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Juliane und die Liebe

von

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Die Sache mit Nick

Als Juliane Nick das erste Mal gesehen hatte - auf der Januarfete im Otto-Suhr-Wohnheim - war sie noch mit ihrem damaligen, ersten Freund zusammen gewesen. Nick hatte sie - und auch Viktor - ihrer dunklen Haarfarbe wegen für Spanier gehalten. Und dann hatte er auf ihre Frage, auf wie alt er sie wohl schätze, mit 'Mitte zwanzig' geantwortet, was angesichts ihres tatsächlichen Alters um 10 Jahre daneben lag. Er selbst hatte behauptet, er würde bald 25, erst später hatte sie erfahren, daß Nick tatsächlich zunächst erst einmal 24 werden mußte.
 

Aber Nick war damals auch ziemlich blau gewesen, hatte wohl dadurch den Mut gehabt, sie hemmungslos anzumachen und mit seinen Bemerkungen eine Menge zur Steigerung ihres Selbstbewußtseins beigetragen. Vorher hatte sich nie ein Mann so unverhohlen für sie interessiert, so überschwengliche Komplimente gemacht, nicht einmal Viktor, der die Kontrolle seiner Emotionen kultivierte, insbesondere im Umgang mit seiner 'oberflächlichen Beziehung', wie er es nannte.
 

Nick hatte ihr erzählt, daß er leider trotz Müdigkeit nicht ins Bett könne, da sein Freund sich in seinem Zimmer gerade mit einer Frau vergnügen würde - aber zu viert wäre es wiederum etwas anderes - und ob sie nicht Lust habe, ihn zu begleiten. Aber Juliane hatte nein gesagt, denn damals war sie ja noch mit Viktor zusammen gewesen und sie hatte die Hoffnung gehegt, daß Viktor sich an dem Morgen, der der Fetennacht folgen sollte, mal ein bißchen zugänglicher zeigen würde. Das war natürlich nicht so gewesen, zudem waren sie durch einen sehr frühen Anruf unsanft aus dem Schlaf gerissen worden; eine Frau hatte sich auf der Fete ihre Lederjacke klauen lassen und wollte nun von Viktor, als Angehörigem des Heimrates, wissen, ob sie sich vielleicht wieder angefunden hatte.
 

Was war sie eifersüchtig auf diese dralle blonde Schnepfe gewesen, mit der Viktor auf der Fete auch getanzt hatte - viel besser als mit ihr. Damals hatten Viktor und sie verabredet, gemeinsam einen Tanzkurs zu besuchen, um dem abzuhelfen. Und das taten sie nun tatsächlich, jeden Mittwoch abend - obwohl es aus war und alle ihre Freunde sie deswegen für verrückt hielten.
 

Auf der nächsten Otto-Suhr-Party Ende April war es mit Viktor schon zuende gewesen. Mit einigen Bekannten war sie gegen ein Uhr nachts noch oben an seiner Zimmertür gewesen, da er nicht unten Thekendienst machte, wie er behauptet hatte, um sein Fernbleiben von einer anderen Verpflichtung an dem Abend zu entschuldigen. Sie hatte ihn gefragt - und das hatte ihren Begleitern, eher Viktors als ihre Freunde, die Schamesröte ins Gesicht getrieben -, ob er notfalls einige Gummis überhabe, falls sie auf der Fete mit einem jungen Mann anbandeln würde.
 

Konkret hatte sie dabei an Nick gedacht, was ja nicht unmöglich war angesichts seiner Zutraulichkeit auf der letzten Fete, und tatsächlich hatte sie ihn auf dem Weg nach oben zu Viktors Zimmer schon gesehen und kurz mit ihm gesprochen. Sie hatten sich sofort erkannt, wenn ihr auch sein Name entfallen war, und sie hatte ihm auch gleich gesagt, daß sie nun solo sei. Über Nick war Viktor natürlich im Bilde, denn über die Frage, ob sie denn wirklich nicht spanischer Herkunft sei, angesichts ihrer dunklen Haare und Augen, hatten sich Viktor und sie noch lange amüsiert.
 

Dabei war bei ihr vielleicht tatsächlich etwas von einer spanischen Urahnin zu sehen. Ursprünglich motiviert durch staatliches Diktat waren einige von Julianes Vorfahren in der Ahnenforschung aktiv gewesen - zumindest was die Abstammungslinien der eigenen Familie betraf. Insbesondere von ihrer Vaterseite war Juliane daher - glaubte man den Erzählungen, die ihr Großvater verbreitet oder tradiert hatte - rundherum Europäerin. Die Mutter ihres väterlichen Großvaters war in Italien zu ihrem Kind gekommen und die Mutter ihrer väterlichen Großmutter war eine Engländerin. Überhaupt gab es ein paar nette Geschichten über die englische Ahnenreihe. So hieß es, daß ein Earl, der später seinen Titel abgelegt hatte, sich von einem Spanienaufenthalt eine Nonne mitgebracht habe, die dann die Mutter seiner Kinder und Ahnin aller folgenden Generationen geworden sei.
 

Nun, Viktor blieb in dieser Aprilnacht auf seinem Zimmer - einen Monat später stellte sich heraus, daß er an dem folgenden Tag eine wichtige Prüfung erfolgreich absolviert hatte - und sie kehrte zurück zur Fete. Die Tanzfläche war so voll, daß man kaum stehen, geschweige denn tanzen konnte, also sah sie sich um, wen sie denn so kannte - außer Viktors Freunden. Sie fand Nick, der sich angeregt mit einer stark geschminkten Blondine unterhielt, grüßte ihn kurz, verweilte aber nicht, da sie es für fruchtlos hielt und außerdem einen Studienkollegen aus der Einführung in die biblische Literatur traf, mit dem sie sich, jeder eine Flasche Bier in der Hand, lange unterhielt, im Allgemeinen über Ex-Liebschaften und insbesondere über Julianes durch die Anmeldung schon konkret umgesetzten Plan, mit ihrem 'Ex' einen Tanzkurs zu besuchen.
 

Vielleicht hatten ihre Freunde sogar Recht gehabt, sie für verrückt zu erklären, denn nach den ersten Tanzstunden hatte Juliane sich jedes Mal furchtbar verlassen gefühlt, wenn sie Viktor wieder so nah gekommen, der seiner Weitsichtigkeit zu verdankende verträumte Blick wieder auf sie geheftet gewesen war. Vielleicht hatte sie sich deshalb vorzugsweise Mittwochs auf die Suche nach einem neuen Bettgenossen gemacht.
 

Dann sah sie Nick wieder - diesmal allein - und er fragte, ob er ihr ein Bier holen solle, dafür müsse sie aber seines und das seines Freundes halten. Sie bat um ein Jever, Nick brachte es nach einer kurzen Weile und Nicks Freund tauchte wenig später auch auf, aber das störte sie beide nicht. Juliane war fasziniert von Nick, von seinen blonden Haaren, seinen hellen Augen.
 

*
 

Bis dahin war sie der Meinung gewesen, nur dunkelhaarige, breit gebaute Männer etwa in ihrer Größe seien einen zweiten Blick wert - eben solche Typen, wie Viktor einer war, dessen Größe von einsachtzig beim Tanzen oft zu wenig waren, weil er immer sehr flache Schuhe trug und sie nur mit Hacken gut tanzen konnte. Nick dagegen war ein gutes Stück größer als sie, athletisch aber schlank und blond. Zudem behaart, wie sie im weiteren Verlauf der Nacht entzückt feststellen konnte - und er sagte so wunderbare Sachen: daß er ältere, dunkelhaarige, intelligente Frauen mit Brille faszinierend fände, sie genau sein Typ sei - folglich konnte sie nicht anders, als dahinzuschmelzen.
 

Zwei Bier hatte sie schon getrunken, nun wurde ihr noch ein drittes Jever in die Hand gedrückt. Das leicht schwebende Gefühl des Angeduselt sein hatte sich schon vor einer Weile eingestellt, aber es war sehr angenehm, enthemmte sie völlig und sie war zu allem bereit mit diesem jungen Mann, dem sie ihrerseits nun wieder Komplimente über sein Aussehen machte. Und plötzlich, als sein Freund gerade auf die Tanzfläche verschwunden war, standen sie sich dicht gegenüber und küßten sich lange.
 

Wie immer wirkte es sofort, schon der Kuß allein entzündete ihre Lust. Ursprünglich hatte sie das Phänomen auf den Magnetismus ihrer großen Liebe - Viktor - geschoben. Aber nachdem es ihr mit ihrer heimlichen Affäre wieder begegnet war, wunderte es sie nicht mehr, es auch mit Nick zu erleben. Sie sprachen kaum noch etwas, sondern gingen hinauf in sein Zimmer, zogen sich gegenseitig aus und Juliane fragte: "Hast Du Gummis?"
 

Nein, er hatte nicht! Er wollte wissen, wie lange ihre letzte Regel denn her sei, möglicherweise wäre es doch ganz ungefährlich, aber schnell brachte sie ihn auf den Teppich zurück. Mit ihrem Glück, so sagte sie, würde sie sicher gleich schwanger werden. Dieses Argument zog mehr, als es ein Hinweis auf AIDS getan hätte. Sie hatte ja gleich erzählt, daß sie bis zu diesem Moment erst mit einem einzigen Mann Sex gehabt hätte und das sei nicht ihr Exfreund, der 'Spanier', gewesen.
 

Nick hatte eine Freundin gehabt, eine Französin, im Januar war es mit der gerade vorbei gewesen, aber er trauere ihr immer noch nach und sei überzeugt, wenn er nur einen Tag mit ihr verbringen würde, hätte er sie wieder. Doch die Zeit habe er jetzt während des Semesters leider nicht. Während der Ferien war er im Skiurlaub gewesen, bei dem wirklich munteres Treiben geherrscht hätte, und mit zwei oder drei der jungen Mädchen, die dabei gewesen waren, war er wohl je ein- oder mehrmals in die Kiste gesprungen. Asienbegeistert sei er, Koreanisch lerne er, nach dem Examen würde er eine Weltreise unternehmen und auf dieser in Korea länger verweilen, um Land und Leute besser kennenzulernen - aber er hatte keine Kondome zuhause.
 

Spaßeshalber schlug Juliane vor, doch bei Viktor zu fragen, der müsse noch welche haben, denn gekauft habe er welche. Tatsächlich waren sie ja mit ihr nie wirklich zum Einsatz gekommen. Nick ging darauf jedoch nicht ein und meinte nur, er würde seinen Freund fragen, zog sich wieder an und ließ die nackte Schönheit auf seiner Matratze zurück. Und da lag sie, dann stand sie auf und besah sich das spärlich eingerichtete Zimmer.
 

Von den Plakaten an den weißen Wänden und den Türen der Wohnheim-Einbauschränke sagten Juliane nur Audrey Hepburn aus Breakfast at Tiffany's und die Bilal-Poster etwas. Auf dem Schreibtisch stand ein PC, auf dem kleinen Hängeregal zwei Fachbücher aus der Bibliothek, ein koreanisch-deutsches Wörterbuch und Comicalben. Stapel von Comics lagen auch auf dem Fußboden verteilt, zwischen Bierflaschen und Salzstangentüten - zum Teil nur halb geleert - für die sich Nick gleich beim Betreten seines Zimmers entschuldigt hatte mit den Worten, er habe die Wohnheimsfete mit ein paar Freunden bei sich oben begonnen. In einem der Comicstapel entdeckte sie beim Stöbern ein Heft, mit dem sie sich die Zeit vertreiben konnte: Der Incal von Jodorowsky und Moebius.
 

Von den insgesamt sechs Alben hatte sie immerhin drei gelesen, bis Nick zurückkam und kurz von seiner Suche nach Kondomen berichtete. Es war darauf hinausgelaufen, daß er bei einem Automaten in der Nähe des Wohnheims welche gezogen hatte. Fünf Stück für fünf Mark in knallrot. Und dann zog er sich wieder aus.
 

Tatsächlich wurden zwei der Gummis erfolglos entrollt und schließlich endete es damit, daß sich Nick - dessen männliche Eitelkeit angesichts seiner zur Unzeit eingetretenen Schwäche einen Knick zu erleiden drohte - vor der rücklings auf der Matratze liegenden Juliane auf den mit Salzstangenkrümeln bedeckten Boden kniete, um sie anderweitig zu befriedigen. Während dieses langandauernden und zumindest für Juliane sehr lustvollen Prozesses kam Nicks sturzbesoffener Freund in das Zimmer, besah sich die Szene und brauchte eine Weile, bis er verstand, daß er hier überflüssig war.
 

Obwohl Juliane sich bewußt war, in diesem Moment einer der Hauptakteure zu sein, fühlte sie sich zugleich völlig losgelöst von den ihr unwirklich scheinenden Vorgängen. Es konnte doch nur ein wunderbarer Traum sein, daß sie den Kopf eines jungen Mannes liebkosen, die Haare verwuscheln konnte, der ihr durch seine sehr gekonnt wirkenden Bemühungen Glücksgefühle verschaffte. Der Auftritt von Nicks Freund reizte sie allerdings zu einem herzlichen Lachen.
 

Nach einer Weile hatte sie dann Mitleid mit Nick und erlöste ihn aus seiner unbequemen und sicher viel weniger lustvollen Lage, indem sie ihm einen Orgasmus vorspielte um sich dann ihrerseits gleicherweise bei ihm zu revanchieren.
 

*
 

Der nächste Morgen begann für beide gegen halb zwölf. Sie duschte in der kleinen wohnheimtypischen Naßzelle, die nicht über ein Duschbecken, sondern nur über einen Abfluß im Boden verfügte. Nackt, sich abtrocknend kam sie dann noch einmal Nicks Freund unter die Augen. Offenbar hatte er doch eine schwache Erinnerung an die Nacht - oder Nick hatte ihn daran erinnert während sie unter der Dusche gewesen war - denn er entschuldigte sich mit ein paar Worten für sein Hereinplatzen. Auch jetzt noch fand Juliane das Ganze eher lustig als schockierend und die Erinnerung drängte ihr ein breites Grinsen auf.
 

Nick hatte ihr die drei noch ungelesenen Alben des Incal-Zyklus ausgeliehen - einer praktisch Wildfremden - und er sagte noch, eigentlich würde er nicht damit rechnen, sie jemals wiederzubekommen. In Julianes Augen erforderte das eine unbedingte Rückgabe. Sie würde ihm die Alben diesen Abend auf dem Weg zum Tanzen vorbeibringen.
 

Eine Beziehung waren Nick und sie nie eingegangen, es hatte sich eher zu einer Art freundschaftlichem Verhältnis - schon auch im mehrdeutigen Sinne - entwickelt. Nick hatte sein Versagen wohl ziemlich erschüttert, obwohl sie keinen Zweifel daran gelassen hatte, wie sehr ihr das Beisammensein gefallen hatte. Er hatte behauptet, soetwas sei ihm zuvor nie passiert und an allem sei nur die Trennung von seiner Französin schuld, das hätte ihm einen Knacks verpaßt.
 

Nick wollte die Liebesnacht als eine einmalige Geschichte verstanden wissen, dennoch verabredeten sie sich während des Frühstücks in der Mensa zum Kino, allerdings erst für den folgenden Abend, denn an dem Abend stand das erste Mal Tanzstunde mit Viktor an - und glücklicherweise war sie damals mit ihrem Gedanken ununterbrochen bei Nick gewesen.
 

Sie war tatsächlich mit Nick im Kino gewesen, danach noch im Slatterys, das sie an diesem Abend das erste Mal betrat, und in dem sie beide noch lange bei Kilkenny und Guinness saßen und redeten, bis zur Verabschiedung durch einen flüchtigen Kuß auf die Lippen. Lange Gespräche, zumeist telefonisch, hatten sie danach noch öfters geführt, er hatte ihr von seiner Französin erzählt, der er noch immer nachtrauerte, und sie erzählte von Viktor, dem sie noch immer anhing - und sie berichteten einander von ihren neuen Eroberungen und ihren Versuchen, das Glück zu finden.
 

Ein paar Mal war sie mit Nick beim Tanzkurs gewesen, weil Viktor durch andere Termine ausfiel. So viel besser hatte sich mit ihm tanzen lassen, seiner Größe, aber auch seiner Erfahrung wegen, denn er hatte bereits einen Goldkurs absolviert. Und so nette Komplimente hatte er ihr gemacht, wie gut sie sich führen ließe, wie sehr sie sein Typ sei, wenn er nur nicht diesen Knacks weghätte, und so fort.
 

Und Ende Mai an einem Freitag abend, kurz vor seinem Umzug - als sie eigentlich ziemlich erkältet war und nur schlafen wollte - rief er plötzlich an, er wolle sie mit einer Flasche Rotwein besuchen, ob sie denn einen Balkon oder eine Terrasse habe. Sein Anruf wirkte Wunder an ihrer Gesundheit und sie sagte begeistert zu. Als Nick vor der Tür stand, war sie jedoch erschüttert, denn er hatte einen Drei-Millimeter-Schnitt, der ihn optisch stark veränderte, ihn schrecklich jung aussehen ließ, insbesondere, als er erschöpft in ihrem Bett lag - da war ihr fast die Lust an ihm vergangen.
 

Aber Juliane freute sich doch, ihn zu sehen, freute sich, möglicherweise wieder Zärtlichkeiten mit ihm austauschen zu können. Und sie leerten die Flasche, brannten sämtliche Kerzen, die im Haus waren, ab in dieser Nacht - und versuchten es wieder einmal, und wieder erfolglos, diesmal mit aromatisierten Gummis, die sie seitdem haßte, denn auch Haut nahm diesen schrecklich künstlichen Geschmack an.
 

* * *
 



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