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Die Prinzessin aus Marzipan

Phantasiestück in fünf Aufzügen
von

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Die Personen und 1.Aufzug, 1.Bild

Die Personen:
 

Socratis, Hofzauberer,

Hugo, Hofastronom,

Seine Majestät König Ferdinand von Schwarzberg,

seine Gattin, Ihre Majestät Königin Amalie von Weißenburg,

beider Sohn, Prinz Jakob,

Prinzessin Helene von den Nordsümpfen, als Geist und lebend,

Meister Zacharias, ein gewerblicher Drachentöter,

ein Astronomenlehrling,

zwei Jünglinge und ein Holundergeist.
 

Außerdem:

Janosch Einauge, Minister in Schwarzweiß - Burgberg,

ein Wanderprediger von der Goldenen Schüssel, kahl,

eine Schaustellertruppe,

ein Dämon, Metrol-hicker,

ein Hofbildhauer

und ein Konditor,

ein toter Prinz von den Silberbergen, im Sarg,

ein Bauer,

Hofstaat, Gesinde, Volk, viel Marzipan und ein

Uhu.
 

Ort der Handlung:
 

Wasserburg 'Königsblick',

Regierungssitz des Königreiches Schwarzweiß - Burgberg
 

*
 

1. Aufzug, 1.Bild:
 

Thronsaal der Wasserburg 'Königsblick'
 

"Eine Katastrophe, Majestäten, eine Katastrophe!" schrie der Hofastronom und rannte mit geschürzter Robe durch die hallenden Gänge auf die offene Tür des Thronsaales zu, in dem Königin Amalie von Weißenburg und ihr Gatte, König Ferdinand von Schwarzberg, Hof hielten. Der sternbestickte Samtumhang wehte hinter dem Hofastronomen her, wie ein Paar purpurner Flügel.
 

"Eine Katastrophe!" rief der Hofastronom erneut, dann erreichte er den Thronsaal und warf sich knapp hinter der Türschwelle auf die Knie, ein zerknautschtes Papier fest in der Faust haltend. Der ganze Hofstaat wandte ihm erstaunte Augenpaare zu, mit Ausnahme des Ministers, der als Janosch Einauge bekannt war. Der Bauer, der Ihren Majestäten gerade seinen Fall vorgetragen hatte und nun auf den Richtspruch wartete, drehte sich erbost zu dem Störenfried um.
 

Der König warf den bestickten Saum seines Hermelinumhanges über den rechten Unterarm und stand vom Thron auf. "Bei allem Respekt, Meister Hofastronom, warum stört Ihr Uns?" Die Königin schloß sich mit hochgezogenen Augenbrauen der Frage ihres Gemahls an.
 

Der Hofastronom warf sich bäuchlings auf die Granitfliesen. "Verzeiht mir, Majestäten, aber was ich heute im Horoskop des Prinzen, Eures Sohnes, gelesen habe...  eine Katastrophe, Majestäten!"
 

"Sprich, Unglücklicher", forderte die Königin den Hofastronomen mit schneidender Stimme auf, doch bevor dieser antworten konnte, näherten sich dem Saal erneut hallende Schritte, eine zitternde Stimme krächzte: "Ein großes Unglück, Majestäten, ein sehr großes Unglück!" und gleich darauf lag der Hofzauberer neben dem Hofastronomen auf dem Boden, wobei seine hagere Gestalt fast völlig von seinem blauschwarzen, mit magischen Symbolen bestickten Samtumhang bedeckt wurde. "Was ich soeben in meiner Kugel erblickt habe, Majestäten, zerriß mir das Herz. Der Prinz, Euer Sohn..." Plötzlich bemerkte der Hofzauberer den jüngeren Mann neben sich, dessen Purpur für ihn schon immer ein rotes Tuch gewesen war. "Die Konkurenz war wohl schneller, was?" sagte er bissig.
 

"Was ist mit Prinz Jakob?" fragte der König ungeduldig und kratzte nervös an dem Krönchen auf seinem Zepter.
 

"Majestäten...", begannen Hofzauberer und Hofastronom gleichzeitig und warfen sich dann mordlüsternde Blicke zu.
 

"Einer nach dem anderen", entschied die Königin. "Meister Hofastronom...", ein siegessicheres Lächeln erhellte das Gesicht des Angesprochenen, und er hub schon an zu sprechen, da fuhr die Königin fort: "Ihr hattet die Ehre, Uns als erster auf die drohende Gefahr hinzuweisen. Nun sei es am Meister Hofzauberer, Uns Näheres zu berichten, da Ihr anscheinend über den gleichen Vorfall besorgt seid." Nun grinste der Hofzauberer, und sein abgezehrtes, faltiges Gesicht zog sich dabei deutlich in die Breite.
 

"Majestäten", begann der Hofzauberer befriedigt, "soeben sah ich, wie die düstere Wolke des Unheils ihren Schatten auf Euren geliebten Sohn, unseren Prinzen Jakob, fallen ließ. Hört denn, welches Schicksal ihm bevorsteht und mit ihm dem ganzen Königreich Schwarzweiß - Burgberg... "
 

"Einen Moment bitte, Meister Hofzauberer", unterbrach der König und ließ sich wieder auf den Thron fallen. "Wir entlassen den Hof. Gericht wird morgen, zwei Stunden nach Mittag, gehalten. Und Du, Bauer, bearbeite den 'Drei-Buchen- Acker' weiter. Wenn Du Ärger mit Deinem Nachbarn deswegen hast, mach das mit Ihm aus. Wir können Uns ja nicht um jeden Furz kümmern."
 

"Ferdi!" mahnte die Königin streng. Der König zuckte wegwerfend mit den Schultern und ließ seinen Mantel vom Arm gleiten. "Also geht alle. Wenn es tatsächlich etwas sein sollte, was ganz Schwarzweiß - Burgberg betrifft, werden Wir Boten in alle Himmelsrichtungen schicken, es zu verkünden."
 

Murrend bewegte sich das Volk auf das zweiflüglige Hauptportal zu, und auch der Bauer erhob sich mißmutig. Der Minister ließ den Kopf nach hinten auf die Sessellehne fallen und schlief sofort ein, Hofzauberer und Hofastronom verharrten kauernd nahe der Schwelle des Seiteneingangs, der in die inneren Bereiche der Wasserburg und zu den beiden Türmen führte, in denen Hofzauberer und Hofastronom wohnten und ihre Forschungen betrieben, zum Wohle des Reiches und Ihren Majestäten zum Nutzen.
 

Die Königin trommelte mit ihren langen Fingernägeln ungeduldig auf die Thronlehnen, die durch die Ungeduld zahlreicher Vorgängerinnen schon tiefe Furchen aufwiesen. "Meister Hofastronom, sagt Ihr Uns gerade heraus, um was es geht."
 

"Um Euren Sohn, den Prinzen, Majestäten", antwortete der Hofzauberer und der Hofastronom warf ihm einen geringschätzigen Blick zu.
 

"Was kann man von dem auch anderes erwarten, Majestäten", ließ der Hofastronom sich dann vernehmen. "Es geht natürlich um den Prinzen, aber das wissen Eure Majestäten ja bereits. Genauer gesagt geht es um... "
 

"Seinen Umgang", unterbrach der Hofzauberer den Hofastronomen gehässig. Mit einer schwungvollen Bewegung, die den arglosen Zuschauer auf das Klappern seiner dürren Glieder hätte warten lassen, erhob sich der Hofzauberer auf die Knie und zog dann rasch eine goldene Taschenuhr hervor. "In genau zehn Minuten nimmt das Unglück seinen..."
 

"Falsch!" rief der Hofastronom dazwischen und sprang auf die Füße. "Ganz falsch. Es ist bereits geschehen." Mit einer weit ausholenden Armbewegung warf er seinen purpurnen Umhang zurück und schritt vor dem Seiteneingang hin und her, bis er genau in der Sichtlinie des Hofzauberers zum Thron Ihrer Majestäten zum Stillstand kam. "Bereits vor zwei Minuten ist es geschehen." Und er zeigte auf die Uhr über dem zweiflügligen Hauptportal des Saales, zu deren Konstruktion er mehrere Jahre gebraucht, sie jedoch auch mit allen Mond- und Planetenphasen ausgestattet hatte.
 

Auch der Hofzauberer stand jetzt auf. "Zumindest Ihr müßtet doch in der Lage sein, die Zuverlässigkeit Eurer störungsanfälligen Arbeit realistisch einzuschätzen. Ihr scheint ja noch einfältiger zu sein, als ich bisher glaubte, wenn Ihr Euch auf die Anzeige dieses Chronometers beruft...  Wir sollten uns jetzt unverzüglich an den Ort des Geschehens begeben."
 

"Endlich einmal ein vernünftiger Vorschlag." Der König seufzte erleichtert. "Wo wird es...  wo ist es...  ach was! Wo ist der Ort des Geschehens?"
 

"Das prinzliche Schlafgemach, Majestäten", erklärte der Hofastronom beflissen.
 

"Genauer die angrenzenden Ankleideräume", widersprach der Hofzauberer.
 

"Der, welcher vom Schlafgemach nach rechts abgeht", ließ sich eine jugendliche Stimme vernehmen und hinter den mit ihren Umhängen herumflatternden Männern des Geistes und der Gelehrsamkeit stand: Prinz Jakob.
 

Der König musterte Hofastronom und Hofzauberer abwechselnd mit strengen, prüfenden Blicken. "Ihr hattet doch von einem großen Unglück gesprochen, von einer Katastrophe. Wie Wir nun sehen, befindet sich Unser Sohn jedoch bei bester Gesundheit. Wie erklärt Ihr Euch das?"
 

"Die Zeichen waren eindeutig", rechtfertigte sich der Hofastronom.
 

"Eine magische Kugel kann sich nicht irren", behauptete der Hofzauberer entschieden. "Das bewies Mortimer in seiner großartigen Abhandlung über die Natur und das Wesen von Kristallen."
 

"Verschont uns mit Euren albernen Versuchen, Eure angebliche Gelehrsamkeit zu beweisen, Meister Zauberer", sagte der Hofastronom abfällig. "Aber auch mir ist das Nichteintreffen der Vorhersage unerklärlich." Er schlug mit dem Handrücken der Linken auf das zerknautschte Blatt in seiner Rechten. "Mars verdeckt Venus, die im Horoskop des Prinzen für seine Jugend und sein Leben steht. Und dem Mars gegenüber steht Saturn, was starken Kummer, meist schwere Krankheit oder sogar Tod bedeutet."
 

"Auch wenn ich meinem Kollegen nur ungern beipflichte", meldete sich der Hofzauberer zu Wort, "in meiner Kugel sah ich das Herz des Prinzen geborsten und sein Herzblut rann aus seinem Körper. Majestäten, bitte verzeiht, aber wahrhaftig, das sah ich."
 

"Dann erklärt Uns, warum Unser Sohn hier munter vor Uns steht?" forderte die Königin die beiden Gelehren auf.
 

"Holt einen Medicus, der den Prinzen zur Ader läßt. Wenn kein Blut in ihm ist, so hat der Zauberer recht", schlug der Hofastronom vor.
 

"Man könnte einen Biol-hicker beschwören, um zu sehen, wie es um die Jugend und das Leben des Prinzen steht, für das der Astronom fürchtet", gab der Hofzauberer giftig zurück.
 

"Was hast Du dazu zu sagen, Sohn?" fragte nun endlich der König, der voller Erstaunen das immer größer werdende Vergnügen seines Sprößlings über den gelehrten Disput bemerkt hatte.
 

"Nun, liebe Eltern, noch immer bin ich jung und auch das Leben nenne ich noch mein eigen. Mein Herzblut ist da, wo es sich für einen Menschen gehört und mein Herz ist unversehrt, ja, es schwebt auf rosa Wolken und jubiliert, denn in dieses innerste Kämmerlein ist ein lieber Gast eingezogen, den ich nicht mehr missen will."
 

"Ein, bitte, was?" fragte der Hofzauberer und riß seine grünen Augen weit auf.
 

"Ein verliebter Dichter", klärte der Hofastronom ihn auf. "Das geht mit Prinzen oft so. Also ich habe da schon die merkwürdigsten Sachen...  aber warum verdeckt Mars die Venus? Was ist mit diesem Mädchen, das Euch entflammte, Prinz?" Über die schmalen Ränder der Brille hinweg, die der Astronom beim Erstellen von Horoskopen zu tragen pflegte, sah er den Prinzen streng an.
 

"Was soll mit ihr sein?" fragte der Prinz arglos. "Sie ist von einmaliger Schönheit, ihr Haar ist wie feinste goldene Seide, ihre Augen sind wie leuchtende Sterne, ihre Haut ist wie ein blasser Pfirsich und ihre anmutige Gestalt läßt eine junge Birke plump erscheinen."
 

"Was habe ich gesagt: ein verliebter Dichter", bemerkte der Hofastronom halblaut.
 

"Was ist das für ein Mädchen?" fragte die Königin interessiert.
 

Der Prinz eilte zum Thron und sank zu Füßen der Königin auf die Stufen. Mit strahlenden Augen blickte er zu seiner Mutter empor. "Sie ist eine liebliche Maid und wohnt hier in der Wasserburg, doch heute sah ich sie zum ersten Mal."
 

"Ein Dienstmädchen", entfuhr es der Königin enttäuscht.
 

Der Prinz tätschelte die Seide ihres langen Kleides. "Aber nicht doch, sie ist ein edles Fräulein, eine Prinzessin. Meinem Stande angemessen, wie Ihr es immer wünschtet. Sie heißt Helene und ist mein ein und alles. Gebt sie mir zum Weibe."
 

Der König warf seiner Gemahlin einen undeutbaren Blick zu. "Sollten Wir momentan Gäste auf der Wasserburg haben, von denen mir nichts bekannt ist?"
 

Der Minister schrak aus seinem leichten Schlummer auf. "Majestäten, in einem der prinzlichen Ankleideräume spukt es: der Geist einer Prinzessin, die dort vor Jahrhunderten erdolcht wurde. Soweit mir bekannt ist, zeigt sie sich nur an wolkenlosen Spätsommertagen, wenn ein unverheirateter junger Prinz in der Nähe des Ankleideraumes ist."
 

Die buschigen Augenbrauen des Königs rutschten hoch. "Ein Geist?"
 

"Ein Geist?" echote der Prinz traurig und eine glitzernde Träne rann über seine fast bartlose Wange.
 

"Ich werde ihn austreiben", verkündete der Hofzauberer. "Darauf verstehe ich mich prächtig. Mich wundert nur, daß in all den Jahren, die ich schon hier auf der Wasserburg lebe und wirke, niemand je von diesem Geist gesprochen hat."
 

Der Hofastronom gestattete sich ein müdes Lächeln. "Seht einmal in den Himmel, Gevatter. Die klaren, wolkenlosen Tage eines Jahres kann man an einer Hand abzählen. Was glaubt Ihr, warum statt des Teleskopes die Tabellenwerke mein Handwerkszeug sind?"
 

Inzwischen weinte der Prinz bittere Tränen und durchnäßte den Saum des prachtvollen Kleides seiner Mutter. Die Königin warf einen kurzen Blick auf ihre Bewässerung und sagte: " Nun wissen Wir zumindest, was es mit diesem Unglück auf sich hat. Meister Hofzauberer, seht Ihr einen Weg, diesen Geist auch außer seiner Zeit hervorzurufen, um das Herzensleid des Prinzen zu lindern?"
 

Der raubvogelhafte Kopf des Hofzauberers verschwand einen Moment zwischen seinen spitzen Schultern. "Ich müßte meine Bücher konsultieren. Aber bisher habe ich davon noch nichts gehört." Nach einem verstohlenen Seitenblick auf den Hofastronomen, der sich anschickte, das Horoskop des Prinzen unter den vorliegenden Gegebenheiten neu zu deuten, fügte er hinzu: "Aber es gibt nichts, was mir für Eure Majestäten unmöglich erscheint."
 

"Nichts anderes haben Wir von Euch erwartet", antwortete die Königin. "Löst dieses Problem gemeinsam", wies sie Hofzauberer und Hofastronomen mit strengem Blick an und entließ sie mit einer huldvollen Handbewegung.
 

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