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It's cold outside - let me in

this is a tribute~
von

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Run - but still never leave it seems

Robin schloss die Türe hinter sich und atmete die eisige Morgenluft ein. Draußen war noch alles in Dunkelheit gehüllt und begrüßte sie mit einer Stille, die so ungewohnt erschien und doch so vertraut. Es war nicht dasselbe wie die Ruhe in ihrem Arbeitszimmer. Ab und an pfiff der Wind durch verschneite Fichtenbäume, die sich wanden und ihre Schneehauben von sich schüttelten.
 

Mit einem wehmütigen Blick drehte sich die Frau noch einmal um, erhaschte einen Blick auf Fenster mit zugezogenen Vorhängen. Nami schlief noch, und Robin wusste um die Gewohnheiten ihrer Partnerin. Dieser Moment war genau der richtige, um der Anspannung zu entfliehen, wenn auch nur für ein paar Stunden. Sie zog den Reißverschluss der Jacke zu und befestigte die Stirnlampe an ihrem Helm bevor sie sich zu ihren Schi wandte um sie zu schultern. Normalerweise waren beide die Ersten, die sich davonschlichen um die menschenleere Piste unsicher zu machen. Dieses Jahr jedoch – ja, dieses Jahr war alles anders. Nicht einmal die Kälte war so frostig wie ihre momentanen Interaktionen.
 

Robin stieß die Luft aus und machte sich auf den Weg.
 

Der Schnee knirschte unter ihren Schuhen und war die einzige Geräuschkulisse auf ihrem Pfad. Sie wusste, wohin ihre Schritte sie führen würden, so oft war sie ihn schon gegangen; doch zum ersten Mal seit einigen Jahren beschritt sie ihn alleine. Die Nacht umgab sie schweigsam und für einen Moment blieb die Archäologin stehen um innehalten. Eines war gewiss, nur hier konnte sie die Sterne so klar sehen, keine Wolken und keine Lichtverschmutzung trübte ihr die Sicht. Es rang ihr sogar ein Lächeln der Zufriedenheit ab als sich die Milchstraße auf indigofarbener Leinwand abzeichnete. War der Himmel über ihr schon immer so atemberaubend gewesen? Oder schätzte sie die Schönheit erst just in diesem Moment? Ihr Atem gefror in der Luft und stieg stoßweise empor. All diese Momente waren für Robin wie eine Poesie der Einsamkeit und sie sog die Eindrücke in sich auf. Würde es ihr Linderung verschaffen, wenn auch nur für diesen Augenblick, so war es die Schmerzen wert, die sie seit einiger Zeit mit sich herumtrug.
 

Nach einer guten Viertelstunde zu Fuß war sie weit genug entfernt um nur noch den Nadelwald zu sehen, der sie einsäumte, die Luft schwer von harzigen Düften. Ab und an konnte sie ein Rascheln, ein Knistern vernehmen – nachtaktive Tiere, sie sich im Schnee tummelten. Vor ihr befand sich eine Hasenfährte, sie war noch nicht alt; das Tier musste erst vor kurzem diese Haken geschlagen haben um zu flüchten.
 

Hier schien es perfekt zu sein. Robin aktivierte die Stirnlampe, zog sich die Skibrille über die Augen und legte die Schi auf den verschneiten Grund. Eher der Routine wegen klopfte die Frau den festen Schnee von ihren Schuhen bevor sie in die Bindung stieg – das Klacken der Sicherung eine Bestätigung, dass es endlich losging.
 

Gerne verzichtete die Frau auf Schistöcke, sie empfand diese nur allzu häufig als hinderlich. Mit einigen kurzen Schritten stieß sie sich ab und der Neuschnee der vergangenen Stunden hüllte ihre Erscheinung ein.
 

Nach einigen Schwüngen fand sie ihren Rhythmus, fand zu sich selbst. Lange Carvingschwünge zeichneten sich hinter ihr ab und zum ersten Mal seit langem fühlte sie sich befreit.
 

~~~
 

Nami drehte sich zur Seite und kniff die Augen zusammen. Noch etwas länger, dachte sie sich und rollte sich zusammen. Für einen kurzen Moment stieg ihr ein vertrauter Geruch in die Nase, doch etwas fehlte; die Wärme, die sie sonst umgab und beschützend einhüllte. Normalerweise hätte sie ihren Kopf etwas gereckt, in der Schulter jener Präsenz vergraben die schon seit Wochen nicht mehr anwesend war. Bitterkeit und Kälte kroch in ihr empor. Selbst in dieser Nacht, in der sich die Rothaarige mit Robin das Bett wohl oder über geteilt hatte, konnte sie sich dem primären Wunsch nach Rückkehr in die Normalität entziehen. Ihr eigener verdammter Stolz hielt sie davon ab. Wem wollte Nami etwas beweisen? Sie hatte auf stur geschaltet und trotzig ihren Film im Fernseher verfolgt. Und Robin? Normalerweise hätte sie ein Buch gelesen, bis eine der Beiden das Licht ausgemacht hätte wie ein stummes Kommando. Egal was sie nebeneinander zu tun pflegten – es war immer ein Hauch von Kontakt. Robins Hand, die durch ihre roten Locken strich bis sie die Seite umblätterte. Ineinander verschränkte Finger -herrgott, manchmal hakten sie sogar ihre kleinen Finger zusammen. Irgendetwas… ja, irgendetwas hielt sie immer zusammen. Nur nicht jetzt. Denn immerhin – sie spürte, dass noch ein kleiner Funke der Sehnsucht da war. Die Art und Weise wie klein ihre Freundin im großen Bett gewirkt hat, so verloren ohne jemanden, der sie halten würde – der ihre Schulter geküsst hätte, ihre Schläfen, ihren Hals.
 

Genau so verloren fühlte sich Nami in diesem Moment, nein, seit geraumer Zeit. Warum musste alles so verlaufen? Unbewusst streckte sie ihre Hand aus, suchte nach irgendetwas, irgendjemanden. Doch ihre Fingerspitzen berührten lediglich das mittlerweile kalte Spannbettlaken. Der Geruch, den sie vorher wahr genommen hatte, schien sich zu verflüchtigen wie der morgendliche Nebel. Sie schlug ihre Augen auf. Das Bett war leer.
 

Mit dieser Realisation verkrampfte sich ihr Magen und Nami schlug ihre Augen auf. Robin war weg. Schon wieder. Sie stieß einen Laut der Frustration aus und kickte die Bettdecke missmutig beiseite, ehe sie sich auf die Bettkante setzte und den Kopf hängen ließ, die angestaute Wut drohte das Steuer zu übernehmen. Schon am vorherigen Tag musste das Liebestolle Verhalten ihrer Schwester über sich ergehen lassen, während es Robin vorgezogen hatte ihr Heil in der Flucht zu suchen. Nojikos Glück erfüllte sie mit Eifersucht und hinterließ eine bittere Leere. Es war, gelinde gesagt zum kotzen. Beide traten auf der gleichen Stelle - und das seit Monaten. Keiner machte einen Schritt nach vorne, keiner schien nachgeben zu wollen. Eigentlich, so dachte Nami, war das doch kindisches Verhalten. Sie hatte doch genug unternommen um die Aufmerksamkeit ihrer Partnerin zu erhalten - und was tat diese? Sie ging immer mehr auf Distanz. Robin hatte es sogar vorgezogen, das gemeinsame Schlafzimmer zu meiden und sich im Gästezimmer zu verschanzen.
 

Was war das bloß für eine Beziehung??
 

Die Rothaarige wollte am liebsten schreien, jeden anbrüllen der sich trauen würde ihr in die Quere zu kommen. Dieser Pakt zwischen ihr und Robin, in Gegenwart der Familie auf heile Welt zu machen war doch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Zwar gab es genug andere Faktoren, die die Aufmerksamkeit von den Beiden lenkte aber – die Familie war alles andere als blöd. Das musste sie allzu oft feststellen. Blicke sagten oftmals mehr als Worte.
 

Was sollte sie nun tun, um diese angestaute Wut zu entladen um den restlichen Tag zu überstehen? Da gab es nur eine Idee. Obwohl Nami eigentlich zu müde war, sowohl körperlich als auch mental, raffte sie sich auf und schlurfte in Richtung Kleiderschrank um ihre Snowboardausrüstung auszupacken. Dabei fiel ihr eines auf. Es fehlten einige Dinge. Robins Skianzug, Stirnlampe und der Rucksack waren weg, welches nur eine Mutmaßung zuließ. Sie war ohne Nami losgezogen.
 

Wieder so eine typische Aktion der letzten Monate. Innerlich hatte Nami gehofft, dass sich beide gemeinsam auf die Piste stürzen würden. Doch auch diese Hoffnung wurde mit einem Schlag zunichte gemacht.
 

„Blöde Kuh,“ fluchte sie in sich hinein und hatte es nur noch eiliger, sich umzuziehen, denn sie hatte schon so eine Ahnung wo sich die Flüchtige herumtrieb.
 

~~
 

Missmutig schnappte sich Nami das Snowboard und knipste ihre eigene Stirnlampe an. Robin hatte doch echt nicht alle Tassen im Schrank, wann war sie denn bitte schon losgezogen? Ein kurzer Blick auf die Smartwatch verriet ihr, dass es just in diesem Moment fünf Uhr morgens war. Kurz blickte sie nach oben in den Himmel und zwang sich zur Ruhe. So lange konnte ihre Partnerin noch nicht unterwegs sein, oder? Andererseits war Robin eine Frühaufsteherin. Wer weiß, wann sie denn aufgebrochen war.
 

Nami neigte ihren Kopf zur Seite und das Feuer brannte erneut in ihrem Inneren. Was bezweckte die Frau damit? Konnte sie ihr nicht einfach an den Kopf werfen, was genau ihr so zusetzte, dass sie lieber davonrannte anstatt sich hinzusetzen und einfach Tacheles zu reden? Robin war doch immer diejenige, die auf „vernünftige Kommunikation“ pochte, also warum war es seit neuestem anders?
 

Sie starrte ausdruckslos auf den Schnee, der sich vor ihr ausbreitete wie ein silbriger Teppich, genau auf die Spuren, die ihre Partnerin vor ihr hinterlassen hatte. Anscheinend hatte sie es nicht sonderlich eilig. Vielleicht konnte Nami ja noch aufholen und sie erwischen bevor sie im Tal war oder den Pfad im Wald nutzte um zurück zu kehren. Denn dieser würde sich ohne Robins Hilfe mit dem Snowboard als äußerst undankbar erweisen und sie hatte definitiv keine Lust, die Route zu Fuß zurückzulegen. Verdammte Sadistin!
 

Der Weg kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Die meiste Zeit hatte sie damit verbracht, den vorgegebenen Pfad zu folgen, der Schein der Stirnlampe flackerte über den Schnee. Irgendwo in der Ferne schrie ein Kauz und es lief ihr ein Schauer über den Rücken. Im Dunkeln fühlte sie sich alleine nicht sonderlich wohl. Warum tat sich Nami das überhaupt an? Warum lief sie ihr nach wie ein Schoßhund, der um Aufmerksamkeit bettelte? War sie denn schon so tief gesunken? Was war nur aus der Nami geworden, die sich in Clubs herumtrieb und sich Frauen für eine Nacht aufriss?
 

„Die Liebe ist doch zum kotzen. Wer braucht sowas schon?“
 

Sie hatte ins Dunkel geschrien, doch wie erwartet kam nur eine gespenstische Stille zur höhnischen Antwort.
 

Und da begriff es die Rothaarige.
 

Sie brauchte es.
 

Hastig schüttelte Nami den Kopf und beschleunigte ihre Schritte als sie die Lichtung erkannte, stolperte und fluchte die letzten Meter ehe sie stehen blieb und ihren Blick zu den Sternen richtete.
 

„Hoffentlich ist das die Plackerei wert, sonst reiße ich ihr heute den verdammten Arsch auf!“
 

Mit einer traumwandlerischen Sicherheit bereitete sie sich vor und fixierte die Bindung des Boards. Etwas Respekt vor der Piste war noch vorhanden, vor allem bei den wenig optimalen Bedingungen und der Tatsache, dass sie sich erst wieder an das Handling gewöhnen musste.
 

Einatmen.

Ausatmen.
 

Mit einigen noch unbeholfenen Hopsern rutschte Nami schließlich über die Kante und setzte zu den ersten Schwüngen an. Ihr Körper begann sich an die gewohnten Bewegungsabläufe zu erinnern, mit jedem Turn gewann sie an mehr Sicherheit und Selbstbewusstsein. Der Schnee stob unter der Kante empor und erinnerte sie an die brechenden Wellen beim Surfen – ein absolut berauschendes Gefühl, nachdem sie sich seit Langem wieder gesehnt hatte.
 

Scheiß auf den ausgefallenen Urlaub.

Scheiß auf den Monat, den Robin bei diesen Ausgrabungen verbracht und immense Eifersucht in Nami hervorgerufen hatte.

Scheiß auf alles.

Fuck it!
 

Der nächste Bereich, in dem noch Neuschnee lag provozierte sogar ein Jauchzen, als das Adrenalin durch ihren Körper schoss. Seit langem hatte die Rothaarige ihr Freestyle Board gegen ein Alpines getauscht, genau aus diesem Grund. Der Speed – die langgezogenen Kurven und der frische Schnee der sie komplett einhüllte und auf ihren Wangen brannte; es tat gut. Ja, sie fühlte sich gut! Es war Zeit, den Moment voll und ganz auszukosten und alles auszublenden. Und dennoch schien eines essentiell für sie zu sein. Immer hatte die Frau die Spur vor sich im Auge und immer wieder blitzten Erinnerungen auf als sich beide Spuren kreuzte.
 

Sie waren so verschieden – und dennoch fanden sie stets eine Verbindung, eine Konstante. Liebe auf Distanz, doch jedes einzelne Treffen führte sie zusammen. Für einen Moment musste Nami an Krähen und deren Bindung denken. Je länger ein Pärchen zusammen war, desto synchroner wurde deren Flugbild, harmonisch. Ab und an schraubten sie sich übermutig in die Höhen, stürzten waghalsig in die Tiefen; doch sobald sich eine Thermik unter den Flügeln anbot, so glitten sie durch den Himmel und lachten krächzend über die Dummheit der Menschen unter ihnen.
 

Auch jetzt kreuzten sich deren Schwünge immer weniger, unbewusst hatte sich Nami an die langgezogenen Carvingschwünge angepasst und sich angenähert bis beide Wege zu einem verschmolzen. Trotz all der Euphorie, all dem Adrenalin das durch ihre Adern strömte erlangte sie einen Moment der Klarheit. All diese Metaphern waren in Windeseile durch ihren Verstand gerast und verdrängten einen Teil der aufgestauten Wut und Frustration. War sie jetzt etwa diejenige, die alles mit einem Anteil von Rationalität erfassen konnte?
 

In einem Anflug von Verwirrung bremste Nami zu hastig ab und strauchelte bis sie sich auf ihren Hintern fallen ließ. Protestierende Laute drangen von den Bäumen hervor, ihr stockte der Atem ehe sie komplett in die Schneedecke zurück sank und mit leerem Blick den Himmel über ihr betrachtete. Immer noch war es sternenklar, doch begann es langsam heller zu werden. Die klare Nacht war eisig kalt doch noch spürte sie es nicht. Die Gedanken der Rothaarigen wollten ihr keinen Moment der Ruhe gönnen und die schwindende Kakophonie von Tierlauten brachten auch keine Linderung. Sie hatte sie verloren.
 

Die Spur hatte plötzlich aufgehört.
 

Das Licht der Stirnlampe flackerte unruhig als sich die Boarderin aufrappelte und den Hang über ihr ableuchtete. Wie konnte das sein? Es war doch der Weg, den beide stets gefahren waren! Konfus löste Nami ihre Bindungen und stapfte den Weg zurück. Hatte sie etwas übersehen? Ihr Atem gefror an der Luft und nach einigen Momenten der Verwirrung konnte sie tatsächlich etwas ausmachen. Die Schwünge von Robin hatten eine scharfe Kurve in den Wald links von ihr genommen.
 

„Was zur Hölle…. Diesen Pfad kenne ich gar nicht? Was hast du jetzt schon wieder vor?“
 

Hatte Robin sie etwa gehört und war getürmt? War es eine unausgesprochene Challenge? Was auch immer es war, nun gab es keinen Weg zurück. Dafür war Nami schon zu weit gefahren und sie wollte es wissen. Trotzdem fühlten sich ihre Knie weich an und der Waldweg beinahe schon klaustrophobisch. Ihre Sinne drohten ihr schon Streiche zu spielen. Insgeheim fielen ihr die Waldbewohner ein, die besonders nachts ihre Runden drehten. Wölfe, Luchse. Die Frau zwang sich, tief durchzuatmen und trat in die vorderste Bindung, beschleunigte mit dem zweiten Fuß und stellte sich aufs Board um dem Pfad zu folgen. Ganz geheuer war es ihr nicht, mit jedem Laut schnürte sich ihr die Kehle ein bisschen enger zu. Wenn sie dann einen Grund hatte zu schreien, wäre es genau dieser.
 

~~
 

Robin war schon vor einiger Zeit an ihrem Ziel angelangt und steckte die Ski in den Schnee um den Rucksack von ihren Schultern zu nehmen. Hier fühlte sie sich endlich wohler in ihrer Haut um die Umgebung weckte Erinnerungen an früher. Der Waldweg führte zu einer alten Blockhütte, die immer noch bewohnt war nach all den Jahren. Beim Bewohner handelte es sich um einen Ranger, der sich um Wildbestand und Forstwissenschaften kümmerte. Oft hatte sie schon bei ihm in der kleinen Küche am Ofen gesessen und sich bei einer Tasse Tee aufgewärmt, sich mit ihm über Neuigkeiten ausgetauscht. Bei ihrer ersten Begegnung war die Archäologin noch ein Kind. Damals hatte er Robin nach einem Sturz aufgelesen und sie am Rücken seines Holzrückepferdes zurück ins Tal gebracht.
 

Nun, mit jedem Jahr wo sie älter wurde, bemerkte sie auch den Zahn der Zeit am Haus nagen. Einige Holzschindeln waren lose geworden, ein paar Balken moosbewachsen. Die Natur würde sich zurück erobern was einst ihr gehört hatte – ohne jegliche Ausnahme.
 

Robin nahm den Helm ab und die kalte Morgenluft begrüßte sie. Während sie im Rucksack nach ihrer Thermoskanne suchte, hörte sie ein Geräusch unweit der Hütte, direkt beim Unterstand der sich in einem Paddock befand. Schritte im Schnee, ein tiefes Schnauben und Brummeln. Reflexartig hob sie den Kopf und erkannte ihren alten Freund.
 

Duke, so hieß das Pferd, das sie damals ins Tal trug, stapfte gemächlich durch den Schnee und hob den Kopf. Auch dem fuchsfarbenen Kaltblut sah man das Alter an. Der Rücken hing schon durch, die Muskeln von damals begannen zu verkümmern. Sein Gesicht zeugte von der Weisheit, immer mehr Stichelhaare rahmten den Kopf ohne Blesse ein und verliehen ihm eine graue Brille. Was an Duke noch immer gewaltig schien, war seine Größe, sein Hals und man konnte durchaus noch erahnen welch beeindruckende Statur das Suffolk Punch damals besessen hatte.
 

Er erkannte Robin auf Anhieb als er ein heiser klingendes Wiehern ausstieß und sein Haupt schüttelte, dass die Mähne nur so flog. Mit einer beeindruckenden Agilität wendete er auf der Hinterhand und trabte auf sie zu, die Ohren gespitzt, Dampf stieg von seinem feuchten Fell auf. Das erste Licht des Morgens verlieh ihm eine ätherische Schönheit, die ihr nahezu Tränen in die Augen trieb.
 

„Hallo, Duke!“, begrüßte sie ihn mit einem verzückten Flüstern und näherte sich dem Zaun. Der Rucksack war noch immer in ihrer Hand, als sie eilig darin herum kramte und einen Apfel hervorzog. In diesem Jahr wusste die Frau nicht einmal, ob er noch lebte. Der Wallach musste schon an die 30 Jahre alt sein, doch sicher war sie sich nicht. Gegen Schluss verlangsamte er seinen Schritt und reckte seinen Kopf neugierig über den Holzzaun und beschnupperte ihre Hand ehe er zufrieden brummelte und sich an den Nüstern kraulen ließ.
 

„Hallo, mein alter Freund. Lange ist es her, nicht wahr?“
 

Robin lächelte und zupfte an seinem Stirnschopf um ihn zu richten und störendes Stroh zu entfernen. Sie wusste, worauf er wartete und ließ kurz ab um das Obst in zwei Hälften zu teilen. Duke nickte mit dem Kopf, er schien schon ungeduldig eher er eine Hälfte aus ihrer ausgestreckten Handfläche nahm und gierig kaute; der Saft tropfte von seiner Maulspalte und Robin verlor sich im malmenden Geräusch, das ihr des öfteren Komfort versprach. Sie selbst nahm auch einen Bissen von ihrer Hälfte und beobachtete das Kaltpferd mit einem Schmunzeln als er innehielt und nach der Frucht schielte.
 

„Keine Sorge. Ich habe genug für uns beide mit.“
 

Trotzdem reichte sie ihm ihre Ration und begann seinen immensen Hals zu tätscheln. Sein Geruch erinnerte sie an Geborgenheit, an eine Zeit als Robin mit ihrer Mutter einige Male vorbeikam und der Ranger beide in einem Schlitten mitnahm. Ab und zu durfte sie auch auf Duke sitzen und reiten, sofern er nicht einen anstrengenden Arbeitstag gehabt hatte. Auch dort hatte die Frau das Vergnügen, ihm zu zu sehen. Die Art und Weise wie Mann und Pferd miteinander kommunizierten, hatte sie damals schon beeindruckend gefunden. Das riesige Tier bewegte sich nahezu tänzerisch durch den Wald trotz der Holzstämme die er mit sich zog. Pfiffe und Stimmbefehle reichten um ihn wenden zu lassen. Es war ein Schauspiel, das seinesgleichen suchte.
 

„Na? Genießt du deine Rente? Oder lässt dich der alte Herr noch ab und zu Stämme ziehen?“
 

Robins Stimme war leise und kurz vergrub sie ihr Gesicht in seiner Mähne, atmete den Geruch des Tieres ein. Und plötzlich begann sich in ihr etwas zu regen. Eine Emotion, die sie lieber beiseite geschoben hätte.
 

„Es ist schön, dich zu sehen, mein alter Freund…“
 

Ihre Stimme versagte und sie konnte nicht anders. Die schwarzhaarige Frau schlang ihre Arme um den Hals des Tieres, heiße Tränen strömten an ihrer Wange hinab. Als würde Duke verstehen was mit ihr geschah senkte er seinen Kopf und legte ihn an ihrer Schulter ab. Stumm nahm er sie an, ihre Traurigkeit, ihren Frust. Sie wusste auch nicht, wie lange sie so an seiner Seite verharrt hatte. Wie viele Minuten waren verstrichen?
 

„Ich weiß nicht mehr weiter – lohnt es sich denn, noch zu kämpfen? Weißt du die Antwort?“
 

Robin schniefte und zog die Nase hoch. Welch unästhetische Art zu weinen.
 

„Jedes Mal, wenn ich nach Hause komme, fühlt es sich so fremd an, weißt du? Und nun sollen wir vorgeben, ein glückliches Paar zu sein? Wie soll das weiter gehen? Ich versuche, die Starke zu sein, doch auch meine Kraft stößt an ihre Grenzen. Ich… ich weiß nicht, ob ich das noch kann – heile Welt vorspielen, wenn das Fundament immer mehr ins Wanken gerät.“
 

Ein tiefes Brummeln holte sie aus ihrem Monolog. Duke hob seinen Kopf, der Ausdruck in seinen Augen lebhaft als er einen Punkt im Wald fixierte; sein Ohrenspiel verriet ihr, dass er etwas hörte – also hörte sie auch hin. Es war ein schabendes Geräusch, gedämpfte Schritte – und dann ein Fluchen.
 

Wer würde sich hierher verirren? Kaum jemand kannte den Weg, und die, die es taten waren normalerweise auf Schneemobilen unterwegs. Das hier war anders.
 

Dann sah Robin hoch und erkannte eine Figur, die ein Snowboard unter den Arm geklemmt hatte. Fluchend wie ein Rohrspatz stapfte sie am Pfad entlang und Robin? Sie seufzte tief.
 

„Es ist wohl egal, wohin ich laufe. Sie holt mich immer wieder ein…“
 

Duke stupste sie mit seinem massiven Kopf und erregte ihre Aufmerksamkeit. Mit einem wehmütigen Lächeln setzte sie sich schlussendlich in den Schnee und hielt ihm einen neuen Apfel hin, den er begierig annahm.
 

„Du hast Recht. Kein Davonlaufen mehr…“
 

Nami kam näher.
 

Und Robin schloss die Augen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: robin-chan
2023-12-25T09:01:01+00:00 25.12.2023 10:01
Ja, ich muss sagen, Duke hat eindeutig verstanden und eine wertvolle Lektion erteilt! Reden, nicht laufen ;)
Ein paar Einblicke habe ich ja bereits erhalten und der Rest gefällt mir genauso! Es ist irgendwie lustig zu sehen, in welche verschiedenen Richtungen ein Ausgang gehen kann, besonders mit den Sturköpfen ;)
Besonders gefällt mir jedoch Namis Abfahrt, die Metaphern und eben das Angleichen ihres Fahrens. Das macht in dem Fall alles aus. Man gleicht sich an und kann dennoch nicht davonlaufen, wie Robin schön mitbekommt. Schätze mal, dass Nami den gesamten Wald aufgeweckt hat? xD Kommt davon, wenn man allem nachgeht. Sie kann froh sein, dass sie Robin nach ist und nicht irgendeine Spur verfolgt hat. Nachts ... Berg ... guter Anfang für Horror ;)
Aber ... war da nicht noch etwas mit einem Schneeengel auf Koks? Ah, ne, war ja die Crack-Version xD Freue mich auf den nächsten Part und den gefürchteten Dialog ;)


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