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Vampire Kiss

Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)
von

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Kaum das der Wagen in die Tiefgarage gelenkt worden war, erlaubte die Daywalkerin ihrer Beifahrerin die Maske wieder abzunehmen. Jodie konnte nicht leugnen, dass sie genervt von der Tatsache war, den Weg zum Anwesen nicht sehen zu dürfen, doch sie hatte sich jeden Kommentar diesbezüglich gespart. Aktuell gab es eindeutig wichtigeres.

Nachdem Chris das Auto in der dafür vorgesehenen Parklücke abgestellt hatte, stiegen die beiden Frauen aus und machten sich rasch auf den Weg zum Treppenhaus.

Black war nicht besonders erfreut darüber gewesen, dass sie das geplante Treffen so kurzfristig abgesagt hatte, doch darüber konnte sie sich später noch den Kopf zerbrechen. Jodie schob die spontane Absage zu den weiteren Punkten auf ihrer Liste, die sie ihrem Team wohl oder übel würde erklären müssen.

"Und jetzt? Hast du dir schon überlegt, was du tun willst?", erkundigte die Blondine sich hastig, während Chris und sie die Treppe hochstiegen.

"Ich werde erst einmal nach Curaçao sehen und versuchen mir einen Überblick über die derzeitige Gesamtsituation zu verschaffen, damit ich weiß, wie ich am besten weitermache.", erklärte die Schauspielerin ihr.

Im Erdgeschoss angekommen, bogen die beiden Blondinen rasch in die Bar, doch von den Bodyguards der Daywalkerin fehlte jede Spur. Lediglich einige Vampire des Hauses saßen hier und da an den Tischen, blickten auf und grüßten Amerikas Nummer Zwei freundlich.

Chris grüßte ihrerseits, hielt sich jedoch nicht länger mit den Barbesuchern auf, sondern nahm stattdessen erneut Kurs aufs Treppenhaus. Jodie folgte ihr.

Ihr Weg führte die beiden in den Flur, auf dem sich die privaten Zimmer der Vampirin befanden. Anstatt, wie sonst üblich, in Richtung Wohnzimmer zu laufen, wandte Chris sich der Tür zu Curaçaos Zimmer zu und öffnete diese.

In der Tat fanden sich die Bodyguards der Schauspielerin hier. Curaçao war kreidebleich und wirkte zutiefst besorgt, während Bourbon zwar betroffen, aber ansonsten ruhig und gefasst war. Er musste versucht haben, seine Kameradin davon abzuhalten irgendeine Dummheit anzustellen.

Die beiden sahen auf und wirkten gleichermaßen erleichtert die Blondine zu sehen.

Chris, die sich noch im Auto von ihrer Verkleidung befreit hatte, schritt durch den Raum und gesellte sich zu den Anderen.

"Chris, Gott sei Dank-", begann Curaçao, doch die Schauspielerin unterbrach sie.

"Es hat etwas gedauert. Ihr wisst ja, der Feierabendverkehr in New York. Also, gibt es irgendetwas Neues?", redete sie nicht lange um den heißen Brei herum.

"Nein, nichts was uns wirklich weiterhelfen würde.", murmelte die Silberhaarige nur und schüttelte den Kopf. In ihren Augen stand die Verzweiflung geschrieben.

Jodie hatte Mitleid mit ihr. Die Vampirin wie ein Häufchen Elend in der Ecke sitzen zu sehen, war ein höchst ungewohnter Anblick. Sie selbst machte sich ebenfalls Sorgen um Rena. Sie wollte so schnell wie möglich in Erfahrung bringen, was mit ihr passiert war.

Da Chris eher an der Lösung des Problems interessiert zu sein schien, jedoch keine Anstalten machte, sich um die Silberhaarige zu kümmern, setzte Jodie sich ganz automatisch in Bewegung, nahm neben Curaçao auf dem Sofa Platz und umarmte sie.

Für den Moment hatte die Jägerin gänzlich ausgeblendet, dass es sich bei der vollkommen aufgelösten Frau um eine Vampirin handelte. Sie wollte sie lediglich trösten, auch wenn sie ehrlich gesagt nicht damit rechnete, dass Curaçao dies zulassen würde.

Überraschenderweise stieß die Silberhaarige sie jedoch nicht von sich, sondern akzeptierte die Umarmung und lehnte sich seitlich ein wenig mehr gegen die Blondine.

"Ich habe mit Vodka gesprochen, als du auf dem Weg hier her warst. Er sagte nur, dass ein Vampirjäger im Herzen wohl immer ein Jäger bleiben würde. Was genau mit Kir passiert ist und wo sie ist, wusste er allerdings nicht, ganz einfach, weil er es nicht mitbekommen hat.", wusste Bourbon zu berichten.

"Du sprichst japanisch?", hakte Jodie vom Sofa aus überrascht nach.

Der Blonde, der lässig einen Arm um die Schultern der Schauspielerin gelegt hatte, blickte Jodie fast schon verblüfft an. "Ja...natürlich. Wusstest du das nicht?"

"Rena hat mir nur erzählt das Chris japanisch spricht, aber dass du die Sprache auch sprichst, wusste ich bis eben ehrlich gesagt nicht.", antwortete Jodie ihm. "Aber wie kommt es, dass Vodka mit dir geredet hat, obwohl euch sonst niemand etwas erzählen wollte?"

Rei grinste amüsiert. "Der Mann ist dumm wie Brot, daran wird es wohl liegen."

"Er steht zwar gänzlich auf Gins Seite, aber mit ein paar geschickten Fragen, ist es ein Kinderspiel Informationen aus diesem Idioten herauszubekommen.", mischte Chris sich ein, die Lippen zu einem spöttischen Schmunzeln verzogen. "Wie ärgerlich, dass er nicht mehr wusste, das hätte sicher weitergeholfen."

Sie zündete sich in aller Seelenruhe eine Zigarette an, während alle Augen auf sie gerichtet waren. Schließlich blies die Schauspielerin etwas Rauch aus und ergriff erneut das Wort: "Wisst ihr beiden denn, wo Gin aktuell ist?"

Curaçao nickte, während Bourbon mit einer der hellblonden Haarsträhnen der Daywalkerin spielte, was Chris gekonnt ignorierte.

"Er müsste sich irgendwo auf dem Flur befinden, den wir unseren Besuchern zugewiesen haben. Vermutlich in seinem Zimmer. Zumindest war er dort, als wir versucht haben mit ihm zu reden.", erklärte Curaçao ihr.

Die Blondine seufzte, zog erneut an ihrer Zigarette und befreite sich schließlich von dem Arm, den Rei ihr um die Schulter gelegt hatte. "Schön, dann gehe ich ihn wohl mal besuchen.", entschied sie.

Der Blick, den Curaçao ihrer guten Freundin zuwarf, als diese sich auf den Weg machte, war einfach herzzerreißend. Jodie drückte die Silberhaarige erneut an sich.

Wie gerne sie jetzt gesagt hätte, das alles gut werden würde, doch keiner von ihnen wusste, was genau mit Rena passiert war. Die Jägerin fühlte sich ja selbst bereits ganz krank vor Sorge.

Nachdem Amerikas Nummer Zwei den Raum verlassen hatte, spürte Jodie, wie sie immer nervöser wurde. Sie wollte hier nicht herumsitzen und abwarten, sie wollte selbst mitbekommen, welche Informationen Chris gewinnen konnte. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Sie stand von ihrem Platz auf dem Sofa auf und warf Bourbon einen fragenden Blick zu.

"Ich gehe hinterher.", entschied sie. "Ist es einigermaßen sicher für mich, mich ohne Chris oder einen von euch in meiner Nähe, in diesem Anwesen zu bewegen?"

"Unsere Leute halten dich für das kleine Dienstmädchen unserer Anführerin. Sie würden im Traum nicht auf die Idee kommen dir etwas zu tun. Aber halt dich von unseren Besuchern fern.", antwortete der Bodyguard ihr, ohne lange überlegen zu müssen.
 

Als sie den Raum verlassen hatte, sah Jodie die andere Blondine gerade noch um die Ecke biegen.

Sie beeilte sich besser, da die Chancen, sich in diesem riesigen Anwesen zu verlaufen, sonst definitiv höher standen, als die Chance, den richtigen Flur zu finden.

Wohlweislich entschied sie sich dafür, einen gewissen Abstand einzuhalten, um nicht am Ende noch aufzufliegen und zurückgeschickt zu werden.

Obwohl Chris sich einigermaßen in der Nähe befand und Bourbon ihr eben noch versichert hatte, dass die sich hier befindenden Vampire ihr nichts tun würden, war es für die Jägerin ein seltsames Gefühl, zum ersten Mal allein durch das Anwesen zu schleichen.

Hier und da trafen sie einige irritierte Blicke, doch niemand hielt sie auf. Trotz den Worten des Blonden, konnte Jodie nicht abstreiten, sich jedes Mal ein wenig anzuspannen, wenn sie einem der hier wohnhaften Vampire über den Weg lief.

Sie war fast schon froh, als die kurze Reise ein Ende zu finden schien, immerhin bog Chris nun in einen der zahlreichen Flure ein. Sie folgte ihr, betrat den Flur jedoch noch nicht, sondern wartete, verborgen hinter einer riesigen Blumenvase, erst einmal ab und lauschte.

Jodie hörte, wie die Daywalkerin gegen das Holz einer schweren Tür klopfte. In der Luft lag noch der Geruch nach Zigarettenrauch, immerhin war es noch nicht lange her, dass die Blondine in den Flur, der aktuell für die japanischen Besucher reserviert war, eingebogen war.

Lange musste sie nicht warten, da hörte die Jägerin, wie die Tür geöffnet wurde.

"Vermouth. Was verschafft mir die Ehre?", hörte sie Gins raue Stimme voller Ironie fragen.

Vorsichtig spähte Jodie, so gut es ging, an der Blumenvase vorbei in den Flur. Sie konnte die Gestalt des japanischen Vampirfürsten im Türrahmen ausmachen, während die Schauspielerin mit locker verschränkten Armen auf dem Flur stand.

"Das sage ich dir gern. Hast du etwas dagegen, wenn ich reinkomme?" So, wie die Blondine die Worte aussprach, klangen sie viel mehr nach einer rhetorischen Frage.

Und wirklich, der Silberhaarige trat einen Schritt zur Seite und gab die Tür frei.

"Ich habe erfahren, dass in meiner Abwesenheit ein gewisses Chaos in diesem Haus ausgebrochen sein soll. Ich frage daher ganz direkt: haben Curaçao und Bourbon Ärger gemacht?"

Da die beiden Vampire den Raum betreten und die Tür hinter sich geschlossen hatten, bekam Jodie von ihrem derzeitigen Platz aus nichts mehr mit. Innerlich fluchte sie. Sie musste näher heran.

Aber das sollte nicht das Problem sein, immerhin befand sich niemand mehr auf dem Flur.

Sie musste lediglich darauf achten leise zu gehen.

Die junge Frau schlich so gut es ging über den Flur, ehe sie vor Gins Zimmertür stehen blieb und lauschte.

"...du hast deine Leute nicht im Griff.", hörte sie Gin gerade spotten.

"Das habe ich. Ich habe die beiden auch schon zur Rede gestellt. Sie wissen, dass wir uns in Vorfälle, die dein Haus betreffen, nicht einzumischen haben. Mein Bodyguard hat aus gewissen Gründen ein wenig emotional reagiert, aber das Thema ist durch."

Die Stimme der Blondine klang gelassen und selbstbewusst. Jodie verstand. Chris zog es vor nicht mit der Tür ins Haus zu fallen, wenn sie an Informationen gelangen wollte.

"Sie tanzt dir auf der Nase herum, weil es einem Vampir schwer fallen dürfte, ein Küken wie dich ernstzunehmen.", sagte Gin seiner Gesprächspartnerin gerade auf den Kopf zu. Jodie spürte, wie sie sich bei seinen Worten anspannte. Sicherlich war auch Chris verärgert, doch ihrer Stimme hörte man dies zumindest nicht an.

"In diesem Haus hier tanzt mir ganz sicher niemand auf der Nase herum, mein Lieber. Man muss noch keine Jahrhunderte alt sein, um sich Respekt zu verschaffen. Wie ich bereits sagte, ich habe mich darum gekümmert, das Thema ist durch. Es ist deine Sache, was du mit deinen Leuten machst. Allerdings... solltest du in diesem Haus, oder auf dem Grundstück, eine riesige Sauerei angerichtet haben, wäre die Sache wieder unser Problem. Immerhin geht es hier um amerikanischen Grund und Boden."

"Was das betrifft, kann ich dich beruhigen. Wir sind doch...zivilisiert.", hörte Jodie die tiefe Stimme des japanischen Vampirfürsten raunen, welche es ihr erneut eiskalt den Rücken herunterlaufen ließ.

"Das will ich hoffen. Aber da wäre noch etwas-" Kurz zögerte die Daywalkerin, ehe ihre Stimme plötzlich missfallender klang. "...einen Moment mal."
 

Jodie hörte, wie hohe Absätze sich der Tür näherten. Der Tür? Halt, Moment, das war gar nicht gut!

Im ersten Moment vergaß sie vor Schreck zu atmen, dann schaffte sie es gerade noch sich gerade hinzustellen, ehe die Tür geöffnet wurde und sie beinahe getroffen hätte.

Im nächsten Moment fand sie sich Auge in Auge mit Amerikas Nummer Zwei wieder.

Jodie fühlte sich ertappt, während Chris sie verärgert anfunkelte.

"Ist das dein Ernst, Mädchen?! Hast du wirklich geglaubt, ich würde nicht merken, dass du vor der Tür stehst?! Die Nase eines jeden Vampirs nimmt das wahr, meine geschärften Sinne bemerken dich erst recht."

"I-ich hab nicht gelauscht! Ich wollte nur...", begann die Jägerin sichtlich ertappt und peinlich berührt zugleich.

"Ach ja? Du wolltest nur WAS?!", hakte die Daywalkerin giftig nach. "»Überlass das mir«", formten ihre Lippen lautlos.

Jodie blinzelte. Sie war sich nicht sicher, ob Chris wirklich verärgert war, oder ob sie nur schauspielerte. Versuchte sie ihr gerade durch die Blume verstehen zu geben, was das für eine dumme Aktion gewesen war, oder würde sie ihr wirklich am liebsten die Augen auskratzen?

Was auch immer es war, die Jägerin wusste, dass es gerade das sicherste wäre, in ihre Rolle zu schlüpfen, um zu verhindern, dass sie sich hier an der Tür verplapperte.

"Es geht um-", begann Jodie und überlegte fieberhaft, was für eine halbwegs logische Erklärung sie sich bitte so spontan aus den Fingern saugen sollte, als sie sich im nächsten Moment beinahe an ihrer eigenen Zunge verschluckt hätte. Ihr Herz machte einen ängstlichen Satz.

Natürlich, sie war Vampirjägerin und sie war selbstbewusst... aber das änderte nichts daran, dass es ein mehr als beängstigendes Erlebnis war, wenn der Blick aus den kalten, grünen Augen des japanischen Clananführers einen förmlich zerquetschte wie einen Käfer.

"Was willst du hier, Mädchen?", hakte der Silberhaarige nach.

Im nächsten Moment war er bereits dicht hinter die in der Tür stehende Daywalkerin getreten und lehnte sich über ihre Schulter zu ihrem Ohr, was ihm aufgrund des unübersehbaren Größenunterschieds nicht all zu schwer fiel.

"Wie war das noch gleich, du hättest deine Leute unter Kontrolle? So wie ich das sehe, hast du noch nicht einmal dieses Menschlein dort im Griff.", höhnte er und musterte die Blondine mit einem spöttischen und gleichzeitig so kalten Blick, dass diesmal nicht nur Jodie das Blut in den Adern gefror. Sie sah, wie sich Chris grüne Augen erschrocken weiteten und sie für einen Moment lang um Fassung rang, eine Tatsache, die auch Gin nicht entgangen war, wurde sein wölfisches Grinsen doch nur noch eine Spur breiter. "Ich sage dir gern, wie du am besten mit einem Menschengör umgehst, dass meint, sich über deine Befehle hinwegsetzen zu können."

Im nächsten Moment hatte die Blondine sich jedoch bereits wieder gefangen und schob den Vampirfürsten hinter sich entschieden wieder auf Abstand. "Japanisches Oberhaupt hin oder her, rutsch mir gefälligst nicht auf die Pelle und halt dich aus meinen Angelegenheiten raus.", stellte die Schauspielerin nun wieder unbeeindruckt und voller Selbstbewusstsein klar. Der Blick des Silberhaarigen verfinsterte sich.

Die beiden hochrangigen Vampire starrten sich drohend an. Beim nächsten Blinzeln hatten ihre Augen sich zu einem hellen Stahlblau verfärbt.

Jodies Mund fühlte sich trocken an. Beinahe hätte sie vergessen zu atmen. Die Situation war von jetzt auf gleich absolut bedrohlich und angespannt. Sie befürchtete, dass nur ein falscher Blick genügen würde, um die Situation eskalieren zu lassen. Schon in den letzten Tagen hatten die beiden Vampire sich immer wieder die Stirn geboten und ihre Grenzen ausgelotet.

Die Jägerin schluckte und fühlte, dass sie förmlich erstarrt war. Wenn das hier schief ging... sie würde sich zweifelsohne auf die Seite der Schauspielerin schlagen, doch sie war unbewaffnet und hatte ehrlich gesagt starke Zweifel, dass die ganze Sache gut für Chris und sie ausgehen würde.

"Pass auf wie du mit mir sprichst, Vermouth.", grollte der Silberhaarige.

"Pass du lieber auf, wie du mit mir sprichst. Du bist gerade dabei dich in amerikanische Angelegenheiten einzumischen.", konterte die Blondine, den Blickkontakt weiterhin haltend.

Der Jägerin im Hintergrund graute es. Das hier konnte doch niemals gut ausgehen! Wie gerne hätte sie Chris jetzt am Arm gepackt und weggezogen, doch sie wusste genau so gut wie die Schauspielerin selbst, dass Amerikas Nummer Zwei sämtlichen Respekt einbüßen würde, würde sie sich jetzt nicht behaupten sondern zurückweichen.

"Amerikanische Angelegenheiten können dir bald schon egal sein, Daywalkerin."

"Wie ich dir bereits sagte, sei dir da mal lieber nicht zu sicher. Was in zwei Monaten passiert, muss sich erst noch herausstellen." Auf die geschminkten Lippen der Blondine legte sich ein überhebliches Lächeln.

"Traumtänzerin." Auch auf die Lippen des Silberhaarigen legte sich ein Grinsen. "Aber du kannst froh sein, ich lasse dir den Spaß, die beiden Monate noch auszukosten." Beim nächsten Blinzeln normalisierte seine Augenfarbe sich wieder, was die Daywalkerin dazu veranlasste, ebenfalls zu blinzeln. Helles Stahlblau wurde durch smaragdgrün ersetzt.

"Wie ungemein gütig von dir.", höhnte sie. "Aber lass dir gesagt sein, dass der Boss mir den Posten seiner Stellvertreterin nicht aus einer Laune heraus übertragen hat."

Bevor Gin darauf noch etwas erwidern konnte, legte Chris ihm eine Hand auf den Arm. Eine flüchtige Berührung, diesmal keine provokante oder gar drohende Geste, sondern lediglich die einfache Aufforderung kurz inne zu halten.

"Ich wollte noch etwas mit dir bereden, aber vorher... kümmere ich mich wohl oder übel um dieses Problem hier.", stellte Chris fest und nickte in Jodies Richtung.

"Du tust doch sowieso was du willst.", murrte der Silberhaarige gleichgültig und verschwand wieder im Inneren des Zimmers.
 

Jodie fiel ein Stein vom Herzen als klar war, dass die Situation sich wieder beruhigt hatte, anstatt zu eskalieren. Sie gestattete es sich aufzuatmen, hielt dann jedoch inne, als sie das wütende Funkeln in den grünen Augen ihres Gegenübers bemerkte.

"Also, jetzt zu dir: was stehst du hier vor der Tür und lauschst? Erklär dich.", hakte Chris mit unfreundlicher, harter Stimme nach.

Erneut war Jodie sich nicht ganz sicher, ob die Ältere bloß schauspielerte, damit Gin nicht misstrauisch wurde, oder ob sie wirklich verärgert war. Spontan tippte sie auf eine Mischung daraus. Hätte man sie nicht vor der Tür bemerkt, wäre es niemals zu der Konfrontation zwischen der Daywalkerin und dem japanischen Vampirfürsten gekommen. Was das betraf, meldete sich nagend ihr schlechtes Gewissen zu Wort. Dennoch hatte Jodie unbedingt herausfinden wollen, was nun mit Rena passiert war.

"Ich war mir nicht sicher, ob ich anklopfen und reinkommen sollte.", begann Jodie. Sie wusste, dass auch Gin sie hören konnte und sie Chris daher nicht einfach sagen konnte, was es wirklich war, das sie bewegt hatte ihr zu folgen. "Es ist wegen Curaçao. Sie ist immer noch vollkommen fertig und ihr seid gut befreundet. Du solltest nach ihr sehen, anstatt dich nur um die politischen Beziehungen zwischen den Häusern zu kümmern."

Das war es eigentlich nicht, warum sie ihr gefolgt war, doch spontan war Jodie nichts besseres eingefallen.

"Ein Mensch hat sich nicht in unsere Politik einzumischen.", wies die Daywalkerin sie mit harter Stimme zurecht. "Sag mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen habe. Ich sehe nach ihr, wenn die Zeit es erlaubt. Das hier ist wichtiger."

Was nicht recht zu der Stimmlage der Schauspielerin passen wollte, war ihr Blick. Ihre Augen blickten viel mehr vorwurfsvoll drein. Der unausgesprochene Vorwurf, was hier beinahe passiert wäre und der Tatsache, dass Jodie die Vampirin vollkommen aus dem Takt gebracht haben musste, was ihre Strategie zur Informationsbeschaffung betraf, da war sie sich sicher.

Für einen Moment sahen die beiden Frauen sich an, schließlich wandte die Jüngere zerknirscht den Blick ab. Sie hatte lediglich helfen wollen und alles was sie erreicht hatte, war eine beinahe-Eskalation zwischen den beiden Vampiroberhäuptern und der Tatsache, dass Chris spontan schauspielern musste, um die Situation zu retten. Das hatte sie ehrlich gesagt nicht beabsichtigt.

"Geh zurück zu Bourbon und Curaçao. Aber glaub nicht, dass du damit aus dem Schneider wärst. Über diese Aktion hier reden wir noch.", wies die andere Blondine sie mit einer Stimme an, die keinen Widerspruch duldete.

Jodie wusste, dass Gin das Gespräch vom Zimmer aus mitverfolgte. Genau so wie sie wusste, dass es die Lage nur verschlimmern würde, würde sie jetzt anfangen zu diskutieren. Wenn sie jetzt nicht auffliegen wollte, dann blieb sie lieber in ihrer Rolle des Dienstmädchens.

So gerne sie auch bereits jetzt etwas neues über den Verbleib von Sternenstaubs Jägerin aufgeschnappt hätte, sie wusste, dass sie es aktuell nur noch schlimmer machen würde, wenn sie blieb. Die einzige Sache, die sie davon abhielt, jetzt zu gehen war die aufkeimende Sorge um die Sicherheit der Daywalkerin nach dem Vorfall eben. Die Konfrontation saß ihr noch in den Knochen.

"Du kommst hier klar...?", erkundigte sie sich beunruhigt.

Chris verstand, verdrehte jedoch lediglich die Augen. "Natürlich. Dummes Gör, du machst mir mehr Ärger als alles andere. Jetzt geh zurück, wie ich es dir gesagt habe."
 

Als die Jägerin den Flur verließ, überschlugen ihre Gedanken sich förmlich. Zum einen wäre da die quälende Sorge um Rena, zum anderen war nun auch noch die Sorge um Chris dazugekommen. War es wirklich in Ordnung gewesen, die Schauspielerin mit Gin alleinzulassen?

Andererseits wusste Chris was sie tat und die Lage hatte sich wieder beruhigt. Sie hoffte nur, dass die beiden nicht wieder beginnen würden zu streiten. Wobei die Meinungsverschiedenheit eben wohl oder übel auf ihre Kappe gegangen war.

Jodie schüttelte den Kopf und beschloss sich wieder zu den beiden Bodyguards zu gesellen. Sie würde ihnen berichten was vorgefallen war. Die beiden Vampire könnten die Situation höchst wahrscheinlich besser einschätzen und verfügten zudem über enorme Kräfte. Fast schon ging sie davon aus, dass gerade Rei es vorziehen würde, sich für alle Fälle in der Nähe des Flures aufzuhalten, um zur Not eingreifen zu können.

Mit diesem Plan im Kopf, näherte Jodie sich der Treppe, hielt jedoch inne, als sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

"Hey.", sprach eine Frauenstimme sie an.

Die Blondine wandte sich der Stimme zu und entdeckte Chianti, die locker am Treppengeländer lehnte. Sofort begannen ihre Alarmglocken zu schrillen. Die Vampirin war nicht nur äußerst aufbrausend, sie war es auch gewesen, die sie bei ihrem Kampf damals beinahe getötet und schließlich hier her verschleppt hatte.

Zwar wirkte die Andere gerade recht entspannt, dennoch war diese Frau ein Monster. Sie traute ihr nicht über den Weg. "Was willst du, Chianti?", hakte die Jägerin lediglich reserviert nach.

Angesprochene grinste sie an. "Hast du gerade ernsthaft an der Tür gelauscht?" Sie lachte. "Du bist echt gut. Deinetwegen bekommt Barbie am Ende noch graue Haare.", amüsierte sie sich.

Jodie stutzte. Chianti hatte diese Panne mitbekommen? Sie hatte sie gar nicht bemerkt.

"Ich wollte ihr lediglich etwas ausrichten. Naja, ungutes Timing, für das sie mir beinah den Kopf abgerissen hätte.", log Jodie rasch.

"Ha! Erzähl mir nichts. Du hast gelauscht.", beharrte die Vampirin und amüsierte sich scheinbar königlich darüber. "Du bist so viel dreister, als deine kleine Freundin, wegen der ihr alle hier so einen Aufstand macht, es je hätte sein können."

Der Blondine stockte der Atem. Wieso hatte sie... ?! "Hast du gerade in der Vergangenheitsform von Rena gesprochen?", hakte sie alarmiert nach.

Chianti stutzte, grinste dann jedoch und winkte ab. "Oh, nein, nein. Sie lebt. Mein Fehler, mein Englisch ist ausbaufähig."

Skeptisch zog die Jägerin eine Augenbraue hoch. Es stimmte schon, dass das Englisch der Vampirin nicht perfekt war, die Andere sprach zudem mit einem starken Akzent, dennoch bereiteten ihre Worte ihr Sorge.

Derweil lief Chianti auf sie zu und blieb erst kurz vor ihr stehen. Dabei fiel Jodie erneut auf, dass die Andere ein Stück kleiner als sie war und einen wirklich zierlichen Knochenbau hatte... was jedoch nicht bedeutete, dass sie in irgendeiner Form schwächlich wäre, wie sie im Kampf gegen diese Frau bereits schmerzhaft hatte erfahren müssen.

Die Vampirin starrte ihr direkt in die Augen, musste irgendetwas darin entdeckt haben und begann erneut lauthals zu lachen. Jodie verzog das Gesicht. Sie verstand nicht ganz, was gerade bitte so lustig war, lediglich, das Chiantis Lache ihr Kopfschmerzen bereitete, stand außer Frage.

"Was ist jetzt bitte so komisch?", hakte sie nach und brachte wieder etwas mehr Abstand zwischen sich und die Vampirin. "Und was ist mit Rena? Du weißt doch irgendetwas.", versuchte sie es.

Langsam beruhigte Chianti sich wieder und blickte die Jägerin lässig an. "Du machst dir ja wirklich Sorgen um Kir, kann das sein?"

"Wenn du etwas weißt-", begann Jodie erneut, wurde jedoch von ihrem Gegenüber unterbrochen.

"Jetzt halt mal für einen Moment die Luft an. Sie spielt die ganze Zeit über das verschreckte Mäuschen und baut im Hintergrund richtig Mist. SMS mit anderen Jägern austauschen ist nicht das, was Personal unseres Hauses tun sollte."

Personal. Jodie biss die Zähne zusammen und hatte Mühe damit, sich einen Kommentar zu sparen. Als wenn Rena freiwillig für diese Monster arbeiten würde. Mit irgendetwas erpressten diese Mistkerle sie doch und die Blondine war sich ziemlich sicher, dass dies erst der Gipfel des Eisbergs war. Sternenstaubs Jägerin hatte gerade im Bezug auf Gin oftmals so verstört gewirkt, dass sie diesbezüglich gar nicht weiterdenken mochte, zumal Rena jedes Gespräch, das in Richtung der japanischen Vampire ging, sofort abgewürgt hatte.

"Was sie getan hat, ist zumindest nichts, was ignoriert werden konnte. Gin hatte folglich gar keine andere Wahl als sie zu bestrafen, auch wenn es Schade um das Mädchen ist, das Botengänge bei Tageslicht für uns erledigen konnte."

"Bestraft? Was meinst du damit? Aber sie lebt wirklich noch, oder?", hakte Jodie zur Sicherheit noch einmal äußerst beunruhigt nach.

Sie wusste, dass sie selbst nachher definitiv noch Ärger mit Chris, wegen der dämlichen Aktion eben bekommen würde, gleichzeitig wusste sie jedoch auch, dass die andere Blondine ihr nicht wirklich etwas tun würde. Höchst wahrscheinlich erwartete sie lediglich eine gehörige Standpauke.

"Das sagte ich doch. Sie hat Federn gelassen, aber sie lebt.", versicherte Chianti ihr.

"Was genau habt ihr mit ihr gemacht?", bohrte die Jägerin erneut nach, überrascht über die Tatsache, dass die Japanerin überhaupt mit ihr darüber sprach.

"Warum fragst du sie nicht einfach selbst?", schlug die Vampirin nun vor.

Einen Moment lang starrte Jodie sie einfach nur verblüfft an. Bourbon, Curaçao und Vermouth setzten gerade Himmel und Hölle in Bewegung, um etwas über den Aufenthaltsort der Brünetten herauszufinden und nun bot Chianti an, sie einfach zu ihr zu bringen?

"Du meinst, du weißt wo sie ist? Warum solltest du mich zu ihr bringen wollen, wenn du den anderen kein Wort verraten hast?" Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus.

Ihre Gesprächspartnerin lachte nur wieder dieses höchst unangenehme Lachen. "Weil du mir den Tag versüßt hast, indem du diesem amerikanischen Miststück gerade so richtig auf die Nerven gefallen bist, darum."

Jodie blinzelte. Mit dieser Antwort hatte sie ehrlich gesagt nicht gerechnet.

Chianti knuffte sie gegen den Oberarm. "Na los, komm schon."

"Ist das dein Ernst? Ich weiß ehrlich gesagt nicht...", begann Jodie zögernd. Sie traute dieser Frau nicht und wusste daher nicht, ob es wirklich eine so gute Idee war, ihr zu folgen.

"Hast du etwa Angst, das ich dich fressen könnte?", amüsierte die Vampirin sich. "Zugegeben, dein Blut riecht wahnsinnig gut, aber du stehst unter dem Schutz dieses verdammten Blondchens. Gin reißt mir den Kopf ab, wenn ich diese Grenze übertrete."

Chianti gab ihr einen gut gemeinten Schubs in Richtung Treppe, wobei die Vampirin sich mit ihren Kräften verschätzte. Im letzten Moment gelang es Jodie das Treppengeländer zu fassen zu kriegen und sich daran festzuhalten.

"Pass doch auf, verdammt! Euch Vampiren macht so ein Sturz vielleicht nichts aus, wir Menschen brechen uns alle Knochen!"
 

Als sie der Kleineren folgte, wurde das nagende Gefühl in ihrem Magen stärker. Wäre es nicht besser gewesen, Curaçao oder Bourbon dazu zu holen? Aber dann würde Chianti sie sicherlich nicht mehr zu Kir führen. Arg! Es war zum Haare raufen! Sie hatte ein ganz schlechtes Gefühl bei der Sache, aber sie musste auch unbedingt die verschollene Jägerin finden!

Als Chianti sie zu einer Treppe lotste, welche nach unten führte, wurde das ungute Gefühl nur noch stärker. Hier ging es doch zum sogenannten 'Weinkeller'. Ein Ort, an den sie nur denken musste, um vor Entsetzen eine Gänsehaut zu bekommen.

"In den Keller? Chris und die anderen werden es nicht gerne sehen, wenn-"

"Jetzt trödle nicht. Wir Japaner sind hier unten auch nicht gerne gesehen. Ich habe keine Lust wegen dir noch Probleme zu bekommen, sollten wir auffliegen.", konterte Chianti.

Die Kleinere packte die Jägerin kurzerhand am Handgelenk und zog sie mit sich. Ein scharfer Schmerz jagte durch Jodies Arm.

"Aua! Pass auf mit deiner Kraft! Du brichst mir noch das Handgelenk!"

Glücklicherweise lockerte ihre Begleiterin daraufhin ihren Griff ein wenig, zog sie jedoch weiterhin mit sich. "Ihr Menschen seid so zerbrechlich. Das vergesse ich immer wieder.", entgegnete sie nur.

Schließlich hatten sie das Ende der Kellertreppe erreicht. Vor ihnen erstreckten sich mehrere, endlos lange Gänge, die immer wieder abzuzweigen schienen.

Hier und da steckten einige Fackeln in den Wänden und erhellten den Keller mehr schlecht als recht. Jodie meinte das Wimmern von Personen zu hören. Kein Wunder, wenn sie daran dachte, warum diese armen Menschen hier gefangen gehalten wurden.

Ihr wurde regelrecht schlecht, was noch nicht einmal an dem muffigen Geruch lag. Es war das geballte Leid, die Angst und die Verzweiflung der Gefangenen, welche fast schon greifbar waren.

Chianti schritt zielstrebig voran, während Jodie ihre eigenen Beine förmlich zwingen musste, der Vampirin zu folgen.

Bereits nach zwei Minuten wusste sie, dass dieser Ort ein gigantisches Labyrinth war. Ein Labyrinth, das jeden Horrorfilm in den Schatten stellte.

Von den Gängen aus, hörte sie ab und an ein rasselndes Atmen aus den Verschlägen kommen, welche vom Flur aus nicht einsehbar waren. Hier und da entdeckte sie Schilder, mit Pfeilen darauf und Beschriftungen wie 'A+' oder 'B-'. Ein Wegweiser zu den verschiedenen Blutgruppen, wie nett.

Dieser Keller war ein absoluter Alptraum! Wie gerne hätte sie die Gefangenen auf der Stelle befreit, oder Mondnebel zur Hilfe geholt.

Nicht alle der Zellen konnten wirklich belegt sein. Jodie fragte sich, wie viele Menschen hier aktuell eigentlich festgehalten wurden. Der größte Teil des Kellers schien als Lagerraum zu dienen, verschwanden die Beschriftungen doch bereits nach kurzer Zeit wieder. Die Blondine konnte zudem nicht leugnen, inzwischen hoffnungslos die Orientierung verloren zu haben.

"Was für ein widerlicher Ort.", spie sie.

"Widerlich? Das ist Ansichtssache. Für mich ist dieser Keller viel mehr wie ein einziges Selbstbedienungslager.", entgegnete Chianti unbeeindruckt. Die Augen der Vampirin hatten ein helles Stahlblau angenommen. Jodie wusste nicht, ob dies an den Lichtverhältnissen lag, oder ob hier irgendwo Blutgeruch in der Luft lag. Das dieses Biest sein Vampirgesicht so offen zeigte, war jedoch alles andere als beruhigend für sie.

//Und ich bin hier ganz allein mit ihr unterwegs. Verdammt, Jodie, wie dumm kannst du eigentlich sein?!//, tadelte sie sich in Gedanken selbst.
 

Je länger sie der Vampirin folgte, desto stärker wurde der Drang wieder umzukehren. Wie sehr sie sich wünschte, wenigstens ihre Waffe bei sich zu tragen. Auch wenn ihr die Pistole mit der künstlichen Tageslichtmunition darin, bei ihrem ersten Kampf gegen diese Frau herzlich wenig gebracht hatte. Die Gegnerin war neulich problemlos in der Lage gewesen, den Kugeln auszuweichen.

Die Blondine schluckte und zwang sich, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. So gerne sie es inzwischen auch würde, sie konnte nicht einfach so umkehren. Sie hatte hoffnungslos die Orientierung in diesem Labyrinth von einem Keller verloren.

Verdammt! Sie hätte Chianti von Anfang an niemals folgen dürfen, aber für Reue war es nun zu spät. Zumal sie immer noch darauf hoffte, dass die Kleinere sie wirklich zu Rena führen würde. Sie musste unbedingt in Erfahrung bringen, was mit Sternenstaubs Jägerin passiert war.

Schließlich hatten die beiden Frauen das Ende des endlos langen Flurs erreicht. Eigentlich, denn dort, wo der Gang hätte enden sollen, klaffte ein Loch in den Ziegelsteinen. Gerade groß genug für eine Person um hindurch zu schlüpfen. Erneut begannen die Alarmglocken in ihrem Kopf zu schrillen.

"Da müssen wir durch?", hakte Jodie nach. "Das Loch in der Mauer sieht noch ziemlich frisch aus. Was genau habt ihr hier angestellt?" Zumindest ging sie stark davon aus, dass die Japaner das Gebäude an dieser Stelle verschönert hatten.

"Genau so sieht es aus. Schnapp dir lieber eine der Fackeln. Ab hier ist der Weg nicht mehr beleuchtet.", entgegnete Chianti lediglich, sparte sich jedoch jede Erklärung zu dem Loch in der Wand.

Anstatt der Vampirin weiter zu folgen, erstarrte die Jägerin förmlich. Ihr ungutes Gefühl erdrückte sie inzwischen fast. Sie wollte nur noch von hier verschwinden!

"Hey, jetzt trödel nicht, du Hasenfuß. Komm schon.", spöttelte Chianti, zog an Stelle der Blondine eine der Fackeln aus deren Halterung, griff mit ihrer freien Hand einmal mehr nach dem Arm der Jägerin und zog sie ohne viel Mühe hinter sich her.

"Lass mich los!", protestierte Jodie und sträubte sich, doch gegen die Kraft der Vampirin kam sie nicht an. Die Kleinere hingegen schien sich noch nicht einmal anzustrengen, als sie sie mit sich zog.

"Wir sind fast da, also stell dich nicht so an.", kommentierte Chianti trocken.

Das ungute Gefühl war inzwischen so stark, dass die Jägerin es nicht mehr aushielt. Sie versuchte sich loszureißen und umzukehren, doch der Griff ihrer Begleiterin war eisern. Chianti zog sie mit sich, als besäße Jodie nicht mehr Kraft als ein Chihuahua. Die Proteste der Jüngeren ignorierte die Vampirin gekonnt.

Adrenalin jagte durch den Körper der Blondine. Sie hatte von Anfang an kein gutes Gefühl bei der Sache gehabt, doch inzwischen glaubte sie kaum mehr daran, dass Chianti ihr wirklich nur Renas Aufenthaltsort zeigen wollte. Die Vampirin kochte ihr ganz eigenes Süppchen und sie wollte nicht herausfinden, warum sie sich die Mühe gemacht hatte, sie bis hier her zu schleifen.

Der Gang, der sich hinter der zerstörten Mauer befand, bestand lediglich aus festgetretenem Lehm. Vor langer Zeit musste der Keller hier noch weitergegangen sein, doch vermutlich hatte man diesen Teil des Gebäudes bereits vor Jahrzehnten zugemauert.

In der Tat war es in dem erdigen Gang stockdunkel. Lediglich die Fackel, die die Vampirin bei sich trug, erhellte die Umgebung ein wenig. Schatten tanzten im Feuerschein in wilden Zacken an den Wänden entlang. Jodies Herz raste.

Endlich blieb ihre Begleitung stehen, wandte sich ihr zu und musterte sie unbeeindruckt, während die stahlblauen Vampiraugen ihr in der Dunkelheit etwas Gespenstisches verliehen.

"So, hier wären wir. Und? Dein Kopf ist noch dran, oder?", amüsierte sie sich.

"Hier?" Jodie blinzelte irritiert. Sie befanden sich gefühlt irgendwo im Nirgendwo.

Dann entdeckte sie ein etwa zwei mal zwei Meter breites Loch im Boden, dessen Ränder noch relativ frisch aussahen.

Chianti nickte ihr bestätigend zu. "Irgendwann muss es hier mal eine Etage unter dem Keller gegeben haben. Der Boden hier war ganz dünn.", erklärte sie.

Weiterhin hämmerte das Herz der Jägerin von innen wie wild gegen ihren Brustkorb. Obwohl die Vampirin bislang ganz ruhig geblieben war, etwas lief hier gewaltig schief. Die Sache hatte bereits begonnen aus dem Ruder zu laufen, als sie dieser Frau vorhin auf dem Flur begegnet war, da war Jodie sich inzwischen ganz sicher.

"Warum hast du mich hier her gebracht und erzählst mir das? Habt ihr Rena am Ende etwa-"

Sie wurde unterbrochen, als der Gesichtsausdruck der Kleineren sich plötzlich veränderte.

Weiterhin funkelten die stahlblauen Augen der Vampirin amüsiert, doch es lag eine gewisse Bösartigkeit darin, die sich auch in ihrem Grinsen widerspiegelte, welches nun den Weg auf ihre Lippen gefunden hatte.

Mit einem kräftigen Ruck, zog Chianti sie zu sich heran. Im ersten Moment befürchtete Jodie sich den Arm ausgekugelt zu haben, doch der Schmerz verebbte bereits wieder.

"Du willst wissen wo sie ist? Warum siehst du nicht ganz einfach selbst nach?" Chiantis Stimme klang belustigt. "Weißt du, am Anfang wollte ich nur dein Blut, aber als ich dir vorhin in die Augen geschaut und es gesehen habe, wusste ich, wie ich deiner verdammten Daywalkerin noch viel effektiver weh tun kann." Noch ehe Jodie nachhaken konnte, was Chianti bitte glaubte, in ihren Augen entdeckt zu haben, überschlugen die Ereignisse sich bereits.

Die Vampirin lachte und gab ihr einen Schubs. Unfreiwillig strauchelte die Blondine nach vorne, verlor den Boden unter den Füßen und spürte wie sie stürzte.
 

Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus. Sie fiel und hatte das Gefühl von der Dunkelheit verschluckt zu werden.

Noch ehe Jodie sich fragen konnte, wie tief das Loch eigentlich war, schlug sie hart auf dem Boden auf. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen. Schmerzt jagte durch ihre Seite.

Für den Moment sog die Jägerin lediglich scharf die Luft ein, rührte sich nicht und blieb benommen liegen. Schließlich rollte sie sich vorsichtig auf die Seite, prüfte in der Bewegung ihre Arme und Beine und war sich relativ sicher, dass sie sich nichts gebrochen hatte.

Langsam zog sie sich in eine sitzende Position und rieb sich das rechte Handgelenk. Autsch!

Die Landung war wahrlich unangenehm gewesen, doch Jodie glaubte, dass sie sich nicht ernsthaft verletzt hatte.

Allerdings hatte sie trotz allem wahrlich genug Probleme. Sie befand sich irgendwo im Keller unter dem Vampiranwesen und zwar in einem Abschnitt, der den wenigsten bekannt sein dürfte. Zudem wusste niemand das sie hier war. Niemand außer diesem Biest.

Sie fragte sich, was die Vampirin nun mit ihr vorhatte. Wollte sie sie hier verrotten lassen? Oder würde sie den günstigen Moment nutzen um sie zu töten?

Und warum glaubte die Andere, dass sie Chris weh tun könnte, indem sie ihr - einer Vampirjägerin- schadete?! Aber diese Frage war eher zweitrangig. Die anderen Probleme überwogen derweil.

"Chianti, verdammt...!" Jodies Stimme klang verstört und verärgert zugleich.

Sie befand sich in einem Loch, mitten in der Dunkelheit und hatte keine Ahnung, wie zur Hölle sie hier wieder rauskommen sollte, selbst wenn die Ältere sich dazu entschließen sollte, sie vorerst am Leben zu lassen.

Besagte Vampirin tauchte oben am Rande des Lochs auf. Ihre Augen glühten in der Dunkelheit. Lediglich die Fackel, die sie weiterhin in der Hand hielt, leuchtete die Grube ein wenig aus.

Jodie schätzte, dass sie etwa dreieinhalb Meter tief gestürzt war. Eine Höhe, die es ihr unmöglich machte, aus eigener Kraft der Grube zu entkommen.

"Du hast dir also nicht den Hals gebrochen, wie schön.", lachte Chianti derweil. "Das macht es gleich noch viel amüsanter. Wolltest du nicht ursprünglich nach deiner Freundin sehen? Bitte, das ist die Gelegenheit. Ich war immerhin so nett und habe dich zu ihr gebracht und nun bin ich noch viel netter und lasse dir sogar die Fackel hier. Also dann, viel Spaß euch beiden."

Die Vampirin warf die Fackel hinunter, trat vom Rand des Lochs weg und verschwand wie ein Schatten in der Dunkelheit.

Im ersten Moment starrte Jodie ungläubig nach oben, dann begannen ihre Gedanken zu rasen.

Bitte wie war das? Sie war nicht allein hier unten? Rena!

Jetzt, wo die Fackel die Umgebung zumindest ein wenig erhellte, war es ihr möglich, sich in der Grube umzusehen.

Jodie kämpfte sich zurück auf die Füße, hob die Fackel vom Boden auf und sah sich hektisch nach allen Seiten um. Sie schätzte, dass der Raum, in den sie gestürzt war, knapp 50m² maß. Der Boden war lehmig, staubig und übersät mit Trümmern, welche hinabgefallen sein mussten, als die japanischen Vampire die Decke zerstört hatten.
 

Bis auf Staub und Trümmerteile gab es hier unten nicht all zu viel zu sehen. Sie saß ganz allein in diesem trostlosen Gefängnis fest und würde bald schon noch nicht einmal mehr etwas sehen können, wenn die Fackel niedergebrannt war. Jodie spürte, wie die blanke Panik in ihr aufstieg.

Dann blieb ihr Blick an einer Gestalt hängen, welche dort zwischen den Trümmern und fast außerhalb des Feuerscheins saß.

Die Person hatte sich mit dem Rücken an die Wand gelehnt und ihre Arme um die herangezogenen Beine geschlungen. Brünettes Haar fiel ihr über die Schultern und ins Gesicht. Der ursprünglich cremefarbene Pullover der anderen Frau war teils blutgetränkt. Jodie blieb fast das Herz stehen.

"Rena!!" Ihre Stimme klang schrill vor Sorge.

Beinahe hätte die Jägerin die Fackel fallen lassen, doch gerade noch so besann sie sich eines Besseren. Stattdessen beeilte sie sich, zu ihrer Kameradin zu laufen, ohne dabei über herumliegende Trümmerteile zu stolpern.

"Hey... geht's dir gut...?", wollte sie beinahe zaghaft wissen. Was für eine dumme Frage. Die Andere sah nicht so aus, als würde es ihr gutgehen. Zumal auch sie hier unten festsaß.

Für einen Moment gelang es Jodie, ihre eigene Panik und die Sorge darüber, wie sie hier wieder rauskommen sollte, bei Seite zu schieben. Einerseits war sie unglaublich froh darüber, die Brünette wiedergefunden zu haben, andererseits nahm die Angst um sie nur noch zu, erst recht, da Rena nicht auf sie reagierte, als sie sie ansprach.

Anstatt zu antworten, kauerte die andere Jägerin sich nur noch mehr zusammen und machte sich noch etwas kleiner. Besorgt blieb Jodie neben ihr stehen, beugte sich zu ihr herunter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Rena zuckte zusammen.

"Rena...-", begann sie.

"Verschwinde!...Bleib weg von mir!", fuhr ihre Kameradin sie an.

In der Tat zog Jodie im ersten Moment ihre Hand zurück und starrte ihr Gegenüber verständnislos an. Das war eine Begrüßung, mit der sie nicht unbedingt gerechnet hatte, zumal die Stimme der Brünetten seltsam klang, fast so, als hätte sie getrunken.

"Was...? Ich versteh nicht ganz, warum-", setzte Jodie erneut an, doch wieder wurde sie unterbrochen.

"Bleib weg! Bitte..! Ich will dir nicht..." Sternenstaubs Jägerin klang angestrengt.

Noch während die Blondine sich fragte, was genau es war, dass die Andere nicht wollte und warum sie sich ihr nicht nähern sollte, griff Rena sich gequält mit beiden Händen an den Kopf. Sie sah so aus, als hätte sie die Kopfschmerzen ihres Lebens.

"Verschwinde endlich!!", fuhr die Jüngere Jodie erneut an, diesmal nachdrücklich und mit erhobener Stimme, etwas, was der sonst so sanftmütigen Jägerin gar nicht ähnlich sah.

Die Blondine wich zwei Schritte zurück, allein schon, um ihr Gegenüber nicht unnötig aufzuregen.

Sie fragte sich, was um Himmels Willen passiert war und wie sie ihrer Freundin helfen sollte.

"Du bist gut, ich kann nicht einfach so weg, selbst wenn ich wollte. Wir sitzen beide hier unten fest. Sag mir lieber, was passiert ist. Was haben diese Monster mit dir gemacht?"

Anstatt ihr eine brauchbare Antwort zu geben, fiel die Brünette vornüber, stützte sich auf Ellbogen und Knie und hielt sich den Kopf.

"Dein Blut... ich werde dir noch was antun...", kam es angestrengt und gequält von Sternenstaubs Jägerin.

Jodie hielt die Fackel ein wenig näher in ihre Richtung. Der Feuerschein ließ sie einen besseren Blick in das Gesicht ihrer Kameraden erlangen. Bei dem, was sie sah, jagte das Adrenalin wie ein schmerzhafter Stich durch ihren Körper. Ihr Herzschlag beschleunigte sich.

Das...! Verdammt, was passierte hier?! Jodie glaubte es zu wissen, auch wenn sie es noch nie gesehen hatte. Instinktiv war ihr klar, dass das, was sie sah, alles andere als gut war.

Am Hals der Brünetten klaffte eine tiefe Bisswunde. Diese blutete inzwischen zwar nur noch leicht, hatte jedoch Teile des Pullovers durchweicht. In ihrem Gesicht zeichneten sich feine, dunkle Adern ab, die einen starken Kontrast zu ihrer derzeit unnatürlich blassen Haut bildeten. Die sonst taubenblauen Augen der Jägerin wirkten heller als zuvor.

Während Rena sich, inzwischen allem Anschein nach von Krämpfen gepeinigt, auf dem Boden zusammengekrümmt hatte und nach Luft rang, erhaschte Jodie einen kurzen Blick auf die Zähne der Anderen. Die oberen Eckzähne waren spitz und gewannen mit jeder Sekunde, die verstrich, kaum merklich noch etwas an Länge.

Oh Gott, nein! Das durfte nicht sein! Sie verwandelte sich und die Blondine wusste, dass es nichts gab, was sie für sie tun konnte.

Sie konnte sich nur zu gut in Renas Lage hineinversetzen. Sie übten den gleichen Job aus, jagten Vampire und versuchten die Menschheit bestmöglich vor diesen Blutsaugern zu bewahren. Plötzlich selbst zu einem dieser Monster zu werden, musste schrecklich sein!
 

Plötzlich hörte ihr Gegenüber auf sich zu krümmen und sank für einen Moment zu Boden. Hatten die Krämpfe aufgehört? "Rena...?" Jodie wurde das ungute Gefühl nicht los, dass sie sich gleich noch einem ganz anderen Problem gegenübersehen würde.

Als sie die andere Jägerin ansprach, richtete diese ruckartig den Blick auf sie. Die stahlblauen Augen der Brünetten glühten in der Dunkelheit. Erschrocken stellte Jodie fest, das ihre eigentliche Freundin sie ansah, wie ein Raubtier seine Beute mustern würde. Aus ihrem Blick war jedes Fünkchen Menschlichkeit gewichen.

Aus der Kehle der Anderen drang ein seltsamer Laut, eine Mischung aus Knurren und Fauchen. Ein Geräusch, wie kein Mensch es von sich geben könnte. Jodie gefror das Blut in den Adern, als sie die Situation schließlich erfasste.

Ein normaler A-Klasse Vampir hätte sich unter Kontrolle. Chris, eine Daywalkerin, hatte selbst dann nicht die Beherrschung verloren, als sie verletzt und ausgehungert neben ihr gesessen hatte.

Doch Rena? Sie sah nicht so aus, als würde sie in diesem Moment logisch denken. Die Brünette spannte die Muskeln an wie eine Katze vor dem Sprung.

Schlagartig wurde Jodie klar, was hier nicht stimmte. Sie hatte keine A-Klasse Vampirin vor sich. Nein, sie kannte diese Art von Vampiren, die Mondnebel im Normalfall abwertend als hirnlose Kreaturen bezeichnete. Der japanische Vampirfürst hatte die Grausamkeit besessen, Sternenstaubs Jägerin in eine B-Klasse Vampirin zu verwandeln, wie auch immer er das angestellt hatte!

Doch das war gerade absolut zweitrangig. Die Verwandlung schien abgeschlossen zu sein.

Rena fixierte sie mit dem Blick, stieß sich vom Boden ab und sprang ihr im nächsten Moment in einer fließenden Bewegung entgegen.

"Nein!!" Erschrocken schrie Mondnebels Jägerin auf und schaffte es gerade noch dem Angriff durch eine Drehung auszuweichen. Ihr Gegenüber traf die Wand, aus welcher ein großes Stück Lehm herausbrach. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie sie getroffen hätte!

Doch es war noch nicht vorbei. Weiterhin hatten die Bewegungen der Vampirin etwas katzenhaftes. Mit einem wütenden Fauchen setzte sie zu einem erneuten Angriff an.

Jodie schlug mit der brennenden Fackel nach ihr und taumelte gleichzeitig einige Schritte zurück, um die Attacke abzuwehren.

Panik und Verzweiflung stiegen in ihr auf. Das war doch jetzt ein schlechter Scherz! Rena war in der kurzen Zeit zu einer guten Freundin geworden. Sie wollte nicht gegen sie kämpfen! Doch was passierte, wenn sie es nicht tat, war absehbar.

Leider nur würde es keinen großen Unterschied machen, ob sie versuchte sich zu wehren, oder nicht. Jodie versuchte den Angriffen bestmöglich zu entgehen, wusste jedoch, dass sie auf lange Sicht keine Chance hatte, unbewaffnet gegen einen Vampir anzukommen.

Flucht war ebenfalls keine Option. Nicht nur, weil Vampire viel schneller als Menschen waren, sondern weil sie in dieser verdammten Grube festsaß, aus der sie aus eigener Kraft nicht würde entkommen können.

Sie saß in der Falle. Chianti hatte das haargenau geplant. Genau so gut hätte dieses Biest sie in den Käfig eines hungrigen Löwen werfen können, bloß das sie das Raubtier wenigstens nicht gekannt hätte. Zu sehen, was diese elenden Monster aus Rena gemacht hatten, machte die Situation nur noch zusätzlich schrecklich.
 

"Reiß dich zusammen! Das bist doch nicht du!", rief sie und versuchte irgendwie zu ihrer Kameradin durchzudringen. Wenn da noch irgendetwas von ihrem ursprünglichen Ich war, dann hoffte Jodie, dass ihre Worte sie erreichten.

Doch Rena ging unbeirrt weiter auf sie los. Nur mit Mühe und mit Hilfe der brennenden Fackel schaffte sie es, die Brünette abzuwehren. Bislang. Sie wusste ehrlich gesagt nicht, wie lange das noch gutgehen würde. Spätestens, wenn die Vampirin sich entschloss ernstzumachen, wäre es aus und vorbei mit ihr!

Wenn sie doch nur ihre Pistole hätte! Wobei... könnte sie wirklich den Abzug betätigen, wo es sich bei ihrer Gegnerin doch um eine Freundin handelte?! Nein, vermutlich könnte sie es nicht.

Angst und Verzweiflung wuchsen mit jeder Sekunde. Rena trieb sie durch den Raum und Jodie taumelte mehr schlecht als recht zurück.

"Hör auf! Komm endlich wieder zur Besinnung!"

Voller Entsetzen spürte sie, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand hinter sich stieß.

Die B-Klasse Vampirin vor ihr bleckte die Zähne und machte sich zweifelsohne für den finalen Sprung bereit.

Schützend hielt die Blondine die Fackel vor sich und fuchtelte damit herum. Als ob das bisschen Feuer die Vampirin aufhalten würde. In wenigen Sekunden würde sie ihr den Hals zerfleischen. Es graute ihr.

Rena setzte zum Angriff an und die Jägerin kniff die Augen zusammen. Sie wollte ihr Ende nicht kommen sehen. Doch noch ehe die Jüngere ein letztes Mal auf sie losgehen konnte, hallte plötzlich ein lauter Pfiff durch die Grube. Jodie blinzelte verwirrt und sah, wie auch Rena herumwirbelte und den Rand der Grube mit dem Blick fixierte.
 

Oben, am Rand der Grube, stand ein ihr wohlbekanntes Gesicht, eine weitere Fackel in der Hand haltend.

"Jodie!", hörte sie Chris nach ihr rufen. Ihre Stimme klang besorgt. Die Tatsache, dass sie sie mit ihrem Vornamen und nicht mit irgendeinem Spitznamen ansprach, unterstrich nur noch einmal, dass die Sorge nicht gespielt war. "Ist alles in Ordnung mit dir?!"

"Chris!", rief die Jägerin nach der anderen Blondine. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. Sie musste das hier nicht mehr allein durchstehen!

Zumindest im ersten Moment fühlte Jodie, wie die Hoffnung in ihr aufkeimte. So froh, Amerikas Nummer Zwei zu sehen, war sie noch nie gewesen. Doch das gute Gefühl währte nicht lange. Bereits im nächsten Moment blieb ihr fast das Herz stehen. Schön und gut, dass die Schauspielerin sie gefunden hatte, doch als Daywalkerin verfügte sie nicht über die Kraft der Vampire, sondern befand sich kräftemäßig auf dem Niveau eines Menschen - einer untrainierten Zivilistin, um ganz genau zu sein.

"Rena... diese Mistkerle haben sie zur B-Klasse Vampirin gemacht! Hol Hilfe! Ich weiß nicht, wie lange ich sie hier unten noch abwehren kann!" Jodie versuchte der Anderen die Lage so rasch wie möglich zu erklären.

Für einen Moment huschte so etwas wie Betroffenheit über die Mimik der Schauspielerin, dann meinte Jodie, eine gewisse Bitterkeit im Gesicht der Daywalkerin zu erkennen.

"Hilfe holen? Ich glaube nicht, dass die Kleine das zulassen wird.", ergriff Chris das Wort, ehe ein leichtes Schmunzeln ihre Lippen umspielte. "Aber das ist vielleicht auch gar nicht nötig."

Ungläubig sah sie, wie die Schauspielerin ihr eigenes Handgelenk zum Mund führte. Kurz zuckte sie zusammen, dann hielt sie ihren Arm über das Loch im Boden. Ein paar Blutstropfen landeten auf dem staubigen Boden und versickerten langsam darin.

"Was hast du vor...?", setzte die Jägerin verwirrt an.

Die eben gewandelte Vampirin knurrte beim Geruch des Blutes und fixierte die Blondine am oberen Rand der Grube.

"Na komm schon, Mädchen. Für dich sind die paar Meter doch keine Entfernung.", höhnte Chris vom Rand der Grube aus.

Moment! Jodies Augen weiteten sich erschrocken, als sie daran denken musste, welche Distanzen Vampire problemlos durch Sprünge überbrücken konnten. Sie hatte es schon oft genug mit eigenen Augen gesehen.

Versuchte Chris also gerade Rena aus der Grube zu locken und sich selbst zum Köder zu machen?!

Nein! Nein! Nein! Sie konnte sich doch selbst nicht verteidigen!

Und Rena? Die ehemalige Jägerin nahm nicht länger Notiz von Jodie, sondern fixierte die Schauspielerin, deren Blut sie ganz sicher gerochen haben musste.

Aber warum reagierte ein Vampir überhaupt so stark auf das Blut eines anderen Vampirs? Jodie verstand es nicht, doch das zu hinterfragen, dafür fehlte die Zeit. Was sie jedoch sehr wohl verstand war, dass Chris chancenlos wäre, würde die Brünette auf sie losgehen. Und diese... spannte sich an und sprang.

Jodie wusste nicht was in sie gefahren war, sie handelte rein instinktiv. Als Rena lossprang, ließ sie die Fackel fallen, stürzte sich auf die Jüngere und schlang die Arme um ihre Schultern. Sie versuchte verzweifelt Halt zu finden.

Im nächsten Moment hatte sie keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Die Vampirin sprang so mühelos aus dem Loch, als würde sie sich gar nicht an ihr festhalten.

Sicher landete Rena auf dem lehmigen Boden, fixierte weiterhin die Schauspielerin mit dem Blick und zog urplötzlich den Ellbogen nach hinten. Der Schlag in die Magengrube traf Jodie vollkommen unvorbereitet. Sie spürte, wie sie mit dem Rücken gegen die Wand prallte und fand sich im nächsten Moment benommen auf dem Boden liegend wieder.

Autsch! Das hatte ganz schön gesessen! Die B-Klasse Vampirin hatte sie abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt.
 

Für den Moment gelang es Jodie nicht aufzustehen. Vollkommen neben der Spur und nach Atem ringend, bekam sie nur am Rande mit, wie die Brünette sich auf die Daywalkerin stürzte.

Die Fackel flog durch die Luft und blieb knapp neben ihr liegen.

"Chris, nein!", rief sie erschrocken aus. Mit Mühe gelang es Jodie, sich auf die Ellbogen zu stützen und sich zurück in eine halbwegs sitzende Position zu ziehen. Nur langsam ebbte der Schmerz ab.

Entsetzt starrte sie zu den beiden anderen und konnte nur hilflos dabei zusehen, wie Rena die Blondine mit spielender Leichtigkeit gegen die Wand drückte.

Der Biss in den Hals, ließ Amerikas Nummer Zwei zusammenzucken und für einen kurzen Moment das Gesicht verziehen. Jodie konnte es verstehen, wusste sie doch aus erster Hand, wie schmerzhaft ein solcher Biss sein konnte.

Überraschend versuchte die Daywalkerin nicht ihre Angreiferin abzuwehren, sondern hielt ganz still. Sie legte den Hals sogar noch ein wenig mehr zur Seite. Verständnislos und ungläubig zugleich beobachtete Jodie die Szene. Was tat Chris denn da?! Wenn sie nicht wenigstens versuchte, die Andere loszuwerden, würde diese sie am Ende noch töten!

...oder auch nicht. So zähflüssig wie Honig, drang die Erinnerung an die Worte der Schauspielerin in ihr Gedächtnis zurück. Wie war das noch gleich? Das Blut eines Daywalkers war für andere Vampire ungefähr genau so giftig wie Zyankali für Menschen...? Dann wehrte sie sich also nur nicht und ließ den Biss zu, weil sie...?

Erneut stieg Entsetzen in ihr auf. NEIN! Zwar war sie überrascht, welch heftige Sorgen sie sich um Chris machte, doch gleichzeitig wollte sie genau so wenig, dass die andere Blondine Sternenstaubs ehemalige Jägerin gezielt vergiftete und sie auf diese Art und Weise tötete!

"Nein! Hört auf! Beide!", hörte sie ihre eigene Stimme rufen.

Mit einiger Anstrengung kämpfte sie sich zurück auf die Füße, nur um im nächsten Moment unschlüssig dazustehen. Was sollte sie jetzt tun? Dazwischengehen? Sollte sie versuchen Rena wegzuziehen? Als wenn die Andere das kümmern würde.

Aber wenn sie nichts unternahm, dann.... Reichte die Menge des Blutes, die die B-Klasse Vampirin getrunken hatte, am Ende etwa bereits aus, um...? Sie wollte diesen Gedanken gar nicht zu Ende denken.
 

Noch ehe Jodie entscheiden musste, was sie nun tun sollte, nahm sie im schwachen Schein der Fackel eine schnelle Bewegung wahr.

"Rena! Nein! Hör auf damit!" Im nächsten Moment prallte Curaçao bereits gegen sie und riss die Brünette mit sich.

Die beiden Frauen rutschten ein Stück weit über den Boden, ehe sie fast genau vor Jodies Füßen zum Liegen kamen. Unbewusst taumelte die Blondine zwei Schritte zurück.

Während die Schauspielerin im Hintergrund auf die Knie sackte und sich mit dem Rücken gegen die Wand lehnte, rangen Curaçao und Kir miteinander, wobei es der Silberhaarigen gelungen war, die Jüngere auf den Boden zu pinnen.

"Um Gottes Willen! Komm wieder zu dir...!" Curaçaos Stimme waren Sorge und Panik nur all zu deutlich anzuhören.

Unter ihr wandte Rena das Gesicht zur Seite, erwischte Curaçaos Arm und biss zu. Der Bodyguard gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich, hielt die Brünette jedoch weiterhin auf den Boden gedrückt.

"Ich denke, sie hat genug von meinem Blut zu sich genommen...", meldete die sichtlich angeschlagene Daywalkerin sich im Hintergrund zu Wort. Ein tiefer, blutiger Kratzer klaffte von ihrer rechten Wange bis hin zur Nase. Jodie hatte gar nicht mitbekommen, wann das passiert war, ging jedoch stark davon aus, dass Rena Chris erwischt haben musste, als sie sie angegriffen hatte.

Entsetzt und betroffen zugleich, beobachtete die junge Frau die beiden Vampirinnen vor ihren Füßen. Es schien ganz so, als wäre Curaçao deutlich stärker. Kein Wunder, war sie doch bereits um einiges älter und erfahrener als ihre Gegnerin. Wobei Gegnerin das falsche Wort war.

Jodie wusste, was die beiden eigentlich füreinander empfanden. Curaçao machte keinen Hehl daraus und Rena hatte es ihr gegenüber zugegeben, als sie sie direkt mit ihrem Verdacht konfrontiert hatte. Nun zu sehen, wie sie gegeneinander kämpften, war herzzerreißend.

Und dann war da noch die Sache mit dem Daywalkerblut, die Chris soeben selbst noch einmal erwähnt hatte. Wollte sie damit sagen, dass das Problem sich gleich von selbst gelöst haben würde, sobald das Gift seine Wirkung entfaltete? Jodie spürte, wie ihre Kehle sich zuschnürte. Sie mochte gar nicht daran denken. Noch viel weniger wollte sie sich vorstellen, wie Curaçao sich derzeit fühlen musste.
 

Nach wie vor hatte die B-Klasse Vampirin ihre Zähne in den Arm ihrer Freundin geschlagen. Sie biss zu so stark sie konnte. An Curaçaos Mimik war abzulesen, wie weh der Biss tun musste, doch sie versuchte nicht ihr Handgelenk wegzuziehen. Stattdessen drückte sie die Jüngere weiterhin zu Boden, flüsterte ihr leise und beruhigend etwas ins Ohr... und wartete wohl oder übel darauf, dass das Gift wirkte? Wie schrecklich! Die Jägerin mochte kaum hinsehen.

In der Tat wurde Rena langsam ruhiger. Jodie biss die Zähne zusammen. Bedeutete das...?

Inzwischen hatte Chris sich wieder zurück auf die Füße gekämpft und schleppte sich zu den anderen. Als die Schauspielerin sie erreicht hatte, drückte Jodie sich unbewusst an ihre Seite und dachte für den Moment gar nicht darüber nach, dass ausgerechnet sie die Nähe der Daywalkerin suchte.

"Ssssh..." Curaçaos Stimme klang beruhigend, als sie mit ihrer freien Hand über die Wange ihrer Freundin strich. Diese hatte inzwischen gänzlich damit aufgehört zu versuchen sie abzuschütteln.

Für einen Moment schloss Rena die Augen, blinzelte, schloss die Augen wieder und blinzelte erneut. Als sie das nächste Mal die Augen öffnete, waren diese nicht länger stahlblau, sondern hatten ihren üblichen Blauton zurück.

Schlagartig schien sie sich der Tatsache bewusst geworden zu sein, dass sie die Zähne in Curaçaos Arm versenkt hatte. Sofort ließ sie los, wandte der Älteren das Gesicht zu und musterte sie mit einem mehr als nur betroffenen Blick.

"Ich...ich hab dich verletzt, Curaçao... Oh Gott, das tut mir leid."

Jodie glaubte sich verhört zu haben. Die Brünette sprach. Sie klang ganz genau so, wie sie sie kannte. Der raubtierhafte Ausdruck war aus ihren Augen verschwunden.

"Halb so wild. Das verheilt. Die Hauptsache ist, dass du wieder du selbst bist.", hörte sie Curaçao sagen. Ein sanftes Lächeln hatte sich auf die Lippen der Silberhaarigen gelegt.

Sie gab die Brünette unter sich frei, welche sich sichtlich verwirrt wieder aufsetzte und sich blinzelnd umsah.

Ebenso fragend sah Jodie nun die Daywalkerin neben sich an. Hätte das Gift in ihrem Blut nicht eigentlich...? Sie verstand nicht, was hier los war.

"Was ist da gerade passiert, Chris? Sagtest du nicht neulich noch, dass Daywalkerblut auf Vampire wirkt wie Zyankali?"

Die sichtlich angeschlagene Schauspielerin blickte ihr mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen entgegen. "Das ist schon richtig. Aber ich habe auch erwähnt, dass es eine einzige große Ausnahme gibt, oder? B-Klasse Vampire reagieren nicht auf das Gift, sie erlangen lediglich ihren Verstand zurück und werden somit zur A-Klasse.", erklärte sie ihr.

"Jodie...? Vermouth?" Kir saß noch auf dem Boden, sah sich verwirrt um und schien nicht recht zu wissen, was hier eigentlich los war. "Wo kommt ihr denn her? Und was ist mit deinem Gesicht passiert?" Verwirrt blickte sie die Schauspielerin an.

Dann schienen die Erinnerungen langsam den Weg zurück in ihr Gedächtnis zu finden. Horror spiegelte sich auf Renas Gesicht, als sie in Zeitlupe mit einem Finger über einen der scharfen Vampirfänge fuhr und zu zittern begann wie Espenlaub.
 

*****

~ Anmerkung ~

An dieser Stelle eine kurze Erklärung zu den verschiedenen Vampirarten:

- A-Klasse Vampire: Die gängigste Vampirart. Sie sind schnell und stark, vertragen kein Sonnenlicht, sind ansonsten jedoch leicht in der Lage sich als Mensch zu tarnen.

- B-Klasse Vampire: Die Wandlung erfolgt durch nur wenige Tropfen Vampirblut. Durch die geringe Menge an Blut, büßen sie bei der Wandlung ihren menschlichen Verstand ein und agieren viel mehr wie hungrige Raubtiere. Das einmalige Trinken von Daywalkerblut vergiftet sie nicht, sondern lässt sie zu normalen A-Klasse Vampiren werden.

- Daywalker: Die wohl seltenste Vampirart. Sind in der Lage sich im Sonnenlicht aufzuhalten und verfügen über 4x schärfere Sinne als A-Klasse Vampire. Dafür fehlt ihnen die Kraft und Schnelligkeit der anderen Vampirarten.

- Urvampire: Die stärksten Vampire. Sie sind bereits Jahrhunderte alt und grausame Gegner. Meist handelt es sich bei Clanoberhäuptern um diese seltene Vampirart.



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