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Pictures of you

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Kapitel 1
 

Stirnrunzelnd starrte ich auf den leicht verschwommenen Bildschirm unmittelbar vor meiner Nase und versuchte zu erahnen, was mir Kyo gerade auf seinem Handy zeigte.

„Hm, halt mal weiter weg, ich seh sonst nichts“, wollte ich sagen, doch es kam nur ein undeutliches Genuschel aus meinem Mund, da ich mitten beim Essen war. Kyo verstand mich dennoch und im Nachhinein wäre es mir lieber gewesen, ich hätte das Bild nicht erkannt, denn nicht einmal zwei Sekunden später fiel mir besagtes Essen beinahe wieder aus dem Mund. Nur mit Mühe verhinderte ich eine Sauerei im Restaurant und rettete mich in einem dezenten Hustenanfall. Mist!

„Interessant... also auch was dein Liebster so treibt…“

„Toshiya ist nicht mein Liebster.“

Meine Antwort auf Kyos trockene Bemerkung kam etwas verzögert, da mein Hirn kurzfristig auf Durchzug geschaltet hatte. Oh Mann, wer sollte bei diesem Anblick bitte schön noch denken können und etwas Sinnvolles von sich geben? Tief durchatmend ließ ich die Stäbchen sinken und rief mich und mein zu schnell schlagendes Herz innerlich zur Ordnung. Ich warf flüchtig einen Blick in die Runde – anscheinend hatte kein anderer Gast Notiz von meinem peinlichen Auftritt genommen – dann wanderten meine Augen unwillkürlich zu dem Foto zurück.

Himmel, sah er heiß aus. Dieser unbedeckte Rücken, der schwarzweiße Farbton, der die scharfen Kontraste und die Konturen seiner Muskeln auf diese Weise noch besser zur Geltung brachte. Fast hätte ich dabei den dunklen Bassgurt übersehen, der quer über seinen Rücken verlief. Es gab ja auch Wichtigeres zu Bestaunen.

„Pass auf, dass du nicht gleich sabberst.“

Schnaubend zog Kyo sein Handy wieder aus meiner Reichweite und holte mich damit aus meinen wenig jugendfreien Gedanken. Wollte ich wissen, wie viele unserer Fans in dem Moment, als Toshiya das Bild hochlud, hörbar nach Luft schnappten, wenn es mir schon kurzfristig die Sprache verschlug – und dabei hatte ich ihn schon zur Genüge ohne Kleidung gesehen. Vermutlich saß er gerade breit grinsend zu Hause und malte sich die möglichen Reaktionen aus.

„Wollen wir noch eine Runde Bier bestellen?“

Kyo sah mich ungeduldig an. Wer ihn nicht kannte, könnte glauben, er wäre genervt, doch bei genauerem Hinsehen versteckte sich ein kleines Schmunzeln in seinem rechten Mundwinkel. Seufzend fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare, ehe ich nach meinen Stäbchen griff, um endlich weiter zu essen. Der Reis war inzwischen kalt geworden.

„Ja, mach ruhig. Ich brauche sowieso noch ein bisschen.“

Ob mit essen oder mit klarwerden, sei mal da hingestellt.

„Sorry für meine kurze, geistige Abwesenheit.“

„Hätte ich nicht damit gerechnet, hätte ich es dir nicht gezeigt.“

Kyos schiefes Grinsen wurde erfolgreich von dem Bierglas kaschiert, das er in einem Zug austrank, um uns gleich darauf eine neue Runde zu bestellen.
 

Mittlerweile hatte es sich fast zu einer Tradition entwickelt, dass wir uns alle paar Monate in einem kleinen Restaurant trafen, uns durch die Speisekarte futterten und den Abend gemeinsam verbrachten. Manchmal schwiegen wir uns einen Großteil der Zeit an, ein anderes Mal diskutierten wir stundenlang über die neuesten Filme oder andere Sachen, die wir in letzter Zeit unternommen hatten. Heute war es eher ein Abend des angenehmen Schweigens, da wir die vergangenen Wochen gemeinsam auf Tour gewesen waren und somit nicht mehr allzu viel Gesprächsstoff übrig blieb.

Nicht, dass es einen von uns störte, dafür kannten wir uns zu lange. Und meine Gedanken wollten sich gerade sowieso nicht mehr so recht fokussieren lassen.

Dieses Foto…

Sehnsüchtig wartete ich auf das nächste Getränk, mein Mund fühlte sich seltsam trocken an, sodass der Reis in ihm zu einer undefinierbaren Masse mutierte. Ich wurde dieses Bild von Toshiyas nacktem Rücken nicht mehr los. Es lud regelrecht dazu ein, mit den Fingern über die glatte Haut zu fahren, immer und immer wieder, bis sich irgendwann rote Striemen bildeten.
 

Mühsam schluckte ich die Reispampe herunter und nahm dankbar das frische Bier entgegen, um die Reste schnell hinunterzuspülen. Irgendwie war mir der Appetit abhandengekommen, so schob ich die Schüssel schließlich von mir und vergrub die Hände in den Haaren. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Das Bild wollte sich einfach nicht aus meinem Kopf vertreiben lassen und je länger ich daran dachte, desto stärker wurde das Ziehen, das irgendwo zwischen meinem Magen und meinem Herzen wohnte, und immer dann auftauchte, wenn es zum einen um unseren Bandkollegen ging und zum anderen, wenn ich es nicht gebrauchen konnte. Und gebrauchen konnte ich das nie. Beziehungsweise wollte es nie, da es alles nur komplizierter machte.

Wehleidig blinzelte ich durch die langen Strähnen hindurch zu meinem Gegenüber, der ungerührt weiter aß, mich allerdings dabei nicht aus den Augen ließ. Obwohl ich Kyo schon über zwei Jahrzehnte kannte, schaffte er es in regelmäßigen Abständen, mich mit seinen Blicken in Unruhe zu versetzen. Ähnlich wie Kaoru, nur irgendwie auf eine gruseligere Art und Weise. Aber mit weniger Pokerface. Eine schwierige Mischung.

„Was ist?“

Kyos Augenbrauen wanderten spöttisch nach oben, ehe er betont langsam seine Stäbchen sinken ließ.

„Gegenfrage: Was ist los? Willst du den ganzen Abend diesem Foto hinterherhecheln und in Zweifeln versinken, obwohl du es ändern könntest?“

„Ich hechle nicht.“

Dass ich der Sache mit den Zweifeln viel eher hätte widersprechen müssen, fiel mir erst auf, als sich Kyo mit einem bedeutungsschweren Seufzen gegen die Lehne zurücksinken ließ. Ach verdammt, warum kannten wir uns nochmal so lange? Oder vielmehr: Warum hatte ich ihm alles vor einigen Monaten erzählt? Aber mit irgendjemanden hatte ich sprechen müssen, als sich alles zu verändern begann. Gut, ‚alles‘ war etwas dramatisch ausgedrückt, aber prinzipiell traf es den Nagel auf den Kopf.
 

Das, was Toshiyas und meine Beziehung am besten beschrieb, war Freunde mit gewissen Vorzügen. Vor einigen Jahren hatte es sich in einer von Alkohol vernebelten Nacht ergeben, dass wir gemeinsam im Bett gelandet waren und seither kam es zu unregelmäßigen Wiederholungen. Mal lagen nur wenige Tage dazwischen, manchmal ganze Monate. So war es die letzten Jahre über gewesen – keine Versprechen, keine Verpflichtungen. Nur blöderweise hatte mein verräterisches Herz das irgendwann anders gesehen. Je länger die Pausen zwischen unseren „Dates“ waren, desto stärker meldete es sich in meiner Brust, zog und pochte wild vor sich hin, bis ich schließlich aufgab und Toshiya eine Nachricht schrieb und nach dem nächsten Treffen fragte.

Und es wurde mit der Zeit immer schlimmer.

Glücklicherweise hatte mich Toshiya nur wenige Male versetzt, meist weil er gar nicht in der Stadt war. Doch gleichzeitig war da die Befürchtung, dass er auch mal Abwechslung bei jemand anderem suchte. Eine monatelange Pause war nun mal alles andere als entspannend. Aber ich wollte es nicht wissen.

Wir waren nie irgendeine Verbindlichkeit eingegangen, somit stand es jedem von uns frei, das Bett mit anderen zu teilen. Früher hätte es mich nicht gestört, mittlerweile beschwerte sich mein dummes Herz schmerzhaft über jeden Gedanken, der sich in diese Richtung verirrte. Ich war nicht blöd oder zu blind, um zu begreifen, was diese Reaktionen bedeuteten. Aber warum ausgerechnet jetzt nach all den Jahren? Konnten diese Eifersucht und ihr ganzes, hinten dran hängendes Lastenpaket nicht wieder dahin verschwinden, wo sie hergekommen waren? Besonders da ich überhaupt kein Recht darauf hatte, eifersüchtig zu sein. Ich wusste nicht einmal, ob Toshiya überhaupt noch weitere Affären hatte. Wieso musste ich auf so etwas meine Energie verschwenden? Und obwohl ich das alles wusste, ließen sich sowohl mein Herz als auch mein Hirn nicht wirklich davon ablenken, weshalb ich mich nun mit solch überflüssigen Fragen herumschlagen musste, wie beispielsweise: Wer hatte dieses Foto gemacht? Wieso hatte ich das nicht mitbekommen?

„Wie ich dir schon unzählige Male gesagt habe, entweder du lässt es und beendest es, wenn es dir damit nicht gut geht, oder du redest Klartext. Ich kann deine Leidensmiene nicht mehr ertragen.“

„Ey.“ Beleidigt schürzte ich die Lippen. Ich wusste, wie ich Kyos Worte zu nehmen hatte, was nichts an der Tatsache änderte, dass ich keine der beiden Vorschläge als besonders umsetzenswert empfand. Eigentlich ging es mir gut, solange Toshiya bei mir war und ich für einige Stunden das Gefühl hatte, der Einzige für ihn zu sein. Und Klartext reden… Nein. Dafür hatte ich bisher keinen Mut gehabt, da ich die relative Unkompliziertheit unserer Beziehung nicht verändern wollte. Alles Ausreden, hatte mir Kyo schon oft vorgeworfen, aber das Thema schlussendlich mit einem Schulterzucken beendet. So wie jetzt.

„Naja, dein Leben. Ich misch mich nicht mehr ein.“

Mein Schmunzeln versteckte ich am Glasrand, während ich trank. So wie ich Kyo kannte, würde er sich trotzdem in irgendeiner Form über kurz oder lang einmischen, und wenn es nur die eindeutigen Blicke waren, die er mir zu gerne zuwarf.

„Danke dir.“
 

Die restlichen Stunden verbrachten wir mit unverfänglichen Themen, bis uns der ältere Herr an der Theke allmählich zu verstehen gab, dass er uns nur noch eine Runde zukommen lassen würde, auch wenn wir mittlerweile auf Wasser umgestiegen waren. Mit einem überraschten Blick auf mein Handydisplay stellte ich fest, dass es schon nach 11 war, was für Kyo eigentlich schon lange Nachtruhe bedeutete.

„Ach, einmal geht das schon. Ich habe ja morgen keine Termine.“

Gerade als ich das kleine Gerät zurück in die Tasche stecken wollte, vibrierte es vernehmlich in meiner Hand. Mein Herz machte sich augenblicklich selbstständig und hüpfte aufgeregt in meiner Brust auf und nieder, als ich den Absender sah.

Toshiya.

Es waren gerade einmal drei Tage seit unserem letzten Treffen vergangen.
 

»Hey :) Hast du Zeit?«



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