Zum Inhalt der Seite

Warsong

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Jagd

Law war augenblicklich hellwach.
 

Er überlegte gar nicht lang, sondern instinktiv schaltete sein Körper in Alarmbereitschaft, um auf diese unbekannte Bedrohung reagieren zu können. Sein Atem wurde flach, seine Sinne schärften sich. Er ließ die warme Decke von seinen Schultern gleiten und setzte die nackten Füße leise auf den angewärmten Boden. Geräuschlos bewegte er sich geduckt zu seiner Tasche hinüber, die am Ende der Wohnlandschaft lag.
 

Er vermisste sein Katana sofort, doch für Notfälle hatte er ein Smith & Wesson Kampfmesser in einem Geheimfach seiner Tasche. Zielsicher tastete er im kargen Licht der Nacht nach dem verborgenen Fach, zog das schwarze, scharf geschliffene Messer heraus und drehte den angerauten Griff geübt in seinen Fingern, bis die Klinge wie eine Verstärkung seines Unterarmes wirkte. Keine Waffe, um sich Feinde auf Abstand zu halten, dafür auf kurze Distanz absolut tödlich. Dann schlich er in Richtung Schlafzimmer.
 

Immer wieder glitten Lichtkegel am Tower vorbei und Fetzen von Neonlicht huschten über die Einrichtung, wässrig verzerrt durch den herabprasselnden Regen, der noch immer monoton gegen die Fensterfront klopfte. Ein hell leuchtendes Werbebanner schimmerte in einiger Entfernung über einem Einkaufzentrum am Nachthimmel. Der Kühlschrank summte leise und beständig, ein verirrter Wassertropfen löste sich vom Hahn des Spülbeckens. Sonst war es noch immer ruhig, fast beunruhigend still.
 

An der nur angelehnten Schlafzimmertür stoppte Law doch kurz, hielt den Atem an und lauschte. Von drinnen war nichts zu hören. Was, wenn er sich getäuscht hatte? Sicherlich würde es kein sonderlich gutes Licht auf ihn werfen, wenn er mitten in der Nacht mit einer fünfzehn Zentimeter langen Klinge in das Schlafzimmer des CEO schlich... mit dieser Aktion konnte er jeden Vertrauensvorschuss bei dem Konzerner verlieren. Aber das Risiko musste er wohl eingehen.
 

Law legte die Fingerspitzen sachte an die Tür und schob diese vorsichtig auf. Er drückte sich durch den entstandenen Spalt und betrat gleitend und lautlos wie ein Geist Marcos Schlafzimmer. Auch hier war es nicht völlig finster, noch dazu befand sich auf einer schlichten, hellen Kommode ein Holoterminal, auf dem sich eine Projektion der Erdkugel langsam drehte und blaues Licht auf die Wände warf.
 

Vor der Fensterfront stand ein großes Futonbett und die Umrisse des schlafenden Konzerners zeichneten sich fahl darauf ab. Marco lag auf dem Rücken, ein Arm entspannt neben seinem Kopf. Der langsam drehende Erdball erschuf lange Schatten auf seinem nackten Oberkörper und dem Ansatz seiner Bauchmuskeln unter der dünnen Decke, die sich durch ruhige Atemzüge anhob. Alles wirkte normal.
 

Law zwang seinen Blick weiter, seine Augen tasteten den Raum rasch ab, doch er konnte eigentlich nichts ungewöhnliches entdecken. An der rechten Seite des Zimmers gelangte man durch eine nur halb geschlossene Schiebetür vermutlich zu einer Art Ankleidezimmer, denn Law sah akkurat sortierte Kleiderbügel und säuberlich aufgereihte Schuhpaare.
 

Seine empfindliche Nase fing Marcos Eigengeruch auf, der hier im Raum besonders präsent war... und darunter einen eigentümlich erdigen, holzig-brenzligen Duft, der Laws Puls beschleunigte und ein warnendes Kribbeln über seine Kopfhaut jagte. Dieser ganz besondere Geruch war eigentlich unverwechselbar - es war der typische Geruch, der unweigerlich mit einer Beschwörung einherging.
 

Seine Hand schloss sich fester um den Griff des Messers. Wenn hier wirklich ein Summomant seine Finger im Spiel hatte, war es auch kein Wunder, dass das Sicherheitssystem des Gebäudes und die KI noch nicht reagiert hatten. Beschwörungen existierten der Wissenschaft nach auf einer anderen Existenzebene, waren von normalen Sensoren und Scannern kaum zu entdecken und daher die perfekten Attentäter, weswegen Beschwörer seit den Magiekriegen eigentlich auch als so gut wie ausgerottet galten...
 

Aus dem undurchdringlichen Dunkel unter Marcos Bett schob sich eine bleiche Hand mit schwarzen, langen Nägeln hervor. Ein seltsames Wesen kroch über den Boden, nicht viel größer als eine Katze, mit unnatürlich langen, dürren Gliedmaßen, entfernt menschlich, nackt und blass. Die Kreatur zog sich flink am Bett nach oben und krabbelte wie eine Spinne über die Matratze auf den Konzerner zu, wobei sich lederne Flughäute zwischen den dünnen Armen und der hageren Brust spannten. Der hintere Körperteil des Geschöpfs endete in einem dünnen, peitschenartigen Schwanz, der wie ein nackter Wurm über die Bettdecke glitt.
 

Das Wesen drehte den Kopf und Law erhaschte einen Blick auf das grausige Antlitz zwischen langen, strähnigen Haaren... und konnte nicht verhindern, dass er einen entsetzen Schritt zurück trat und erschauderte.
 

Die Kreatur hatte keine Augen.
 

Der bleiche Schädel mit den entfernt weiblichen Zügen wurde beherrscht von einem riesigen, schlundartigem Mund und einer eingefallenen Nase, die das Ding jetzt in die Höhe reckte, als würde es Witterung aufnehmen, während eine unnatürlich lange, dunkle Zunge durch die perlweißen Fänge glitt. Dann hielt es mit erschreckender Zielsicherheit auf den Konzerner und dessen ungeschützte Kehle zu. Die dunklen Nägel schimmerten unheilvoll im Licht der Projektion.
 

Law löste sich endlich aus seiner Erstarrung und setzte sich in Bewegung. Mit drei langen Schritten war er beim Bett, sprang darauf und ließ sich schützend über Marco in die Knie fallen, um seine Klinge punktgenau in den hässlichen Schädel der Kreatur zu rammen, die gerade dazu angesetzt hatte, dem Konzerner die Kehle mit den schartigen Nägeln zu zerfetzen. Das Wesen stieß einen verstörend weiblichen Todesschrei aus, hell und schmerzlich, bevor es in schwarzen Rauch zu zerfallen begann.
 

Vielleicht nur zwei Herzschläge später... und Marco Phoenix wäre vermutlich tot gewesen. Ich hätte ihn vermisst... Die Wucht der Erkenntnis traf Law wie ein Hammerschlag.
 

Marco erwachte mit einem erschrockenen Atemzug und setzte sich ruckartig auf, sodass sich ihre Nasen fast berührten. Ihre Blicke kreuzten sich, während Law noch immer wie ein dunkler Geist über seiner Hüfte hockte, bevor Marco den Kopf drehte und er die letzten Schemen der sich auflösenden Kreatur erblickte... und die scharfe, dunkle Klinge in Laws Hand, die nur ein paar Zentimeter neben ihm in der Matratze steckte.
 

Dem Konzerner war eindeutig zu Gute zu heißen, dass er die Fassung behielt und bewundernswert ruhig blieb. Sein nackter Brustkorb weitete sich zwar unter einem tiefen Atemzug, doch er schien die Situation recht schnell zu erfassen... oder sein Vertrauen in Law war so fortgeschritten, dass ihm nicht einmal der Gedanke zu kommen schien, dass der ihm würde schaden wollen.
 

Viel Zeit für Erklärungen blieb eh nicht, da Law im Rücken bereits einen Luftzug verspürte und ein Chor aus hohem Wehklagen erklang, bevor noch mehr missgestaltete Schatten durch die Dunkelheit huschten. Offenbar war nicht nur eine Beschwörung hier...
 

Marco schien selbst kurz nach dem Aufwachen rasend schnell in den anerzogenen Kampfmodus wechseln zu können, denn innerhalb eines Wimpernschlages aktivierte sich seine Kybernetik, bevor er Law mit sich herumriss und den jungen Mann diesmal beschützend unter sich begrub. Der Konzerner langte zur Seite und riss an der Schublade des Nachtschrankes, dann hielt er eine seiner silbernen Pistolen in der Hand und holte mit zwei gezielten Schüssen die Kreaturen aus der Luft, die sich ihnen eben über die Wand genähert hatten.
 

Law sah die widerlichen Körper im aufblitzenden Mündungsfeuer getroffen zu Boden trudeln und Rauschschwaden hinter sich herziehend, als sie sich zu zersetzen begannen. Wütendes Geheul antwortete, irgendwo zerbrach etwas klirrend, bevor die Matratze des Bettes bebte, als hätte sich etwas darauf fallen lassen... und das ziemlich nah, dem aggressiven, hohlen Kreischen nach.
 

Das Deckenlicht flammte auf und die Projektion der KI erschien mitten im Raum. »Sir, ich habe Schüsse registri-...«
 

Marco sah auf Law hinab, der immer noch unter ihm lag. Seine blauen Augen huschten flüchtig kontrollierend über dessen Gesicht, als würde er sich seiner Unversehrtheit versichern wollen - als wäre Law hier derjenige, der beschützt werden müsste! -, bevor er sich von dem jungen Mann herabrollte und aus dem Bett sprang. Die nächste Kugel aus seiner Waffe zerfetzte den Rücken einer über den Boden kriechenden Kreatur, während Law einem der Viecher seine Ferse ins Gesicht rammte und das Wesen vom Bett stieß.
 

»Haruta, riegel' den Tower ab und gib' Jozu Bescheid, dass wir angegriffen werden! Er soll das Gebäude nach Sicherheitslücken durchsuchen lassen!«, bellte Marco den strikten Befehl.
 

Die Gesichtszüge der KI wechselten ziemlich schnell von besorgt zu regelrecht überfordert, als sie die vielen Kreaturen entdeckte, die über den Boden, die Wände und sogar die Decke des Zimmers krabbelten. Kein Wunder, denn ihre Sensoren hatten bis eben sicher kein feindliches Eindringen vermeldet. Der Junge nickte eilig und verschwand wieder.
 

Marco drückte den Lauf seiner Waffe in den geifernden, offenen Schlund eines weiteren Wesens, das gerade wie eine Katze zum Sprung von der Kommode ansetzen wollte und verteilte dessen dunkles Hirn mit einer Kugel im Raum, bevor sich die Überreste auflösten. Währenddessen war der Konzerner schon längst dabei, weitere der fauchenden und heulenden Ungeheuer von der Decke zu schießen, sodass deren Überreste wie dunkler Regen rauchig zu Boden tropften.
 

Im harten, wenig schmeichelhaften künstlichen Licht waren die seltsamen Wesen fast noch abscheulicher, denn auf morbide Art sahen sie tatsächlich humanoid aus, aber pervertiert und verdreht, als hätte ein verrückter Geist wenig erfolgreich versucht, mehre Spezies miteinander zu verschmelzen. Die Dinger schienen geradewegs aus dem Schlund der Hölle zu kommen. Obwohl sie Flughäute besaßen, konnten sie nicht wirklich fliegen. Doch dafür bewegten sie sich über die Wände wie unnatürlich große Spinnen, was fast noch schlimmer war.
 

Law schnappte die Kreatur an einem der ledrigen Flügel, die sich eben neben ihm auf die Matratze hatte fallen lassen und sich ebenfalls wie getrieben auf Marco stürzen wollte. Er schleuderte das geifernde Ding ans andere Ende des Bettes, doch das Wesen rollte sich trotz der langen und ungelenk erscheinenden Gliedmaßen unheimlich schnell wieder herum und krabbelte erneut wie besessen auf Marco zu, bevor Law dessen Existenz mit einem gezielten Hieb seines Messers beendete.
 

Dunkler Rauch wallte um die Klinge, da war er schon wieder auf den Beinen und glitt mit dem Messer durch die Eingeweide eines der heulenden Geschöpfe, bevor er das Nächste mit einem kraftvollen Hieb förmlich auf dem Holzboden festnagelte. Das Wesen kreischte und schrie, kratzte mit den Nägeln und bauschte die ledernen Flügel auf, bis Law die Klinge drehte und das gezackte Metall tiefer in den dürren Leib trieb. Dunst stieg auf wie der klägliche Rest eines eben erloschenen Feuers.
 

Weitere der hässlichen Hybriden kletterten fauchend über die Einrichtung und warfen dabei die Kommode um, ihre Schwänze zuckten aufgeregt durch die Luft und sie steuerten unaufhaltsam auf den Konzerner zu, als wäre er der Mittelpunkt ihrer Existenz, der sie magisch anzog. Sie stürzten sich wie abgerichtete Bluthunde auf Marco und ließen ihm kaum Luft zum atmen, geschweige denn zum Schießen oder Nachladen. Irgendjemand hatte sie eindeutig auf den CEO der Newgate Corp. angesetzt.
 

Während er nach einem Ersatzmagazin tastete, schüttelte Marco eines der Wesen von seinem Arm, ein anderes klammerte sich mit dürren Fingern an seinen Unterschenkel und riss mit den scharfen Zähnen an seiner lockeren Hose. Er befreite sich aus dem Klammergriff, trat der knurrenden Kreatur in den Leib, sodass diese sich mehrmals überschlagend über den Boden rollte, bevor er ihrem Leben mit einem Schuss in die bleiche, hohe Stirn ein Ende setzte.
 

Eine der beschworenen Kreaturen hatte sich ihm unbemerkt über die Zimmerdecke genähert und sprang ihm jetzt auf den ungeschützten Rücken. Spitze Zähne bohrten sich in Marcos Schulter, der Konzerner grollte schmerzhaft und taumelte kurz, bevor er versuchte, das Ding loszuwerden, indem er sich mit dem Wesen auf seinem Rücken immer wieder gegen die Wand rammte. Doch das Vieh verbiss sich nur tiefer und rotes Blut floss über Marcos nackte Brust.
 

Law ließ sein Messer durch die Finger wirbeln und durchschnitt fliegend zwei weitere Kehlen, bevor er an Marcos Seite hastete und dessen Angreifer am Hals packte. Ohne Barmherzigkeit drückte er die Klinge in die nachgiebige Schläfe des Geschöpfes, das daraufhin den Biss lockerte und hektisch mit den Gliedmaßen um sich schlug. Er schleuderte die Missgeburt auf den Boden, hielt die zappelnde, kreischende Kreatur mit dem Fuß auf dem Rücken, bevor er ihr das Messer tief in den Schädel hieb.
 

Marco betastete seine verwundete Schulter überprüfend und nickte Law dankbar zu. Dann standen sie Rücken an Rücken, kämpften zusammen, so völlig selbstverständlich, als wäre es nie wirklich anders gewesen und sie schon jahrelang ein eingespieltes Team. Während Marco seine Waffe nachlud, gab Law ihm Deckung. Selten hatte er seine Kräfte so vermisst wie in diesem Augenblick, doch er wagte sie noch nicht wieder einzusetzen aus Furcht vor den möglichen Folgen.
 

Doch zusammen konnten sie auch ohne Magie der Lage Herr werden. Der Konzerner war ein fantastischer, zielsicherer Schütze, bei dem fast jeder Schuss punktgenau saß und alle Wesen, die zu nah herankamen, erledigte Law schnell und effizient mit dem Messer in seiner Hand.
 

Irgendwann erstarb die urplötzliche Flut der widerlichen Beschwörungen und obwohl nicht mehr als ein paar Minuten vergangen sein konnten, seitdem Law das Schlafzimmer des Konzerners betreten hatte, fühlte es sich doch nach Stunden an. Marco tauschte einen kurzen Blick mit Law, dann ließen sie einstimmig die Waffen sinken.
 

Ein letztes, noch lebendes Wesen hob einen schräg abstehenden, gebrochenen Flügel und versuchte über den Boden davon zu kriechen, doch Law stieß ihm seine Klinge schonungslos in den Rücken, woraufhin die Beschwörung in schwarzem Rauch zerplatzte. Währenddessen warf Marco sicherheitshalber noch einen prüfenden Blick in das angrenzende Ankleidezimmer, um nach verbliebenen Feinden zu suchen, bevor er die Tür zuschob und sich dagegen lehnte.
 

»Was zur Hölle waren das für Dinger?«
 

»Vermutlich Kreationen von einem Summomanten. Beschwörungen.« Law schob das Messer in seinen Hosenbund, dann nahm er eines der sauberen Handtücher vom Boden, die aus der umgestürzten Kommode gefallen waren und ergriff Marco sanft am Arm, um ihm das Blut vorsichtig von der Wunde zu tupfen. Er wollte zumindest das Ausmaß der Verletzung kurz abzuschätzen. Er konnte spüren, wie sich Marcos Muskeln anspannten und unter seinen Fingern bewegten. Überrascht sah er Law an.
 

»Ist nur ein Kratzer...«, meinte der Konzerner und wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. Dabei verschmierte er einen Tropfen seines eigenen Blutes auf seiner Wange wie eine Kriegsbemalung. Seine sonst sonnengebräunte Haut war ein wenig blass und sein Atem beschleunigt, doch sonst schien ihm zumindest auf den ersten Blick nichts zu fehlen.
 

Law festigte seinen Griff und ließ sich gar nicht beirren. Er wusste schließlich, wie tief die Wunde war. »Verzeih' mir, aber so etwas sagen wirklich nur Idioten... und ich halte dich eigentlich für keinen.«

»Eigentlich!?«, hob Marco scherzhaft eine Braue.

Laws rechter Mundwinkel zuckte leicht. Das Adrenalin in seinem Blut flaute nur langsam ab. »Nun, ich hab' keine wirklich gute Menschenkenntnis.«
 

Law runzelte verwirrt die Stirn, als er den Stoff anhob und bemerkte, dass sich der tiefe Biss in der Schulter des Konzerners bereits zu schließen begann. Er war sich sicher, dass er gesehen hatte, wie sich die Zähne der Kreatur beinahe bis auf den Knochen gegraben hatten, doch der Blutfluss war schon versiegt und nun wirkte die Verletzung fast nur noch oberflächlich.
 

»Dafür scheinst du aber ein überragendes Talent zu haben, mir die Haut zu retten«, forderte Marcos tiefe Stimme seine Aufmerksamkeit.

»Schon gut, ich war einfach nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort...«, murmelte Law rau. Diese Anerkennung beschämte ihn... weil er sie seiner Meinung nach einfach schlichtweg nicht verdiente. Er hatte wahrlich schon genug Leben genommen, da war es wohl nur angemessen, dass er zumindest dieses hier rettete.
 

»Law, wenn du eben nicht gewesen wärst, wäre ich vermutlich tot...« Unvermittelt legten sich Marcos Finger auf seine Hand und sofort war da wieder diese seltsame Wärme, die Law so verdammt verunsicherte. Zögerlich blickte er auf und die blauen Augen des Konzerners bannten seinen Blick. Verflucht nochmal... warum schaffte er es nicht, diesen Kerl wie alle anderen einfach auf Abstand zu halten?! »Spiel' das nicht herunter und lass' mich dir danken.«

»... kann ich dich denn daran hindern?!«

Über Marcos volle Lippen glitt ein Schmunzeln. »Vermutlich nicht.«
 

Das helle und laute Klirren von zerbrechendem Glas ließ sie beide herumfahren. Marco stürzte sofort zur Schlafzimmertür, riss diese auf und eilte in den Wohnbereich des Penthouses, Law folgte knapp hinter ihm, sein Messer schon wieder in der Hand.
 

Eine Scheibe der Fensterfront war zerbrochen, einige Glassplitter glitzerten auf dem Fußboden und hatten sich über die Küchenzeile verteilt. Kalter, scharfer Wind wehte fauchend durch die Öffnung herein und brachte nadeldünne Regentropfen mit sich, die eisig auf der Haut stachen. Law hob schützend einen Arm vor das Gesicht, während Marco an das kaputte Fenster heraneilte, die Waffe in beiden Händen und dann nach draußen spähte.
 

Seine implantierten Brillengläser schützend seine Augen vor dem beißenden Wind hier oben, doch seine Haare und sein Gesicht glänzten feucht, als er zurück trat und einen scharfen Fluch ausstieß. Der Konzerner eilte mit todernstem Gesicht an Law vorbei, während er nebenher sein Sicherheitsteam per Funk kontaktierte. »Riegelt das Gelände ab und lasst keins von diesen Dingern entkommen!«
 

Marco lief in das Arbeitszimmer der Wohnung hinüber und Law folgte ihm mit nagender Unruhe. Das Büro sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und ihm dämmerte, dass die Kreaturen, die sie erledigt hatten, vermutlich nicht die einzigen in der Wohnung gewesen waren.
 

Fast alle Türen sämtlicher Schränke waren aufgerissen, Unterlagen, Ordner, Bücher und private Habseligkeiten lagen verstreut und durchwühlt auf dem Boden. Der Schreibtisch war verwüstet, das Holoterminal darauf hing halb über der Kante und projizierte das statisch flackernde Abbild eines Panzerfahrzeuges überdimensioniert in den Raum.
 

»Marco... was ist los?«, fragte Law angespannt, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete den Konzerner mit ungutem Gefühl im Magen, der vor einem schweren Aktenschrank in die Knie ging und wild in dem Chaos darin wühlte. Eine Böe zog von hinten heran und ließ ihn frösteln.
 

Marco warf ein paar Papiere auf den Boden, dann hieb er mit der Faust donnernd gegen den Schrank. »Sie haben das Bruchstück…«, sagte er aufgebracht und sah Law frustriert an. Unnötig zu erklären, welches Bruchstück er wohl meinte. Das hektisch flackernde Licht des Projektors zeichnete dunkle Kanten auf Marcos Gesicht. Seine Augen funkelten wütend, vermutlich gab er sich irrationalerweise selbst die Schuld an diesem Rückschlag.
 

Laws Atem stockte, als ihm eine Erkenntnis kam. Seine Augen weiteten sich, genau wie Marcos, als der Konzerner den selben Schluss ziehen musste. »Lamy…« Law sackte ein eisiger Stein in den Magen, er macht ruckartig kehrt und hastete zum Aufzug des Penthouses. Hinter sich hörte er noch, wie Marco seine Sicherheitsleute sofort in die Gästeetage befahl, doch er konnte nicht auf ihn warten.
 

Wenn irgendjemand diese Viecher wegen diesem seltsamen Bruchstück geschickt hatte und um den Konzerner aus dem Weg zu räumen… dann wäre demjenigen sicher auch daran gelegen, seine Schwester zum Schweigen zu bringen. Immerhin waren sie schon im Krankenhaus hinter ihr her gewesen. Law verfluchte sich selbst für seine fehlende Weitsicht. Warum war ihm der Gedanke nicht gleich gekommen?
 

Auch auf der Gästeetage war eine der Fensterscheiben im Aufenthaltsbereich zerbrochen. Kalter Wind drängte herein, brachte die grünen Bambusstängel ins Wanken und fegte pfeifend durch den Raum. Ein Buch, das aus dem Regal gefallen war, lag nun mit flatternden Seiten auf dem Boden.
 

Law kniff die Augen gegen den unerbittlichen Wind zusammen und steuerte zielgerichtet auf die Tür von Lamys Krankenzimmer zu, die besorgniserregend weit offen stand und im Luftzug schwankte. Er schmeckte das bittere Aroma von Furcht auf der Zunge. Sein augenblicklich rasendes Herz bescherte ihm einen Tunnelblick, sodass er kaum wahrnahm, wie sich die Türen des Aufzuges hinter ihm erneut öffneten und ein Trupp der Sicherheitsleute mit Gewehren im Anschlag heranstürmte.
 

Law spannte sich an, wappnete sich für die grausige Möglichkeit, dass Lamy vielleicht… Oh bitte, lass' sie unversehrt, lass' sie am Leben sein! Er hastete in das Zimmer, mit einem fahrigen Blick erfasste er den gesamten Raum, das kaputte Fenster hier, die umgeworfenen Stühle, den an einer Stelle eingedellten Medizinschrank, als hätte ihn eine mächtige Faust getroffen. Bogenförmige Schmauchspuren zogen sich über die Decke und die Wände, ein leicht brenzliger Geruch lag in der Luft, konnte aber das Aroma der Beschwörungen nicht gänzlich überdecken.
 

Die dünnen Vorhänge bauschten sich im Wind und flatterten über der jungen Frau, die still, aber unverletzt in ihrem Bett lag. Lamy schlief ungerührt, als Law an ihre Seite eilte und ihre zarte Hand ergriff. Ihre Haut war warm und lebendig, ihr Atem ruhig. Er drehte ihren Kopf sanft, suchte nach Verletzungen, doch da war nichts.
 

Die Apparaturen um sie herum vermeldeten durch monotones Piepen den gemächlichen Herzschlag der jungen Frau, allein der Wind, der an ihrem Haar zerrte und eine einzelne, blutige Nagelspur auf ihrem Unterarm, kündeten von dem vermutlich erfolgten Angriff.
 

Law schloss in unendlicher Erleichterung die Augen und ließ die angespannten Schultern herabsacken. Erst dann bemerkte er den blonden, jungen Mann richtig, der mit wirren Haaren und an den Rändern zerfleddertem Laborkittel auf einem umgestürzten Stuhl hockte und die eben hereindrängenden Securitys mit einem schwachen, doch nicht minder selbstzufriedenem Grinsen begrüßte. »Ihr kommt bisschen spät, Jungs, die Party ist schon vorbei.«
 

»Holy Fuck... Sabo«, ein Mann des Sicherheitsteams löste sich aus der Gruppe, ein drahtiger Kerl mit dunkler Haut, Schnurrbart und kunstvollen, dunkelblonden Dreadlocks. Er sah sich kurz prüfend um, dann lehnte er sich das vollautomatische Gewehr gegen die Schulter und grinste breit, »du weißt, wie man feiert, was?!« Drei Männer seiner Einheit sicherten inzwischen die Umgebung.
 

Sabo zuckte mit den Schultern, was ein kurzes, schmerzerfülltes Zusammenziehen seiner Brauen zur Folge hatte. Beiläufig betastete er seine rechte Schulter. »Du kennst mich doch, Rakuyou«, sagte er mit abgekämpfter Lässigkeit, »ich weiß eben nie, wann Schluss ist.« Eine dunkle Blutspur schlängelte sich unter seinen blonden Locken hervor und lief über seine Stirn. Er sah erschöpft aus, dezent übermüdet, doch trotzdem lag ein schräges Schmunzeln auf seinen Lippen.
 

Laws Stimme war rau, als er sich an Sabo wandte und murmelte: »Du hast sie gerettet...!?« Es war viel mehr eine simple Feststellung als eine Frage, immerhin sprach der verwüstete Raum für sich.
 

Trotzdem konnte Law kaum fassen, dass sich ein völlig Fremder so für seine Schwester in Gefahr begeben hatte. Solch selbstloses Handeln war Law aus seinem eigenen, privaten Umfeld einfach nicht gewohnt. Was er hatte, war das klägliche Abbild einer Familie, kein Zusammenhalt aus Pflichtgefühl, Respekt oder Sympathie - sondern ein Käfig aus Angst, Schuld und Wut. Niemand dort würde sich für ihn vor eine Kugel werfen. Er beneidete Whitebeard und Marco um das, was sie sich hier aufgebaut hatten... und was er selbst in seinem Leben in dunklen Stunden schmerzlich vermisste.
 

Sabo machte ein wegwerfende Handbewegung. »Ach, ich habe offenbar nur ein unheimlich gutes Timing für nächtliche, spontane Spaziergänge.« Die typische Laborbrille baumelte um seinen Hals, als er ein letztes Mal die Finger seiner rechten Hand zu einer Faust ballte, wodurch das kybernetische Exoskelett, das er ganz ähnlich eines Handschuhes trug, funkend knirschte, bevor eine fadendünne Rauchwolke aus der Apparatur aufstieg. Nicht nur ein Werkzeug, vielmehr auch eine Waffe, wie Law schien. »Und eine weitere, lange Nachtschicht vor mir, wie's scheint...«, seufzte der junge Techniker.
 

Auch Makino drängte jetzt durch die Gruppe des Sicherheitsteams in den Raum und lief sofort an die Seite ihrer jungen Patientin. Das aufgesteckte Haar der Ärztin war wirr und sie hatte nur rasch einen Morgenmantel übergeworfen, den sie über der Brust zusammenraffte. Erleichtert stellte sie fest, dass alles in Ordnung war, schaffte es aber gleichzeitig, Sabo mit einer Mischung aus Entrüstung und Sorge anzublicken, als der schon Anstalten machen wollte, zu verschwinden. »Junger Mann, mit der Kopfverletzung gehst du nirgendwo hin!«, beschied sie resolut.
 

Widerwillig ließ sich der junge Techniker zurück auf den Stuhl fallen. Rakuyou trat ans Fenster und lehnte sich mit seinem Gewehr in den Händen hinaus, um die Umgebung abzusuchen. Er verengte die dunklen Augen und spähte hinab auf den Eingangshof des Konzernkomplexes, wobei seine rechte Iris bläulich flimmerte. »Scheint, als hätte Fossas Team ein paar von den Mistviechern unten gestellt«, informierte er seine Truppe und gab den Befehl zum abrücken. Die schweren Stiefel der Männer donnerten auf dem Boden, als sie koordiniert wieder abzogen.
 

Nur einer des Teams blieb an der Tür mit der Waffe im Anschlag stehen und war offenbar für Lamys und Makinos Sicherheit abgestellt. Law legte die Hand seiner Schwester zurück auf das Bett, dabei glitt sein Blick zufällig durch die flatternden Vorhänge aus dem Fenster. Details waren für ihn so völlig ohne Kybernetik kaum zu erkennen, doch etwas eigenartiges erregte seine Aufmerksamkeit.
 

Eine der größeren Hauptverkehrsadern Tokios führte geradewegs auf den Newgate Tower zu und trotz der Uhrzeit war die Straße gut befahren, fast schon überfüllt. Einige Lieferwagen krochen durch die Stadt, um ihre Ladungen noch vor dem Morgengrauen und der Rushhour loszuwerden. Hier in Ikebukuro war ein Hauptteil der Industrie und Nahrungsmittelhersteller ansässig, weswegen dieses Viertel fast rund um die Uhr belebt war. Daneben waren noch einige verspätete Partygäste in den vollautomatisierten, fahrerlosen Luxustaxis unterwegs, die wie goldene Funken durch die Straßen rollten.
 

Breite, helle Scheinwerfer bewegten sich mit eindeutig überhöhter Geschwindigkeit durch den Verkehr. Der riesige, schwarze Militärtransporter, der eben hinter einem Lastwagens ausgeschert war, gab ein unerbittliches Tempo vor, überfuhr eine rote Ampel und produzierte damit ein empörtes Hupkonzert. Ihm folgte ein ebenso schwarzer Lieferwagen dicht auf. Die beiden Fahrzeuge hielten eindeutig auf den Newgate Tower zu. Man könnte das für Zufall halten... doch an Zufälle glaubte Law eher selten.
 

Er löste sich vom Fenster und hastete in sein Zimmer hinüber, wo er sich eilig seine gelbe Motorradjacke überwarf und sein Katana schnappte, das er sich wie üblich auf den Rücken schnallte. Dann machte er sich mit dem Lift auf den Weg ins Erdgeschoss. Irgendjemand hatte vorgehabt, Lamy und Marco zu töten… und derjenige war entweder auf dem Weg, um seine Arbeit zu Ende zu bringen oder aber, um seine Missgeburten einzusammeln, die man unten im Hof in Schach hielt. Die Wachleute wussten wahrscheinlich nicht einmal, was da auf sie zurollte.
 

Laws Mundwinkel verzogen sich grimmig. Er verspürte das unbändige Verlangen, diese namenlose Bastarde Bekanntschaft mit dem goldäugigen Dämon schließen zu lassen. Scharfe Mordlust wühlte ihn auf und versuchsweise tastete er nach seiner Magie, ließ nach dem erwachenden, ziehenden Schmerz aber die Finger davon. Nun gut, dann eben auf die herkömmliche und traditionelle Art und Weise.
 

Das Foyer war nur sporadisch beleuchtet und verwaist, von draußen erklangen gedämpft hektische Rufe, Hundegebell und das aggressive Fauchen der in die Ecke gedrängten Beschwörungen. Ein schillernder Koi in dem künstlich angelegten Teich schnappte überrascht nach Luft und schwamm hektisch davon, als Law rasch die kunstvolle, rot lackierte Brücke überquerte, seine Schritte ein dumpfes Echo in der Halle.
 

Vor ihm öffnete sich die gläserne Tür zum Innenhof säuselnd, wo eine Handvoll Männer der Security einige der überlebenden und geflüchteten Wesen gestellt und eingekreist hatten. Einer der Männer hielt einen Schäferhund an der Leine, der die Zähne fletschte und das Fell im Angesicht der absonderlichen Wesen sträubte. Ein stummer Alarm schickte den gelben Schein einer Rundumleuchte über den feucht schimmernden Asphalt des Hofes. Glücklicherweise hatte sich der Regen inzwischen in feinen Niesel verwandelt.
 

Die Kreaturen hockten geduckt über dem Boden und schlugen aufgebracht mit den ledrigen Flügeln. Die grausigen Münder bleckten die Zähne, eines der Wesen zischte den am nächsten stehenden Wachmann an und schlug mit dem peitschenartigen Schwanz nach ihm. Ein Warnschuss ließ die Kreatur hektisch zurückfahren.
 

Der dunkelhaarige Schütze namens Izou zielte von einem der Wachtürme mit seinem imposanten Scharfschützengewehr auf die Wesen. Der rote Laser seiner Zielsuchvorrichtung positionierte sich auf der Stirn der größten der Kreaturen, die zitternd die Lefzen hochzog und die fledermausartigen Flügel aufspannte. Trotzdem sie keine Augen hatten, schienen die Wesen ihre Umgebung doch genaustens wahrzunehmen zu können. In den knorrigen Finger der Kreatur schimmerte ein metallischer Gegenstand.
 

Die Flutlichter aller Wachtürme waren auf das Innere des Komplexes gerichtet. Die Straße behielt vermutlich niemand im Blick und Law suchte die Menge nach Jozu ab, um ihn zu warnen. Doch alle Kreaturen reckten mit einem Mal den Kopf, als würden sie etwas wittern und ihre grotesk lippenlosen Münder verzogen sich zu der Karikatur eines ehrfürchtigen Lächelns...
 

Law spürte es im gleichen Augenblick. Etwas zog auf, wie die belastende Schwüle vor einem Gewitter, unheimlich, bedrohlich und alt. Macht prickelte in der Luft und drückte auf seine Sinne, ließ ihn schwerer Atmen. Nur besonders mächtige MAGs konnten eine solche Aura, ein solches Halo heraufbeschwören und entfesseln...
 

Hinter Law erklangen schwere Schritte und er sah über die Schulter, erblickte Marco, der aus dem Fahrstuhl eilte, mit todernstem Gesicht und einer gezogenen Sig Sauer in der Hand. Der Konzerner hatte sich angezogen, trug jetzt ebenso dunkle Schutzkleidung wie sein Sicherheitsteam und Holster mit Ersatzmagazinen um die kräftigen Oberschenkel geschnallt. Sein Trenchcoat flatterte hinter ihm, als er über die Brücke im Foyer auf Law zulief.
 

Law wollte ihm eine Warnung zurufen… doch unvermittelt senkte sich schwere Dunkelheit herab, löschte alles Licht restlos aus, als hätte man den Deckel über einem Sarg zuschlagen lassen. Es war nicht so, als wäre plötzlich der Strom ausgefallen und alle Lampen erloschen, denn selbst in dunkelster Nacht konnte man zumindest Schemen und Umrisse erkennen. Das hier war anders... als hätte etwas sämtliches Licht aufgesogen und nichts zurückgelassen als tiefdunkle, drückend warme Schwärze. Nicht ein Funken Helligkeit war geblieben.
 

Law konnte nicht einmal mehr die Hand vor Augen erkennen, geschweige denn auch nur einen Meter weit sehen. Er versuchte sich zu orientieren und tastete nach dem gläsernen Rahmen der Eingangstür, ließ die Finger über das angrenzende Mauerwerk fahren, um das Gefühl abzuschütteln, schwerelos und verloren in einem Meer aus absoluter Leere zu treiben. Sein eigener Atem hallte überdeutlich in seinen Ohren nach und er fühlte sich seiner Sinne wie beraubt.
 

Die Stimmen auf dem Innenhof wurden lauter, die Männer riefen sich angespannt Befehle zu und versuchten sich zu koordinieren, bevor schnell Panik ausbrach… und das Schreien begann. Die Kreaturen, ohne Augen an völlige Finsternis gewöhnt, nutzten offenbar ihre Chance und stürzten sich auf die Wachmänner. Das nasse Geräusche von reißendem Fleisch tönte durch die bodenlose Dunkelheit, das gurgelnde Röcheln eines Mannes, dem das Blut offenbar in die eigene Kehle floss.
 

Law griff nach dem Schwert auf seinem Rücken, auch wenn er wusste, dass ihm das Katana wenig nützen würde, wenn ihn etwas aus der Finsternis heraus ansprang. Er würde den Tod nicht kommen sehen...
 

»Law...?!«
 

Law zuckte zusammen, als jemand unvermittelt und fast direkt hinter ihm seinen Namen aussprach. Er musste seinen Muskeln Einhalt gebieten, nicht reflexartig sein Schwert zu schwingen, bevor er realisierte, dass es Marco war. Der Konzerner musste sich durch die Dunkelheit bis zu ihm vorgekämpft haben.
 

Law tastete blind nach dem anderen Mann. Seine Finger glitten über schweren, festen Stoff auf einer breiten Brust, dann den Mantelärmel hinab, bis er Marcos Hand ergriff und ihn zu sich zog. »Ich bin hier«, antwortete er, ließ die fremden Finger aber nicht wieder los, gänzlich ungeachtet der Intimität dieser Geste. Sie beide brauchten in diesem Moment spürbar den Bezug zur Wirklichkeit, um in dieser abscheulichen Finsternis nicht den Verstand zu verlieren und Marco erwiderte den Händedruck dankbar.
 

»Hast du den MAG sehen können?« Marcos sonst so sanfte, tiefe Stimme klang spröde und angespannt. Nicht einmal seine Kybernetik schien der drückenden Finsternis gewachsen zu sein und Law konnte sich vorstellen, dass diese Dunkelheit für den Konzerner besonders schrecklich sein musste... immerhin war er einst in einem dunklen Scornbau gefangen gewesen. »Ich habe nur seine Aura wahrgenommen...«
 

»Leider nein, aber ich habe ihn auch gespürt... vermutlich ein Rang A Erebomant.« Law war froh über die beständige, sanfte Präsenz des Konzernes im Rücken, die ihm irgendwie Sicherheit vermittelte.
 

Plötzlich heulte ein dröhnender Automotor auf, das Geräusch durchdrehender Räder auf Asphalt erklang über dem Heulen der Wesen und den chaotischen Rufen der Securitys und kurz darauf donnerte etwas wie ein Rammbock gegen das eiserne Eingangstor des Komplexes. Das Metall kreischte und zumindest ein Torflügel wurde vermutlich aus der Verankerung gerissen, denn es krachte und ein heftiger Windstoß kam Law und Marco entgegen.
 

Mindestens zwei Fahrzeuge rasten die Einfahrt hinauf, hielten mit quietschenden Bremsen unweit des Eingangs und Autotüren wurden aufgerissen. Trampelnde Schritte erklangen, dann wurden Schüsse abgefeuert, in dem Augenblick, indem sich die Dunkelheit wie ein Nebelfetzen unter einer beharrlichen Böe verzog und Law erleichtert aufatmen ließ.
 

Der Lieferwagen und das gepanzerte Militärfahrzeug standen unweit vor ihnen im Hof, beide hatten die Hecktüren weit geöffnet und eine Truppe aus Söldnern hatte sich perfekt koordiniert in einer bogenförmigen Formation um den Lieferwagen positioniert. Sie schossen jetzt auf die völlig überrumpelten und noch orientierungslosen Wachmänner, bildeten eine Passage für die Kreaturen, die ihre Chance nutzten und mit langen Sätzen zu dem wartenden Wagen sprinteten.
 

Law entdeckte jetzt Jozu, dessen Haut sich zu einer silbernen Diamantschicht verhärtet hatte und der damit der einzige war, der sich den Eindringlingen offen nähern konnte. Die auf ihn abgefeuerten Kugeln prallten funkensprühend von ihm ab und der riesige Sicherheitsmann hob jetzt selbst sein Gewehr und erwiderte den Beschuss.
 

Die beschworenen Wesen sprangen eilig in den Laderaum des Lieferwagens, wo der Schein eines Flutlichtes eine Frau mit orangen Haaren streifte, die in die Knie ging und die missgestalteten Kreaturen wie ihre eigenen Kinder liebevoll begrüßte. Die Frau, der das fransige Pony soweit ins Gesicht hing, dass man ihre Augen nur erahnen konnte, verzog die rot geschminkten Lippen zu einem zufriedenen Lächeln und nahm das gestohlene Bruchstück von einem der Wesen entgegen.
 

Augenscheinlich war das die Beschwörerin, denn die Viecher umschwärmten sie, als sei sie das Licht ihrer Sonne. Von dem Erebomanten war im Augenblick nichts zu sehen und zu spüren, was jedoch nichts bedeuten musste. Law war sich fast sicher, dass der höchstbegabte MAG ebenfalls in einem der Fahrzeuge saß.
 

Die Türen des Lieferwagens schlugen wieder zu und die Söldner zogen sich geduckt und noch immer feuernd zu dem Militärtransporter zurück. Dann trat der Lieferwagen schon den Rückzug an und raste die Einfahrt hinunter. Der ganze Angriff war so schnell und perfekt abgestimmt passiert, dass die Männer der Security kaum eine Chance gehabt hatten, wirklich darauf zu reagieren.
 

Nur Marco setzte sich jetzt geistesgegenwärtig in Bewegung und feuerte gezielt auf die Räder des flüchtenden Lieferwagens, bevor der Konzerner hinter einer breiten Säule des überdachten Eingangsbereiches in Deckung gehen musste, da eine Salve Gewehrschüsse auf ihn niederprasselte. Law sprang über einen Mauervorsprung in Sicherheit, als knapp neben seinen Füßen Kugeln in den Asphalt einschlugen.
 

Auch er zog jetzt sein Schwert und versuchte sich geduckt an den Transporter heranzupirschen, doch dessen Motor röhrte bereits auf und die letzten Söldner zogen sich in den Innenraum zurück. Ein nur allzu bekanntes Gesicht aus dem Krankenhaus blickte Law jetzt vom Beifahrersitz des Fahrzeuges entgegen, als dieses an ihm vorbei raste, und ließ ihn wütend die Zähne blecken.
 

Für einen Augenblick sah ihn der bleiche Kerl mit den violetten Lippen fast überrascht an, als hätte er Law hier nicht erwartet, dann griff er sich in einer spöttischen Geste an den Zylinder und grinste höhnisch. Der Wagen machte einen Satz durch das zerstörte Tor hinaus auf die Straße und folgte dem Lieferwagen, der schon auf die nächste Kreuzung zuhielt, um im dichten Verkehr der langsam erwachenden Stadt untertauchen zu können.
 

Izou schoss von seiner erhöhten Position noch ein paar Mal auf die flüchtenden Autos, bevor der Scharfschütze hinter der halbhohen Brüstung des Wachturmes Schutz suchen musste, da man aus den getönten und halb heruntergelassen Scheiben des Militärtransporters das Feuer gnadenlos erwiderte. Pfeifend hämmerten die Kugeln in die Außenmauer des Komplexes.
 

Law schob das Katana zurück auf seinen Rücken, während er bereits zum Eingang der Tiefgarage lief, wo sein Motorrad noch genau da stand, wo er es erst vor ein paar Stunden schmerzgeplagt hatte stehen lassen. Er schwang sich auf die Sitzfläche, schloss den Reißverschluss seiner hastig übergestreiften Jacke und schob sich die schmale Motorradbrille auf die Nase. Dann startete er die Kusanagi, bevor er Gas gab und entschlossen auf das nur noch in den Angeln hängende Tor zusteuerte. Er würde diese Scheißkerle aufspüren und ausschalten.
 

Womöglich würde diese Organisation - jetzt, nachdem sie ja offenbar hatten, was sie wollten - Ruhe geben, womöglich würden keine weiteren Mordanschläge auf Lamy oder Marco folgen, doch ein 'Womöglich' war Law in dieser Angelegenheit längst nicht mehr genug. Obwohl er sich aus diesem ganzen Senatskram ehrlich hatte heraushalten wollen, war er inzwischen schon viel zu persönlich involviert, um noch wirklich unbeteiligt zu sein. Ganz abgesehen vom Wohl seiner Schwester war es ihm leider auch nicht mehr egal, was mit Marco Phoenix passierte.
 

Bevor Law das Tor jedoch erreichen konnte, stellte sich ihm Marco in den Weg, sodass er notgedrungen abbremsen musste. Der Konzerner steckte seine Waffe in das Holster unter seinem dunklen Trenchcoat zurück und sagte sehr bestimmt: »Ich komme mit.« Seine kybernetischen Brillengläser schimmerten bläulich, als er vermutlich Daten empfing. »Izou hat dem Lieferwagen eine nachverfolgbare Kugel verpasst. Haruta schickt mir die GPS Daten. Du wirst mich brauchen, wenn du sie verfolgen willst.«
 

Dieser bestechenden Logik hatte auch Law nicht viel entgegen zu setzen und nahm gezwungenermaßen das kleine Headset entgegen, das der Konzerner ihm reichte, um es an seinem Ohr zu befestigen. Marcos Gesicht zeigte nichts als wilde Entschlossenheit, seine Haltung war unerbittlich, genau wie der harte Ausdruck in seinen Augen. Es war der Blick eines Mannes, der eine Mission hatte - der Blick eines Soldaten. Von dem weltgewandten, charmanten Konzernchef war in diesem Moment nicht mehr viel zu sehen.
 

Law streckte Marco wortlos die Hand entgegen - mit einer Selbstverständlichkeit, die ihn selbst überraschte - und der ergriff seinen Unterarm, um sich hinter ihm auf das Motorrad zu schwingen. Die Kusanagi schoss aus dem Tor auf die Straße und Law versuchte die irritierend angenehme Nähe des großen, warmen Körpers hinter sich auszublenden, als er Gas gab und das vertraute Schnurren des Motorrads durch seine Knochen rollte.
 

So nah kam er kaum jemandem, wenn er nicht gerade das Bett mit einer flüchtigen Bekanntschaft teilte und selbst da hielt er sich emotional auf Abstand und versuchte den Körperkontakt stets auf den zwingend nötigen Rahmen zu begrenzen. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Leute durch seine abweisende, unterkühlte Art vermutlich auch kein großes Bedürfnis verspürten, ihm nahe zu kommen, aber Marco dagegen… war ihm gegenüber irgendwie völlig frei von Berührungsängsten.
 

Auch jetzt legte der Konzerner völlig selbstverständlich einen Arm um seine Hüfte und drückte sich eng an Laws Rücken, um so wenig wie möglich Angriffsfläche für den scharfen Fahrtwind zu bieten. Über das Headset konnten sie sich trotz der Motorgeräusche und das Rauschen des Windes klar unterhalten und Marco informierte Law mit kurzen Anweisungen, in welche Richtung die flüchtigen Fahrzeuge unterwegs waren.
 

Es stellte sich heraus, dass es ein überhasteter, aber durchaus guter Entschluss gewesen war, die Angreifer mit der Kusanagi zu verfolgen, denn auf den vollen Straßen der Stadt hätte ein Truppentransporter schnell den Anschluss verloren. So aber spürten sie die beiden Wagen ziemlich schnell auf dem stadtinternen Highway wieder auf, wo sie in Richtung Norden unterwegs waren. Mit Sicherheit hatte diese Gruppierung irgendwo in der Stadt ihre Basis.
 

Der schwarze Lieferwagen hatte das Tempo eindeutig gedrosselt und kroch recht träge auf der äußeren Spur des Highways dahin, eines der Hinterräder schien getroffen und verlor offenbar an Reifendruck. Der Militärtransporter fuhr hinter ihm, um den Rückzug zu decken, scherte aber sofort aus und ließ sich zurückfallen, kaum, dass Law im Windschatten hinter zwei weiteren Autos nah genug herangekommen war. Man hatte sie also kommen sehen.
 

Der Transporter war fast mit ihnen gleich auf und öffnete schon die Seitentür, da spürte Law, wie Marco das Gewicht hinter ihm verlagerte, um seine Waffe zu ziehen. Aus dem Inneren des Fahrzeugs eröffnete man das Feuer auf sie, ungeachtet der vielen, zivilen Autos und Law gab sich alle Mühe, mit raschen Spurwechseln und haarscharfen Manövern dem Beschuss auszuweichen.
 

Das riesige Militärfahrzeug dagegen pflügte sich rücksichtslos durch die Autos auf dem Highway und drängte mehrere Kleinwagen einfach von der Spur. Eines der ferngesteuerten Taxis wurde an die Begrenzungsmauer gestoßen und überschlug sich funkensprühend.
 

Marco erwiderte das Feuer und verschaffte ihnen damit einige Atempausen, denn fast jeder seiner Schüsse traf. Einer der Söldner kippte getroffen aus dem schwarzen Wagen und wurde vom nachfolgenden Verkehr überrollt. Der dunkelhaarige Kerl auf dem Beifahrersitz hatte das Gesicht nun wütend verzogen. Offenbar lief es nicht gänzlich nach Plan und seine herrischen Mundbewegungen ließen darauf schließen, dass er seinen Leuten Befehle erteilte.
 

»Law, setz' dich vor sie und lass' sie ruhig aufholen. Ich hab' eine Idee«, erklärte Marco ihm über Funk. »Wenn ich dir Bescheid gebe, bremst du ab und bringst uns auf Höhe der Fahrerseite.«
 

Law zögerte nicht bei Marcos festem, entschlossenem Tonfall. Er trieb die Kusanagi an, um nach vorn zu preschen und sich fast direkt vor den röhrenden Transporter zu setzen. Der Konzerner drehte sich halb auf dem Sitz und schoss einige Kugeln auf die gepanzerte Windschutzscheibe.
 

Der Wagen gab nun Gas und kam ihnen schnell näher. Vor dem Motorrad fuhr ein Lastwagen mit mehreren Anhängern und Law war klar, dass der Transporter versuchen würde, sie zwischen sich und dem LKW einfach zu zerquetschen. Zumindest schienen sie Marcos Köder geschluckt zu haben... was auch immer der vorhatte.
 

»Marco...«, grollte Law angespannt und drängend. Sein Reflex riet ihm zum Abdrehen, doch er wollte dem Konzerner vertrauen. »Egal, was du vorhast, mach's schnell!« Er konnte bereits die winzige Schrift auf der flatternden Plane des Lastwagens vor ihnen erkennen... noch ein paar Sekunden und sie wären nichts weiter als organischer Brei auf dem Kühlergrill des Transporters mit dem wütend brüllenden Motor hinter ihnen.
 

»Jetzt«, erlöste ihn Marcos tiefe Stimme im Ohr und Law stieg auf die kreischende Bremse und zog zur Seite. Der Fahrer des Transporters war von dem raschen Spurwechsel überrumpelt... und Marco gab ihm auch nicht die Gelegenheit, noch zu reagieren. Er hob die Waffe und feuerte nur eine gezielte Kugel in eine winzige Lücke der Karosserie. Wenn man sich nicht mit der Beschaffenheit dieser Autos auskannte, hätte man diese Schwachstelle nie sehen können...
 

Der Transporter stotterte bedrohlich, Rauch kroch unter der Motorhaube hervor und der Fahrer verlor augenblicklich die Kontrolle über den schlingernden Wagen. Er brach aus und knallte in ein weiteres Auto, während der panische Mann hinter dem Steuer verzweifelt an dem Lenkrad riss. Kopflos zerrte er das Lenkrad herum... und der Transporter schlitterte mit quietschenden Reifen über die Fahrbahn, stellte sich quer und krachte auf die Seite, wobei er seine ungeschützte Unterseite entblößte.
 

Marco zielte erneut und schoss präzise auf den Unterboden des Transporters, der mit funkensprühendem Metall hart gegen die Begrenzungsmauer prallte... und dann Feuer fing. Law gab Gas und ließ den rauchenden Wagen hinter sich, der kurz darauf in einem heißen Feuerball explodierte, wie er zufrieden im Rückspiegel beobachtete. »Gute Arbeit«, raunte er anerkennend, auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass der Typ mit dem Zylinder überlebt hatte. Garantiert hatte er sich mit einem Portal gerettet.
 

»Bleibt noch einer...«, erinnerte Marco und wies Law die Richtung des Lieferwagen, den sie inzwischen aus den Augen verloren hatten, doch schnell auf dem Highway wiederfinden konnten. Sie kamen dem schwarzen Auto immer näher, Marco wechselte rasch mit einer Hand das Magazin seiner Waffe... da traf Law mit einem Mal eine Woge aus Macht.
 

Seine mentalen Barrieren zerschellten förmlich unter der unerwarteten, hinterhältigen Attacke. Existenzielle, irrationale Angst grub sich wie ein bohrender Parasit in seinen Verstand und raubte ihm augenblicklich die Fähigkeit zu denken, zu handeln, zu fühlen, zu atmen... das Motorrad begann bedrohlich zu schwanken, da Law bei voller Fahrt die Hände vom Steuer riss und an seinen Kopf presste. Er schrie, weil die fürchterliche Angst ihn wie ein Raubtier gepackt hatte und in jeden Winkel seines Geistes kroch.
 

»Law!« Marcos Wärme umfing ihn, er spürte die Magie des Konzerners, die sich wie ein Schutzschild über ihn legte und den Schmerz und die schreckliche Furcht verdrängte. Nur ein dumpfes Pochen blieb, als würde die bösartige Magie frustriert gegen den Schild hämmern. Marcos große Hand drückte Law beruhigend gegen seinen Körper, bevor er mit zitternden Händen rasch wieder nach dem Steuer griff und die Kusanagi auf Spur hielt. »Alles in Ordnung?!«
 

Law schluckte, um seine Stimme wiederzufinden. »Geht schon...« Der Angriff hallte immer noch wie ein verstörendes Echo durch seine Knochen und wenn Marcos mentaler Schutzschild ihn nicht gerettet hätte, hätte ihm diese Attacke vielleicht seinen Verstand nachhaltig zerschmettern können... sein zornig glimmender Blick fokussierte sich auf den Lieferwagen, denn ihm kam ein düsterer Verdacht.
 

In dem Augenblick flogen die Hecktüren des Lieferwagens auf, doch anstatt der Beschwörerin standen dort zwei Männer mit bronzefarbener Haut und dunklen Haaren und trotzten dem Fahrtwind. Sie trugen porzellanähnliche, weiße Masken über dem oberen Teil ihres Gesichtes und beide eine Art silbernen, altertümlichen Harnisch und dazugehörigen Lendenschurz. Sie hätten Zwillinge aus einem Historienfilm sein können... und ihre Macht war beinahe greifbar zu spüren.
 

Law hätte so ziemlich alles darauf gewettet, dass die beiden der Erebomant und der Phobiokinet dieses komischen Zirkels waren...
 

Er spürte erneut eine Woge aus Magie gegen seine mentale Barriere branden, die sich wie ein geifernder Köder gegen den Wall warf. Doch Marcos Schutzschild hielt. Der rechte Kerl verzog daraufhin die Mundwinkel wütend und bleckte die weißen Zähne, dann griff er hinter sich und warf allen ernstes einen Speer - direkt auf Laws Brust zu.
 

Law riss am Steuer und wich der kraftvollen Attacke nur um Haaresbreite aus. Die antike Waffe bohrte sich krachend in den Asphalt neben ihnen und die schiere Wucht der Erschütterung riss die Straße auf. Ein Auto hinter ihnen, dass nicht schnell genug reagieren konnte, prallte mit ungebremster Geschwindigkeit gegen den Speer und überschlug sich.
 

Der Konzerner hob seine Sig Sauer und schoss auf die Männer, doch hinter dem anderen bäumten sich nun tentakelartige Schattenfinger auf wie die Köpfe einer Hydra. Diese Gebilde aus Dunkelheit schossen vor und peitschten die Pistolenkugeln einfach beiseite, bevor sie unter einige Autos fuhren, die Fahrzeuge bei voller Fahrt hochschleuderten und in ihre Richtung warfen.
 

Law hatte ernsthaft Mühe, die Kusanagi noch auf der Straße zu halten, während rund um sie herum die Autos zu Boden krachten und scheppernd auf dem Asphalt aufschlugen. Noch dazu peitschten die Schattententakel des Erebomanten unablässig nach ihnen, prallten immer wieder gegen die hektisch ausschwenkenden Autos, die den Attacken irgendwie zu entkommen versuchten.
 

Einige Autos scherten urplötzlich und ohne ersichtlichen Grund aus, doch als Law an einem von ihnen vorbei raste, sah er das angstverzerrte Gesicht eines Mannes hinter der Scheibe, der halb wahnsinnig mit bloßen Nägeln über seine schon blutende Kehle kratzte. In seinen Augen stand die nackte Panik.
 

Inzwischen herrschte ein schreckliches Chaos auf dem Highway, denn der Lieferwagen zog eine Schneide der Verwüstung aus hupenden und qualmenden, zerstörten Autos hinter sich her. Der Erebomant wütete wie im Wahn, als hätte er seine Magie viel zu lange zurückhalten müssen.
 

»Law, dreh' ab... wir kommen nicht an sie ran, das ist zwecklos«, redete Marco beschwörend auf Law ein, doch er dachte gar nicht daran, so kurz vor dem Ziel einfach aufzugeben. Er wollte Vergeltung für seine Schwester und riss grimmig an seiner Magie, entgegen dem Wissen, dass ihn das durchaus töten konnte.
 

Obwohl ihm sofort der stechende Schmerz antwortete, schickte er dem Lieferwagen eine Welle kinetischer Energie entgegen, fahrig, nicht wirklich machtvoll, doch es reichte, um das Fahrzeug aus der Spur zu bringen und gegen die Begrenzungsmauer prallen zu lassen. Nun sahen ihn die beiden Kerle zwischen den offenen Hecktüren direkt an und erkannten offensichtlich, was er war - eine Gefahr.
 

Der Erebomant grinste, ein unheilvolles, abscheuliches Grinsen, als würde er sich über einen ebenbürtigen Kontrahenten freuen, bevor er den Arm ausstreckte und allein mit seinen materialisierten Tentakeln aus Dunkelheit einen tonnenschweren Sattelzug ergriff und hochhob, als wäre es nicht mehr als ein Spielzeug... und das Fahrzeug nach ihnen warf.
 

Law hörte Marco fluchen und hatte nur Sekunden, um zu reagieren, Sekunden, in denen er sich entscheiden musste. Sie konnten diesem riesigen Geschoss nicht mehr ausweichen, dafür waren sie zu nah dran, aber... »Halt dich fest«, befahl er Marco und gab zusätzlich Gas, um noch schneller auf den Sattelzug zuzurasen, der eben auf die Fahrbahn krachte, sich wie ein sterbender Riese aufbäumte... und eine Lücke zwischen dem Anhänger und dem Truck offenbarte, der unaufhaltsam wie ein Wall aus funkenschlagendem Eisen auf sie zurutschte.
 

Auch wenn er das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen, aktivierte Law mit zusammengebissenen Zähnen seine Magie und ließ eine Schutzblase um sie entstehen, kurz bevor er das Motorrad zur Seite riss und sich in die Kurve legte, so tief, dass seine Schulter fast den Asphalt streifte. Als er schon dachte, den Schmerz kaum mehr aushalten zu können, fühlte er Marcos Magie in seinen Geist greifen - und er ließ ihn gewähren. Die hämmernde Pein ließ nach, als würde der Konzerner ihn mit seiner Kraft stabilisieren.
 

Laws Magie bildete das Polster, damit sie nicht auf der Straße zerfetzt wurden, als sie so haarscharf unter dem über ihnen hinweg dröhnenden Sattelzug hindurch glitten. Er spürte den Luftzug des massigen Fahrzeuges und die Wärme der gewaltigen Reifen, die nur Zentimeter von seiner Wange entfernt über ihnen hinweg schossen.
 

Der Sattelzug krachte in einige Autos und überrollte diese wie eine Walze, bevor er qualmend und zerstört erst eine halbe Meile weiter liegen blieb. Law musste seine Magie mit einem Keuchen loslassen und verlor die Kontrolle über das Motorrad. Er und der Konzerner wurden von der Kusanagi geschleudert, die noch einige Meter mit drehenden Reifen über den Asphalt schlitterte. Law wappnete sich schon für einen heftigen Aufprall, doch Marco drückte ihn an sich und drehte sich so, dass er den Großteil des Sturzes mit seinem Körper abfing, während sie über den Boden rutschten und dann liegen blieben.
 

Law stemmte sich sofort in die Höhe, riss sich die geborstene Brille von der Nase und tastete panisch nach dem Puls des Konzerners, der unter ihm lag und sich nicht rührte. Das ist meine Schuld... ich habe ihn umgebracht... Eisige Angst überlagerte alles andere, es war Law in diesem Moment sogar egal, dass der Lieferwagen und ihre Feinde inzwischen längst verschwunden waren. Er wollte in diesem Moment einzig und allein, dass sich diese blauen Augen wieder öffnen würden... weil er es irgendwie nicht ertragen hätte, diesen Mann zu verlieren.
 

»Marco...«, Laws Stimme klang rau und ein Stück weit panisch, als er das Gesicht des Konzerner hektisch musterte... der daraufhin aber die Stirn in Falten zog, die Augen mit einem unterdrückten Stöhnen aufschlug und beruhigend nach Laws zitternden Fingern griff, die sich in seinen Mantelaufschlag gekrallt hatten.
 

»Keine Sorge, ich leb' noch...«, murmelte er mit einem schräg gehobenen Mundwinkel und eine wahnsinnige Erleichterung überkam Law. »Aber wir müssen das jetzt nicht unbedingt so bald wiederholen«, flachste der Konzerner mit kratziger Stimme, während er sich langsam aufsetzte und die Lage rasch sondierte.
 

Die Erschöpfung und das nachlassende Adrenalin ließen Law frösteln, während er die Zerstörung umher zur Kenntnis nahm. Seine Kusanagi hatte zwar einiges abbekommen, aber das war nichts, was man nicht wieder reparieren könnte. Viel wichtiger war, dass Marco und er halbwegs unversehrt aus der Sache herausgekommen waren. Der Zirkel war definitiv nicht zu unterschätzen, nicht mit solch mächtigen MAGs in ihren Reihen.
 

In der Ferne erklang Sirenengeheul und das Geräusch von Rotorblättern sich nähernder Hubschrauber. Nicht lange und hier würde es vermutlich vor Polizei und Presse nur so wimmeln. »Wir sollten verschwinden«, beschied Marco mit ernstem Gesicht und deutete auf ein Flugzeug, dass sich aus den Lichtern der Stadt löste und schnell näher kam. Law erkannte es als den Jet der Newgate Corp., den Marco offensichtlich angefordert hatte. Im Moment blieb ihnen erst einmal wohl nur der Rückzug.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück