegst nur Rachegedanken gegen ihn. Außerdem duldet das Gericht keine Selbstjustiz."

"Geschieht ihm recht", murmelte Hisoka.

Watari hörte es nicht. Kopfschüttelnd lehnte er sich zurück und starrte auf Muraki. "Das macht alles nur noch schlimmer", sagte er zu sich selbst.

Hisoka drehte sich verwundert um. "Macht was schlimmer?" fragte er.

"Na, seinen Hass! Du hast doch selber gesagt, jemand sollte ihn zur Vernunft bringen, aber so können wir das voll vergessen! Genauso könnte man versuchen, im August einen Schneemann zu bauen!"

"Punkt zwölf."

Es folgten viele unbekannte Seelen, darunter einige, die dem "Forschungsprojekt" auf der Queen Camelia zum Opfer gefallen waren. Und auch so seltsame Lappalien wie unterlassene Zuwendungen oder ein unhöfliches Wort... Was immer Murakis Mitmenschen glücklich oder unglücklich gemacht hatte, wurde hier aufgerechnet. Dann kamen Maria Wong und ihre Morde und noch einige Personen von der Queen Camelia. Das schien ein langwieriges Projekt gewesen zu sein.

Muraki zeigte in keinem der Fälle Reue. Selbst als die Opfer der Experimente auf dem Schiff detailliert ihre Anklagepunkte schilderten, blieb er gelassen und kühl. Tsusuki hingegen war grün im Gesicht, Hisoka war fast weiß und Tatsumi hatte einen dicken Schweißtropfen. Konoe räusperte sich mehrmals.

Watari betrachtete Muraki. Seine Augen glänzten merkwürdig, während seine Finger 003 den Bauch kraulten.

"Uärks", machte Tsusuki, "das ist ja widerlich!"

"Schuldig in Punkt 48. Das Urteil lautet: 54 Jahre, 4 Monate und 2 Tage für die Ermordung und 18 Jahre und 6 Monate für die an der Menschenwürde begangenen Verbrechen."

Wieder knarzte die Waage und die entsprechende Anzahl an Scheiben erschien. Die linke Schale war bereits gut gefüllt und neigte sich bedenklich. Der Vorleser beugte sich zu Enma-Daio und flüsterte ihm etwas zu. Dieser nickte.

"Ich unterbreche die Zählung deiner schlechten Taten, Muraki, denn sie sind zu schwer, als dass diese Waage sie alle aufnehmen könnte. Deshalb werden wir nun deine guten Taten zählen." Er wandte den Kopf nach rechts. Die Gestalt, welche bisher Fragen gestellt hatte, übernahm nun die Funktion des Vorlesers.

"Punkt eins. Die Fürsprecherin Ayame Nagare möge vortreten."

"Wahnsinn...!" Terazuma glubschte erstaunt. "Die Waage ist doch tatsächlich zu klein für alles, was er verbrochen hat!"

Hisoka verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und hatte dabei einen Blick, der besagte: Wen wundert's? War doch klar, dass so was kommt!

Genervt gab er Watari neben sich einen Schubs, weil dieser immer noch nicht aufhören konnte zu kichern.

Die weißen Seelen traten der Reihe nach vor. Murakis Freundlichkeiten wurden aufgerechnet und einige weiße Scheiben erschienen auf der rechten Seite der Waage. Knarzend bog sie sich ein Stück zurück. Als Arzt hatte Muraki auch einigen Leuten das Leben gerettet, und auch ein paar der schwarzen Seelen erinnerte sich an etwas, das sie ihm zu verdanken hatten. Sogar Saki räumte ein, dass es von Muraki nicht nur Schlechtes zu berichten gab. Muraki sah ihn nicht einmal an.

Unter den Fürsprechern war auch die Kameliendame. Ihre Schilderungen brachten sechs Scheiben, was den glücklichen Momenten entsprach, die ihr verlängertes Leben ihr ermöglicht hatte.

"Pech, dass er nicht Geburtshelfer war", meinte Hajime. Wakaba bedachte ihn mit einem strafenden Blick. "Darauf kommt's nicht an", belehrte sie ihren Partner. "Und hör auf, mit der Zigarette rumzuspielen, hier darf man nicht rauchen."

"Weiß ich doch, Mensch! Ich zünd' sie ja gar nicht an...!"

"Pscht!", machte Tsusuki, "Ukyo ist dran!"

Alle beugten sich gespannt vor.

"Wer?!" fragte Terazuma.

"Pschscht!" kam es wieder von allen Seiten.

"Das ist seine Frau", erklärte Watari leise und über Tsusuki und Hisoka hinweg.

"WIE BITTE?! Willst du mir allen Ernstes erzählen, dass...!?"

"Ruhe!!" donnerte Enma-Daio. Ein kaum 10 Zentimeter großer Terazuma hockte auf seinem Sitz und bibberte.

"Tschuldigung", kam es von dort unten.

"Wahrscheinlich hat er nur wegen der Steuern geheiratet", vermutete Tatsumi.

"Interessant", meinte Hajime, als er wieder groß war und Ukyo betrachtete. "Die würde ich gern mal interviewen.

Wakaba und Tsusuki drehten sich wie auf Kommando zu ihm um. "Hä?! Du?!" fragten sie verwundert. Über Hajimes Kopf zog ein Gewitter auf. "Rein BERUFLICHES Interesse", grollte er. "Verstanden? Ich finde es INTERESSANT, die Frau eines verrückten Serienmörders zu befragen! Klar soweit?!"

Tsusuki räusperte sich.

"Klar...", Wakaba schien überzeugt.

"Ich glaube", raunte Watari, "er ist der einzige Hetero, dem wir das zweifelsfrei abkaufen können... au!"

Das letzte Wort war seine Reaktion auf Hisokas spitzen Ellenbogen.

"Aua! Kein Grund, handgreiflich zu werden", jammerte er und rieb sich die Rippen.

"Dann lass doch mal die dummen Witze!" Hisoka war sauer.

"Aber..."

Hisoka hob den Ellenbogen und Watari blieb lieber still.

"Muraki empfindet absolut nichts für diese Frau. Höchstens Begierde. Sie ist genauso sein Spielzeug wie alle anderen auch, und ihr macht hier Witze! Das ist... nicht fair!"

Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt und seine Lippen zitterten. (<-- Heulsuse^^)

Tsusuki legte den Arm um ihn und Hisoka entspannte sich ein wenig.

"Tut mir leid", sagte Watari aufrichtig, "aber sieh mal: Wenn du über ihn lachen kannst, dann hast du ihn schon ein Stück weit überwunden."

Hisoka schluckte. "Über so was kann ich nicht lachen."

Die Waage knarzte. Acht Scheiben erglommen auf der rechten Seite, konnten das armselige kleine Häufchen dort jedoch nicht wirklich vergrößern. Nach 27 Fürsprachen enthielt die rechte Waagschale nicht einmal ein Viertel der Linken.

"Punkt 28 und letzter Punkt", verkündete der Vorleser. "Der Fürsprecher Tsusuki Asato möge vortreten."

Hisoka erstarrte. Dann fuhr er auf und sah Tsusuki ungläubig an. Die anderen taten es ihm gleich.

Tsusuki zwinkerte grinsend und ging nach unten bis zur Absperrung.

"Hätte Muraki Kurosaki nicht ermordet", begann er, "dann wäre er jetzt nicht mein Partner. Ohne Muraki hätte ich meinen besten Freund nie kennen gelernt. Dafür... äh... jedenfalls ist das das EINZIGE, wofür ich dankbar bin." In seiner üblichen vertrottelten Art wandte er sich um und ging auf seinen Platz zurück.

"Baka", begrüßte ihn Hisoka mit rotem Kopf.

"Wie süß", wisperte Wakaba.

"Arigato, Tsusuki-san", Murakis leise Stimme legte sich über den Raum wie weißer Nebel. Das verführerische Lächeln glitzerte in den Augen des Arztes.

"Bäh!" Tsusuki streckte ihm die Zunge heraus. "Warte, bis ich wieder runterkomme, dann regnet es schwarze Scheiben!"

Und in der Tat. Nach der Kameliendame, den Opfern der Kyoto-Mordserie, Professor Satomi, Ikaruga Mariko und vielen anderen Kleinigkeiten war Tsusuki wieder an der Reihe. Diesmal ließ er die Absperrung hinter sich zurück und ging bis zum Rand des Kreises, in dessen Mitte Muraki stand.

"Warum geht er so nah hin?" frage Hisoka besorgt.

Watari beruhigte ihn. "Das ist nicht gefährlich. Muraki kann den Kreis nicht verlassen, er steht sozusagen auf der Tür zum Hades."

"Oh."

Tsusuki begann zu sprechen. Es dauerte lange, bis er jede Kleinigkeit aufgezählt hatte, zumal er sehr oft ins Stocken geriet. Dass Muraki ihn dabei kontinuierlich fixierte, machte die Sache auch nicht gerade leichter.

"Du verfolgst mich immer noch", sagte er schließlich. "Ich hab Alpträume von dir... wegen dir hätte ich mich fast umgebracht!"

Einen Augenblick lang hingen die klagenden Worte im Raum.

"Seid Ihr zu Ende, Tsusuki-san?" fragte die rechte Gestalt, nun wieder für Fragen zuständig.

"Ja...", kam es von Tsusuki.

"Muraki-san, bereut Ihr Eure Taten?"

Der Doktor kicherte. "Nein, absolut nicht. Ich würde es jederzeit wieder tun... Tsusuki-san."

"Du Mistkerl!!" schrie Tsusuki.

"Ruhe!" Enma-Daio schlug mit dem Hammer auf den Tisch. "Das Urteil lautet 490 Jahre, 11 Monate und 25 Tage, für sexuelle Belästigung, psychische und physische Grausamkeit, versuchten Mord und Anstiftung zum Selbstmord. Außerdem wurde keine Reue gezeigt."

Die Wage knarzte bedenklich und neigte sich um ein gutes Stück.

"Punkt 206."

Tsusuki drehte sich wortlos um und schlich auf seinen Platz zurück. Dort beugte er sich vor und vergrub das Gesicht in den Händen.

"Der Kläger Kurosaki Hisoka möge vortreten."

Hisoka, der Tsusuki die Hand auf die Schulter gelegt hatte, erhob sich schwerfällig. Ihm war, als hätte ihm jemand Gewichte an die Füße gebunden. Doch als er am Rand des Kreises angekommen war und in Murakis spöttisches Gesicht sah, kehrte seine wilde Wut zurück. Zornig richtete er sich auf und schleuderte seinem Peiniger alles entgegen, was er ihm vorwarf: Den Fluch, die Vergewaltigung, die "Krankheit", seinen Tod, die Alpträume... er steigerte sich immer weiter hinein und zum Schluss schrie er Muraki an. Doch an dem Arzt prallte alles ab. Wie eine Säule aus Licht stand Muraki in der Mitte des dunklen Saales und blieb von alledem völlig unberührt. Seine kalten Gefühle übertrugen sich auf Hisoka und ließen den Jungen entsetzt zurückweichen.

"L e i d e . . . ", hörte er Murakis Stimme in seinem Kopf, " . . . l e i d e , v e r f l u c h t e P u p p e . . . "

"Ah...!" Hisoka taumelte rückwärts, fort von dem Kreis. Erst als er die Absperrung erreichte, fand er wieder Halt.

Währenddessen, als Hisoka seine Anklage vortrug, hatte Watari Tsusuki den Arm um die Schulter gelegt.

"Ich hasse ihn", flüsterte Tsusuki mit gebrochener Stimme.

Dem Chemiker wurde ganz flau im Magen. Was, so fragte er sich plötzlich, konnte er schon gegen Muraki ausrichten? Wie kam Tatsumi nur auf die Idee, er allein könnte soviel Hass überwinden? Keine Klage, keine Fürsprache, keine Bestrafung konnte diesen Mann erreichen. Er stand da wie eine leuchtende Säule aus ewigen Eis, zur Verdammnis bestimmt. Es schien keinen Ausweg mehr zu geben aus der Hölle, die Muraki sich selbst geschaffen hatte...

Halt! dachte Watari. Wer wird denn gleich aufgeben!

Er sah, wie Hisoka zurücktaumelte. Sein Blick wurde hart vor Entschlossenheit. Wofür hatte er sich denn mit Tatsumi gestritten! Warum war er denn hier und plante den aberwitzigsten Rettungsversuch in der Geschichte des Enma-Cho! - Doch nur seiner Gefühle wegen!

Wataris Herz schlug heftig. Du bist stark, Yutaka, hörte er den Sekretär wieder sagen, und er legte sich die eigene Hand auf die Brust.

"Das Urteil", verkündete Enma-Daio, "lautet ebenfalls 490 Jahre, acht Monate und 29 Tage, für Vergewaltigung, Mord, Grausamkeit und Heimsuchung."

Die Waage knirschte und neigte sich bedenklich.

Muraki kümmerte es nicht.

"Punkt 207."

Watari schluckte vernehmlich.

"Der Kläger Watari Yutaka möge vortreten."

Langsam erhob sich der Wissenschaftler. Die Eule flatterte auf seine Schulter.

"Hu hu! (Na los!)" sagte sie und bewegte ihren Flügel vor seinem Gesicht, wie um ihn aufzuwecken.

"He... Ha... HatSCHU!!" Watari nieste laut.

"Gesundheit", wünschten die andern.

"Viel Glück", sagte Tsusuki.

"Besten Dank!" Das konnte er wirklich gut gebrauchen. Mit weichen Knien stieg Watari die Treppe hinunter und verließ die Absperrung. Unzählige Augen waren auf ihn gerichtet, und die obligatorischen drei Sekunden lang war er kurz vorm Weglaufen.

Reiß dich zusammen, Yutaka! Vorm Zahnarzt hattest du auch nie Angst! Er richtete sich auf.

"Zeigen wir's ihm, 003!" sagte er leise, setzte sich in Bewegung und schritt auf den kleinen Kreis zu.

Muraki begegnete ihm mit dem gleichen spöttischen Ausdruck wie allen andern. Als Watari den Rand des Kreises erreichte, konnte er ihn zum ersten Mal wieder genau erkennen. Die hellen Augen funkelten. Watari mochte sich täuschen, doch der abschätzige Blick, mit dem Muraki ihn musterte, schien etwas anders als bei den anderen. Bildete er sich das nur ein? Lag es daran, dass Murakis rechtes Auge durch den Tod wiederhergestellt war? Oder lag es daran, dass er den Arzt bisher nur von weitem gesehen hatte? Jedenfalls stritten sich jetzt zwei Gefühle im Kopf des Chemikers: Einerseits ekelte er sich, weil er an das letzte Zusammentreffen mit dem Arzt dachte, aber andrerseits war er fasziniert... Hinter diesen kalten Augen steckte ein Mann, der noch zu Empfindungen fähig war, davon war Watari überzeugt. Und diesen Muraki wollte er finden.

"Was ist?" fragte der Arzt belustigt. "Hast du Angst, den Mund aufzumachen?"

"Bist du Zahnarzt?" gab Watari zurück. "Ich hab keine Angst vor dir."

"Dann bringen wir es hinter uns."

"Du kannst es gar nicht erwarten, in die Hölle zu kommen, wie?"

"Ich vergeude hier nur meine Zeit."

Gemurmel erhob sich.

Enma-Daios Hammer klopfte auf das Pult.

"Ruhe! Watari Yutaka, bitte trage deine Anklage vor."

"Dem Herrn Doktor geht's zu langsam. Ich ziehe meine Anklage zurück."

"Waaas!?" rief Hisoka.

Watari verschränkte zufrieden die Arme. (der Schauspieler *g*) Laute Verwunderungsrufe hallten durch den Saal und Enma-Daio brauchte diesmal ein bisschen länger, um für Ruhe zu sorgen.

Murakis Fassade hatte einen kleinen Knacks bekommen. Verwunderung stahl sich in seinen Blick, doch er wusste sie geschickt zu überspielen. Er lächelte lasziv.

"Dann hat es dir also doch bei mir gefallen."

"Nein, die Unterkunft ließ etwas zu wünschen übrig."

"Dein Anklagepunkt wiegt schwer", wandte Enma-Daio ein. "Du solltest ihn nur zurückziehen, wenn du dir wirklich sicher bist."

"Tatsumi-san", Konoe beugte sich zu seinem Sekretär. "Was tut er da? Was geht hier vor?"

Tatsumi sah schweigend auf die kleine Gestalt in dem weißen Kittel, die Muraki so furchtlos gegenüberstand. Er schluckte seine Nervosität hinunter und schloss die Finger um den kleinen Anhänger in seiner Hand.

"Sie würden ihn auch nicht daran hindern können, selbst wenn ich es Ihnen sage."

"Ja, aber warum klagt er ihn nicht an?" sinnierte Konoe. " - Vielleicht hat er immer noch Mitleid mit Muraki."

"Ja." Tatsumi befühlte den Anhänger und starrte auf Watari hinunter. Bei dem Gedanken daran, dass der Wissenschaftler dabei war, sich Muraki auszuliefern, wurde ihm ganz anders. Einen Moment lang verfluchte er sich selbst, dass er ihn nicht zurückgehalten hatte. Doch er verwarf den Gedanken schnell. Er war egoistisch. Watari gehörte ihm nicht, und wenn dieser glaubte, sein Glück woanders zu finden, dann hatte er auch das Recht darauf. Es verwunderte Tatsumi, dass er nicht einmal eifersüchtig war. Wahrscheinlich waren sie doch nie etwas anderes gewesen als gute Freunde...

"Was glaubst du, wie mir der Kopf gebrummt hat!" Watari drehte sich zu Enma-Daio um. "Ich hab mir mehr Gedanken gemacht als manche Leute hier in ihrem ganzen Leben! Ich ziehe meine Anklage zurück."

"Dann wird Muraki Kazutaka für das, was er sich an dir hat zuschulden kommen lassen, nicht bestraft werden."

"Jap."

"Nun gut. Stattgegeben. Hiermit wird der Anklagepunkt 207 zurückgezogen."

Die beiden Assistenten blätterten in ihren Unterlagen und kritzelten etwas. Dann erhob sich die linke Gestalt. "Punkt 208."

"...?" Watari machte den Mund auf.

"Der Fährmann möge seine Anklage vortragen."

"Oh, oh...", Watari drehte sich um. Ein Mann in einem seltsamen langen Faltenkittel löste sich aus dem Schatten neben dem Eingang und sah unsicher nach beiden Seiten. Zögernd bewegte er sich auf die Saalmitte zu.

"Wer seid Ihr?" fuhr ihn der Fragensteller an.

"V-Verzeihung, a-aber der F-F-Fährmann schickt mich als V-V-Vertretung. Er ist b-b-beschäftigt..."

"Wie ist Euer Name!"

"Hy-Hypokratus, Herr!"

"Hitokaratu... wie bitte?"

"Hypokratus", wiederholte Enma-Daio ungeduldig. "Ich sollte euch auf einen Fortbildungslehrgang für die Sprachen der europäischen Mythologie schicken!" fügte er grollend hinzu.

"Hai", kam es betreten von beiden Seiten.

"Hitokaratu, bitte tragt stellvertretend die Anklage des Fährmanns vor."

"J-Ja. Äh... D-Der finale Schild w-wurde durch u-u-unberechtigte V-Versuche des E-Eindringens b-beschädigt."

"Bereust du diese Tat?" fragte Enma-Daio.

Muraki verengte die Augen zu Schlitzen und fixierte den neurotischen Griechen, der daraufhin zu schlottern begann.

"Lächerlich", entgegnete der Arzt.

"Heißt das Nein?"

"Ja."

"Also nein."

Muraki zog eine Augenbraue hoch (das können nur wenige Leute^^) und beäugte den Richter abschätzig.

"Der Angeklagte wird in Punkt 208 für schuldig befunden. Es liegt Sachbeschädigung und Gefährdung des Systems sowie unerlaubtes Eindringen vor. Das Urteil lautet vier Wochen."

Er schlug dreimal mit dem Hammer auf den Tisch.

"Hiermit beende ich die Zählung der schlechten Taten von Muraki Kazutaka..."

"Äh... k-kann ich g-gehen?" frage Hypokratus.

"Ja!"

Der Grieche huschte davon.

"Hat noch jemand eine Fürsprache für den Angeklagten vorzubringen?"

Enma-Daio wartete. Niemand rührte sich.

Watari sah sich um. Schweigende Gesichter, so weit das Auge reichte.

Enma-Daio wartete noch immer. Muraki zeigte nicht den Hauch einer Regung.

Schließlich schlug der Hammer des Richters dreimal. "Somit beende ich auch die Zählung deiner guten Taten." Enma-Daio erhob sich. Er streckte die Hand über die Waage vor seinem Pult aus und auf beiden Seiten fingen die Scheiben an sich zu bewegen. Gleichzeitig begannen die Weißen nach links und die Schwarzen nach rechts zu driften, bis sie sich in der Mitte über der Zunge der Waage trafen und dann einfach verschwanden.

Es dauerte nicht lange, bis die Bilanz ausgeglichen war. Eine lange Stille herrschte.

"Ich verkünde nun dein Urteil, Muraki Kazutaka. Da du mehr Unglück als Glück in die Welt gebracht hast, erhältst du die dir zugewiesene Strafe von 2643 Jahren, fünf Monaten und 23 Tagen, während denen in der Unterwelt Vergeltung an dir geübt werden soll. Ich frage dich ein letztes Mal: Bereust du deine bösen Taten?"

"Bereue, verdammt!" rief jemand von links. Geschrei erhob sich, doch noch ehe Enma-Daio eingreifen konnte, begann Muraki zu lachen. Es war ein irres Lachen, das an den Nerven kratzte und allen Anwesenden einen Schauer über den Rücken jagte. Ein Kind begann zu weinen.

Watari stand neben dem Kreis und sein Herz krampfte sich zusammen.

"Ihr Narren!" Muraki drehte sich zu den Sitzreihen um. Laute des Entsetzens ertönten.

"Muraki Kazutaka! Bereust du deine Sünden?!"

Schlagartig verstummte der Arzt. Das bestialische Funkeln in seinen Augen lähmte alle im Gerichtssaal und erstickte jede Reaktion. Nichts bewegte sich. Nichts bis auf zwei Tränen. Über Wataris Wange rann die eine, auf Oriyas Finger tropfte die andere.

"Nein." Murakis vom Hass zerfressene Stimme klang, als käme sie bereits aus den Tiefen der Hölle. Die Stille zerbrach unter ihr wie ein Glas im Winterfrost und die Zahnräder setzten sich in Bewegung.

"Dann, Muraki Kazutaka, wird nun dein Urteil vollstreckt."

Enma-Daio streckte beide Hände aus. Wind erhob sich.

Das war das Stichwort.

Watari riss beide Arme hoch.

"HAAALT!!" rief er laut.

Den anderen Shinigami verschlug es vor Schreck die Sprache.

"Watari!" rief Tsusuki, der als erster seine Stimme wiederfand.

Der Chemiker stemmte die Hände in die Hüften. Sein Zopfband hatte er durch den Wind verloren und die langen Haare fielen ihm bis auf den Gürtel hinunter.

"Ich, Watari Yutaka, verbürge mich für Muraki und alle seine Taten!"

Enma-Daio hielt inne. Die zitternde Waage ebenfalls.

Muraki sah Watari wütend an. So ein Narr! Was wollte der? Muraki konnte kein Mitleid gebrauchen. Jetzt nicht mehr.

Watari stand nur drei Schritte von ihm entfernt und sah ihn aus seinen honigbraunen Augen unverwandt an. Es war ein herausfordernder Blick, ohne Scheu, ohne Furcht, ohne Schärfe. Wie ein warmer Luftzug, der plötzlich über vereiste Gipfel streicht, berührte Wataris Blick den Arzt. Doch sofort kehrte die Kälte wieder zurück.

"Verschwinde", zischte Muraki leise, und mit warnendem Unterton.

Watari senkte drohend den Kopf und beugte sich ein Stück vor. "Ich geh mit dir, ob es dir nun passt oder nicht. Oder hast du etwa Angst vor mir?" Er grinste.

"Yutaka, ich gehöre in die Hölle! Und auch du wirst mich nicht aufhalten! - Nein", fügte Muraki kichernd hinzu, "du vor allem nicht."

Watari richtete sich auf, ließ die Arme sinken und sah 003 an.

"Er hat's nicht kapiert." Er wandte sich wieder Muraki zu. "Also noch mal: Ich BÜRGE für dich. Das heißt, WIR BEIDE gehen in die Hölle. Nicht du allein unten und ich allein hier, klar?"

"Was soll das? Ich habe keine Verwendung für dich."

"Wie kannst du das wissen? Hast du dir nen Reiseführer besorgt?"

"Watari, du Schwachkopf! Was machst du da!" brüllte Terazuma.

Watari drehte sich um. "Klappe! Ich bürge!" schrie er zurück und wandte sich wieder Muraki zu.

"Nach allem was passiert ist?" Muraki strich sich eine durch den Wind verwirrte Strähne zurück. "Du solltest deine Freunde nicht so verraten, Yutaka, das passt nicht zu dir."

"Das mach ich schon nicht, Kazutaka, keine Sorge. Ab heute bin ich immer in Sichtweite, also gewöhn dich schon mal dran." Er zwinkerte grinsend und betrat den Kreis.

"Watari!" rief Tsusuki. "Watari, komm zurück!"

"Willst du nicht auf ihn hören?" Murakis Augen glitzerten in boshafter Freude. "Armer Tsusuki. Er wird dich vermissen. Er denkt, du hast ihn versetzt." Muraki genoss diese Worte und sprach besonders langsam. "Du wirst ihn nie mehr wiedersehen."

Watari gab keine Antwort und sah Muraki wieder herausfordernd an.

"Watari Yutaka", ließ sich Enma-Daio wieder vernehmen.

"Anwesend!"

"Willst du die Bürgschaft übernehmen, im Vollbesitz deiner geistigen Kräfte und ohne jeglichen äußeren Zwang?"

"Sagte ich doch schon. Wäre ich sonst hier?"

"Ist dir die Bedeutung dieser Entscheidung bewusst?"

"Ja. Sind wir hier auf einer Hochzeit?"

"Fast. Wenn ihr euch trennt, werden die Dämonen euch zerreißen. Wenn ihr zusammenbleibt und euch vertraut, wird euch nichts geschehen."

Muraki lachte tonlos.

"Muraki Kazutaka, nimmst du die Bürgschaft an?"

Das Gesicht des Arztes wurde ausdruckslos.

"Nein", sagte er kalt.

"Du...!" Watari rollte die Augen und kratzte sich am Hinterkopf.

"SHU!" machte 003 und flatterte erbost in der Luft herum. Muraki trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Die Erfahrung im Konferenzraum gestern hatte ihm gereicht. Er war nicht gut auf 003 zu sprechen.

Watari merkte das alles gar nicht. "Geht das immer noch nicht in deinen Kopf? Du wirst mich nicht los. Vergiss es." Er grinste frech.

Die Waage bebte und der Wind wurde stärker. Die Unterwelt forderte die versprochene Seele.

Muraki bewegte die Arme, um in dem Sturm nicht zu stürzen. "Du Narr! Du hast doch keine Ahnung, was dich erwartet!" (<-- Vernehme ich da Fürsorge? Kann das sein, Muraki?^_^)

"Ich hab genauso viel Ahnung wie du!" rief Watari zurück. Er taumelte durch den Wind und bekam Muraki am Mantel zu fassen. Gerade noch rechtzeitig, denn in diesem Augenblick zerriss der Boden unter ihren Füßen und Finsternis strömte in den Raum wie Wasser in ein U-Boot.

Für den Bruchteil einer Sekunde war es im Saal stockdunkel. Dann kam das Licht zurück und errichtete die Strukturen der Realität wieder neu.

Alle Anwesenden atmeten auf und sahen sich erleichtert um. Mit Ausnahme einiger Seelen, die genau wussten, wohin sie jetzt zurückkehren mussten...

Und den fünf Todesengeln, die noch gar nicht glauben konnten, was passiert war. Fassungslos starrten sie alle auf den leeren Kreis in der Mitte des Saales, während die Seelen zu beiden Seiten sich allmählich auf den Heimweg machten.

Plötzlich stand Konoe auf. "Watari!" rief er, die Hände zu Fäusten geballt.

Hisoka sah den Chef an. Sie alle kannten Watari, aber keiner hatte SOETWAS von ihm erwartet. Hisoka wusste nicht genau, was in dem magischen Kreis stattgefunden hatte, aber er ahnte es.

Alle um ihn herum waren tief betroffen.

Tsusuki zitterte.

"Warum...?" flüsterte er mit feuchten Augen. "Warum hast du das getan, du...!" Er sank in sich zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. "Watari, du...! Wie konntest du...!"

Hisoka betrachtete seinen verzweifelten Partner und fühlte sich selbst hilflos. Zwar legte er Tsusuki die Hand auf die Schulter und ertrug die Welle von Gefühlen, die ihm entgegenschlug. Doch er wusste selbst nicht, was er sagen sollte. Er hatte keine Antwort auf Tsusukis Frage.

Warum?

Ja, warum hatte Watari das getan, dieser verrückte Kerl? Mit Muraki in die Hölle zu gehen! Hatte er das die ganze Zeit geplant...?!

"Verdammt!"

Eine Stichflamme erhob sich über den Rängen.

"Kein Feuer im Gerichtssaal!" ließ sich Enma-Daio warnend vernehmen.

Der Chef fuhr herum.

"Tatsumi!"

"J...ja, Chef." Erschrocken nahm der Sekretär Haltung an.

"Sie wussten davon!"

"Äh...",

"Sie haben zugelassen, dass Watari sich der Gerichtsbarkeit durch dieses halbseidene Unterfangen hier entzieht!"

Tatsumi presste die Lippen aufeinander und räusperte sich dezent.

"In zehn Tagen ist seine eigene Verhandlung!" Konoe war ernsthaft sauer.

"Mit Verlaub, Chef", Tatsumi erhob sich nun ebenfalls und stellte sich vor Konoe hin. "Ich habe die Wahrheit gesagt. Watari hätte nichts aufhalten können. Auch Sie nicht."

"Ha! Er ist der einzige Zuständige für seinen Bezirk!" Der Chef war so zornig, dass ihm einen Augenblick die Worte fehlten. Er qualmte aus den Ohren. "Ich will sehen, wo Sie so schnell einen langfristigen Ersatz herbekommen wollen! Sie hätten das alles hier verhindern können! Sie haben es gewusst!"

"Ja, ganz recht!" rief Tatsumi. "Sie haben Recht! Ich habe es nicht einmal versucht, im Gegenteil! Und ich bin stolz darauf, dass Sie's nur wissen!"

"Stolz darauf! Dass einer unserer fähigsten Mitarbeiter eine Bürgschaft aus MITLEID eingeht! Wissen Sie, was er für Aussichten hat!"

Tatsumi wurde plötzlich sehr ruhig.

"Das brauchen Sie mir nicht zu sagen." Er schluckte. "Sie können sich gar nicht vorstellen, was mich das an Überwindung gekostet hat."

"Hrmpf!" Konoe wandte sich ab und starrte wieder auf den leeren Kreis. "Verdammt!" Seine Faust schlug auf das Geländer. Dann drehte er sich hastig um, schob Tatsumi beiseite und eilte aus dem Saal.

Der Sekretär wedelte dezent mit der Hand, um die Rauchfahne zu vertreiben, die Konoe hinterlassen hatte.

"Schrecklich!" Wakaba hatte Tränen in den Augen. "Wenn ich daran denke, dass er...! Warum ausgerechnet er!"

"..." Terazuma sagte nichts dazu.

"Komm", brummte er schließlich, "gehn wir."

"Aber... Hajime! Wie kannst du so unsensibel sein!"

"Wenn wir weinen, bringt ihn das auch nicht zurück, oder?" Er sah Tatsumi an und hoffte auf eine Bestätigung, doch der Sekretär blickte nur teilnahmslos auf einen Punkt in der Ferne.

"Komm, gehn wir."

"...gnm." Die Hand vor dem Mund erhob sich Wakaba und folgte ihrem Partner. Watari! dachte sie. Armer Watari! Sie wusste, dass er immer großen Wert auf Gefühle legte. Aber soviel Mitleid, dass er DAS tat...! Gerade er musste doch wissen, dass man mit Mitleid bei einer Bürgschaft keinen Blumentopf gewinnen konnte. Der Gedanke daran, wo Watari sich jetzt befinden mochte, trieb ihr die Tränen in die Augen. Stumm und mit gesenktem Kopf verließ sie mit Hajime den Saal.

Tatsumi ließ die beiden vorbei. Gedankenverloren betrachtete er die nun leeren Ränge der toten Seelen und rief sich seine gemeinsamen Momente mit Watari noch einmal ins Gedächtnis. Watari konnte es schaffen. Wenn nicht er, dann niemand. Aber die Sache hing an einem seidenen Faden. Wenn sie getrennt wurden, dann war alles vorbei. Und Muraki hatte nicht danach ausgesehen, als wollte er Watari bei sich haben...

Tatsumi biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Sich zu sorgen hatte jetzt keinen Sinn, sie konnten nichts mehr tun. Allmählich beruhigte sich der Aufruhr in seinem Innern und er öffnete die Augen. Langsam wanderte sein Blick über die leeren Sitzreihen im Saal und verharrte auf Tsusuki neben ihm. Etwas in Tatsumis Brust verkrampfte sich, als er daran dachte, dass er ihn eigentlich trösten müsste. Aber Tsusukis Tränen lähmten ihn und seine Gedanken entflohen dem Konflikt, indem sie sich Hisoka zuwandten. Dieser hatte Tsusuki die Hand auf die Schulter gelegt und starrte ins Leere. Armer Junge! Sicher war das alles für ihn auch nicht gerade leicht. Diese Verhandlung an sich nicht, und Wataris Bürgschaft im besonderen nicht.

Tsusuki erhob sich aus seiner Kauerstellung und legte den Kopf in den Nacken.

"Warum...?" flüsterte er. "Watari..."

Tatsumi schob seine Brille hoch. Eine Verlegenheitsgeste. Eine Entschuldigung dafür, dass er Tsusuki nicht helfen konnte...

Er nahm sich zusammen.

"Die Entscheidung ist ihm nicht leicht gefallen." Er näherte sich Tsusuki und Hisoka und blieb vor ihnen stehen. Sie waren jetzt ganz allein in dem Saal, nur das Echo ihrer eigenen Geräusche war zu hören.

Tsusuki schloss die Augen.

Hisoka schluckte. "Was genau... ist da eigentlich passiert?" Er getraute sich kaum zu fragen. Wie konnte er verlangen, dass einer von den beiden seine Trauer jetzt in Worte fasste. Er selbst... er wusste nicht genau, was er jetzt überhaupt denken sollte.

Hilflos, dachte Tatsumi, als er Hisokas fragenden Blick sah. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie jung und unerfahren der Junge noch war. Selbst Watari ging - in Echtzeit gerechnet - bald auf die fünfzig zu. Und der Hisoka war noch nicht einmal 20 Jahre alt... unter Todesengeln, die sich - wenn's hoch kommt - vielleicht alle Jubeljahre mal an ihr früheres Leben erinnerten...

"Tatsumi?" wagte Hisoka nachzufragen.

"H... ja...", seufzte der Sekretär und wandte den Blick ab. "Jeder bei einer Gerichtsverhandlung Anwesende hat das Recht, sich für den Angeklagten zu verbürgen. Damit gibt er das Versprechen ab, den Angeklagten zu begleiten und... seine Strafe mit zu ertragen..." Es fiel Tatsumi schwer, zu sprechen. So hatte Hisoka ihn noch nie erlebt. Unwillkürlich hielt er den Atem an, als er begriff, was die Worte bedeuteten.

"Je mehr der Bürge und der Angeklagte füreinander empfinden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Strafe heil überstehen. Andernfalls..." Tatsumis Finger verkrampften sich, "werden sie entweder... vernichtet, oder sie werden zu Dämonen." Er wandte den Kopf zur Seite und starrte auf die Wand.

Hisoka sah ihn mit vor Entsetzten geweiteten Augen an. Er brauchte mehrere Anläufe, um ein Wort hervorzubringen.

"Aber... Mitleid...?" Von Murakis Gefühlen wagte er erst gar nicht zu sprechen.

Tatsumi schloss die Augen.

"Es war kein Mitleid."

Langsam hoben sich Tsusukis Lider.

"Kein...?" fragte Hisoka.

"Watari ist schon immer ungewöhnliche Wege gegangen. Ich kenne niemanden, der einem die Vielschichtigkeit der menschlichen Seele so deutlich vor Augen führen kann." (<-- Jaa, das ist mein Watari :D *G* *freuz*)

Hisoka bekam jähe Zweifel bezügliche dieser Feststellung. "Äh... a-aber wenn es kein Mitleid war, weshalb sollte er dann...?" Eine plötzliche Erkenntnis durchzuckte ihn. "Er ist doch nicht etwa... Murakis Verbündeter?!"

Auch Tsusuki erschrak, als er das hörte. Er sah zu Tatsumi hin, die drängende Frage im Blick und die Bitte: Bitte, bitte nicht!

"Nein!" beeilte sich Tatsumi zu versichern. "Nein, er... nun, wie soll ich sagen, er... in gewisser Weise... fühlt er sich... herausgefordert durch Muraki. Watari glaubt an das Gute im Menschen und das will er auch in Muraki finden."

Tsusuki blinzelte ein paar Tränen weg. "Wird er wiederkommen?" flüsterte er heiser.

Bei dem trauervollen Blick der violetten Augen fühlte Tatsumi wieder diesen Schmerz. Einerseits hatte er das dringende Bedürfnis, Tsusuki zu trösten, doch andrerseits fürchtete er, zu versagen. Er schaffte es nie, dass Tsusuki glücklich war. Und leider wusste er nicht, ob er an Wataris Rückkehr glauben sollte... Aber wenn er das sagte, würde Tsusuki vollends verzweifeln. "Ich... ich fürchte... bei Muraki..." Er hielt Tsusukis Blick nicht länger stand und senkte den Kopf.

"Aber...", begann Hisoka ungläubig, "dass er das tut, nur weil er an Murakis gute Seite glaubt?" Tatsumi sah den Jungen an. Auf einmal verspürte er - ohne dass er es wollte - eine gewisse Antipathie für Hisoka (Der ist ja auch so ein Schnellchecker, unser Hisoka...! -.-). Er erinnerte sich an ihr gemeinsames Gespräch in Kyoto, als der Junge sich unfähig gefühlt hatte, mit Tsusukis Gefühlen umzugehen. Aus Unwissenheit hatte er sich an ihn gewandt. Aus Angst, etwas falsch zu machen, aus Unerfahrenheit, aus Hilflosigkeit. (Tatsumi, du übertreibst...^^°)

Tatsumi setzte sich neben Tsusuki, und über seine Lippen huschte ein Lächeln. Sachte berührten seine Finger Tsusukis rechte Hand. Es geschah unbewusst, und er unternahm nichts dagegen. "Vielleicht", er ging wieder auf Hisokas Frage ein, "vielleicht war es nicht nur das."

Hisoka blinzelte. Dann sah er Tatsumis Gesichtsausdruck, und plötzlich drückte seine Miene höchstes Befremden aus.

"Tatsumi...", auch Tsusuki richtete sich von Zweifeln erfüllt auf.

"Das ist doch wohl nicht dein Ernst!" Hisoka konnte es nicht fassen. "Das ist doch...! Das ist doch nicht dein ERNST!!"

"Vielleicht, sagte ich, vielleicht", entgegnete Tatsumi leise. Bei diesen Worten begegnete er dem Blick des Jungen offenherzig, doch war er sich dabei auch Asatos bewusst, der ihn ansah...

Vielleicht...

Tsusuki schüttelte langsam den Kopf. Immer wieder. Hin und her. Dabei liefen ihm die Tränen über das Gesicht. "Nein, Tatsumi, das glaub ich nicht! Das kannst du doch nicht glauben...!"

"Ich glaube", unterbrach ihn der Sekretär, "dass wir nur dann auf Wataris Rückkehr hoffen können."

"Aber Muraki hat ihn entführt!" Hisoka war aufgestanden, rieb sich verzweifelt die Stirn und wollte sich einfach nicht beruhigen. "Das passt doch hinten und vorne nicht!"

Tatsumi seufzte und ließ es zu, dass Tsusuki sich an ihn lehnte. "Wer weiß, was er für Gründe hatte." Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Er ist eben immer wieder für eine Überraschung gut. Und so gesehen... vielleicht kommt er ja doch zurück. Genau dann, wenn wir es nicht erwarten."

"Hm", machte Hisoka skeptisch. Sie schwiegen alle drei und riefen sich Watari in Erinnerung.

Auch auf Tsusukis Gesicht erschien nun ein Lächeln, schwach und traurig, und er horchte gedankenverloren in die Stille. Nur das Ticken von Tatsumis Armbanduhr war zu hören. Auch darüber musste Tsusuki lächeln. Es war immer noch die gleiche wie vor... wie lange war es her? Tsusuki fühlte den wollenen Stoff des Anzugs auf seiner Wange. Auch daran hatte sich nichts geändert. Warum war Tatsumi nur immer noch so streng und zurückhaltend? Nur manchmal war er so wie jetzt. Ganz selten. In Kyoto, als sie gebummelt hatten, oder als er sich dafür entschuldigte, dass er Tsusuki nicht gerettet hatte... aber sonst? Es waren seltene kostbare Momente, und es tat Tsusuki jedes Mal weh, wenn sie enden mussten.

"Kommt", Tatsumi erhob sich langsam, "gehen wir nach draußen. Watari würde sich wahrscheinlich aufregen, wenn er uns jetzt so sehen könnte."



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Khay
2005-06-04T14:00:43+00:00 04.06.2005 16:00
Hach der Teil war ma wieder total schöööön!!
Es war echt toll das du Oriya auch eingebaut hast!!
Watari is sooo schnuffig!

Mach bitte schnell weita , will weitalesen!! Freue mich schon auf den nächsten Teil! *froi*
Von:  Myst
2005-05-26T21:30:01+00:00 26.05.2005 23:30
?
wo...wo.......WO IST DER REST?? Ich sehe hier den Rest nicht!!!
*jahaa ich weiß wies weiter geht ^___- *
da...da ....da ist er ja noch nichtmal zurück?! *grummel*
was soll ich denn dann schreiben...
*denk* *überleg* *sich die vergangene Geschichte ins Gedächtnis ruft*

*deeeeeenk*
das einzige was mir noch einfällt:

*schnief* ;_; die zwei passen so toll zusammen T-T am Anfang war ich ja mehr als nur skeptisch *hä? Watari und Muraki?? bist du dir da sicher? ...ich weiß ja nicht..*
aber mittlerweile *ggg* es macht einfach nur Spaß deine Story zu lesen...*ha. aber das weißt du ja ^-^ *grins**

weiterweiterweiter *ich will endlich das neue Skript lesen! *bedroh* *ermahne* *fleh* und lass meinen "Liebling" ein bisschen mehr sagen *griiiien*

^o^ ciao


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