Tina lehnte ihren Kopf zurück und zog an ihrer Zigarette. Langsam pustete sie den Qualm aus und schloss die Augen. Sie hasste diese Nächte. Sie konnte nicht schlafen, warf sich unruhig im Schlaf von einer Seite zur anderen. Dachte über Sachen nach die sie eigentlich im Prinzip überhaupt nicht interessieren brauchten. Cogito ergo sum. Das hatte ein wohl ziehmlich schlauer Philosoph vor ziehmlich langer Zeit einmal gesagt. Ich denke, also bin ich.
Ich bin also real, dachte Tina und führte ihre Zigarette abermals zu ihrem Mund. Wie schön, dachte sie, und was habe ich davon? Ich bin .. Doch was bin ich? Ich bin ein Mensch, ein Lebewesen, eines von vielen auf dieser großen weiten Welt. Also nichts besonderes. Was also sollte dieser Spruch von diesem ach so schlauen Philosophen? Ich bin Ich, Tina Sophia Arendts. Sophia .. wie sie ihren Zweitnamen hasste. Er klang so nach Königin - und wie eine Königin fühlte sie sich überhaupt nicht.
Cogito ergo ne sum, versuchte Tina mit ihrem laienhaften Latein einen klugen Satz zu bilden. Ja, ein wirklich kluger Satz war das. Ich denke, also bin ich nicht. Sehr schlau .. Ich bin nichts wenn ich denke .. So ein Schwachsinn. Natürlich war sie etwas - und sie dachte auch gerade. Also war sie .. Doch WAS war sie? Doch sie war auch, wenn sie nicht dachte .. Scheiss Philosophie, dachte Tina und drückte ihre Zigarette in dem kleinen blauen Glasaschenbecher aus, der neben ihr stand. Nichts als Schwachsinn und wirres daher Gerede .. Sie ging zu ihrem Bett, setzte sich auf die Kante und liess sich nach hinten fallen.
Die Decke ihres Zimmers war weiss. Was wohl über dieser Decke lag? Natürlich noch eine Wohnung. Und darüber noch eine und noch eine. Noch insgesamt sieben Stück um genau zu sein. Denn Tina wohnte im 2. Stock eines 10-Geschossers. Doch was lag über diesen sieben Wohnungen? Der Dachboden und das Dach logischerweise. Und darüber? Der Himmel. Das Weltall. Das Universum. Die Galaxie. Oder umgekehrt, Tina wusste es nicht genau. Es war ihr letztendlich auch ganz egal, sie wollte einfach nur schlafen. Das ging aber auch nicht, wenn sie sich über die Worte von irgendwelchen toten Leuten Gedanken machte, nur weil diese ziehmlich bekannt sind. Genau deswegen hasste sie Philosophie. Und sie hasste Nächte wie diese, wo sie nicht schlafen konnte und sich auch noch unfreiwillig mit Philosophie beschäftigte. Doch tief in ihrem Innersten liebte sie die Philosophie, denn ohne diese weisen Worte wüsste sie wohlmöglich überhaupt nichts mit sich anzufangen.
Ja, Cogito ergo sum. Ich denke, also bin ich. Tina dachte nach und somit hatte sie etwas zu tun. Wenn man nicht nachdenkt hat man nichts zu tun? Das war widerum Schwachsinn.. Bauarbeiter hatten sehr wohl etwas zu tun. Und Tina war der festen Überzeugung, dass diese Arbeiter kaum nachdachten, wenn sie Steine von A nach B trugen. Waren diese Arbeiter also nichts, nur weil sie besseres zu tun hatten, also sich stundenlang den Kopf zu zerbrechen? Das war doch dumm .. Genauso dumm wie Tina, die sich über diese dummen Sachen auch noch Gedanken machte anstatt zu schlafen. Morgen würde sie wieder Schule haben, das wusste sie genau. Und es war bereits drei Uhr morgens - in drei Stunden würde wieder ihr Wecker klingeln. Sie legte sich richtig auf ihr Bett und zog sich gereizt die Decke bis zum Hals. Philosophie, pah! Wer brauchte so etwas schon?
Cogito ergo sum - dieser Satz ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Ich denke, also bin ich. Wenn ich noch weiter nachdenke bin ich morgen nichts mehr, denn dann verschlafe ich und fliege womöglich von der Schule. Und dann, führte Tina diesen schrecklichen Gedanken fort, bin ich eben nichts mehr. Ein Niemand auf der Straße, der nichts mehr zu tun - und unendlich viel Zeit zum Pilosophieren hat..
