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Wetten, dass ...?

von

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#3

Seinen Freund gestern so zu sehen, war wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.

Dies neue, alte Haarfarbe hatte seinen Verstand mit der Erinnerung an ein Geständnis geflutet, das ihm so schwergefallen war, wie nichts zuvor und danach in seinem Leben. Die Enttäuschung und Scham von damals war so augenblicklich zurückgekehrt, als hätten die Narben seiner Seele nie Zeit gehabt, zu heilen. Er hatte geglaubt, alles, was vor so vielen Jahren zwischen Die und ihm geschehen war, längst mit Logik überdeckt zu haben, aber sein dummes, altes Herz war anderer Meinung gewesen.

 

Seine Gefühlswelt war erneut im Chaos versunken, genau wie an diesem fatalen Silvester 1996, als sie mit La:Sadie's endgültig abgeschlossen hatten und frei waren, ihren musikalischen Traum endlich zu verwirklichen. Die und er hatten sich erst vor etwas mehr als einem halben Jahr kennengelernt, aber für Kaoru hatte es sich von der ersten Minute an so angefühlt, als hätte er in ihm den Menschen gefunden, dessen Nähe ihm immer gefehlt hatte, ohne, dass er sich darüber klargewesen war. Sie hatten sich sofort verstanden, eine WG gegründet, jede freie Minute miteinander verbracht … aber es war nicht genug gewesen.

 

~*~

 

Es war kalt auf dem Hochhausdach, ein eisiger Wind fuhr unter seine Jacke und durch sein langes Haar, ließ ihn frösteln. In der molligen Wärme ihrer WG hatte Kaoru es noch für eine gute Idee gehalten, sich auf diese Silvesterparty zu mogeln, um ihre Kontakte in der Musikbranche auszuweiten. Gerade jedoch wünschte er sich, er hätte auf Die gehört, der einen SAW-Marathon als ihre Abendunterhaltung für heute vorgeschlagen hatte. Wenigstens war der Alkohol gut und reichlich vorhanden, auch wenn er die weitläufige Meinung, er würde von innen heraus wärmen, spätestens jetzt widerlegen konnte. Vielleicht lag sein Unwohlsein aber auch nur an dieser unerträglichen Nervosität, mit der er sich schon seit Stunden herumschlug.

 

Er hatte schon so oft versucht, mit Die über das zu sprechen, was ihm schlaflose Nächte bescherte, doch hatte nie den richtigen Zeitpunkt gefunden. Heute aber würde es soweit sein. In wenigen Minuten, um genau zu sein.

 

„Ich sagte dir doch, du sollst dir etwas Wärmeres anziehen.“ Plötzlich stand er vor ihm, der Mann, der seit Wochen seine Gedanken für sich vereinnahmte.

 

„Die!“, entfuhr es ihm lauter als beabsichtigt.

 

„Warum so überrascht? Du tust gerade so, als hätten wir uns nicht gemeinsam hier eingeschlichen.“

 

„Pst, wenn dich jemand hört, werfen sie uns noch raus.“

 

„Na und?“ Die zuckte mit den Schultern und schenkte ihm ein so entwaffnendes Lächeln, dass Kaoru für eine Sekunde wegsehen musste, um keine Dummheit zu begehen.

 

Etwas Warmes, Weiches legte sich um seinen Nacken – Dies Schal, wie er nach einem schnellen Blick auf den Stoff feststellte.

„Danke“, murmelte er und steckte ihn in den Kragen seiner Jacke, „aber jetzt frierst du.“

 

„Keine Ursache und nein, ich bin von der heißen Bowle gut aufgewärmt, du solltest dir auch eine Tasse holen.“

 

„Ja, nachher, aber … Die?“

 

„Mh?“

 

Nur noch eine halbe Minute bis Mitternacht, wenn er nicht endlich mit der Sprache rausrückte, würde er nie mehr ausreichend Mut aufbringen können. Verstohlen sah er sich um, aber der Großteil der Partygesellschaft hatte sich am Rand des Daches versammelt, um einen guten Blick auf das Feuerwerk zu haben. Nur eine Gruppe von sechs Männern stand in einem Kreis in ihrer Nähe, war jedoch so laut und mit sich selbst beschäftigt, dass sie mit Sicherheit nichts mitbekommen würden.

 

„Ich muss dir etwas sagen.“

 

„Klar, raus damit.“ Dies Wangen waren gerötet, seine Augen funkelten und noch nie zuvor hatte er für Kaoru schöner ausgesehen.

 

„Ich …“ Kaoru stockte, atmete tief durch und kratzte mit fest geschlossenen Augen das letzte Fünkchen Mut zusammen, bevor er ohne weiter darüber nachzudenken, endlich all das sagte, was ihm so sehr auf der Seele brannte. „Ich bin froh, dich kennengelernt zu haben. Du bist mir in den wenigen Monaten zu einem so guten Freund geworden, das hätte ich nie für möglich gehalten. Normalerweise brauche ich viel Zeit für mich allein, um meine Akkus wieder aufzuladen, aber mit dir ist das anders. Die, du gibst mir so unheimlich viel, und ich muss dir endlich sagen …“

Hinter ihnen begannen die Leute von zehn rückwärts zu zählen und mit einem Mal stieg Panik in Kaoru hoch. Was, wenn ihm die Zeit davonlief? Was, wenn er seine einzige Chance verpasste, Die zu sagen, wie viel er ihm wirklich bedeutete?

„Die, ich empfinde so viel mehr als nur Freundschaft für dich, ich …“

 

Die letzten beiden Worte seines Satzes wurden vom Knallen und Dröhnen der Feuerwerkskörper übertönt.

Dies Blick ruhte unverwandt auf ihm, doch wo er sonst immer eine einladende Wärme in den dunklen Augen erkennen konnte, herrschte nun nichts als eisige Kälte. Hinter Kaoru explodierte eine Rakete, tauchte sie beide in rotes Licht.

 

„Wir sind nicht schwul, Kaoru, weder du noch ich.“

 

Das war alles, was Die zu diesem Thema jemals gesagt hatte. Keine Minute später hatte Kaoru eine Tasse heiße Bowle in beiden Händen und der warme Arm seines Freundes lag um seine Schultern, während sein Inneres langsam zu Eis erstarrte. Sie hatten sich das Feuerwerk angesehen, hatten geredet, gelacht und viel zu viel getrunken, als wäre nichts geschehen. Als hätte er Die nicht sein Herz zu Füßen gelegt, ihm nie gestanden, was er wirklich für ihn empfand. In all den Jahren hatte ihn Die nie auf sein Geständnis angesprochen. Vermutlich hätte sich selbst an ihrer innigen Freundschaft nichts geändert, hätte sich Kaoru ab dem Tag nicht langsam aber stetig zurückgezogen.

 

~*~

 

Kaoru unterdrückte ein weiteres Seufzen und riss sich mit aller Macht von seinen Erinnerungen los. Vermutlich hatte ihn gestern eine Art Midlife-Crisis übermannt und er brauchte nur wieder etwas Abstand, um sich zu fangen. Es war schließlich absolut lachhaft, dass ihn ein Ereignis, das mehr als fünfundzwanzig Jahre in der Vergangenheit lag, plötzlich so aus der Bahn warf.

 

„Da muss ich deine notorische Neugierde enttäuschen, es gibt nichts zu erzählen“, stellte er mit deutlicher Verspätung klar, zuckte mit den Schultern und leerte seine Suppe. Er mochte es nicht, Die anzulügen, aber ihm den wahren Grund zu verraten, weshalb er sich gestern so abgeschossen hatte, kam absolut nicht infrage.

„Ich war gestern nur überreizt und musste mein Hirn mal zwingen, etwas abzuschalten. Es war doch ein wenig viel in den letzten Wochen.“

 

„Ja, aber das auch nur, weil du dir nie helfen lässt.“

Sein scharfer Blick schien Die unvorbereitet zu treffen, denn er zuckte so heftig zusammen, dass er beinahe mit dem Stuhl hintenübergekippt wäre. Hoppla, seit wann hatte sein Unmut eine so direkte Wirkung? Oder sah er so verboten aus? Letzteres würde ihn nicht wundern, denn normalerweise steckte der andere seine finsteren Blicke mit links weg. Beschwichtigend hob Die beide Hände und zauberte im nächsten Moment ein derart entwaffnendes Lächeln auf seine Lippen, dass Kaoru beschloss, eine weitere Schüssel Suppe wäre genau das Richtige. Alles, um diesem Lächeln zu entfliehen.

„Wie dem auch sei, es ist gut, dass ich hier bin.“

 

„Ziehe ich mir deinen ewigen Zorn zu, wenn ich das anzweifele?“

Am Herd stehend und Die kurzzeitig den Rücken zugekehrt, wechselte er seine Taktik und versuchte es zur Abwechslung mit Nonchalance. Gemessen am Grad von Dies beleidigter Miene, mit der er sich konfrontiert sah, als er sich wieder an den Tisch setzte, funktionierte das entweder perfekt oder überhaupt nicht. Er entschied sich für die erstere Variante, tauchte den Löffel in die Suppe und pustete.

„Aber wo wir schon beim Thema sind, weshalb bist du hier? Ich werde mich gestern nicht so abgeschossen haben, dass du den Babysitter spielen musstest, oder?“

 

„Nein, so schlimm war es zum Glück nicht.“ Die Lachte dieses leise, alberne Lachen, dass sich jedes Mal wellenartig in Kaorus Körper ausbreitete und ihn, egal, was gerade vorgefallen war, zufriedener zurückließ. Verflucht, wie er es hasste, so beeinflussbar zu sein. Er spürte, wie sich seine Miene zu verschließen begann, mürrisch und abweisend wurde, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte.

„Nun schau nicht so. Ich bin hier, weil du mich eingeladen hast, die Weihnachtstage mit dir zu verbringen.“

 

„Bitte was habe ich?“

 

„Ich kann es sogar beweisen, hier.“



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