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Das unbekannte Y

von

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Das unbekannte Y

Jemand hatte meine Tasse gestohlen, zum dritten Mal in dieser Woche.

Diese Gedanken fuhren mir durch den Kopf, als ich in die offene Schranktür hineinspähte und nach meiner Tasse Ausschau hielt. Nach diesem kleinen Keramikbecher, in knallroter Farbe und dem Logo einer hiesigen Baufirma. Reines Werbematerial, und doch war es schnell zu meiner Tasse geworden. Was fast all meinen Kollegen bewusst war.

Dennoch stand ich zum wiederholten Male in unserer kleinen Küche und musste mit einer Ersatztasse Vorlieb nehmen. Dann würde ich zwar nicht zu 100% wach werden, wie es mit meiner Lieblingstasse passiert wäre, aber ich hatte auch keine andere Wahl.

Während ich meine Tasse in die Maschine stellte und auf den großen, runden Knopf drückte, kam meine Kollegin zu mir hergeschlichen. Ein Seitenblick genügte, allein ihre Augenringe verrieten mir, dass die Nacht für sie viel zu kurz gewesen war. So dauerte es auch ein paar Sekunden, bis sie bereit war, die üblichen Höflichkeitsfloskeln am Morgen auszutauschen.

„Guten Morgen“, murmelte sie mit leicht kratzigem Ton und mein Gefühl verstärkte sich. Sie hatte die Tasse Kaffee viel dringender nötig als ich.

Daher versuchte ich zu so taktvoll wie möglich zu sein, als ich sie mit einem „„Dir auch einen guten Morgen“ begrüßte. Dabei blickte ich die Kaffeemaschine an, wie sie die letzten Tropfen in meine Tasse ausspuckte. Anschließend holte ich zwei Päckchen Zucker und reichte ihn Stefanie zusammen mit meinem Kaffee. Sie wusste meine Geste zu schätzen und riss sich ein Zuckerpäckchen nach dem anderen auf. Ich dagegen suchte mir eine neue Tasse, da es keinen Unterschied machte, welche von ihnen ich nahm. Immerhin war keine von ihnen die meine.

Während ich die Kaffeemaschine zum zweiten Mal ihre Dienste verrichten ließ, drehte ich mich wieder zu Stefanie um. Diese hielt ihre Tasse mit beiden Händen und nippte ein wenig daran. Offenbar stand es um ihre Müdigkeit noch schlimmer, als ich dachte.

„Hast du noch irgendwas finden können?“, übersprang ich jeglichen Smalltalk und wollte gleich zur Sache kommen. Stefanie schüttelte leicht den Kopf, ihre Locken wippen mit ihren leichten Schwüngen mit.

Sie stellte ihre Tasse ab und meinte: „Nicht wirklich, Markus, nicht wirklich. Ich habe mir diesen Chat-Verlauf immer wieder und wieder angesehen, aber es gibt dort eine Stelle, aus der ich nicht schlau werde. Genauer gesagt, mehrere, aber die eine beschäftigt mich wirklich…“

Schnell nahm ich die Tasse mit fertig gebrühtem Kaffee an mich und pustete kurz hinein. Schon seit mehreren Wochen waren wir in einem neuen Fall verwickelt, die Chefetage wurde wie gewohnt schon sehr unruhig. Auch die Presse wollte Ergebnisse und im besten Fall eine Verhaftung sehen. Doch all das konnten wir ihnen nicht zeigen. Der Täter war auf freiem Fuß und wir hatten bis auf das Mordopfer kaum belastbare Beweise. Selbst die Konfiszierung sämtlicher Speichermedien, und eine Befragung mehrerer Verdachtspersonen hatte uns kaum neue Erkenntnisse eingebracht.

Dass wir den Kreis der Verdächtigen auf sieben Personen eingrenzen konnten, war schon ein Wunder für sich.

 

Wieder nahm ich einen Schluck, wartete darauf, dass Stefanie mit ihren Ausführungen fortfuhr, doch sie sagte nichts. Stattdessen hing sie ihren Gedanken nach, was ich an ihrem trüben Blick erkannte. Oder aber sie kämpfte dagegen an, hier an Ort und Stelle einzuschlafen. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte ich ihr die eine oder andere Stunde Schlaf mehr gegönnt. Aber leider lag diese Entscheidung nicht bei mir und so blieb mir nichts anderes übrig, als das Beste für sie hoffen.

„Warst du schon bei Frank? Vielleicht kann er dir ja weiterhelfen“, schlug ich ihr nun vor und sie blickte zu mir zurück. Wieder schüttelte sie sachte ihren Kopf.

„Nein, ehrlich gesagt noch nicht. Aber ich habe es schon in Erwägung gezogen“, antwortete sie, hielt für ein paar Sekunden inne und leerte ihre Tasse in zwei Zügen. „Normal ist er auch mehr für handschriftliche Schriften zuständig, aber wir können es uns nicht aussuchen, wie die Spuren aussehen.“

Bevor ich etwas darauf erwidern konnte, stellte sie ihre Tasse in die Spüle und streckte sich ein wenig. Sie versuchte wirklich alles, um halbwegs wach bleiben zu können.

„Möchtest du mich begleiten? Vielleicht sehen ja drei Paar Augen mehr als zwei“, schlug sie vor und brachte mich damit zum Überlegen. Auch ich hatte in den letzten Wochen nichts anderes getan, als mir irgendwelche privaten E-Mails anzusehen. Ein wenig Gruppenarbeit wäre da in der Tat eine willkommene Abwechslung. Daher fiel mir die Entscheidung leicht.

„Gerne. Aber vorher möchte ich noch meinen Kaffee austrinken… du weißt, wie Frank darüber denkt“, sagte ich und trank meine Tasse so schnell wie möglich aus.

 

Kurze Zeit später standen wir zu dritt in Franks Büro und starrten auf den Bildschirm vor uns. Frank hatte soeben die Datei mit dem Screenshot geöffnet, die ihm Stefanie schnell geschickt hatte.

Meine zusätzliche Anwesenheit schien ihn kaum zu irritieren, denn Frank meinte nur: „Gut, dann werden wir uns diesen fraglichen Chat-Ausschnitt mal gemeinsam ansehen“, erwiderte Frank.

„Danke. Ich dachte mir, du als Experte könntest mir helfen, auch, wenn der Chat auf Englisch ist“, lobte sie ihn freundlich und ich konnte sehen, wie Franks Augenbrauen ein Stück nach oben wanderten. Wie sich die Falten auf seiner Stirn zusammenzogen. Nicht nur hatte Frank ein angespanntes Verhältnis zu offenen Flüssigkeiten in seinem Büro, sondern auch mit der englischen Sprache. Etwas, um das wir alle in den letzten Tagen nicht herumkamen, die auch nur halbwegs mit dem Mordfall zu tun hatten.
 

 

w0rdm4ster, 8.40 pm

Hey, hru?

 

itsfine347, 8.42 pm

Fine, ig. j/k, not really

 

w0rdm4ster, 8.43 pm

Kk. new name?

 

itsfine347, 8.47 pm

Thx, needed a change y know? Is all different now. rmb what i told you last time?

 

w0rdm4ster, 8.48 pm

y

 

Nachdem wir uns den Text mehrere Male durchgelesen hatten, blickten wir uns nun gegenseitig an. Frank rieb sich die Stirn, während Stefanie sich eine Strähne hinter das Ohr schob.

„Ich verstehe nun, was dein Problem ist, dieses Kauderwelsch kann ja kein vernünftiger Mensch lesen“, kommentierte Frank den Screenshot auf seinem Bildschirm.

Stefanie nickte zur Bestätigung, auch wenn Frank das nicht sehen konnte, da sie direkt neben ihm stand.

Daher sah sie nun mich an, bevor sie ihre weiteren Gedanken laut aussprach. „Vor allem dieses Y am Ende des Chatverlaufs gibt mir zu denken. Es ist das letzte Lebenszeichen, das es zwischen unserem Verdächtigen und seinem unbekannten Schreibpartner gibt. Oder Schreibpartnerin, das haben wir noch nicht herausgefunden. Die Kollegen von der IT-Abteilung versuchen gerade noch die ganzen IP-Adressen aufzuschlüsseln und ihre Besitzer zu ermitteln.“

Frank dagegen starrte den einzelnen Buchstaben an und ich musste zugeben, dass er auch mir denken gab. Gleichzeitig versuchte ich in meinem Kopf die letzten Englischkenntnisse, die mir noch zur Verfügung standen, zusammenzukratzen.

Doch viel kam nicht dabei heraus und ich bereute es, dass ich dieses Thema in den letzten Jahren so hatte schleifen lassen. In einer Kleinstadt, die zu 90% aus Eingeborenen bestand, gab es keinerlei Notwendigkeit, sein Englisch tagtäglich zu verwenden. Vielmehr sah man sich hier mit einer Vielfalt von Dialekten konfrontiert, von denen einer schwerer zu verstehen war als der andere.

Englisch war hier dagegen so selten wie ein angenehmer Kater nach einer durchzechten Nacht.

„So richtig bin ich mir nicht sicher, wie ich das Y deuten soll. Es könnte sich um eine Geheimbotschaft oder einen Code handeln. Leider gibt es wie gesagt keinen weiteren Kontakt zwischen den beiden und in älteren Nachrichten habe ich keinen Hinweis gefunden, der auf das Y hindeutet. Sprich, es muss etwas sein, von dem die beiden wissen, was es zu bedeuten hat.“

Frank ließ sich in seinem Stuhl ein wenig zurückfallen, wie immer, wenn er sich mehr als entspannte.

„Das könnte schon sein. Aber dazu müsste ich mir das Ganze näher ansehen, am besten wäre es, wenn du mir den ganzen Verlauf schickst. Zwar werde ich hier nicht so viel herauslesen können wie bei einem handschriftlichen Text, aber ich werde mal sehen, was sich machen lässt.“

Stefanie nickte erneut, auch wieder konnte Frank das nicht sehen. Dann sah sie zu mir herüber.

Sie fragte mich: „Hast du irgendeine Vermutung? Oder eine Idee?“.

Ich zuckte mit den Schultern, während ich ihr antwortete: „Um mein Englisch ist es genauso bestellt wie um eures. Aber wenn du mich fragst, das mit dem Code klingt plausibel. Es könnte für einen Ort stehen, oder für eine Person. Vielleicht auch für eine Handlung. Je nach dem, was der Verdächtige mit seiner Nachricht andeutet.“

Stefanie sah mich aufmerksam an, innerlich machte sie wohl Notizen. Ihr wacher Gesichtsausdruck zeigte mir, dass der Kaffee mittlerweile seine Wirkung zeigte.

„Danke euch beiden. Dann werde ich jetzt zurückgehen und dir das gesamte Dokument schicken. Auf dem gleichen Weg wieder?“, wollte sie von Frank noch abschließend wissen.

Dieser sagte sofort: „Am besten wäre es. Und dann möchte ich für die nächsten Stunden nicht mehr gestört werden, wenn es sich einrichten lässt.“

Stefanie und ich tauschten Blicke aus. Frank nahm seine Arbeit sehr ernst und mochte Unterbrechungen überhaupt nicht.

„Danke dir“, sagte sie hastig und verließ auch genauso schnell Franks Büro. Jetzt waren nur noch wir beide hier.

„Ich denke, ich werde mich auch auf den Weg machen“, sagte ich und fühlte mich bei der Aussicht, mich wieder für Stunden durch private E-Mails zu wühlen, nicht sonderlich motiviert.

„Tu das, tu das“, nuschelte Frank geistesabwesend, offenbar machte er sich seine Gedanken zu dem Buchstaben. Er war beschäftigt und ich sollte es auch sein.

Ich wusste nicht, ob er mich noch hören konnte, dennoch wollte ich nicht einfach wortlos gehen. Daher verabschiedete ich mich mit einem: „Servus, bis später dann“ und machte mich ebenfalls auf dem Weg. Eine Menge Arbeit wartete darauf, von mir erledigt zu werden und je früher ich damit begann, desto besser eher würde ich auch damit fertig werden.



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