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Herzschmerzhelden

von

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Versprochen

Brunos Lippen liegen auf meinen. Also eigentlich liegen sie nicht. Sie vollführen ein komplettes Workout. Und ich? Ich mache mit. Weil es sich gut anfühlt und aufregend ist. Auch wenn ich dabei kurz an Jamie denken muss. 'Versprich mir, dass du niemanden küsst, wenn er nicht der Richtige ist.' Das hat er gesagt, als wir uns das letzte Mal getroffen haben. Fast sechs Monate hat es gedauert, bevor er wieder jemanden hatte. Nur ich hab hier in Kuhkaffhausen in die Röhre geguckt. Weil gar niemand da war, in den ich mich hätte verlieben können. So richtig echt jedenfalls. Und jetzt küsse ich Bruno. Of all people. Ob das wirklich eine gute Entscheidung ist?

 

Aber Jamie kann mir nicht vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe. Er spielt keine Rolle mehr in meinem Leben. Oder?

 

Ich erinnere mich an den Moment, als ich das Foto von ihm und seinem Neuen gesehen habe. Knutschend. Natürlich. Damit auch allen klar ist, was da zwischen ihnen läuft. Und ich erinnere mich daran, dass es weh getan hat. So sehr, dass ich an dem Tag beinahe etwas sehr Dummes getan hätte. Aber zum Glück ist mir noch rechtzeitig eingefallen, dass Pascal wirklich, wirklich hetero ist und ich ihn, wenn ich was versucht hätte, nur auch noch verloren hätte. Also hab ich mich beherrscht und die mitgebrachten Fläschchen lieber in mich statt in ihn reingeschüttet. Irgendwann bin ich dann auf der Couch eingeschlafen und am nächsten Morgen mit einem Mordsschädel aufgewacht. Jamie war immer noch liiert, ich immer noch solo und Pascal immer noch mein Freund. Wenigstens das hatte ich hingekriegt. Der Rest … naja. Läuft nicht so bei mir.

 

Bruno unterbricht den Kuss. Seine hellen Augen mustern mich forschend, auch wenn seine Ohren schon wieder feuerrot glühen.
 

„Was ist los?“, fragt er und beweist damit mal wieder mehr Aufmerksamkeit, als ich ihm zugetraut hätte. Wie peinlich.
 

„Die Bank ist hart“, rede ich mich heraus und hoffe, dass er nicht merkt, dass ich gerade an was ganz anderes gedacht habe.

 

„Und du bist schwer“, schieße ich noch hinterher. Sofort weicht der Druck von meinem Brustkorb, weil Bruno sein Gewicht verlagert. So richtig passen wir beide nämlich nicht auf dieses schmale Holzbrett, sodass sein eines Knie schon seit geraumer Zeit den Boden küsst, während wir hier oben rummachen. Dass er mich deswegen jetzt allerdings mit traurigen Hundeaugen anschaut, wollte ich nicht.
 

„Hey, schon gut. Ich bin halt nicht gemacht fürs passiv Rumliegen.“ Ich grinse, bevor ich hinzufüge: „Auch wenn ich mich sonst gerne nehmen lasse.“

 

Sofort schleicht sich wieder ein Lächeln auf Brunos Gesicht. Ich kann förmlich hören, wie er daran denkt. Wie es sich anfühlt, wenn wir Sex haben. Ich war ja auch schon ein paar Mal Top und weiß, wie es ist, wenn man jemanden unter sich hat. Oder über sich. Jamie hat sich meistens für oben entschieden. Er mochte es, die Kontrolle zu haben. Und ich hab ihm immer vertraut.

 

Bis er dich abserviert hat.

 

'Nein, das stimmt so nicht', möchte ich widersprechen, aber ich kann es nicht. Denn genau so hat es sich damals angefühlt. Natürlich war die Idee, mit 15 eine Fernbeziehung zu führen, absolut lächerlich. Aber er hätte es wenigstens versuchen können. Versuchen müssen.

 

„Lässt du mich hoch?“

 

Ich will nicht mehr hier liegen, Bruno küssen und an Jamie denken. Ich will mich ablenken und ich weiß schon, wie ich das schaffe. Denn, sind wir mal ehrlich, nichts macht den Kopf so gut frei wie Sex. Guter Sex obendrein. Was das angeht, kann ich mich bei Bruno nun wirklich nicht beschweren, auch wenn wir an seiner Kusstechnik noch ein bisschen feilen müssen.

 

Ein Aufblitzen in Brunos Augen folgt meiner Frage. Ich weiß nicht genau, was es zu bedeuten hat, aber ihm scheint der Gedanke in seinem Kopf zu gefallen.
 

„Halt dich fest“, sagt er zu mir und ich ahne plötzlich, was er vorhat.
 

„Bruno … Nein!“

 

Doch es ist schon zu spät. Mit einem Ruck hat er mich gepackt und ich kann gar nicht anders, als mich an ihn zu klammern. Wie ein kleines Äffchen hänge ich da und er lässt mich durch die Luft schweben, als wäre ich nicht schwerer als ein Aktenordner. Das ist doch verrückt!

 

„Halt, was machst du?“, rufe ich halb panisch, halb lachend, während sich die Welt um mich herum viel zu schnell bewegt und ich plötzlich wieder eine Tischplatte unter meinem Hintern habe. Brunos Arme liegen immer noch um meinen Körper und ich spüre seine Atembewegungen an meinem Bauch. Seine Hüften zwischen meinen Beinen. Meine Arme liegen um seinen Hals und mir wird klar, dass das hier unsere erste richtige Umarmung ist. Ein ganz Nahesein. Viel näher als je zuvor. Trotz des Sexes. Oder vielleicht gerade deswegen?

 

„Das wollte ich schon lange mal machen.“

 

Brunos Stimme schwankt ein bisschen, während er das sagt. Ich spüre seine Aufregung und das nicht nur im meinem Schritt.

 

„Was? Mich auf den Arm nehmen?“

 

Ich kann mir den Kalauer einfach nicht verkneifen, doch zum Glück lacht Bruno. Er lächelt.
 

„Ja. Nein. Ach, ich weiß auch nicht.“

 

Tief in seinem Brustkorb, der sich immer noch hebt und senkt, glaube ich ein dumpfes Dröhnen zu hören. Sein Herz, wie es schlägt. Wie es wummert und pocht. Alles nur, weil ich da bin. Er ist so verliebt.

 

Und du?

 

Die Frage ist nicht fair und das Arschloch in meinem Kopf weiß das auch.

 

Es ist nicht richtig, was du da machst.

 

Aber ich mag Bruno doch. Ich mag ihn wirklich.

 

Insgeheim frage ich mich, wann wir zwei eigentlich Positionen getauscht haben. Erst war er es, der mir Bruno einreden wollte, und jetzt meckert er rum, weil ich mich an ihn ranmache. Was will der Kerl eigentlich?

 

Was willst du?
 

Ich schnaube innerlich. Das ist nun ganz sicher nichts, über das ich mir gerade Gedanken machen möchte. Und doch sollte ich mir wohl antworten. Was will ich?

 

Wie, um eine Lösung für dieses Problem zu finden, sehe ich zu Bruno auf. Der Tisch ist nicht hoch genug, um unseren Größenunterschied auszugleichen. Dazu bräuchten wir vermutlich eine Küchentheke. Oder eine Leiter. Aber das hier ist trotzdem gut. Zu gut, um es nicht auszunutzen.

 

Langsam löse ich meine Hand aus Brunos Nacken und streiche mit den Fingern über die kurz geschorenen Stellen. Es fühlt sich gut an. Viel weicher, als ich gedacht hatte. Wenn ich ihn angesehen habe, hab ich immer an so kratzigen Polsterstoff denken müssen. Dabei ist sein Haar eher wie Samt, wenn man ihn gegen den Strich bürstet. Wie ein Teddybär. Jamies Haare waren lang. Länger als meine. Ich hab immer hineingegriffen, wenn wir uns geküsst haben. Aber mit Bruno geht das nicht. Trotzdem will ich es probieren.
 

„Komm her“, sage ich leise und ziehe seinen Kopf zu mir heran. Brunos Lippen sind schmal, dafür ist sein Kiefer breit. Ich streiche mit dem Daumen daran entlang, während sich unsere Lippen immer weiter einander annähern. Bruno ist wirklich mehr als eine Handvoll und das nicht nur im übertragenen Sinne. Bei ihm kann man zupacken, ohne Angst haben zu müssen, dass etwas kaputtgeht. Oder?

 

„Küss mich“, flüstere ich, hebe den Kopf und öffne die Lippen leicht. Ich weiß, dass das verdammt sexy aussehen muss. Nicht umsonst will Bruno sich sofort auf mich stürzen, doch ich halte ihn sanft aber bestimmt zurück.
 

„Langsam“, weise ich ihn an. Sofort zögert er. Vermutlich fragt er sich gerade, ob er vorhin etwas falsch gemacht hat. Dabei war der Kuss gar nicht so schlecht. Lediglich etwas … ungestüm. Wie ein junger Hund, der in eine Pfütze springt. Dieses Mal wollen wir schwimmen gehen.

 

Immer noch ziehe ich ihn näher. Meine Lippen streifen seine. Nur ganz leicht und doch spüre ich ihn erbeben. Noch einmal hasche ich nach ihm, bevor ich ihm endlich meine vollen Lippen gebe. Nur ganz kurz, sodass er auf den Geschmack kommt, dann bin ich wieder weg. Ich spiele mit ihm wie mit einem Kreisel. Diese Dinger, die man in alten Kinderbüchern sieht. Mit jeder Berührung dreht er sich schneller und schneller. Doch wir sind noch nicht fertig. Noch lange nicht.

 

Noch einmal rücke ich näher an ihn heran. Eigentlich sollte das nicht möglich sein, aber ich nutze jetzt meinen ganzen Körper, um ihn noch dichter zu bekommen. Mittlerweile passt nicht einmal mehr eine Mikrobe zwischen uns und der Druck, den er auf meinen Schwanz ausübt, ist fast unerträglich. Besonders, als er sich jetzt bewegt und ich unvermittelt aufkeuche.

 

Oh ja, mach das noch einmal.

 

Ich vergesse, was ich eigentlich wollte. Vergesse, was ich vorhatte. Stattdessen öffne ich den Mund und fahre mit meiner Zunge über seine Lippen. Bruno kommt mir entgegen. Ein wenig ungelenk noch, aber ich führe ihn. Ich zeige ihm, wie er es machen muss, und ziehe ihn immer noch näher an mich heran. Mittlerweile bin ich schon wieder so hart, dass es wehtut. Und doch will ich nicht, dass es aufhört. Ich brauche das.

 

Meine Hände wandern über seinen Rücken. Ich erwische den Rand seines T-Shirts und schlüpfe darunter. Warme, weiche Haut. Fest. Viel. Ich greife danach und schiebe den Stoff immer höher. Ich will, dass er sich auszieht. Jetzt.

 

Zum Glück versteht Bruno meinen Wink. Er unterbricht den Kuss. Seine Wangen sind gerötet, seine Lippen auch. Er atmet schwer, aber das hält ihn nicht lange auf. Fast schon hektisch befreit er sich von dem lästigen Stoff und ist sogleich wieder über mir. Seine Lippen streifen meinen Hals. Sofort lege ich den Kopf in den Nacken und gewähre ihm Zugang. Oh ich mag es, wenn er das tut. Es ist wie … ein Vorspiel.
 

„Ziehst du dich auch aus?“
 

Brunos Murmeln klingt fast entschuldigend, obwohl seine Finger schon längst unter mein Shirt geschlüpft sind. Sie streicheln meinen Bauch, meine Seiten und wieder meinen Bauch. Eine Hand gleitet tiefer. Sie erfühlt die Ausbuchtung in meiner Hose.

 

„Klar“, stöhne oder keuche ich. Ich weiß es nicht genau, denn Brunos Hand liegt immer noch da, wo sie liegt, und reibt mich durch den Stoff meiner Jeans. Wenn er so weitermacht, bin ich gleich derjenige, der in seiner Hose kommt. Aber so was von.

 

Auch mein Shirt verschwindet und plötzlich stehen wir uns mit bloßem Oberkörper gegenüber. Bruno ist, wie ich zugeben muss, ein ziemlicher Anblick. Fast scheint es mir, als hätte er noch mehr trainiert. Oder bilde ich mir das nur ein? Er kommt mir plötzlich so riesig vor.

 

„Komm her.“

 

Eigentlich hätte ich das nicht sagen müssen, denn Bruno hat nicht lange gezögert, um sich wieder an mich zu schmiegen. Warme Haut auf warmer Haut. Seine Hände streichen über meinen Rücken, drücke mich an ihn und halten mich, während er mich leicht nach hinten beugt. Eigentlich müsste es anstrengend sein, mich in dieser Position zu fixieren, aber bei Bruno wirkt es, als wäre es nichts. Wieder beginnt er, meinen Hals zu küssen. Oh ja, genau da. Weiter. Tiefer.

 

Tatsächlich gleiten seine Lippen weiter nach unten. Er legt mich auf den Tisch und auch wenn es für einen Augenblick kalt ist, kann ich mich doch nur auf Brunos Lippen konzentrieren, die jetzt meinen Körper hinabwandern. Zielstrebig auf die Stelle zu, an der ich sie gerne hätte.

 

Ob er mir einen bläst? Das wäre ja so was von geil. Na los, Junge, du schaffst das.

 

Bruno ist am Hosenbund angekommen. Er zögert. Seine Augen schnellen zu mir nach oben und ich stütze mich auf meine Unterarme um zu sehen, was er macht.
 

„Was?“, frage ich mit einem kleinen Grinsen. „Traust du dich nicht?“

 

Ich sehe, wie das Blut in seinen Ohren pulsiert. Er beißt sich ein wenig auf die Lippen. Unsicherheit flackert in seinem Blick. Na gut, also kein Blowjob. Macht nichts.

 

Ich richte mich wieder auf und suche seinen Mund mit meinen Lippen. Während ich das tue, lasse ich meine Hand an seiner Brust hinabgleiten. Schnell findet sie, was sie gesucht haben. Es ist groß, hart und schreit förmlich nach Aufmerksamkeit. Also gebe ich sie ihm und öffne ohne zu zögern seine Hose. Was mir entgegenspringt, lässt auch meine Latte freudig zucken. Oh man, ich liebe diesen Schwanz. Wer auch immer Brunos Gene zusammengepuzzelt hat, hat hierbei definitiv eine Meisterleistung vollbracht. Ein Geschenk an die Menschheit. Oder an mich, wie man es nimmt.
 

„Scheiße, bist du heiß“, murmele ich und schiebe den Stoff seiner Jeans ein wenig nach unten. Jetzt habe ich freien Zugang und mache auch gleich ausgiebig Gebrauch davon. Bruno stöhnt in den Kuss, den ich ihm aufzwinge, während ich seinen Schwanz mit beiden Händen verwöhne. Oh ja, dieses Baby wird sich so gut in mir anfühlen. Ich kann es förmlich schon spüren.
 

Wie, um nicht untätig zu sein, fängt Bruno jetzt auch an, an meiner Hose zu fummeln. Seine großen Finger mühen sich mit dem Knopf ab und ich muss fast lachen, als er ihn endlich aufbekommt. Seine Erleichterung ist spürbar, bis die nächste Hürde, der Reißverschluss, kommt. Ich hätte vielleicht lieber nur Knöpfe anziehen sollen.

 

„Lass mich mal“, will ich noch sagen, als Bruno mit einem Mal Erfolg hat und freigibt, was in Freiheit gehört. Im nächsten Moment ist seine Hand an meinem Schwanz und ich kann nicht anders, als ihm entgegenzukommen. Oh ja, ich will mehr. Mehr!
 

Wir reiben uns gegenseitig, küssen uns, können nicht genug voneinander bekommen. Ich weiß, dass irgendwo meine Jacke liegt und darin das Gleitgel. Ein Päckchen für unterwegs, das eigentlich viel zu klein ist für Brunos riesigen Schwanz. Aber für mehr war keine Zeit. Außerdem kann ich mich gerade eh nicht dazu bringen, es zu holen. Dazu ist das hier viel zu gut. Viel zu nah. Viel zu geil. Brunos Hand ist inzwischen in meine Shorts gewandert und auch ich berühre mittlerweile nackte Haut. Wenn wir so weitermachen, brauchen wir bald kein Gleitgel mehr. Ich möchte nämlich einfach nichts weiter, als Bruno an mir spüren. Ihn schmecken, riechen, anfassen. Überall. Sofort. Jetzt. Meinetwegen auch in seiner Hand kommen, wenn er nur nicht aufhört, das zu machen, was er gerade tut.

 

Krach!

 

Mit einem ohrenbetäubenden Geräusch fliegt die Tür der Hütte fast aus den Angeln. Bruno und ich fahren zusammen. Er dreht sich um, ich bekomme kaum die Hand aus seiner Hose. Mein Herz wummert, doch das, was ich sehe, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. In der Tür steht ein Mann. Mit einem Gewehr. Und er sieht nicht glücklich aus.
 

„Wusst ich’s doch.“
 

Der Fremde spuckt uns die Worte förmlich entgegen. In seinem Gesicht sehe ich Wut, Scham und Ekel. Eine vollkommen gefährliche Mischung, die sich ganz offenbar auf uns beide bezieht und das, was wir gerade noch getan haben. Jedenfalls zuckt sein Blick kurz zu Brunos offener Hose, bevor er das Gesicht noch weiter verzieht. Himmel, wie kann man nur so furchterregend aussehen?

 

Bruno neben mir ist vollkommen erstarrt und weiß wie die sprichwörtliche Wand. Alles Blut ist aus seinen Zügen gewichen und hat sich ganz gewiss auch nicht dahin verkrümelt, wo es mehr Spaß haben kann. Es scheint einfach verschwunden zu sein. Ausgesaugt von diesem Vampir von einem Mann, der wie der Leibhaftige selbst in der Tür steht. Dabei sieht er gar nicht mal so beeindruckend aus. Er ist groß, dünn und ansonsten ziemlich farblos. Unter seinen Augen hängen Tränensäcke, in denen man einen kleinen Einkauf nach Hause tragen könnte. Sein Kinn ist schlecht rasiert und seine Zähne gelb und ein wenig schief. Ich sehe es, als er sie bleckt, um Bruno anzuzischen.

 

„Schämst du dich nicht?“, faucht er und klingt dabei wie ein alter Wasserkessel. „Lässt dich hier betatschen von diesem … Hurenbock. Bringst ihn gar zu uns nach Hause. In unser Haus. Unser Heim!“

 

So langsam dämmert mir, um wen es sich bei dem wild gewordenen Schrotflinten-Fetischisten handeln muss. Irgendwie hatte ich mir Brunos Vater ganz anders vorgestellt. Vor allem aber weniger wahnsinnig. Jetzt legt er auch noch auf uns an.
 

„Geh!“, schreit er. „Scher dich raus und lass dich nie wieder blicken!“

 

Seine Finger graben sich in den Lauf des Gewehrs und er spannt doch tatsächlich den Hahn. Obwohl ich keine Ahnung von Waffen habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass Schrotfeuer auf diese Entfernung auch tödlich sein kann. Zumal, wenn es ins Auge geht.

 

„Vater.“

 

Bruno scheint seine Sprache wiedergefunden zu haben. Allerdings wirkt er nicht so, als hätte er die Gefahr erkannt. Er macht einen Schritt auf den Mann zu.

 

„Vater, ich …“

„RAUS!“

 

Brunos Vater richtet das Gewehr jetzt direkt auf Brunos Gesicht. Ich kann die Wut sehen, die seinen Hals emporkriecht. Eigentlich würde es mich nicht wundern, wenn er entweder gleich abdrückt oder wenigstens mit dem Gewehrkolben zuschlägt. In seinem Blick steht der blanke Hass.

 

„Scher dich von meinem Grund, bevor ich mich vergesse.“
 

Das war jetzt wirklich die allerletzte Warnung. Noch ein weiterer Tropfen und hier rollen Köpfe. Wenigstens im übertragenen Sinne. Wir müssen hier raus.

 

„Komm, Bruno! Wir gehen.“

 

Ich greife nach meinem Shirt und versuche, Bruno am Arm zu packen, aber er wehrt meinen Griff ab. Seine Augen sind immer noch auf seinen Vater gerichtet.
 

„Vater.“
 

Seine Stimme klingt erstickt. Weinerlich. Kläglich. Wie ein Kind, das nicht begreifen kann, was hier gerade vorgeht. Aber Brunos Vater weicht zurück. Er bleckt die Zähne.
 

„Wage es ja nicht, mich noch einmal so zu nennen. Mit einem wie dir, will ich nichts zu tun haben. Wer weiß, von wem deine Mutter sich hat besteigen lassen. Mein Sohn bist du jedenfalls nicht.“
 

Der letzte Satz ist wie eine Ohrfeige. Ich kann sehen, wie Bruno noch bleicher wird. Seine Hände ballen sich zu Fäusten.
 

„Mutter hat nicht …“, beginnt er, doch das raue Lachen seine Vater unterbricht ihn.
 

„Deine Mutter hurt herum, seit sie meinen Ring am Finger hat. Schlimm genug, dass sie mir das andere Balg untergeschoben hat. Aber ich lasse mich nicht mehr verarschen. Wahrscheinlich lacht schon die ganze Stadt über mich. Mit wem hat sie’s getrieben? Weißt du’s? War der auch da, während ich mich für euch krumm gearbeitet habe? War er? Und hat er nur sie gefickt oder dich gleich mit?“

 

Die Gehässigkeit von Brunos Vater kennt keine Grenzen. Sie ist wie ein Messer, dass er seinem Sohn immer wieder in die Brust rammt. Und endlich gibt Bruno auf. Er wendet den Blick ab, die Augen voller Verzweiflung. Ich höre noch, wie sein Vater auch das höhnisch kommentiert, aber Bruno nimmt das wohl nicht mehr wahr. Er taumelt zur Tür.

 

„So ist’s recht. Hau ab und lass dich nie wieder blicken. Feigling! Hurensohn!“

 

Immer noch keift er hinter ihm her, aber Bruno ist längst verschwunden. Das wiederum bedeutet, dass ich alleine mit dem bewaffneten Mann bin, dessen Aufmerksamkeit sich prompt auf mich richtet.
 

„Was stehst du denn da und glotzt? Pack dich, bevor ich dir ein zweites Arschloch brenne.“

 

Zum meinen Glück packt er jedoch nur meine Jacke und wirft sich hinter mir her. Der Reißverschluss erwischt mich kurz unter dem Auge, aber ich achte nicht darauf, denn als nächstes vernehme ich es hinter mir Poltern. Offenbar ist der Jacke ein Stuhl gefolgt. Oder ein Schuh. Ich höre Brunos Vater schimpfen und schreien. Noch mehr Möbel werden herumgeworfen, während ich draußen in trügerischer Sicherheit bin.
 

Bruno? Wo ist Bruno?

 

Vor der Hütte ist niemand, aber in einiger Entfernung sehe ich eine dunkle Silhouette durch den Wald brechen. Das muss er sein.

 

„Bruno!“

 

Ohne zu überlegen setze ich mich in Bewegung. Ich weiß, dass ich eigentlich machen sollte, dass ich hier wegkomme. Oder wenigstens die Polizei rufe oder irgendwen, bevor die Situation noch vollkommen eskaliert. Aber meine Gedanken kennen nur noch eine Richtung, genau wie meine Füße. Ich muss Bruno einholen und das schnell.

 

 

Blätter und Zweige schlagen mir ins Gesicht, während ich durch das Unterholz hetze. Eigentlich sollte man denken, dass so ein großer Kerl wie Bruno in so einer Umgebung nur langsam vorankommt, aber vermutlich walzt er die Büsche und jungen Bäume einfach mit seiner puren Masse platt, während ich mich mühsam hindurchschlängeln muss. Dabei komme ich ganz schön außer Puste, aber ich gebe nicht auf.

 

Nochmal verliere ich ihn nicht.

 

Ein Baumstamm versperrt mir den Weg. Ich setze zum Sprung an und bleibe natürlich volle Kanne am morschen Holz hängen und fliege auf die Fresse. Zum Glück ist der Waldboden weich, aber auch feucht, matschig und rutschig. Ich ratsche mir die Hände auf, meine Knie, mein Alles. Es tut weh, aber nicht so sehr, dass ich nicht gleich wieder auf die Füße komme.
 

„Bruno!“

 

Noch einmal rufe ich nach ihm, während ich notdürftig den Dreck von mir runterwische.

 

Verdammt, wo steckt der Kerl nur? Der kann doch nicht einfach so verschwunden sein.

 

Um mich herum ist alles grün. Grüne Blätter, grünes Moos, grüne Hose. Na gut, die ist mehr so schlammbraun, aber was soll’s. Kann man bestimmt wieder waschen. Unter meinen Füßen raschelt trockenes Laub. Äste knacken und ich bin mir sicher, dass sämtliche Rehe in drei Kilometer Umkreis längst geflüchtet sind. Was mich wiederum zu der Frage bringt, wo Bruno hin ist. Der kann sich ja nicht in Luft aufgelöst haben. Nicht bei der Größe.

 

Da plötzlich höre ich etwas. Es klingt wie ein Schlagen? Ist das eine Axt? Ein Brecheisen? Um herauszufinden, woher das Geräusch kommt, drehe ich mich zweimal um mich selbst. Wenn ich mich nicht ganz irre, müsste es von dort drüben kommen. Da, wo die hohen Büsche stehen. Einen Versuch ist es immerhin wert.

 

Leise, um wen auch immer nicht zu verscheuchen, pirsche ich mich an die Quelle des Lärms heran. Als ich die Zweige beiseite biege, sehe ich tatsächlich Bruno. Er hat einen Knüppel in der Hand, mit dem er offenbar gerade noch auf einen Baum eingedroschen hat. Jetzt ist das Holzstück zerbrochen und ihm fehlt ein Ventil für seine Wut.

 

Vielleicht sollte ich mich nicht unbedingt dafür anbieten.

 

Aber ich kann jetzt nicht einfach umkehren und ihn alleine lassen. Das habe ich letztes Mal schon gemacht und es hat sich beschissen angefühlt. Und genau deswegen straffe ich mich jetzt, bevor ich auf den kleinen Trampelpfad trete und mich zu erkennen gebe.
 

„Hey!“ mache ich und Bruno wirbelt zu mir herum. In seinen Augen flackert Panik, durchsetzt von Wut, Trauer und Abwehr.
 

„Hau ab!“, schreit er mich an und erinnert mich dabei sinnigerweise an seinen Vater. Wie der auf die Idee kommt, dass Bruno nicht sein Sohn sein könnte, ist mir schleierhaft.
 

„Bruno …“, beginne ich, aber ich komme nicht weit.
 

„Ich hab gesagt, du sollst abhauen. Los! Verschwinde! Lass mich in Ruhe!“

 

Ich weiß, dass er es so meint, aber ich kann nicht gehen. Nicht dieses Mal.

 

„Bruno …“, versuche ich es noch einmal und wieder unterbricht er mich.
 

„HAU AB!“, schreit er so laut, dass es vermutlich bis ins nächste Dorf zu hören ist. Und vermutlich wäre es wirklich schlauer, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Trotzdem bleibe ich.

 

„Es ist nicht deine Schuld“, sage ich leise. „Dein Vater …“

 

„Hör auf, über meinen Vater zu reden!“
 

Wieder schreit Bruno, aber ich höre die Tränen, die er dabei nur mühsam zurückhält. Das gerade muss ihm vollkommen den Boden unter den Füßen weggezogen haben. Und ich muss zugeben, dass ich auch keine Ahnung habe, was ich jetzt tun soll. Ich mache einfach. Irgendwie.
 

„Dein Vater hat Unrecht“, sage ich daher, mehr um überhaupt etwas von mir zu geben. „Du bist nicht …“

 

„Ich bin nicht was?“, faucht Bruno mich an. Seine Finger graben sich in das weiche Holz des Knüppels ebenso wie es die seines Vaters bei dem Gewehrlauf getan haben. Vermutlich wartet er nur darauf, dass ich etwas Falsches sage. Oder irgendwas, denn in dieser Situation kann man eigentlich nur danebengreifen. Aber schweigen kommt nicht infrage.

 

„Du bist nicht der, der sich schämen muss. Sondern er.“

 

Uff, jetzt ist es heraus. Vermutlich ist ein Angriff auf seinen Vater nicht unbedingt die beste Wahl, aber der Typ ist einfach so ein unglaubliches Arschloch, dass ich dazu nicht meine 'Goschn' halten kann, wie man hier so schön sagt.

 

Bruno starrt mich einfach nur an. Was vielleicht gut ist, da er immerhin nicht versucht, mich windelweich zu prügeln. Andererseits wäre es ganz schön, wenn er sich auch mal am Gespräch beteiligen würde. Ich bin nämlich nicht so gut im aufbauende Monologe halten. Mehr so im Gegenteil. Leider tut mir Bruno nicht den Gefallen, also muss ich wohl allein weitermachen.

 

„Wenn er ein Problem damit hat, dass du … dass wir …“

 

Ach fuck, jetzt hab ich auch noch den Faden verloren. Zumal ich gar nicht weiß, was ich eigentlich sagen wollte. 'Dass wir schwul sind' führt vielleicht doch ein bisschen zu weit und 'dass wir was miteinander haben' irgendwie auch. Aber 'dass wir miteinander rummachen' ist wiederum zu wenig und Bruno könnte es ebenso in den falschen Hals kriegen. Wie also mache ich ihm klar, dass das, was er getan hat, nichts Falsches war? Dass nicht an ihm was verkehrt ist sondern an der Welt, die das nicht akzeptieren kann. Und wie bringe ich das alles rüber, ohne wie eine Broschüre von der Jugendhilfe zu klingen. Das ist doch alles kacke.
 

„Dein Vater ist ein homophober Arsch“, fasse ich daher meine Erkenntnisse nicht gerade eloquent zusammen. Soll Bruno sich doch raussuchen, was davon er für sich verinnerlichen will. Und natürlich reagiert er einfach nur ätzend.
 

„Wenigstens habe ich einen“, schleudert er mir entgegen und vergisst dabei anscheinend, dass der sich gerade von ihm losgesagt hat. Idiot! Aber sei’s drum. Wenn’s ihm hilft.

 

„Ich hab auch einen Vater“, korrigiere ich ihn trotzdem. Bruno schnaubt abfällig.
 

„Ach ja? Und wo ist der?“

„Keine Ahnung. Vögelt wahrscheinlich gerade meine Tante.“

 

Jetzt ist es an Bruno, dumm aus der Wäsche zu gucken. Ja, glotz du nur. Ich meine, normalerweise gehe ich damit ja nicht hausieren, aber wenn er mir dumm kommen will … das Spiel kann man auch zu zweit spielen.
 

„Also sie ist nicht wirklich meine Tante“, lenke ich ein. „Sie war nur die beste Freundin meiner Mutter, aber … das hat es jetzt auch irgendwie nicht besser gemacht.“

 

Bruno steht immer noch da wie ein Fisch im Reihergehege. Und vermutlich fühlt er sich auch so. Ich kann’s ja verstehen, aber den Kopf in den Stand stecken oder arme, harmlose Bäume vermöbeln, macht die Sache ja auch nicht besser. Von unschuldigen Mitschülern ganz zu schweigen.

 

„Tut mir leid“, sagt Bruno plötzlich wie aus der Luft gegriffen und ich brauche einen Augenblick, bevor mir dämmert, dass er wohl das mit meinem Vater meint. Ich schnaufe und zucke mit den Schultern.
 

„Ach, passiert. Man kann sich Verwandtschaft halt nicht aussuchen.“

 

Brunos Mundwinkel zucken, aber mir ist klar, dass ihm gerade nicht nach Lachen zumute ist. Wahrscheinlich eher nach Heulen, aber ein Junge weint ja nicht und ein Indianer kennt keinen Schmerz. Fand ich schon immer schwachsinnig.

 

Ich entschließe mich, nicht weiter dumm rumzustehen. Ohne mich also um den Knüppel in Brunos Hand zu kümmern, gehe ich geradewegs an ihm vorbei auf einen umgestürzten Baum zu. Das Ding ist reichlich grün bewachsen, aber ich setze mich trotzdem hin und sehe dann zu Bruno auf. Mit dem Kopf deute ich auf den Platz neben mir.

 

„Auch?“

 

Bruno antwortet mir nicht. Er steht einfach nur dumm in der Gegend herum, bevor er sich endlich einen Ruck gibt und zu mir rüberkommt. Den Knüppel wirft er dabei Gott sei Dank zur Seite. Eine Weile lang schweigen wir beide und hängen unseren Gedanken nach, bevor Bruno doch tatsächlich als Erster das Wort ergreift.

 

„Bist du hingestürzt?“, fragt er und deutet auf meine Hose. Anhand der Spuren kommt eigentlich keine andere Erklärung infrage, aber ich versuche es trotzdem.
 

„Ja, nein, weißt du … da war so ein Pirat, der ist wild winkend hinter dem Busch vorgesprungen und hat mich aufgehalten. Darauf kam ein ganzer Schwarm Glitzerfeen und hat mich mit Dreck beworfen. Eigentlich sollte es Feenstaub sein, weil Peter Pan sich unsterblich in mich verliebt hat und mich nach Nimmerland entführen wollte, aber weil Tinkerbell so fürchterlich eifersüchtig ist, hat sie ihren Freundinnen stattdessen Schlamm in die Feenkörbchen getan und deswegen sehe ich jetzt so aus, wie ich aussehe.“

 

Bruno sieht mich an, als hätte er den Witz nicht verstanden. Einigermaßen frustriert rolle ich mit den Augen.

 

„Oh man, Bruno. Natürlich bin ich hingestürzt. Hab nen Baum übersehen. Soll vorkommen, weißt du?“

 

Bruno weiß anscheinend nicht. Kein Wunder, der kennt sich ja offenbar auch hier im Wald aus. Sollte er wenigstens, wenn er ständig drauflos prescht, als wäre ne ganze Hundemeute hinter ihm her.

 

„Und du? Kommst du öfter her?“, frage ich deswegen, um wenigstens die Unterhaltung am Laufen zu halten. Bruno wünscht sich augenscheinlich seinen Stock zurück. Sein Blick wandert in seinen Schoß und zu seinen leeren Händen, an denen immer noch Schmutz und Erdreste kleben. Geistesabwesend reibt er mit dem Daumen über einen der Flecken.

 

„Manchmal“, gibt er höchst zweisilbig zur Auskunft. Danach ist wieder Schweigen im Walde angesagt. Wortwörtlich. Über uns scheint die Sonne durch grüne Baumkronen und ein leiser Wind bringt die Blätter zum Rauschen. Ansonsten ist nicht viel zu hören. Nicht mal ein Vogel. Eigentlich unheimlich. Müsste hier nicht mal einer singen? Oder wenigstens pfeifen?
 

„Willst du drüber reden?“

 

Brunos Frage trifft mich etwas unvermutet und ich brauche einen Augenblick um zu kapieren, dass er wohl die Sache mit meinem Vater meint, bevor ich mit dem Kopf schüttele.
 

„Nee, lass mal. Ist keine so schöne Geschichte.“

 

Ich schau zu ihm rüber. Er sitzt immer noch da und guckt seine dreckigen Hände an.
 

„Du?“

 

Bruno schaut kurz hoch und dann wieder weg. Dann schüttelt auch er den Kopf. Klar, wer würde über so einen Auftritt von seinem Alten schon reden wollen? Als wenn beim Sex erwischt werden nicht schon scheiße genug wäre, aber dann noch so eine Reaktion? Mehr cringe geht ja wohl nicht.

 

Eine Weile lang schweigen wir wieder, aber dann kann ich meine Klappe halt doch nicht mehr halten.
 

„Der kriegt sich bestimmt wieder ein.“

 

Eigentlich ist das zwar nur eine dumme Phrase, aber es stimmt doch. Brunos Vater wird ja schließlich nicht ewig schmollen können, nur weil sein Sohn auf Schwänze steht, oder?
 

„Glaub ich nicht“, erwidert Bruno düster. „Er hat das ernst gemeint.“

 

Was genau er damit meint, weiß ich nicht. Vermutlich das mit dem 'du bist nicht mein Sohn'. Aber selbst wenn …

 

„Soll er doch nen Test machen lassen.“

 

Bruno schaut auf und mich fragend an.

 

„Wegen der Vaterschaft“, erkläre ich. „Soll er doch testen lassen, ob du die Frucht seiner Lenden bist. Ich bin mir ziemlich sicher, das Ergebnis würde ihn überraschen.“

 

Neben mir hüllt sich Bruno weiterhin in Schweigen. Vermutlich überlegt er gerade, wo er DNA von seinem Vater herbekommt, um ihm den Nachweis seiner Erzeugerschaft neben das gut gebutterte Sonntagsbrötchen legen zu können.

 

„Den hat er bei Katie auch nicht machen lassen.“

 

Die Eröffnung lässt mich kurz rekapitulieren, was Brunos Vater in seinem Anfall noch so alles von sich gegeben hat. Das mitzuschneiden, während eine Schrotflinte auf einen gerichtet ist, ist schwieriger, als man sich so vorstellt. Aber ich erinnere mich.
 

„Du meinst, sie ist nicht deine Schwester?“ Ich überlege kurz. „Oder nur deine Halbschwester?“

 

Bruno schweigt und zuckt mit den Schultern. Ob das jetzt heißen soll, dass er es nicht weiß, nicht wissen will oder nur nicht darüber reden, kann ich nur spekulieren. Vermutlich von allem ein bisschen.

 

„Ist das wichtig?“, sagt er plötzlich wie aus dem Nichts. Hätte ich ein Getränk gehabt, hätte ich mich vermutlich daran verschluckt. Bruno hat echt ein Talent dafür, mich kalt zu erwischen.
 

„Weiß nicht“, gebe ich trotzdem recht beherrscht zurück. „Ist es?“

 

Wieder hebt Bruno nur seine breiten Schultern und ich frage mich, warum wir eigentlich darüber reden, ob seine Mutter fremdgegangen ist. Was ich ihr nicht verübeln würde, aber trotzdem. Das wichtigere Thema ist doch jetzt eigentlich Bruno.

 

„Was wirst du jetzt machen?“

 

Nochmal ein Schulterzucken.
 

„Weiß nicht. So kann ich jedenfalls nicht nach Hause.“

 

Zum ersten Mal fällt mir auf, dass Bruno ja immer noch halbnackt ist. Nicht, dass das ein schrecklicher Anblick wäre, aber unauffällig ist anders.
 

„Soll ich dir meine Jacke leihen?“

 

Das Angebot ist mehr als lächerlich, denn Bruno würde vermutlich nicht einmal seinen Arm in den Ärmel bekommen, geschweige denn beide Arme. Da könnte ich das Teil auch gleich in die Tonne kloppen.
 

„Ich fürchte, die wird mir nicht passen.“

 

Bruno sieht mich nicht an, während er das sagt, und ganz kurz frage ich mich, ob wir eigentlich noch über die Jacke reden oder über etwas anderes. Irgendwas mit den Schuhen des anderen, die man anziehen muss, oder so ähnlich. Nur dass meine Schuhe Bruno nun wirklich nicht passen würden und ich in seinen wohl auch nur herumstolpern. Aber vielleicht …

 

„Vielleicht hab ich ja bei mir zu Hause noch was, das dir passt.“

 

Natürlich habe ich das nicht. Nichts, absolut gar nichts, in meinem Kleiderschrank wird Bruno auch nur annähernd bedecken. Und die Sachen meiner Mutter … okay, reden wir nicht drüber. Die Vorstellung ist absolut gaga. Aber darum geht es ja eigentlich auch gar nicht. Es geht darum, dass Bruno weiß, dass ich ihn nicht allein im Regen stehen lasse. Nicht nochmal. Schon wieder.

 

Bruno überlegt. Hart überlegt er, ob er das machen will. Denn, wenn er diesen Schritt geht, hat er sich entschieden. Wenigstens ein Stück weit. Natürlich schließt das nicht aus, dass er spätestens übermorgen mit wehenden Fahnen wieder zurückrennt, aber … hier und heute könnte er sich auf den Weg machen. Mit mir.

 

„Und?“, frage ich, nachdem er schon wieder viel zu lange geschwiegen hat. „Kommst du mit?“

 

Bruno ist offenbar noch immer zu keinem Ergebnis gekommen. Ich kann es ihm nicht verdenken. Andere haben für diese Entscheidung Monate, wenn nicht Jahre gebraucht. Oder sie nie getroffen.
 

„Vielleicht sollte ich lieber nachsehen, ob ich mein eigenes Shirt finde“, sagt er schließlich und tief in mir drinnen fühle ich mein Herz ein kleines bisschen tiefer sinken. Ich hatte wirklich gedacht …

 

„Was würde deine Mutter sonst denken, wenn ich so bei euch auftauche.“

 

Bumm! Mein Herz hat einen Satz gemacht und ist dabei vor lauter Übermut vom Stuhl gefallen. Das hindert es jedoch nicht daran, jetzt wie wild herumzuhämmern, während meine Mundwinkel einen neuen Höhenrekord anstreben. Bis zu meiner Nasenspitze sind sie jedenfalls schon gekommen.

 

Unfähig, noch weiter stillzusitzen, springe ich auf.
 

„Das würde ihr nichts ausmachen“, plappere ich los, obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass es das eventuell vielleicht doch tun würde. Zumal, wenn sich an dem Zustand nichts ändern ließe. Aber schließlich weiß sie Bescheid. Und ich bin fast 18. Da würde sie mir nicht verbieten, jemanden mit nach Hause zu bringen. Hoffe ich wenigstens.

 

„Aber du … du sagst ihr doch nichts, oder?“

 

Äh ja, gut. Das hatte ich jetzt so nicht erwartet, aber ich verstehe. Natürlich. Bruno will nicht, dass meine Mutter was von der Sache erfährt. Oder von uns. Oder überhaupt.
 

„Nein, natürlich nicht“, wiegele ich seine Bedenken daher sofort ab. Was ich eventuell unter Erpressung oder Folter von mir geben könnte, zählt schließlich nicht als „etwas sagen“, oder?

 

„Und du bist dir sicher, dass das … okay ist?“

 

Bruno sieht zu mir auf und ich frage mich, wovon er jetzt eigentlich spricht. Nur davon, dass er mit zu mir kommt oder von … mehr?

 

„Klar“, sage ich jedoch und versuche, möglichst lässig auszusehen. „Du wirst sehen, wir kriegen das wieder hin. Versprochen.“

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hey ihr Lieben,

ein bisschen hat es zwar gedauert, aber da ja gerade so schön frei ist, dachte ich mir, ich lege euch mal noch ein kleines Ei ins Oster-Nest. Also seid schön brav und sucht fein, dann kommt vielleicht auch bald das nächste Kapitel.

Ganz zauberhafte Grüße
Mag
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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  -Chiba-
2023-04-09T09:20:06+00:00 09.04.2023 11:20
Ich habs geahnt. Schon als sich die beiden im letzten Kapitel näher gekommen sind habe ich befürchtet, dass der Vater reinplatzen und die romantische Stimmung kaputt machen wird :-(

Aber so, wie Fabian Brunos Vater beschreibt, hätte ich ihn mir jetzt nicht vorgestellt. Da Bruno sich eines seiner Hemden ausgeliehen hat, bin ich davon ausgegangen, dass sein Vater mindestens genauso groß und vor allem breit ist, wie Bruno. Aber anscheinend ist er nur ein armes mikriges Würstchen, das sich hinter seiner schlechten Laune und seiner Flinte versteckt. Der Kerl hat echt Probleme und braucht wohl dringend eine Therapie...Choleriker >_<

Hoffentlich findet Bruno einen Weg mit der Situation umzugehen. Leicht wird das nicht. Das Zusammenleben zwischen Vater ud Sohn stelle ich mir unter diesen Umständen schwierig vor. Aber Bruno wird wohl auch nicht die Mittel haben, um von zu Hause auszuziehen. Außerdem glaube ich auch nicht, dass er seine Mutter und seine kleine Schwester mit diesem Kerl alleine lassen würde. Bruno scheint seinem Vater körperlich überlegen zu sein, aber ich kann auch verstehen, dass er das (noch) nicht gegen seinen Erzeuger nutzen wird. Obwohl sein Vater die Familie so scheiße behandelt, scheint Bruno großen Respekt vor ihm zu haben.

Das kann noch spannend werden. Aber wenigstens ist er jetzt nicht mehr alleine. Fabian wird im sicherlich helfen das durchzustehen.

Frohe Ostern ^.~
Antwort von:  Maginisha
10.04.2023 10:49
Hey Chiba!

Oh weh, ich werde durchschaubar. :D Aber macht nichts, manchmal ist es ja als Leser auch befriedigend, wenn man sieht, dass man recht hatte. Ich weiß ja bei Krimis auch immer oft sehr schnell, wer der Mörder ist. ^_~

Groß ist Brunos Vater tatsächlich, aber eben nicht ganz so breit gebaut. Die entsprechende Länge braucht er trotzdem, füllt die aber halt nicht so aus. Ich könnte jetzt noch was über Schnitte und Kragenweiten ausführen, aber ich hoffe, das reicht dir so. Also schon groß, aber Fabian hatte vermutlich eben auch einen ziemlichen Bullen erwartet und das ist er halt nicht. Und armes Würstchen trifft es genau. Der "gute" Mann muss eine ganze Menge kompensieren.

Wie sich das nun weiter gestaltet, wird in der Geschichte noch geklärt werden. Aber natürlich hast du recht, leicht ist anders, zumal ja auch noch andere Familienmitglieder mit involviert sind. Aber schauen wir mal wie/ob sie es hinkriegen.

Ich wünsche dir ebenfalls noch frohe Ostern!

Zauberhafte Grüße
Mag
Von:  chaos-kao
2023-04-08T22:26:43+00:00 09.04.2023 00:26
Ich muss gestehen, dass ich die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass sie gestört werden. Es war einfach überfällig und wo würde es besser passen, wenn sie sich einander Stoff einmal sogar emotional näher kommen?
Ist sehr gut umgesetzt und jetzt bin ich gespannt wie es Bruno in dieser neuen Welt ohne dauernde Angst vor dem Vater ergehen wird!
Ich wünsche dir frohe Ostern :)
Antwort von:  Maginisha
10.04.2023 10:20
Hay chaos-kao!

Und ich muss zugeben, dass das wohl das erste Mal war, dass ich so eine Störung geschrieben habe. :D Aber es passte halt irgendwie, zumal die beiden ja vergessen hatten abzuschließen. ^^

Jetzt bleibt abzuwarten, wie sie sich da wieder rausholen. Gut ist ja längst noch alles nicht, aber ich denke, sie sind auch einem guten Weg.

Die auch noch Frohe Ostern!

Zauberhafte Grüße
Mag
Von:  Ryosae
2023-04-08T20:11:29+00:00 08.04.2023 22:11
Hab mich schon gewundert, dass dieses Kappi nicht auf Adult gesetzt wurde. Tja, wenn Vati so charmant reingeplatzt kommt.. kein Wunder. 😅
Was ist er nur für ein riesen Arsch? Selbst wenn sein Hirn in den 50ern stehengeblieben ist, kann man seinem eigenen Sohn (ok, das wird noch untersucht) mit einer Schrotflinte ins Gesicht zielen. Selbst wenn man so sauer ist kann man das nicht machen! Echt nicht ok! 🧐

Schätze unser lieber Bruno ist öfter dort um seine aufgestaute Wut raus zu lassen? Bei der Familie kein Wunder. Bin sehr darauf gespannt zu wissen, wie seine Familie in Wirklichkeit aufgebaut ist. Was ist wirklich an der Aussage dran, dass Mama Bruno die Dorfmatratze ist? Vor allem was sagt das über Vati aus? Will weiter lesen! 😍

Finde es so süß, dass Fabian Bruno nicht allein lassen und ihm helfen möchte.
Was seine Mutter wohl dazu sagt, wenn die Zwei so Zuhause auftauchen? xDD

So sorgfältig wie dieses Jahr werde ich nie Ostereier gesucht haben! Hole mir Unterstützung von meiner Tochter, sie kann das dieses Jahr auch. :D

Bis hoffentlich gaaaanz bald!
Ryo
Antwort von:  Maginisha
10.04.2023 10:18
Hey hey, du bist ja tricky. Ich hatte überlegt, aber da sie ja nicht so weit gekommen sind, brauchte es die Markierung ja nicht. Doof, dass das jetzt so verräterisch war. ^_^°

Mit der Sache mit der Waffe und anderen gehe ich natürlich voll mit dir mit. geht gar nicht. Allerdings habe ich bei der Recherche da echt haarsträubende Sachen zu lesen bekommen. Zum Beispiel der Vater, der wirklich geschossen hat, weil der Sohn zu lange am Computer saß. Öhm ... o_O

Davon, dass sich Bruno öfter dort rumtreibt, kann man allerdings wohl ausgehen. Nicht umsonst ist ihm die Hütte vermutlich gleich als Ort für das erste Stelldichein eingefallen. Ob an der Theorie wirklich was dran ist, lässt sich so natürlich nicht wirklich beurteilen, aber ich sag mal so: Einbildung ist auch ne Bildung.

Fabian hat dieses Mal auf jeden Fall mehr Mut bewiesen, indem er erstens Bruno gefolgt ist und sich zweitens nicht hat von ihm ins Bockshorn jagen lassen. Mal sehen, was ihm das noch so einbringt.

Dann hoffe ich mal, dass der Hase bei euch fleißig war. Bei uns fehlt immer noch ein Ei. :D Aber wenn das gefunden ist, kann ich dann ja auch wieder weitertippen.

Zauberhafte Oster-Grüße
Mag


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