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Und wieder ein Tag

Fortsetzung zu "And you... I wish I didn't feel for you anymore..."
von

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Briefe

Eine Author's Note + Beantwortung aller Kommentare zu Kapitel 7 findet ihr spätestens heute abend in meinen Geschichten-Journal "The Broken Smile". Bitte teilt mir auch Unklarheiten und dergleichen in eurem Review mit. ICH kenne alle Hintergründe, aber ich will sie schließlich auch allen anderen nach und nach verraten, da hilft es immer, wenn der Leser schreit, sobald er was nicht versteht (denn ich hab den Eindruck, so langsam wird alles wirrer und komplizierter --- als es ohnehin schon war *g*).
 

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Severus blickte den beiden unauffälligen Schuleulen nach, als sie ihre Flügel spreizten und mit wenigen, kräftigen Schlägen abhoben, um die Eulerei zu verlassen und ihren Auftrag zu erfüllen.
 

Erst hier, in der Abgeschiedenheit, weg von Harry, sank langsam ein, was wirklich vor wenigen Minuten in seinen Räumen passiert war. Der Kuß, daß er darauf eingegangen war. Überhaupt die Tatsache, daß Harry diesen Schritt gemacht hatte.
 

Severus hatte ausnahmsweise mal kein Interesse daran, sich selbst zu belügen. Er hatte sich das gewünscht, hatte immer darauf gehofft, aber trotzdem nie daran geglaubt. Es war überwältigend und es schien ihm nicht real. Vielleicht hatte er alles nur geträumt? Oder vielleicht bewertete er das alles nur über. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
 

Mit einem bitteren Knurren schloß Severus die Augen, doch das Bild von einem sehr jungen Lucius Malfoy vertrieb das nicht. Ein junger, weißblonder Mann, der ihn dafür auslachte, daß er wirklich so dumm gewesen war. Machte er jetzt nicht schon wieder einen dummen, wirklich dummen Fehler? Harry war nicht Lucius, ja, das wußte er auch schon lange, aber Harry war... war im Moment nicht das, was er einen jungen Mann mit Kontrolle nennen würde. Er ließ sich beeinflussen und das sogar leichter, als die meisten wahrhaben wollten.
 

Was war, wenn ihn jetzt wieder etwas beeinflußte? Dankbarkeit zum Beispiel? Ein falsches Pflichtgefühl. Was war, wenn Harry glaubte, so etwas zurückzahlen zu müssen?
 

Severus zuckte von seinen eigenen Gedanken erschrocken zusammen. Von einer Sekunde auf die andere hatte er verstanden, was Adrian gemeint hatte. DAS war, wenn er es wußte. Auch wenn er es ihm gegenüber nicht aussprach, es niemals bewußt tat, er verwendete sein Wissen über Harry gegen ihn, indem er ihm ein Stück seiner Integrität absprach, voraussetzte, daß Gefühle, die von ihm kamen, nicht unbedingt echt sein mußten.
 

"Severus, du bist ein Bastard", flüsterte er und fuhr sich nervös über die Augen. Er haßte diese Unsicherheit. Es reichte, wenn er immerzu dachte, daß Harrys Gefühle für ihn nicht echt sein konnten, weil man einen Mann wie ihn nicht lieben konnte. Aber daß jetzt auch noch diese neuen Zweifel dazukamen. Das wurde sogar ihm langsam wirklich zu viel.
 

Severus lächelte bitter. Gefühle. Immer setzte er hier Gefühle voraus. Vielleicht war das ohnehin ein Fehler. Hatte Harry gesagt, daß er ihn liebte? Er konnte sich nicht erinnern. Warum setzte er das also voraus, um es im nächsten Moment als unmöglich zu betiteln?
 

Wie sehr eine scheinbar so einfache Sache wie ein Kuß ihn doch verwirren konnte. Severus wollte lachen, wollte schreien, wollte alles um sich herum ausschließen und im selben Moment zwischen den Menschen verschwinden, damit seine Zweifel, seine Angst ihn nicht finden konnten. Er mußte hier stark sein und war doch so albern, ließ sich von Harry aus dem Gleichgewicht bringen, wenn der Junge doch nur etwas Nettes tun wollte.
 

Wieder stockte er. Wieder hatte er es getan. Severus schnaubte verächtlich. Er sprach Harry Kontrolle ab und hatte sie doch selbst nicht. Er konnte nicht verhindern, daß er immerzu weiße Mäuse sah, wo keine waren.
 

Er fühlte es ganz deutlich. Diesen Drang in sich, einfach zu nehmen, was Harry da bot, ganz egal, was es letztendlich war. Und auf der anderen Seite diese Zweifel, diese Skrupel. Welchem Drang sollte er nachgeben, welches Gefühl gewinnen lassen?
 

Severus atmete tief durch, versuchte Ruhe in das Chaos zu bringen, doch es war nicht einfach. Nichts war mehr einfach, er hatte zugelassen, daß alles sich verdrehte und kompliziert wurde. Er wußte nicht, wie er es auf der anderen Seite hätte verhindern sollen, aber er fühlte sich dennoch so, als habe er Harry dazu gebracht, sich so zu verhalten. Manipulierte er ihn? Konnte das sein, sogar ohne, daß er es selbst es wußte?
 

Er hatte das Wünschen schon vor so langer Zeit aufgegeben, aber er bemerkte dennoch, daß er sich in diesem Moment wünschte, daß all seine Angst sich als falsch herausstellen würde und daß Harrys Gefühle echt waren.
 

War er ein egoistischer Bastard, das zu wollen? Wenn ja, dann hoffte er, daß Harry ihn bremste, sobald er zu weit ging. Denn Severus wußte, daß er das nicht mehr konnte, wenn er sich erst einmal darauf einließ. Dann hieß es nur noch, von dem Licht zu leben oder darin zu verbrennen.
 

~*~
 

Adrian hörte die Glocken, die in einer Kirche ein paar Ecken weiter geläutet wurden. Kein Grund die Augen zu öffnen, oder gar aufzustehen. Sie läuteten bloß, weil Weihnachten war. Gräßlicher Tag, gräßliches Fest.
 

Gräßliche Einsamkeit.
 

Er würde im Bett bleiben, den ganzen Tag. Vielleicht sogar die Nacht. Die Weihnachtstage waren mit die besten Tage des Jahres, das wußte er, und es war dumm, sie sich aus einer Laune heraus entgehen zu lassen, aber dieses Jahr dachte er wirklich daran. Dieses Jahr war auch er einsam, nicht nur diese perversen, alten Säcke, die nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Scharen aus ihren blank polierten Heile-Welt-Höhlen kriechen würden.
 

Das alles widerte Adrian an. Zum ersten Mal seit Jahren. Er selbst widerte sich an, obwohl er nicht der Grund war, warum er Harry verloren hatte.
 

Langsam drehte Adrian sich auf den Rücken, faßte sich an den Kopf, in dem ein dumpfer Schmerz pochte. Ein Kater am Weihnachtsmorgen. Immerhin zu etwas hatte er es in diesem Jahr dann doch noch gebracht. Wenn auch sonst alles schief gegangen war.
 

Sein Blick wanderte zu einem kleinen Tisch in der Ecke, auf dem ein ebenfalls eher kleines, dafür aber sehr bunt eingepacktes Päckchen stand. Aus einer dummen Sentimentalität und Hoffnung heraus, hatte Adrian es doch gekauft und einpacken lassen, obwohl er sich die ganze Zeit über eigentlich sicher gewesen war, daß Harry nicht da sein würde, um es auszupacken.
 

Unschlüssig darüber, was er mit diesem störenden Eindringling jetzt machen sollte, starrte er das Päckchen weiter an. Wegwerfen vielleicht. Oder am besten gleich verbrennen. Hinschicken wäre ihm als erstes in den Sinn gekommen, wenn dieser verdammte Snape nur rausgerückt hätte, wohin er etwas schicken mußte, um Harry zu erreichen.
 

Doch Snape hatte es nicht gesagt, hätte es auch nicht, wenn Adrian gefragt hätte. Der Gedanke an den Zaubertrankmeister von Hogwarts stieß Adrian sauer auf. Er wußte, daß der andere ebenso wenig getan hatte, wie er selbst, aber dennoch war er derjenige, der alles bekam, während Adrian alles verlor und sich in diesem verdammten Selbstmitleid suhlte!
 

Das allerdings war ein Grund, sich vor sich selbst zu ekeln, ohne Frage. Adrian konnte sich schon gar nicht mehr an das letzte Mal erinnern, an dem er sich selbst so furchtbar leid getan hatte. Dafür wußte er aber noch zu gut, warum er versuchte, dieses Gefühl zu vermeiden. Es hinterließ einen faulen Geschmack in seinem Mund und einmal hatte es einen Spiegel das Leben gekostet. War das vielleicht der Grund, warum jetzt vom Pech verfolgt war?
 

Adrian wußte nicht, woher es kam, aber als er sein eigenes Kichern hörte, war er dankbar dafür. Es fühlte sich gut an, über sich selbst zumindest ein bißchen lachen zu können. Und wenn man sich nur dafür auslachte, plötzlich abergläubisch geworden zu sein, nur weil ein paar Dinge schief gegangen waren.
 

"Das bringt dich alles ziemlich durcheinander, was, alter Junge? Hexen, Zauberer, Magie, fliegenden Besen. Du drehst noch durch. Ob das wohl der Grund ist, warum sie es normalerweise geheim halten?" Aus dem Kichern wurde ein Lachen und aus dem Lachen langsam ein unterdrückte Schluchzen, untermalt von unterdrückten Tränen.
 

Fast hätte Adrian das zarte Klopfen an seiner Fensterscheibe nicht gehört, doch was es auch war, es war hartnäckig genug, so lange weiterzuklopfen, bis es endlich die Aufmerksamkeit des jungen Mannes erregt hatte.
 

Im ersten Moment glaubte Adrian, sich einfach nur verguckt zu haben. Doch auch nach dem zweiten und dritten ungläubigen Zwinkern saß noch immer eine weiße Eule auf dem Fensterbrett des Schlafzimmer und klopfte stetig weiter mit dem Schnabel gegen die Scheibe. Ganz automatisch, wenn auch heillos verwirrt, schlug Adrian die Decke zurück und stand auf. Die Eule hörte sofort auf zu klopfen und blickte ihm in die Augen, während er langsam auf das Fenster zuging.
 

Das war unheimlich. Er erinnerte sich vage, daß Harry einmal von Posteulen erzählt hatte. Irgendwie stand das im Zusammenhang mit einer Geschichte von einem Brief, der über und über mit Briefmarken beklebt gewesen war. Adrian konnte sich den ganzen Zusammenhang nicht erschließen, Harry war zu weggetreten gewesen. Aber er erinnerte sich zumindest noch an die Verbindung zwischen Eule und Post und ganz, ganz langsam fühlte er eine kleine Hoffnung in sich. War es möglich? Vielleicht ein Brief von Harry? Endlich eine Antwort?
 

Die Eule kam ohne zu zögern hereingeflattert, als Adrian das Fenster öffnete, ließ sich auf dem Bettpfosten nieder und streckte ihm mit einem fast gelangweilten Blick ein Bein entgegen, an dem wirklich ein zusammengerolltes Stück Pergament festgebunden war.
 

Adrian war sich nicht sicher, was jetzt passieren mußte. Sollte er die Eule wirklich anfassen? Würde er sie damit nicht erschrecken? Und überhaupt sah ihm dieser Schnabel sehr furchterregend aus, gar nicht anheimelnd oder vertrauenserweckend.
 

Einen Moment hatte er den Eindruck, der Blick aus den goldenen Eulenaugen würde noch eine Spur ungeduldiger, dann hatte er seinen Entschluß gefaßt und griff vorsichtig nach dem Brief am Bein der Eule. Noch vorsichtiger kam seine zweite Hand hinzu und löste den Knoten der Schleife. Während der ganzen Prozedur ließ er die Eule niemals aus den Augen, doch der Ausdruck, die Haltung, nichts änderte sich an dem Tier. Sie ertrug seine ungeschickte Fummelei geduldig und ohne jedwede Reaktion.
 

Doch kaum war der Brief gelöst, stieß sie ein Krächzen aus, spreizte ihre Flügel - Adrian hatte gar nicht gewußt, daß Eulen so groß waren - und mit zwei kräftigen Schlägen war sie auch schon wieder aus dem Fenster geflogen und verschwand am grauen Horizont.
 

Ein kurzer Blick nur hinter ihr her und dann war seine Aufmerksamkeit wieder vollkommen auf den Brief gerichtet. War er es? Der Brief auf den er schon seit Wochen hoffte?
 

Mit zitternden Fingern rollte er ihn auseinander, warf einen Blick drauf und im nächsten Moment mußte er haltsuchend nach dem Bettpfosten greifen, denn mit der Erleichterung, die ihn überflutete, drohte auch sämtliche Spannung seinen Körper zu verlassen. Von Harry. Endlich.
 

Sein Herz klopfte wild, als er sich auf sein Bett fallen ließ, auf den Bauch drehte und den Brief vor sich entrollte. Harrys Schrift wirkte wie immer unruhig, aber im Vergleich zum letzten Mal, als er sie gesehen hatte, hatte sie ein wenig ihrer Härte und Unstetigkeit verloren, das war nur allzu deutlich. Harry ging es wohl besser. Nur mit Mühe schaffte er es endlich, seine Augen dazu zu bringen, sich genug auf die Worte zu konzentrieren, daß er sie auch lesen konnte.
 

Hi Adrian,
 

es geht mir gut, ich hoffe Du machst Dir keine Sorgen... was für ein beschissener Anfang. Natürlich machst Du Dir Sorgen, vor allem weil ich Wochen gebraucht habe, mir nicht mehr vor Angst in die Hosen zu machen beim bloßen Gedanken daran, diesen Brief zu schreiben. Alberner kleiner Junge, der nicht mal seinem Freund sagen kann, wie es ihm geht. Oder ihm wenigstens dankt.
 

Danke für Deinen Brief, Adrian. Ich hab geheult wie ein Schloßhund und einen Moment war ich drauf und dran, einfach alles stehen und liegen zu lassen und zu Dir zurück nach London zu kommen, aber... ich hoffe, Du bist nicht böse, daß ich es nicht getan habe. Alleine wäre nur alles wieder von vorne losgegangen. Jetzt scheint es für mich so, als gäbe es da tatsächlich ein Ende, als wäre gar nicht alles ein Kreis.
 

Ich hoffe, Dir geht es auch gut. Ich denke in der letzten Zeit so extrem viel an mich und wie es mir geht, daß mir meist erst viel zu spät einfällt, daß ich nicht allein auf der Welt bin, oder zumindest nicht der einzige, dem es eventuell gerade nicht so toll geht.
 

Severus holt mich manchmal von diesem Roß runter, aber es ist nicht immer leicht. Gar nichts. Ich vermisse Dich sehr. Du fehlst mir hier, obwohl Severus sich alle Mühe gibt. Aber man kann einen Freund nicht mit einem anderen ersetzen, nicht wahr? Wirst Du mich hier vielleicht mal besuchen? Irgendwann? Ich schätze, es ist eigentlich gar nicht erlaubt, aber... der Wunsch ist stark.
 

Mach Dir bitte keine Sorgen. Ich klinge unglücklicher, als ich bin. Eigentlich geht es mir sogar sehr gut. Ich hab noch immer Schiß davor, meine Rückkehr den anderen zu verraten, aber abgesehen davon, kann ich nicht klagen. - Ich weiß, daß Du mir gerade nicht glaubst. Vielleicht gar nicht so verkehrt.
 

Aber ich bin wirklich die meiste Zeit froh, daß ich hier bin. Vieles hier ist mir noch immer verhaßt und manchmal gibt es Streit, wenn ich... Severus glaubt manchmal, daß ich eines Tages einfach wieder weggehen würde, nur weil ich nicht mehr... na ja, Du weißt ja. Das gibt häufig Streit. Wir sind halt beide Dickköpfe. Erinnerst Du Dich, daß ich immer gesagt hab, das alles war nur Einbildung. Daß Severus nie wieder so gewesen wäre wie damals, selbst wenn ich nach Hogwarts zurück gegangen wäre?
 

Du hast mich immer als Idioten beschimpft, wenn ich das getan hab. Ich fürchte, Du hattest recht. Ist irgendwie komisch, aber genau dieser eine Punkt ist es, der mich so glücklich macht.
 

Ich bin von den Drogen runter. Wundert Dich wahrscheinlich nicht, Du hast Severus ja kennen gelernt. Na ja, keine Drogen und auch sonst bisher nichts - Dummes. Ob ich es jetzt geschafft habe? Ich hoffe es so sehr. Ich möchte das alles erst im Griff haben, bevor ich anfange, ein normales Leben zu führen, wenn es das denn überhaupt gibt. Aber je länger das dauert, desto länger werde ich Dich und andere nicht wiedersehen. Das ist verdammt schwer, auch wenn Du das vielleicht nicht glaubst, nachdem ich mich so ewig nicht gemeldet hab.
 

Ich fühle mich deswegen so schlecht, Adrian. Aber ich hatte Angst. Erst nur Angst vor meiner Vergangenheit und plötzlich Angst vor allem außer Severus. Ich wollte sofort antworten, als ich Deinen Brief bekommen habe. Aber als ich dann darüber nachdachte, was ich wohl schreiben könnte, war da nur Angst. Verstehst du das? Oder kann man das nicht verstehen? Ich hoffe es so sehr. Ich hoffe so sehr, daß Du weißt, was Du mir bedeutest, auch wenn ich zu dumm bin, es Dir zu zeigen. Auch wenn ich plötzlich Angst habe.
 

Severus ist nicht der einzige, auch wenn es mir manchmal so vorkommt und ich in den letzten Wochen auch so gehandelt habe. Ich weiß, Du bist auch immer da. Bist Du doch oder?
 

J.
 

Was für eine dumme, überflüssige Frage. Das war das einzige, was Adrian in diesem Moment denken konnte. Alles andere war leer. Wieder fühlte er das Brennen in seinen Augen, doch diesmal schaffte er es nicht länger, die Tränen auch zurück zu halten. Dieser Brief war einerseits das wundervollste Geschenk, daß man ihm hätte machen können, aber gleichzeitig war er auch das Aus für jede Hoffnung, die er noch gehabt hatte bezüglich seiner Chancen.
 

Bis zu diesem Augenblick war er sich noch nicht einmal bewußt gewesen, daß da immer noch Hoffnung gewesen war. Schon oft hatte er in den letzten Wochen gedacht, daß nichts mehr ihn noch hoffnungsloser machen könnte, als er sowieso schon war, aber das war dann wohl scheinbar ein Irrglaube gewesen.
 

Fast krampfhaft hielt Adrian sich weiter an dem Brief fest, während er sich wieder in seine Decke einrollte und den Tränen einfach freien Lauf ließ. Was hatte es auch schon für einen Sinn, sie zurück zu halten? Hier war niemand, der sie sehen konnte. Er war allein. Das war ja genau das Problem.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Schon die ganze Nacht war Harry vollkommen weggetreten gewesen. Das Fieber war nur unmerklich gesunken, er fantasierte noch immer. Und der Arzt, der vor knapp zwei Stunden noch einmal da gewesen war, hatte ihm wieder von dem Beruhigungsmittel gespritzt, das ihn davon abhalten sollte, sich die Verbände von den Armen zu reißen, wenn er in seinen Fieberträumen gegen irgend etwas kämpfte, als hinge sein Leben davon ab.
 

Adrian war mehr als nur besorgt und er machte sich schon die ganze Zeit über Vorwürfe. Er wußte noch immer nicht, was eigentlich hier passiert war, warum Harry so vollkommen ausgetickt war, aber das blutige Bad, Harry mittendrin, einige Stellen an seinem Körper zugerichtet, als hätten sie Bekanntschaft mit einem Fleischwolf gemacht... das alles wurde Adrian nicht mehr los. Diese Bilder waren in seinem Kopf und jedesmal, wenn er die Augen schloß, konnte er sie sehen.
 

"Severus!" Harrys Stimme war so schwach, daß Adrian den verzweifelten Ausruf fast nicht gehört hätte. Harrys Augen waren noch immer geschlossen und er warf den Kopf unruhig hin und her. Er träumte nach wie vor. Sein Gesicht verzog sich gequält und erst glaubte Adrian, daß er sich geirrt hatte, doch auch als er genauer hinsah, konnte er Tränen an den dichten Wimpern des Jüngeren glänzen sehen.
 

Wer oder was auch immer dieser Severus war, er war offensichtlich nicht der Grund für Panik, sondern viel mehr für Verzweiflung und Traurigkeit. Das war mal etwas neues.
 

~*~
 

"Was... was ist denn passiert?" Erschrocken fuhr Adrian aus seinem leichten Schlaf hoch. Wie er überhaupt in dieser Haltung hatte einschlafen können, war ihm ein absolutes Rätsel und sein schmerzender Rücken wies ihn auch sofort darauf hin, was für eine blöde, saublöde Idee das gewesen war. Adrian verzog ein wenig das Gesicht, versuchte aber, sich sonst nichts anmerken zu lassen. Auch nichts von der Befangenheit, die er jetzt auf einmal spürte, als Harry endlich wach war.
 

"Das hätte ich gerne von dir gewußt", antwortete er sanft und strich Harry den schwarzen Pony aus der Stirn. Harry zuckte zusammen, als Adrians Finger seine Stirn berührten und einen kurzen Moment sah Adrian wilde Panik in den grünen Augen seines Mitbewohners. Diese Reaktion war nicht gerade wenig verstörend, wenn sie sich mit Adrians Fantasie zusammen tat, die sowieso schon die ganze Zeit die wildesten Blüten trieb.
 

"Was ist los, Jamie? Hab ich dir weh getan?" Harry schüttelte den Kopf und fast sofort liefen große Tränen über seine Wangen, wurde der schmale Körper von heftigen Schluchzern geschüttelt. Adrians erster Impuls war, den Jüngeren in den Arm zu nehmen und zu trösten, aber die verängstigte Reaktion, die Harry bei einer ganz leichten Berührung gezeigt hatte, hielt ihn noch viel mehr davon ab, als seine Angst, Harry weh zu tun.
 

"Hey, ganz ruhig, Jamie. Was ist los?" Harry schüttelte den Kopf, preßte die Augenlider fest zusammen, doch immer mehr Tränen quollen hervor, sie waren nicht aufzuhalten.
 

Adrian fühlte sich hilflos. Harry anfassen kam nicht in Frage, reden wollte er nicht. Wie sollte er ihn trösten? Er konnte ihn nicht einfach weinen lassen. Er konnte praktisch fühlen, wie diese Hilflosigkeit ihn unter Streß setzte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann und er etwas schneller atmete. Er wollte helfen, um jeden Preis. Er wollte das abstellen. Harry sollte nicht weinen, sollte nicht verzweifelt sein. Aber wie? Wie ging das?
 

"Es tut so weh, Adrian", wimmerte Harry und wandte seinem Freund sein tränennasses Gesicht zu. Seine Wangen waren vom Fieber ganz leicht gerötet, während der Rest vom Gesicht leichenblaß war. Adrian hielt Harrys Blick fest.
 

"Der Arzt hat Schmerzmittel für dich dagelassen. Soll ich dir was davon geben?" Adrian haßte sich für die Hoffnung auf ein Ja. Er wollte Harry nicht betäuben, aber wenn er weiter schlief, dann konnte er nicht länger weinen. War das nicht viel besser?
 

Einen Moment lang hatte Adrian den Eindruck, daß Harry ablehnen wollte. Da war ein kurzes Zögern, ein Moment des Überlegens, doch dann erlosch dieser kleine Widerstand in Harrys Gesicht und er nickte einfach nur.
 

Seine Erleichterung kam Adrian vor wie ein sehr widerlicher Geschmack in seinem Mund. Wie konnte er nur erleichtert sein, daß er sich nicht mit seinem Freund auseinander setzen mußte? Früher oder später mußte man es ja doch tun. Er war ein Feigling und Adrian wußte es.
 

~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~
 

Wieder war es das Glockenläuten, das Adrian zurück in die Realität holte. Der Weihnachtsgottesdienst war gerade zu Ende, jetzt gingen die Leute nach Hause. Familie. Idylle, Nicht hier. Nicht für ihn.
 

Adrian wußte, daß er es nicht anders verdient hatte. Damals war der Anfang gemacht worden. Sie hatten nie über diesen Abend gesprochen, sich nie damit auseinander gesetzt. Harry hatte sich einfach betäubt, die Sache verdrängt und Adrian hatte es zugelassen, obwohl er nicht einen Moment lang geglaubt hatte, daß es nicht falsch war, das zu tun. Wäre er doch nur nicht so feige gewesen.
 

Ärgerlich wischte Adrian den Gedanken fort. Es war zu spät, jetzt noch über hätte, wäre oder wenn nachzudenken. Es war passiert, er hatte es geschehen lassen. Schluß. Jetzt war Harry ja wieder auf dem Weg der Besserung. Auch wenn er selbst es nicht geschafft hatte, ihn da hin zu bringen, war es doch eine gute Nachricht. Das war ein gutes Weihnachten. Auch wenn er allein war.
 

Adrian konnte sich nicht wirklich überzeugen. Das Loch in ihm war noch immer da und ließ sich einfach nicht stopfen.
 

~*~
 

Mit einem unwilligen Knurren zog Sirius die Decke über sein Gesicht, als plötzlich gleißend helles Sonnenlicht in sein Zimmer strömte. In Wahrheit war es bewölkt und die Sonne blitzte - wenn überhaupt - nur hin und wieder mal für Sekunden durch die Wolkendecke hindurch, aber selbst, wenn sie einfach irgendeinen Schalter betätigt hätte und ausgegangen wäre, wäre sie Sirius immer noch zu hell gewesen.
 

Weihnachten und Sonnenlicht. Wie er das doch jedes Jahr wieder einfach am liebsten verschlafen wollte. Aber dieser verfluchte Werwolf mit dem Gemüt eines verschmusten Hundewelpen mußte ausgerechnet immer an diesem Tag plötzlich Durchsetzungsvermögen aus einem gut verborgenen Winkel seines Charakters ziehen.
 

"Los jetzt, Sirius, steh endlich auf!" rief der eben benannte Werwolf auch schon im nächsten Moment und die Ungeduld war nur allzu deutlich aus der sanften Stimme heraus zu hören.
 

"Laß mich in Ruhe, Remus", fauchte Sirius zurück. Es war ein altes Ritual. Oder zumindest kam es ihm so vor. In Wahrheit war es noch gar nicht so alt wie es sich anfühlte.
 

"Ich werde Charlotte nicht erklären, warum du nicht unten bist, wenn sie ihre Geschenke auspackt!" Sirius hob die Decke ein wenig an und lugte mit einem Auge darunter hervor. Remus hatte sich vor dem Bett aufgebaut und die Hände in die Hüften gestimmt. Auf dem sonst immer ruhigen, sanften Gesicht lag ein deutlich genervter Ausdruck und auch die bernsteinfarbenen Augen seines alten Freundes wirkten alles andere als nachgiebig, wenn sie ihn so halb zusammengekniffen anfunkelten.
 

Sirius seufzte und schlug die Decke weg. Inzwischen hatte er sich an das Licht gewöhnt und ob er wollte oder nicht, Remus würde nicht wieder verschwinden und ihm seine Ruhe lassen.
 

"Warum kannst du mich nicht verstehen, Remus?" fragte er müde und fuhr sich mit beiden Händen durch das inzwischen wieder ordentlich geschnittene Haar. Manchmal, wenn das tat, erwartete er noch immer, in lange, verfilzte Strähnen zu greifen und sich darin zu verheddern. Während Harrys Tod ihm schon so weit weg schien, waren seine Jahre auf der Flucht noch immer absolut frisch in seiner Erinnerung. Das menschliche Gedächtnis war schon ein merkwürdiges Gebilde. So unlogisch.
 

"Ich verstehe dich sehr gut, Sirius Black, aber das heißt nicht, daß ich es billige. Ich weiß ziemlich genau, was du denkst und fühlst. Es ist das selbe, was mir eben durch den Kopf ging. Aber du wirst jetzt nicht im Selbstmitleid versinken. Hast du verstanden?" Einen kurzen Moment fühlte Sirius die Streitlust in sich aufflackern, aber der Moment war so schnell wieder vorbei, wie er gekommen war. Wie immer.
 

James hätte vermutlich gesagt, er habe seinen Biß verloren. Und vermutlich stimmte das auch. Es war ihm egal.
 

"Remus, ich..." Remus schnitt ihm mit einer unwirschen Handbewegung das Wort ab und zum ersten Mal erkannte er, wie hauchdünn und zum Zerreißen gespannt die Nerven seines besten Freundes waren. Er war wahrscheinlich selbst nicht weit von dem Gemütszustand entfernt, in dem Sirius am liebsten den ganzen Tag bleiben wollte. Wieder seufzte der schwarzhaarige Zauberer. Also gut. Aufstehen.
 

"Manchmal hasse ich dich", lächelte er und mit ein wenig Mühe schaffte Remus es, dieses Lächeln zu erwidern.
 

"Ich weiß. Aber jetzt mach dich fertig. Sie wird gleich aufwachen und wir wollen ihr doch nicht das Fest verderben, nur weil uns nicht nach feiern ist."
 

Es waren jedes Jahr die selben Worte und bisher funktionierten sie noch immer. Aber Sirius fühlte, daß es von Jahr zu Jahr eher schwerer als leichter wurde. Alle hatten gesagt, mit der Zeit würde es leichter werden, doch Sirius hatte dafür nur eine Antwort parat: Gequirlte Scheiße, gar nichts wurde besser.
 

Nein, heute war kein Feiertag. Sie hielten diese Farce nur für Charlotte aufrecht. Wenn die Kleine sich freute, ausgerechnet an diesem Tag das Haus mit Lachen und Leben füllte, dann war es nicht mehr ganz so schwer, aber nur dann.
 

Er liebte das Kind, aber sie konnte Harry, und all die verlorenen Jahre mit ihm, einfach nicht ersetzen. - Aber das durfte man ohnehin nicht von ihr verlangen. Und das taten sie ja auch nicht. Nicht wahr? Sirius wäre sich gerne in irgendeinem Punkt sicher gewesen, aber in den letzten Jahren war er sich eigentlich in allem immer nur uneinig mit sich selbst.
 

Aber heute galt das nicht. Heute war Weihnachten und er würde alles tun, um Charlottes Augen zum Strahlen zu bringen. - Auch wenn sein Gesichtsausdruck noch immer mürrisch war, als er seinen Morgenmantel überzog.
 

~*~
 

Remus fühlte sich gleichzeitig erleichtert, aber auch leer, als er nach unten in die Küche ging, um für sich und Sirius Kaffee zu machen. Frühstücken würden sie dann später mit der Kleinen zusammen.
 

Es fiel ihm selbst nicht leicht, diesen Tag so unbeschwert zu feiern, wie es für ein Kind richtig war, aber er wußte, daß sie es tun mußten. Charlotte war erst fünf. Für sie war Weihnachten etwas ganz Wundervolles. Da durften es ihr die Erwachsenen nicht verderben, so schrecklich der Tag für sie selbst auch war.
 

Remus spürte nur zu deutlich, wie dünnhäutig er geworden war. Er wollte selbst nichts lieber, als wieder nach oben in sein Schlafzimmer zu verschwinden, aber das war nicht richtig. Und er würde ganz sicher nicht zulassen, daß Sirius es seinerseits auch nur versuchte. Manchmal half der alte, abgelutschte Satz, daß Harry es so nicht gewollt hätte, um alles leichter zu machen. Heute zwar nicht, aber er hatte es trotzdem geschafft. Alles in bester Ordnung.
 

Wie durch eine Mauer drang ein leichtes Klopfgeräusch an Remus' Ohr. Überrascht drehte er sich zum Küchenfenster um und sah die Eule, die draußen saß und beharrlich an die Scheibe klopfte. An ihrem Blick konnte er nur zu gut erkennen, daß er sie ziemlich lange nicht gehört hatte. Sie war ganz offensichtlich ziemlich ungehalten.
 

Wer schickte ihnen denn eine Eule? Albus würde sich später über das Flohnetzwerk melden, bei Molly und Arthur waren sie am Nachmittag eingeladen, die würden also auch keinen Brief schicken. Ron und Hermine waren für gewöhnlich auch bei der Weihnachtsfeier der Weasleys dabei. Remus legte die Stirn in Falten, öffnete aber endlich das Fenster. Man mußte den Brief schließlich nur lesen, um zu erfahren, von wem er war.
 

Die Eule stieß ein fast fauchend klingendes Krächzen aus, als sie endlich eingelassen wurde und ließ Remus kaum Zeit, den Brief richtig von seinem Fuß zu lösen, bevor sie schon wieder aus dem Fenster flatterte. Remus lächelte. Kaum ein Muggel ahnte, wie schnell diese Tiere beleidigt waren. Die großen, starr wirkenden Augen ließen den Leichtfertigen nur allzu leicht darauf schließen, daß sie auch ein ebenso starres Gemüt hatten.
 

Remus fühlte die Spannung, als er den auseinander rollte. In der letzten Weihnachtspost, die er erhalten hatte, hatten wenig gute Nachrichten gestanden und er fühlte, wie ihm die Finger zitterten. Er atmete tief durch, richtete seinen Blick dann auf die wenigen Zeilen und begann zu lesen.
 

Genau in dem Moment kam Sirius in die Küche geschlurft, sein Gesicht immer noch mürrisch, aber schon deutlich erkennbar in der Umwandlung zum Feiertagsgesicht. Sirius hatte seinen Platz am Küchentisch noch nicht ganz erreicht, als Remus den Brief in seiner Hand mit einem leichten Aufschrei fallen ließ. Ein starkes Gefühl des Déjà Vu überkam Sirius. Die Szene war nur allzu bekannt.
 

"Was ist los, Remus?" fragte er, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, die Nervosität in seiner Stimme zu verbergen. Remus drehte sich zu ihm um. Sein Gesicht war so blaß wie das eines Muggels, der einen Geist gesehen hatte und seine Hände, die eben noch den Brief gehalten hatten, zitterten deutlich.
 

"Harry", murmelte Remus, nicht im Stande, noch mehr zu sagen, und griff nach der nächstbesten Stuhllehne, da er das Gefühl hatte, den Halt zu verlieren.
 

Das Wort traf ihn wie ein Schlag in den Magen, vergessen war jeder Rest von Müdigkeit.
 

"Was meinst du, Remus? Was ist mit Harry?" seine Stimme überschlug sich fast, als er Remus mit Blicken fixierte. Sein Freund wirkte beängstigend hilflos und daß er einfach nur auf den Brief am Boden zeigte, ohne ein Wort zu sagen, schwächte diesen Eindruck nicht wirklich ab.
 

Sirius' Herz schlug zum Zerspringen, als er den Brief vom Boden aufhob. Er erkannte die Schrift sofort wieder, obwohl es unmöglich war. Es konnte nicht sein. Harry war tot. Seit vier Jahren tot. Und doch strafte der kurze Brief dieses Wissen Lügen.
 

Ich hoffe, ihr glaubt mir, wenn ich sage, daß es mir unendlich leid tut, was ich getan habe. Es war dumm, mehr als das. Aber ich war damals so durcheinander, alles war so verrückt. Ich hätte es nicht tun sollen.
 

Ich weiß, daß ich es nicht erwarten kann, aber ich hoffe, ihr beiden verzeiht mir, daß ich einfach verschwunden bin und euch habe glauben lassen, ich sei tot. Es tut mir unendlich leid. Bitte glaubt mir das. Ich kann es nicht wieder gutmachen, das weiß ich. Es war grausam. Eigentlich noch viel mehr als bloß das. Aber damals erschien es mir richtig.
 

Ich bin wieder in Hogwarts.
 

In Liebe,
 

Harry
 

Schlagartig wich alle Farbe aus Sirius' Gesicht und hätte in diesem Moment nicht seine Stimme komplett versagt, hätte er vermutlich wirklich geschrieen. So viel Schmerz stürzte mit einem Mal auf ihn ein. Und gleichzeitig so viel Erleichterung, sogar Freude. Unverständnis und Unglaube. Es waren zu viele Emotionen. Sirius' Geist setzte aus. Er sackte zusammen. Die Welt verschwamm um ihn herum.
 

"Sirius! Hey, Sirius! Bitte, ich weiß, daß du mich hören kannst. Also hör auf, so vor dich hinzustarren!" Remus klang ärgerlich. Ein wenig verwirrt schüttelte Sirius den Kopf. Warum denn ärgerlich? Er sah Remus in die Augen, die eigentlich mehr besorgt als ärgerlich wirkten.
 

"Was ist denn los?" fragte Sirius noch immer verwirrt und kam sich dabei irgendwie dumm vor. Er wußte es wirklich nicht. Er hatte den Brief gelesen und dann... Der Brief. Fassungslos starrte er auf das Stück Pergament in seiner Hand.
 

"Du hast den Brief gelesen und dann bist du einfach zusammengeklappt wie so ein verdammter Klappstuhl. Hast auf nichts reagiert."
 

"Remus! Der Brief! Wir müssen sofort hin! Wenn das wahr ist, dann... dann..." Sirius' Stimme überschlug sich, dann versagte sie ganz. Er sah Remus flehend an, doch der preßte die Kiefer aufeinander und schüttelte den Kopf. In Sirius' Magen wurde es eiskalt.
 

"Ich weiß, was du denkst, Sirius, aber das können wir jetzt nicht tun. Wie sollen wir es ihr erklären?" In dem Moment konnte Sirius hören, wie es im ersten Stock polterte. Charlotte war aufgewacht und fegte jetzt wie ein Blitz durch ihr Zimmer, um sich so schnell wie möglich für den großen Augenblick fertig zu machen. Schließlich war der Weihnachtsmann da gewesen. In Sirius sträubte sich alles. Es war ihm egal. Er wollte weg, wollte nach Hogwarts. Wenn Harry wirklich dort war.
 

Doch er mußte Remus nur ansehen, um zu wissen, daß er nicht nach Hogwarts gehen würde, bevor der Weihnachtsmorgen für Charlotte erfolgreich beendet war. Und Remus hatte recht, wenn man die Sache mit dem Verstand betrachtete. Wenn der doch nur im Moment nicht aussetzen würde.
 

"Heute nachmittag, Sirius", murmelte Remus beschwörend und zog seinen besten Freund auf die Beine. "Und jetzt reiß dich bitte zusammen. Ich kann es ja auch." Remus' Worte klangen kalt in Sirius' Ohren und für einen winzigen Moment konnte er fühlen, daß er den anderen dafür haßte. Doch schon eine Sekunde später setzte sein Verstand wieder ein und machte ihm klar, daß Remus nur richtig handelte. Richtig für Charlotte, die in diesem Moment in die Küche gestürmt kam. Sie hatte den Gürtel des Morgenmantels nicht richtig zugeknotet, ihr braunes Haar war ein einziges Knäuel und stand wirr um ihren Kopf ab und auf die Hausschuhe hatte sie gleich ganz verzichtet in ihrer Aufregung.
 

"Papa Sirius! Papa Remus! War der Weihnachtsmann da?!" rief sie mit großen, strahlenden Augen und vor Aufregung geröteten Wangen. Remus hatte sofort in die Vaterrolle umgeschaltet und hob seine kleine Ziehtochter hoch.
 

"Ich weiß nicht, Charly, wir müssen wohl mal nachsehen." Charlotte nickte heftig, bevor sie sich in Remus Arm ein wenig drehte und Sirius ins Gesicht strahlte.
 

"Komm mit, Papa Sirius. Der Weihnachtsmann war ganz bestimmt da." Die Fröhlichkeit tat weh, doch irgendwie schaffte Sirius es, zu lächeln und die Bitterkeit zu vertreiben, die er im Moment eigentlich fühlte. Sie war auch seine Tochter, genauso wichtig wie Harry. Remus hatte recht, er konnte ihr das nicht antun und den Weihnachtsmorgen verderben. Wie sollte sie verstehen, daß ihr großer Bruder, den sie nie gekannt hatte, aus dem Himmel zurück gekehrt war? Schließlich hatten ihre Väter ihr immer gesagt, daß die Leute aus dem Himmel nicht wieder zurück auf die Erde kamen. Sie hatten ihr erklärt, daß ihre richtigen Eltern auch dort waren und dort immer auf sie aufpaßten. Daß dort alles besser war, das Glück vollkommen.
 

Das würde noch ein hartes Stück Arbeit werden.
 

Zögerlich folgte er den beiden ins Wohnzimmer, wo Remus das Kind wieder auf die Füße setzte. Wie ein geölter Blitz stürzte Charlotte zu dem riesigen Weihnachtsbaum, der direkt neben dem Kamin stand und das nächste, was sie hörten, war ein vergnügtes Quietschen, als die Kleine die Geschenke unter dem Baum entdeckte.
 

"Was jetzt, Remus?" flüsterte Sirius seinem Freund zu, während ihre Tochter das kunterbunte Geschenkpapier von einer besonders großen Schachtel riß.
 

"Jetzt werden wir ihr in aller Ruhe beim Auspacken zusehen. Dann gibt es Frühstück. Danach wird Charlotte nach oben gehen, damit sie sich waschen und anziehen kann. Wir werden wie geplant mit Molly und Arthur zu Mittag essen. Danach werden wir sie bitten, daß Charlotte für ein paar Stunden bei ihnen bleiben kann, damit wir nach Hogwarts können." Sirius Augen weiteten sich ein wenig bei Remus' Aufzählung.
 

"Wie kannst du nur so kaltblütig dabei bleiben?" fragte er vorwurfsvoll, aber noch immer so leise, daß Charlotte sie nicht hören könnte."
 

"Ich bin nicht kaltblütig, verdammt noch mal, aber einer von uns muß ja seinen Kopf behalten. Und ich hab so meine Zweifel, daß du das schaffst, Sirius." Die eben noch kaltblütige Stimme zitterte jetzt und Sirius schämte sich dafür, daß er Remus überhaupt einen Vorwurf gemacht hatte. Er war einfach ein unverbesserlicher Hitzkopf, selbst wenn er es absolut nicht gebrauchen konnte. James hatte ihn dafür immer ausgelacht, aber jetzt war es wohl nicht mehr zum lachen.
 

Wie Remus gesagt hatte warteten sie in aller Ruhe ab, bis Charlotte all ihre Geschenke ausgepackt hatte. Es waren nicht gerade wenige und beiden Männern kamen die Minuten mit einem Mal vor wie Stunden. Aber irgendwie schafften sie es, ihr Feiertagsgesicht trotzdem beizubehalten und so normal auf ihre kleine Tochter zu wirken, als sei gar nichts außergewöhnliches an diesem Morgen passiert. Die Aufregung, die das kleine Mädchen bis zum Abend nicht mehr loslassen würde, half da ganz gewaltig mit.
 

~*~
 

Er saß wie immer am Weihnachtsmorgen allein am Frühstückstisch. Die Zeitung lag unangetastet neben ihm, der Kaffee war längst kalt geworden, das Frühstück noch immer unangetastet. Ron hatte keinen Hunger.
 

Es war noch mitten in der Nacht gewesen, als Hermine aufgestanden war, um wie jedes Jahr zur Arbeit zu fliehen. Zu gerne hätte er endlich Normalität in ihr Leben einkehren lassen. Er wollte es eigentlich schon seit sehr langer Zeit, so schwer es auch war, aber Hermine ließ es einfach nicht zu.
 

Und so saß er auch dieses Jahr wieder allein vor seinem Weihnachtsfrühstück, ohne Appetit, ohne Antrieb. Er mußte zumindest ein wenig essen, sonst würden die Hauselfen wieder einen Anfall bekommen. Hermine hatte noch immer die dumme Angewohnheit, freie Hauselfen gegen Bezahlung anzustellen, und die neigten gerne zu theatralischen Szenen, gerade so als würde er sofort vom Fleisch fallen oder sogar verhungern, weil er einmal keinen Appetit hatte.
 

Lustlos erstach er sein Rührei mit der Gabel. Es hatte gut gekämpft, Zeit es zu essen.
 

Es schmeckte schal, obwohl es garantiert vorzüglich war. Alles was diese Hauselfen machten, war einfach vorzüglich, doch an Tagen wie diesem schmeckte einfach alles nur schal. Da konnte man nichts machen. Nur lächeln und hoffen, daß der Tag irgendwann vorbei war.
 

Hermine würde notgedrungen gegen Mittag wieder nach Hause kommen. Selbst sie würde es nicht wagen, das Essen bei den Schwiegereltern ausfallen zu lassen, nur weil sie mal wieder vor der Vergangenheit davonlief. Ron wußte, daß seine Mutter das sofort durchschauen würde. Und Hermine wußte das ebenso. Im ersten Jahr ihrer Verlobung hatte sie es versucht. Es war das einzige Mal geblieben, denn Molly Weasley hatte ihr ganz gehörig den Kopf gewaschen.
 

Ron bedauerte nur, daß es nicht zu mehr gereicht hatte, als sie dazu zu bringen, das Familienessen in ihre Weglaufstrategie einzuplanen. Vielleicht sollte er seiner Mutter noch einmal Hinweise geben. Sie konnte seiner Frau so viel besser den Kopf zurecht rücken als er selbst. Wenn es um Hermine ging, war Ron auch nach all den Jahren noch immer nicht in der Lage, die Samthandschuhe auszuziehen. Wenn er auch nur daran dachte, hatte er sofort wieder das Bild von Hermine vor Augen, als sie damals nach der Todessersache nach Hogwarts zurückgebracht worden war.
 

Damals war die alte Hermine verschwunden und Ron traute sich nicht, die neue Hermine auch nur ein wenig härter anzusprechen.
 

Sie war so extrem zerbrechlich, nur noch ein Schatten im Vergleich zu früher. Es hatte an seinen Gefühlen für sie nichts geändert. Manchmal schien es ihm, daß nichts etwas an diesen Gefühlen ändern konnte. Aber es tat manchmal schon ganz schön weh, das war nicht zu leugnen. Er vermißte die alte Hermine und er wußte, daß er alles dafür geben würde, sie wieder zurück zu bekommen.
 

Sie waren sich früher schon oft uneinig gewesen, hatten sich gestritten, manchmal waren sogar sprichwörtlich die Fetzen geflogen. Aber das war ja gerade die Spannung gewesen, die ihre Beziehung von Anfang an ausgemacht hatte. Trotzdem waren sie irgendwie immer zu einer Lösung gekommen, waren Kompromisse eingegangen. Jetzt ging das nicht mehr. Streiten ja, Kompromisse nein.
 

An Weihnachten spürte Ron immer besonders deutlich, wie einsam er sich fühlte, wie sehr er sich wünschte, daß endlich Leben in dieses Haus kam. Doch Hermine weigerte sich, auch nur an Kinder zu denken. Sie wollte keine und damit war das Thema für sie erledigt. Sie machte sich nicht die Mühe, Ron auch nur einen einzigen Grund dafür zu nennen. Nein und Schluß.
 

Ron wußte, daß er daran nichts ändern konnte, wenn sie es wirklich nicht wollte, aber es änderte nichts an seinem Wunsch und an dem Verdacht, daß diese Weigerung mit dem zusammenhing, was damals passiert war. Hermine sprach nie darüber, obwohl es schon Jahre her war. Es hätte ihr sicher geholfen, wenn sie mal mit irgendwem über die Geschehnisse gesprochen hätte.
 

Er hatte es aufgegeben, deswegen auf sie einzureden. Das führte nur zu Streit und Streit verlor er unweigerlich. Mit Samthandschuhen konnte man ihn nicht gewinnen. Er vermißte die alte Zeit, nicht nur die alte Hermine. Ein wehmütiges Lächeln legte sich auf seine Lippen.
 

Ron drehte den Kopf, als die Tür zum Eßzimmer sich öffnete und einer der Hauselfen den Raum betrat. Eine Eule flatterte hinter ihm herein.
 

"Master Weasley, Sir, Post für Master Weasley", quiekte der Elf.
 

"Danke", entgegnete Ron. Er fühlte sich noch immer ein wenig als würde er neben sich stehen und sich selbst beim Reden und Handeln zusehen. Die Eule landete neben ihm auf dem Eßtisch und streckte ihm das Bein mit dem Brief entgegen. Während er den Brief losband, registrierte er am Rande, daß er die Eule nicht kannte. Es war also keine Post von Bekannten, die eine eigene Eule besaßen. Vermutlich war es Post aus dem Ministerium.
 

"Ich danke dir", sagte er zu der Eule, die mit einem leisen Schuhu wieder abhob und durch die Tür nach draußen flog, die der Hauself zu diesem Zweck offen gelassen hatte. Im nächsten Moment fiel sie ins Schloß.
 

Langsam und mit nur wenig Interesse entrollte Ron den Brief. Was konnten die wohl schon wieder wollen? Seine Mitarbeiter wußten doch ganz genau, daß der Weihnachtstag tabu war. So war es schon immer gewesen. Kein Weasley im Ministerium stand an diesem Tag für irgendwas zur Verfügung. Ron mußte lächeln. Seine Mutter genoß einen ziemlich zweifelhaften Ruf im Ministerium aufgrund ihrer resoluten Art. Er vermutete, daß irgendwer irgendwann einmal versucht hatte, seinen Vater an Weihnachten arbeiten zu lassen.
 

Fast schon gedankenverloren glitten seine Augen über die Zeilen. Der Brief war kurz. - Und er war nicht aus dem Ministerium. Rons Finger verkrampften sich um die Kanten des Pergaments.
 

Er las den Brief einmal, dann noch einmal. Doch noch immer verschloß sich der Inhalt vor ihm. Was war das? Das war unmöglich. Das ging doch nicht.
 

"Harry... wie soll das gehen? Du bist tot!" flüsterte er fassungslos, nachdem er den Brief ein drittes Mal gelesen und schließlich mitsamt seinen Händen auf seinen Schoß hatte sinken lassen. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren und er glaubte sogar, sein eigenes Herz schlagen zu hören. Wieder blickte er auf den Brief, die wenigen Worte, die Handschrift, die sich zwar verändert hatte, die er aber noch immer erkannte.
 

Von einer Sekunde auf die andere änderte sich der leere Ausdruck auf Rons Gesicht in Wut. Er fühlte sie heiß und unaufhaltsam in sich auflodern und mit einem halben Schrei sprang er auf, stieß dabei seinen Stuhl um, der krachend auf dem Boden aufschlug.
 

"Verdammt, Harry. Was ist das hier schon wieder? Was soll diese Scheiße? Gar nicht tot. Oh man, ich rate dir, daß du dafür eine gute Erklärung hast." Ron wußte, daß er gegen Luft ankeifte und jeder ihn wohl für verrückt halten würde, könnte er ihn jetzt sehen, aber er mußte der Wut Luft machen, sie loswerden. Er spürte eine Feindseligkeit, wie er sie noch nie mit Harry in Verbindung gebracht hatte. Er wußte nicht einmal, wo sie herkam, aus welcher dunklen Ecke seines Bewußtseins. Aber sie war da und sie nagte an ihm.
 

Selbst während ihrer größten Streits früher - und davon hatte es mehr als einen gegeben - hatte Ron sich noch nicht einmal annähernd so gefühlt, wie jetzt. Er war oft eifersüchtig auf Harry gewesen, hatte Mißgunst gewittert, wenn da keine war und hatte Harry noch viel öfter dafür verwünscht, daß er der Junge, der lebte und ständig im Mittelpunkt stand, war. Heute fühlte er zum ersten Mal, daß er so wütend auf Harry war, daß er ihn am liebsten aus seinem Leben streichen wollte. - Wo er doch gerade erst wieder darin aufgetaucht war. Wie widersinnig.
 

Fast so widersinnig, wie die Tatsache, daß sein Bauch so empfand, sein Kopf aber sagte, daß er sich freuen mußte, dankbar dafür sein sollte, daß er diese Zeilen hatte lesen dürfen. Sie enthielten doch alles, was sie sich in den letzten vier Jahren immer wieder gewünscht hatten! Wer von ihnen hatte nicht darum gebeten, daß alles nur ein böser Traum gewesen war und Harry einfach wieder auftauchen würde, als sei nichts geschehen.
 

Das konnte doch kein Fall von "Paß auf, was du dir wünschst" sein! Das war gut. Keine böse Überraschung, nichts, was man sich sofort wieder rückgängig wünschte. War es doch.
 

Unsicherheit hatte die Wut ein wenig verdrängt. Unsicherheit war Ron allerdings auch viel lieber als die Wut. Unsicher durfte er in dieser Situation sein, das war kein falsches Gefühl. Zumindest so lange Hermine noch nichts davon wußte. Ron wußte es zwar nicht sicher, aber er wettete fast darauf, daß Hermine noch schlimmer reagieren würde, daß er dann nicht mehr unsicher sein konnte, weil er seine Frau stützen mußte. Er hoffte plötzlich mehr als alles andere, daß sie so oder so ähnlich reagieren würde, denn alles andere, was er sich vor seinem inneren Auge ausmalte, war sehr viel unschöner. Er wußte, wie impulsiv Hermine reagieren konnte, wenn eine Situation sie überforderte. Ihr Nervenkostüm war in den letzten Jahren mehr als dünn geworden und manchmal verlor sogar ihr kühler Kopf die Beherrschung. Seltsam, aber alles schon erlebt.
 

Hermine... Er mußte es ihr sagen. Sie mußte es wissen. Und dann mußten sie nach Hogwarts. Harry hatte geschrieben, daß er dort war. Was tat er dort bloß? Klar, er hatte immer gesagt, Hogwarts sei wie ein Zuhause für ihn, aber warum kam er nicht zu seinen Freunden? Warum versteckte er sich bei Dumbledore und den anderen Lehrern?
 

Auf den Gedanken, daß Harry aus lauter Angst nicht zu ihnen gekommen sein könnte, kam Ron überhaupt nicht, seine erste wütende Reaktion schon fast wieder aus seinem Kurzzeitgedächtnis verdrängt.
 

Hektisch rollte er den Brief wieder zusammen, ließ einen fahrigen Blick über das immer noch fast unangetastete Frühstück gleiten. Zum Teufel mit dem theatralischen Anfall irgendeiner Hauselfe. Jeder noch so kleine Rest von Appetit hatte sich gerade eben verabschiedet. Mit wenigen Schritten hatte er den großen Raum durchquert und kam vor dem Kamin zum Stehen. Einen Moment lang betrachtete er die Schale mit dem Flohpulver auf dem Sims fast unschlüssig. Doch dann griff er hinein und warf eine Prise des Pulvers in die flackernden Flammen, die sich augenblicklich leuchtendgrün verfärbten.
 

"Hermines Büro", sagte er leise, aber deutlich. Wenige Augenblicke später erschien Hermines Gesicht in den Flammen. Durch die grüne Farbe der Flammen wirkte es gespenstig.
 

"Ron, was ist los? Ich hab noch zu tun", begrüßte sie ihn sofort abweisend. Dieser frostige Ton war ebenfalls etwas, was nur für Weihnachten reserviert war. Und nur für die wenigen Versuche während dieser Tage, sie von ihrer Verdrängungstherapie fernzuhalten.
 

"Du mußt sofort nach Hause kommen, Hermine."
 

"Ron..." Eine unwirsche Handbewegung Rons brachte sie sofort zum Schweigen.
 

"Nein, heute nicht. Es ist wirklich wichtig. Die müssen heute ohne dich klarkommen." Hermine runzelte die Stirn, ganz offensichtlich ganz und gar nicht zufrieden mit dem, was Ron von ihr wollte.
 

"Sag mir wenigstens, was los ist. Ich kann doch nicht einfach alles stehen und liegen lassen. Es reicht schon, daß ich heute so früh hier weg muß, damit wir zu deinen Eltern können."
 

"Ich werde es dir sagen, sobald du da bist. Und diese verdammte Zeitung wird schon nicht gleich den Bach runter gehen, weil du einen Tag ausfällst." Es behagte Hermine nicht, dieser Aufforderung Rons zu folgen, aber ob es jetzt der bestimmte Ton war oder die Unnachgiebigkeit, die er seit langem mal wieder präsentierte, konnte sie nicht sagen. Irgend etwas brachte sie dazu, daß sie schließlich nickte.
 

"Ich bin in ein paar Minuten da. Laß mich hier wenigstens noch ein paar Dinge in Ordnung bringen." Ron nickte und unterdrückte den starken Drang in sich, ihr selbst das zu verwähren. Es grenzte immerhin schon an ein Wunder, daß er sich überhaupt so weit durchgesetzt hatte. Jetzt nur nicht übertreiben, das könnte fatal werden.
 

Wirklich kaum fünf Minuten später trat Hermine aus dem Kamin im Eßzimmer heraus und klopfte sich ein paar Ascheresten von ihrem nachtblauen Umhang. Sie sah noch immer etwas ärgerlich aus, aber was hatte er erwartet. Dieses Gesicht beunruhigte ihn weniger als das, was er wahrscheinlich schon in ein paar Augenblicken sehen würde. Seine Vorstellungskraft schien da recht eindeutige Tendenzen zu haben und keine davon war angenehm.
 

"Also, was ist so ungemein wichtig, Ron Weasley?" Hermines Ton war noch immer eisig. Ron konnte den ganzen, verdammten Eispanzer um sie herum fast wirklich fühlen. Zumindest wurde ihm von Sekunde zu Sekunde kälter.
 

"Setz dich bitte, Schatz", versuchte er, doch Hermine verschränkte stur die Arme vor der Brust und hob eine hellbraune Augenbraue so weit wie möglich an. Manchmal, wenn sie das tat, hatte er die Vermutung, daß sie sich das bei einem ganz bestimmten Professor in Hogwarts abgeguckt hatte. Auch wenn ihre sonstige Erscheinung ihn manchmal viel mehr an seine alte Hauslehrerin erinnerte. Wie er es haßte, wenn sie ihre Haare so streng zurückkämmte. Das sah dann immer aus...
 

Ron schüttelte den Kopf, fühlte wieder ein wenig Ärger in sich. Er lief weg, dachte über Blödsinn nach, weil er den Brief nicht rausrücken wollte. Er war kein Kind mehr!
 

"Hier. Der kam gerade eben an." Hermines Blick wurde noch skeptischer, als sie auf die Pergamentrolle in Rons Hand sah. Doch als er keine Anstalten machte, noch etwas dazu zu sagen, griff sie schließlich danach und begann wenig interessiert, den Brief zu lesen.
 

Ihr Interesse wandelte sich jedoch schlagartig in einen handfesten Schreck. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, die Härte verschwand von ihren Zügen und ihre Hände begannen zu zittern. Ron wollte etwas sagen, doch er traute sich noch weniger an sie heran, wenn sie so offensichtlich geschockt war. Dann neigte sie dazu, vollkommen aus der Haut zu fahren, wenn man sie noch dazu überraschte.
 

Hermine hörte die Worte in ihrem Kopf nachhallen. Mit einem mal erschien ihr die gesamte Welt um sie herum nur noch als unwirklich, schon lange nicht mehr real. Das hier konnte nichts anderes als ein Traum sein. Wie sonst war das zu erklären? Ihre Augen starrten noch immer auf das Pergament, doch die Worte verschwammen vor ihren Augen.
 

Es tut mir leid...
 

Hätte das nicht tun dürfen...
 

Ich bin in Hogwarts...
 

"Das ist ein schlechter Scherz!" fuhr sie schließlich aus ihrer Erstarrung auf und schleuderte den Brief von sich, als hätte sie sich an ihm verbrannt. Während der Rest ihres Gesichtes noch immer kalkweiß war, hatten ihre Wangen wieder eine ungesunde rote Farbe angenommen. Ihre Augen funkelten.
 

"Irgend jemand treibt da einen ganz grausamen Scherz mit uns. Harry ist tot! Das ist Quatsch! Du glaubst das doch nicht etwa oder Ron?" Doch Ron schwieg. Er wußte nicht, was er sagen sollte. Das hier paßte nicht in das Muster, das er sich als Reaktion vorgestellt hatte. Und er glaubte, daß dieser Brief wirklich von Harry kam. Er wußte es. Und genau das konnte er Hermine jetzt nicht sagen. Es war unvorhersehbar wie heftig sie dann erst reagieren würde.
 

"Es ist seine Schrift", wandte Ron zaghaft ein und erntete dafür einen weiteren vernichtenden Blick von seiner Frau.
 

Hermine konnte vor ihrem inneren Auge sehen, wie sie fiel. Sie konnte sich schreien hören. Und sie sah nichts, woran sie sich festhalten konnte. Harry wieder da? War das nicht eigentlich eine gute Nachricht? Sie verstand nicht, warum sie ihr dann den Boden unter den Füßen wegzureißen schien. Das war doch nicht richtig. Sollte sie sich nicht eigentlich freuen?
 

"Was sollen wir jetzt tun?" Erst jetzt wagte Ron sich, sich neben seine Frau auf das Sofa zu setzen. Jetzt hatte sie wieder diese Tonlage, in der sie nicht mehr austickte. Dieses ruhige, resignierte Etwas. Er kannte das alles schon so gut.
 

"Wir sollten erst zu meinen Eltern zum Essen gehen. Wir lassen uns nichts anmerken. Und sobald wir dort verschwinden können, gehen wir nach Hogwarts und stellen die Sache klar. Dumbledore wird uns schon sagen, ob es wahr ist oder nicht."
 

"Du glaubst, daß es wahr ist oder?" braune Augen blickten ihn hilfesuchend an. Sie war nur selten da, diese unsicher, schutzbedürftige Hermine. Meistens verbarg sie sich hinter der Eisschicht, die Ron inzwischen so haßte. Behutsam legte er seinen Arm um ihre Schultern und zog ihren Kopf an seine Brust.
 

"Ich hoffe es. Ich möchte Harry so gerne zurück, daß ich gar nicht anders kann, als zu hoffen, daß es wahr ist." Hermine antwortete nichts. Sie war zu verwirrt, sich ihrer eigenen Gefühle zu unklar. War sie nun wütend oder nicht? Sie fühlte es brodeln, aber nur ganz sacht. Andere Gefühle erschienen im Moment so viel stärker. Allen voran die Verwirrung.
 

~*~
 

Ron war sich nicht sicher gewesen, warum er von Anfang an gedacht hatte, daß seine Eltern keinen Brief erhalten hatte, aber es war tatsächlich so. Molly und Arthur Weasley verhielten sich wie immer, genau wie Rons Brüder, Ginny und diverse Ehepartner, Lebensgefährten und dazugehörige Kinder. Einzig Remus und Sirius waren nicht wie immer. Auch das sah Ron sofort. Genau wie Remus ihn und Hermine sofort als wissend erkannte.
 

Es war ein merkwürdiges Gefühl. Sie mußten sich nicht erst absprechen, um zu wissen, daß sie so bald wie möglich von hier aufbrechen würden, um dann gemeinsam nach Hogwarts zu reisen. Eine stille Übereinkunft, aber fest wie ein Vertrag.
 

Die kleine Charlotte zupfte gerade an Remus' Ärmel und bewies dabei eine beharrliche Geduld, denn Remus schien das gar nicht zu bemerken. Sirius sah es als erster und stupste seinem Freund sachte in die Seite. Erschrocken kam Remus in das hier und jetzt zurück.
 

"Papa Remus, darf ich bitte aufstehen?" fragte Charlotte und setzte dabei ihr Engelgesicht auf, mit dem sie fast alles erreichen konnte. Und das wußte das Kind auch sehr genau. Remus lächelte.
 

"Bist du schon fertig?" Charlotte nickte heftig.
 

"Na gut, dann geh." Liebevoll blickte Remus seiner Ziehtochter nach, als sie vom Tisch aufsprang und rüber zu der neuesten Generation Weasley hüpfte, die schon damit beschäftig war, einige ihrer neuen Geschenke auszuprobieren.
 

Es war anfangs nicht einfach gewesen, aber dieses Kind war nach Harrys... Verschwinden das beste gewesen, was ihnen hatte passieren können. Sie hatte sie beide - ihn und Sirius - aus ihrer Lethargie herausgeholt, als sie zu versinken drohten. Sie war damals nicht mehr gewesen als ein verwaistes Kleinkind. Die Tochter von Todessern, die durch den Kuß der Dementoren zu lebenden Toten geworden waren.
 

Sie war eine von sehr vielen Kindern, die über den Krieg alles verloren hatten und jetzt auch noch gegen die Vorurteile kämpfen mußten, weil viele sie einfach nicht haben wollten. Das Böse steckt in den Genen. Die Brut ihrer Eltern. Tickende Zeitbomben. Das waren nur einige der Dinge, die Kinder wie Charlotte sich anhören mußten, wenn ihre Herkunft bekannt wurde.
 

Remus und Sirius achteten peinlich genau darauf, daß Charlottes wahrer Name nicht bekannt wurde. Sie hatten beide mehr als genug Erfahrung damit, von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden für etwas, für das sie selbst gar nichts konnten.
 

Das war eine Aufgabe gewesen. War es immer noch. Charlotte war zum Zentrum ihrer beider Leben geworden. Sie konnte Harry nie vergessen machen, aber das sollte sie ja auch gar nicht. Remus und Sirius hatten ihr geben wollen, was für Harry zu spät gekommen war. Und das hatte gewirkt. Sirius ging es noch immer nicht wirklich gut, aber wenn es um Charlotte ging, konnte er weit über sich hinauswachsen.
 

Doch jetzt war Harry ja wieder da. War dann jetzt vielleicht endlich die Zeit vorbei, in denen er seinen besten Freund niedergeschlagen oder depressiv sehen mußte, bis dieses Kind mit seinen großen, dunkelbraunen Augen kam? Er hoffte es so sehr, auch wenn er noch immer nicht wirklich wußte, was er von dieser Rückkehr zu halten hatte. Es ging noch über seinen Verstand.
 

"Remus, mein Lieber, geht es dir nicht gut?" Innerlich fluchte Remus unflätig. Er war schon wieder total in seinen Gedanken versunken. Noch auffälliger ging es ja gar nicht mehr. Er setzte ein möglichst freundliches Lächeln auf, um Mollys Sorge zu zerstreuen.
 

"Nein, mir geht es bestens, Molly. Ich bin nur sehr müde, unser kleiner Quälgeist hat heute einen neuen Rekord im Frühaufstehen aufgestellt." Sieben Kinder, Remus konnte nur hoffen, daß sie das nur zu gut kannte und es ihm abkaufte. Doch Molly lächelte und zwinkerte ihm zu.
 

"Ja, ja, das wird auch noch ein bißchen schlimmer werden. In dem Alter sind sie alle so. - Aber sie ist ein liebes Mädchen. Ihr macht das sehr gut mit ihr. Was natürlich nicht heißt, daß ihr euch nicht endlich auch mal nach einer Mutter umsehen solltet. Ihr seid doch keine häßlichen Männer, einer von euch beiden muß doch endlich eine nette Freundin finden." Remus lachte herzlich, als er ihren erhobenen Zeigefinger sah. Es war doch immer das selbe, früher oder später kam Molly auf das Thema zu sprechen. Dabei war es ja nun nicht so, daß Sirius oder er sich das so wünschten.
 

"Ach Molly, du weißt doch selbst, jeden Monat die Wolfshaare aus dem Teppich kriegen, das ist kein Zuckerschlecken. Und Sirius hat es auch nicht einfach. Wer seinen Ruf als wahnsinniger Mörder und treuen Untergebenen von Voldemort vergessen hat, erinnert sich dafür um so genauer daran, was für ein Aufreißer unser lieber Sirius in jungen Jahren war."
 

"Es muß doch eine geben, da bin ich mir sicher. Ich werde sie schon finden." Remus schenkte ihr ein warmes Lächeln. So endete dieses Gespräch immer. Molly Weasley war eine Mutterglucke und seit einigen Jahren war sie es auch für Sirius und ihn. - Auch wenn die Beziehung von Sirius und Molly alles andere als harmonisch oder auch nur halbwegs reibungslos verlief. Dafür waren die beiden sich vom Temperament her wohl zu ähnlich.
 

"Kann ich dich gleich kurz sprechen, Molly?" schaltete sich nun Sirius ein, der sich bisher die meiste Zeit sehr ruhige verhalten hatte.
 

"Aber sicher, mein Junge. Du kannst mir beim Abwasch helfen, da haben wir jede Menge Zeit." Molly lachte, als Sirius das Gesicht verzog.
 

~*~
 

Albus Dumbledore hatte eigentlich schon viel früher mit der Ankunft von Sirius, Remus, Ron und Hermine gerechnet und war somit nicht sonderlich überrascht, als die vier Hogwarts am frühen Nachmittag einen unangemeldeten Besuch abstatteten. Als Severus an diesem Morgen sein Weihnachtsgeschenk bei ihm abgeholt hatte, hatte er ihm von Harrys Briefen erzählt und daß sie das Schloß wie geplant noch an diesem Morgen verlassen würden.
 

Severus mußte Albus nicht erst darauf hinweisen, daß er ihren Aufenthaltsort nicht verraten durfte, wenn die Invasion wirklich kam. Spätestens beim Blick in die Gesichter seiner Besucher, war absolut klar, daß sie alle noch nicht bereit waren, dieser Situation wirklich ins Gesicht zu sehen. In den Gesichtern von Ron und Sirius sah er nur zu deutlich, daß sie sich nicht entscheiden konnten, ob sie nun Freude oder Ärger empfinden sollten. Hermine und Remus wirkten nervös, fast schon ängstlich.
 

Nein, es war gar nicht verkehrt, daß die erste Begegnung noch nicht stattfand.
 

"Was für eine Überraschung. Was kann ich für euch tun, meine Lieben?" begrüßte er sie mit einem Funkeln in den blauen Augen. Mit einem Wink seines Zauberstabs schwebten zwei weitere Stühle zu den beiden, die immer vor seinem Schreibtisch standen und die vier kamen der stummen Aufforderung nach, sich zu setzen.
 

Einen kurzen Moment herrschte Schweigen, dann faßte Remus sich endlich ein Herz.
 

"Albus, wir haben heute morgen Post bekommen. Ich glaube, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß wir mehr als nur überrascht waren." Die anderen drei nickten, als sei das ihr Stichwort gewesen. Dumbledore lächelte ein wenig breiter.
 

"Die Briefe waren angeblich von Harry. - Albus, ist Harry hier? Ist das wirklich wahr?"
 

"Nein, um genau zu sein, ist Harry im Moment nicht hier. Er hat das Schloß heute morgen zusammen mit Severus verlassen. Er hat in der letzten Zeit nicht viel Gelegenheit gehabt, etwas anderes als die Kerker zu sehen, deshalb dachten wir, er hätte sich diesen kleinen Urlaub verdient." Dumbledore konnte sehen, wie besonders Sirius bei diesen Worten der Mund vor Verblüffung aufklappte.
 

"Severus?" fragte er mit einem deutlichen Zittern in der Stimme. "Severus ,Bastard' Snape?!"
 

"Na, na, Sirius. Wie oft muß ich dir noch sagen, daß eure persönliche kleine Fehde hier nichts zu suchen hat? Severus ist einer meiner Lehrer hier und ich erwarte, daß er mit Respekt behandelt wird, auch von dir." Doch auch dieser Tadel konnte den erneuten Schock nicht mildern. Das war einfach zu viel. Harry. Severus. Sirius spürte das hysterische Lachen in sich aufsteigen, das letztendlich nur dank seiner Willenskraft in seinem Hals stecken blieb.
 

"Was ist passiert, Albus? Wo ist Harry die ganze Zeit gewesen? Warum kommt er erst jetzt wieder zurück? Und wie lange ist er überhaupt schon wieder da?" Die Fragen sprudelten nur so aus Remus heraus. Eine für ihn vollkommen untypische Reaktion, aber nichtsdestotrotz nur allzu verständlich.
 

"Ich habe keine Ahnung, Remus. Severus hat Harry in London gefunden. Anfang Oktober. Bis jetzt hat er außer mit Severus noch mit niemandem im Schloß Kontakt aufgenommen. Ich muß sagen, ich war sehr überrascht, als Severus mir heute morgen von den Briefen erzählt hat. Ich hätte nicht gedacht, daß Harry das schon tun würde."
 

"Anfang Oktober?" schaltete sich nun auch Ron in das Gespräch ein. Seine Frage klang entsetzt, aber auch verletzt. "Das sind ja jetzt schon zweieinhalb Monate. Warum hat er so lange gewartet? Ich verstehe das nicht."
 

"Da bist du nicht der einzige, Ron. Aber es ist nun einmal so. Ich weiß auch nicht mehr. Harry ist jetzt seit knapp zehn Wochen wieder hier, hat den Kerker seitdem meines Wissens nach nur ein einziges Mal verlassen und spricht mit niemandem außer Severus." Sirius schien endlich wieder aus seiner Erstarrung zu erwachen.
 

"Er lebt bei ihm? Da unten in den Kerkern?" Dumbledore nickte. Falls er noch eine weitere Reaktion von seinem hitzköpfigen, ehemaligen Schüler erwartet hatte, wurde er allerdings enttäuscht. Sirius schüttelte einfach nur fassungslos den Kopf und fixierte dann seine Hände.
 

"Wo sind sie jetzt?" fragte Remus leise, ahnte jedoch schon, daß er von dem alten Zauberer darauf keine Antwort bekommen würde, mit der sie etwas anfangen konnten.
 

"An einem sehr ruhigen Ort, ein gutes Stück weg von hier. Aber mehr werde ich euch nicht sagen. Sie werden ein paar Tage vor dem Ende der Ferien wieder hier sein und dann wird Harry sich auch sicher mit euch treffen. Bis dahin gebt ihm noch etwas Zeit. Er machte eine wirklich schwere Zeit durch. Da ich nicht weiß, was in den letzten Jahren alles passiert ist, kann ich euch nicht sagen, wie schwer, aber ich habe Harry gesehen, als Severus ihn herbrachte.
 

Ihr müßt euch eins klarmachen." Die vier sahen Dumbledore an, warteten darauf, daß er weiter sprach. Doch der alte Direktor ließ sich absichtlich ein wenig Zeit, bis er sich sicher war, daß er auch wirklich ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, keiner mehr von irgendwelchen Fragen oder anderen Gedanken abgelenkt war.
 

"Harry war in einem furchtbaren Zustand, als er hier ankam. Er ist bei weitem nicht mehr der Alte und man braucht wirklich kein Zauberer zu sein, um zu sehen, daß er Furchtbares durchgemacht hat. Man sieht es ihm an und man spürt es, wenn man mit ihm zusammen ist. Bitte seid nicht erschrocken, wenn ihr ihn zum ersten Mal seht. Weist ihn nicht zurück, weil er sich verändert hat. Und habt vor allen Dingen Geduld mit ihm. Drängt ihn nicht mit euren Fragen. Ich weiß, daß sie euch unter den Nägeln brennen, aber glaubt mir, ihr werdet keine Antworten bekommen, wenn ihr das gleich falsch angeht.
 

Harry kommt mir im Moment manchmal wirklich vor wie ein sehr scheues Tier. Man muß behutsam mit ihm sein." Sirius und Ron starrten vor sich hin, Remus nickte und Hermine, nun ja, Dumbledore war sich nicht sicher, wie er Hermines Reaktion festmachen sollte. Sie wirkte mit einem Mal irgendwie abwesend.
 

"Gut, dann werden wir warten, bis Severus und Harry nach Hogwarts zurück kommen. - Dürfen wir Harry schreiben oder hältst du das für keine gute Idee?" fragte Remus nach einer kurzen Pause.
 

"Ich denke, das ist eine gute Idee. Ich weiß von Severus, daß er sehr viel Angst davor hatte, euch zu schreiben. Es wäre sicher gut für ihn, wenn er wüßte, daß ihr ihm nicht böse seid." Für einen kurzen Moment hatte Dumbledore das Gefühl, daß der Ausdruck auf Hermines Gesicht wieder härter wurde, aber im nächsten Moment war diese Härte auch schon wieder verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich nur getäuscht.
 

Remus dagegen nickte, fuhr sich dann mit den Händen über das Gesicht.
 

"Wie schlimm ist es, Albus? Du hast uns nicht alles gesagt, was du weißt, das spüre ich." Remus blickte dem alten Zauberer fest in die Augen und Dumbledore konnte das Flehen in ihnen nur allzu deutlich erkennen.
 

"Ich habe euch alles gesagt, was ich euch sagen kann, Remus. Den Rest müßt ihr von Harry selbst hören. Ich denke, das müssen wir alle einfach akzeptieren. Er muß entscheiden, was er wann erzählen will, das ist extrem wichtig für ihn.
 

Ich will euch nicht verheimlichen, daß es immer noch schlimm um ihn steht, aber es geht ihm im Vergleich zu vorher schon wieder sehr viel besser. Ich denke, daß er sein Leben wieder in den Griff kriegen wird, aber er braucht eben Hilfe von denen, die er liebt und das ohne zu viel Druck. Ich kann euch leider keine Details verraten." Remus nickte. Er war nicht zufrieden damit, aber akzeptierte ist. Was sollte er auch schon tun? Schließlich stand er auf.
 

"Halte uns bitte auf dem Laufenden, Albus." Dumbledore nickte. Und als wäre Remus' Aufstehen ein weiteres Signal für die anderen gewesen, standen auch sie nun auf und verließen wortlos das Büro des Direktors von Hogwarts. Remus und Dumbledore hielten noch für einen Moment Blickkontakt, doch dann wandte auch der Werwolf sich ab, um seinen Freunden zu folgen.
 

Die drei warteten bereits am Wasserspeier auf ihn. Sirius lehnte an der Wand und hatte die Hände in den Taschen der Jeans vergraben, die er heute trug. Er fixierte seine Schuhspitzen, als wollte er sie hypnotisieren, doch kaum hatte Remus den Fuß der Treppe erreicht, stellte er auch schon die Frage, die ihm auf der Seele brannte.
 

"Was machen wir jetzt, Remus?" Remus kämmte sich mit den Fingern durch die Haare und dachte einen Moment nach, bevor er schließlich in einem bestimmten Ton antwortete.
 

"Jetzt werden wir zwei zum Fuchsbau zurückkehren und Molly von Charlotte befreien. Dann geht's zurück nach Hause. Nach dem Abendessen bringen wir Charlotte ins Bett. Alles ist wie immer. Und wenn das dann geschafft ist, werden wir einen Brief an Harry schreiben. Das werden wir tun. Und mehr nicht.
 

Wir warten, bis Albus uns Bescheid sagt." Ein kaum sichtbares Nicken war Sirius' Reaktion. Remus wußte, daß er damit nicht einverstanden war, noch immer an der Tatsache knabberte, daß Harry tatsächlich schon seit Wochen bei Severus war, sich aber erst jetzt bei ihm gemeldet hatte, aber immerhin war Sirius bereit, sich auf diese Bedingungen einzulassen. Das war ein Anfang und selten einsichtig für seinen hitzköpfigen besten Freund.
 

Auch Ron schien mit der Idee, Harry vorerst nur zu schreiben einverstanden zu sein. Einzig Hermine zeigte überhaupt keine Reaktion, was nicht nur Remus, sondern auch Ron sofort auffiel.
 

"Wir werden jetzt auch nach Hause gehen. Ist wohl das beste, was wir jetzt machen können. Immerhin wissen wir schon ein kleines bißchen mehr, das ist doch schon mal was." Hermine schnaubte leise, sagte aber nichts. Auch diese Reaktion blieb nicht unbemerkt, doch Remus schwieg dazu.
 

~*~
 

Die Luft war eisig kalt, der Wind schneidend. Er kroch gemein durch jede Ritze seines Umhangs und ließ ihn frösteln. Aber die Kälte konnte Harry nicht davon abhalten, trotzdem Stunde für Stunde auf der Bank vor dem kleinen Haus zu sitzen, in das Severus ihn gebracht hatte.
 

Alles um ihn war atemberaubend und es mußte einfach bewundert werden. Drinnen konnte er auch noch sein, wenn es Nacht wurde und man nichts mehr von der schönen Umgebung erkennen konnte. Er verstand gut, warum Severus sich ausgerechnet hier seinen Hoffnungsanker gesetzt hatte. Es war einsam, das Haus klein und einfach, aber nichtsdestotrotz war es perfekt. An so einem Ort würde auch er gut leben können. Vielleicht besser als anderswo sonst.
 

Das kleine Haus - ein Cottage, wie sie in Wales und Schottland nicht selten waren - stand mitten in einer Talsenke. Rund um das Haus gab es nur Wiesen über Wiesen, die jetzt unter einer dicken Schneeschicht lagen, ein paar Bäume und ein Fluß, der behindert durch das Eis an seinen Rändern jetzt etwas langsamer floß. Andere Häuser waren weit und breit nicht zu sehen. Dafür aber ein kleines Waldstück, das einige hundert Meter vom Haus entfernt begann und sich bis zu den Bergen ausbreitete, die diese Talsenke einrahmten.
 

Severus hatte ihm erzählt, daß das nächste Dorf eigentlich gar nicht weit entfernt war, es lag durch das Wäldchen nur gut versteckt.
 

Irgendwo hinter der Bergkette begann auch schon der Ozean. Man konnte ihn zwar nicht sehen, aber der Geruch wurde über die Berge hinweg bis in dieses Tal getragen. Es war ein traumhafter Ort.
 

"Ich hatte zwar gesagt, daß du mal wieder etwas Frischluft schnappen solltest, aber ich meinte eigentlich nicht, daß du dir gleich den Tod holen solltest." Harry blickte auf, lächelte. Severus setzte sich neben ihn, verschränkte die Arme vor der Brust, um so die Wärme unter seinem Umhang zu halten.
 

"Ich kann mich nicht losreißen", gestand Harry.
 

"Es läuft dir aber ganz sicher nicht weg. Diese Berge haben sich in den letzten Jahrhunderten nur sehr wenig bewegt", entgegnete Severus amüsiert. Seit sie das Schloß verlassen hatte, hatte Harry den Eindruck, daß eine Last von den Schultern des Älteren genommen worden war. Es fiel ihm nicht mehr so schwer, auch mal ein Lächeln zuzulassen und hin und wieder hatte Harry sogar die größenwahnsinnige Vorstellung, Gefühlsregungen auf Severus' Gesicht erkennen zu können. Die Momente waren allerdings so extrem kurz, daß er sich selbst nicht wirklich glaubte.
 

"Eigentlich ist Snowdonia eine Touristenattraktion", bemerkte Severus fast beiläufig, als er sich seinerseits Harry in dessen Bewunderung anschloß. "Ein großer Teil dieses Stücks von Wales ist ein Nationalpark, der zweitgrößte in ganz Großbritannien."
 

"Wie kommt es dann, daß es hier noch so ruhig ist?" fragte Harry überrascht. Er wußte, daß Nationalparks unter einem besonderen Schutz standen und er deshalb keine Skigebiete zu erwarten hatte, aber diese Gegend hier wirkte ihm einfach zu unbesiedelt, zu frei von Attraktionen, um wirklich ein Touristenmagnet zu sein.
 

"Die meisten kommen im Sommer. Jetzt ist es ihnen zu kalt und man kann einfach zu wenig machen. Wer möchte jetzt schon in den Bergen rumklettern oder sich eine der vielen Burgen ansehen? Und schwimmen kann man bei den Temperaturen auch nicht, wenn man nicht gerade Eisschwimmer ist.
 

Aber im Sommer kann man das alles hier machen und dann sind sie da. Wie Ratten. Aber sie kommen selten bis hierhin." Harry lachte bei der Verstellung einer Ratteninvasion, bei der die Ratten alle menschliche Gesichter hatten und irgendwie leicht blöde aus der Wäsche guckten.
 

Severus quittierte diese Reaktion mit einem Lächeln. Er hatte sich schon gedacht, daß diese Auszeit Harry gut tun würde, aber er hatte nicht mit einem so schnellen Erfolg gerechnet. Harrys Laune war beachtlich gestiegen. Er zuckte leicht zusammen, als Harry sich plötzlich an ihn lehnte. Die Ereignisse des Vormittags spielten sich noch immer allzu deutlich vor seinem inneren Auge ab. Und was vielleicht als eine unschuldige Geste gedacht gewesen war, ließ Severus' Herz rasen und seinen Adrenalinspiegel steigen.
 

"Du frierst", stellte er nach ein paar Sekunden fest. Er konnte Harrys Zittern nur allzu deutlich durch die beiden dicken Winterumhänge spüren, die sie trugen.
 

"Es ist kalt", entgegnete Harry vollkommen gleichgültig. Und es war ihm tatsächlich vollkommen egal. Noch mehr als noch vor ein paar Minuten, denn jetzt war das atemberaubende Gesamtbild komplett. Severus hatte darin noch gefehlt, auch wenn er das erst jetzt bemerkte. Und zur Hölle mit all der Kälte auf dieser Welt, sie interessierte ihn im Moment nicht ein winziges Stück.
 

Vorsichtig breitete Severus seinen Umhang über Harry aus, der sich noch enger an ihn kuschelte. Der Umhang war zwar breit, aber trotzdem hatte er der Kälte jetzt viel mehr Angriffsfläche geboten. Doch so lange er auf diese Weise auf Harrys Nähe reagierte, würde ihm vermutlich jede noch so große Kälte egal sein. Ihm war fast schon heiß.
 

Alberner, alter Narr, schalt er sich selbst, doch er tat nichts dagegen, versuchte nicht, das Gefühl niederzukämpfen. Er mochte es, auch wenn es wieder nur viele Hoffnungen weckte, die dann vielleicht nie erfüllt wurden.
 

Stelle Harrys Integrität nicht in Frage. Immer wieder sagte er sich in Gedanken diesen Satz auf, machte ihn zu seinem Mantra. Irgendwann würde es seine Zweifel auslöschen. Hoffentlich bald.
 

"An was für einem Ort bist du aufgewachsen?" Harrys Stimme klang ungewöhnlich laut nach den Minuten in absoluter Stille. Severus sah ihn einen Moment lang an, doch Harry blickte weiter hinaus über die verschneiten Wiesen, erwiderte seinen Blick nicht.
 

"An keinem vergleichbaren", antwortete er schließlich vorsichtig. Er wollte erst abwägen, worauf Harry hinaus wollte, wußte nicht, ob er wirklich schon bereit war, noch mehr von seinem Leben, seiner Kindheit, vor dem jungen Zauberer auszubreiten. Er wußte ohnehin schon viel mehr als jeder andere, vielleicht sogar mehr als Albus. Aber bei Albus Dumbledore war man sich ja nie sicher, wie viel er wirklich wußte.
 

"Ich auch nicht. - Aber ich wäre gerne hier aufgewachsen." Severus lächelte. Ganz unwillkürlich strichen seine Finger unter dem Umhang über Harrys Schulter. Eine stetige Bewegung.
 

"Wärst du nicht. Du hättest es schon sehr bald als furchtbar einsam und langweilig empfunden. Wir Menschen reden uns nur dann, wenn wir erwachsen sind und solche Dinge, wie diese Abgeschiedenheit hier genießen können, gerne ein, daß wir es gewollt hätten." Harry blickte ihn mit einem schiefen Grinsen an, seine grünen Augen funkelten spöttisch.
 

"Du klingst wie ein verkappter Kinderpsychologe. - Aber vielleicht hast du recht. Wahrscheinlich hätte ich mich nach einer Stadt gesehnt. Manchmal wüßte ich gerne, wo meine Eltern mit mir gelebt haben." Severus hielt überrascht inne, die Finger mit einem mal starr.
 

"Du hast Godric's Hollow noch nie gesehen?" Harry schüttelte den Kopf.
 

"Wann denn? Ich war doch immerzu in Gefahr, mußte immer auf der Hut sein, die letzten Jahre meiner Schulzeit sogar fast abgeschottet in den Sommerferien leben. - Und als ich ging, bin ich geradewegs nach London gegangen. Ich habe in den letzten vier Jahren nichts anderes gesehen." Severus runzelte die Stirn.
 

"Das sollte nicht sein. Du solltest was von der Welt sehen. Und nicht nur den Ort, an dem deine Eltern ihr Leben verbringen wollten." Harry drückte sich enger an ihn.
 

"Das klingt fast als wolltest du mir sagen, daß ich so bald wie möglich eine Weltreise antreten sollte", seine Stimme klang fast ängstlich.
 

"Warum auch nicht? Du bist ungebunden, jung, hast das Geld dazu. Und du hast so viel bisher verweigert bekommen. Ich würde dich nicht davon abhalten, endlich auch mal etwas zu tun, was dir vielleicht sogar Spaß machen könnte."
 

"Hör auf damit!" Severus konnte Angst in den grünen Augen erkennen. "Jetzt klingst du, als wolltest du mich persönlich wegschicken. Hör auf. Ich gehe nirgendwohin, wenn du nicht mitkommst."
 

"Harry..."
 

"Nein. Bitte bohr nicht weiter. Ich will nicht über so etwas sprechen. Das ist noch viel zu weit weg. Ich trau mich noch nicht allein aus Hogwarts raus und wir reden schon von Weltreisen. Das ist doch lächerlich." Severus konnte nicht leugnen, daß er ein wenig erleichtert über Harrys Worte war. Gleichzeitig hatte er sich aber gewünscht, wenigstens etwas Interesse in dem Jungen wecken zu können.
 

Er war sich noch nicht sicher, welche Gefühle es genau waren, die ihn dazu verleiten wollten, Harry eine solche Idee in den Kopf zu setzen, aber sie waren auf alle Fälle da. Noch waren sie schwach, aber vielleicht wurden sie irgendwann stärker und vielleicht wußte er dann auch, was sie waren.
 

"Ist dir schon wärmer?" fragte Severus sanft. Seine Finger hatten ihren streichelnden Rhythmus wieder aufgenommen und Harrys verkrampfte Haltung hatte sich auch schon wieder ein wenig gelöst.
 

"Ein wenig."
 

"Ich gehe rein und mache uns einen Tee, einverstanden? - Du solltest auch nicht mehr zu lange draußen bleiben. Glaub mir, morgen ist das alles noch genauso schön."
 

~*~
 

Da war eine deutliche Zerrissenheit in ihm. Ein Teil, der Harry um jeden Preis festhalten, ihn fast verzweifelt an sich pressen wollte. Und ein Teil, der Harry fortstoßen wollte. Weg von ihm, hinaus in das Leben, das er immer noch nicht gelebt hatte.
 

Obwohl Severus nicht weiter darüber hatte nachdenken wollen, waren diese Gedanken schlagartig in dem Moment wieder da gewesen, als sich die Haustür hinter ihm geschlossen hatte. Harry wollte noch draußen bleiben, bis der Tee fertig war, und Severus ließ ihn, nutzte die Zeit, um sich von diesen bohrenden Gedanken drangsalieren zu lassen. In Wahrheit war er eben doch ein Masochist.
 

Doch es war nicht nur seine eigene Zerrissenheit. Er war sich auch vollkommen klar darüber, daß selbst dann, wenn er akzeptierte, was Harry wollte und ihn tun ließ, was er für das richtige hielt, andere nicht so denken würden.
 

Sirius Black zum Beispiel. Severus konnte sich nur zu gut vorstellen, daß Hogwarts heute schon voller aufgelöster Besucher gewesen war, die am Morgen einen aufwühlenden Brief erhalten hatte. Aber noch viel besser konnte er sich vorstellen, was in Sirius vorging, nachdem er die wenigen Details über Harry erfahren hatte, die Dumbledore preisgeben würde. Zum Beispiel die Wahl seiner Gesellschaft.
 

Egal wie er selbst sich entschied, sein alter Feind würde alles tun, um es ihm und Harry so schwer wie möglich zu machen. Severus wußte nicht, ob er Harry das antun wollte.
 

Er selbst war nicht das Problem. Black und er hatten sich schon bekämpft, seit sie zum ersten Mal einen Fuß in die Hallen von Hogwarts gesetzt hatten. Sie waren sich ihrer gegenseitigen Abneigung von Sekunde eins an bewußt gewesen und es war dabei vollkommen egal, daß sie damals nicht mehr gewesen waren als zwei Jungs, die noch nicht ganz dem Kindesalter entwachsen waren. Ihre Fronten waren geklärt und Severus hatte kein Problem damit, mit Blacks irrsinnigen Vorwürfen zu leben.
 

Harry dagegen... Er sollte seinen Paten so nicht sehen. Er konnte sich vorstellen, daß Harry aus seiner Impulsivität heraus Partei für ihn ergreifen würde, was die Kluft nur noch einmal vertiefen würde. Blacks Verhalten würde den jungen Mann verletzen und er kannte sowohl Black als auch Harry inzwischen gut genug, um sich in der Sache nichts vorzumachen. Sie waren beide stur und hitzköpfig genug, daß es durch so etwas durchaus zu einer Eskalation, vielleicht sogar zu einem Bruch kommen würde.
 

Er war sich ziemlich sicher, daß Harry sich darüber gar nicht bewußt war, diesen Gedanken vermutlich auch sofort als Blödsinn abtun und von sich schieben würde. Also war es an ihm, diese Entscheidung zu treffen. Wollte er zugreifen und nehmen, was ihm geboten wurde oder wollte er wieder einmal verzichten?
 

Und worauf genau verzichtete er, wenn er es tat? Zu viele ungeklärte Fronten, zu viele Fragen.
 

Der Kessel auf dem Herd pfiff gellend und riß ihn aus seinen Gedanken zurück. Vorsichtig goß er den Tee auf und trug das Tablett mit der Kanne, den Tassen, Milch und Zucker in das angrenzende Wohnzimmer. Es war merkwürdig, solche Kleinigkeiten mal wieder ohne Hilfe der Hauselfen zu erledigen, aber wie immer in den seltenen Gelegenheiten, die sich im bisher geboten hatte, empfand er es als durchaus angenehm. Banalität hatte etwas Tröstliches.
 

~*~
 

"Harry, komm rein, der Tee ist..." Severus stolperte rückwärts in den Hauseingang zurück, als ihn ein Schneeball vollkommen unvorbereitet mitten ins Gesicht traf. Er konnte Harrys fast helles Lachen hören, doch nur langsam begriff er, was gerade passiert war. Fassungslos schüttelte er den Kopf, wischte sich den kalten Matsch aus dem Gesicht, der Schnee schmolz in der Wärme des Hausflures schnell.
 

Harry stand nicht weit von der Tür weg, ein triumphierendes Grinsen auf den Lippen, ein weiterer Schneeball wurfbereit in seiner rechten Hand.
 

"Eins zu null für mich, würde ich sagen", rief er fröhlich und noch bevor Severus antworten konnte, flog der nächste Schneeball, der an seiner Hand zerbarst, die er vollkommen automatisch hob, um sein Gesicht vor dem Wurfgeschoß zu schützen.
 

"Alle Achtung!", lachte Harry. "Eine wirklich beachtliche Reaktion für einen alten Mann." Das war zu viel für Severus. Seine Starre fiel augenblicklich von ihm ab und mit einem beinahe diabolischen Grinsen, kam er auf die Beine. Er wußte nicht, was ihn trieb, aber er wollte auf dieses Spiel eingehen.
 

"Ich zeig dir, was ein alter Mann so alles kann", knurrte er gespielt wütend. Und nur Sekunden später fanden die beiden sich in einer handfesten Schneeballschlacht wieder. Harry hatte viele solcher Schneeballschlachten in den Wintern in Hogwarts gekämpft, doch Severus konnte sich nicht daran erinnern, so etwas schon einmal getan zu haben, auch wenn er sich jetzt nicht mehr erklären konnte, warum er sich diesen Spaß hatte entgehen lassen.
 

~*~
 

Severus' Kleidung war tropfnaß, als sie endlich zurück ins Haus gingen, der Tee natürlich längst kalt. Doch statt ihn einfach mit einem Zauber aufzuwärmen, stellte er in der Küche neues Teewasser auf. Sie hatte nicht darüber gesprochen, aber trotzdem wollte Severus in diesen Tagen hier in der Einsamkeit so viel wie möglich auf die Art machen, wie Harry es am liebsten hatte. Nicht magisch.
 

Er hatte Harry als erstes ins Bad geschickt, damit er sich trockene Kleider anziehen konnte. Er wollte nicht, daß der junge Mann sich erkältete. Er selbst war in einer viel besseren Verfassung und konnte auch noch ein paar Minuten länger ertragen zu frieren. Das Feuer, das im Kamin brannte, half schon ein wenig gegen die beißende Kälte der nassen Kleider.
 

Der Kessel in der Küche pfiff erneut und die Kanne mit dem kalten Tee in der Hand haltend, verschwand er in der Küche. Als er wenige Minuten später zurückkehrte, hatten sich die Flammen im Kamin grün verfärbt und das mal wieder unverschämt fröhliche Gesicht von Albus Dumbledore flackerte in ihnen auf und ab.
 

"Albus, was für eine Überraschung", kommentierte Severus trocken. "So schnell schon Sehnsucht?"
 

"Aber wo denkst du hin, Severus. Ich bin doch froh, daß ich euch beide mal für ein paar Tage los bin", zwinkerte er seinem Lehrer für Zaubertränke zu, der das mit einer hochgezogenen Augenbraue beantwortete. "Ich dachte nur, daß du vielleicht wissen möchtest, daß soeben Harrys Freunde hier aufgetaucht sind."
 

"Jetzt erst?" Severus hatte eigentlich erwartet, daß das noch viel früher geschehen würde. Es mußten Stunden zwischen der Auslieferung der Briefe und jetzt vergangen sein.
 

"Ah, wenn mich nicht alles täuscht, hat eine gewisse Tradition im Hause Weasley die vier davon abgehalten, früher hier zu sein, auch wenn ich dir versichern kann, daß jeder von ihnen sicher den ganzen Tag auf heißen Kohlen gesessen hat. Sie haben eine ziemliche Aufregung verbreitet."
 

"Hast du ihnen was gesagt?" Dumbledore schüttelte den Kopf, setzte eine gespielt empörte Miene auf.
 

"Du tust mir sehr oft wirklich Unrecht, mein Junge. Natürlich habe ich ihnen so gut wie gar nichts gesagt. Sie werden wiederkommen, wenn du und der junge Harry aus dem Urlaub zurück seid. - Wie ich sehe, beginnt die neue Umgebung schon auf euch zu wirken." Severus knurrte leicht, als er das amüsierte Funkeln in den blauen Augen sah. Er spürte, daß Dumbledore nur schwer das Lachen unterdrücken konnte.
 

Ein tropfnasser Lehrer für Zaubertränke mit einer dampfenden Teekanne in der Hand... nun ja, er mußte zumindest zugeben, daß das ungewöhnlich war.
 

"Was für einen Eindruck hattest du von ihnen?" fragte Severus, ohne auf die letzte Bemerkung Dumbledores einzugehen. Die Neckereien des alten Zauberers waren im Moment eher unwichtig.
 

"Nicht den schlechtesten, aber auch nicht den besten. Es wird sicher nicht einfach für Harry werden. Speziell die junge Miss Weasley schien mir ein wenig... nennen wir es unberechenbar. Sirius, Remus und Ron waren keine Überraschung, aber von Hermine hatte ich eine andere Reaktion erwartet. Während der ganzen Zeit, die sie in meinem Büro saß, wirkte sie etwas abwesend oder verächtlich."
 

"Das ist nicht gut."
 

"Na, na, mal jetzt nicht gleich den Teufel an die Wand. Es kann auch nur der Schreck gewesen sein. Wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt." Severus nickte, doch er glaubte nicht wirklich daran, daß es nur der Schreck gewesen sein sollte. Da war mehr dahinter. Die Veränderung, von der Harry immerzu sprach. Offensichtlich war seine Angst vor seiner ehemaligen besten Freundin nicht ganz unbegründet.
 

"Wie hat Black darauf reagiert, daß Harry bei mir ist?" Dumbledore lächelte, legte den Kopf ein wenig schief.
 

"Was denkst du?" fragte er amüsiert zurück.
 

"Nun ja, ich würde denken, daß er fast ausgeflippt ist. Ausgerechnet Harry, sein Patenkind, das muß ein Schock für ihn gewesen sein." Dumbledore nickte.
 

"Ja, geschockt war er. Aber ich denke, er hat es leichter genommen, als wir beide befürchtet hatten. Ich hatte zumindest den Eindruck. Remus hat einen guten Einfluß auf ihn." Severus schnaubte ungläubig. Er war sich nicht ganz sicher, wer bei den beiden welchen Einfluß auf wen hatte. Remus war der vernünftigere, aber gleichzeitig auch der gefährlichere. Sirius war berechenbar in seinem Handeln und sogar in seiner Wut. Remus dagegen war stets ruhig und freundlich, bis das Faß überlief.
 

Manchmal glaubte Severus, daß dann der Wolf auch außerhalb der Vollmondnacht durchbrach. Er mußte allerdings auch zugeben, daß er einen solchen Ausbruch bisher erst zweimal gesehen hatte und dazwischen hatten sehr viele Jahre gelegen.
 

Dumbledore hatte schon recht. Remus hatte den guten Einfluß auf Sirius. Es waren nur seine Angst und die Vorurteile, die ihn auch nach all der Zeit noch immer ständig an Remus und seiner angeblichen Harmlosigkeit zweifeln ließen.
 

"Sie werden Harry schreiben. Ich habe ihnen dazu geraten. Sie wollten es noch heute tun." Severus nickte.
 

"Vielen Dank, Albus. Es ist sehr wichtig für Harry, daß jetzt nicht alles überstürzt passiert."
 

"Ich weiß, Severus", das warme Lächeln auf dem Gesicht des alten Mannes beruhigte ausnahmsweise sogar ihn ein wenig. Er hoffte, daß alle Ängste unbegründet waren, aber dennoch blieb beim Gedanken an Hermine das ungute Gefühl und es tat gut, daß auf Dumbledores Fähigkeit zur Beruhigung in diesem Moment Verlaß war.
 

~*~
 

Die Eulen kamen kurz nach Sonnenuntergang. Harry erkannte Pig sofort wieder. Die kleine Eule war noch immer so quirlig und auch so laut, wie er sie aus seiner Schulzeit in Erinnerung hatte. Er mußte bei Severus' genervtem Gesichtsausdruck grinsen und einen Moment lang lenkte ihn das von seinem heftig klopfenden Herzen ab.
 

Genau wie sein Brief an Ron und Hermine, war auch die Antwort eher kurz gehalten.
 

Hallo Harry,
 

Du glaubst nicht, wie irre das ist, diesen Brief zu schreiben. Ich habe noch nicht wirklich verstanden, was heute wirklich passiert ist. Was hat das alles zu bedeuten? Wo bist Du die ganze Zeit gewesen?
 

Dumbledore hat gesagt, wir sollen Dich nicht gleich mit Fragen bestürmen, aber so viele brennen mir auf der Zunge. Ich hoffe, daß Du sie mir beantworten wirst, wenn du im neuen Jahr nach Hogwarts zurückkommst. Wir würden das alle so gerne verstehen.
 

Ich möchte aber, daß Du weißt, wie unsagbar glücklich ich darüber bin, Dich wieder zu haben. Ich fühle mich im Moment sehr verwirrt und wirke deshalb wahrscheinlich nicht gerade wie die überschwengliche Freude in Person, aber... was schreibt man in einer solchen Situation?
 

Komm zurück, okay? Wir haben Dich so lange vermißt.
 

Ron
 

Harry schluckte, laß den Brief ein zweites Mal. Er konnte förmlich spüren, wie lange Ron daran gesessen hatte. Wie er jeden Satz immer wieder umgeschrieben hatte, um die ganzen wirren Emotionen, die er aus dem Brief heraushalten wollte, weil man ihm gesagt hatte, er müsse das noch zurückhalten, langsam rauszustreichen. Herausgekommen war dabei ein Brief, der gleichzeitig absolut starr, aber auch spannungsgeladen auf Harry wirkte.
 

"Sie hat nicht unterzeichnet", sagte er schließlich nach einer Zeitspanne, die Severus wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
 

"Hermine?" Harry nickte.
 

"Ron schreibt manchmal ,wir', dann wieder nur ,ich', als könne er sich nicht entscheiden, ob der Brief nur von ihm oder von beiden zusammen ist. Und sie hat nicht unterschrieben." Harry blickte auf, sah Severus ängstlich an.
 

"Was hat das zu bedeuten, Severus?"
 

"Vielleicht gar nichts", Severus wußte, daß er nicht wirklich überzeugend klang, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. Dumbledore hatte schon gesagt, daß Hermine anders als erwartet reagiert hatte. Und auch das war wieder anders, als er erwartet hatte. Auf dieser Basis war es schwierig, eine Voraussage zu wagen.
 

"Oder es bedeutet, daß sie mich haßt", flüsterte Harry tonlos, legte den Brief zur Seite. Severus fühlte den Kloß in seinem Hals und hatte den Eindruck, daß dieser immer größer wurde und ihm langsam aber sicher alle Luft abdrücken wollte. Er räusperte sich leise.
 

"Sie ist verwirrt, Harry. Gib ihr mehr Zeit. Du hast selbst gesagt, daß sie sehr verändert war. Vielleicht ist ja auch das hier eine dieser Veränderungen." Harry nickte, doch Severus konnte sehen, daß er das nicht glaubte.
 

Er war fast erleichtert, daß in diesem Moment die nächste Eule an die Fensterscheibe klopfte. Hoffentlich war der Brief vom Werwolf und dem Straßenköter besser für Harrys Gemüt. Severus hielt einen Moment inne, als er spürte, daß er sich innerlich für den Straßenköter tadelte. War es schon so weit? Nicht im Traum hatte er daran gedacht. So ein Quatsch!
 

Die Eule flatterte schnurstracks auf Harry zu, als ihr das Fenster geöffnet wurde, ließ sich den Brief abnehmen und legte einen kleinen Zwischenstop auf dem Kaminsims ein. Sie hatte offensichtlich nicht die Absicht, so schnell wieder hinaus in die Kälte zu fliegen. Genüßlich plusterte sie ihr Gefieder auf und schloß die Augen, während Harry mit zitternden Finger den zweiten Brief öffnete.
 

Harry,
 

Sirius und ich wissen gar nicht, was wir sagen sollen, wie wir anfangen könnten. Wir waren heute natürlich sofort in Hogwarts, um Dich zu sehen, aber Du warst leider schon weg. Ich hoffe, Du bist nicht vor uns weggelaufen. Du weißt doch, daß das nicht nötig ist oder?
 

Dieser Brief hat uns eiskalt erwischt, das stimmt, aber wir sind einfach nur glücklich. Wahrscheinlich werden wir Dich mit Fragen löchern, wenn wir uns endlich wiedersehen und Dir unheimlich auf die Nerven gehen, aber das ist alles nur, weil wir etwas unheimlich Wertvolles zurück bekommen haben, was wir für immer verloren glaubten. Hab Geduld mit zwei Gefühlsduseln und um Himmels Willen keine Angst, ja?
 

Wir waren auch etwas überrascht, daß Du ausgerechnet bei Severus bist. Wir wußten gar nicht, daß Du ihm... na ja, nach dem, was wir aus Dumbledore herausbekommen konnten, lebst Du nicht nur bei ihm in den Kerkern, er ist auch der einzige, mit dem Du bisher Kontakt hattest. Das kommt uns schon etwas merkwürdig vor. - Aber wir machen Dir keinen Vorwurf, daß Du nicht zu uns statt zu ihm gekommen bist. Ich würde es Sirius gegenüber zwar nie zugeben, aber ich kann mir vorstellen, daß er nicht unbedingt die schlechteste Gesellschaft ist, die man sich vorstellen kann, wenn man - allein sein will?
 

Das ist alles so... ich würde lieber direkt mit Dir reden, ich fühle mich so ungeschickt, wenn ich nur aufschreiben soll, was ich gerade empfinde und Dir sagen möchte. Ich hoffe, daß wir bald richtig reden können. Wir haben Dich so sehr vermißt.
 

Du mußt Charlotte kennen lernen. Ihr beide werdet euch sicher gut verstehen. Und sie wird sich freuen, ihren großen Bruder kennen zu lernen.
 

Wir haben Dich lieb, vergiß das nicht!
 

Remus
 

Dieser Brief war schon etwas ganz anderes. Hier konnte er die Emotionen, die Verwirrung aus den Zeilen herauslesen. Aus der Art und Weise, wie Remus versuchte, jeden möglichen Zweifel und jede Angst, die in ihm aufkommen konnte, sofort wieder zu vertreiben.
 

Überrascht. Er verwettete alles darauf, daß überrascht nicht ganz traf, was Sirius und Remus wirklich bei der Neuigkeit über Severus' Rolle in der Geschichte empfunden hatten. Aber sie liebten ihn, das war doch gut. Sie wollten ihn wiederhaben. Zumindest Remus schien schon beschlossen zu haben, daß er verzeihen würde. - Wenn auch vermutlich nicht, bevor er die angedrohten Fragen gestellt hatte. Oh Gott, ob er dafür wirklich schon bereit war? Er konnte ja nicht einmal Severus seine Fragen beantworten. Oder zumindest nicht alle davon. Wie konnte er das dann bei Sirius und Remus, denen er die ganzen schmutzigen Details noch viel mehr vorenthalten wollte als Severus?
 

Die zweite Seite des Briefes war von seinem Patenonkel geschrieben. Er erkannte die energische Schrift sofort, auch wenn Sirius' Hand beim Schreiben gezittert hatte. Das konnte man deutlich erkennen.
 

Ich bin so froh, daß Du wieder da bist. Ich hab mir die ganzen letzten Jahre immer wieder gewünscht, daß genau so etwas passieren würde. Jetzt kann ich es kaum glauben. Wenn man mal vergißt, daß Du ein Holzkopf bist und ich Dich am liebsten übers Knie legen würde, weil Du Dich so lange nicht gemeldet hast, bin ich unendlich erleichtert und glücklich.
 

Was Du allerdings ausgerechnet bei dieser übergroßen Fledermaus machst, kann ich nicht wirklich begreifen. Ich hoffe, Du hängst noch nicht tagsüber mit den Füßen an der Decke zum Schlafen.
 

Bitte melde Dich, wenn Du wieder in Hogwarts bist. Jetzt wo ich weiß, daß Du wirklich noch lebst und das nicht mehr nur mein Wunschtraum ist, fällt es mir schwer, einfach ruhig hier rumzusitzen, statt bei Dir zu sein.
 

Ich hoffe sehr, es geht Dir gut. Ich mache mir riesige Sorgen.
 

In Liebe,
 

Sirius
 

Harry mußte gleichzeitig schlucken und lächeln. Auch der Brief von Sirius war für ihn eher gestelzt, er hatte nicht wie sonst frei von der Brust weggeschrieben. Aber ein winziger Teil von ihm blitzte doch durch und das beruhigte Harry ein wenig, nahm ihm von seiner Aufregung. Die Anspielung auf Severus bestätigte ihm nur, was er ohnehin schon befürchtet hatte, doch das war einer der Punkte, vor denen er vergleichsweise wenig Angst hatte.
 

Severus war etwas, womit sein Onkel von nun an leben mußte.
 

"Ist der Brief besser?" fragte Severus vorsichtig. Er hatte Harry die ganze Zeit über genau im Auge behalten und rein von seiner Reaktion her würde er seine eigene Frage bejahen. Doch er wollte es von Harry selbst hören.
 

"Ja", antwortete Harry leise und blickte auf. Seine Augen waren tränennaß, aber er hielt sie noch zurück. "Aber ich hab noch immer Angst. Sie sprechen alle von Fragen und ich weiß ja auch warum. Aber das macht mir Angst. Ist das okay?"
 

Severus kam zu Harry auf das Sofa und nahm ihn in den Arm. Harry vergrub sein Gesicht in dem schwarzen Pullover, den Severus trug, atmete seinen Geruch ein und kämpfte verzweifelt gegen die Tränen. Die Hand, die sanft über seinen Rücken streichelte, verstärkte den Drang, sie einfach laufen zu lassen, aber eher, als daß sie ihn bekämpfte.
 

"Ja, Harry, das ist vollkommen okay. Ich denke, daß sich das alles wieder einrenken wird. Sie lieben dich, das ist das wichtigste." Severus fühlte, daß Harry die Tränen nicht länger halten konnte, aber das war schon in Ordnung so. Es war ein langer Tag gewesen und es war zu viel passiert, als daß dieses Maß an Selbstbeherrschung noch möglich gewesen wäre. - Ganz abgesehen davon, daß es für Harry im Moment ohnehin besser war, seine Gefühle rauszulassen, statt sie zu beherrschen.
 

Vorsichtig drückte er einen Kuß auf den wirren, schwarzen Haarschopf.
 

~*~
 

"Gute Nacht, mein Engel. Und träum was Schönes", sagte Remus lächelnd und gab der kleinen Charlotte einen Kuß auf die Wange. Das Mädchen war schon halb eingeschlafen, doch sie murmelte ein kaum verständliches ,du auch' zurück und kuschelte sich tiefer in die Kissen. Was Remus und Sirius auch machten, sie schafften es nie, die Kleine so absolut müde zu bekommen. Diese Kunst beherrschte ausschließlich Molly. - Aber nach sieben Kindern kannte man wohl einfach alle Tricks.
 

Lächelnd verließ er das Kinderzimmer. Als er zurück in den großen Salon kam, fand er Sirius noch immer genauso vor, wie er ihn einige Minuten zuvor zurück gelassen hatte, um Charlotte ins Bett zu bringen. Sein Freund hatte sich nicht einen Zentimeter bewegt, starrte noch immer wie abwesend in das Feuer. Remus konnte die Sorge sehen und auch die Selbstvorwürfe, die sich in Sirius regten.
 

Er unterdrückte das Seufzen, das ihm entweichen wollte, holte statt dessen eine Flasche unverschämt teuren Whiskey und zwei Gläser und setzte sich neben Sirius, der das nicht einmal zu bemerken schien. Remus öffnete die Flasche und schenkte den Whiskey in die Gläser. Jede seiner Bewegungen kam ihm merkwürdig langsam vor. Viel zu bedacht, zu genau. Er wollte wohl Zeit schinden, obwohl er nicht wußte, wozu.
 

"Wie geht es dir jetzt?" fragte er sanft, als er seinem Freund das Glas reichte. Sirius nahm es fast mechanisch entgegen, nahm einen kleinen Schluck, schwieg. Doch dann schien er langsam wieder aus seiner merkwürdigen Trance zu erwachen. Nur ganz langsam drehte er Remus sein Gesicht zu, versuchte etwas, das wohl mal ein Lächeln hatte werden wollen. Es ging daneben, aber der Versuch allein freute Remus schon.
 

"Ich weiß nicht, was ich fühlen soll", antwortete er ein wenig hilflos, nahm den nächsten Schluck Whiskey.
 

"Zu viel auf einmal, was?" Sirius' Züge waren hart, deutlich konnte man erkenne, wie viel Kraft er dafür aufwandte, die Emotionen nicht ungefiltert hervorbrechen zu lassen. Doch Remus hatte so eine Ahnung, daß es ihm nicht mehr lange gelingen würde.
 

"Warum bleibst du so ruhig dabei? Du solltest doch eigentlich genauso geschockt sein wie ich. Aber du bist nicht ratlos oder verwirrt. Du behältst deinen Kopf, gibst uns anderen sogar noch Ratschläge. Ich habe heute sogar schon mal gedacht, daß es dich vielleicht gar nicht berührt. Wie machst du das nur, Remus?" Remus lachte bitter, bevor er sein Glas in einem Zug leerte.
 

"Wie ich das mache? Ich beherrsche meine Emotionen und nicht umgekehrt. Das ist schon alles. Wenn ich dazu nicht in der Lage wäre, wäre die ganze Sache heute nicht so glimpflich abgegangen oder was meinst du?
 

Seit ich den Brief heute morgen gelesen habe, frage ich mich immer wieder, in was für einen schlechten Film ich hier eigentlich geraten bin. Ich will Antworten, genau wie du. Aber die werden wir nur bekommen, wenn wir nicht die Nerven verlieren." Sirius schnaubte, goß sich selbst den nächsten Whiskey ein.
 

"Manchmal bist du genauso selbstgefällig wie dieser Bastard Snape." Remus' Augen blitzten auf und Sirius wußte sofort, daß das nicht unbedingt die intelligenteste Aussage war, die er in diesem Moment hatte machen können. Sogar weit davon entfernt.
 

"Das ist in meinen Augen nicht unbedingt das Verkehrteste", knurrte Remus und genoß den Ausdruck von fassungsloser Überraschung auf Sirius' Gesicht ein wenig. "Das ist doch in Wahrheit dein einziges wirkliches Problem oder? Mach mir doch nichts vor Sirius, ich kenne dich und ich weiß, wann dein Stolz verletzt ist.
 

Du bist noch immer nicht drüber hinweg, daß Harry sich von Severus hat helfen lassen. Und noch viel weniger kannst du verkraften, daß er noch immer bei ihm ist und uns nicht sofort die Tür eingerannt hat. Du bist eifersüchtig. Das überdeckt doch all die anderen Gefühle, die dich im Moment eigentlich so viel mehr beschäftigen sollten."
 

"Du bist ungerecht, Remus", murmelte Sirius gekränkt und blickte unter sich. Was sollte er darauf denn auch erwidern? Natürlich war er eifersüchtig. Er verstand Harry nicht und wenn er ehrlich war, wollte er es auch gar nicht verstehen. Harry konnte nicht bei klarem Verstand sein, das war die einzige Erklärung, die es darauf geben konnte.
 

"Ich bin also ungerecht? Sirius, du machst es dir ziemlich einfach", Remus' Stimme war wieder weicher geworden, der Vorwurf schwang nicht mehr ganz so scharf darin mit.
 

"Einfach?" Sirius sprang fast vom Sofa auf und starrte auf Remus herunter, der seinen Blick vollkommen gelassen entgegnete. "Was für ein seltenblöder Schwachsinn ist das denn, Remus? Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und du erzählst mir, ich mache es mir einfach?!"
 

"Du gibst Severus die Schuld an allem. Du denkst gar nicht erst darüber nach, wie das alles seinen Anfang genommen hat, du gehst gleich an das Ende und verteilst Schuld, wo keine ist." Sirius knallte das Glas, das er noch immer in der Hand gehalten hatte, mit Nachdruck auf den Tisch. Es war zwar nicht gerade leicht zerbrechlich, aber was Remus sagte, machte ihn so wütend, daß er Angst hatte, er könnte es in seiner Hand zerdrücken.
 

"Das träume ich ja wohl nur, Remus!" fauchte er seinen Freund an, doch der ertrug auch seine Wut noch immer vollkommen ungerührt. Er schien sich seiner Sache sicher und Sirius fragte sich, warum Remus das eigentlich tat. Warum führte er sich so auf? Das war sonst nicht seine Art.
 

"Nein, Sirius, das hier ist weit entfernt von einem Traum. Hast du heute überhaupt etwas anderes gemacht, als dich zu fragen, warum Harry bei Severus ist? Hast du auch nur eine Minute darauf verschwendet, warum er überhaupt weggegangen ist? Warum er auch nach seiner Rückkehr noch so viel Zeit hat verstreichen lassen, bevor er sich bei uns gemeldet hat?" Sirius' Gesichtsmuskeln spannten sich und er wollte darauf etwas erwidern, doch Remus hob die Hand, um ihm deutlich zu machen, daß er ihn nicht unterbrechen sollte.
 

"Ich kann es dir sagen, Sirius. Hast du nicht. Auf die letzte Frage brauchst du auch gar keine Zeit verwenden, denn die Antwort erscheint dir vollkommen klar, nicht wahr? - Du denkst, daß es an Severus liegt. Severus war derjenige, die Harry geraten hat, sich nicht mit uns in Verbindung zu setzen. Denkst du das, Sirius?" Sirius' Nicken war kaum mehr als eine knappe, ruckartige Kopfbewegung, doch es war genau das, was Remus erwartet hatte. Er lächelte, doch es war nicht wie sonst voller Wärme.
 

"Du bist ein Schwachkopf." Die Worte saßen. Sirius hatte noch immer nicht begriffen, was hier passierte, aber er hörte die Worte und fühlte, was sie in ihm hervorriefen. In ihrer jahrelangen Freundschaft hatten sie oft Streit miteinander gehabt, seine Hitzköpfigkeit und Remus' Vernunft mußten zwangsläufig immer wieder aufeinander treffen und es knallen lassen. Aber Sirius konnte sich nicht erinnern, daß Remus ihn in all den Jahren schon einmal so eiskalt so verletzt hatte. Er konnte sehen, daß Remus sich der Wirkung seiner Worte vollkommen bewußt war.
 

"Remus, ich... was..." Remus' Gesichtsausdruck verlor seine Härte und Kälte, wurde wieder weich. Vorsichtig griff er nach Sirius' Hand und zog ihn in Richtung Couch, brachte ihn dazu, sich wieder zu setzen. Sirius war noch immer so benommen, daß er das alles mit sich machen ließ, obwohl er sich sicher war, daß er sich wütend von Remus losmachen und endlich etwas antworten mußte.
 

Remus seufzte und sah Sirius eine Zeit lang einfach nur an.
 

"Es ist gut, daß Harry nicht da war. Wenn wir ihn heute in Hogwarts angetroffen hätten, wärst du ohne zu überlegen auf Snape losgegangen, nicht wahr?
 

Aber weißt du, Sirius, ich hab da so eine Vermutung, die dir ganz sicher nicht gefallen wird. Aber ich denke trotzdem, daß ich damit nicht verkehrt liege. Snape hat nichts von dem getan, was du ihm vorwerfen willst. Ich weiß, wie sehr du ihn haßt und daß dir die Vorstellung unerträglich ist, Harry allein bei ihm zu lassen, aber mein Gefühl sagt mir, daß es richtig ist." Sirius lachte bitter, fand langsam wieder zu sich und zu seiner Stimme zurück.
 

"Was soll daran richtig sein?" fragte er mit rauher Stimme. "Wir reden hier von Snape. Snape haßt Harry und als ich zum letzten Mal mit Harry sprechen konnte, war er auch nicht voller Liebe und Zuneigung zu Snape. Die zwei sind wie Tag und Nacht. Du weißt, wie Snape ist, du weißt, daß es nicht funktionieren kann."
 

"Ich weiß, wie Snape sich gibt", war alles, was Remus antwortete. Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Im Haus war nichts zu hören, außer dem Knistern des Feuers im Kamin und einem leisen Wind, der um das Haus pfiff.
 

"Er beeinflußt ihn, Remus. Ich glaube nicht an dieses Märchen vom guten Kern in der harten Schale. Nicht bei Snape."
 

"Ich schon."
 

"Wirklich interessant. Und woher kommt deine Sinneswandlung der Fledermaus gegenüber? Hab ich irgendwas verpaßt? Seid ihr in Wahrheit die besten Freunde? Los, Remus, erleuchte mich. Ich bin gespannt, mit welcher Weisheit du mich überzeugen willst."
 

"Die Welt ist nicht schwarzweiß, Sirius. Gerade du solltest das wissen."
 

"Jetzt enttäuschst du mich. So etwas Abgedroschenes hatte ich nicht erwartet", Sirius' Stimme triefte förmlich vor Gift.
 

"Wer hat gesagt, daß ich das Rad neu erfinden würde? - Sirius, du verrennst dich da in etwas, was sehr gefährlich werden könnte, wenn du den Kontakt zu Harry wieder herstellen möchtest. Ich hatte nicht den Eindruck, daß Severus Anlaß zur Besorgnis gegeben hat. Dumbledore hätte eingegriffen, wenn er sich nicht sicher gewesen wäre, daß er das Beste für Harry ist." Sirius schenkte Remus dafür nur einen spöttischen Blick, verkniff sich aber jede Antwort. Dieses Gespräch ermüdete ihn. Remus sagte Dinge, die so dermaßen widersinnig waren.
 

Ja, Remus hatte recht, er wollte das nicht hören. Alles in ihm sträubte sich dagegen, sich diesen Schwachsinn anzuhören. Harry war ein Junge mit Verstand. Niemals würde er freiwillig bei Severus Snape bleiben. Da war etwas anderes im Spiel. Vielleicht ein Zauber?
 

Sirius war sich zwar in keiner Weise klar darüber, zu welchem Zweck Severus das tun sollte, aber das schwächte seine Sicherheit nicht, was den Verdacht betraf.
 

"Dumbledores Urteilsfähigkeit trifft nicht immer ins Schwarze", sagte er schließlich doch so leise, daß Remus ihn fast nicht verstehen konnte.
 

"Jetzt reicht es wirklich, Sirius. Was kommt als nächstes? Wirfst du mir jetzt gleich vor, daß ich all die Jahre nicht mehr war als ein Spion für Severus? Daß wir das alles zusammen ausgeheckt haben, wofür auch immer?" Die beiden sahen sich in die Augen.
 

"Interessante Überlegung, aber das habe ich tatsächlich nicht angenommen. - Ich weiß allerdings, daß du es genauso wie ich zum Schluß sehr zweifelhaft fandest, Harry immer wieder zu seiner Tante zurückzuschicken. Also mach mir da nichts vor. Du hast auch an Dumbledores Entscheidung gezweifelt."
 

"Möglich", gab Remus zögerlich zu. Aber das war auch in seinem ganzen Leben die einzige Entscheidung Dumbledores gewesen, die er in Frage gestellt hatte. Und das auch nicht wirklich. Schließlich war Harry bei den Dursleys tatsächlich nichts zugestoßen. Daß er bei ihnen nicht gerade auf liebevolle Ersatzeltern gestoßen war, war eine ganz andere Sache, darauf hatte Dumbledore keinen wirklichen Einfluß gehabt.
 

Sirius' Augen funkelten triumphierend, als Remus dieses kleine Zugeständnis machte. Remus fragte sich, wie dieser Irre, der sich sein bester Freund nannte, eigentlich allein durchs Leben kommen würde, wenn er darauf angewiesen war. Wie konnte ein einzelner Mensch nur so viel Irrationalität produzieren, wie Sirius es tat?
 

Doch noch viel unverständlicher war, warum Remus das so an ihm liebte. Er machte meist nichts als Schwierigkeiten, aber Remus liebte den impulsiven, irrationalen Charakter seines alten Weggefährten trotzdem. Er war das perfekte Gegenstück zu ihm selbst. Immer vernünftig, immer möglichst beherrscht, immer so unauffällig wie nötig, bescheiden, zu allen freundlich.
 

Sie waren beide einseitig und ergänzten sich deshalb wohl so gut.
 

"Was nicht heißt, daß ich dieses Mal an seinem Urteil zweifle", griff Remus das Thema wieder auf. "Und du solltest auch darauf vertrauen. Du wirst sonst irgendwann an meine Worte denken und dir wünschen, du hättest es ernster genommen.
 

Wir wissen noch nicht, was mit Harry ist, aber Dumbledore sagte, er sei in einem schlimmen Zustand gewesen, als er nach Hogwarts zurückkam. Es muß einen guten Grund gehabt haben, warum er sich an Severus statt uns gewandt hat und ich bin mir sicher, daß du ihn verlierst, wenn du deine gewohnt harte Linie gegen Severus fährst." Sirius wurde ein wenig blasser bei diesen Worten, denn sie führten zwangsläufig wieder zu der Frage zurück, vor deren Antwort er sich fürchtete.
 

"Ich verstehe nicht, was da zwischen den beiden sein soll. Ich kann mich nur an Verachtung, Abneigung und sogar Haß erinnern. Snape hat Harry offen dafür gehaßt, daß er Harry Potter ist. Warum sollte sich das jetzt verändert haben. Und inwiefern hat es sich verändert?
 

Das ist mir zu hoch, Remus. Wie kann man da wirklich noch annehmen, daß er ihn nicht irgendwie beeinflußt?" Remus schüttelte lächelnd den Kopf. Sirius verstand wirklich ungewöhnlich wenig vom menschlichen Geist und seiner Widersprüchlichkeit für jemanden, der einen großen Teil seines Lebens im schlimmsten Gefängnis Großbritanniens gesessen hatte und danach noch Jahre auf der Flucht gewesen war.
 

Eigentlich hatte Remus erwartet, daß jeder, der so etwas durchmachte, früher oder später lernte, daß Meinungen sich ändern konnten, aus Abneigung Zuneigung werden konnte, wie auch immer sie geartet war.
 

Remus hatte das auch gelernt, und dabei hatte er wesentlich weniger durchgemacht als sein uneinsichtiger Freund.
 

"Wir sollten das hier sein lassen", sagte Remus mit einem Lächeln, das seine müden Augen allerdings nicht mehr erreichte. Er wollte nicht mehr drüber sprechen, wollte eigentlich nur noch Ruhe und seine eigenen Gedanken ordnen. Er konnte Sirius' Meinung doch nicht ändern und wenn er noch Stunden Vorträge darüber halten würde. Er hatte seine Theorie, Sirius seine ganz eigene und beide ließen sich nicht miteinander vereinbaren.
 

Das war eben der Nachteil, wenn man vollkommen gegensätzlich war.
 

"Du meinst wohl für heute", entgegnete Sirius skeptisch. Auch er wollte nicht mehr darüber sprechen, aber er nahm Remus nicht ab, daß er das Thema damit wirklich für beendet ansah.
 

Remus nickte, rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht, speziell über die Augen, die sich inzwischen schon entzündet anfühlten. Sie juckten und brannten ein wenig.
 

"Ich werde ins Bett gehen und das solltest du auch tun, Sirius." Sirius lachte und fühlte sich schon wieder ein bißchen weniger verkrampft. So mochte er Remus lieber, denn so kannte er ihn wenigstens. Für Snape Partei ergreifend kam er ihm irgendwie nicht richtig vor und machte ihn nervös.
 

"Seit Charlotte bei uns ist, bist du eine richtige Glucke geworden", scherzte er, stand aber wirklich fast sofort auf und streckte sich. Mit einem knacken rückte einer seiner Wirbel wieder in die richtige Position. Remus hatte recht, es war Zeit, schlafen zu gehen. Er war zum Umfallen müde.
 

"Du brauchst eine, gib es ruhig zu." Wieder ein Lachen.
 

"Schlaf gut, Remus."
 

"Du auch." Wieder senkte sich die absolute Stille über Remus, nur unterbrochen von Knistern und Pfeifen. Seine Gedanken wanderten im Kreis, wie durch ein fast rundes Labyrinth, aus dem er den Ausgang noch nicht gefunden hatte. Wahrscheinlich mußte er gründlicher suchen.
 

Was genau war es, das ihm seine Sicherheit gab? Nur Dumbledores Verhalten? Oder weil er wußte, daß hinter dem Snape, den jeder sah, wirklich noch ein anderer Snape steckte? Er hatte diese Vermutung schon als Schüler gehabt, sie über die Jahre wieder verworfen, weil alles dagegen gesprochen hatte, und sie dann eines Tages wiederentdeckt. - An dem Tag, an dem Snape sich seiner größten Angst gestellt hatte, um drei leichtsinnige Kinder vor dem Wolf zu retten, wenn er genau war.
 

Damals hatte er sofort gewußt, daß Snape das niemals getan hätte, wären ihm die drei wirklich so egal gewesen oder schlimmer noch, wenn er Harry wirklich haßte. Damals hatte er für sich beschlossen, daß er Harry nicht haßte, sondern in Wahrheit nur verachtete. Quasi als Ersatz für den Potter, den er nicht mehr hassen und verachten konnte. James war tot. Was war da leichter, seine aufgestauten Emotionen an Harry auszulassen? Er war ein Potter und er war da gewesen, immer zur Verfügung.
 

Er war sich inzwischen sicher, daß beides auf die jetzige Situation nicht mehr zutraf. Aber was war daraus geworden? Was war es wirklich, das Harry dazu brachte, bei Severus zu bleiben. Und was war der Grund, daß Severus es erlaubte?
 

Remus war sich im Klaren darüber, daß er noch Stunden hier sitzen und darüber nachgrübeln konnte, er würde doch nie die Antwort finden. Sirius würde ihn umbringen, wenn er davon erfuhr, aber es gab nur einen Weg, herauszufinden, was da war. Er mußte Snape schreiben und dann natürlich noch darauf hoffen, daß Snape auch darauf einging.
 

Obwohl die Müdigkeit schon bleischwer auf ihm lag, beschloß er, das sofort zu erledigen. Je früher desto besser. Sie hatten schon so viel Zeit verloren und Remus wollte unter keinen Umständen zulassen, daß noch eine unnötige Minute dazukam.
 

~*~
 

"Wo gehst du hin?" fragte Ron vorsichtig, als die Wohnungstür sich hinter ihm schloß und Hermine mit diesem Geräusch scheinbar aus ihrer Apathie erwachte und schnurstracks den Flur hinunter ging.
 

"In die Bibliothek. Ich hab noch zu arbeiten. Also sei so gut und stör mich nicht. Ich habe durch diesen ganzen Unsinn schon zu viel Zeit verloren." Mit diesen Worten schlug die Tür der Bibliothek hinter ihr zu. Ron zuckte zusammen, schloß für einen Moment die Augen.
 

Unsinn. Harry war Unsinn? Die ganze Zeit in Dumbledores Büro war sie ihm so merkwürdig apathisch vorgekommen. Und jetzt? Unsinn. Das Wort hallte immer wieder in seinem Kopf wider. Hermine war ihm heute fremder als sonst. Wann hatte das endlich ein Ende?
 

Noch schmerzlicher als sonst wurde ihm in diesem Moment bewußt, wie sehr er sich die alte Hermine noch immer zurück wünschte. Er würde sich mit der neuen niemals vollständig arrangieren können, auch wenn er es schon seit vier Jahren versuchte.
 

Mit einem resignierten Seufzen ging er zurück ins Wohnzimmer. So wie es aussah, würde das mal wieder ein Abend ganz allein mit seinem Schachspiel werden.
 

~*~
 

Wie Ron erwartet hatte, war Hermine erst weit nach Mitternacht wieder aus der Bibliothek heraus gekommen. Zu dieser Zeit erwartete sie nicht mehr, daß er noch wach war. Dann schlich sie sich in ihr Bett und alles war für sie in Ordnung. Nur nicht mit ihm reden müssen.
 

Doch Ron war immer wach, egal um welche Uhrzeit sie endlich aus ihrem Schneckenhaus kroch und ins Bett kam. Nur heute würde er zum ersten Mal nicht einfach so tun, als schliefe er. Heute wollte er mit ihr reden. Oder vielleicht war wollen auch das falsche Wort. Er mußte mit ihr reden. Sie war einfach zu merkwürdig und zu anders gewesen. Sogar für die neue Hermine war sie zu überspannt. Sie kam mit Harrys Auftauchen offensichtlich noch schlechter klar, als er befürchtet hatte.
 

"Du solltest darüber sprechen." Hermine zuckte an seiner Seite zusammen und stieß einen kleinen Schrei aus, als seine Stimme so unvermittelt erklang. Er konnte hören, daß sie ein wenig schneller atmete.
 

"Verdammt, hast du mich erschreckt, Ron! Was soll das denn?" Er wußte, daß sie ihn in der Dunkelheit vorwurfsvoll anstarrte. Er konnte sich bis ins kleinste Detail vorstellen, wie ihr Gesicht jetzt aussah, welchen Ausdruck ihre Augen hatte. - Aber es war komisch. Heute beeinflußte ihn das nicht. Seit ihrem gemeinsamen siebten Schuljahr war sie immer die Instabilere von ihnen beiden gewesen und er hatte es immer als seine Pflicht gesehen, Rücksicht auf sie zu nehmen. Aber heute war das anders. Heute war er sich auf einmal ganz sicher, daß Rücksicht das Falsche war.
 

Er schloß einen Moment die Augen und sammelte seinen Mut. Wenn er nur das richtige tat, dann war alles in Ordnung... so lange es richtig war.
 

"Ich habe nichts getan, außer dich anzusprechen. Darf ich das nicht?"
 

"Ich hatte nicht erwartet, daß du noch wach bist", entgegnete sie kühl, doch ihre Fassade bröckelte, das konnte er förmlich spüren.
 

"Was auch den einzigen Grund darstellt, warum du endlich aus der verfluchten Bibliothek gekommen bist. Du solltest darüber reden. Es zu verdrängen bringt dir gar nichts."
 

"Worüber soll ich reden? Es gibt nichts zu reden", ihre Stimme hatte ein Stück Kälte und damit auch Sicherheit verloren. Ron hob die Schultern, obwohl er wußte, daß sie es nicht sehen konnte.
 

"Was in dir vorgeht zum Beispiel. Schließ mich nicht aus, Hermine. Ich weiß, daß dich das hier überfordert. Du weißt nicht, wie du reagieren sollst. Ich habe es dir die ganze Zeit angesehen. Mal warst du aufgeregt, mal wütend, dann zum Schluß scheinbar apathisch und nicht interessiert. Ich möchte wissen, was wirklich in dir vorgeht. Du hast mich lange genug ausgeschlossen, denkst du nicht?"
 

"Das ist Blödsinn, Ron. Ich schließe dich nicht aus." Ron seufzte. Das war noch viel schwieriger, als er befürchtet hatte.
 

"Ach Hermine, warum machst du uns beiden was vor? Du tust es Tag für Tag und bei allem, was in unserem Leben geschieht. Ich habe das akzeptiert, weil ich dachte, daß es sich eines Tages von alleine besser würde. Das war offensichtlich ein Irrtum.
 

Harry ist wieder da und das heißt, du mußt dich dieser Sache früher oder später stellen. Ich möchte dir nur dabei helfen. Darum rede endlich mit mir, Hermine. Ich vermisse das so. Früher hast du immer mit mir und Harry geredet. In den letzten Jahren sprichst du zwar hin und wieder mit mir, sagst aber eigentlich nichts. Ich möchte nicht mehr ausgeschlossen werden. Ich fühle mich allein und kalt, selbst wenn du da bist, und ich glaube, daß es dir genauso geht.
 

Ich bin da, hörst du? Du mußt nur endlich den ersten Schritt machen. Bitte, Hermine." Seine kleine Ansprache ließ Hermine nicht unbeeindruckt, doch er konnte die Tränen nicht sehen, die ihre Wangen hinabliefen und im Kissen versickerten. Er konnte nicht sehen, wie sie gegen sich und ihre eigene Hemmschwelle kämpfte. Erahnen, vielleicht ein bißchen fühlen, konnte er es, mehr jedoch nicht.
 

"Oh bitte, Ron. Hör auf, dich wie ein Kleinkind aufzuführen, ja? Was soll der Blödsinn? Versuchst du, mir etwas einzureden? Ich bin verwirrt, aber das sind wir alle. Ich werde schon damit klarkommen. Und weißt du was? Das wird sogar funktionieren, ohne daß ich mich vorher an deiner Schulter ausweinen muß." Da waren sie wieder, die meterdicken Mauern, die Hermine um sich hochzog, wenn sie einer Sache unbedingt ausweichen wollte. Ron konnte seinen eigenen Aufschlag fast körperlich spüren, als er mal wieder gegen diese Mauern rannte.
 

Feind erfolgreich ausgeschlossen. Er wollte schreien.
 

"Hermine..."
 

"Nein! Ich möchte nicht drüber reden. Ich bin müde, hab fast den ganzen Tag gearbeitet. Alles, was ich jetzt möchte, sind ein paar Stunden Schlaf. Meinst du, du kriegst es hin, mich so weit in Ruhe zu lassen?" Ron seufzte resigniert auf, gab sich geschlagen. Die Verzweiflung in ihm war bitter, aber er fühlte sich nicht stark genug, noch weiter gegen die Mauern anzurennen. Sie machten ihn fertig und er war schon vom heutigen Tag zu erschöpft, um noch mehr ertragen zu können.
 

Hermine war erleichtert, als Ron darauf nichts mehr erwiderte. Sie spürte, wie er sich auf die Seite drehte und lauschte angespannt auf seinen Atem. In Wahrheit war sie viel zu aufgewühlt, um an Schlaf auch nur denken zu können. Sie hatte das Gefühl, daß ihr Körper unaufhörlich Adrenalin durch ihre Adern pumpte.
 

Ron hatte recht, das wußte sie. Aber da war diese riesige Hürde, über die sie schon seit Jahren nicht hinweg kam. Sie mußte mit ihren Problemen alleine fertig werden. Sie hatte nicht die Option, mit Ron gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Sie mußte sich beweisen, daß sie es auch ohne ihn konnte.
 

Sie wußte, wie verdreht das war, aber sie hatte schon vor Jahren mit der Selbstanalyse aufgehört. Es war zu frustrierend, genau zu wissen, was richtig war, aber nicht danach handeln zu können.
 

Harrys Auftauchen... Was sollte sie Ron erzählen? Daß diese Rückkehr so ziemlich jedes Gefühl in ihr hervorrief, angefangen bei infernalischer Wut bis hin zu frenetischer Freude? Daß all die tief vergrabenen Ängste, all der Schmerz an diesem Morgen mit einem Schlag zurück gekommen waren?
 

Hermine wußte, daß sie während des Krieges alle Menschen verloren hatten, die sie liebten. Aber der Tag, an dem man ihr Harry genommen hatte, war der schlimmste ihres Lebens gewesen. Die Monate davor waren nicht gut gewesen. Diese Sache... nein, daran wollte sie nicht denken! - Aber diese Sache war schuld daran, daß sie Harry so schlecht behandelt hatte, obwohl sie doch so sehr die Hand nach ihm ausstrecken wollte.
 

Sie war am ertrinken gewesen, Harry ihr Rettungsanker, aber sie hatte einfach nicht zugreifen können. Und dann war er verschwunden. Man nahm an, daß er tot war. Das hatte den bis dahin schlimmsten Schmerz in ihr ausgelöst, den sie sich vorstellen konnte. Harry tot und vermutlich mit dem Gedanken gestorben, daß sie ihn nicht mehr gewollt hatte.
 

Sie hatte noch bis zum heutigen Tag an dieser einen Sache geknabbert, auch wenn sie auch das schon vor Jahren so tief in sich vergraben hatte, daß sie die meiste Zeit nicht mehr daran dachte. Erst wenn etwas die Erinnerungen lostrat...
 

Sie wußte nicht, was sie jetzt denken sollte. Einerseits wußte sie, daß man ihr eine neue Chance gegeben hatte, daß sie jetzt nachholen konnte, was sie damals versäumt hatte. Aber auf der anderen Seite spürte sie nur heiße, sengende Wut. Harry war nicht tot gewesen, er war einfach unter getaucht, hatte sie alle im Stich gelassen.
 

Ganz besonders sie.
 

Sie hatte ihn damals so gebraucht und sie wollte einfach nicht glauben, daß er das nicht gemerkt hatte. Es waren nur stumme Hilferufe gewesen, aber sollte sie jetzt wirklich feststellen müssen, daß er sie nicht gehört hatte?
 

Nein, sie wußte nicht, was sie fühlen sollte. Sie wußte nur ganz genau, daß sie diese Tatsache nicht mit Ron teilen wollte. Ron war jemand, den sie von diesem Mist fernhalten wollte. Ihre kaputte Welt in ihrem Inneren, er sollte davon nicht ergriffen werden. Sie hatte Angst, daß es ihn von ihr forttreiben könnte. Sie wußte, sie behandelte ihn schlecht, aber so lange er bei ihr blieb...
 

Alles verdreht. Dieser Tag, die Welt, sie selbst.
 

~*~
 

Die Geräusche, die Temperatur, die Schwingungen in der Luft. Das alles fühlte sich anders an. Das einzige, das noch war wie sonst, war die absolute Dunkelheit und Harry an seiner Seite, obwohl er auch hier im Haus eigentlich ein eigenes Bett hatte. Dennoch hatte es nie zur Diskussion gestanden, daß er Severus ganz einfach folgen würde, daß sie das Bett teilten.
 

Jetzt spürte Severus die Andersartigkeit um sich herum und die Vertrautheit in seinen Armen und fragte sich, ob er sich tatsächlich endlich erlauben durfte, einfach nur glücklich darüber zu sein. Im Moment wußte er wenige Dinge mit absoluter Gewißheit, aber in einem war er sich doch ziemlich sicher. Er wollte, daß es immer so blieb, wie es jetzt war. Daß Harry immer bei ihm sein würde, in seinen Armen, an seiner Seite, Hauptsache bei ihm.
 

Daß Harry ihn geküßt hatte, erschien ihm mit jeder Sekunde, die der junge Mann bei ihm war und seine Nähe suchte, immer weniger unwirklich. Und selbst die nervende Stimme in seinem Kopf, die gleiche, die immerzu von Katastrophen, Schmerz und Vorsicht gesprochen hatte, schwieg inzwischen.
 

Einzig eine Angst blieb nach wie vor. Und Severus war sich inzwischen eigentlich sicher, daß es keine Angst war, die auf einem möglichen Ereignis beruhte, sondern eine vor etwas, was mit einer absoluten Sicherheit geschehen würde. Die Konfrontation zwischen ihm und Sirius Black war unausweichlich. Und Severus wußte nicht, ob er stark genug dafür sein würde. Wenn es nur um ihn ging, dann war Black kein Problem. Er konnte sagen, was er wollte, beleidigen, verleumden, es machte ihm nichts aus. Doch was würde er im Bezug auf Harry sagen? Welche Register würde er dann ziehen? Und würde das dann auch einfach abgleiten oder würde er sich das zu Herzen nehmen, durch Sirius' Worte zu zweifeln beginnen?
 

Severus wußte, daß es vieles gab, was Sirius sagen konnte, um ihn zu diesem Ergebnis zu bringen. Der Vorwurf der Manipulation - der ganz sicher fallen würde - war da noch das geringste Übel.
 

Unwillkürlich wurde sein Griff um Harrys Schulter ein wenig fester und er fühlte, wie er sich neben ihm rührte. Er hatte gedacht, Harry würde schlafen, aber da hatte er sich offensichtlich getäuscht.
 

Harry richtete sich in Severus' Arm so weit auf, daß er sich auf seinem Ellbogen abstützen konnte. Er vermutete, daß sein Blick genau auf Severus' Gesicht gerichtet war, aber die Dunkelheit um sie herum war fast noch perfekter als in den Kerkern von Hogwarts. Keine Chance, wirklich etwas zu erkennen.
 

"Was ist los?" fragte er sanft und tastete vorsichtig mit der rechten Hand nach Severus' Gesicht, fand Lippen und Nase, strich zärtlich hinauf zu seiner Stirn, um dort das Haar wegzustreichen, das Severus ins Gesicht hing, wie fast immer, wenn der ältere zu abgelenkt war, um es zu bemerken und selbst wegzustreichen.
 

Harry lächelte. Bei nächster Gelegenheit würde er Severus ein Haargummi schenken.
 

"Ich dachte, du schläfst", entgegnete Severus, der Frage ausweichend.
 

"Kann nicht", murmelte Harry, während seine Finger weiter über Severus' Gesicht glitten und jeden Zentimeter Haut, den er nicht sehen konnte, statt dessen ertastete. Severus konnte fühlen, wie sein Herz schon wieder schneller schlug. Das hatte noch nie jemand mit ihm gemacht. Die wenigsten wollten ihn ansehen, geschweige denn auf eine so zärtliche Art und Weise berühren.
 

"Ich muß die ganze Zeit an diese Briefe denken. An Hermine. Das läßt mir keine Ruhe."
 

"Sie ist durcheinander. Vielleicht schreibt sie dir in den nächsten Tagen ja noch." Harry lachte und rückte ein winziges Stück näher an Severus heran.
 

"Manchmal, wenn du so etwas sagst, machst du mir fast schon Angst. Ich denke dann immer, daß es dir nicht gutgehen kann. Schließlich würde mein fieser, widerwärtiger Zaubertranklehrer niemals etwas so Nettes sagen. Und schon gar nichts, was meine Hoffnung am Leben halten soll." Severus wußte nicht, was er darauf sagen sollte. Nein, zu diesem gewissen Zaubertranklehrer paßte das wohl nicht. Er tat es ja auch eigentlich nie. Nicht, wenn es nicht um Harry ging. Und wenn es um Harry ging, dann war es so... selbstverständlich. Er mußte nicht einmal nachdenken, es passierte von selbst.
 

"Danke, daß du das für mich tust. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es ist, all diese Masken und Fassaden mal für einen Moment zu vergessen. Für mich machst du das ständig." Severus spürte, wie seine Kehle trocken wurde. Harry legte seinen Kopf auf seine Brust, schmiegte sich fast nahtlos an ihn. War das alles zu perfekt?
 

"Es ist erstaunlich leicht, es für dich zu tun, Harry. - Und ich glaube, was ich sage."
 

"Ich glaube, daß die anderen mir irgendwann verzeihen werden. Da bin ich mir sogar ein bißchen sicher. Aber Hermine... Ich habe ein verdammt schlechtes Gefühl, wenn ich an sie denke. Ich schaffe es im Moment noch nicht einmal, sie mir so in Erinnerung zu rufen, wie sie früher war. Wenn ich an sie denke, sehe ich immer wieder die Hermine, die sie damals nach Hogwarts zurück gebracht habe.
 

Diese Hermine war weiß wie eine Wand und wirkte wie eine Puppe aus dem Puppentheater, der man die Schnüre durchgeschnitten hatte. Sie hat mehrere Tage nicht geredet und die Mädchen haben erzählt, daß sie nachts oft schreiend aufgewacht ist. Meist hat sie dann noch stundenlang geweint.
 

Madam Pomfrey wollte Ron und mir damals nicht sagen, was sie außer den deutlich sichtbaren Schrammen noch für Verletzungen hatte. Ich hab nicht verstanden, warum sie daraus so ein Geheimnis gemacht hat, aber wenn sie irgendwelche Verletzungen hatte, dann sind sie auf jeden Fall schnell verheilt. Denn nach ein paar Tagen dann kam eine neue Hermine. Und die war voller Wut.
 

Egal was wir gesagt haben, auch wenn wir nur helfen wollten, sie hat immer sofort die Krallen ausgefahren. Eine falsche Bemerkung und sie war auf hundertachtzig. Und Hermine kann verletzender sein als du, wenn sie richtig wütend ist. Das war eine sehr unangenehme Überraschung.
 

An diese Hermine muß ich immer denken. Und ich habe genauso viel Angst vor ihr, wie ich um sie habe." Severus' Hand, die wieder beruhigend über seinen Rücken strich, gab Harry die Ruhe, die er brauchte, um das alles aussprechen zu können. Er war unendlich dankbar dafür, daß Severus scheinbar immer wußte, was er tun mußte, um ihm zu erleichtern, was unüberwindbar schien. - Wenn er ihm doch nur bei diesem Problem helfen könnte.
 

"Ich habe vor ein paar Tagen mit Direktor Dumbledore gesprochen." Die Hand hielt für einen Moment inne.
 

"Das wußte ich gar nicht." Severus' Stimme klang ein wenig gepreßt.
 

"Ich war in der Bibliothek. Er kann durch Tarnumhänge sehen, darum hat er mich gefunden. - Er schien froh zu sein, daß ich nicht sofort gegangen bin und irgendwie war es auch nicht mehr so wie früher. Es war wieder viel leichter, mit ihm zu reden. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, ihm nichts anvertrauen zu können." Die Hand legte sich wieder auf seinen Rücken, streichelte weiter. In Harry machte sich Erleichterung breit.
 

"Ich... Er hat mir geholfen, mich zu entscheiden, ob ich die Briefe schreiben wollte. Er hat mir von den anderen erzählt. Was sie jetzt machen, wie es ihnen geht. Ein paar Dinge haben mich ziemlich überrascht."
 

"Charlotte zum Beispiel?" Harry runzelte in der Dunkelheit die Stirn, dann fiel ihm ein, wen Severus meinen könnte.
 

"Heißt sie so? Ich hätte nicht gedacht, daß Sirius und Remus zusammen ein Kind adoptieren würden. Ich hätte nicht einmal gedacht, daß sie es dürften. Ich meine, sie sind beide Männer und sie sind doch kein Paar oder?" Severus lachte auf.
 

"Ich würde mich nie wagen, über Remus zu spekulieren, was seine Präferenzen betrifft, aber ich fresse einen Besen, daß Sirius auf jeden losgehen würde, der auch nur die Vermutung anstellt, er könnte homosexuell sein. Die zwei sind weder ein Paar, noch hat einer von ihnen beiden in den letzten Jahren einen Partner gehabt. Sie leben alleine mit Charlotte in London.
 

Grundsätzlich ist es nicht üblich, daß man zwei alleinstehenden Männern ein Kind überläßt, den möglichen Aspekt einer homosexuellen Beziehung vollkommen außer Acht gelassen. Charlotte allerdings... ihre Eltern waren Todesser. Das Ministerium ist froh über jedes dieser Kinder, das vermittelt werden konnte. Und es sind viele, das kannst du mir glauben. Die Waisenhäuser sind voll davon, weil keiner sie haben will." Harry hielt die Luft an, als Severus' Ton plötzlich umschlug.
 

"Alles das, was man als Ideologie der Todesser verpönt hat, die Reinheit des Blutes und wie wichtig es ist, es nicht mit unreinem Muggelblut zu vermischen... das alles spiegelt sich plötzlich in der angeblich guten Gesellschaft wider.
 

Keiner will diese Kinder haben, denn alle haben Angst davor, daß sie das böse Blut von ihren Eltern geerbt haben. Das ist mit der kränkste Blödsinn, den ich je gehört habe, gleich nach den Todesser-Ideologien, aber es ist vollkommen legitim. Keiner guckt dich schief an, wenn du so etwas sagst.
 

So sehr ich auch deinen Patenonkel für das verachte, was er ist, er hat meine ehrliche Bewunderung dafür, daß er nicht so denkt, obwohl er eigentlich der ideale Kandidat ist. Scheinbar denkt er aber wirklich nur im Bezug auf mich so vollkommen irrational. Das läßt darauf hoffen, daß er doch kein vollkommener Idiot ist." Harry kicherte.
 

"Ihr werdet schon irgendwann miteinander auskommen." Die Zuversicht in Harrys Stimme schnürte Severus fast den Atem ab. Das war nun wiederum etwas, an das er nicht glaubte. Das war so unmöglich wie Schnee im Sommer, obwohl er natürlich bereit war, gewisse Dinge nicht mehr ständig an die Oberfläche zu zerren, wenn er auf Black traf. Harry zu Liebe. Dennoch würde es nicht funktionieren.
 

"Wissen die Leute, wer Charlotte ist?"
 

"Nein. Albus weiß es, ich weiß es, weil ich ihre Eltern kannte. Vielleicht haben sie es noch Molly und Arthur Weasley anvertraut, aber ich würde nicht drauf wetten. Charlottes Eltern werden für immer ein Geheimnis bleiben, denn wenn es rauskommt, wird dem Kind das Leben nur schwer gemacht."
 

"Wie alt ist sie jetzt?" Severus dachte einen Moment nach.
 

"Fünf, glaube ich."
 

"Sie sind alle so dumm. Sie kennt ihre Eltern genauso wenig, wie ich meine kenne."
 

"Das ist einer der Gründe, warum man niemals blind auf seine Angst hören sollte. Es ist gut, sie zu haben, denn sie macht einen vorsichtig. Aber sie flüstert einem auch viel Dummes zu. Die wenigsten können unterscheiden, wann sie gut ist und wann nicht. - Deine Angst vor dem Treffen mit Hermine ist eine, auf die du nicht hören solltest." Severus konnte fühlen, wie sich Harry in seinem Arm anspannte. Er hatte scheinbar nicht mehr mit einer Überleitung zum ursprünglichen Thema gerechnet.
 

"Woher weißt du das?" fragte der junge Mann heiser.
 

"Weil ich weiß, daß ihr zwei es zumindest versuchen müßt. Vielleicht geht es für euch schlecht aus, vielleicht aber auch gut. Du darfst dich von deiner Angst nicht davon abhalten lassen, es wenigstens zu versuchen."
 

"Ich hatte irgendwie geahnt, daß du mir nicht zustimmen würdest, wenn ich sage, daß es besser ist, gar nichts zu tun und sich deshalb nie sicher sein zu können, ob es nun gut oder schlecht ausgegangen wäre."
 

"Du glaubst doch nicht wirklich, daß das besser gewesen wäre", tadelte Severus ihn.
 

"Ich weiß nicht."
 

"Ach Harry, du bist wirklich... Ich bin da, du mußt keine Angst haben." Harry sagte nichts, drückte sich nur fester an Severus, der das Herz des Jüngeren heftig schlagen fühlen konnte. Severus hätte gerne mehr für ihn getan, aber er wußte, daß er das nicht konnte. Er konnte versprechen, daß er da war, er konnte Harry auffangen, ihn schützen und sich um die Wunden kümmern, die er eventuell davontrug, wenn er jetzt wieder mit dem Laufen anfing. Aber laufen mußte er selbst. Das konnte Severus ihm nicht abnehmen und die einzige Hilfe, die er da bieten konnte, war, ihn in die richtige Richtung zu schubsen, damit er wenigstens nicht ins Leere lief.
 

~*~
 

Es hatte noch lange gedauert, bis Harry endlich eingeschlafen war. Sie hatten kein Wort mehr gesprochen, dafür um so mehr mit ihren Händen ausgedrückt, die scheinbar einfach die deutlichere Sprache sprechen konnten.
 

Fast konnte Severus noch immer Harrys Finger auf seinem Gesicht spüren oder fühlen, wie sie sich verzweifelt in sein Nachthemd verkrallten, weil die Angst ihn nicht losließ, nach ihm zu greifen drohte. Und er selbst hatte den jungen Mann so fest wie möglich gehalten. Er wußte nicht, ob er damit sein Versprechen untermalen konnte, immer für ihn da zu sein, aber er hoffte einfach, daß es Harry half, zu erkennen, daß er immer da sein würde, um ihn zu halten.
 

Jetzt war es schon mitten in der Nacht. Harry schlief endlich. Doch ihn selbst mied der Schlaf scheinbar mal wieder. Als ihm schließlich der Rücken vom stillen Liegen schmerzte, war Severus aufgestanden. Es hatte ja doch keinen Sinn, also konnte er seine Zeit auch besser nutzen und noch etwas lesen. - Oder ein wenig Licht im Schlafzimmer machen und Harry betrachten. Beides gute Alternativen.
 

Er entschied sich aber letztendlich doch dafür, ins Wohnzimmer zu gehen und sich dort ein Buch zu suchen. Er wollte nicht riskieren, Harry zu wecken. Er vertraute nicht wirklich darauf, daß der andere fest schlief. Wahrscheinlich würde er sowieso früher oder später in dieser Nacht noch einen Alptraum haben.
 

Da es in seinem Haus nicht ein Buch gab, das er noch nicht gelesen hatte, griff er kurzentschlossen nach dem Buch, das Hermine Harry vor vier Jahren schon hatte zu Weihnachten schenken wollen. Es war zwar nicht gerade ein Thema, auf das er brannte, aber vielleicht war es auch nicht verkehrt, sein Wissen zu dem Thema mal wieder auf den neuesten Stand zu bringen. Er selbst hatte schließlich noch nie daran gedacht, kein Leben als Zauberer zu führen oder gar unter Muggeln zu leben.
 

Severus wußte nicht genau, wie viel Zeit schon vergangen war, als er zum wiederholten Mal für heute das Geräusch eines Eulenschnabels an der Fensterscheibe hörte. Überrascht zog er die Augenbrauen zusammen.
 

Wenn das jetzt ein Brief von Hermine war, würde er ganz sicher nicht zulassen, daß diese Eule Harry weckte. Nachdem sie sich den ganzen Tag Zeit gelassen hatte, konnte das auch noch ein bißchen länger warten.
 

Da er aber wußte, wie die Eule reagieren würde, wenn er sie tatsächlich über Stunden draußen in der Kälte würde sitzen lassen, stand er schließlich auf und ließ sie rein. Zu seiner Überraschung machte sie aber keinerlei Anstalten, nach Harry zu suchen, sondern ließ sich auf dem nächstbesten Platz nieder, der sich ihr bot und streckte ihm ihr Bein entgegen, damit er den Brief losmachen konnte.
 

Post für ihn also? Das war sogar noch ungewöhnlicher, selbst dann noch, wenn man die Uhrzeit außen vor ließ.
 

Obwohl das Fenster noch immer offen stand, flog die Eule nicht sofort wieder davon, als er den Brief losgebunden hatte, sondern flatterte hinüber zum Kamin, wo sie sich auf der Lehne einer der Sessel niederließ. Behaglich plusterte sie sich auf und schloß die Augen. Offensichtlich wartete sie auf seine Antwort.
 

Er mußte zugeben, daß er neugierig war, als er den Brief entrollte. Er konnte sich nicht vorstellen, wer ihm mitten in der Nacht schreiben sollte. - Niemanden außer Black, aber wäre das Post von ihm gewesen, wäre sie rot und explosiv gewesen, da war er sich ziemlich sicher.
 

Severus brauchte jedoch nicht lange, um zu erkennen, von wem der Brief war. Er kannte diese kleine, saubere Handschrift sehr gut. Sie war fast so unauffällig wie der Zauberer, der zu ihr gehörte.
 

Severus,
 

bitte verzeih diesen späten Überfall, aber ich konnte einfach nicht bis morgen warten. Ich hoffe, es geht Dir ähnlich, dann hab ich Dich wenigstens nicht geweckt.
 

Ich hatte heute abend ein sehr langes Gespräch mit Sirius über diese ganze Sache. Wahrscheinlich ist es keine Überraschung für Dich, daß wir alle mehr als nur ein bißchen aufgewühlt sind. Keiner von uns hat damit gerechnet, daß so etwas passieren könnte. Es war ein Schock.
 

Es war gut, daß ihr nicht mehr im Schloß wart, als wir kamen. Ich nehme doch an, daß das nicht nur schön verlaufen wäre. Vermutlich hätte ich das schon sehen müssen, bevor wir hingegangen sind, aber ich gebe zu, meine eigene Aufregung und der Wunsch, Harry wirklich endlich wieder in die Arme zu schließen, hat mich in diesem Moment blind gemacht für das, was dabei noch passieren konnte.
 

Ron hat es ganz gut aufgenommen. Hermine ist so undurchdringlich wie der See von Hogwarts. Keiner kann bis auf den Grund sehen oder auch nur ahnen, was sie fühlt. So wie sie heute aussah, würde ich sogar sagen, sie hat gar nichts gefühlt und war nur da, weil Ron sie mitgeschleift hat. Aber ich kenne Hermine, daher weiß ich, daß das nicht so ist.
 

Sirius hat es auch relativ gut aufgenommen, allerdings - auch das wird für Dich nicht überraschend sein - wählt er mal wieder den einfachsten Weg, sich die Sache zu erklären. Er macht sich nicht die Mühe. Er glaubt, daß Du Schuld an allem bist. Selbst ich als sein bester Freund muß zugeben, daß Sirius in manchen Belangen ein Idiot ist und noch dazu schrecklich berechenbar.
 

Im Gegensatz zu ihm bin ich mir sicher, daß Du nichts getan hast, was schädlich für Harry ist, und das habe ich Sirius auch gesagt. Aber dennoch stellt sich mir die Frage, was hier vorgeht, Severus. Wir werden Harry selbst dazu befragen, wenn er bereit ist, mit uns zu sprechen. Aber wenn es etwas gibt, was wir wissen sollten, dann bitte, Severus, sag es mir. Ich möchte darauf vorbereitet sein, damit ich Sirius im Griff habe. Ich kann die Eskalation fühlen.
 

Was hast Du mit der Sache zu tun? Warum ist Harry noch immer bei Dir? Warum nicht bei uns? Was sieht er in Dir und was hast Du wirklich vor? Ich weiß, daß Du ihn nicht gehaßt hast. Ich dachte allerdings bisher immer, daß Du ihn trotzdem aufrichtig verachtet hast, ihn nicht leiden konntest. Ich verstehe nicht, was das verändert haben könnte.
 

Verzeih mir, wenn dieser Brief unangebracht war, aber dieser Abend hat Fragen für mich aufgeworfen. Wie viel von Sirius' Verdächtigungen sind wirklich Blödsinn? Warum war ich bereit, Dich sofort zu verteidigen, obwohl ich doch selbst nicht mehr weiß als alle anderen? Diese Geschichte ist verrückt.
 

Bitte kümmere Dich um Harry. Er wird schon wissen, warum er bei Dir ist, auch wenn ich hoffe, daß Du mir hilfst, ihn zu verstehen.
 

Remus Lupin
 

Severus ließ den Brief überrascht sinken, las ihn dann ein zweites Mal, fühlte wieder die selbe Mischung aus Überraschung und auch Verwirrung. Lupin hatte sich schon vor einigen Jahren, als er als Lehrer in Hogwarts gearbeitet hatte, sehr darum bemüht, ein normales Verhältnis zu ihm zu haben, was einzig an ihm und seinem alten Haß gescheitert war. Aber dennoch war das hier überraschend.
 

Severus hatte nicht damit gerechnet, daß der Werwolf in der Lage sein würde, seinen Kopf zu bewahren, wenn es um Harry und diese plötzliche Auferstehung ging.
 

Er wußte, daß er viele Fragen, die Remus in Wahrheit hatte, nicht beantworten konnte, aber die anderen würde er beantworten. Was genau ihn dazu brachte, warum er ausgerechnet Remus Lupin gegenüber ehrlich und auch in gewissen Maße hilfsbereit sein wollte - Severus wußte es nicht und er wollte es auch gar nicht wissen.
 

Er holte sich einen Bogen Pergament, Tinte und Feder und begann damit, eine Antwort zu schreiben, bevor dieses höchst merkwürdige Gefühl vielleicht noch nachließ.
 

~*~
 

Der Morgen graute und Remus wußte, es konnte jetzt nicht mehr lange dauern, bis das Haus sich regte. Charlotte würde wie jeden Morgen lange vor Sirius wach sein und fast freute er sich nach dieser schlaflosen Nacht darauf, auch wenn er schon fühlen konnte, wie hinter seiner rechten Augenbraue ein fieser Kopfschmerz entstand.
 

Er hatte nicht schlafen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Seit er den Brief an Severus losgeschickt hatte, war er von einer Unruhe befallen, die ihn einfach nicht mehr loslassen wollte. Er wußte, daß sein Körper ihm das nicht danken würde und er spätestens am Nachmittag für rein gar nichts mehr zu gebrauchen sein würde, aber jetzt war es zu spät, daran noch etwas zu ändern.
 

Erschöpft, aber immer noch nicht müde, ging er in die Küche, um sich einen starken Kaffee zu kochen und das Frühstück vorzubereiten.
 

Als die Eule an das Küchenfenster flatterte und mit ihrem Schnabel energisch dagegen stieß, fuhr Remus vor Schreck zusammen. Ein wenig Ungläubigkeit mischte sich noch hinzu. Wenn er überhaupt gehofft hatte, eine Antwort von Severus zu erhalten, dann hatte er ganz sicher nicht damit gerechnet, daß es postwendend passieren würde.
 

Seine Hände zitterten vor Aufregung und fast schon glaubte er, den Brief überhaupt nicht mehr vom Bein der Eule loszubekommen, als er ihn endlich in der Hand hielt. Diesmal hielt die Eule sich keine Sekunde länger als nötig auf, sondern flog sofort wieder los, um sich in der aufsteigenden Helligkeit einen Platz zum Schlafen zu suchen.
 

Lupin,
 

selten habe ich einen Brief gelesen, der mir mehr Möglichkeiten bot, meinen allseits beliebten Zynismus zu präsentieren, als der, den Sie mir geschickt haben. Und noch nie hab ich es erlebt, daß ich so wenig Antrieb hatte, das zu tun. Gewöhnen Sie sich besser nicht dran, ich fürchte, das wird eine Ausnahme bleiben.
 

Ich werde versuchen, einige Ihrer Fragen zu beantworten, aber ich sage gleich vorweg, daß ich nichts erzählen werde, was Aufschluß auf die letzten Jahre in Harrys Leben gibt. Zum einen weiß ich selbst sehr wenig darüber und zum anderen sind das Dinge, die Harry selbst erzählen muß. Aber ich denke, ich haben Ihren Brief schon so verstanden, daß Sie das wissen und akzeptieren. Das ist ein guter Ausgangspunkt.
 

Harry ist vollkommen freiwillig bei mir. Inzwischen zumindest. Anfangs war das nicht so, aber wie es dazu kam, gehört zu den eben angesprochenen Dingen. Glauben Sie mir einfach, wenn ich sage, daß der anfänglich angewandte Zwang notwendig war und nur zu Harrys Bestem diente, denn zu diesem Zeitpunk war seine Urteilsfähigkeit nicht gerade die beste.
 

Über dieses Stadium sind wir allerdings schon lange hinweg und ich kann nicht mehr tun, als Ihnen zu versichern, daß ich seither nichts getan habe, um Harry zu beeinflussen, bei mir zu bleiben. Vielmehr war ich es, der ihn schon seit vielen Wochen immer wieder dazu angehalten hat, sich mit Ihnen und einigen anderen seiner Freunde in Verbindung zu setzen. Daß es jetzt erst geschehen ist, war alleine Harrys Entscheidung.
 

Harry ist noch immer bei mir, weil er mir vertraut und weil er weiß, daß ich ihm helfen kann. Ich denke, das geht auf ein Geschehen zurück, das noch vor seinem Verschwinden lag, ich weiß es allerdings auch nicht sicher. Ich wäre allerdings der letzte, der ihn davon abhalten würde, zu Ihnen oder Black zu gehen, sofern er das wünscht. Bisher war das nicht der Fall. Abgesehen von Direktor Dumbledore und mir wußte bisher keine Menschenseele davon, daß Harry wieder da ist.
 

Er ist nicht in der besten Verfassung, Lupin, das will ich Ihnen nicht verschweigen. Es war noch sehr viel schlimmer, aber er ist noch weit von seinem alten Ich weg. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er je wieder zu diesem Punkt zurückkehren wird. Es ist alles nicht so einfach.
 

Ich zähle auf Ihre Hilfe, denn ich bilde mir keineswegs ein, daß ich der einzige bin, den Harry auf seinem Weg brauchen wird. Aber ich zähle vor allen Dingen darauf, daß Sie Black unter Kontrolle haben. Harry kann im Moment vieles brauchen, aber keine Vorwürfe oder voreiligen Schlüsse, für die unser gemeinsamer - Freund - leider bekannt ist. Bringen Sie ihn dazu, daß er Harry nicht bedrängt und seine Entscheidungen nicht in Frage stellt, und ich bringe Harry dazu, daß er sich so bald wie möglich mit Ihnen und den anderen trifft.
 

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was Harry in mir sieht. Wahrscheinlich nichts, was Black gefallen würde. Keinem von Harrys Freunden, wenn ich ehrlich sein soll. Im Moment bin ich der einzige Mensch in seinem Leben, alle anderen grenzt er aus. Ich weiß nicht, warum gerade ich der Auserwählte bin, aber ich werde in seinen Augen schon einen Zweck erfüllen. Am besten fragen Sie ihn das, wenn Sie ihn wiedersehen.
 

Was meine Seite angeht... Ich werde darauf zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingehen. Zum einen bezweifle ich stark, daß ich es überhaupt erklären kann, zum anderen möchte ich nicht für noch mehr Angst und Schrecken sorgen. Ich hoffe, Sie verstehen das, Lupin.
 

Im Augenblick geht es Harry ganz gut. Er hat Angst vor dem Treffen, das ihm bevorsteht, aber sein Zustand ist stabil und bisher hat er auch noch nicht davon gesprochen, daß er das Treffen nicht stattfinden lassen möchte. Es sieht also gut aus.
 

Ich hoffe, das beantwortet alle Fragen, die ich zu diesem Zeitpunkt beantworten kann.
 

Severus Snape
 

Remus lächelte und rollte den Brief wieder zusammen, um ihn in seiner Robe verschwinden zu lassen. Er beantwortete einige wenige Fragen, zu viele brannten in ihm, um sie in einem Brief beantworten zu können, aber er stellte ihn für den Augenblick vollkommen zufrieden. Er hatte so sehr auf Ehrlichkeit gehofft und er hatte nichts anderes beim Lesen des Briefes gefühlt.
 

Er hatte vorher schon gewußt, daß er Dumbledores Urteilsvermögen trauen konnte, auch wenn Sirius da anderer Meinung war. Und er konnte sich auch schon denken, was Harry in Severus sah. Er selbst hatte immer viel mehr in ihm gesehen als seine anderen Freunde. Er hatte es nie gezeigt, hatte nie den Mut gehabt, aber das hieß nicht, daß er nicht schon immer etwas von dem geahnt hatte, was sich ihm jetzt offenbarte.
 

Remus mußte kein Hellseher sein, um zu wissen, daß es trotz allem schwierig sein würde, Sirius von seiner Ansicht zu überzeugen, aber das war im Moment erst einmal zweitrangig.
 

Er fühlte sich fast schon überschwenglich fröhlich, als er sich jetzt wirklich daran machte, das Frühstück vorzubereiten. Er glaubte, daß er Charlotte oben bereits gehört hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (12)
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Von: abgemeldet
2005-05-02T20:42:53+00:00 02.05.2005 22:42
Hermine und Sirius machen mir etwas Sorgen. Harry wird es nicht leicht mit den Beiden haben. Ich hoffe aber doch das es gut ausgeht und sich alle vertragen.
Gruß
Serenity
Von:  abranka
2005-04-26T14:35:45+00:00 26.04.2005 16:35
Bis kapitel 8 bin ich jetzt mit lesen gekommen. ^^
Ich bin erst auf "And you..." gestoßen und dann auf die Fortsetzung und ich muss sagen: WOW. Mich hat schon lange keine Geschichte mehr begeistert und derart noch nie. *.*
(hey, nur für diesen Kommi benutze ich endlich mal wieder meinen animexx-account. Das sagt schon alles, oder?
So oder so - ich werde garantiert heute wieder so lange wie möglich weiterlesen. ^^
Mir gefällt das Dramatische und die wirklich ausgezeichnete Darstellung der Innenwelt der Figuren. Dank dir beginne ich mich erstens wieder für Harry Potter zu begeistern (was ich eigentlich hinter mir gelassen hatte. o.O) und zweitens Snape ernsthaft zu mögen...
Frohes Schaffen und viele gute Ideen für die weiteren Kapitel. :-)
abranka
Von:  Valvaris
2005-03-18T14:28:48+00:00 18.03.2005 15:28
Wai, wie toll! ^^ Ich liebe deine Storys!
Schreib weiter, ja?!
Von: abgemeldet
2005-02-08T20:31:19+00:00 08.02.2005 21:31
huhu!
ich hab gestern abend deine ff entdeckt und bin doch tatsächlich bis halb drei morgends vor meinem pc gesessen um wenigstens "And you... I wish I didn't feel for you anymore" und den Anfang von der Fortsetzung zu lesen.... Irgendwann konnte ich mich aber doch dazu durchzuringen ins bett zu gehn ;-)ich hab keine ahnung wie du das machst aber du erzählst so spannend, dass man irgendwie in die Geschichte eintaucht und sich nicht mehr befreien kann. Dafür hab ich mein Protokoll und ein Referat, die noch erledigt werden sollten einfach mal in den Hinterkopf gedrängt *gg* Gut wenn man die Schule so einfach verdrängen kann XD Also ich freu mich auf die nächste Ablenkung!
*knuddel*
Von: abgemeldet
2005-02-03T13:33:58+00:00 03.02.2005 14:33
also kurz gesagt: die ff ist warscheinlich die beste die ich seit langem gelesen habe
und ich muss mich Kiara_chan anschließen,
du schreibst sehr tiefgründig und vorallem realistisch.
so etwas findet man nicht oft ( auf ff bezogen)
ich war auch sehr erstaunt darüber, wie viele von harry's emotionen und gedanken ich bei mir selbst erlebe (ich bin nicht abhängig, wenn du das jetzt denkst. ist mehr auf sein minderwärtigkeitskomplex bezogen), weshalb die ff für mich warscheinlich auch so verlockend ist
genauso gut kann ich snape's verhalten und seine lage verstehen, hab selbst ne freundin die sich ritzt (auch wenn aus anderen gründen)
okay ich laber viel zu viel. würd mich jedenfalls freuen wenn du das nächste pitel bald on stellst
freue mich drauf
shazzy ^-^
Von:  Valvaris
2005-01-24T17:33:16+00:00 24.01.2005 18:33
ALso, ich hab alles von dir gelesen. Ja, ich kann nich gut Kommis schreiben, weil ich echt nich weis was man bei deinem Schreibstil verändern sollt, aber loben muss ich dich. ^^
Du schreibst echt spitze, und beschreibst alles so toll! *smile* Besonders mag ich wie du Harrys Gefühle beschreibst!
Also, wollt dia nur sagen das du noch nen Fan hast, und du unbedingt weiter schreiben musst! *fleh*

Vali
Von: abgemeldet
2005-01-16T17:33:26+00:00 16.01.2005 18:33
Endlich komme ich dazu einen Kommentar zu schreiben, denn bis zu diesem Zeitpunkt war ich zu sehr damit beschäftigt diese Geschichte zu verschlingen!!
Was soll ich sagen? Es mag sich übertrieben anhören, aber ich finde das ist mit Abstand die betse und emotionalste FanFiction, die ich bisher gelesen hab - jaja, das sagt sich so leicht, aber das ist mein voller Ernst!! :-)
Wie schaffst Du es nur diese Gefühle so überzeugend, so detailiert zu beschreiben?? Meine Bewunderung dafür! Dieses Talent ist wirklich beneidenswert...
Ich kann das nächste Kapitel kaum erwarten - erst recht, weil ich noch total von der Story gefangen bin und die Charaktere nicht einfach so ruhen lassen möchte!
Nuja, Geduld gehört zwar nicht zu meinen Stärken, aber es wird mir nicht anderes übrige bleiben, was?!
Aufe jeden Fall möchte ich Dir danken, dass Du diese Geschichte mit uns teilst!! :-)

liebe grüße,
vineta
Von:  Anshie
2005-01-15T00:28:09+00:00 15.01.2005 01:28
Jup da bin ich wieder! Ich hab mich wahnsinnig gefreut, dass Kapi 8 schon on ist! Wäre schön, wenn das immer so schnell gehen würde. Aber da deine Kapis immer recht lang sind, verstehe ich natürlich auch, wenn es länger dauert und für so einen klasse Schreibstil kann man sich ja auch Zeit lassen. XD
In diesem Kapitel hast du bewiesen, dass du nicht nur Harry und Severus (und Adrian) sehr gut beschreiben kannst. Auch die Handlungsweisen von Ron, Hermine, Sirius und Remus sind nachvollziehbar. Sogar die von Molly Weasley. ^^ Also wurde wieder mal eine neue gute Seite an deinem Schreibstil entdeckt, wobei es mich natürlich gewundert hätte, wenn du auf dem Gebiet der Nebencharas versagt hättest. Bei deinem Talent habe ich nichts anderes erwartet, als dass du dich auch hierbei wieder selbst um längen schlägt.
Wenn ich da an andere FFs denke, bei denen man Szenen in denen die beiden Maincharas nicht vorkommen am liebsten überspringen will - das ist hier einfach nicht der Fall. Ich lese alles gerne und gefesselt vor Spannung! ^^ Mein Herz schlägt schon schneller vor Freude, wenn ich nur sehe, dass du ein neues Kapi on hast.
Das ist einfach die beste FF die ich je gelesen hab ("And you" zähle ich mal dazu ^^) und Hoffnung darauf, dass nicht alle FF-Autoren pwp-geile Nix-Könner sind (Ich spreche niemanden persönlich an. ^^).
Also immer weiter so.
(Nur die Prozentangabe macht mir Kummer. Lass die doch nicht so schnell voranschreiten!!! T.T Was soll ich machen wenn's vorbei ist. *schon jetzt Angst hab*)
Das ist eine FF bei der man nicht ans Ende denken kann und auch nicht will.

A love ya!
*Fähnchen schwenk*
Anshie!
Von:  SeiyaKou*
2005-01-14T09:31:59+00:00 14.01.2005 10:31
Hallo....meine Wenigkeit möchte auch mal wieder kommentieren...*g*
Also...erstmal vorneweg: Das Kapitel ist spitze! ^^v
Wenn man "dahinter" schaut, kann man die Gedankengänge der Charas (oder eben Deine) gut nachvollziehen, auch wenn ich manche Absätze zweimal lesen mußte, bis es letztendlich "klick" gemacht hat! (Mit Hermione hatte ich aber auch -Verhaltensgrund:Vergewaltigung- in der falschen Annahme gelegen...!Aber das ist ja noch nicht aktuell)
Ich finde es auch gut,daß Du auch auf die anderen Charaktere eingehst...das trägt viel zum Verständnis bei...auch wenn ich mich nicht ganz mit einigen OC's anfreunden kann...*smile*
Zu guter letzt: Ich freu mich auf's nächste Kapi! ^^v
(PS: Neben "Verzauberte Schlange..." ist das hier meine nächstliebste Story....!Obwohl ich alle begeistert gelesen habe!)
lg,
S*
Von: abgemeldet
2005-01-11T14:08:40+00:00 11.01.2005 15:08
*reinflatter*

Mal wieder ein absolut geniales Chap!
Mir gefällt Adrian inzwischen total gut!
Der is irgendwie so... süß in seinem Leid -.-
Aber Herm verwirrt mich... ich glaub, ich muss "And you..." noch mal lesen... irgendwie weiß ich nicht mehr, was mit ihr los war!^^" Ist schon so lange her...
Jedenfalls kann ichs kaum erwarten, weiter zu lesen, ich freu mich auf das Treffen zwischen Harry und den Anderen!

*knuddel*
Bye!^^

+rausflatter


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