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Eren

Geheimnisse der Turanos
von

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Planänderung

Um der Ärztin herum explodiert, brennt oder schreit seit den letzten Minuten alles und jeder. Darunter mischt sich der unverwechselbare Lärm von Schüssen. Wenn sie ehrlich ist, will sie gar nicht genau wissen, was da draußen vor sich geht. Aber sie kann nicht anders als es sich auszumalen. Mühsam befreit sie sich aus ihrer Starre. Sie weiß, es hilft niemandem, wenn sie hier wie ein verschrecktes Kaninchen hocken bleibt. Ihr selbst oder Eren am wenigsten. Die Vorwürfe und das schlechte Gewissen quälen sie dann. Sie muss was tun! Sie muss es wieder gutmachen! Oder es zumindest versuchen.

 

Langsam hebt sie den Kopf bis sie über die Lehne sehen kann. Durch die Sprinkleranlage sind ihre Klamotten komplett durchnässt, dennoch brennt Erens blaues Feuer noch immer im oberen Stockwerk. Ihre Augen weiten sich entsetzt bei dem Chaos und all den Toten. Als sie ein Ächzen vernimmt, zieht sie schnell den Kopf zurück. Noch nicht alle haben sich dem Freiluftkampf angeschlossen.

 

„Verdammt“, ächzt Ajax, der sich aus dem Trümmerhaufen des Schrankes befreit und die tiefen Kratzer auf seiner Brust betastet. Sein Hemd ist an diesen Stellen zerrissen und getränkt in Blut. Hätte der Dämon es gewollt, hätte er ihm in diesem Moment die Kehle aufschlitzen können. Dass er es nicht getan hat, macht ihn stutzig, aber er hat keine Zeit, lang darüber nachzudenken. Draußen tobt immerhin ein Kampf und diese nutzlosen Wachen sind Dämon-Eren ganz sicher nicht gewachsen.

 

„Wage es ja nicht, jetzt von mir Mitleid zu erwarten! Und hör auf mit diesem Familienscheiß!“, hört Dr. Ryu den Dämon im Garten brüllen. Mittlerweile sind die Schüsse verstummt, was kein gutes Zeichen sein kann.

 

Das denkt wohl auch Ajax, der sich auf der Stelle auf den Weg zur Terrasse macht. Bereits unterwegs erschafft er mit seiner Fähigkeit mehrere Shuriken zwischen den Fingern, um sofort eingreifen zu können, sobald er den Dämon sieht.

 

Als Ajax das Wohnzimmer verlassen hat, wagt es Dr. Ryu wieder aufzutauchen. Mit zittrigen Beinen erhebt sie sich, dabei hält sie sich an der Couch fest, da ihre Muskeln durch die unbequeme Position eingeschlafen sind und sie ihnen nicht zutraut, sie im Moment sicher halten zu können. So kommt sie nur langsam voran. Sie vermeidet es, den toten Wachen zu viel Beachtung zu schenken und durch die weit geöffnete Glastür hinaus in den Garten zu sehen, wo der Dämon und Ajax sich gegenseitig mit Schattenkugeln und Shuriken zu töten versuchen.

 

Dabei hört sie laut und deutlich die zornige, tiefe Stimme des Dämons, die nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der Stimme hat, die seinem Körper normalerweise gehört, aber viel erschreckender sind die Worte: „Ich bin Niemandes Eigentum!“

 

Er hat ja so recht damit. Die Turanos haben ihn schon immer wie eine Marionette behandelt, die sie so formen können, wie sie sie brauchen, ohne dabei auch nur eine Sekunde an sein Wohlergehen zu denken. Ein schmerzhafter Stich in ihrem Hinterkopf erinnert Dr. Ryu daran, dass sie genauso daran Schuld ist wie Turano. Dieser Gedanke ist auch der Auslöser für ihre Entscheidung. Damit muss jetzt Schluss sein! Sie will nicht länger einem größenwahnsinnigen Egoisten ohne Skrupel dienen und Kinder foltern und quälen müssen. Nein, das endet heute!

 

„Halte noch etwas durch, Eren. Ich bin unterwegs!“

 

Die Frau richtet sich auf, wirbelt am Absatz herum und stürzt zum Gemälde. In der Hektik wäre sie beinahe die Leiter hinuntergefallen. Sie stolpert zum Wagen, steigt ein und drückt den Startknopf. Noch während das Fahrzeug den Tunnel entlang rast, fischt sie ihr Smartphone aus der Tasche, das ihre Schuldgefühle noch weiter wachsen lässt. Sie hat Eren heute Nacht auch belogen. Sie war nicht im Anwesen, um ihr vergessenes Handy zu holen, sie war auf der Suche nach Informationen über Projekt Apex Life, über das sie vor einer Weile gestolpert ist. Es ist eines der wenigen Projekte des Bunkers, über das sie nichts weiß und das Erste, über das sie keinerlei Informationen auf den Servern des Bunkers finden konnte. Sie hatte nur zufällig ein paar Gesprächsfetzen zwischen Ajax und seinem Adoptivvater aufgeschnappt, als sie letztens auf dem Weg zu dessen Büro im TuranoTower gewesen war. Dass dabei Erens Name gefallen war, hatte ihr Interesse geweckt. Sie wusste schon seit der Nacht vor acht Jahren, dass es irgendeinen Grund gegeben haben musste, weshalb ihr Boss aus heiterem Himmel beschloss, Eren und Ajax zu adoptieren.

 

Bis jetzt hat sie noch immer keine Informationen über das Geheimprojekt finden können, auch heute nicht, da sie zu früh von dem Wachmann entdeckt wurde. Zum Glück war Eren aufgetaucht und hatte ihr geholfen. Jetzt ist es an der Zeit, sich zu revanchieren!

 

Neue Entschlossenheit durchströmt ihren Körper. Sie wird Eren zurückholen, koste es, was es wolle. Und wenn das geschafft ist, befreit sie ihn von den Fesseln der Turanos! Er hat das hier nicht verdient. Niemand hat das.

 

Da es im Tunnel keinen Empfang gibt, sucht sie zumindest schon mal den Namen in ihren Kontakten heraus, um nachher nur noch auf Anrufen tippen zu müssen. Sie springt aus dem Wagen, noch bevor er vollständig hält, hechtet die Leiter hoch und durch die verborgene Tür. Um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen zwingt sich Dr. Ryu dazu, im Schritttempo den Gängen zum Fahrstuhl zu folgen. Die meisten der Schüler hier unten sind bereits in ihren „Zimmern“, weshalb die Lampen auf den Gängen ausgeschaltet sind. Das einzige Licht stammt von ihrer Handytaschenlampe, die sie hier ohne Heimlichkeit einschalten kann. Hier darf sie sich aufhalten. Hier hält sie niemand des Wachpersonals auf, von denen immer wieder einer an ihr vorbei geht. Die meisten grüßen sie nickend und sehen ihr nur verwundert nach, weil sie so durchnässt ist, aber niemand hält sie auf oder stellt ihr unangenehme Fragen. Ein gutes Zeichen dafür, dass keiner ahnt, was gerade im Turano-Anwesen vor sich geht. Jetzt kommt es ihr zu Gute, dass Benedikt die Arbeitsplätze getrennt hält, bis auf ein paar kleine Ausnahmen.

 

Dr. Ryu ist schon unzählige Male an all den kleinen Zimmern mit den Experimenten vorbeigegangen, aber heute Nacht schmerzt ihr der Anblick besonders, gleichzeitig blendet sie sie so gut es geht aus, um sich auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.

 

Nachdem Eren als Sohn aufgenommen wurde, hatte Turano veranlasst, die Zellen ein wenig wohnlicher zu gestalten, um die Gefängnisatmosphäre zu überspielen und Eren zu täuschen. Zumindest eine Kleinigkeit, die sich für jene Insassen hier verbessert hat, die noch nicht zu hundert Prozent hinter Turano stehen. Im Moment kann Dr. Ryu nicht jeden retten, das weiß sie. Irgendwann hofft sie stark darauf, aber im Moment muss sie sich mit Eren zufrieden geben. Vor allem, wenn dadurch dieses Projekt Apex Life gestoppt wird. Was auch immer das ist. Ist auch nicht so wichtig. Wenn Turano und Ajax diesen Plan selbst mit solch brutalen Mitteln umsetzen wollen, kann es nichts gutes bedeuten.

 

Die Ärztin fährt mit dem Fahrstuhl ins Stockwerk -01, wo ihr Labor und die Lagerräume liegen. Letzteres steuert sie als Erstes an. Auch die Gänge hier sind um diese Uhrzeit nur noch spärlich beleuchtet, was ihr immer ein mulmiges Gefühl in der Magengrube beschert. Sie ist nicht unbedingt ein Angsthase, aber an diesem Ort allein durch dunkle Gänge zu wandern, während man vorhat den Ort zu verraten und hinter jeder Kurve eine Wache mit Waffe erwartet, kann ganz schön an den Nerven zerren. Deshalb beschleunigt sie ihre Schritte.

 

Das „Equipment-Lager 2“ hat sie schnell erreicht. Sie zieht ihre Zutrittskarte durch den Scanner neben dem Türrahmen und schlüpft in den Raum. Typisch für Lagerräume sind hier haufenweise deckenhohe Regale zu finden, in denen alle möglichen Gerätschaften aufbewahrt werden, von denen auch an den Wänden welche hängen. Gezielt betritt sie die Reihe F, überfliegt dort mit den Augen hektisch die Kisten, bis sie eine Box mit der Aufschrift F18 entdeckt. Diese zieht sie heraus, sieht kurz hinein, um sicherzugehen, dass es die richtige Box ist und nimmt sie kurzerhand mit.

 

Nachdem sie im Gang kontrolliert hat, dass noch immer niemand hier Alarm geschlagen hat, schleicht sie weiter zu ihrem eigenen Labor. Gut, erste Hürde gemeistert. Doch zum Ausruhen oder sich selbst loben bleibt keine Zeit. Es gibt einen Jungen, der darauf wartet gerettet zu werden. Deshalb setzt Dr. Ryu die Box auf der Arbeitsfläche ab, entsperrt den Computer, der eh rund um die Uhr läuft und klickt sich geübt durch die Server und Ordner, bis sie die Datei findet. Diese schickt sie sich über ihre E-Mailadresse selbst auf ihr Privathandy.

 

Während also die Datei gesendet wird, widmet sie sich ihren nassen Klamotten, um die Wartezeit zu überbrücken und nicht pausenlos herumzutigern. Aus einem Schrank in der Ecke zieht sie eine Sporttasche heraus, in der sie Wechselklamotten aufbewahrt, falls sie sich während der Arbeit umziehen muss. So wie jetzt. In Rekordzeit schlüpft sie in die schwarze Jeans, den grünen Pullover und ist froh, sogar an Turnschuhe und einen Mantel gedacht zu haben. Wie gut, dass sie gern auf alle Eventualitäten vorbereitet ist. Die nassen Klamotten wirft sie einfach in den Schrank und schließt ihn, die nun leere Tasche nimmt sie allerdings mit zur Box F18. Ein kurzer Blick auf den PC-Bildschirm sagt ihr, dass das Versenden abgeschlossen ist. Sie kontrolliert ihr Handy, ob auch alles da ist und löscht anschließend die Daten endgültig vom Server.

 

Dann stopft sie alle Geräte aus F18 in ihre Sporttasche und ruft im Anschluss die Person an, die ihr bei ihrem Plan helfen soll, wobei sie sich das Handy zwischen Wange und Schulter klemmt. Obwohl es mitten in der Nacht ist, hebt der Gesprächspartner schon nach dem zweiten Klingeln ab.

 

„Hallo?“ Er klingt noch sehr verschlafen. Anscheinend hat sie ihn geweckt.

 

„Jack, ich bin´s. Ich brauche deine Hilfe!“, platzt sie sofort mit ihrem Anliegen heraus.

 

„Lia?“ Jack klingt plötzlich hellwach und alarmiert. „Was ist los?!“

 

„Komm zur Westhain-Station und hol mich da ab. Ich erklär dir dann alles unterwegs“, teilt sie ihm knapp mit, steckt das letzte Gerät in die Tasche und zieht den Reizverschluss zu.

 

„Schon unterwegs.“ Ohne Abschiedsworte oder nach mehr Informationen zu fragen, legt Jack auf.

 

Ein leichtes Lächeln hebt ihre Mundwinkel an. Wie immer ist er sofort zur Stelle, wenn sie ihn braucht. Egal zu welcher Tages- oder Nachtzeit. So war er schon immer. Da sie weiß, dass er vermutlich gerade panisch in seine Klamotten schlüpft und zum Auto rennt, beeilt sie sich, ihn nicht lange warten zu lassen. Der PC ist zum Glück auch mit seiner Arbeit fertig. Sie schaltet ihn aus, verstaut die leere Box im Schrank bei den nassen Klamotten und macht sich mit der Tasche über der Schulter auf den Weg.

 

Irgendwie findet sie es schon seltsam, dass noch immer kein Alarm angegangen ist. Vielleicht sollte sie sich lieber nicht darüber beschweren. Bei ihrem Glück springt sonst wirklich noch die Alarmanlage an und riegelt den Bunker ab. Dann sitzt sie hier fest und wird zwangsläufig auffliegen, wenn jemand erfährt, was sie gerade getan hat und was sie noch im Begriff ist zu tun.

 

Schluss damit. Entschieden schüttelt sie den Kopf und zwingt sich dazu, die beiden Wachfrauen freundlich zu grüßen, die an ihr vorbeigehen, während sie auf den Aufzug wartet. Sie versucht, sich möglichst normal zu benehmen. Ihr Herz hat die Botschaft wohl nicht bekommen, es rast vor Angst. Angst davor entdeckt zu werden. Angst davor, was dann mit ihr geschieht. Angst um Eren. Das alles mischt sich zu den Schuldgefühlen, was sie alles zu verdrängen versucht. Jetzt nur nicht den Kopf verlieren. Sie hat einen Plan. Alles wird gut werden. Ihre Pläne gehen schließlich so gut wie nie schief. Deshalb plant sie ja alles vor, um auf alles gefasst zu sein und auf alles reagieren zu können.

 

Zu ihrer eigenen Überraschung schafft sie es sogar in die Eingangshalle, ohne unnötiges Aufsehen erregt zu haben. Das läuft besser als erwartet, aber spätestens, wenn jemand den Schrank in ihrem Labor öffnet, weiß derjenige, dass sie eine Verräterin ist. Egal. Es ist zwar schade, da sie so nicht mehr an Informationen über die ganzen Untergrundaktionen der Turanos gelangt, aber sie tut es für einen guten Zweck. Sie hat schon viel zu lange nur zugesehen.

 

Der Mann am Empfang wünscht ihr eine gute Nacht, als sie den großen TuranoTower verlässt. Durch die ganzen Überstunden ist es nichts außergewöhnliches, dass sie so spät das Gebäude verlässt. Oder so früh. Den Weg zur U-Bahnstation kennt sie nur zu gut, schließlich fährt sie täglich mit der U-Bahn zur Arbeit. Sie hat zwar ein eigenes Auto, aber dafür ist ihr die Streckenlänge von ein paar Minuten mit der U-Bahn nicht wert. Außerdem gibt es zu wenig Parkplätze hier in der Nähe. Ein weiterer Pluspunkt ist, niemand von Turano Industries würde ihr Auto auf der Straße erkennen. Der Bahnhof ist nur zwei Straßen weiter, noch dazu an einer Hauptstraße, was ihr im Moment sehr gelegen kommt. Auf offener Straße, mit Zeugen, fühlt sie sich sicherer.



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