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Sonne und Mond I

Schattenwesen
von

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Gleich und doch verschieden 1/3

Der Geruch von frischen Gras, Blumen und Bäumen stieg in meine Nase. Akirais weiches Fell strich sanft über meinen Hals, bevor sie kurz über meine Haut schleckte. Ich lauschte dem ruhigen Gesang der Vögel und ließ die warmen Sonnenstrahlen die trüben Gedanken vertreiben. 

Der Kies knirschte leise unter meinen Schuhen, als ich den sandigen Weg entlang ging und die entgegenkommenden Personen mit einem kurzen Nicken grüßte. Einige kannte ich vom Sehen und manche sogar beim Namen, da wir uns regelmäßig hier trafen. Der Park war nicht weit von meiner Wohnung entfernt und langweilig genug, sodass meine Klassenkameraden ihn nicht aufsuchten. 

Ein freudiges Quicken drang an mein Ohr, als wir uns langsam unserem Lieblingsplatz nährten: eine Bank im Schatten eines großen Baumes. Weit weg von dem Sportplatz oder dem Café, das hier für das leibliche Wohl der Besucher sorgte. Ich war nur einmal dort, aber hatte es sofort bereut, als ich Mitsumi und ihren Freundinnen dort begegnet war. 

Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen? Es sollte doch nicht allzu schwer sein einander zu ignorieren. Ich verlangte ja nicht einmal, dass sie mich mochten oder gar Zeit mit mir verbrachten. An sich wollte ich nur diese Zeit, so gut es ging, überstehen und dann ein Leben aufbauen, in dem man mich schätzte und mit Freunden, die mich verstanden. 

Ich nahm schließlich auf der Bank Platz und setzte Akirai sanft in die Wiese ab. Sie blieb immer an meiner Seite und mümmelte zufrieden das frische Gras. Daher machte ich mir keine großen Sorgen, dass sie weglaufen könnte. Erneut strich eine sanfte Brise über mich hinweg und ließ mich genießerisch die Augen schließen.

Ich hörte von weiter weg die Stimme von Menschen, doch der fröhliche Gesang der Vögel übertönte sie die meiste Zeit, sodass ich diese Einsamkeit genoss und den Frieden auf mich wirken ließ. Ich wünschte mir, dass jeder Tag so sein könnte und ich nie wieder zurück in die kalte Wirklichkeit musste, doch mir war klar, dass diese Momente immer nur von kurzer Dauer waren und ich mich der kalten Realität stellen musste.

Ein zufriedener Seufzer glitt über meine Lippen, als ich meine Bewegung hinter mir spürte und im nächsten Moment lagen schon ein Paar Hände auf meinen Augen. Ich stoppte und unterdrückte den panischen Impuls aufzuspringen, denn die Hände waren viel zu groß und rau, um Mitsumi zu gehören. Auch schlich mir ein herber Duft in die Nase, die jegliche Weiblichkeit ausschloss. Zumindest wenn es um meine Klassenkameradin ging.

Der Puls tippte sanft gegen meine Haut. Er war zu schnell. Fast so schnell wie mein eigener, der unter der Aufregung hochgefahren war. Ich wartete auf eine Frage oder Ähnliches. Irgendetwas, was den Fremden verraten würde, doch es kam nichts. Nur eine neue Brise, die das Gezwitscher der Vögel und Stimmengewirr der Menschen mit sich brachte.

Akirai drückte sich an mein Bein, was mich stutzig machte, doch als dann ihr panischer Schrei zu mir durchdrang, schnellte ich sofort nach vorne und griff nach ihr, um sie auf den Arm zu nehmen. „Akirai!“

Mein Blick fiel auf eine weiße, schwarz getigerte Angorakatze, die vor mir stand und mein Meerschweinchen mit neugierigen, hellblauen Augen musterte. Ihr Gesicht war braun und hatte auf ihrer Stirn ein schwarzes M. Sie trug rehbraune Stiefel und war sehr gepflegt. Ich hatte diese Katze noch nie hier gesehen. 

„Kirika! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht die Tiere von anderen auffressen sollst?! Du kriegst zuhause genug zum Fressen!“ Deine Stimme hinter mir klang amüsiert und nur halb so ernsthaft, wie sie sollte, nachdem deine Katze gerade mein Meerschweinchen bedroht hatte.

Aber das konnte doch nicht sein. Wieso warst du jetzt schon wieder hier bei mir? Gab es denn kein Entkommen von dir? Was sollte ich jetzt tun? 

Ich drehte mich ruckartig zu dir um und wollte einen Schritt ausweichen, als du so nah bei mir warst. Nur die Bank zwischen uns, doch ich stieß gegen einen felligen Widerstand, der mich straucheln ließ. Mit einem Ausfallschritt erlangte ich mein Gleichgewicht zurück und sah in dein breit grinsendes Gesicht.

„Was machst du hier?“, hauchte ich fassungslos. Wie konnte es sein, dass du hier warst? Du wolltest dich doch nicht mit den anderen treffen, oder doch? War ich denn nirgends vor dir sicher?

„Ich gehe mit meiner Katze Kirika spazieren. Sieht man das nicht?“ Dein Lächeln wurde noch einmal eine Spur breiter. Amüsierte dich mein Anblick? Warst du hier, um mich auszulachen? Wolltest du wie alle über mich herziehen, weil ich mein Meerschweinchen dabei hatte? Wieso konntest du mich nicht ignorieren?

„Doch, irgendwie schon, aber du bist mir bestimmt nachgeschlichen“, murmelte ich eher zu mir selbst, doch du hörtest meine Worte und lachtest sogar kurz auf. „Nein und ja. Ich bin echt erst wegen des Spaziergangs mit Kirika hergekommen, damit sie ihren täglichen Auslauf bekommt. Aber dann habe ich dich gesehen und bin dir gefolgt, um zu sehen, was du tust und um sich vielleicht mit dir zu unterhalten. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du was zum Fressen für Kirika dabei hast.“ 

„Akirai ist nichts zum Fressen!“, empörte ich mich, doch du lachtest erneut auf, was mir einen Stich ins Herz versetzte und ich schluckte trocken, um dieses Gefühl loszuwerden. Du durftest mich nicht so berühren oder gar verletzten. Deine Worte und Taten sollten nicht dieses Gewicht für mich haben. Unwichtig, du solltest unbedeutend für mich sein. Egal. Einfach nur egal. 

„Ja, das habe ich ja nie behauptet. Aber Kirika ist halt auch nur eine Katze. Vielleicht wollte sie auch nur spielen.“ Mit ruhigen Schritten kamst du um die Bank und standest nun knapp vor mir. Dein Parfüm verdrängte den Duft der Natur um mich herum und ich versank erneut in deinen himmelblauen Augen. Diese glitten immer wieder zu meinem Schmuck. 

„Es klang nicht so als wollte Kirika wirklich nur spielen“, flüsterte ich gebannt und starrte auf deine Lippen, die sich zu deinen nächsten Worte elegant bewegten: „Ja, Kirika kann da gerne mal ein wenig grob sein. Aber ich bin mir wirklich sicher, dass sie dein Meerschweinchen nicht fressen wollte.“

„Akirai. Sie heißt Akirai.“ Warum sagte ich dir das? Es ging dich nichts an, doch das sanfte Lächeln, das sich nun in deinem Gesicht zeigte, hinterließ ein angenehmes Ziehen in meinem Bauch. 

Deine Augen wandern erneut nach unten und deine nächsten Worte zerrissen den Bann und schleuderten mich wieder zurück in die Wirklichkeit: „Schon komisch wie ähnlich wir uns sind. Wir tragen sogar sehr ähnlichen Schmuck. Als würden wir damit verzweifelt jemand suchen.“

Du kamst einen Schritt näher und dein Atem strich sanft über meine Wange, bevor der Schmerz zurückkam. Es ging dir immer nur um die Ähnlichkeit. Nur deswegen standest du vor mir. Allein aus diesem Grund hattest du mich angesprochen. Wäre diese Tatsache nicht, dann hättest du mich wie alle anderen ignoriert. 

Diese Erkenntnis schmerzte mehr, als jedes Wort von dir es jemals konnte, und ich versuchte, ihn hinter einem traurigen Lächeln zu verstecken. Doch an dem erschrockenen Flackern in deinen Augen erkannte ich, dass es mir nicht gelang.

„Wie alt bist du?“ Eine simple Frage, die ich mich jedoch kurz zögern ließ. Warum stelltest du sie mir überhaupt? Wir waren in derselben Klasse. Daher konnten wir gar nicht allzu weit entfernt vom Alter sein. Ich holte kurz tief Luft, weil ich Angst hatte, dass mir meine Stimme sonst den Dienst versagen würde. „Ich bin sechszehn Jahre alt.“

Das Flackern in deinen Augen wurde wilder und dein Lächeln verschwand der Verwirrung, die dir diese Antwort bescherte. Kurz erwachte der Impuls in mir dich nach ihrem Grund zu fragen, doch dann war dort wieder dieses Gefühl, dass ich so wenig wie möglich mit dir zu tun haben möchte. Ich sollte am besten gehen und nie wieder zurücksehen. Dich vergessen und vor allem mich nicht weiter auf dich einlassen. Das Ganze konnte doch nur schief gehen. Sowas hatte noch nie funktioniert. 

„Ist dir in deinen Netzhandschuhen nicht zu warm, so dünne Maschen wie die haben.“ Du schienst die Unterhaltung noch fortführen zu wollen und instinktiv legte ich meine Arme aufeinander und hielt sie fest. Es war mir unangenehm, wenn man mich auf sie ansprach, doch noch schlimmer würde es sein, wenn das Gespräch auf das fiel, was sie verdeckten. 

„Nein, es geht schon. Man gewöhnt sich an vieles. Ich finde es angenehm sie zu tragen.“ Du hobst skeptisch eine Augenbraue und wolltest noch einmal nachsetzen, doch ich ging einen Schritt zurück. Ich wollte mich nicht weiter mit dir unterhalten. Nicht die Fragen beantworten, die dann immer kamen. Dir nicht erzählen, wie es in meinem Inneren wirklich aussah. Du würdest es auch nur gegen mich benutzen, wie alle anderen vor dir.

Noch zwei weitere Schritte, als ich schon über meine Schulter deutete. „Ich... ich muss jetzt auch wieder gehen.“ Mit diesen Satz drehte ich mich schon um, doch deine Stimme blieb und mit ihr auch du.

„Halt! Wo willst du denn schon wieder hin?“ Deine Schritte knirschten synchron mit meinen durch den sandigen Weg, den wir entlang gingen, und ich wich deinen Blick aus. Sah lieber auf die Katze, die neben uns herlief und streichelte Akirai noch einmal beruhigend durch das Fell.

„Nach Hause. Ich habe meine Hausaufgaben noch nicht fertig und meine Mutter kommt bald heim. Sie hat es nicht gerne, wenn ich dann noch nicht fertig bin.“ Es war eine Lüge. Meine Mutter war eine herzensgute Frau und sie war fast nie auf mich wütend. Zumindest nicht wegen so Kleinigkeiten wie Hausaufgaben. Nicht einmal damals wurde sie zornig. Nein, nur unendlich traurig. Ich hatte so eine Mutter nicht verdient.

„Dann wohnst du hier in der Nähe?“, haktest du weiter nach und liefst ruhig neben mir her. Dein Blick suchte meinen, doch ich starrte auf den Boden vor unseren Füßen. Deine Frage fuhr wie ein Blitz durch mich hindurch und ließ mich ruckartig den Kopf heben. Du darfst niemals erfahren, wo ich wohne! Dann werde ich dich ja nie wieder los! 

Ich sah sich mit weit aufgerissenen Augen an, bevor ich mich wieder fing und dann mit den Schultern zuckte. „Kann schon sein.“ Meine Finger suchten die tröstende Nähe von Akirai und ihr sanftes Schlecken beruhigte zusätzlich. Ihre Nähe gab mir den Mut, den ich für dieses Gespräch brauchte.

„Wie kann schon sein? Du musst doch wissen, wo du wohnst.“ Meine Antwort war dir nicht genug. Ich knurrte tief, während ich weiter lief und hoffte, dass du die Verfolgung endlich aufgabst. Doch deine Schritte verschwanden nicht von meiner Seite.

„Ja, klar, weiß ich, wo ich wohne. Aber woher soll ich wissen, was für dich nah ist?!“, beantwortete ich aggressiv seine Frage und begegnete wütend seinen Blick. Seine Augen huschten unruhig über mein Gesicht und ich konnte sehen, wie es dahinter arbeitete. Immer wieder öffnete sich leicht dein Mund, doch dann kam keine Antwort über deine Lippen.

Ich biss mir schließlich auf die Unterlippe. An sich wollte ich nicht laut werden, doch deine Nähe setzte mich immer unter Druck und ich wollte, dass du nur verschwindest und mich in Ruhe ließt. Das konnte doch nicht allzu schwer sein.

Dennoch blieb ich schweigend vor dir stehen und auch du sagtest kein Wort mehr, sondern sahst mich nur an. Dein Blick schien alles von mir zu wollen und nahm jede noch so kleine Information gierig auf, um dann eine eisige Kälte an dieser Stelle zu hinterlassen. Jede Sekunde wuchs mein Wunsch zu verschwinden, bis er mich zu erdrücken schien.

„Was habe ich dir getan? Warum bist du so abwesend zu mir? Liegt es an unserer Ähnlichkeit oder bin ich dir zu aufdringlich?“ Deine Frage war nur ein Flüstern im Wind, das hauchzart meine Ohren umspielte und mein Herz schwerer machte. Der Biss auf meine Unterlippe wurde stärke und ich schmeckte Blut. Sofort ließ ich los, aber drehte mich im gleichen Moment von ihm weg, um meinen Weg fortzusetzen.

Ich wusste nicht, was ich dir antworten sollte. Alles in mir schrie danach, dich von mir zu stoßen, doch dort war auch dieses kleine Fünkchen in mir namens Hoffnung, das sich tapfer gegen all die Grausamkeiten stemmte, die mein Geist für dich bereit hielt. Diese kleine sanfte Stimme, die mir zuflüsterte, dass du es sein könntest. Dieser Mensch, der endlich wieder ein Freund für mich werden könnte. Ein Freund, den ich mir so lange schon wünschte. 

„Komm, Kirika. Wir gehen nach Hause.“ Die Trauer in deiner Stimme war echt und versetzte mir einen Stich in meine Brust. Kurz stockte mein Schritt, doch dann war dort das Schlecken von Akirai und ich holte zittrig Luft. Nein, es war gut so. Solange ich alleine blieb, konnte mir keiner mehr weh tun. Dann war ich sicher und das war das Einzige, was zählte. 

Dennoch konnte ich die einzelne Träne nicht zurückhalten, die über meine Wange lief und auf der schnüffelnden Nase von Akirai zerplatzte. Sofort schleckte sie die nasse Spur weg, doch dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust konnte sie mir damit nicht nehmen. Es bohrte sich tiefer, sodass ich mich an meinen Vorsatz klammerte und ihn mir immer wieder in Gedanken vorsagte: Sicher sein und am Leben bleiben. Für Mutter. Damit sie nie wieder so sehr weinen muss. Nie wieder...



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