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Erster Teil – Kapitel 1: Die neue Welt

„Argh! Nach all der Zeit schaffst du es immer noch, Landungen zu vermasseln??“ Kurogane zeterte grässlich, nachdem er, Shaolan und Fye hart auf den Erdboden geknallt waren.

„Mokona friert immer noch ganz schlimm“, bibberte die kleine, weiße Gestalt jammervoll, „deswegen wollte Mokona ganz schnell weg aus dieser Welt.“

„Armes Ding“, sagte Fye voller Mitleid, „wird dir denn nun wieder warm?“

Bei diesen Worten sprang Mokona dem noch auf dem Boden sitzenden Magier in die Arme und kuschelte sich an seinen Brustkorb. Von den drei Männern trug Fye aus der vorigen Welt die flauschigste Kleidung. Es war ein langes, weißes Gewand mit einem Muster aus blauen und roten Halbkugeln, die sich gegenseitig zu einem Ganzen ergänzten, einer Hose in den gleichen Farben und einem warmen, mit Federn gefütterten beigefarbenen Mantel darüber, den Fye sogleich über Mokona zuzog, damit es ihr wärmer wurde.

„Du verhätschelst den Klops“, kritisierte Kurogane und ließ beiläufig seinen Blick über Shaolan wandern, um zu prüfen, ob der Junge den Aufprall unbeschadet überstanden hatte. Wie es schien, hatte er dies. Genau wie er selbst stand Shaolan schon wieder und wirkte erleichtert, dass niemandem bei der unsanften Landung etwas zugestoßen war. Der lange, grüne Umhang des Jungen flatterte im Wind und ließ seinen schwarzen Rollkragenpullover und sein grüne Hose zum Vorschein kommen. Kurogane trug ein ähnliches Outfit, nur dass sein Umhang und seine Hose rot waren und er einen einfachen Pullover anhatte. Keiner von beiden hatte – wie Mokona in der vorigen Welt festgestellt hatte – einen hohen Kuschelfaktor.

„Immerhin scheint das Wetter hier gemäßigter zu sein“, äußerte Shaolan nachdenklich, während er sich die karge Landschaft, die sich um sie herum ausbreitete, betrachtete. So weit das Auge reichte, waren nur trockener Boden und kümmerliche Sträucher zu sehen. Der Himmel war merkwürdig grau-lila gefärbt und es war keine Sonne zu sehen. Trotzdem war es nicht kalt. Ob es hier Menschen gab? Es schien keine Stadt in der Nähe zu sein, doch dann wiederum waren sie anscheinend in einer kleinen Senke gelandet und sein Blick reichte nicht so weit, wie er es tun würde, wenn er ebenerdig stände.

„Hmpf“, machte Kurogane, den Blick nach oben gerichtet. „Wir sollten uns hier umsehen und einen Unterschlupf finden. Keine Ahnung, ob das ein Unwetter gibt oder ob der Himmel hier immer so aussieht, aber ich habe ein ungutes Gefühl.“

„Es gibt hier Magie.“ Fye sah vom Boden aus ebenso empor. „Sie ist äußerst stark und … irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl.“

„Na toll“, entgegnete der Ninja grummelnd, „'ne kurze Pause wäre ja auch zu viel verlangt gewesen.“

„Sei nicht gleich so ein Schwarzmaler … Schwarzilein.“ Fye kicherte über seinen eigenen Wortwitz und freute sich, dass es unter seinem Mantel ebenso kicherte.

„DAS IST NICHT MEIN NAME!“, fauchte Kurogane ihm entgegen.

„Sollen wir uns hier umsehen?“, warf Shaolan ein, immer wieder überrascht, dass dem Magier immer noch neue Spitznamen einfielen. „Oder ... sollen wir weiterreisen?“ Sein unsicherer Blick wanderte von Kurogane zu Fye und verriet sein schlechtes Gewissen. Er und Mokona waren die einzigen, die in der vorigen Welt nicht verletzt worden waren. Und das war den beiden Älteren zu verdanken.

„Ich denke, wir sollten uns erst einmal hier umsehen“, antwortete Fye, „vielleicht ist diese Welt gar nicht so schlecht und wir können uns hier etwas erholen.“ Er schickte ein sanftes Lächeln hinterher. „Du brauchst keine Schuldgefühle zu haben, Shaolan. Papa und ich sind nicht aus Glas, wir werden wieder, richtig, Kuro-pon?“

„DAVON WAR AUCH NICHTS MEIN NAME! Aber, ja, ansonsten hat der Idiot ausnahmsweise mal Recht.“ Kurogane zuckte mit den Schultern und schreckte bei der Bewegung ein wenig zusammen. Die Verletzung tat doch noch mehr weh, als er zugeben wollte. „Kannst du aufstehen?“, fragte er Fye.

„Aufstehen, ja. Auftreten, nein“, erwiderte dieser lächelnd. „Und du kannst mich mit deinen Wunden nicht tragen.“

„Natürlich kann ich das.“

„Solltest du aber nicht.“

„Ich kann und ich werde.“

„Das ist unvernünftig, Kuro-tan.“

„Seit wann verstehst du etwas von Vernunft?“

„Ich habe eine viel größere Lernkurve als du.“

„Weil du im Gegensatz zu mir bei null angefangen hast.“

„Aw, Kuro-rin, man könnte glatt meinen, du würdest mich 'dumm' nennen.“

„Muss ich jetzt Beweise anführen, um zu zeigen, dass du nicht immer der Schlauste bist? Da würden mir genug einfallen.“

„Touché, aber du solltest mich trotzdem nicht tragen, sonst würde das ja heißen, dass du genauso dumm wärst wie ich.“

Man konnte Kurogane ansehen, wie unzufrieden er mit dieser Diskussion war. Fyes Argumentation ließ ihn mit den Zähnen knirschen und die Stirn zornig runzeln. Er hasste es dies einzugestehen, doch: Der Magier hatte nicht ganz Unrecht.

„Shaolan und du, ihr könnt die nähere Umgebung begutachten und je nach dem, was ihr findet, entscheiden wir, wie es weitergeht“, schlug Fye vor.

„Kommst du denn alleine zurecht, Fye-san?“, fragte der Junge, der bei der vorangegangen Diskussion der beiden nur zwischen ihnen hin und her geguckt hatte. Er war dies von ihnen gewöhnt und solange sie miteinander diskutierten, machte er sich keine Sorgen. Erst wenn eisige Stille zwischen die beiden trat, war es an der Zeit, sich zu sorgen.

„Mokona passt auf ihn auf, auch wenn Mokona sehr müde ist.“ Das kleine Wesen lugte aus dem kuscheligen Mantel heraus und Fye tätschelte es mit einer Hand auf sein kleines Köpfchen.

„Dann kann mir ja nichts passieren. Und außerdem haben wir so einen ganz guten Indikator für den Fall, dass ihr euch zu weit von uns entfernt. Wenn Kuro-pii noch wirreres Zeug als sonst spricht, seid ihr zu weit von uns weg.“

„WAS HEISST DENN HIER NOCH WIRRERES ZEUG?!“ Der Ninja schnaubte, dachte dann aber kurz über den Vorschlag nach. „Meinetwegen. Tu uns aber wenigstens den Gefallen und bring dich nicht in Schwierigkeiten, wenn du hier brav auf der Stelle sitzen bleibst.“

„Wie soll ich mich denn so in Schwierigkeiten bringen?“

„Was weiß ich, wie du das immer schaffst. Kleiner, wir gehen.“

„Äh, ja!“ Shaolan zuckte erschrocken zusammen, als Kurogane abrupt losmarschierte. „Wir sind bald zurück.“

„Passt auf euch auf!“, rief Fye dem Jungen hinterher, der dem Ninja mit großen Schritten nacheilte, ehe sein Lächeln einer traurigeren Miene wich.

„Geht es dir gut?“, fragte Mokona besorgt.

„Aber ja, meine Verletzung tut nicht so weh.“

„Das meinte ich nicht.“

Der Magier entschied sich zu schweigen. Alles andere hätte nur weitere Lügen provoziert.

 

Shaolan hatte Kurogane eingeholt und sie stapften schweigend durch die karge Landschaft, die sie wachsam betrachteten. So weit das Auge reichte, änderte sich nichts an dem, was sie sahen: trockene Erde, dürre Sträucher. Mit jedem Meter, den sie zurücklegten, wurde es unwahrscheinlicher, dass hier Menschen lebten. Das hieß dann für sie selbst, dass sie hier nicht bleiben konnten. Nach der letzten Welt hatten sie alle auf einen Ort gehofft, an dem sie neue Energie tanken und Fye und Kurogane ihre Verletzungen auskurieren konnten. Aber hier, so dachte Shaolan bedrückt, hier war das auf keinen Fall möglich.

„Wenn du in Gedanken versunken bist und nicht aufpasst“, sagte sein Begleiter unaufdringlich belehrend in die Stille hinein, „dann entgehen dir wichtige Dinge.“

Der Junge schreckte zusammen. „Entschuldigung.“

„Wenn wir hier nichts finden, bringt das Wollknäuel uns halt in die nächste Welt, also mach dir keinen Kopf.“

„Und wenn die nächste Welt so sein wird wie die vorige?“, entgegnete Shaolan bekümmert, was den Ninja neben ihm zum Seufzen brachte.

„Immer ein Schritt nach dem anderen.“

„Ja.“ Der Jüngere der beiden fokussierte seinen Blick wieder auf seine Umgebung. Er hätte den Anderen gerne darauf angesprochen, ob er sich Sorgen um Fye machte, weil dieser sich seit der Eiswelt, aus der sie gerade gekommen waren, merkwürdig verhielt, doch Shaolan hielt dieses Bedürfnis zurück. Zum einen war es nun wichtiger, sich auf die neue Welt zu konzentrieren, zum anderen war es vielleicht besser, dies anzusprechen, wenn Fye bei ihnen war.

Schlagartig blieb Shaolan stehen.

„Sieht das da vorne aus wie … eine Straße?“

Kuroganes Blick folgte sogleich Shaolans Fingerzeig. „Sehen wir uns das an.“

Die zwei eilten zu dem Weg, der durch die Einöde führte. Der Boden sah an dieser Stelle aus wie platt getreten, so als wären schon viele Menschen auf ihm entlang gegangen. Zudem konnte man Hufspuren und Fahrrillen wie von Kutschenrädern erkennen.

„Diese Spuren sind definitiv noch nicht alt“, sagte Shaolan, nachdem er sich hingekniet hatte, um sich alles näher anzusehen, und nun wieder aufstand. „Diese Straße scheint häufig benutzt zu werden.“

„Na bitte“, erwiderte Kurogane, „wo es eine Straße gibt, gibt es auch Menschen, oder?“

Als hätte er unbewusst ein Stichwort gegeben, ertönte das klackernde Geräusch von herannahenden Hufen und Rädern. Alarmiert richteten die beiden Reisenden ihren Blick zu der Seite von der die Geräusche kamen. Hinter einigen Sträuchern zu ihrer Linken trabte langsam ein Pferdegespann heran, das einen Planwagen hinter sich herzog. Auf dem Kutschersitz saßen ein junges Mädchen mit dunkelbraunen Haaren, das vielleicht ein wenig älter war als Shaolan, und neben ihr ein Herr mittleren Alters, der ihr nicht unähnlich war; vielleicht ihr Vater? Die beiden sprachen aufgeregt miteinander, als sie die Fremden erblickten (was Kuroganes Hand nervös in Richtung seines unter seinem Umhang verdeckten Schwerts wandern ließ), dann hielt der Wagen auf Höhe der beiden Männer an. Fragende, beinahe skeptische Blicke trafen sie von hoch oben des Kutschbocks.

„Ähm, guten Tag“, begann Shaolan vorsichtig und doch freundlich, „wir kommen von weit her und kennen den Weg in den nächsten Ort nicht. Wären Sie so freundlich, uns-“

„Seid ihr etwa alleine unterwegs?“, unterbrach der ältere Herr ihn streng und mit prüfendem Blick. „Wo ist eure weibliche Begleitung?“

„W-weibliche Begleitung?“, erwiderte Shaolan verdattert.

„Ihr wisst doch wohl, dass ihr ohne eine solche nicht unterwegs sein dürft“, rüffelte das Mädchen sie. „Die Gesetze unseres Landes sind doch weithin bekannt.“

Shaolan und Kurogane blinzelten sich irritiert an.

„Was ist denn los?“ Eine Frau mittleren Alters, welche die gleichen dunkelbraunen Haare hatte wie das Mädchen, steckte ihren Kopf durch die vordere Öffnung der Plane.

„Zwei dubiose Gestalten, die anscheinend ohne eine Frau unterwegs sind“, gab der Mann ihr zur Antwort. „Als wüssten sie nicht, dass das strafbar ist.“

Schweißperlen bildeten sich auf den Stirnen derjenigen über die gesprochen wurde. Strafbar? Manövrierten sie sich wieder einmal ungewollt in Schwierigkeiten?

„Niemand ist so dumm, dies nicht zu wissen oder nicht zu beachten“, antwortete die Dame.

„N-natürlich haben wir eine Frau dabei“, beeilte sich Shaolan zu sagen. Er wollte es gar nicht riskieren, herauszufinden, was für Strafen da auf sie warten könnten.

„So?“, entgegnete die Frau amüsiert. „Und wo ist sie? Ist sie etwa unsichtbar?“

„N-nein, natürlich nicht … wir … wir haben uns nur verlaufen und … deswegen … deswegen sind wir vorausgegangen“, log Shaolan zunehmend atemloser.

Bei seiner Geschichte wurde die Mimik der Frau ernster. „Sich hier zu verlaufen ist höchst gefährlich. Von wo in aller Welt kommt ihr her, dass ihr das nicht wisst?“

„Wieso gefährlich?“, fragte Kurogane ungerührt und die Frage der Einheimischen eiskalt ignorierend.

„Na, wegen der Unwetter.“ Das Mädchen zeigte auf den Himmel, der inzwischen mehr lila als grau war.

„Hm?“ Kurogane und Shaolan schauten empor. „So ein Scheiß, ich hab doch gesagt, das sieht aus wie ein Unwetter.“

„Ihr scheint hier wirklich fremd zu sein“, äußerte die Dame im Wagen nachdenklich. „Nun, wir können euch hier unmöglich zurücklassen, wenn es nicht mehr lang bis zur nächsten Blitzschauer ist. Holt eure Gefährtin, wir nehmen euch mit in die Stadt.“

„Bitte, das ist nicht nötig“, erwiderte Shaolan hastig, „wir wollen keine Umstände machen.“

„Junge, hast du nicht zugehört?“ Die Frau hob kritisch eine Augenbraue. „Es ist nicht mehr lange bis zur nächsten Schauer. Beeilt euch. Wir warten.“

„Wir kommen alleine klar“, entgegnete Kurogane und fing sich umgehend einen bösen Blick der Dame ein.

„Ihr werdet hier draußen sterben, wenn die Blitze euch erwischen. Bist du der Vater des Jungen? Hat er diese Unvernunft von dir? Ich würde dies lieber mit eurer Familienvorsteherin besprechen“, sagte die Frau ungeduldig.

„Familienvorsteherin? Was zur Hölle? Wir haben keine-“

„Ja, in Ordnung!“, platzte Shaolan in Kuroganes Poltern hinein. „Wir sind gleich zurück!“ Er zog den Älteren am Umhang und schritt eilig mit ihm davon.

„Was soll das, Bengel?“, grummelte der Ninja, als sie außer Hörweite waren.

„In dieser Welt scheint es strafbar zu sein, ohne Frau umher zu reisen.“

„Hab ich kapiert, aber wir haben keine Frau dabei.“

„Dafür scheint es eine Stadt zu geben. Vielleicht können wir da unterkommen.“

„Du vergisst den Teil mit der fehlenden Frau.“ Kurogane musterte den Jungen noch einmal. War er eventuell doch auf den Kopf gefallen?

„J-ja, schon, aber ….“ Shaolan wurde merkwürdig rot im Gesicht. „Der Teil mit den Blitzschauern beunruhigt mich mehr“, fügte er ernst hinzu. Im Moment war es ihm am wichtigsten, seine Freunde aus dieser bedrohlichen Lage zu retten. Wenn die Idee, die ihm eben – zu seiner eigenen Scham – in den Sinn gekommen war, sie bis in die Stadt bringen könnte, dann hätten sie bereits viel gewonnen. Und müssten dann erst sehen, wie es weitergehen sollte.

Der Himmel war mittlerweile fast vollkommen lila, als sie bei ihren zurückgelassenen Kameraden ankamen. Aufmerksam beobachtete Fye ihr Eintreffen und wunderte sich, warum Shaolan so rot im Gesicht war – und es noch schlimmer wurde, als er den Magier ansah.

„Habt ihr etwas gefunden?“, erkundigte sich der Blondschopf neugierig.

„Unwetter.“ Kurogane deutete missmutig mit einem Finger zum Himmel und Fye nickte. Das hatte er sich wohl auch schon gedacht.

„Da-da sind Leute, die uns mit in die nächste Stadt nehmen wollen“, erklärte Shaolan nervös. „Allerdings gibt es hier ein Gesetz laut dem man nur in Begleitung einer Frau reisen darf.“

„So? Warum denn das?“

„Das-das wissen wir nicht, aber es ist strafbar ohne eine Frau zu reisen.“

Erneut nickte Fye. „Verstehe. Das ist aber unglücklich für uns.“

„J-ja, au-außer wir würden … würden …“ Shaolan atmete durch, doch trotzdem kamen die Worte nicht über seine Lippen.

„Wir werden gleich von Blitzen gegrillt“, warf Kurogane ein. „Also hör auf, deine Zunge zu verschlucken und spuck aus, was du für eine Idee hast.“

„Nur Mut, Shaolan!“, ertönte es aus dem Mantel des Magiers.

Der Junge blickte wieder mit inzwischen dunkelrotem Kopf zu dem vor ihm auf dem Boden sitzenden Mann, der ihn aufmerksam betrachtete.

„F-fye-san“, stotterte Shaolan weiter, „von uns vieren siehst du ...“ Er brach erneut ab, doch plötzlich machte es 'klick' in Fyes Kopf und er sah sein verlegenes Gegenüber mit großen Augen an.

„Oh. Du meinst doch nicht etwa, wir sollten …?“

Shaolan verbeugte sich entschuldigend. „T-tut mir leid, Fye-san! Das war eine dumme Idee! Das können wir unmöglich von dir verlangen. Ich dachte nur, dass wir so vielleicht in die Stadt kommen könnten ….“

Fye blinzelte ihn an, ehe er verlegen lachen musste. „Es ist wirklich zu dumm, dass Sakura-chan nicht hier ist, dann wäre unser Problem gelöst. Denn ich weiß wirklich nicht, ob uns das jemand abnehmen würde und leider kann da nicht einmal Magie nachhelfen.“

„Was??“, keifte Kurogane bärbeißig dazwischen. Er verstand kein Wort von dem, was die beiden anderen sprachen. „Ob uns was abgenommen würde? Was soll dieses Gerede in Rätseln??“

„Oh, Kuro-pon“, äußerte Fye, plötzlich schelmisch grinsend, „mein Gefühl sagt mir, dir wird diese Idee nicht gefallen.“

„Häh?!“

„Na gut!“, rief der Magier energisch aus. „Dann überlasst das ruhig mal Mama!“

„HÄH?!“ Kurogane verstand die Welt nicht mehr, als Fye sich den Haargummi aus seiner langen, blonden Mähne zog und diese daraufhin schüttelte.

„Wie ist das? Hilft das?“, fragte der Blondschopf unschuldig.

„Ei-ein bisschen.“ Shaolan war die ganze Sache immer noch schrecklich unangenehm.

„Mama sieht immer hübsch aus“, kommentierte Mokona, als sie ihr Köpfchen aus ihrem Kuschelversteck reckte.

„Aww, danke.“

„Moment.“ Bei Kurogane fiel der Groschen und es kostete Fye all seine Disziplin, nicht drauf loszuprusten, auch wenn der Ninja gerade so richtig dumm aus der Wäsche guckte. „Nein. Nein. Auf gar keinen Fall. Das kann nicht euer Ernst sein. Das kann nicht dein Ernst sein.“

„Kuro-tan, willst du lieber die Frau spielen?“, fragte Fye neckisch. „Ich glaube aber wirklich nicht, dass uns das jemand abnehmen würde ...“

„Seid ihr alle auf den Kopf gefallen??“, polterte der Ninja erbost. „Wie kannst du da so bereitwillig mitmachen wollen??“

„Unwetter.“ Der Angesprochene ahmte Kuroganes Geste von vorhin eins zu eins nach, bevor er erwägend an sich hinabblickte. „Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Täuschung so überzeugend ist. Ich bin vielleicht zu flach an manchen Stellen.“ Er schickte ein heiteres Lachen hinterher, was Kurogane noch weiter auf die Palme brachte. Er fand die ganze Angelegenheit definitiv nicht lustig.

„Mokona hat eine Idee!“, rief die Kleinste der Gruppe aus, bevor sie mit ihren kleinen Pfötchen die oberen Knöpfe an Fyes Kleidung öffnete und – zu Kuroganes schierem Entsetzen – in die Kleidung des Magiers krabbelte, bis sie an dessen Bauch angekommen war und so den Stoff des Gewandes ausbeulte. „Tadaa!“, tönte es fröhlich. „Fye muss mich jetzt nur festhalten.“

Shaolan wollte vor Scham im Boden versinken und das Gesicht des Ninjas war derweil so rot wie sein Umhang geworden, während dem Blonden vor Lachen die Tränen kamen.

„Großartig, Mokona!“, lobte Letzterer das Wollknäuel. „Das könnte funktionieren!“

„Bei euch funktioniert überhaupt nichts mehr richtig!!“, schimpfte der Größte der ungleichen Vier. „Ihr habt beide endgültig den Verstand verloren! Da mach ich nicht mit! Sollen die Blitze mich erschlagen! Mir egal!“

„Oooh“, hörte man Mokona gedämpft unter Fyes Kleidung säuseln, „Papa freut sich nicht auf mich?“

Der Magier streichelte sanft den Stoff seines Gewandes. „Natürlich tut er das. Wir hoffen doch alle, dass es ein gesundes, süßes Mokona wird.“

„Blitze! Los, erschlagt mich! Jetzt!“

„S-soll ich dir beim Gehen helfen, Fye-san?“, fragte Shaolan zögerlich. Er war die Verrücktheiten des Magiers und des magischen Wesens so sehr gewohnt, dass er sich zügig an das seltsame Bild vor ihm gewöhnte. So seltsam es für sie auch aussah, jemand anderen konnte man mit der Nummer möglicherweise tatsächlich täuschen. Und Fye war ein verdammt guter Schauspieler; das wussten sie zu Genüge.

Der Blondschopf kam gar nicht dazu ihm zu antworten, denn Kurogane stapfte rasch mit sauertöpfischer Miene zu ihm und zog ihn mit seinem nicht verwundeten, künstlichen Arm nach oben. Fye hielt sich mit einer Hand an ihm fest und mit der anderen Mokona unter seiner Kleidung. Humpelnd und langsam setzten sie sich in Bewegung. Der Himmel war dunkellila, als sie endlich an der Straße ankamen. In der Tat hatte der Wagen dort auf sie gewartet. Das Mädchen winkte ihnen zu und rief aus: „Sie sind da! Sie sind da!“, woraufhin der Mann, der auf den zweiten Blick sehr wahrscheinlich ihr Vater war, vom Kutschbock absprang und zum hinteren Teil des Wagens eilte, um die Plane zu öffnen.

Diese Leute haben extra auf uns gewartet, ging es Shaolan durch den Kopf. Wenn sie so rücksichtsvoll gegenüber Fremden sind, dann können sie keine schlechten Menschen sein.

„Was ist?“, raunte Kurogane dem auf ihn gestützten Fye zu, der kurz zusammengezuckt war.

„Mir war gerade so, als hätte ich eine mächtige Magie gespürt“, antwortete er ernst. „Aber nun ist sie schlagartig schwächer geworden.“

Plötzlich krachte es am Himmel; ein grollender Donner war zu hören.

„Beeilung! Beeilung!“, rief das Mädchen.

Shaolan kletterte als Erster in den Wagen und half sogleich Fye dabei, ins Innere zu kommen, ehe Kurogane als Letzter einstieg. Ihr unbekannter Helfer schloss schnell die Plane und eilte zu seiner Tochter zurück, die kurz danach dem Pferd den Befehl erteilte, loszureiten.

„So ein Glück, ihr habt es noch geschafft.“ Die Frau, die nach Shaolans Schlussfolgerung sehr wahrscheinlich die Mutter des Mädchens war, saß im Schneidersitz im Wagen und begrüßte die Mitfahrer freundlich lächelnd. Draußen krachte und donnerte es nun ohne Unterlass. Sie sahen durch den Stoff der Plane die grellen Blitze aufleuchten und rasch brannten hier und dort die ersten Sträucher. Der Blick der Frau ruhte einen flüchtigen Moment lang auf Fye und für den Hauch eines Augenblicks schien ihr Lächeln verschwunden zu sein und die drei Reisenden fürchteten, ihre Scharade wäre durchschaut worden, doch das Lächeln kehrte geschwind auf ihr Gesicht zurück. „Ich sehe, du bist verletzt, werte Freundin. Ich hoffe, es ist nichts Schlimmes?“

Hastig schüttelte Fye den Kopf und erwiderte das Lächeln. „Nein“, antwortete er in der höchsten Stimmlage, die er zustande brachte, „nicht doch.“ Zudem musste er sich zusammennehmen, nicht loszuprusten, weil Kurogane „Oh Gott“, gebrummt hatte, als der Magier mit „werte Freundin“ angesprochen worden war und sein Brummen bei Fyes Versuch, weiblich zu klingen, in ein mürrisches Knurren übergegangen war.

„Es gibt gute Ärzte in der Stadt“, erläuterte die Frau weiter. Sie trug ein langes, rosafarbenes Kleid und einen leichten, dunkelblauen Mantel darüber, die beide nach sehr hochwertigen Stoffen aussahen. „Dort kannst du auch beruhigt sein wegen deines Kindes.“

„Oh Gott“, erklang es nun hörbar laut und Fye kicherte darüber hinweg.

„Wie ist denn der Name der Stadt?“, erkundigte er sich, bevor die Kurogane kritisch musternde Dame auch nur auf die Idee kommen konnte, nachzufragen, was das sollte. „Und, Verzeihung, wir haben weder nach euren Namen gefragt, noch uns vorgestellt.“

„Wir sind auf dem Weg nach Matrisis“, entgegnete die Frau herzlich. „Mein Name ist Simone und das sind meine Tochter Hélène und mein Mann Michel. Wie ist dein Name, werte Freundin? Sind das dein Sohn und dein Mann?“

„Ich heiße Fye und das ist Shaolan“, er legte dem zu seiner Rechten sitzenden Jungen eine Hand auf die Schulter „und das ist Kuro-Brummbärchen.“

„WAS WAR DAS??“

„Ich wundere mich“, warf Shaolan nervös und deeskalierend ein, „warum die Blitze uns überhaupt nicht treffen, obwohl sie die ganze Zeit um uns herum einschlagen.“

Simone stutzte. „Ein einfacher Blitzabwehrzauber. Ohne diesen wären wir wohl kaum unterwegs. Von wo kommt ihr, dass ihr nicht wisst, dass nur eine magische Wächterin durch dieses Blitzfeld fährt?“

„Sehr weit weg“, erwiderte Fye, „und wir haben sehr abgeschieden gelebt.“

Die Frau schüttelte missbilligend den Kopf. „Nun, so jemand ist mir noch nie begegnet. Kein Wunder, dass ihr ohne Schutz in einem Blitzfeld umherlauft.“

„Ein Blitzfeld?“, hakte Shaolan nach und brachte Simone erneut zum Stutzen.

„Hat der Junge keine Schulbildung genossen?“ Sie schien geradezu empört zu sein über die Unkenntnis des Brünetten.

„Tja“, der Magier wedelte entschuldigend und breit lächelnd mit den Händen, „wie gesagt, sehr abgeschieden.“

„Du meine Güte.“ Simone fasste sich mit einer Hand an den Kopf. „Das es so etwas noch gibt. Ich hoffe doch sehr, ihr werdet ihn in der Stadt in eine Schule schicken. Es geht nicht, dass der Junge solch wichtigen Details vom großen Krieg nicht kennt.“

Fye und Kurogane warfen Shaolan so unauffällig wie möglich Blicke zu.

Frag nach, was das heißt, sollten diese bedeuten. Ihnen war schnell klar geworden, dass von ihnen beiden angenommen wurde, zu wissen, wovon die Rede war.

„Was hat der große Krieg mit den Blitzen zu tun?“, fragte Shaolan geschickt. Nur nach dem Krieg zu fragen, hätte ihre ganze Geschichte unglaubwürdig erscheinen lassen.

„Die Blitzfelder sind vor zwanzig Jahren durch die außer Kontrolle geratenen Waffen der alten Regierung entstanden“, erklärte die Frau kopfschüttelnd. „Deswegen kommt es außerhalb der Städte regelmäßig zu den Blitzschauern.“

„Und die Städte sind durch Magie vor den Unwettern geschützt, nicht wahr?“, schlussfolgerte Fye, ohne es wie eine Schlussfolgerung klingen zu lassen.

„So ist es. Die magischen Wächterinnen jeder Stadt beschützen sie durch ihre Magie.“

„Aber wenn Sie unterwegs sind“, wandte Shaolan ein, „wer beschützt dann Ihre Stadt?“

„Oh, herrje“, stöhnte Simone, „ich bin doch nicht die einzige Wächterin dort. Wir regieren die Städte ja schließlich seit dem Ende des Krieges und heute war ich in einer anderen Stadt, um mich mit den Wächterinnen dort auszutauschen.“

„Entschuldigung“, murmelte Shaolan zerknirscht.

Mit einem Mal verstummten die Blitze und der Donner.

„Wir sind zu Hause“, flötete Hélène fröhlich vorn vom Kutschersitz und bald darauf hielten sie an.

Michel öffnete von neuem die Plane und zum ersten Mal erblickten die drei Reisenden die Stadt, in die sie gebracht worden waren. Von Weitem konnte man einen großen Platz erkennen, auf dem ein üppiger, kunstvoller Brunnen stand, aus dem Wasser sprudelte. Rundherum erhoben sich mit Fachwerk und Stuck geschmückte Häuser verschiedenster Größen und Farben. Viele Menschen (in Kleidung, die sie ein wenig an die Welt von Shade Country erinnerte) gingen geschäftig ihren täglichen Besorgungen nach. Der Boden, auf dem sie liefen, bestand aus sandfarbenen Pflastersteinen und es fehlte auch nicht an Bäumen, die an diesem sonnigen Tag Schatten spendeten. Es war kaum zu glauben, durch was für eine von Unwetter gepeitschte Ödnis sie eben noch gefahren waren. Dies ging allen drei Reisenden durch den Kopf, als sie aus dem Wagen stiegen.

„Seht ihr dieses Geschäft dort hinten?“ Simone blieb im Wagen, zeigte aber auf einen Laden, der einige Meter entfernt stand. „Die Besitzerin vermietet Wohnungen. Wenn ihr noch keine Unterkunft habt, fragt bei ihr nach.“

„Das ist sehr freundlich“, erwiderte Fye, erneut auf Kurogane gestützt.

„Und so lange du Probleme mit dem Laufen hast“, fügte sie hinzu und ließ mit einem Schnipsen ein beschriebenes Dokument in ihren Händen erscheinen, „gib dies deinem Mann oder deinem Sohn mit, wenn sie ohne dich aus dem Haus gehen müssen.“

Leicht verdattert ließ Fye Kurogane los (die andere Hand musste ja jemanden festhalten) und griff auf einem Bein balancierend nach dem Papier, während Kurogane und Shaolan ihre fragenden Mienen nicht verbergen konnten. Galt dieses merkwürdige Gesetz, immer eine Frau dabei haben zu müssen, selbst in der Stadt?

„Das ist ein Ausnahmeschein“, ergänzte die Wächterin. „Zeigt ihn vor, falls ihr kontrolliert werdet.“

„Vielen Dank“, antwortete Fye, seine Verwirrung mit einem Lächeln überspielend.

„Ich muss nun los, für heute Abend ist noch eine Konferenz anberaumt. Bei sonstigen Problemen wendet euch einfach an das Rathaus.“ Simone zeigte in die andere Richtung, bevor sie ihnen ein letztes Mal zuwinkte und ihr Wagen sich wieder in Bewegung setzte und davonfuhr.

Planlos standen die drei Zurückgelassenen auf dem Platz.

„Tja“, gluckste Fye heiter, „das war ja mal interessant!“

„Was war denn daran interessant?“, beschwerte sich Kurogane. „Warum in aller Welt dürfen der Kleine und ich nicht ohne dich Knalltüte das Haus verlassen? Was geht hier überhaupt ab?“

„Ich habe so ein Gefühl, als hinge dies irgendwie mit dem Krieg zusammen, den Simone erwähnt hat.“ Nachdenklich legte Shaolan seine Stirn in Falten.

„Ja, das habe ich auch.“ Fye sah ernst in die Richtung, in die ihre Wohltäterin davon gefahren war. „Die Magie, die ich gespürt habe, kam definitiv von ihr, aber irgendetwas daran ist seltsam.“

„Seltsam?“, hakte Kurogane skeptisch nach.

Fye zuckte mit den Schultern. „Wie dem auch sei. Wir sollten lieber nach einer Unterkunft suchen. Mein Bein tut weh!“

Dieser Trottel von einem Magier

„Häh? Was war das??“ Kurogane platzte fast der Kragen.

Shaolan, der in den Laden, den Simone ihnen genannt hatte, vorausgegangen war, damit Fye nicht angestrengt über den ganzen Platz humpeln musste, hatte die Inhaberin nach einer Wohnung gefragt, woraufhin diese ihn wieder hinausgeschickt hatte.

„Sie hat zwar eine freie Wohnung“, wiederholte Shaolan vor seinen beiden Kameraden bedröppelt, „allerdings könnte ein Mietvertrag nur mit … meiner Mutter abgeschlossen werden. Deswegen soll ich meine Mutter holen, wenn ich irgendetwas wollte.“ Er sah zu Fye, der lachend den Kopf schief legte.

„So wichtig habe ich mich ja noch nie gefühlt“, flachste er. „Na schön, Kuro-rin, dann hilf mir mal da rüber, damit ich uns ein Dach über dem Kopf besorgen kann.“

Den ganzen Weg (und noch im Geschäft) grummelnd, stützte der Ninja den hinkenden Blondschopf ab und versuchte, seine stärker werdenden Zustände zu unterdrücken, als die Vermieterin Fye zum zweiten Kind gratulierte. Zum Glück war der Frau das Glucksen aus Fyes Leibesmitte entgangen, das leise zu hören gewesen war. Da sie aus einer anderen Welt noch Goldmünzen hatten, war es immerhin nicht schwer gewesen, die erste Miete für ihre Unterkunft vorzustrecken. Die Vermieterin wunderte sich zwar sehr über die Art der Bezahlung, doch glücklicherweise gab sie sich mit der „Wir kommen von weit weg“-Ausrede zufrieden und begleitete die drei zu ihrer neuen Wohnung.

Im ersten Stock über einem kleinen Café gelegen, bestand ihr neues Domizil aus einem großen Wohnraum mit Küche, zwei nebeneinander liegenden Schlafzimmern und einem Bad. Zu ihrer aller Verwunderung sah im Innenraum alles viel moderner aus, als die Welt draußen vermuten ließ. Die Einrichtung war der vieler anderer Welten wie Hanshin oder Infinity nicht unähnlich und neben Elektrizität gab es sogar fließendes Wasser.

„Kommt ihr aus einer so abgelegenen Gegend, dass es bei euch keinen Strom gibt?“, fragte die Vermieterin verdutzt, als die drei Reisenden erstaunt die Wohnung erkundeten.

„Wir hatten hier wohl einfach keinen erwartet“, antwortete Fye höflich.

Die Frau zog eine Augenbraue hoch. „Ihr hattet hier keinen erwartet? Matrisis ist doch einer der ersten Städte, in der die Magie umgehend wieder funktioniert hat und uns das Leben seitdem von neuem leichter macht.“

Die Männer stutzten bei diesem Satz. Wieder funktioniert hat?

„Wie dem auch sei“, winkte die Vermieterin ab, „sollte etwas sein, weißt du, wo du mich findest.“ Wie im Großteil des vorangegangen Gesprächs wandte sie sich exklusiv an Fye.

„Vielen Dank“, erwiderte dieser, bevor die Frau sich verabschiedete und der Magier seine große, brummelige Stütze losließ, um sich röchelnd auf die Couch fallen zu lassen. „Wenn ich noch weiter in dieser hohen Stimmlage sprechen muss, ruiniere ich mir die Stimmbänder.“

„Du hast deine Rolle sehr gut gespielt, Fye-san.“ Shaolan verbeugte sich dankend vor dem Älteren. „Tut mir leid, dass du das machen musstest.“

„Ach was, es ist doch ganz lustig“, entgegnete der Magier und verstimmte einen gewissen Ninja damit noch mehr. Und als wäre dieser noch nicht verärgert genug gewesen, wuchs sein Unmut deutlich, als die Kugel in Fyes Mitte sich zu bewegen begann und sich ihren Weg nach oben bahnte, wo der Blondschopf flugs die obersten Knöpfe seiner Kleidung öffnete.

„Mokona hat doch auch sehr überzeugend gespielt, oder?“, fragte Mokona sichtlich selbstzufrieden, als sie aus Fyes Gewand heraushüpfte und direkt Kurs auf Kurogane nahm. „Nimm mich in den Arm, Papa!!“

„Pah.“ Der unfreiwillig Angesprochene fing sie mit seiner gesunden Hand und warf sie unsanft zu Fye auf das Sofa zurück. „Das war genug Affentheater für heute.“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stapfte Kurogane in das größere der Schlafzimmer und schloss die Tür hinter sich.

Verdattert blickten die anderen ihm hinterher.

„Ist Kurogane böse auf mich?“, hauchte Mokona traurig.

„Nein, sicher nicht“, beeilte sich Fye zu sagen. „Er hat nur wieder eine seiner Launen. Wir wissen doch, wie er ist ...“

„Unmöglich~“, flöteten er und Mokona einträchtig.

„Irgendetwas scheint ihn zu verärgern“, äußerte Shaolan bedächtig, „womöglich ist es ihm unangenehm, dass wir dich als Frau ausgeben müssen.“

„Mach dir keinen Kopf, der regt sich auch wieder ab.“ Fye lächelte und doch konnte Shaolan erkennen, dass er dies nicht tat, weil er von seinen eigenen Worten überzeugt war, sondern weil er seine Verunsicherung überdecken wollte. „Ah, Shaolan-kun“, der Magier fummelte hastig das von Simone erhaltene Dokument hervor, „kannst du uns bitte im Café unten etwas zu essen besorgen? Wir haben schließlich den ganzen Tag noch nichts gegessen.“

Der Junge nickte, nahm das Papier entgegen und machte sich auf den Weg, obwohl er wusste, dass Fyes Auftrag wohl verhindern sollte, dass er sich zu viel dem Grübeln hingab. Kurz nachdem Shaolan hinaus geeilt war, machte der Magier Anstalten, aufzustehen. Er biss die Zähne zusammen, als sein Versuch, aufzutreten heftige Schmerzen verursachte.

„Fye!“ Mokona wibbelte aufgeregt auf dem Sofa auf und ab.

„Wartest du bitte hier? Ich will mit Papa alleine reden.“ Er stützte sich auf die Rückenlehne der Couch und hüpfte auf einem Bein in Richtung der Schlafzimmertüre. „Hepp!“ Mit Schwung hopste er zur Tür (knallte doller gegen den Türknauf als ihm lieb war), öffnete sie und trat ein.

„Was wird das?“

Seine Begrüßung fiel wie erwartet griesgrämig aus.

Kurogane saß auf dem Bett, den Umhang hatte er abgelegt und an der Art, wie sein rechter Ärmel nicht ganz ordentlich heruntergezogen war, konnte Fye erkennen, dass der Andere gerade nach seiner eigenen Verletzung hatte sehen wollen. Fyes nicht unbedingt geräuschlose Methode der Fortbewegung musste ihn gewarnt haben. Wobei – Kurogane hörte sogar die Flöhe husten.

„Hast du Schmerzen?“ Der Blonde lehnte mit dem Rücken gegen die nun wieder geschlossene Tür.

„Es geht schon.“

„Kuro-sama“, sagte er betrübt lächelnd, „du lügst mich doch nicht etwa an?“

Dies entlockte dem Dunkelhaarigen ein flüchtiges Lächeln. „Bin ich du? Es tut weh, aber es ist auszuhalten. Und ich hüpfe ja auch nicht wie ein durchgeknallter Flummi auf einem kaputten Bein durch die Gegend.“

„Ich glaube nicht, dass Flummis durchknallen können.“

„DAS IST NICHT DER PUNKT!!“

Fye lachte, machte ein weiteres Mal „Hepp!“ und stieß sich von der Tür ab, um auf dem Bett zu landen. Er blieb auf dem Rücken liegen und strich sich seine durch den Sprung ins Gesicht geflogenen, langen Haare zur Seite. Kurogane hatte sich zu ihm umgewandt und blickte ihn streng und verkniffen an. Der Magier kannte diesen Gesichtsausdruck. Er bedeutete, dass er etwas sagen wollte; also erwiderte er nur den Blick des Größeren und wartete ab.

„Gefällt dir diese Welt?“

Verdutzt blinzelte Fye ihn an. „Wie meinst du das? Wir sind doch gerade erst angekommen.“

„Gefällt dir die Rolle, die du hier hast?“

„Hm?“ Fye richtete sich auf seine Ellbogen gestützt auf und legte den Kopf etwas schief. „Du bist doch nicht etwa sauer, weil ich hier allem Anschein nach als Familienoberhaupt gelte, oder?“

„Quatsch.“ Kuroganes Tonfall wurde für einen Moment wieder knurriger, ehe erneut kurz Stille zwischen sie trat. „Du bist keine Frau.“

Die Verwirrung in der Miene des Anderen wuchs. „Machst du dir Sorgen, was passieren könnte, wenn wir auffliegen?“

„Auch.“

Der Blonde konnte sich nicht entsinnen, wann sie zuletzt ein so schleppendes, beinahe frustrierendes Gespräch geführt hatten – und damals war es mit ziemlicher Sicherheit seine Schuld gewesen.

„Ich gebe auf, Kuro-tan. Ich bin schlecht im Raten.“ Auf seinen saloppen Kommentar warf ihm der Ninja einen so missmutigen Blick zu, dass Fye fast erschrak.

„Dir scheint der Gedanke zu gefallen, eine Frau zu spielen.“

„Und?“

„Du bist ein Mann.“

„Unbestreitbar, ja.“ Er legte von neuem den Kopf schief. „Kuro-pon, wo genau liegt das Problem?“

„Du hattest von Anfang an nichts dagegen, dass der Klops dich 'Mama' nennt und jetzt spielst du bereitwillig eine Frau. Von der verstörenden Nummer mit dem Wollknäuel eben will ich gar nicht erst anfangen, aber dir schien das Freude zu bereiten.“

Während er sprach, weiteten sich die Augen des Magiers und Trübsinn schlich sich in das klare Blau, dessen Anblick Kurogane eigentlich liebte. Alarmiert hielt der Ninja inne und registrierte die nun leicht hängenden Schultern seines Gegenübers. „Hey“, forderte er nach seiner schnellen Musterung, „was soll das lange Gesicht?“

Langsam setzte sich Fye vollständig auf, rutschte an das Fußende des Bettes und richtete seinen Blick gen Boden. „Findest ...“, begann er leise, „findest du es so abstoßend?“

Kurogane entglitten die Gesichtszüge. „Häh?“

„Mein Äußeres.“

„Häh??“, wiederholte der Schwarzhaarige lauter und verdatterter. „Wie kommst du jetzt auf so einen Mist?“

Fye hob seinen Kopf wieder und sah durch seine erneut ins Gesicht gefallenen Haarsträhnen fragend zu dem anderen Mann. „Du hast doch gerade gesagt, dir gefällt mein feminines Äußeres nicht.“

Kurogane erwiderte seinen Blick, bevor er sich mit der linken Hand stöhnend an den Kopf fasste. „Idiot. Das hab ich mit keinem Wort gesagt.“

Der Magier blinzelte ihn nun vollkommen verwirrt an. „Aber ...“

„Nein, nichts aber“, fiel der Ninja ihm harsch ins Wort. Er atmete durch und strich dem Anderen die Strähnen aus dem Gesicht. „Dass dein Wirrkopf gleich zu solchen absurden Schlussfolgerungen springt.“ Er stöhnte ein weiteres Mal. „Hätte ich mir eigentlich auch denken können … wir reden schließlich von dir.“

Ein leises, melancholisches Lachen entwich Fyes Kehle. „Also … das ist nicht das Problem?“

„Nein, du Trottel.“ Kurogane strich ein weiteres Mal durch die blonden Haare, um seinen Punkt zu untermauern. Es war typisch für ihn, es so auszudrücken, dass er das Aussehen seines Partners mochte. Ein „Ich finde dich hübsch“ war von ihm genauso wenig zu erwarten wie ein „Ich liebe dich“, aber das war in Ordnung, weil Kurogane seine Gefühle durch seine Gesten zu verstehen geben konnte. Beruhigt lehnte Fye sich in die Berührung des Anderen, als dieser sein Gesicht streifte. Dann jedoch stutzte er.

„Was meintest du denn dann?“

Der Größere der beiden Männer zog seine Hand zurück. „Da du ein Wirrkopf bist, besteht die Gefahr, dass du dich in irgendein Wunschdenken verrennst, das allerdings nie Realität werden wird. Ich weiß zwei Dinge ganz genau über dich: Du bist anfällig für Wünsche, die niemals real werden können und du rückst nie damit heraus, wenn dich etwas beschäftigt. Und in letzter Zeit beschäftigt dich etwas. Da du aber von dir aus nicht die Zähne auseinander kriegst-“

„Moment, Moment, Kuro-sama“, unterbrach Fye ihn, allmählich begreifend. „Hat das mit der Sache aus der vorigen Welt zu tun? Mit dem, was die Tochter des Ältesten bezüglich der Kinder gesagt hat?“

Kurogane deutete ein Nicken an und es machte Ah~~ in Fyes Kopf und Mimik. Er fing an zu kichern und winkte mit einer Hand ab. „Oje, oje, nein, da hast du zu viel zwischen den Zeilen gelesen. Das ist so süß von dir, dass du dir deswegen Sorgen machst!“

„Du hegst also keine Gedanken ...“ Der Ninja brach den Satz ab. Das bekam er nicht über die Lippen.

„Nein, Kuro-pii, ich hege ganz sicher keine Gedanken, tatsächlich Mutter werden zu wollen.“ Der Magier lachte laut und ließ sich zurück aufs Bett fallen. „Jetzt hältst du mich aber wirklich für dumm. Natürlich können wir keine Kinder haben, auch wenn sie sicherlich sehr hübsch wären, wenn sie nach ihrem Vater kämen.“

Der Dunkelhaarige brummte verstimmt. „Lass das Herumalbern und sei ehrlich. Du steigerst dich nicht in irgendwelche Wunschvorstellungen hinein?“

Die Mimik des Blonden wurde abrupt ernster und er setzte sich wieder auf. „Ich bin ehrlich. Ich steigere mich in nichts dergleichen hinein.“ Er blickte ihn sanft an und griff mit beiden Händen nach seiner künstlicher Hand. „Du machst dir viel zu viele Gedanken um mich.“

Er erntete ein schwaches Kopfschütteln. „Man kann sich nie genug Gedanken um dich machen. Besonders, wenn du wieder irgendwas in dich hineinfrisst. Und genau das tust du doch schon wieder.“

Ertappt zuckte Fye zusammen und hoffe gleichzeitig, dass Kurogane dies nicht gemerkt hatte. „Vielleicht bildest du dir das auch nur ein, weil du es so gewohnt bist.“ Er versuchte, nonchalant zu klingen und kämpfte gegen die Gewohnheit an, bei einer Lüge automatisch zu lächeln. Wenn er nun an der falschen Stelle lächelte, würde er sich sofort verraten. Trotzdem sah Kurogane ihn mit diesem wissenden Blick an, der Fye in die Verzweiflung treiben konnte.

Das Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Tür rettete ihn.

„Shaolan ist zurück!“, rief er erfreut aus und bremste sich, aufzuspringen. „Hättest du die Güte?“

Er bekam nur ein Grummeln als Antwort, aber nichtsdestotrotz stützte Kurogane ihn wie zuvor ab, damit sie beide ins Wohnzimmer zurückkehren konnten.

 

„Oh, das sieht alles lecker aus.“ Fye bewunderte das Essen, das Shaolan aus dem Café mitgebracht und auf dem kleinen, runden Esstisch angerichtet hatte. „Vielen Dank, Shaolan.“

„Tut mir leid, dass ich von manchen Sachen nur ein Teil habe, aber gen Abend ist wohl schon viel ausverkauft“, sagte der Junge entschuldigend, während Mokona und Kurogane sich im Hintergrund um eine Pastete stritten.

„Nicht schlimm, wir werden alle satt.“ Fye warf ihm ein Lächeln zu. „Hast du diesen Wisch von Simone gebraucht?“

Shaolan nickte eifrig. „Obwohl ich nur kurz auf die Straße treten musste, um in das Geschäft zu kommen, wurde ich dort direkt kontrolliert.“

„Das ist sehr interessant.“ Nachdenklich blickte der Magier auf das Dokument, das Shaolan auf den Tisch gelegt hatte.

„Von dem, was ich bei meinem kurzen Ausflug mitbekommen habe“, berichtete der Jüngste, „scheinen alle hohen Ämter von Frauen besetzt zu sein und auch die Ladeninhaber scheinen alle Frauen zu sein.“

„Wie kommst du zu dem Schluss?“, fragte Kurogane, die Pastete triumphierend in der gesunden Hand haltend.

„Ich habe die anderen Kunden gefragt, was sie beruflich machen“, erklärte Shaolan. „Ich sagte, wir wären neu in der Stadt und auf der Suche nach Arbeit.“

„Ui, das war clever“, lobte Fye und freute sich über das zarte Lächeln, dass sich dadurch auf Shaolans Gesicht bildete.

„Ja, clever!“ Mokona hopste hinauf und biss in die Pastete, die Kurogane wie eine Siegestrophäe gehalten hatte. Wutentbrannt schüttelte der Ninja das Gebäck, um das weiße Anhängsel daran loszuwerden.

„Jedenfalls waren alle Männer, die im Café waren, in Geschäften und Betrieben angestellt, die von Frauen geleitet werden und als ich fragte, ob keiner von ihnen ein eigenes Unternehmen hätte, sahen sie mich an, als hätte ich den Verstand verloren.“ Shaolan fuhr mit seinem Bericht fort, den neben ihm stattfindenden Kampf ums Essen weitestgehend ignorierend. Auch das war er irgendwie gewohnt.

„Das heißt, Männer haben hier wohl nichts zu sagen?“ Fye stützte einen Ellbogen auf dem Tisch auf und seinen Kopf daraufhin auf seiner Hand ab.

„Es gibt eine Bibliothek in der Stadt“, erzählte Shaolan weiter, „die würde ich mir morgen gerne einmal ansehen. Vielleicht erfahren wir dort auch etwas mehr über diese Welt.“

„Das klingt nach einem Plan“, entgegnete sein Gesprächspartner zufrieden.

„Du und Kurogane-san solltet zuerst einen Arzt aufsuchen.“

„Wenn Kuro-Böckchen damit einverstanden ist.“ Der Magier stutzte, als Mokona (die inzwischen die gesamte Pastete verputzt hatte) ihm noch etwas zu essen auf den Teller schob.

„Fye hat noch fast nichts gegessen“, erklärte sie ihre Handlung und wurde von dem Angesprochenen lächelnd hochgehoben.

„Das ist lieb, Mokona, aber ich habe heute Abend nicht so viel Hunger.“

„Ein Tisch voller Essen und du hast keinen Hunger?“ Argwöhnisch hob Kurogane eine Augenbraue und auch Shaolan blickte besorgt zu dem schlaksigen Kameraden.

„Ist alles in Ordnung?“, fiepste Mokona sorgenvoll.

„Mein Bein tut weh und ruiniert mir den Appetit.“ Er schaute in drei besorgte Gesichter (das hieß: zwei besorgte, ein misstrauisches), die seiner Aussage augenscheinlich nicht ganz über den Weg trauten. „Morgen geht es mir bestimmt schon besser“, fügte er betont gut gelaunt hinzu und rieb Mokonas Wange gegen seine eigene.

 

Dieser Trottel von einem Magier.

Kurogane blickte missmutig auf den schlafenden Mann im Doppelbett vor ihm. Der Idiot hatte sich auf die linke Hälfte des Bettes gelegt, was bedeutete, dass Kurogane, der am liebsten auf der Seite schlief, genau dies NICHT tun konnte. Wann dies eine Angewohnheit geworden war, konnte er nicht mehr sagen, doch schon seit Langem schlief Kurogane am liebsten so, dass er dem Magier zugewandt war. Sowieso nur einen leichten Schlaf habend, war es für den Ninja gang und gäbe, ein paar Mal in der Nacht aufzuwachen und nach dem Mann neben ihm zu sehen. War er noch da? Schlief er ruhig? Gab es Anzeichen von Albträumen? Oder besaß er gar die Frechheit, zu der furchtbaren Eigenart zurückzukehren, auf dem Bauch zu liegen und sein Gesicht auf eine ungesund aussehende Art und Weise in sein Kissen zu drücken? Ihm letzteres abzugewöhnen hatte eine Ewigkeit gebraucht (und die Methode, ihm, jedes Mal, wenn er auf den Bauch rollte, ein Glas Wasser überzuschütten; Fye warf ihm bis heute vor, dass ihm dies Spaß machte und bis heute musste Kurogane bei jedem dieser Vorwürfe ein Grinsen unterdrücken).

Jetzt unterdrückte er halbherzig ein tiefes, unzufriedenes Grummeln.

Wenn er den Magier im Auge behalten wollte, musste er selbst auf dem Rücken schlafen und selbst dann würde es schwierig, weil der Wirrkopf sich selbst zur Wand gedreht hatte.

Er hielt in seinen Beobachtungen inne.

War das Absicht von ihm? Fye wusste, dass er nicht auf seiner verletzten Seite liegen konnte. Kurogane setzte sich auf die noch freie Hälfte des Bettes und schaute von dort auf die schlafende Gestalt hinab. Der Kerl trieb ihn in die Paranoia. Seit dieser Eiswelt (Dragoon oder wie sie hieß) verhielt er sich verdächtig und hatte dazu noch die Unverschämtheit verbergen zu wollen, was auch immer ihn beschäftigte. Er hatte keine Lust, dem Clown von neuem einen Vortrag darüber zu halten, dass er ehrlich sein sollte.

Kurogane hielt erneut inne.

Was mochte es sein, dass er nicht mit ihm darüber reden wollte? Der Mann konnte unmöglich noch mehr Geheimnisse mit sich herumschleppen. Seit ihrer Weiterreise aus Clow waren über eineinhalb Jahre vergangen und sie waren die ganze Zeit zusammen gewesen; es war ausgeschlossen, dass irgendetwas Neues ihn quälte. Also etwas Altes? Aber was? Und wieso?

Der Ninja seufzte leise. Verdammter Magier, verdammte Geheimnistuerei.

Er löste seinen Blick von dem fest schlafenden Mann, legte sich selbst hin … und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Die Wunden, die bis auf seinen Rücken reichten, verboten ihm sogar die Rückenlage.

Das ist doch wohl nicht …! So ein Scheiß.

Das Umhergelaufe am Tag musste ihm zugesetzt haben.

Erbost drehte er sich auf seine linke Seite und schlief mit im Zorn gerunzelter Stirn ein. So erschöpft war er von diesem Tag und besonders von all den Tagen davor, dass sein Körper nicht auf das leise Rascheln reagierte, das neben ihm ertönte. Fye hatte die Augen aufgeschlagen, kurz nachdem er sich umgedreht hatte. So geräuschlos wie nur irgend möglich, wandte der Magier sich ihm zu und blickte mit traurigen Augen auf den breiten Rücken des Ninjas. Das durch das Fenster hereinscheinende Mondlicht, das dem Dunkelhaarigen das Mustern des Magiers erlaubt hatte, ermöglichte nun wiederum diesem einen Blick auf die notdürftig behandelten und verbundenen Wunden, die außerhalb des ärmellosen Oberteils, das Kurogane zum Schlafen trug, sichtbar wurden.

Fye wünschte sich, dass er ihn dort berühren könnte und dies auf magische Weise die Verletzungen heilen könnte, doch seine Zauberkraft war nicht imstande zu heilen. In letzter Zeit fragte er sich, wozu sie überhaupt gut war. Lange, lange blickte er auf die Wunden des Anderen und wie sein Herz dabei immer schwerer wurde, wurden es seine Augen erst sehr viel später.

Nur ein böser Traum

Schnee und Eis.

Zu seinen Füßen war nichts als Schnee und Eis. Und auch um ihn herum tobte nichts als ein heftiger Schneesturm, der ihm die Sicht nahm und so laut gegen seine Ohren schlug, dass er nichts außer dem gewaltigen Brausen hören konnte. Fye schrie gegen den Wind, schrie nach Kurogane, nach Shaolan, nach Mokona, sogar nach Sakura – doch nichts rührte sich, keine Antwort drang an seine Ohren, keiner seiner geliebten Menschen war irgendwo zu sehen. Nackte Panik überkam ihn. Wo war er? Wo waren die anderen? Wieso war er allein? Allein in einer Welt aus Schnee und Eis …. Fye hatte das Gefühl, dass die Erinnerung an damals ihm die Luft zum Atmen nahm. Und doch schrie er erneut. Nach Kurogane, nach Shaolan, nach Mokona, nach Sakura.

Nach wem rufst du?“, hörte er eine Stimme ganz nah bei sich erstaunt fragen und es ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren, als er diese Stimme erkannte. Zögernd und mit dem Ausdruck blanken Horrors in den Augen wandte er sich zu der Stimme um. Das Herz blieb ihm fast stehen bei dem Anblick, dem er dort gewahr wurde.

Fye?“

Bei dem Lärm des Schneegestöbers um ihn herum hätte eigentlich niemand diesen gehauchten Namen vernehmen können, doch die kleine Gestalt eines ausgemergelten, von der Grausamkeit der Welt gequälten Jungen hatte ihn gehört.

Außer uns ist hier niemand, Yui. Das weißt du doch.“

I-ich … ich verstehe nicht …?“

Eigentlich bin ich auch nicht hier. Du bist ganz allein, Yui.“

 

„FYEEEE!!“ Mokona brüllte so laut wie ihre kleinen Stimmbänder nur konnten.

Der so Adressierte erwachte mit einem Schreck und saß mit einem Mal aufrecht im Bett, sodass er Mokona, die auf seiner Brust gestanden hatte, von sich geschleudert hatte.

„Was ist??“ Kurogane und Shaolan stürmten alarmiert ins Zimmer und sahen aufgeschreckt zu dem gerade erwachten und schwer atmenden Mann im Bett.

„Fye hatte einen Albtraum, oder?“ Mokona, die auf das Fußende geflogen war, schüttelte sich und sprang wieder auf ihre winzigen Füßchen. „Fye ist ganz ängstlich und traurig.“

Der Magier, der nun verwirrt den Kopf hob und zu den anderen blickte, begriff, dass er nur geträumt hatte und versuchte umgehend, seinen schnell gehenden Atem zu beruhigen. Es war Morgen. Sie waren in einer Stadt namens Matrisis und Kurogane, Shaolan und Mokona waren alle da. Es war nur ein Traum gewesen. Nur ein Traum.

„Fye-san, ist alles in Ordnung?“

Fye wollte sich am liebsten selber schlagen, als er sah, wie sorgenvoll Shaolan ihn anblickte. Shaolan hatte mehr als genug eigene Sorgen, da sollte er sich nicht noch um ihn ängstigen. Nein, genau das Gegenteil sollte der Fall sein. Er sollte Shaolan so viel Kummer wie möglich abnehmen. Das hatte er sich doch geschworen. Scheiterte er selbst an den einfachsten Aufgaben?

Der Blondschopf fasste sich mit einer Hand an die schweißnasse Stirn und schüttelte sanft den Kopf. „Ich hatte nur einen bösen Traum. Entschuldigt den Schreck am frühen Morgen, jetzt sind wir wenigstens alle hellwach, oder? Ha ha.“ Er zwang sich zu einem Lächeln, von dem er hoffte, dass man ihm den Zwang nicht ansah – und er schreckte innerlich zusammen, als er erkannte, dass Kurogane ihn durchschaute. Zornige, rote Augen funkelten ihn an.

„Magier ...“, knurrte es ihm entgegen.

„Nein, nein“, Fye wedelte entwarnend mit den Händen, „nur schlecht geträumt. Wirklich. Das tun wir alle mal, also lasst uns deswegen bitte keinen Aufstand machen, ja? Tut ihr mir den Gefallen?“

„Aber wenn etwas ist ...“, bot Shaolan vorsichtig an.

„Ich weiß, ich weiß.“ Fye lächelte etwas fröhlicher. „Und jetzt hör bitte auf so ein Gesicht zu machen, Shaolan-kun. Ja? Du auch, Mokona.“

Die beiden nickten zaghaft. „Und du auch, Kuro-rin.“

„Tsk.“

„Das Frühstück ist fertig“, fügte der brünette Junge hinzu. „Es gibt zwar nur die Reste von gestern, aber ...“

„Ich bin auch froh, wenn ich wieder für euch kochen kann“, schloss Fye für ihn. „Bei den gekauften Sachen kann ich Kuro-sama ja gar keinen extra Zucker reinmischen.“

„Hngh!“

„Hast du denn wieder Hunger?“, fragte Mokona erwartungsvoll und der Magier nickte enthusiastisch.

„Und was für welchen! Kuro-tan, hilfst du mir mal?“ Fye streckte seine Arme nach dem Größeren aus, der – Misstrauen und Missmut zum Trotz – seinem Partner ohne Wenn und Aber half.

 

„Kurogane-san.“ Shaolan sprach leise und sehr ernst. Sie waren fertig mit dem Frühstück und machten sich bereit, in die Stadt aufzubrechen. Mokona leckte sich noch ein paar Krümel von den Tatzen, während Fye im Bad war. Bei dem ernsten Tonfall des Jungen erahnte Kurogane bereits, was er ansprechen wollte. „Wegen Fye-san ...“ Shaolan sah erst unsicher zur Seite, bevor sein determinierter Blick wieder auf dem Älteren landete. „Ich habe das Gefühl, es … es ist wieder ...“

„Ja. Es ist wieder schlimmer geworden mit ihm.“ Der Ninja atmete hörbar aus. „Lass das meine Sorge sein, okay?“

„Du musst nicht alleine-“ Shaolan brach ab, als eine große Hand auf seinem Kopf landete und ihm durch die Haare wuschelte.

„Kinder sollten sich nicht um Erwachsene sorgen. Überlass den Spinner mir. Und wenn ich's aus ihm rausprügeln muss.“

Der Junge nickte behutsam.

 

Auf seinem gesunden Bein stehend hielt Fye sich krampfhaft mit beiden Händen am Waschbecken fest und versuchte, durchzuatmen. Er hatte mit Ach und Krach etwas von dem Essen herunter bekommen und obwohl es nicht einmal viel gewesen war (und vor allen Dingen zu wenig, um die anderen davon zu überzeugen, dass es ihm gut ging), musste er seitdem die gesamte Zeit einen Würgereflex unterdrücken. Wenn er sich hier übergab, bestand die Gefahr, dass die anderen es hörten und das durfte nicht geschehen. Ihre Sorgen würden nur zunehmen und Fye hoffte inständig, dass es gar keinen Grund zur weiteren Sorge gab. Es war bestimmt nur die Erschöpfung, die aus Dragoon übrig war, wegen der sein Körper sich so schwach anfühlte. Er blickte hoch in den Spiegel, der über dem Waschbecken hing und seufzte angesichts des elenden Anblicks, der ihm da entgegen kam. Wann hatte er sich das letzte Mal so mies gefühlt?

… … Ah, ja, das war damals, als-

Buargh!

Ein starker Würgereflex kam über ihn, als er sich erinnerte. Wo ihm sowieso schon so übel war, war dies eine mehr als unwillkommene Erinnerung. Wenn er in seiner Zeit als Vampir zu wenig Blut getrunken hatte, dann hatte er sich so gefühlt, als wäre er gerade durchgekaut und ausgespuckt worden. Fye nahm noch tiefer Luft und umklammerte das Waschbecken noch fester. Aber die Magie in seinem zurückgekehrten linken Auge hatte sämtliche Vampirzellen aus seinem Körper getilgt, daran konnte es also nicht liegen und es war definitiv nicht klug, weiter über Vampire und Blut nachzudenken, solange ihm das Frühstück hochkam.

Seine Magie ….

Warum nur fühlte sich alles so komisch an? Seit sie in dieser Welt gelandet waren, hatte er das Gefühl, seine Magie wäre … aufgebracht.

Eigentlich bin ich auch nicht hier. Du bist ganz allein, Yui.“

Fye erstarrte vor dem Spiegel.

Nur ein Albtraum. Er träumte hin und wieder von seinem Bruder, das war nichts Ungewöhnliches. Es war nur eine ganze Weile schon nicht mehr so heftig gewesen.

Er hielt seinen Kopf unter das kühle Nass aus dem Wasserhahn, tupfte sich mit einem Handtuch trocken und sah mit einem gequälten Lächeln noch einmal in den Spiegel.

„Kuro-pon dürfte schwer zu überzeugen sein.“

 

Nicht nur der, wie Fye umgehend feststellte, nachdem er die Tür geöffnet hatte und Shaolan direkt angelaufen kam, um ihn zu stützen. Das Herz des Älteren brach ein wenig bei der Miene, die der Junge zog. Es war offensichtlich, dass er seine Sorge um den Magier nicht offen zur Schau tragen wollte und doch … war sie ganz deutlich erkennbar.

„Vielen Dank, Shaolan-kun.“

„Das ist selbstverständlich“, erhielt er zurück.

„Lasst uns bloß schnell einen Arzt finden.“ Fye setzte sich auf eine Armlehne des Sofas. „Das fängt an, nervig zu werden.“

„F-fye-san, wenn … wenn wir auf die Straße gehen, dann … dann musst du ...“

„Haha!“ Das Lachen des Erwähnten unterbrach das Gestammel des Jungen. „Weiß ich doch!“ Er knöpfte sich wieder die oberen Verschlüsse seines Gewandes auf und winkte Mokona heran, die sogleich erfreut auf ihn zu hüpfte und unter dem griesgrämigen, peinlich berührten Grummelns Kuroganes in seine Kleidung krabbelte.

„Kuro-Mäuschen, sei ein guter Ehemann und hilf mir!“

„MÄUSCHEN?????“ Der mit einem Mal hochrote Kopf des Ninjas machte den Eindruck, gleich zu explodieren.

Ein breites Grinsen legte sich auf Fyes Gesicht. „Ich habe in einer anderen Welt mal mitbekommen, wie jemand seinen Partner so genannt hat. Ist doch niedlich, oder?“

„NIEDLICH????“

„Oder wie gefällt dir 'Kuro-Häschen'? Das ginge auch.“

„SEH ICH FÜR DICH NACH IRGENDEINEM SÜSSEN TIERCHEN AUS????“

Mokona kicherte unter Fyes Gewand und Shaolan richtete einen sanften Rüffel an die kleine Kreatur.

„Psst, Mokona. Du musst ganz leise sei-“ Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er quasi mit Fyes Bauch gesprochen hatte und verschämt marschierte er schnurstracks zur Tür. „W-wir sollten jetzt aufbrechen!“

 

Da Shaolan stets umsichtig war, hatte er am Abend zuvor, bei seinem Besuch im Café, bereits gefragt, wo sie einen Arzt finden konnten. Die Inhaberin hatte ihm daraufhin den Weg zur hiesigen Klinik erklärt, dem die Reisenden nun folgten. Aufmerksam sah der Junge sich um, während er sich größte Mühe gab, den Weg möglichst rasch zu finden. Nun da Fye wieder bei ihnen war, verlangte niemand von ihm, irgendwelche Papiere vorzuzeigen.

„Ich glaube, es war klug, dass wir Mokona direkt versteckt haben“, sagte Shaolan leise zu den beiden anderen. „So etwas wie magische Kreaturen scheint es hier nicht zu geben.“

„Shaolan-kun, findest du nicht auch, dass die Magie in dieser Welt sich etwas anders anfühlt als kurz nach unserer Landung?“, fragte Fye und erntete dafür unverzüglich Zustimmung.

„Gleich nach unserer Ankunft habe ich ein wenig Magie gespürt, aber jetzt ist es nur noch ein ganz schwacher Hauch.“

Der Magier stutzte. „Ein wenig? Nur noch ein Hauch?“

„Was ist? Stimmt was damit nicht?“, hakte Kurogane nach.

„Das ist seltsam.“ Fye runzelte die Stirn. „Ich wollte zwar auch darauf hinaus, dass die Magie anscheinend weniger geworden ist, aber sie ist immer noch ganz deutlich spürbar.“

Fragend blickte Shaolan ihn an. „Wenn ich mich nicht völlig darauf konzentriere, kann ich sie fast nicht wahrnehmen.“

„Muss uns das beunruhigen?“ Kuroganes Tonfall spiegelte wieder, wie unerfreulich er diese Nachricht fand.

„Nein, nicht unbedingt“, antwortete Fye nachdenklich. „Vielleicht liegt es nur an den Unterschieden in unseren Zauberkräften.“

„Ah, hier!“ Shaolan blieb plötzlich stehen und zeigte auf ein gräulich gestrichenes Haus mit grünen Fensterrahmen. „Das muss die Klinik sein.“ Er lief voraus und versuchte, das Schild vor dem Haus zu entziffern. Enttäuscht sanken seine Schultern zusammen. „Ich kann diese Schrift nicht lesen. … Moment!“ Geschwind schüttelte er seine Enttäuschung ab, öffnete die Tür des Hauses und verschwand darin, um wenige Sekunden später wieder nach draußen zu laufen. „Es ist die Klinik!“, rief er seinen Gefährten erfreut entgegen, die einen irritierten Blick austauschten, ehe sie ihm langsamen Schrittes ins Innere folgten.

 

„Ich hatte gedacht, er wäre traurig, dass er die Bücher in der Bibliothek eventuell nicht lesen könne, aber es ging ihm darum, sicher zu sein, dass wir hier richtig sind“, sagte Fye amüsiert, als er und Kurogane (und Mokona) in einem Untersuchungsraum warteten. Shaolan hatte derweil auf einem der im Flur stehenden Stühle Platz genommen. Die Kombination aus Fyes sichtbarer Verletzung und seinen „Umständen“ (jedes Mal, wenn dies zur Sprache kam, knirschte Kurogane mit den Zähnen) hatte ihnen ein schnelles Drankommen ermöglicht. Der Magier hatte am Empfang zügig hinzugefügt, dass sein Mann ebenso verletzt war und so waren sie umgehend in ein Arztzimmer gebracht worden.

„Typisch für den Kleinen.“ Kurogane erlaubte sich ein stolzes Grinsen. Er lehnte gegen eine Wand, während Fye auf der im Raum stehenden Liege saß und sein gesundes Bein baumeln ließ. Soweit sie es hatten sehen können, gab es hier keine fortschrittlichen medizinischen Geräte wie in Hanshin oder gar Piffle, aber gezeichnete Bilder über Anatomie und Krankheiten zierten die Wände im Raum, was Aufschluss gab über eine gewisse Expertise in diesem Bereich.

„Shaolan ist so lieb~“, wisperte Mokona aus ihrem Versteck und wurde dafür sogleich von Kurogane gescholten.

„Du sollst doch still sein.“

Lachend streichelte Fye die Kugel an seinem Bauch, als die Tür aufging und ein junger Arzt hineinkam.

„Guten Tag, tut mir leid, dass Sie warten mussten …. Gibt es einen Grund, dass Sie mich so überrascht ansehen?“ Der Arzt blinzelte seine Patienten fragend an.

„Äh, ha, ha, nein“, erklärte Fye zögerlich und erneut mit der höchsten Stimmlage, die er erreichen konnte, „wir sind nur überrascht, dass Sie … ein Mann sind.“

„Huh?“

„Wir dachten, Männer hätten hier nicht viel zu sagen“, äußerte der Ninja kurz und knapp.

Die Verwirrung des Arztes nahm zu. „Was? Nein, wie kommen Sie denn darauf?“

„Was ist denn mit diesem Gesetz, dass man nicht ohne Frau das Haus verlassen darf?“, ergänzte Kurogane mürrisch.

Der Mediziner schüttelte irritiert den Kopf. „Aber das hat doch nichts damit zu tun, welche Ausbildung man machen kann. Die Gesetze dienen doch nur dazu, dass sich nicht wieder eine Verschwörung gegen die magischen Wächterinnen zusammenrottet.“

„Eine Verschwörung?“ Fyes Frage ließ den Arzt besorgt auf ihn zu kommen.

„Haben Sie auch eine Kopfverletzung?“

Schnell wedelte der Magier mit den Händen. „Ach, DIE Verschwörung natürlich! Wo bin ich nur mit meinen Gedanken?“

Der Arzt sah auf das Klemmbrett, das er in Händen hielt. „Sie haben eine Beinverletzung und Ihr Mann Verbrennungen an Arm und Rücken?“ Er blickte auf. „Was in aller Welt ist denn passiert?“

Kurogane warf dem Magier einen Blick zu.

Dein Fachgebiet“, sollte das wohl heißen.

„Unser Haus ist abgebrannt“, log Fye mit dem nötigen Maß an Betroffenheit, um überzeugend zu klingen. „Dabei wurde mein Bein von einem Pfeiler eingeklemmt und Kuro-sama hat sich die Verbrennungen geholt, als er mich und unseren Sohn retten wollte.“

Der nächste Blick des Ninjas las sich als: „Beeindruckend, wie schnell du eine Lüge aus dem Hut zaubern kannst – und wie beunruhigend.“

Fye antwortete mit einem sehr selbstzufriedenen Grinsen, bevor er sich wieder dem Arzt zuwandte: „Sehen Sie sich zuerst seine Verbrennungen an?“

„Ja, kann ich mach-“. Der Mediziner zuckte zusammen, als ein leises Grollen von dem dunkelhaarigen Mann zu hören war.

„Se-setzen Sie sich … bitte“, bat der junge Arzt eingeschüchtert und obwohl Kurogane tat wie ihm gesagt worden war und sich auf den Hocker setzte, der bei der Liege stand, beruhigte ihn das kein Stück. „Ma-machen Sie sich frei … bitte.“

„Kuro-tan, du machst dem armen Mann Angst.“

„Pah.“ Widerwillig zog Kurogane seinen Pullover so weit aus, dass die verbrannten Bereiche an Arm und Rücken sichtbar wurden, der linke Arm jedoch verdeckt blieb. Die aktuelle Version des künstlichen Armes ging fast nahtlos in seine Haut über, aber jemand mit einem geschulten Auge konnte vielleicht doch die Verbindungen sehen und das wollte er nicht riskieren. Behutsam wickelte der Mediziner die Verbände ab.

„Du meine Güte“, entfuhr es ihm entgeistert, als er an die Verletzungen heranrückte und sie aus der Nähe begutachtete. „Das sieht richtig schlimm aus, Sie müssen doch höllische Schmerzen haben.“

„Pah.“

Betrübt schüttelte Fye den Kopf. „Hab ich's mir doch gedacht.“

Kurogane blickte stur in die andere Richtung.

„Da wird eine einfache Behandlung nicht ausreichen.“ Erwägend schaute der Arzt zu Fye. „Ich will mir zuerst Ihr Bein ansehen, bevor ich etwas unternehme.“

„Okay!“ Fye rutschte auf der Liege zurück, schwang sein herunterhängendes Bein darauf und schob das Hosenbein des verletzten Beins hoch. Zum Vorschein kam eine improvisierte Schiene aus einem Stück Holz und einem Verband, die der Arzt entfernte, nachdem er eine skeptische Miene gezogen hatte.

„Das ist ja wirklich ...“, murmelte er, als er die geschwollene und entzündet aussehende Gliedmaße betrachtete. Vorsichtig tastete er das Bein ab und trotzdem entfuhr Fye ein lauter Schmerzensschrei.

„Passen Sie gefälligst auf!“ Kurogane, der bereits zuvor wieder seinen Blick auf den Magier gerichtet hatte, bellte den verschreckten Mediziner wütend an.

„J-ja doch! Tut mir leid.“

„Schon gut“, Fye lächelte gequält, „nehmen Sie ihm das bitte nicht übel. Kuro-rin, der Mann versucht nur, uns zu helfen.“

„Hn.“

„Das Bein ist mit höchster Wahrscheinlichkeit gebrochen. Entweder sind Sie beide sehr tapfer oder sehr stur.“ Der Arzt fasste sich überfordert an den Kopf. „Bei so schweren Verletzungen hilft nur eins: Ich werde die magische Wächterin holen. Bitte warten Sie einen Augenblick.“ Er eilte aus dem Raum und rannte fast in Shaolan, der aufgesprungen war, als er Fye hatte schreien hören. „Du kannst bei deinen Eltern warten.“ Der junge Doktor setzte rasch seinen Weg fort, während Shaolan zaghaft eintrat.

„Ist alles in Ordnung?“

Der Magier winkte ihn heran. „Tut mir leid, habe ich dich erschreckt?“

„Kann er euch helfen?“ Den Blick auf die Wunden der anderen gerichtet, blieb der Junge bei Fye stehen, der mit den Schultern zuckte.

„Er will eine magische Wächterin holen. Vielleicht jemand, der Heilzauber beherrscht?“

„Guck nicht so, als wäre gerade Weltuntergang“, ermahnte Kurogane seinen Schützling. „Ich sagte doch, wir werden wieder.“

Schnelle Schritte ließen sie innehalten. Einen Moment später rauschten der Arzt und eine Frau mit kurzen, schwarzen Haaren hinein. Sie trug einen weißen Arztkittel, der mit goldenen Knöpfen besetzt war. Die Frau sah aus, als wäre sie um die 30, aber wie bei Simone hatte Fye umgehend die starke Vermutung, dass dies nicht ihr tatsächliches Alter war. Sie waren schließlich Magierinnen.

„Holla, die Waldfee!“, rief die Frau fröhlich aus. „Was haben wir denn da? Ordentlich Arbeit für mich, was?“ Sie ließ ihre aufgeweckten Augen über die drei schweifen - und wieder wie bei Simone fühlte Fye für einen flüchtigen Moment, dass ihre Augen auf ihm ruhten. Er unterdrückte seine Magie so sehr, dass sie eigentlich nicht wahrnehmbar sein durfte. Merkten sie trotzdem etwas? Wie stark waren diese magischen Wächterinnen eigentlich? Bei ihr und Simone spürte er nur geringe Zauberkräfte. Unterdrückten sie ihre Kräfte etwa auch?

„Okay, okay!“ Die Frau klatschte in die Hände. „Ich heiße Monique, ich bin die einzige Wächterin in der Stadt, die Heilzauber beherrscht und ich rate mal und sage, ihr seid noch nie von einer magischen Wächterin behandelt worden?“

„Nein. Wir haben zum ersten Mal das Vergnügen“, entgegnete Fye freundlich.

Monique nickte. „Alles klar! Also, das Folgende wird verdammt weh tun, aber ich sollte euch wieder hinkriegen.“

„Das klingt gut.“

„Immer langsam“, schaltete sich Kurogane misstrauisch ein. „Ich lass doch nicht einfach irgendein Zauberzeugs mit mir machen.“

„Doch, wirst du“, widersprach ihm der Magier. „Glaub nicht, dass ich dir das einfach vergesse, dass du mal wieder deine Schmerzen vor uns verheimlicht hast.“

„Hmpf.“

„Awww, ihr seid ein süßes Paar!“, rief die Heilerin entzückt aus und ließ damit Kurogane dunkelrot im Gesicht werden.

Waren eigentlich alle Magier automatisch Knalltüten?!

„Ich kann ja mit der Mama anfangen“, fuhr die Frau ungebrochen enthusiastisch fort. „Dann guckt euer Sohn auch vielleicht nicht mehr so verängstigt.“

„Hm?“ Shaolan zuckte zusammen und lief zartrosa an.

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, was?“ Die Wächterin lachte und trat an Fye heran. Aufmerksam beobachtete dieser, wie ein helles Licht aus ihren Händen strahlte und immer stärker wurde. Langsam senkte sie ihre Hände hinab, bis sie sein Bein berührten und das Licht in dieses zu fahren schien.

„Aaaaah!!“ Ein höllischer Schmerz fuhr durch sein Bein und Fye hatte das Gefühl, es würde verbrennen. Weiße Blitze zuckten vor seinen Augen und es war ihm, als würde der Raum sich drehen. Als er panisch nach Shaolans Hand griff, war dies nicht einmal eine bewusste Handlung, aber es gab ihm ein wenig Sicherheit, zu spüren wie der Junge seine Hand fest drückte. Er spürte ebenso, wie Mokona sich angespannt gegen die Hand presste, die sie an Ort und Stelle hielt. Kurogane war gleich aufgesprungen und warf der Wächterin einen drohenden Blick zu, doch diese blieb völlig gelassen.

„Ich sagte doch, es würde wehtun. Ist gleich geschafft.“

Das Licht verschwand und sie nahm ihre Hände zurück.

Fye keuchte atemlos vor Schmerzen und musste einige Male blinzeln, ehe seine Sicht wieder klarer wurde. Die Blicke seine beiden Gefährten schnellten zu dem behandelten Bein. Es war noch etwas gerötet, doch ansonsten … sah es wieder voll und ganz hergestellt aus.

„Wird noch so ein, zwei Tage dauern, bis es wieder voll belastbar ist, also noch schön schonen“, instruierte Monique.

„Geht es?“, fragte Shaolan und atmete erst erleichtert aus, als Fye zaghaft nickte.

„Sie hat ... nicht übertrieben …. Das tat ... verdammt weh.“ Er lächelte noch viel gequälter als zuvor. „Aber … es fühlt sich tatsächlich schon besser an.“

„Der Nächste bitte!“ Die Wächterin ließ direkt von neuem das Licht aus ihren Händen erstrahlen und überrumpelte Kurogane, indem sie ihm, ohne auf sein Einverständnis zu warten, einfach ihre Hände auf die verbrannten Stellen aufdrückte.

„Wa-?! VERDAMMTE SCHEISSE!!“ Übertölpelt und von den heftigen Schmerzen überrascht, taumelte der Ninja auf den Hocker zurück und biss die Zähne zusammen. Doch selbst ihm entglitt ein Schmerzensschrei.

„Shaolan“, sagte Fye und der Junge verstand sofort. Er ließ die Hand des Blonden los, schritt zu Kurogane und drückte diesem die linke Schulter. (Er war sich sehr sicher, dass Kurogane nicht seine Hand halten wollte. Egal, was war.)

„So~, auch du musst dich noch ein bisschen schonen“, flötete Monique unbeeindruckt von dem bösen Blick, den der Ninja ihr zuwarf. „Eventuell bleiben ein paar kleinere Narben, aber so weit ich das sehe, sind das nicht deine ersten.“ Ungeniert lugte sie seinen Rücken hinunter, bevor er hastig von ihr wegrückte.

Die Heilerin lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Fye. „Soll ich noch nach dem Baby sehen, nur zur Sicherheit?“

Die drei erstarrten und gerieten heftig ins Schwitzen.

„Nicht nötig“, beeilte sich Fye zu sagen, „dem geht es gut! Ja, alles gut!“

„Wie du meinst. Aber es würde mir nichts ausmachen.“

Uns aber!, dachten alle drei gleichzeitig, doch zum Glück hakte Monique nicht weiter nach. Mit dem gleichen fröhlichen Grinsen, das sie die ganze Zeit bereits an den Tag gelegt hatte, entließ sie ihre Patienten und winkte ab, als Shaolan fragte, wie sie für ihre Dienste bezahlt würde.

„Die Klinik wird durch Steuergelder finanziert, also kostet euch das nichts. Seid ihr noch nie zuvor in einer Klinik gewesen?“

„Ist schon eine Weile her“, entgegnete Fye mit dem gleichen Maß an Frohsinn, um möglichst nicht weiter negativ aufzufallen.

Die Wächterin legte den Kopf schief und schüttelte ihn letztlich. „Wie dem auch sei. Vergesst nicht den Teil mit der Schonung. Dein Brummbär von Ehemann sieht so aus, als müsste man ihm das noch einmal sagen.“

Alle Magier SIND Knalltüten!!, sagte derweil Kuroganes Blick, während er aufstand und ihm kurz schwarz vor Augen wurde. In der Hoffnung, dass dies niemand gemerkt hatte, wollte er Fye hochhelfen, doch Shaolan war wieder an dessen Seite zurückgekehrt und bot dem Magier seine Schulter zum Daraufstützen an. Fye und Shaolan bedankten sich noch einmal ausgiebig bei ihrer freundlichen Helferin und dem Arzt, ehe sie alle die Klinik wieder verließen.

„Uuuuiiii“, flötete Fye munter, als sie wieder auf der Straße waren, „mein Bein fühlt sich viel besser an, ich kann es sogar ein bisschen belasten!“

„Belass es bei dem Bisschen“, murrte Kurogane.

„Ja doch, ja doch. Aber dafür bin ich ziemlich erledigt. Du auch, Kuro-pon?“

„Hn.“

„Das heißt 'Ja' in der Ninjasprache.“

„Ist mir neu, dass du irgendeine andere Sprache verstehst!“

Amüsiert hörte Shaolan den beiden zu. Solange sie so miteinander sprachen, war alles in Ordnung. Dann trübte sich seine Miene etwas.

„Kurogane-san, Fye-san“, begann er ernst und hatte so im Handumdrehen die Aufmerksamkeit der beiden Männer, „wir sollten zurück in die Wohnung. Monique sagte, ihr solltet euch ausruhen. Ich kann die Bibliothek morgen aufsuchen.“

„Quatsch“, widersprach Kurogane ihm, „wir brauchen schließlich keinen Aufpasser. … Ich zumindest nicht.“ (Der andere Mann zog an dieser Stelle eine empört-beleidigte Schnute.) „Daher geh ruhig. Diese Stadt scheint friedlich zu sein, aber ich muss dir ja nicht extra sagen, dass du trotzdem aufpassen sollst.“

Er erntete ein entschlossenes Nicken des Jungen.

 

„Haaaahhh~“ Mit einem lauten Seufzer ließ Fye sich auf das Sofa in ihrer Wohnung fallen, nachdem Shaolan ihn bis dorthin begleitet hatte. „Ich bin platt.“

„Ich will mich heute nur einmal dort umsehen und bleibe nicht lange“, erklärte Shaolan. „Ich kann auf dem Rückweg auch etwas zu essen mitbringen.“

Ein Schmunzeln legte sich auf die Lippen des Magiers. „Bleib so lange, wie du magst. Wir kommen zurecht.“

„Essen klingt gut!“, ertönte es aus der Leibesmitte des Mannes. „Shaolan kauft wieder so leckere Sachen wie gestern, ja?“

„Raus da, Klops!“, bellte Kurogane in Mokonas Richtung, als die kleine Kreatur unter Fyes Gewand von neuem zu zappeln begonnen hatte. Das war kein Anblick, an den er sich gewöhnen wollte.

Fye lachte und öffnete sein Oberteil, aus dem Mokona äußerst gemächlich herausgekrabbelt kam.

„Fye ist so~ schön waaaarm!“

„Vielleicht nimmst du Mokona besser mit“, schlug der Magier vor. „Die Bibliothek ist ein bisschen weiter weg, nicht wahr?“

„Ja, beim Rathaus.“ Der Junge griff sogleich seinen kleinen Rucksack und schütte behutsam den Inhalt aus. „Aber ich hoffe, es ist nicht so weit, dass ihr euch dann nicht mehr-“

„Ach was“, er winkte ab, „Kuro-rin und ich verstehen uns auch ohne Worte.“

„Hn.“

„Siehst du? Das war wieder ein zustimmendes 'Hn'.“ Der Blondschopf ignorierte den bohrenden Blick, den der Größere ihm zuwarf.

Mokona hüpfte in Shaolans Rucksack und zögerlich schloss der Brünette die Klappe und hing sich die Tasche um. „Ich bleibe nicht so lange.“

„Jetzt geh schon, bevor das Ding zumacht.“ Kurogane gab ihm einen sanften Schubs in Richtung Tür. Erneut nickte der Junge und machte sich auf den Weg.

Kaum war die Tür wieder geschlossen, setzte sich Kurogane ebenso auf die Couch – und hielt dabei ein Stöhnen zurück.

„Aha“, er musste nicht zu Fye gucken, um zu sehen, dass dieser süffisant grinste, „du wolltest nicht, dass Shaolan sieht, wie erschöpft du bist, richtig?“

„Pah.“ Ertappt gab der Ninja ein unzufriedenes Grummeln von sich. „Du wolltest das Wollknäuel loswerden, weil du nicht mit mir reden willst.“

„Wo denkst du hin?“

Eine Sekunde später schaute Kurogane stutzend auf seinen Schoß hinunter, auf den Fye nun seinen Kopf bettete.

„Wann wollte ich je nicht mit dir reden?“

„Ist das eine Scherzfrage?“

Einen Moment lang sahen sie sich schweigend an. Fye hatte ein schwaches Lächeln im Gesicht und auch wenn dies nicht generell Grund zur Sorge war, Kurogane erkannte den Hintergrund dieses Lächelns: Der Magier war nicht ehrlich und hatte irgendetwas im Sinn. Seine Instinkte warnten ihn, noch aufmerksamer zu sein.

„Shaolan ist ein guter Junge, nicht wahr?“

Die plötzliche Aussage des Blonden brachte den Ninja durcheinander. Was sollte das denn jetzt?

„Kein Zweifel.“

Fye seufzte. „Wir sollten uns Gedanken darum machen, wie wir ihm besser helfen können. Es nagt an ihm, dass er nicht weiterkommt. Und dann die Sache aus Dragoon …. Das hat ihn sehr mitgenommen, auch wenn er es nicht zugibt.“

„Auch der Bengel ist nicht aus Glas. Er ist nicht nur ein guter Junge, sondern auch ein zäher. Sonst hätte er den ganzen Mist nicht überlebt.“

Ein zartes Lachen entwich Fyes Kehle. „Das solltest du ihm mal sagen, Kuro-sama. Er strahlt jedes Mal, wenn du ihn lobst. So glücklich sieht er sonst nur in Sakura-chans Nähe aus.“

„Versuchst du, vom Thema abzulenken?“

„Nein“, das Lächeln nahm verschmitzte Züge an, „nicht wenn unser Thema Shaolan ist. Ich mache mir Sorgen, wie lange unsere Reise noch dauern wird und wie viele Welten wir noch bereisen müssen, bevor er mit seinen Eltern endlich wiedervereint wird.“

Eindringlich starrten Kuroganes rote Augen in die Hellblauen des anderen Mannes. „Wenn du lügst, setzt es Hiebe.“

Wortlos hielt Fye seinem Blick Stand, ehe er die Augen schloss. „Ich bin viel zu müde, um zu lügen.“ Ein weitaus entspannteres Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er eine Hand sanft über seinen Kopf streichen fühlte.

Was uns vor dem Zerbrechen bewahrt

Shaolan blieb vor seinem Ziel stehen und betrachtete es ausgiebig. Verglichen mit der Bibliothek sah das Rathaus beinahe schmächtig aus. Neben dem hübschen roten Gebäude mit einer schwarzen Kuppel auf dem Dach erhob sich die mehrstöckige Bibliothek. Die großen Fenster waren wie die mächtige Eingangstüre weiß gestrichen und bildeten so einen schönen Kontrast zu dem blassen Grün, in dem der Bau gehalten war. Mit offenem Mund und staunenden Augen betrat Shaolan die Bibliothek (das auf dem Schild draußen ein Buch gemalt war, hatte enorm bei der Feststellung des richtigen Gebäudes geholfen. Mehr als „neben dem Rathaus“ hatte er am Vorabend als Wegbeschreibung nicht erhalten und so hatte er sich bis zum Rathaus durchgefragt und tatsächlich war er ohne Fye wieder auf der Straße kontrolliert worden).

Im Inneren der Bibliothek war es hell und auch wenn es draußen gar nicht kalt war, kam es Shaolan hier noch etwas wärmer vor. Hell, warm und freundlich. Und so viele Bücher. Er konnte sie vom Eingangsbereich bereits in den dahinter stehenden Regalen sehen. Eine große Treppe führte in die oberen Etagen und auch da standen noch mehr Bücher.

„Ah~“, piepste es fröhlich aus seinem Rucksack, „Shaolan ist glücklich!“

Der Junge musste leise lachen. „Ja, das ist wahr. Aber du musst trotzdem ruhig sein, Mokona. Wenn jemand meine Tasche kontrolliert, musst du schließlich so tun, als seist du ein Stofftier.“

„Mokona kann alles sein: Baby, Stofftier und ganz leise.“ Damit verstummte die kleine Kreatur und Shaolan setzte seinen Weg zum Empfangsbereich fort.

„Entschuldigung“, wandte der Junge sich an die Mitarbeiterin, die sich dort hinter dem Tresen befand, „ich bin heute zum ersten Mal hier.“

„Brauchst du einen Ausweis?“, fragte die Frau freundlich und griff bereits nach einem Formular, doch Shaolan schüttelte den Kopf. Er konnte diese Schrift nicht lesen und damit war das Ausfüllen eines solchen Dokuments hinfällig. Und wie sollte er erklären, dass er nicht lesen konnte und trotzdem in die Bibliothek wollte?

„Kann ich mir die Bücher hier in der Bibliothek ansehen?“

„Natürlich. Suchst du etwas Bestimmtes?“

„Haben Sie Bücher in anderen Sprachen?“ Wann immer sie irgendwo landeten, wo keiner von ihnen die Schrift entziffern konnte, war dies Shaolans grundlegender Ansatz geworden. Wenn er ein Buch fand, das er zu lesen im Stande war, dann fand sich vielleicht sogar ein Wörterbuch und mit diesem wiederum vermochte er dann die hiesige Schrift zu entschlüsseln. Es gab Welten, in denen er jedoch gar kein Glück hatte und obwohl ihn dies Mal für Mal entmutigte, wurde ihm bei dem Gedanken an all die Male dennoch warm ums Herz, denn seine Begleiter schafften es immer, ihn wieder aufzuheitern.

Dann suchen wir in der nächsten Welt weiter, Shaolan-kun.“

Tsk. Hör auf den Kopf so hängen zu lassen. Du gibst doch nicht etwa auf, oder?“

„Nicht traurig sein! Mokona weiß ganz bestimmt, dass alles gut werden wird!“

„In der ersten Etage“, antwortete die Bibliotheksangestellte, „folge einfach den Schildern, wenn du oben bist.“

„Äh, ja, vielen Dank.“ Er machte eine kurze Verbeugung und begab sich zur Treppe. Den Schildern folgen? Shaolan seufzte innerlich. Dann musste er wohl jedes einzelne Regal absuchen, bis er etwas fand, das er lesen konnte. Sorgsam schritt er durch jede Regalreihe und als er endlich Zeichen gefunden hatte, die sich von den anderen unterschieden, überprüfte er mühevoll jeden einzelnen Titel.

Er hatte eine Ahnung, wie die Buchstaben aus den Welten aussahen, aus denen Kurogane und Fye stammten (selbstverständlich hatte Shaolan sie gebeten, ihm ihre Sprachen beizubringen, doch beide Zeichensysteme waren viel schwerer als die, die er kannte) und so suchte er gleichzeitig auch nach diesen oder ähnlichen Zeichen, falls die anderen beiden in der Lage wären, hier etwas zu entziffern.

„Shao … Shaolan, richtig?“

Die Stimme einer jungen Frau riss ihn aus seinen fokussierten Gedanken. Er blickte auf und vor ihm stand ein Mädchen mit einem dunkelbraunen Bobhaarschnitt und ebenso dunklen Augen, die ihn neugierig musterten. Sie hielt ein Buch in Händen und lächelte ihn an. Es war Hélène, die Tochter ihrer Wohltäterin Simone.

„Ja“, erwiderte Shaolan höflich und lächelte ebenso. „Noch einmal vielen Dank für gestern.“

„Junge, Junge“, rüffelte sie ihn, „in einem Blitzfeld rumlaufen. Da kannst du froh sein, dass wir gehalten haben.“

Der getadelte und peinlich berührte Junge verbeugte sich entschuldigend und sie lachte leise. „Lass gut sein. Gefällt es dir und deinen Eltern hier?“

Bei ihrer Frage zuckte Shaolan ein wenig zusammen. Er spielte das Spiel zwar mit, Kurogane und Fye als seine Eltern auszugeben, aber ein bisschen traf es ihn doch jedes Mal ins Herz, wenn dies geschah. Seine Eltern. Sie waren unterwegs, damit er seine leiblichen Eltern wiedersehen konnte.

Er stolperte über seinen eigenen Gedanken. Sein Unterbewusstsein hatte ein „leiblich“ vor seine Eltern gesetzt. Hatte er damit gerade unbeabsichtigt seine beiden Gefährten in der Tat als eine Art Eltern bezeichnet? Als eine Art Eltern für … ihn?

„Shaolan?“, hakte Hélène nach, als der Blick ihres Gegenübers immer bestürzter wurde.

„Äh, ja!“, schrak er aus seinen Gedanken hoch. „Das ist eine wirklich schöne Stadt!“

„Das freut mich zu hören! Kaum zu glauben, dass sie nach dem Krieg in Trümmern lag, was?“

„In Trümmern?“

„Na ja, fast alle Städte waren zerstört. Zum Glück konnten meine Mutter und die anderen rechtzeitig eingreifen und verhindern, dass die Blitze auf die Städte übergriffen. So konnte alles wieder aufgebaut werden.“ Hélène lächelte stolz und legte rasch darauf den Kopf schief, weil Shaolan sie fragend anschaute.

„Diese Blitze sind durch Waffen entstanden?“

Das Mädchen musterte ihn noch einmal intensiv, ehe sie nickte. „Die alte Regierung wollte die Nachbarländer erobern und entwickelte dafür Waffen, die ihnen außer Kontrolle gerieten und beinahe alles vernichtet hätten. Für das Problem mit den Blitzfeldern gibt es aber leider noch keinen funktionierenden Zauberspruch.“

Gedankenvoll fasste Shaolan sich mit einer Hand ans Kinn. „Und die Waffen ließen sich damals nicht mit Magie aufhalten?“

„Aber Shaolan, damals gab es doch gar keine Magie.“ Hélène schüttelte den Kopf.

„Es gab keine Magie?“

Das Mädchen stutzte. „Du hast wahrhaftig keine Ahnung vom dem, was damals passiert ist, oder?“

Der Junge zuckte ein weiteres Mal zusammen, dieses Mal noch heftiger. „Ich … ähm … wir … wir kommen von wirklich sehr weit her.“ Er schluckte. Hoffentlich hatte er jetzt keinen Mist gebaut.

Hélène runzelte die Stirn, als würde sie über etwas nachdenken. „Die magischen Wächterinnen sind von jeher unsere Anführerinnen, doch es gab mal eine Zeit, als einige Männer sich gegen sie zusammengetan haben, um sie zu stürzen. Sie hatten diesen Plan gefasst, nachdem sie in den Besitz des aus dem Nichts erschienenen Unheilsbringers gelangt waren. Und mit diesem versiegelten sie die natürliche Magie unserer Welt, sodass die Wächterinnen über keine Zauberkräfte mehr verfügten. Weil sie die Wächterinnen hassten und Angst hatten, es könnte doch noch eine Frau mit Zauberkräften übrig sein, unterdrückten sie alle Frauen. Als sie dann die Nachbarländer angriffen, verteidigten die sich verzweifelt und es kam es zum großen Krieg. Nachdem der Unheilsbringer von der dämonischen Gestalt geraubt worden war und die Magie zurückkehrte, konnten die Wächterinnen den Krieg beenden und alles wieder aufbauen.“

Aufmerksam hatte Shaolan ihrer Erzählung zugehört. Wie er es liebte, etwas Neues zu lernen! Selbst wenn es eine so traurige Geschichte war. Und nun verstand er endlich, was es mit diesem Land auf sich hatte. Fye hatte nach dem Arztbesuch erzählt, dass es hier mal eine Verschwörung gegeben hatte und jetzt begriff Shaolan, was dieses Gesetz und der Ausnahmeschein sollten. Die Wächterinnen wollten verhindern, dass es noch einmal zu einem Putsch kommen konnte. Außerdem, so schlussfolgerte er aus Hélènes Erklärungen, schienen hier nur Frauen Zauberkräfte zu besitzen. Allerdings … eine Sache verstand er ganz und gar nicht.

„Hélène, was genau ist 'der Unheilsbringer'?“

Das Mädchen sah ihn todernst an. „Die Feder.“

Sämtliche Luft entwich plötzlich aus Shaolans Lungen.

 

Fye konnte sich nicht bewegen.

Das hieß, doch, er bewegte sich, aber es war nicht eigener Wille, der seine Bewegungen lenkte. Eine Macht von außen, eine auf die er keinen Einfluss hatte, die er nicht aufhalten konnte, steuerte seinen Körper und zwang ihn zu den Bewegungen, die er von sich aus nie freiwillig ausgeführt hätte.

Seine Hände legten sich fest und zupackend um den Schwertgriff. Seine Beine liefen los und sein ganzer Körper setzte zum Angriff an – zu einem Angriff, den er nicht machen wollte, den er auf gar keinen Fall machen wollte und bei dem er doch gerade sehenden Auges auf sein Ziel losstürmte.

Sein geliebtes Ziel, dem er niemals Leid antun wollte.

Sakura-chan.

Das Schwert durchbohrte sie gnadenlos. Ihre fragile Gestalt wurde von der Klinge geradezu aufgespießt.

Nein. Von ihm. Von ihm, der das Schwert hielt und nicht stark genug war, gegen einen Fluch anzukommen.

Alles in Fye schrie „Aufhören! Aufhören!“, doch sein Körper gehorchte ihm nicht. Kurogane brüllte verzweifelt, dass er das Schwert nicht ziehen durfte und Fye wusste dies. Er wusste, dass er es nicht ziehen durfte, um ihr nicht noch mehr Schaden zuzufügen. Doch sein Körper zog es erbarmungslos aus Sakura-chans sterbender Gestalt.

Er hatte die Prinzessin getötet.

Shaolan kam auf ihn zu. Er konnte ihn trotz der Tränen, die sich wie ein Schleier auf sein Auge gelegt hatten, sehen. Und Fye erstach auch ihn. Das Blut der Kinder legte sich auf ihn wie ein Brandmal, das seine Sünden der Welt offenbarte. Trotzdem stoppte sein Körper nicht. Einer war schließlich noch übrig. Einer noch, bis er ganz allein war.

Das weinende Auge richtete sich auf den ihn voller Entsetzen anstarrenden Mann.

 

„Hey. Hey! HEY!!“

Klatsch!

Fye schrak aus seinem Traum hoch, nachdem Kurogane ihm einen behutsamen Schlag auf die Wange verpasst hatte. Verwirrt und ziellos rasten die blauen Augen an die Zimmerdecke (es war dunkler als zuvor, die Sonne musste in der Zwischenzeit untergegangen sein), dann auf seine Hände (auf denen kein Blut zu sehen war) und schließlich zu Kurogane, der ihn grimmig anblickte. Fye hatte das Gefühl, dass sein Herz gleich aus der Brust sprang und dem Mann, in dessen Armen er lag, würde dies kaum entgehen. Fürs Erste war er dennoch erleichtert, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Die tatsächlichen Geschehnisse in Infinity waren damals schon furchtbar genug gewesen, aber das eben …. Der Magier versuchte, durchzuatmen. Eine noch schrecklichere Version eines realen Albtraums.

„Was zur Hölle ist los mit dir?!“

Den wütenden Blick des Anderen nur kurz erwidernd, zog Fye es vor, sich enger an dessen Brust zu kauern. Er brauchte das jetzt, auch wenn ihm dadurch zwei Dinge auffielen, die verdeutlichten, warum Kurogane so angepisst war, wie er es war: Zum einen zitterte Fye am ganzen Körper, zum anderen war er erneut schweißgebadet.

„Hey“, wiederholte der Ninja weitaus gemäßigter, „was ist los?“

„Ein Albtraum.“

„Schon klar. Aber schon wieder? Und wieder so ein heftiger wie heute Morgen?“

Der Magier zuckte hilflos mit den Achseln.

„Da stimmt was nicht. Das muss dir doch auch klar sein.“

„Ich weiß nicht. Vielleicht ist das die Strafe für alle Nächte, in denen ich keinen bösen Traum hatte?“

„So ein Scheiß, dafür wird man nicht bestraft.“ Kuroganes Grollen klang wütend, doch Fye konnte darin die Sorge um ihn ausmachen. Im festen und gleichzeitig zärtlichen Griff des Anderen beruhigte sich sein rasendes Herz wieder. Eine Stille, die nur von Fyes noch heftig gehendem Atem gestört wurde, legte sich über das Paar. Der Blonde genoss die Ruhe. Hier fühlte er sich geborgen, hier konnte er die grausamen Bilder aus seinem Albtraum ein wenig verdrängen.

„Ich hasse es.“ Kuroganes Stimme durchschnitt die Stille abrupt. Er verstärkte den Griff um den Magier während er dies sagte, um kein Missverständnis aufkommen zu lassen. „Ich hasse es, wenn du so bist.“

Der Ninja konnte nicht sehen, wie betrübt sein Partner nun dreinblickte, aber er musste es auch nicht sehen, um es zu wissen.

„Tut mir leid“, hauchte Fye, seinen Kopf gegen die breite Brust des Dunkelhaarigen gedrückt.

„Deine Entschuldigung kannst du dir sonst wohin stecken.“

Schritte von draußen ließen sie aufhorchen. Schnell richtete Fye sich auf und rutschte auf den Platz neben Kurogane. Shaolan sollte nicht wissen, dass etwas nicht stimmte.

Die Tür ging auf und der Junge betrat die Wohnung – was die beiden Erwachsenen erschrocken die Luft einziehen ließ.

Shaolan war kreidebleich und machte einen äußerst wackligen Eindruck.

„Shaolan-kun!“ Fye sprang auf und lief zu ihm. Hastig legte er dem Jüngeren eine Hand auf die Stirn, konnte nichts Besorgniserregendes feststellen und umfasste sein Gesicht mit beiden Händen, um einen besseren Blick in seine Augen zu bekommen. Dort sah er nur, wie bedrückt der Junge dreinblickte. „Was ist mit dir? Fühlst du dich krank?“

Shaolan schüttelte schwach den Kopf.

„Ist was passiert?“ Kurogane erhob sich ebenso von der Couch und stellte sich mit prüfendem Blick vor ihn.

„Shaolan ist beinahe umgekippt!“, erklang es bebend aus dem Rucksack auf seinem Rücken und erneut schreckten die beiden Erwachsenen zusammen. Geschwind öffnete Kurogane die Klappe des Rucksacks und Mokona hüpfte auf seine Schulter. Ihre Augen waren von der gleichen Angst erfüllt wie ihre Stimme.

„Was ist passiert? Jetzt erzähl schon!“

„Hélène hat Shaolan die Geschichte dieses Landes erzählt und eine von Sakuras Federn hätte fast für die Vernichtung von allen Menschen hier gesorgt, aber 'Shaolan' war hergekommen und hat die Feder eingesammelt und dann wurde der Krieg beendet, aber die Leute hier wissen nicht, dass das Sakuras Feder war und haben Angst, dass sie wieder kommen könnte und das konnten wir ihnen ja nicht sagen, denn dann hätten wir uns verraten und Shaolan hat einen riesigen Schreck gekriegt, als er das alles gehört hat und-“

„Langsam, langsam“, fiel Kurogane ihr ins Wort, „hol mal Luft und erzähl die Geschichte von Anfang an.“

Mokonas kleiner Körper bebte vor Aufregung und Anstrengung, als sie dem Rat des Ninjas nachzukommen begann. Fye hatte derweil einen Arm um Shaolan gelegt und geleitete ihn zum Sofa, wo er sich mit ihm niederließ, ohne ihn loszulassen.

„Kannst du uns sagen, was genau passiert ist?“

Dieses Mal nickte Shaolan schwach. „Ich erzähle es euch.“

 

„Verstehe“, sagte Fye gedankenvoll, nachdem Shaolan ihnen alles zusammengefasst hatte, was er in der Bibliothek in Erfahrung gebracht hatte. Er drückte die Schulter des Jungen. „Das war nett von Hélène, dich nach Hause zu bringen.“

Shaolan verharrte stillschweigend und mit starrem Blick auf seinem Platz.

„Okay, na und?“ Kurogane entwich ein verdrossenes Stöhnen. „Das war damals und jetzt ist jetzt. Lass deswegen nicht den Kopf hängen.“

„Entschuldige.“

Das Stöhnen wurde noch eine Stufe verdrossener. „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Mach einfach nicht so ein Gesicht, als hättest du was falsch gemacht. Die Dinge sind wie sie sind.“

„Kuro-rin“, schalt Fye ihn, „sei ein wenig sensibler. Shaolan-kun fühlt sich verantwortlich für das, was in dieser Welt geschehen ist.“

„Und für das, was in der letzten Welt geschehen ist und der davor und der davor und wahrscheinlich wird er sich auch für die nächste und übernächste Welt verantwortlich fühlen. Und was ändert das?“

„Manchmal kannst du echt ein grober Klotz sein.“

„Tsk. Recht hab ich trotzdem.“

Zwei Paare roter und blauer Augen funkelten sich zornig an, was Shaolan nicht entging. Sein Kopf schnellte hoch und schuldbewusst blickte er von einem Mann zum anderen. Seinetwegen stritten sie nun.

„Kurogane-san hat Recht“, sagte er ruhig zu einem überraschten Fye. „Ich kann es nicht mehr ändern.“

Fye antwortete mit einem sanften Lächeln und drückte seine Schulter ein wenig intensiver. „Immerhin hat das Verschwinden der Feder hier etwas Gutes bewirkt. Versuch, es so zu sehen.“

Die aufmunternden Worte und Gesten ließen den Jungen einen kleinen Teil seiner Anspannung verlieren. Er atmete hörbar aus.

„Wir müssen den Leuten irgendwie sagen, dass die Feder nicht zurückkehren wird. Dann müssen sie sich nicht mehr vor ihr fürchten.“

Eine schwere Hand legte sich auf seinen Kopf und ließ Shaolan zu dem Ninja blicken. „Bevor wir weiterreisen. Dann gehen wir wenigstens einmal sämtlichem Ärger aus dem Weg.“

Eine erneute, gnadenvolle Stille breitete sich in der kleinen Wohnung aus und wurde von Shaolan dankend aufgesogen. Bis ihm panisch etwas einfiel:

„Ich habe kein Abendessen besorgt!“

„Keine Sorge.“ Fye lachte. „Papa wird schnell noch etwas holen, bevor der Laden unten zumacht.“

Kaum hatte er dies gesagt, sprang Mokona in den Rucksack zurück, kramte darin und hielt dem schwarzhaarigen Mann den Ausnahmeschein entgegen. „Bitteschön, Papa!“

„Alternativ könnten wir auch dich essen!!“, grollte dieser in Richtung des Klopses. Nichtsdestotrotz nahm er den Schein an sich. „Irgendwelche Wünsche?“

„Überrasch uns“, gurrte Fye vergnügt und erntete ein weiteres Grollen, ehe Kurogane sich zur Tür aufmachte. Kurz bevor er hinaustrat, warf der Ninja noch einen Blick zurück auf den Magier, der den Kleinen immer noch im Arm hielt. Beide Gesichter hatten etwas Seliges, als Shaolan sich in die Umarmung lehnte und Mokona sich zudem noch an den Jungen kuschelte.

Ihnen entging das Lächeln in Kuroganes Gesicht, als er zur Tür hinausging.

 

Unruhig und doch so leise wie möglich drehte Fye sich auf den Rücken. Es war mitten in der Nacht und das Mondlicht schien wie in der Nacht zuvor in das Zimmer. Er war nicht unruhig, weil er nicht schlafen konnte. Nein, vielmehr war er unruhig, weil er Angst davor hatte einzuschlafen. Auf noch so einen Albtraum dieser Art konnte er gut verzichten. Immerhin hatte er etwas vom Abendessen herunter bekommen, ohne dass ihm dabei so schlecht geworden war wie die vorigen Male. Appetit hatte er absolut nicht und so hatte die Nahrungszufuhr allein der Beruhigung der drei anderen gegolten.

Fye konnte sich selbst keinen Reim auf all dies machen.

Sein Blick wanderte zu dem Mann neben ihm, der ihm den Rücken zugedreht hatte. Die Brandwunden waren in der Tat abgeheilt und nur vereinzelt traten neue Narben hervor. Unter den vielen, vielen alten wären sie jemand anderem kaum aufgefallen, aber Fye sah jede einzelne von ihnen. Sie fügten sich ein in das Narbengeflecht, das ein bitteres Erinnerungsstück aus Tokyo war. Damals dem Tod näher als dem Leben, hatte der Magier nur vage mitbekommen, wie Kurogane ihn vor dem Angriff 'Shaolans' abgeschirmt hatte. Wenn er daran dachte, so erinnerte er sich an Kuroganes Hände, die ihn krampfhaft und gleichzeitig zitternd festgehalten hatten. Er erinnerte sich an einen unterdrückten Schmerzenslaut des Ninjas, als er von den Flammen getroffen worden war und wie er ihn trotzdem nicht losgelassen hatte.

Dieser Idiot.

Es war in Tokyo gewesen, dass Fye bewusst geworden war, was der Andere für ihn empfand. Und es war in Tokyo gewesen, dass Fye bewusst geworden war, dass genau dies damals ein Problem dargestellt hatte.

Wehmütige Gedanken überkamen ihn.

Hätte Kurogane damals in Tokyo nicht so gehandelt, wie er es getan hatte, dann wäre es damals mit ihm selbst aus gewesen. Dann wäre er heute nicht hier, könnte sich nicht um Shaolan und Mokona kümmern und darauf hoffen, dass sie eine Lösung für den anderen Shaolan und die andere Sakura finden würden.

Dennoch.

Seine Rettung ging immer auf Kuroganes Kosten. Der verbrannte Rücken, der verlorene Arm und zuletzt die Verletzung des anderen Arms (von der viel zu hohe Menge an geflossenem Blut, von der nur noch schmale Narben an diesem Arm zeugten, wollte Fye lieber erst gar nicht anfangen). Hätte er dasselbe für den Ninja getan? Hätte er all diese Schmerzen und Entbehrungen auf sich genommen? Heute würde er für ihn sterben, wenn es sein müsste, doch damals war er viel zu schwach. Ohne Kurogane wäre er zerbrochen.

Fye verkrampfte seine Hände zu Fäusten und ignorierte dabei das merkwürdige, schmerzhafte Ziehen, das er in seinem Innern verspürte.

Er würde nach wie vor ohne Kurogane zerbrechen.

„Kannst du nicht schlafen?“

Ertappt weiteten sich die Augen des Magiers, die die verwundeten Stellen auf der Haut des anderen Mannes fixiert hatten. Unwillkürlich musste er schlucken, obwohl er kein Geräusch hatte machen wollen.

Kurogane drehte sich zu ihm um.

„Meine Güte, Kuro-pii, wie kann man denn hören, ob jemand schläft oder nicht?“ Entgegen seines besseren Wissens lächelte Fye.

„Indem man den Anderen kennt.“

Der Mistkerl hatte ihm absichtlich den Rücken zugedreht und so getan, als würde er schlafen. Was fiel dem ein, seine Masche zu klauen?

„Wenn du mich so böse anguckst, werde ich bestimmt nicht schlafen können.“

Unbeeindruckt durchbohrte der Blick des Dunkelhaarigen ihn geradezu. „Wenn ich so darüber nachdenke“, sagte er ruhig, „benimmst du dich erst wieder schräger, seit wir in der verdammten Eiswelt waren. Ich hatte zuerst angenommen, es hätte mit der Eiswelt zu tun, aber … ich glaube, das allein ist es nicht.“

Fye rollte ebenso auf die Seite, um Kurogane direkt in die Augen zu sehen. Das falsche Lächeln wieder unter Kontrolle bekommend, ließ er es abebben und tauschte es gegen einen nachdenklicheren Blick aus. „Warum machst du dir nur immer so viele Sorgen um mich?“

„Weil du mir Grund dazu gibst.“

Ein trauriges Lachen kam über die Lippen des Magiers. „Ich …“, er brach wieder ab und dachte nach. „Das ist allein mein Problem. Es hat nichts mit dir oder Shaolan oder Mokona zu tun. Ich muss eine Lösung dafür finden.“

Er bekam die Reaktion, die er erwartet hatte. Kuroganes Augen verengten sich im Zorn. „Soll das ein Witz sein? Hast du gar nichts verstanden? Der Bengel, der Klops und ich wir sind-“

„Doch, das habe ich verstanden“, entgegnete Fye gefasst. „Aber ihr könnt da nichts tun, deswegen ist es allein meine Sache.“ Der Magier führte seine linke Hand zum Gesicht des Anderen und fuhr mit dieser über dessen Wange. „Ich wünschte, ihr könntet mir da helfen, aber … das geht leider nicht.“

„Von was für einer Sache reden wir hier eigentlich?“ Kurogane klang immer noch äußerst verstimmt, doch der Vollpfosten von einem Gegenüber hörte sich ungewohnt vernünftig an.

Ein sanfteres, ungezwungenes und leicht betrübtes Lächeln formte sich auf Fyes Gesicht. „Das werde ich euch sagen, sobald ich eine Lösung gefunden habe.“ Ein missmutiges Schnaufen entwich dem Ninja als Antwort und Fyes Hand hielt in ihren Bewegungen inne und ruhte auf der Wange. „Traust du mir denn gar nicht zu, ein Problem selbst lösen zu können? Wirke ich so hilflos in deinen Augen?“

Ein paar lange Sekunden verstrichen. „Nicht hilflos“, brummte Kurogane, „nur dämlich.“

„Ah, kein Dichter hat je etwas Romantischeres gesagt“, feixte der Magier, ehe er kurz darauf wieder ernst wurde und dem Ninja tief in die Augen sah. „Bitte, vertrau mir, ja?“

Kurogane hielt dem Blick stand und suchte in den Augen des Anderen einen Hinweis auf eine Lüge oder Ähnliches. „Fein. Aber lass mich das hinterher nicht bereuen.“

Fye schloss die geringe Distanz zwischen ihnen und küsste ihn. Diese Handlung war ursprünglich nur gedacht, um Kurogane für das entgegengebrachte Vertrauen zu danken, doch dann küsste der andere Mann ihn zurück und … ah. Es war schon eine Weile her, seit sie das letzte Mal Zeit nur für sich gehabt hatten. Zu lange her. Fyes lange, schlanke Finger machten sich auf dem Körper des Anderen geradezu selbstständig und – ohne dass dies seine Absicht gewesen war – Kuroganes Finger auf seiner Haut hatten die wundervolle Macht, sämtliche düsteren Gedanken erst einmal weit, weit an den Rand zu schieben. Der Magier presste sich gegen den Körper des Ninjas, der dies bereitwillig erwiderte. Allem Anschein nach war es auch für ihn schon zu lange her gewesen. Ihre Kleidung war schneller runter, als irgendjemand hätte gucken können und Fye verlor sich vollkommen in den Berührungen und Küssen seines Geliebten, sodass ihm – der dünnen Wände zum Trotz – ein mehr als eindeutiges Stöhnen entwich. Und dieses nicht alleine blieb.

 

Shaolan riss die Augen auf. Die Ereignisse des Tages hielten ihn davon ab, Schlaf zu finden und er horchte in die Nacht hinein. War das …? Ja. Kein Zweifel. Das klang eindeutig.

Dunkelrot anlaufend drückte der Junge sich sein Kopfkissen mit beiden Händen gegen die Ohren. Diese Wände waren wirklich sehr dünn. Er warf kurz einen Blick auf Mokona, die an ihn gekuschelt dalag und tief und fest schlummerte – zum Glück. Mokona könnte sonst Bemerkungen von sich geben, die ihn wahrscheinlich vor Scham umbringen würden. Dies war nicht das erste Mal, dass Shaolan etwas in dieser Art mitbekam und jedes Mal wunderte er sich, ob er seinen Gefährten gegenüber etwas sagen sollte … doch bisher hatte er sich jedes Mal dagegen entschieden. Kurogane würde im Boden versinken, wenn er wüsste, dass Shaolan sie dabei gehört hatte. Um Fyes Reaktion machte er sich weniger Sorgen, aber Fye wiederum könnte das zum Anlass nehmen, Kurogane aufzuziehen und dann würde der Ninja mit Sicherheit platzen.

So unangenehm es ihm selber auch war, es hatte etwas Beruhigendes zu wissen, dass die beiden sich nahe waren, besonders nach einem Streit natürlich, aber auch ganz im Allgemeinen, denn beide hatten so viel durchgemacht, dass sie jedes erdenkliche Glück verdient hatten. Speziell Fye wirkte so viel gelöster und glücklicher, seit sie Fei Wang besiegt hatten. Man hätte wohl sagen können, dass er zu dem Menschen zu werden schien, den er zu Beginn ihrer Reise vorgegeben hatte zu sein, aber Shaolan wusste es besser. Fyes echtes Ich strahlte viel heller als das, was er damals künstlich aufgesetzt hatte. Und so freute es den Jungen besonders für ihn, der so lange keine Liebe erfahren hatte, dass er jetzt jemanden hatte, der ihn so bedingungslos liebte.

Wenn auch gerade etwas laut.

Shaolan lächelte gequält und drückte das Kissen noch etwas fester gegen seine Ohren. Nein, er würde dies ganz bestimmt nicht ansprechen. Vielleicht wäre es Kurogane so peinlich, dass er dann in Zukunft davon absehen würde, mit Fye … nun ja.

Hatte er je seine leiblichen Eltern dabei erwischt? Wenn ja, dann hatte er es erfolgreich verdrängt. Zum wiederholten Mal hielt Shaolan irritiert inne.

Seine leiblichen Eltern. Schon wieder.

Der Junge hatte keine Gelegenheit weiter darüber nachzugrübeln, denn ein weiteres eindeutiges Geräusch (Oh nein, war das dieses Mal Kurogane gewesen??), ließ ihn mitsamt seinem Kissen und einem sonnenuntergangsrotem Gesicht unter die Bettdecke rutschen.

Das Problem ohne Lösung

Die Welt schloss sich.

Ceres hörte auf zu existieren und mit ihm würde alles verschwinden, was sich noch auf seinem Grund befand. Fye spuckte Blut; Blut, das Zeichen seiner Schwäche war, seiner Unfähigkeit, irgendetwas anderes zu bringen als Unheil. Er war zu schwach, viel zu schwach; seine verbleibenden magischen Kräfte würden nicht ausreichen, um sie beide in Sicherheit zu bringen. Sie reichten nicht einmal, um Kurogane in Sicherheit zu bringen. Hätte der andere Shaolan nicht sein Auge genommen, hätte es vielleicht noch gereicht, aber auch das Fehlen seines linken Auges war nur ein weiteres Zeugnis seiner Schwäche. Den Jungen, den sie lieb gewonnen hatten, hatte er ebenso nicht retten können.

Vielleicht verdiente er es.

Vielleicht verdiente er es, hier zu sterben.

Weil er so schwach war.

Aber Kurogane, der nichts Falsches getan hatte, der im Gegenteil, alles getan hatte, um sein Leben zu retten und zu beschützen, er verdiente den Tod nicht -

Fye hielt in seinen verzagenden Überlegungen inne.

Kurogane hatte einen Fehler gemacht. Nein, sogar viele. Jedes Mal, wenn er ihn gerettet und beschützt hatte; bei jedem dieser Male und auch zu allen anderen Zeiten, in denen er ihm zu nahe gekommen war. Aber es war nicht die Schuld des ehrenwerten und tugendhaften Ninjas. Nein. Es war seine Schuld, nur seine; die desjenigen, der Unheil über alle brachte und es nicht vermochte, sie davor zu beschützen.

Er war sogar daran gescheitert, anderen Menschen nicht zu nahe zu kommen. So schwach war er, dass er nicht einmal das hinbekommen hatte.

Wäre er doch nur allein geblieben, dann hätte er sich und allen anderen dieses Leid ersparen können.

Aber er war zu schwach, um allein zu bleiben.

Mokonas Ohrclip öffnete ein Ausgang aus der sich schließenden Welt, doch nur einer der darin eingeschlossenen Männer entkam.

Und Fye schrie, schrie sich die Seele aus dem Leib, als er einen letzten Blick auf den darin zurückgebliebenen Mann warf.

Die Welt schloss sich.

Kurogane hatte sich für ihn geopfert. Kurogane hatte ihn allein gelassen.

 

„FYE-SAN!!“

Fye erwachte schreiend und um sich schlagend, bevor er die zupackenden Hände auf seinen Schultern spürte, die ihn, nachdem sie bereits versucht hatten, ihn wachzurütteln, nun zurück aufs Bett drückten.

„Fye-san“, wiederholte Shaolan leiser und doch eindringlich, „Fye-san, alles ist gut, du hattest einen Albtraum.“

Der blonde Mann blickte in das verängstigte Gesicht des Jungen hinauf und holte, zum ersten Mal seit seinem Erwachen, Luft.

„Shao-Shaolan-kun …?“ Seine Stimme bebte, während seine Gedanken eher vergeblich versuchten, sich zu ordnen. Ein Albtraum? War es wirklich nur ein Albtraum gewesen? Fye konnte nicht sicher sagen, wo er war und was zuletzt geschehen war.

„Alles ist gut“, sagte Shaolan erneut, wissend, dass Fye vollkommen desorientiert war. Die Augen des Magiers verrieten seine Angst, seine nackte Panik.

„Ein Scheiß ist gut.“

Der bärbeißige, wütende Kommentar hatte ironischerweise einen beruhigenden Effekt auf den angsterfüllten Mann. Weit aufgerissene, hellblaue Augen rasten zu der Quelle dieser barschen Aussage. Kurogane stand in der Tür, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen voller Zorn. Auf seiner Schulter saß, mit hängenden Ohren und betrübtem Blick, Mokona.

„Fye hat so doll Angst, aber Mokona weiß nicht wovor.“

„Mir reicht's! Du hattest deine Chance, Magier. Was auch immer du für ein Problem hast, du kriegst es offensichtlich nicht allein gelöst!“ Wütenden Schrittes stapfte Kurogane nach vorn, doch Shaolan stellte sich vor ihn, sodass der Ninja den Blonden nicht erreichen konnte.

„Wir können das sicher ohne Gewalt klären.“ Entschlossen schaute Shaolan zu dem größeren Mann auf.

Ein leises, seine Verzweiflung durchscheinen lassendes Lachen ließ beide wieder zu dem Magier blicken.

„Dein Vertrauen in mich reicht aber nicht weit, Kuro-sama.“ Fye hatte sich aufgesetzt und seinen Blick gen Bettdecke gerichtet. Die langen, blonden Strähnen seiner Haare verhinderten, dass sie sein Gesicht erkennen konnten.

„Selbst schuld.“

Ein erneutes Lachen entwich Fye. Alles an seinem Anblick und seinen Gebärden hatte zu viel von jemandem, der anscheinend den Verstand verlor.

„Fye-san“, begann Shaolan besorgt, „bitte sprich mit uns. Du hast mir doch selbst gesagt, ich solle nicht alles für mich behalten.“

Das Lachen verstummte und Fye ließ seinen Kopf noch etwas tiefer hängen.

„Ja. Ja, das habe ich gesagt und auch so gemeint. Allerdings … könnt ihr mir bei diesem Problem nicht helfen.“

„Doch!“, widersprach Mokona lautstark, „Du musst es uns versuchen lassen! Zusammen kriegen wir alles hin!“

Die Hände des Magiers krallten sich in die Bettdecke. „Ich wünschte, es wäre so. Wirklich.“

„Bitte, Fye-san, gib uns die Chance, dir bei dem, was dich quält, beizustehen. Selbst wenn wir tatsächlich keine Lösung finden, musst du das nicht alleine durchmachen. Was auch immer es ist.“

Das Wort „alleine“ versetzte dem Herzen des Blondschopfs einen heftigen Stich. Ungesehen öffnete er den Mund, doch die Worte kamen nicht über seine bebenden Lippen. Es gab keine Lösung für das Problem, keine, die er ihnen sagen konnte und auch wenn er ihnen nur das Problem nannte, würde Kurogane sich den Rest zusammenreimen und furchtbar wütend werden.

Es gab keine Lösung.

Er schloss seinen Mund wieder.

„Fye macht Mokona Angst!“

„Verdammte Scheiße!“, entfuhr es Kurogane. „Das kann nicht dein Ernst sein! Nach all der Zeit, nach allem, was passiert ist, ziehst du so einen Mist ab?! Ich hab die Schnauze voll! Mach, was du willst und lass mich in Ruhe!“ Er machte so harsch kehrt, dass Mokona von seiner Schulter fiel und Shaolan sie auffangen musste.

Der Knall der zugeschlagenen Tür hallte durch das gesamte Haus.

Shaolan schluckte schwer. Hastig wandte er sich Fye zu. „Das … das meint er nicht so. Er ist nur wütend und deswegen-“

„Siehst du bitte nach ihm?“, fragte Fye tonlos. „Er zerschlägt sonst noch das Mobiliar und das können wir uns nicht leisen.“

Der Junge verharrte noch einen Augenblick an Ort und Stelle, bevor er zaghaft nickte. „Aber das kann so nicht weitergehen.“

Der Magier sah nicht auf. „Ich weiß.“

In der Sekunde, nachdem Shaolan und Mokona das Zimmer verlassen hatten (und die Tür weitaus sanfter geschlossen hatten), schlug Fye die Hände vors Gesicht. Ihm war nach Weinen zumute, doch die Tränen kamen nicht. Stattdessen breitete sich von seinem Brustkorb ein stechender Schmerz in seinem restlichen Körper aus, den er zu ignorieren versuchte.

Vielleicht war es besser so, sagte er sich, obwohl er genau das Gegenteil fühlte. Vielleicht war das ein Teil der Lösung des Problems. Aber er wollte Kurogane nicht verletzen und genau dies würde er auf diese Weise tun. Selbst wenn er wieder auf Abstand zu ihm gehen würde, selbst wenn er ihn auf Distanz zu halten versuchte … Kurogane würde ihn wahrscheinlich trotzdem lieben und nur unnötig unter der Entfremdung leiden. Er hatte es gesehen, gespürt, qualvoll miterlebt. Damals in Infinity.

Ein verzweifeltes Lächeln drängte sich auf Fyes Gesicht. Egal, was für einen Mist er baute, Kurogane würde ihn lieben.

Eigentlich war dies doch ein recht schöner Gedanke.

Eigentlich.

Fye warf einen Blick zu der auf der anderen Seite des Raumes hängenden Wanduhr. Schon nach elf. Kein Wunder, dass Shaolan ihn wecken kam. Obwohl er so lange geschlafen hatte, fühlte er sich immer noch schrecklich müde und erschöpft. Darüber den Kopf schüttelnd, schälte Fye sich aus der Bettdecke, schob sie beiseite, setzte sich an den Rand des Bettes und stand auf. Plötzlich wurde es ihm schwarz vor Augen, seine Beine gaben nach und er taumelte gegen die Wand. Verwirrt lehnte er sich gegen diese, um stehen zu bleiben. Er blinzelte einige Male, bis sein Sichtfeld wieder klar wurde.

Was war denn das gewesen?

Dieses merkwürdige Ziehen in seinem Innern, das er seit ihrer Ankunft hier spürte, war stärker geworden. Was war das nur? War er krank? Waren all seine Überlegungen der letzten Zeit somit eh hinfällig? Das konnte er Kurogane und den Kindern nicht antun. Entschlossen tastete er sich langsam an der Wand entlang, bis das schwummrige Gefühl etwas nachließ.

 

Shaolan hatte gerade die Tür zum Schlafzimmer der beiden Erwachsenen zugezogen und war ins Wohnzimmer zurückgekehrt, wo sich ihm ein verstörender Anblick bot. Mit mehr als gereizter Miene warf Kurogane die Kissen von dem Sofa und fuhr mit seinen großen Händen so grob durch die Ritzen der Couch, dass man fürchten musste, er würde sie jeden Moment auseinanderreißen.

„Kurogane-san?“

Der Angesprochene gab ein Brummen von sich, bevor er in seinem Tun pausierte. „Dieser Ausnahmeschein oder wie der heißt, wo ist der hin?“

Shaolan blinzelte ihn an. „Ich weiß nicht. Ich habe ihn zuletzt auf dem Küchentisch liegen gesehen.“

„Da ist er nicht mehr. Wollknäuel, hast du ihn gefressen?“

„Der würde doch nicht schmecken“, konterte Mokona empört.

„Warum suchst du ihn?“, fragte Shaolan diplomatisch. „Möchtest du rausgehen?“

„Ich will sehen, ob es hier Alkohol gibt.“ Kurogane kniete sich auf den Boden, um unter das Sofa zu sehen. Er stöhnte. „Das Mistding ist hierunter gefallen.“

„Und wenn es hier Alkohol gibt?“, stocherte Shaolan ruhig weiter.

„Dann werde ich welchen kaufen.“

„Das würde aber auch nichts an dieser Situation verbessern.“

Kurogane atmete hörbar aus und blickte – nun mit ein wenig gelasseneren Zügen - auf. „Ich weiß.“

„Ich glaube, dass Fye uns eigentlich sagen möchte, was ihn beschäftigt“, brachte Shaolan mit gesteigertem Elan vor, „aber aus irgendeinem Grund traut er sich nicht und … und er leidet darunter.“

Erneut seufzend, erhob der andere Mann sich vom Boden. „Ich weiß.“

„Wenn wir nur wenigstens eine Ahnung hätten, was ihn so quält“, fuhr der Junge fort, „dann könnten wir ihm diese Angst nehmen. Aber … ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er in Dragoon ganz plötzlich anfing, sich seltsam zu benehmen.“ Shaolan stutzte, als Mokona in seinen Armen etwas zappelig wurde.

„Ist alles in Ordnung?“ Besorgt schaute er auf sie.

„Hmm ...“ Mokona ließ ihre langen Öhrchen hängen. „Hmm … was mach ich nur? Was mach ich nur? Ich hab's versprochen und Mokona hält ihre Versprechen.“

„Der Klops weiß etwas!“

„Whaa!“ Mokona zuckte zusammen, als Kurogane laut wurde und auf sie zu stampfte.

„Raus damit oder du nimmst dein Versprechen zügig mit ins Grab!“ Er griff nach ihr, doch Shaolan machte einen Schritt zurück und verstärkte beschützend seinen Griff um sie.

„Mokona“, sagte der Junge sacht und doch bestimmt, „wenn du etwas weißt, dann sag es uns bitte.“

„Aber ich habe Fye versprochen, nichts zu sagen.“

„Nichts zu sagen über was?“, legte Kurogane schnell nach.

„Über die Gespräche mit Wata-whaa! Kuro-Fiesling hat mich ausgetrickst!!“

„Wata …?“ Shaolan stutzte. „Watanuki? Fye hat mit Watanuki-kun gesprochen?“

Traurig über den vermeintlichen Verrat an ihrem Freund senkten sich Mokonas Öhrchen noch weiter herab.

„Hey! Was soll das heißen?!“, forderte Kurogane fahrig ein, als wäre die Erwähnung des dunkelhaarigen Jungen ein bösartiges Omen, das sämtliche seiner Alarmglocken schrillen ließ. „Was hat der Idiot mit ihm zu besprechen gehabt?“

„Das weiß ich nicht“, beteuerte Mokona schuldbewusst. „Fye hat mich beide Male in Dragoon gebeten, während des Gesprächs zu schlafen.“ Die gutherzige Kreatur war sich nicht einmal bewusst, dass sie noch mehr ausgeplaudert hatte.

„Beide Male??“, wiederholte der Ninja aufgebracht. „Er hat dort zweimal mit ihm geredet??“

„Ja, hat er. Und eigentlich war das privat.“

Shaolan und Kurogane hielten beide für einen flüchtigen Moment den Atem an, bevor sie zu der Quelle dieser Äußerung blickten. Fye war auf leisen Sohlen in den Raum geschlichen.

„Oh, Fye! Tut mir so leid!“, jammerte Mokona ganz elend.

Der Magier atmete leise aus. „Ich hätte vermutlich nicht von dir verlangen dürfen, daraus ein Geheimnis zu machen.“

„Redest du jetzt?“ Die Blicke des dunkelhaarigen und die des blonden Mannes trafen sich. Ersterer hatte ohne Zweifel Schwierigkeiten, sein Temperament im Zaum zu halten.

„Weswegen hast du mit Watanuki-kun gesprochen?“, fragte Shaolan bedeutend gemäßigter nach.

Fye schloss kurz die Augen. „Wegen eines Problems dessen Existenz ich zuvor verdrängt hatte und das mir in Dragoon vor Augen geführt worden war.“

„Lass die Scheißrätsel und rede Klartext.“

Der Magier lächelte schwach. „Immer so ungeduldig, Kuro-pon. Dann sag hinterher aber auch nicht, dass du es lieber doch nicht wissen wolltest.“ Fye machte eine Pause, in der Kurogane ihn erzürnt anfunkelte. „Bei unserem ersten Gespräch habe ich Watanuki gefragt, ob er eine Methode wüsste, mit dem ich meine Lebenszeit an eure anpassen kann.“

Sprachlos starrten Kurogane und Shaolan ihn an.

„Häh?“, machte der Ninja und Fye schüttelte gespielt empört den Kopf.

„Ach, Kuro-tan, so vergesslich bist du doch nicht. Du weißt doch, dass ich dank meiner Magie sehr viel länger leben werde als ...“ Er brach ab, unfähig das Wort „ihr“ herauszubringen.

„Ja, na und?“ Alarmiert registrierte der Größte der Gruppe aus dem Augenwinkel, wie Shaolans Blick entsetzter wurde.

„Fye-san ...“ Der Junge schluckte. „Du hast doch nichts Dummes getan, oder?“

Der Magier zuckte geringfügig mit den Schultern. „Bei unserem zweiten Gespräch sagte mir Watanuki, dass er sich schlau gemacht habe und ...“

Seine drei Gegenüber hielten vor Anspannung erneut den Atem an.

„ … und er nur eine einzige Methode gefunden habe.“

„Die da wäre?“ Kurogane bereitete sich innerlich darauf vor, auf den Trottel vor sich loszugehen.

„Meine gesamte Magie aufzugeben.“

„Aber dann würdest du doch sterben, Fye!!“ Die ersten Tränen schossen in Mokonas Augen.

„Nicht unbedingt“, entgegnete dieser. „Watanuki hat einen Fluch gefunden, der nach und nach Magie entzieht. Beinahe so, als würde ich mit euch altern.“

„Und der Haken?“, wandte Kurogane skeptisch ein – und seine Skepsis wuchs, als Fye auf diese bestimmte Art lächelte.

„Du bist doch recht schlau, Kuro-rin. Der Haken besteht darin, dass der Fluch auch daneben gehen kann und man dann ziemlich schnell stirbt.“

Shaolan und Mokona japsten erschrocken. Der Junge wurde sogar beinahe so weiß wie das Wesen in seinen Armen.

„Fye-san, du hast doch nicht …??“

Vor Fassungslosigkeit verpasste er es dieses Mal, Kurogane aufzuhalten, als dieser zu Fye schritt. Der Blonde hielt den Atem an und senkte in Erwartung eines Wutausbruchs des Ninjas die Augen gen Boden.

„Hat er nicht.“

Huh? Der Blick des Magiers schnellte nach oben. Kurogane sah ihn streng, aber nicht wütend an.

„Er ist zwar ein Schwachkopf“, fuhr der dunkelhaarige Mann gefasst fort, „aber so einen Mist macht er nicht.“

Blaue Augen blinzelten ihn erstaunt an, bevor ein schwaches, aber ehrliches Lächeln Fyes Miene zu zieren begann. Kurogane vertraute ihm. Was für ein schönes Gefühl das war. Fye erlaubte es sich, durchzuatmen. „Der Fluch erschien mir zu gefährlich. Allerdings bleibt damit das Problem bestehen.“

„Ich sehe da kein Problem.“

Das Lächeln des Magiers wich abrupt einer tiefen Verdrossenheit. „Weil du nicht derjenige bist, der allein zurückbleiben wird.“

„Weder ich, noch der Bengel, noch die Prinzessin, noch der Klops … vermute ich mal, sind so alt, dass das ein dringendes Problem darstellt.“

„Du verstehst es nicht!“, schleuderte Fye ihm aufgebracht entgegen. „Was soll ich denn tun, wenn ihr ...“ Tränen sammelten sich in seinen Augen.

„Weiterleben“, antwortete Kurogane so kurz und knapp, dass es Fyes Zorn weiter entfachte.

„Das geht nicht! Das ist das einzige, das nicht geht!!“, schrie er mit wachsender Verzweiflung.

Angesichts seines desperaten Anfalls drückte Shaolan Mokona noch ein wenig fester an sich.

„Fye-san ...“, hauchte er mitleidsvoll.

„Idiot“, knurrte Kurogane. „Das einzige, das nicht geht, ist das, was dein Idiotenhirn sich mal wieder zusammenspinnt. Deine Gedanken kreisen nur darum, wie du mit uns sterben könntest. Verschwendest du auch mal einen Gedanken daran, mit uns zu leben?“

„Du verstehst es einfach nicht! Ich will nicht … ich kann nicht wieder alleine sein!“ Die Tränen bahnten sich den Weg über sein Gesicht. Der stechende Schmerz in seinem Inneren wurde beinahe unerträglich, doch in seiner momentanen Verzweiflung schenkte Fye ihm keinerlei Aufmerksamkeit. „Ich bin verflucht! Und mein Fluch ist meine Magie! Mein ganzes Leben lang schon! Mein ganzes Leben lang schon hat sie nichts als Unheil gebracht! Wenn sie nicht wäre, dann wäre alles-“ Plötzlich stockte er. Seine rechte Hand schnellte zu seiner Brust und verkrampfte sich dort in den Stoff seines Gewandes. Seine Haut wurde von jetzt auf gleich aschfahl und er erbrach Blut in seine linke Hand.

„Was zur-?!“ Kurogane erwachte geschwind aus der Schockstarre, die ihn bei dem plötzlich schmerzverzerrten Gesicht des Anderen überkommen hatte, und fing den auf einmal umfallenden Magier auf. „Hey! Was ist los?! Scheiße, was ist hier los, verdammt noch mal?!“

Schockierte, nicht begreifende blaue Augen starrten ihn noch ein einziges Mal an, ehe sie sich gegen Fyes Willen abrupt schlossen.

„FYE!! FYEEE!!“, brüllte Mokona, während Shaolan sprachlos und entgeistert auf die nun leblose Gestalt in den Armen des verstörten Ninjas blickte.

Zweiter Teil – Kapitel 6: Die kalte Welt

Ihre Landung in dieser Welt war erstaunlich weich gewesen. Und sehr, sehr kalt.

Fyes erste Handlung nach jeder Ankunft in einer neuen Welt war es, danach zu sehen, ob die anderen bei ihm und unverletzt waren. Daher hob er schnell seinen Oberkörper, nachdem er mit dem Gesicht zuerst in etwas Kaltem, Weichem und Puderigem gelandet war. Doch dieses Mal erstarrte er, bevor er seine Routine durchführen konnte. Er setzte sich auf und blickte auf eine unerbittliche, weiße Landschaft aus Schnee und Eis. Ein bitterkalter Wind blies durch seine für diese eisigen Temperaturen viel zu dünne Kleidung und Fye hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

Das konnte nicht … nein … nein … es durfte nicht … sie durften nicht in …!

Nicht hier! Überall hin, nur nicht hierher! Bitte, bitte, nicht an diesen schrecklichen Ort!! Bitte nicht!!

Eine Hand auf seiner Schulter ließ ihn zusammenschrecken. Fyes vor Entsetzen aufgerissene Augen blickten in die ruhige Miene Kuroganes.

„Du vergisst zu atmen.“

Der Magier nickte schwach und erinnerte sich daran, Luft zu holen.

„Fye ist ganz verängstigt!“ Mokona sprang von der Schulter des Ninjas in Fyes Arme.

Mit ernstem und gleichzeitig sanftem Blick trat Shaolan heran und reichte dem auf dem Boden kauernden Mann eine Hand. Eine blasse und zitternde Hand ergriff die des Jungen und Fye stand auf.

„Wir wissen nicht, wo wir gelandet sind, also ein Schritt nach dem anderen“, sagte Kurogane betont gefasst. „Und keine voreiligen, düsteren Schlüsse ziehen.“

Fye sagte darauf nichts, sondern machte einen Schritt auf ihn zu, um so nahe wie möglich bei ihm zu sein.

„Wir müssen schnell aus dieser Eiswüste heraus“, mahnte Shaolan. „Wenn wir hier in einen Schneesturm geraten, werden wir uns sicherlich verirren und erfrieren.“

„Irgendeine Idee, wo lang?“, hakte Kurogane, genau wie die anderen sich überfragt umblickend, nach.

„Huh?“ Mokona spitzte ihre Ohren. „Habt ihr das auch gehört?“

„Was meinst-“, wollte Fye fragen, als er das Geräusch ebenso vernahm. Ein rasselndes Schnaufen. Und das Schlagen großer Flügel.

„Es kommt von oben!“, rief Shaolan aus und alle reckten ihre Köpfe zum Himmel empor.

In der Ferne drehte am grauen, wolkenverhangenen Himmel ein riesiges, dunkles Tier mit gigantischen Flügeln und einem langen Schwanz seine Runden.

„Was ist das?? Ein Dämon??“, entfuhr es Kurogane.

„Ein … Drache? Das sieht aus wie ein Drache!“, japste Shaolan erschrocken.

„Das soll ein Drache sein??“ Der Ninja wusste, wie Drachen aussahen. Nicht wie viel zu groß geratene Echsen; so viel war sicher.

„In anderen Welten gibt es andere Drachen“, erklärte Shaolan fahrig.

„Whhhaa! Jetzt hat Mokona Angst!“ Die kleine Kreatur zappelte aufgekratzt in den Armen den Magiers hin und her.

Und der Magier … lächelte.

In Valeria hatte es nie Drachen gegeben. Folglich waren sie nicht in Valeria.

„Ist das der richtige Moment, um so glückselig zu grinsen??“, polterte Kurogane und Fye nickte freudestrahlend.

„Huuuui! Ist das nicht ein schöner Moment?“

Der Drache wollte ihn wohl unbedingt Lüge strafen und begann Feuer zu speien. Während er nun ihre Richtung einschlug.

„Okay, der Moment ist vielleicht nicht mehr ganz so schön“, scherzte der Blondschopf mit ungebrochen guter Laune, bevor die Gruppe die Beine in die Hände nahm und losrannte.

Was wiederum den Drachen herzlich wenig beeindruckte.

Mit ein paar kräftigen Schlägen seiner monströsen Flügel hatte er im Nu zu ihnen aufgeschlossen.

„Er holt uns ein!“, warnte Shaolan, während er wie die anderen beim Davonpreschen einen Blick zurück auf das immer näher kommende Ungetüm warf. Der Drache war noch viel größer als er es aus der Ferne gewirkt hatte. Sein Körper war über und über mit dunkelgrünen Schuppen bedeckt und sein Feueratem erreichte ohne Probleme den Boden, wo er wie nichts den Schnee und das darunter liegende Eis wegschmolz und die Erde verbrannte.

„Wollknäuel, schnell, die Schwerter!“ Kurogane bremste abrupt ab und wirbelte zu dem Drachen herum.

Ohne zu zögern spuckte Mokona die beiden Schwerter aus und Shaolan und Kurogane griffen ihre jeweiligen Waffen. Letzterer schleuderte blitzschnell einen seiner mächtigen Angriffe in Richtung der fliegenden Riesenechse, die – erneut herzlich unbeeindruckt – die Attacke mit ihrem Schwanz abwehrte und zurück zu der Gruppe der Reisenden schickte. Geistesgegenwärtig erschuf Fye ein Schutzschild, gegen das der zurückgeschleuderte Angriff prallte.

„Puh, Kuro-rin“, keuchte der Magier gespielt, „das war ja mal eine starke Attacke!“

„Soll das heißen, sonst sind sie nicht stark?!“

Fye kicherte – ob sie nun einem riesigen Gegner ausgesetzt waren oder nicht, Kurogane zu ärgern, hatte stets Priorität!

Der Drache blies seinen feurigen Atem ohne Unterlass gegen das Schutzschild, das wacker standhielt. Schlagartig wurde die verspielte Mimik des Magiers düster und angriffslustig. „Wenn das Ding uns allerdings grillen will, habe ich etwas dagegen.“ Fyes Finger fuhren rasant durch die Luft und ließen Zeichen erscheinen, die zu leuchten begannen, ehe gewaltige Blitze auf den Drachen zuflogen. Dieses Mal machte das Ungetüm sich nicht einmal die Mühe den Angriff abzuwehren. Er verpuffte auf seinem schuppigen Körper, als wäre nichts gewesen.

Verdattert blinzelte Fye. „Ist er etwa immun gegen Magie?!“

Mit einer aufsteigenden Panik versuchte Shaolan die Lage zu analysieren. Er könnte angreifen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach würde das Gleiche passieren wie beim Angriff Kuroganes. Und Magie schien gar keinen Effekt zu haben. Was sollten sie tun? Fye war nicht in der Lage, das Schutzschild ewig aufrecht zu erhalten und darauf zu hoffen, dass es dem Drachen zu langweilig wurde, war keine gute Strategie. Es blieb ihnen damit nur eins, wenn sie heil hier herauskommen wollten.

„MokonAAAA!“ Shaolan erschrak, als ihn eine Hand an seinem Fußgelenk packte. Sein Blick raste nach unten. Aus einem großen Haufen Schnee guckte eine Hand heraus, die ihn festhielt. Alarmiert durch das Schreien des Jungen schnellten auch die Blicke der Erwachsenen in seine Richtung.

„Verteilt euch und grabt euch im Schnee ein! Dann kann er euch nicht finden!“, erklang eine weibliche Stimme dumpf aus dem Schneehügel heraus.

Mit einem Mal zog Fye deutlich hörbar die Luft ein und seine Augen klärten sich. „Er kann uns nicht finden!“ Seine Finger tanzten erneut rasend schnell durch die Luft und aus dem Nichts … stellte der Drache seinen Feueratem ein. Er wirkte beinahe perplex, wie er die Stelle am Boden, auf der er doch gerade noch ein paar Menschen gesehen hatte, betrachtete und schließlich kehrtmachte und davonflog.

„Häh?“ Kurogane sah ihm irritiert hinterher. „Hast du uns unsichtbar gemacht?“

Als Antwort bekam er ein breites Grinsen und eine Daumen-hoch-Geste.

„Gut gemacht, Fye!!“, jubelte Mokona.

„Vielen Dank, das war eine sehr gute Reaktion“, stimmte Shaolan zu.

„Für einen drittklassigen Zauberkünstler nicht schlecht“, legte Kurogane nach und sein subtiles Schmunzeln wurde etwas offensichtlicher, als Fye einen beleidigten Schmollmund zog.

Vorsichtig wandte Shaolan sich dem Schneehügel neben sich zu. „Entschuldigung, Sie können wieder herauskommen. Der Drache ist weg.“

„Kleiner, beiseite“, brummte Kurogane und schob sich an dem Jungen vorbei. Wer auch immer da unter dem Schnee ausharrte, war besser kein Feind. Seine Laune war nämlich gerade nicht die beste. Die Hand zog sich von Shaolans Knöchel zurück und es wurde erkennbar, dass sich etwas unter dem Schnee bewegte. Fye stellte sich derweil ebenso mit wachsamen Blick vor den Jüngsten ihrer Gruppe und übergab Mokona in seine Arme.

Eine junge, bebrillte Frau grub sich aus dem Schneehaufen. Sie schüttelte ihre mittellangen, hellbraunen Haare und klopfte sich den verbliebenen Schnee von ihrem dicken, langen Mantel. „Brrrr“, sie schauderte, „viel länger hätte ich es da nicht ausgehalten.“ Sie hob ihren Kopf und blinzelte erstaunt die Fremden vor sich an. Sie erschrak fast, als sie das Trio näher musterte. „Ihr seid definitiv nicht von hier. Ist euch nicht kalt in den dünnen Stoffen?“

„Hn“, machte Kurogane lediglich und steckte sein Schwert weg. Nach Gefahr sah die nicht aus.

„Wir sind tatsächlich nicht von hier“, antwortete Fye freundlich und versuchte dabei, nicht daran zu denken, wie oft er dies wohl schon gesagt haben musste. „Und wir haben uns verlaufen. Ist hier ein Dorf oder eine Stadt in der Nähe?“

Für einen Moment wirkte die Frau verwirrt, als Fye sie ansprach, dann betrachtete sie ihn interessiert, ehe sie letztlich nickte. „Ihr könnt mit in mein Dorf kommen. Es wird bald Nacht und dann wird es hier noch kälter. Und der Junge dort bekommt ja jetzt schon blaue Lippen.“

Wie ertappt zuckte Shaolan zusammen, als seine zwei Gefährten sich besorgt zu ihm umdrehten. Mokona kuschelte sich als erste Notreaktion gegen Shaolans Brust und als die Einheimische dies bemerkte, entfuhr ihr ein Japsen.

„W-was … ist das für ein … ein Etwas?“

„Mokona ist unsere Gefährtin“, beeilte sich Shaolan zu erklären. „Sie ist sehr lieb und tut niemandem etwas.“

„Sehr lieb!“, wiederholte der Klops, um den es ging.

„Dass sie niemandem etwas tut, würde ich so nicht unterschreiben“, murmelte Kurogane und bekam dafür von Fye einen gut gelaunten Stupser in die Rippen.

„Ahh~“, sagte die Frau erfreut, „ein magisches Wesen? Dann gehört sie zu dir?“ Sie sah zu Fye.

„Nein, sie gehört zu uns allen.“

„Aber du bist ein Magier, nicht wahr? Du hast doch eben gezaubert, habe ich Recht?“ Die Augen der Frau leuchteten erwartungsvoll.

„So ist es.“ Fye stutzte. „Ich spüre hier keine Magie. Woher bist du damit vertraut?“

„Hier hat mal ein Magier gelebt“, erwiderte sie knapp. „Mein Name ist übrigens Ruka. Ich bin die Tochter des Ältesten. Und jetzt kommt!“

 

Ruka führte sie hastig in ihr Dorf, nachdem sie sich alle vorgestellt hatten. Auf dem Weg gab es nichts zu sehen außer noch mehr Schnee und noch mehr Eis. Wie die Einheimische es gesagt hatte, brach die Nacht schnell an und brachte noch mehr Kälte mit sich. So sehr fielen die Temperaturen, dass selbst Fye, der aus der Gruppe dieses Klima am ehesten gewohnt war, bibbern musste. Als sie endlich im Haus des Ältesten standen, eilten drei von vier Reisenden an die dort befindliche, brennende Feuerstelle. Kurogane hingegen wollte um nichts in der Welt zugeben, dass auch ihm bitterkalt war und schlenderte in seinem normalen Tempo ganz lässig zu dem Feuer.

Auf dem Weg hierher hatten sie erfahren, dass dieses Land „Dragoon“ hieß und mehr als die Hälfte des Jahres dieser eisige Winter herrschte. Ruka erklärte ihnen, dass sie mit ihrem Vater, ihrem Mann und dem gemeinsamen Kind in einem Haus lebte. Der Rest ihrer Familie war im Laufe der Jahre ausnahmslos dem Drachen zum Opfer gefallen. Das kleine Dorf bestand so inzwischen aus nur noch etwa zwei Dutzend strohgedeckter Holzhäuser einfachster Bauweise, von denen das des Ältesten am größten war. Im Inneren spendeten nur die Feuerstelle und ein paar Kerzen Licht. Auch Möbel suchte man vergebens, sodass die durchgefrorenen Gäste auf dem Boden Platz nahmen.

„Ich will euch gleich bessere Kleidung suchen“, verkündete ihre Gastgeberin, die ihnen zuvor erklärt hatte, dass sie auf dem Heimweg von einem nahe gelegenen Wald von dem Drachen überrascht worden war. Was sie in dem Wald gewollt hatte? Schneefrüchte holen natürlich. Was sollte man sonst im Wald machen? Die Reisenden hatten längst gelernt, dass man nicht alles hinterfragen musste.

„Greifen die Drachen oft an?“, fragte Shaolan, während die Frau in einer großen Truhe wühlte und nach und nach Kleidungsstücke hervorkramte.

Ruka legte den Kopf schief. „Oje, oje, vervielfältige ihn nicht noch! Einer reicht doch schon völlig!“

„Es gibt hier also nur einen Drachen?“, hakte Fye nach.

„Mm-hm“, bestätigte sie ihm. „Aber der allein hat schon so viele Leute getötet und so viel Land verbrannt.“ Sie seufzte schwermütig. „Ob das je ein Ende finden wird?“

„Die Wachen, an denen wir draußen vorbeigekommen sind, waren nicht einmal ordentlich bewaffnet“, schaltete sich Kurogane in das Gespräch ein. „Was macht ihr, wenn das Viech angreift?“

„Keine uns bekannten Waffen helfen gegen den Drachen. Wenn wir außerhalb des Dorfes sind, müssen wir uns schnell in Sicherheit bringen.“

Die Antwort gefiel dem Ninja augenscheinlich nicht, denn Rukas Antwort hieß für ihn nur eins: Hier war es nicht sicher.

„Moment“, stutzte Shaolan, „und wenn ihr im Dorf seid?“

„Dann hilft uns die Barriere. Sie schützt das Dorf und den Wald.“

„Das ist es also ...“ Nachdenklich fasste Fye sich mit einer Hand ans Kinn. „Seit wir im Dorf sind, spüre ich einen Hauch von Magie. Stammt die Barriere von dem Magier, der hier mal gelebt habt?“

Shaolan blinzelte an dieser Stelle. Wieso spürte er diese Magie nicht?

„Sie ist nur ganz schwach spürbar“, ergänzte Fye, als hätte er seine Gedanken gelesen. „Aber die Barriere an sich muss sehr stark sein. Das ist wirklich interessant. Bei so einem komplexen Zauber muss ein mächtiger Magier am Werk gewesen sein.“

„Ich kannte ihn nicht wirklich. Er starb, als ich noch sehr jung war, aber meine Mutter hat ihn oft besucht.“

„Hat er nicht hier im Dorf gelebt?“, fragte der blonde Mann nach und Ruka schüttelte den Kopf.

„Draußen im Wald. Er wollte nicht viel mit anderen Menschen zu tun haben. Ich dachte, alle Magier wären so verschroben, daher hat es mich gewundert, dass du mit Gefährten reist.“

„Verschroben, hä?“, warf Kurogane selbstgefällig ein, als würde es ihn freuen, dass noch jemand Magier für sonderbare Gestalten hielt.

Ruka warf dem Ninja derweil ein schwarz-rotes Set aus Umhang, Pullover und Hose zu. „Ich hoffe, das passt. Größere Kleidung werden wir im ganzen Dorf nicht finden. Diese Sachen sind von der Familie meines Mannes.“ Sie übergab ein weiteres, kleineres Set in Grün an Shaolan.

„Vielen Dank“, antwortete der Junge höflich. „Ist es denn in Ordnung, wenn wir diese Sachen nehmen?“

Die Frau senkte schwermütig ihren Blick. „Die Leute, die diese Kleidung ursprünglich getragen haben, brauchen sie nicht mehr, da, wo sie jetzt sind.“

Shaolan schluckte. „T-tut mir leid, ich-“

Sie winkte ab. „Sie wären sicher froh, dass ihre Kleider andere Menschen vor dem Erfrieren bewahren.“ Ruka verzog ein wenig nachdenklich das Gesicht, ehe sie erneut in die Truhe griff. „Ansonsten habe ich nur noch das hier.“ Sie zog ein weißes Gewand und eine Hose heraus, die beide ein Muster aus blauen und roten Halbkugeln, die sich gegenseitig zu einem Ganzen ergänzten, darauf hatten und reichte sie Fye.

„Wenn dir diese Kleider so viel bedeuten, dass du sie nicht einem Fremden geben willst, dann ist das in Ordnung“, sagte er ihr mitfühlend. „ … Ich kann mich auch an Kuro-sama wärmen.“

(Dem Genannten und im Besonderen Shaolan wurden es an dieser Stelle kurz ein wenig zu heiß.)

„Nein, nein“, Ruka schüttelte den Kopf (nachdem sie ihn mit großen Augen angeblinzelt hatte), „bitte nimm sie. Es ist nur, dass diese Sachen ursprünglich dem Magier gehört haben, der hier einst gelebt hat. Meine Mutter hat sie in Gedenken an ihn aufbewahrt.“ Sie griff noch einmal in die Truhe – die Miene noch verkniffener. „Tja, und jetzt haben wir ein Problem. Ich habe keine Männerbekleidung mehr. Der einzige Mantel, der noch übrig ist, ist der meiner Mutter … und den würde ein Mann wohl kaum anziehen wollen.“ Ruka hielt einen fluffigen, weichen, beigefarbenen Mantel in Händen.

„Der sieht aber warm aus!“ Mokona erfreute sich offensichtlich an der Vorstellung, sich dort hinein kuscheln zu können. „Fye würde der sicher gut stehen!“

„Nicht.“ Der Magier tätschelte das kleine Wesen sanft auf den Kopf. „Lass ihr dieses Erinnerungsstück an ihre Mutter.“

Zum wiederholten Male sah Ruka ihn interessiert an. „Meine Mutter war ein pragmatischer Mensch. Sie würde es sinnlos finden, dass jemand aus sentimentalen Gründen friert. Wenn es dich nicht stört, dass er eigentlich für eine Frau gedacht war, dann bitte, trag ihn.“

Sie tauschten einen langen und intensiven Blick aus, bevor Fye den Mantel entgegennahm und Ruka unwillkürlich lächeln musste.

 

Sie waren gerade fertig damit, sich umzuziehen (oh, wie viel wärmer diese Kleidung war!), als die Haustüre aufging und zwei Männer eintraten. Der Jüngere der beiden, ein junger Mann mit lockigen sandfarbenen Haaren, trug ein kleines Kind von maximal einem Jahr auf dem Arm, das so dick eingemummelt war, dass man kaum etwas von ihm erkennen konnte. Er besah sich die Fremden vor sich und lächelte freundlich zur Begrüßung. Die Wachen, sagte er gleich dazu, hatten ihnen von einer Gruppe Reisenden erzählt, die Ruka vor dem Drachen in Sicherheit gebracht hätten. Der ältere Mann (ein stämmiger, ergrauter Senior) musterte sie bedeutend kritischer, erschrak scheinbar, als sein Blick auf Fye landete und machte daraufhin ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

Kein Wunder, ging es dem Blondschopf durch den Kopf, ich trage den Mantel seiner verstorbenen Frau.

„Ah, da seid ihr ja!“ Ruka kam aus einem der angrenzenden Zimmer wieder hinein. „Ist die Ratsbesprechung gut verlaufen?“ Der jüngere Mann nickte und übergab ihr das Kind. „Das sind die Reisenden, die den Drachen ausgetrickst haben. Das sind Shaolan, Mokona, Fye und Kuro-Eisbärchen.“

„KUROGANE!“ Der Ninja warf einen tobsüchtigen Blick auf den verschmitzt mit den Achseln zuckenden Magier, der Ruka diesen Namen ins Ohr gesetzt hatte.

Die Frau stellte den jüngeren Mann als ihre bessere Hälfte Reta vor. Der ältere Mann jedoch ergriff selbst das Wort und klang dabei so distanziert, wie er dreinblickte. „Ich bin der Älteste des Dorfes, Rohi. Ihr seid Reisende? Definitiv nicht aus einem der mir bekannten Länder. Kommt ihr aus einer anderen Dimension?“

Die Vierergruppe schaute ziemlich verdattert drein, als er dies sagte.

„Wir haben schon allerlei Erfahrungen mit Figuren aus anderen Dimensionen gemacht. Dass ihr meine Tochter gerettet habt, spricht für euch. Richtet euch hier trotzdem nicht zu heimisch ein. Was bringt euch überhaupt her?“

„Wir sind auf der Suche nach etwas“, antwortete Shaolan kleinlaut angesichts der Unfreundlichkeit ihres Gastgebers. „Deswegen reisen wir durch verschiedene Dimensionen.“

„Dann habt ihr wieder vor zu gehen, ja?“

„Wir bleiben nirgends, wo man uns nicht haben will.“ In Kuroganes Antwort schwang ein trotziger Unterton mit: Glaub nicht, du könntest uns einschüchtern, sollte dieser ausdrücken.

„Es tut uns leid, wenn Sie schlechte Erfahrungen mit anderen Reisenden gemacht haben“, Fye versuchte es mit einem beschwichtigenden Lächeln, „aber wir haben keine bösen Absichten.“

Rohi warf ihm einen so abschätzigen Blick zu, dass Fye einen Schritt zurückwich und Kurogane gleich darauf einen Schritt nach vorn machte. Wenn der alte Knacker etwas gegen den Magier hatte, dann musste er erst einmal an ihm vorbei.

„Haben andere Reisende euch angegriffen? Oder überfallen?“, wollte Shaolan, neugierig wie eh und je, wissen.

„Den Drachen haben wir so jemandem zu verdanken“, erwiderte der Älteste verbittert. „Irgendein böser Hexer kam her, experimentierte herum und plötzlich flog diese schuppige Heimsuchung durch die Lüfte.“

Verständnisvoll nickte Shaolan. Natürlich waren die Bewohner dieses Landes nach so einer Erfahrung nicht gut auf Fremde zu sprechen.

„Vergiss aber nicht, dass der Magier, der von außerhalb kam, den Hexer tötete und den Drachen versiegelte“, ergänzte Ruka vorwurfsvoll und über das folgende Brummeln ihres Vaters den Kopf schüttelnd.

„Na ja“, fügte ihr Gatte Reta schulterzuckend an, „davon hatte unser Land nicht lange etwas. Einige Zeit später kam wieder jemand aus einer anderen Dimension, riss das Siegel an sich und der Drache war wieder da.“ Er seufzte.

Interessiert blickte Shaolan zu den Einheimischen. Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass dies einer der Momente war, in denen es Sinn machte, nachzufragen. „Jemand … riss das Siegel an sich? Was heißt das?“

„Das Siegel war plötzlich hier aufgetaucht. Es war so etwas wie ...“ Reta suchte nach den richtigen Worten. „So etwas wie eine Feder.“

„Eine … Feder?“ Schlagartig war Shaolans Anspannung spürbar. Seine Hände zitterten und Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Die Geschichten, die Sakuras Federn enthielten, gingen selten gut aus. Alarmiert tauschten auch seine zwei Begleiter einen Blick aus.

„Wer … wer hat diese Feder an sich gerissen??“ Shaolans Frage klang beinahe schon wie ein Flehen, doch seine Nervosität entging den drei Gastgebern.

Ruka schüttelte sich vor Angst. „Die wenigen, die ihn damals gesehen haben, berichteten, es sei ein Dämon mit zwei verschiedenfarbigen Augen gewesen.“

Ein unheimlicher Laut entwich Shaolans Kehle. Als wäre plötzlich ein böser Geist vor ihm aufgetaucht, wich sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht und er taumelte benommen rückwärts. Es wirkte so, als hätte ein unsichtbarer Schlag ihn mit voller Wucht mitten in den Magen getroffen. Fye packte ihn an den Schultern, damit er nicht umfallen konnte.

„Oh, aber der Dämon ist wieder weg und seitdem nicht wiedergekehrt. Du musst keine Angst vor ihm haben“, beruhigte Ruka ihn. Sie musste denken, dass sie den Jungen mit der Geschichte über einen Dämon verängstigt hatte.

„Hat das Viech euren Magier getötet? Oder der … Dämon? Wir haben festgestellt, dass die hässliche Echse unempfindlich gegenüber Magie ist.“ Kurogane entging es nicht, dass der Älteste bei Erwähnung des hiesigen Magiers ein noch saureres Gesicht zog.

„Keiner von beiden“, antwortete Ruka, den besorgten Blick weiter auf den bleichen Shaolan gerichtet. „Er starb, nachdem er den Drachen versiegelt hatte und bevor der Dämon auftauchte. Zum Glück blieben die Barrieren bestehen, die er kurz nach seiner Ankunft hier errichtet hatte. … Shaolan, du zitterst ja richtig. Du musst wirklich keine Angst haben.“

„Ich glaube, er ist erschöpft“, antwortete Fye für den Jungen, der mit leerem Blick vor sich hinstarrte und hörbar nach Luft schnappte. „Können wir uns vielleicht ein wenig ausruhen?“

Ruka nickte und führte sie in das Zimmer, das eigentlich ihr, Reta und dem Kind gehörte. Solange die Reisenden dieses bräuchten, würden sie in das Zimmer des Ältesten ziehen. Der kleine Raum war wie der Wohnraum quasi unmöbliert. Einzig eine mit Stroh gefüllte Matratze, auf der Kissen und Decken ausgebreitet waren, befand sich darin. Mit einem weiteren besorgten Blick auf Shaolan wünschte Ruka ihnen eine erholsame Nacht und schloss die Tür hinter sich.

„Dass dieser Drache hier sein Unwesen treibt ...“, sagte Shaolan mit erstickter Stimme, „ist meine Schuld.“

„Wieso? Hast du ihn erschaffen?“, gab Kurogane ungerührt zurück.

„Du weißt, wie ich das meine!“ Shaolan presste seine Lippen aufeinander, nachdem er laut geworden war. „All diese Menschen, die hier ihr Leben verloren haben-“

„Gehen nicht auf dein Konto.“ Der Ninja blieb unbeeindruckt. „Nicht einmal auf das des anderen Bengels. Keiner von euch hat die bekloppte Echse auf die Menschen hier losgelassen.“

„Kuro-tan hat ausnahmsweise mal Recht.“ Fye tätschelte den Kopf des dunkelhaarigen Mannes, wie er zuvor Mokonas Kopf getätschelt hatte. Ohne Vorwarnung gab Kurogane ihm daraufhin einen Schubs, sodass Fye – bester Laune - auf das Bett fiel.

„Ich ...“ Shaolan blickte ernst zu Boden. „Ich will diese Menschen von dem Drachen befreien.“

„Das wissen wir doch schon.“ Der Blonde setzte sich auf und Shaolans Blick schnellte erstaunt nach oben.

„Eine fliegende Riesenechse? Klingt nach keinem schlechten Gegner.“ Ein kampflustiges Grinsen umspielte Kuroganes Mundwinkel.

„A-aber-“

„Wenn der Magier, der hier zuvor gelebt hat, diese Barrieren gegen den Drachen errichten konnte, dann wird mir jawohl auch etwas einfallen. Meine Ehre als Magier steht auf dem Spiel!“

„Magier besitzen Ehrgefühl? Das ist mir neu.“

„Heeeey, Kuro-sama, das war gemein!“

Mokona hüpfte in Shaolans Arme. „Shaolan wollte alleine gegen den Drachen antreten, aber Shaolan ist doch gar nicht alleine! Wir lösen jedes Problem zusammen!“

Einen langen Moment schaute der Junge wortlos von einem seiner Gefährten zum nächsten, bevor er die Kreatur in seinen Armen umarmte. „Ich danke euch.“

Mokona kuschelte sich in die Umarmung und stellte besorgt fest, dass Tränen auf sie hinunterfielen.

„Shaolan-kun.“ Fye winkte ihn zu sich heran. Er hob seine Hände zu Shaolans Gesicht empor und wischte behutsam die dort fließenden Tränen weg. „Ich weiß, es ist schwer. Aber mach es dir doch bitte nicht immer noch schwerer.“

Der Angesprochene steigerte seine Bemühungen, die restlichen Tränen herunterzuschlucken (und scheiterte), als eine große Hand ihm recht unsanft durch die Haare wuschelte.

„Das sollte dir zu denken geben, wenn ausgerechnet der Magier so etwas sagt.“

„Ah, Papa ist heute wirklich gemein zu mir!“ Lachend ließ sich Fye mit einem überrumpelten Shaolan und einer vergnügt quietschenden Mokona zurück aufs Bett fallen.

Woran wir zerbrechen

In dieser Nacht träumte Shaolan.

Sein Traum war eine Erinnerung aus seiner Kindheit. Wie alt mochte er damals gewesen sein? Drei? Vielleicht vier? Möglicherweise auch schon fünf. Es schien so lange, so ewig lange her zu sein, dass er sich nicht an dieses Detail erinnern konnte. Doch er erinnerte sich lebhaft an den Sturm, der in jener Nacht durch die Stadt gewütet hatte; an jedes Klappern der Dachziegel, an das erschreckend laute Schlagen der Fensterläden, an das ohrenbetäubende Quietschen der Gartentür, die vom erbarmungslosen Wind auf und wieder zu geschlagen worden war, immer und immer wieder. Er erinnerte sich an das Heulen des Windes, das geklungen hatte, als wären Monster aus den Untiefen seiner kindlichen Vorstellungskraft vor ihrem Haus zum Leben erwacht und nur wenige Schritte davon entfernt, hineinzukommen und ihn zu packen (vielleicht sogar zu fressen; was machten Monster sonst mit kleinen Kindern?).

In seinem Traum erinnerte Shaolan sich, wie er vor Angst in seinem Bett gebibbert hatte und in dem Augenblick genug davon gehabt hatte, den starken, furchtlosen Mann zu spielen, in dem sein Nachtlicht wegen eines Stromausfalls den Geist aufgegeben hatte. Die schwere Bettdecke rasch beiseite geschlagen, hatten ihn seine kleinen Füßchen in Rekordzeit in das Schlafzimmer seiner Eltern gebracht. Seine Eltern waren aus ihrem Bett hochgeschreckt, als er lautstark heulend und keinen kohärenten Satz zusammenbringend in das Zimmer gepoltert war. Sie waren aufgesprungen und zu ihm gerannt. Seine Mutter hatte sogleich ihre Arme beschützend und beruhigend um ihn gelegt und mit sanfter Stimme gesprochen:

„Hat dich der Sturm erschreckt?“

„Du musst keine Angst haben.“ Auch sein Vater hatte seine Arme um ihn gelegt. „Hier ist es sicher. Dir wird nichts passieren. Und der Sturm ist bald vorbei.“

„Möchtest du heute Nacht bei uns bleiben?“

Und wie er das gewollt hatte. Eng an seine Mutter geschmiegt und die starken Arme seines Vaters ebenso um ihn gelegt, war der kleine Junge Tsubasa geschwind in einen tiefen und ruhigen Schlaf gefallen.

 

Der junge Mann Shaolan erwachte desorientiert. So intensiv war sein Traum gewesen, dass er erst einmal nicht wusste, wo und wann er jetzt im Moment eigentlich war. Er hatte schon so lange, so ewig lange, keinen derart friedvollen Traum von seinen Eltern mehr gehabt. An sie zu denken war die meiste Zeit schrecklich schmerzhaft, doch gerade verweilte die Wärme, die er im Traum gespürt hatte, auf wundersame Weise bei ihm. Gemächlich öffnete Shaolan seine Augen und … erschrak.

Er hatte sich im Schlaf an Fye angeschmiegt.

Der Blonde schien sich daran zwar nicht zu stören, denn er hatte seine Arme um den Jungen gelegt, aber dennoch war Shaolan seine unbewusste Aktion furchtbar unangenehm. Es war auf Fyes Vorschlag hin gewesen, dass sie ihn (und eigentlich auch Mokona; wo steckte sie?) in die Mitte genommen hatten, da selbst mit ihrer warmen Kleidung und den Decken der Raum nicht gerade warm war. Shaolan hatte widersprechen wollen, aber Kurogane hatte jegliche Diskussion mit einem „Mach einfach, ich bin müde“ abgewürgt.

Aus dem Augenwinkel (Shaolans Kopf lag gegen Fyes Brustkorb gedrückt) konnte er erkennen, woher das zusätzliche Gewicht kam, das er auf sich spürte. Kurogane hatte seinen Arm über ihn drüber bis zu Fye hin ausgestreckt. Wie sollte er so denn aus seiner peinlichen Lage herauskommen, ohne die anderen zu wecken?

„Hnngh, nimm deine Ohren aus meinem Gesicht, Wollknäuel“, murrte es leise hinter ihm. Ah, begriff Shaolan, das plüschige Gefühl in seinem Nacken musste Mokona sein – und gleichzeitig wurde ihm schlagartig heiß, denn … Kurogane war wach und damit gab es keine Chance mehr, ungesehen aus seiner Lage zu entkommen.

„Mokona will noch weiter mit allen kuscheln“, fiepste sie.

„Du weckst die beiden noch.“ Kurogane zog vorsichtig seinen Arm zurück.

„Ah~, Kuro-papa kann so rücksichtsvoll sein“, entgegnete Mokona erfreut.

„Pssst!“

„Hu~h?“, ertönte es schlaftrunken. „Was soll dieser Lärm mitten in der Nacht?“

„Es ist helllichter Tag.“

Oh nein, jetzt waren alle wach?? Shaolan lief dunkelrot an.

Fye versuchte recht erfolglos ein Gähnen zu unterdrücken. Dann stutzte er. „Shaolan-kun?“, fragte er sanft. „Bist du wach?“

Unfähig, nun ein Wort herauszubringen, nickte er gegen den Brustkorb des Älteren.

„Warum rast denn dein Herz so?“ Fye löste seine Umarmung und schob sich selbst ein Stück zurück, um ihn anzusehen. Eine Hand fand umgehend den Weg auf seine Stirn. „Nein, Fieber scheint das nicht zu sein, obwohl dein Gesicht knallrot ist. Ist alles in Ordnung?“

„Ja!“ In Sekundenschnelle saß Shaolan kerzengerade im Bett und versuchte, auf schnellstem Wege dort hinauszukrabbeln. Dabei entging ihm der verwirrte Blick, den die zwei Erwachsenen schulterzuckend austauschten.

„Komisch“, flüsterte Mokona fast unhörbar zu sich selbst, „Shaolan fühlt sich doch gerade so glücklich.“ Irritiert neigte sie ihren Kopf.

 

Die Begrüßung durch Ruka und Reta war wie erwartet herzlich ausgefallen, während der Älteste das gesamte Frühstück hindurch weiterhin seine schlechte Laune pflegte. Wenn sie sich schon unter seinem Dach aufhielten, nörgelte er, dann mussten sie dafür auch etwas tun. Brennholz und Nahrung mussten herbeigeschafft werden und es wäre jawohl das Mindeste, wenn sie ihm dabei helfen würden. Shaolan bejahte ihm dies eifrig, aber ihm war aufgefallen, dass Rohi nur ihn und Kurogane dabei angesehen hatte. Fye ignorierte er vollkommen.

„Ihr seid also unterwegs, weil ihr etwas sucht?“, hakte der Älteste misstrauisch nach.

Shaolan nickte zaghaft. „Es wäre allerdings schwierig, genauer zu erklären, was-“

„Ist mir auch egal, solange ihr schnellstmöglich wieder verschwindet.“ Die Augen des Alten formten sich fast zu Schlitzen, als sie auf Kurogane landeten. „Du siehst stark aus, Großer. Bist bestimmt ein geachteter Mann, da wo ihr herkommt, oder?“

Ein hochmütiges Grinsen legte sich auf die Lippen des Angesprochenen. „Geachtet und gefürchtet.“ Dem darauffolgenden Hustens seitens Fye, das klang, als sollte es schlecht ein „eher missachtet und gefoppt“ überdecken, schenkte er ausnahmsweise mal keine Beachtung.

„Ein stattlicher Mann wie du hat doch gewiss eine Frau und Kinder. Ist es dir nicht schlimm, dass du deine Familie für diese Reise zurücklassen musstest?“

Nicht nur der Ninja stutzte an dieser Stelle. Fye und Shaolan war es ebenso aufgefallen. Der alte Mann wollte doch auf irgendetwas hinaus.

„Überhaupt nicht schlimm“, antwortete Kurogane pragmatisch. „Ich denke jeden Tag an sie. Ist eigentlich sogar ziemlich unmöglich, sie zu vergessen.“

Während Rohi mit dieser Antwort – aus unerklärlichen Gründen - sichtlich zufrieden war, blinzelte Shaolan verständnislos und Fye blickte gänzlich verwirrt drein. Was redete Kurogane da?

Ruka schnalzte abschätzig mit der Zunge. „Vater“, schalt sie ihn und der Gerüffelte schwieg für den restlichen Verlauf des Frühstücks.

(Schneefrüchte, so hob Mokona es glückselig hervor, waren übrigens unfassbar lecker.)

 

Zu Fyes Missmut dehnte sich Rohis Skepsis ihm gegenüber auf die bevorstehenden Aufgaben aus. Der Älteste beharrte darauf, nur Shaolan und Kurogane mitnehmen zu wollen.

„Wir erledigen das zügig und finden hoffentlich nebenbei noch etwas über dieses Drachenvieh raus, damit uns eine Idee kommt, wie man es platt machen kann“, raunte Kurogane ihm zu, als sie in ihrem Zimmer darauf warteten, mit dem Ältesten und Reta loszuziehen.

„Eben! Der Drache, Kuro-rin! Was ist, wenn der Drache auftaucht?“

„Wenn wir keinen Treffer landen können, dann machen wir das, was die Leute hier auch tun: in den verdammten Schnee abtauchen.“

„Aber-“

Kurogane stöhnte. „Wenn der Alte etwas gegen Magier hat, wird es einfach nur unnötig anstrengend, wenn du mitkommst. Quetsch du diese Ruka oder wie sie heißt aus.“

Fye zog einen Schmollmund, den der Ninja allerdings gekonnt ignorierte. Er deutete Shaolan an, aufzubrechen und der Junge folgte ihm – mit entschuldigendem Blick zu dem Blonden - auf dem Fuße. Mokona nahmen sie aus Verständigungsgründen sicherheitshalber ebenso mit (was die kleine Kreatur nicht so toll fand, denn draußen war es bitterkalt, aber wenn Mokona tapfer sein musste, dann würde Mokona tapfer sein!).

„Warum bestehst du darauf, Fye-san hier zu lassen?“, flüsterte Shaolan dem dunkelhaarigen Mann zu, nachdem sie aus der Hörweite des Magiers verschwunden waren.

„Mir gefällt nicht, wie dieser Älteste ihn anguckt“, war alles, was Kurogane ihm zur Antwort gab.

 

Ruka seufzte, als Fye in den Wohnraum trat. Die junge Frau saß mit ihrem schlafenden Kind auf dem Boden und schüttelte den Kopf, als er sich zu ihr gesellte.

„Mein Vater ist unmöglich, bitte verzeih.“

Er lachte und winkte mit einer Hand ab. „Mach dir keinen Kopf. Ich dachte erst, er würde sich daran stören, dass ich den Mantel trage, aber ich glaube langsam, er hat eher ein Problem mit Magiern, oder?“

Sie seufzte von neuem. „Das scheint leider wahr zu sein. Er mag es gar nicht, wenn unser Magier zur Sprache kommt. Anscheinend hat er eine Abneigung gegen alle Magier.“

Ohne dass Ruka es sehen konnte, wurde Fyes Miene für einen flüchtigen Moment todernst. Ein unheilvolles Gefühl in seinem Innern warnte ihn davor, seinen Gedanken auszusprechen, doch es nagte zu sehr an ihm, als das er es einfach ausblenden konnte. Es war ihm bereits am Vorabend aufgefallen. Die Kleidung, die Kurogane und Shaolan erhalten hatten, hatte ungefähr ihre eigenen Größen, aber … - dieses Gewand, das er erhalten hatte … es passte, als wäre es ihm auf den Leib geschneidert worden.

„Kannst du mir etwas über den Magier erzählen?“, fragte Fye betont heiter und beiläufig. „Mich würde interessieren, wie er so war.“

Grüblerisch runzelte Ruka ihre Stirn. „Hmm … mal überlegen. Das ist lange her und ich war wie gesagt noch sehr klein. Ich kann mich kaum an ihn erinnern.“ Nachdenklich ließ sie ihren Blick zur Decke und durch den Raum schweifen, bis er wieder auf ihrem Gesprächspartner landete. „Ah, ja! Ich kann mich erinnern, dass er ganz helle Haare hatte, so wie deine.“

„So?“ Fye lächelte, während sich das unheilvolle Gefühl in seinem Innern weiter ausbreitete.

„Ja!“ Die zurückkehrenden Erinnerungen zauberten Ruka ein erfreutes Lächeln aufs Gesicht. „Und seine Augen waren genauso blau gewesen ...“ Das Lächeln ebbte ein wenig ab. „ … aber sie haben nicht so gestrahlt wie deine. Nein. Irgendwie hat er immer sehr betrübt ausgesehen.“

„Du sagtest, er wollte mit den anderen Menschen im Dorf nichts zu tun haben?“

Sie nickte. „Ich hatte ihn einst gefragt, warum er immer allein war.“

„Und was hat er geantwortet?“ Fye ließ die Anspannung in seinem Innern nicht nach außen scheinen.

„Dass … dass die einzig richtige Lebensweise für jemanden wie ihn wäre. Weil Magier und Menschen sich niemals zu nahe kommen sollten, da Erstere viel, viel länger leben als Letztere und somit nur verletzt würden, wenn sie sich mit den Menschen einließen. Daher war ich auch so verwundert, dass du mit den beiden Menschen - … Fye? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Während sie sprach, hatte sich plötzlich ein erschütterter Ausdruck über das Gesicht des Anderen gelegt.

„N-nein.“ Er schüttelte hastig den Kopf. „Entschuldige. Erzähl bitte weiter.“

„Na ja, jedenfalls war er in seiner gesamten Zeit hier ein Einsiedler und den anderen Dorfbewohnern unheimlich. Nur meine Mutter war stur und hat ihn immer wieder besucht. Und manchmal hat sie mich mitgenommen. Er wollte sie auch immer wegschicken, aber gegen ihren Dickkopf war kein Kraut gewachsen.“ Ruka lachte wehmütig. „Ja, ich weiß noch, wie er sie angeschrien hat, sie würde doch auch eh nur sterben, so wie alle anderen. Damals habe ich das nicht verstanden, aber heute glaube ich, dass er wirklich, wirklich einsam und verzweifelt war.“

Ein Kloß bildete sich in Fyes Hals, der es ihm fast unmöglich machte, seine unbekümmerte Fassade aufrecht zu erhalten. „Du … du weißt nicht, woher er ursprünglich kam, oder?“

Sie überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nein. Meine Mutter sagte mal, dass er durch viele Dimensionen gereist sei, weil er vor etwas davonlief, aber wo er ursprüng-“

„Vor was war er davon gelaufen?“ Er fiel ihr so abrupt ins Wort, dass sie zusammenzuckte.

„So-soweit ich weiß ...“ Ruka sah ihr plötzlich aufgekratztes Gegenüber perplex an. „Er hatte wohl jemanden verloren und es nicht geschafft, über diesen Verlust hinweg zu kommen ...“

Entgeistert schnellte Fyes Blick zu dem blau-roten Muster seines Gewandes. „Wen??“, rief er atemlos aus und verschreckte die Frau damit zunehmend. „Wen hat er verloren??“

„Einen geliebten Menschen, a-aber mehr weiß ich dazu nicht!“

Das Baby in ihren Armen fing an zu schreien und Fye hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Als hätte sich eine Schnur um seinen Hals gelegt, die mit jeder weiteren Information fester zugezogen worden war.

„Du bist ganz blass“, stellte Ruka besorgt fest, während sie das Kind schaukelte, um es zu beruhigen. „Fühlst du dich nicht gut?“

Fye zwang sich, Luft zu holen. Er führte eine zittrige Hand zu seiner mit einem Mal schweißnassen Stirn. „N-nein … n-nein, es … es ist nichts“, brachte er angestrengt hervor. „Er … er hatte einen geliebten Menschen verloren?“

Zögerlich nickte Ruka. Sie hatte Angst, jedes zusätzliche Wort könnte ihren Gast weiter aufregen. „Es muss jemand gewesen sein, den er über alles geliebt hatte. Und … er hatte ihn wohl einfach überlebt.“

„V-verstehe ...“ Es war ihm selbst bewusst, dass er an dieser Stelle hätte aufhören sollen; dass Kurogane ihm eins überbraten würde, wenn er wüsste, dass er trotzdem weiter nachhakte. „Wie … wie ist der Magier gestorben?“

Der Ausdruck in Rukas Augen war eigentlich Antwort genug. „Er … er hat sich selbst das Leben genommen.“

Fye nickte; es war eine rhetorische Frage gewesen, deren Antwort er längst gewusst hatte. Genau wie ihm die Antwort auf die nächste Frage bereits qualvoll bekannt war:

„Wie war sein Name?“

Ruka sah ihn abwartend an, als würde sie überlegen, ob es klug war, ihm diese Information mitzuteilen. Sie schluckte schwer, bevor sie antwortete:

„Yui.“

Fye rannte nach draußen und übergab sich.

 

Mit sich hadernd kaute Ruka auf ihrer Unterlippe, während sie ihren leichenblassen Gast dabei beobachtete, wie er sich, nachdem er eine Zeitlang im Raum fahrig auf und ab gewandert war, endlich wieder hinsetzte.

„Bist du sicher, dass es dir gut geht?“

„Es … es geht schon.“ Fye konnte sich nicht erinnern, wie lange es her war, dass ein forciertes Lächeln so weh getan hatte. „Du darfst nur nicht vergessen, was du mir versprochen hast.“

„Ich werde deinen Begleitern nichts von unserem Gespräch verraten … aber, Fye? Warum soll ich ihnen das nicht erzählen?“

Weil Kurogane ihn sonst gleich im Verdacht hätte, etwas Ähnliches tun zu wollen wie der Yui dieser Welt; weil das dann zu einem Streit führen würde (weil Kurogane nicht Unrecht hätte); weil Shaolan und Mokona sich Sorgen machen würden und besonders der Junge schon genug eigene Sorgen hatte; weil Fye es selbst nicht glauben konnte, dass er so dumm gewesen war, dieses Thema zu verdrängen und die Schwere dieser Angelegenheit ihn nun mit voller Wucht zu erdrücken drohte. Aber nichts davon sollte Rukas Problem sein.

„Weil … weil es so besser ist.“

„Ich habe das Gefühl, ich habe irgendetwas Falsches-“

Der Blick des Magiers schnellte zu der Frau. „Nein. Du hast nichts Falsches gesagt oder getan.“ Unbewusst strich er mit einer Hand über den roten Teil des Musters auf seinem Gewand. „Ich bin der, der Fehler macht“, fügte er leise hinzu.

„Ich … ich bin froh, dass dir die Kleidung passt“, sagte Ruka hastig und offensichtlich verzweifelt um einen Themenwechsel bemüht. „Ist dir auch warm darin?“

„Ja. Besonders der hier leistet mir gute Dienste.“ Seine Hände strichen nun über den Mantel. „Ich danke dir, dass du ihn mir gegeben hast.“

Ein wenig Anspannung fiel von Ruka ab. „Das freut mich. Ich weiß gar nicht, ob ich das sagen sollte ...“ Sie lächelte schuldbewusst, als wäre ihr etwas unangenehm. „Aber als ich dich zum ersten Mal sah, hatte ich dich für eine Frau gehalten.“ Sie lachte verschämt.

Fye blinzelte sie überrascht an. „Wirklich?“

„Aber ja! Ist dir das zuvor noch nie passiert?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Hast du auch eine Familie, dort, wo ihr herkommt? Deine Kinder müssen wunderhübsch sein.“

„Äh ...“ Dem Blondschopf fehlten die Worte. Er selbst redete ja immer davon, dass Shaolan und Sakura ... und 'Shaolan' und 'Sakura' seine Kinder waren (und Mokona natürlich), aber es würde in Arbeit ausarten, das Ruka zu erklären. Außerdem war er immer noch nicht darüber hinweg, was in aller Welt Kurogane beim Frühstück geredet hatte. Kurogane hatte keine Frau und keine Kinder in Nihon. Punkt. Das hätten sie damals schließlich in Erfahrung gebracht, wenn dem so wäre. Der Mann hatte es zudem nicht mit Heimlichtuereien und so etwas würde er nicht all die Zeit vor ihnen verbergen können. Was hatte also diese merkwürdige Antwort von ihm zu bedeuten?

„Ich habe keine leiblichen Kinder“, antwortete er schließlich ganz diplomatisch.

„Wirklich nicht? Wie schade!“ Ruka schien ehrlich enttäuscht zu sein. „Ich könnte mir vorstellen, dass du sehr gut mit Kindern kannst.“

„Meinst du?“ Fye winkte bescheiden ab.

„Warte mal.“ Sie stand auf, ging zu ihm und schob ihm ihr Kind in die Arme. Dann wartete sie ein paar Augenblicke ab, während der Blonde sie verdattert und fragend anschaute. Letztlich begann sie zu lächeln. „Siehst du? Siehst du? Normalerweise schreit sie gleich immer, wenn jemand anderes sie nimmt, aber bei dir bleibt sie ganz ruhig!“

Der Magier senkte seinen Blick zu dem Bündel in seinen Armen. Der Hauch eines zufriedenen Lächelns stahl sich auf sein Gesicht. Im gleichen Moment ging die Haustüre auf und die vier Männer (plus eine aus Shaolans Umhang herausguckende Mokona) kamen wieder hinein. Durch den kalten Luftzug von draußen, drückte Fye das Kind noch enger an sich, was dieses mit einem glücklichen Glucksen kommentierte. Und dieser Anblick dem eintretenden Kurogane ein gutes Dutzend Fragezeichen ins Gesicht trieb.

„Ist bei euch alles gut?“, fragte Reta, sichtlich erfreut, dass sein Kind so froh zu sein schien.

Unglücklich auffällig zögerte Ruka, ehe sie ebenso auffällig plötzlich frenetisch nickte. „Ja. Ja. Bei uns ist alles ... gut.“

Autsch, dachte Fye. Klang er auch so, wenn er log? Dann war es kein Wunder, dass Kurogane durch ihn durch sehen konnte. Der Ninja jedenfalls runzelte sogleich die Stirn. Wie argwöhnisch konnte man sein?

„Habt ihr über irgendetwas Geheimes geredet?“, fragte Reta im Scherz, während Rohi merklich unzufrieden das Kind aus Fyes Armen riss.

„Ha ha, gewiss nicht“, entgegnete Ruka, nachdem sie ihrem Vater erneut einen missbilligenden Blick zugeworfen hatte. „Wir sprachen gerade davon … dass es eine Schande ist, dass Fye keine eigenen Kinder hat.“

Der Erwähnte spürte die verstörten Blicke seiner beiden Kameraden auf sich und lächelte gequält. „Themenwechsel!“

 

„Hey, Klops, hör auf, dir so viel von dem Schneefruchtzeugs reinzuschaufeln. Du hast doch gesehen, was es für eine Arbeit macht, die Dinger zu pflücken.“ Kurogane knurrte Mokona an, als sie beim Essen eine Schale Schneefruchtmus nach der anderen verdrückte.

„Die Bäume, auf denen sie wachsen, schnappen mit ihren Ästen nach einem, wenn man sie pflücken will“, erklärte Shaolan in Fyes Richtung.

„Ah~, verstehe. Aber lecker sind sie.“ Der Magier spürte zum wiederholten Mal, seit sie alle wieder versammelt waren, Kuroganes musternden Blick auf sich – und ignorierte dies mit der größten Nonchalance, die er aufbringen konnte.

„Euer Plan ist trotzdem eine dumme Idee“, äußerte Ruka. „Warum wollt ihr gegen den Drachen kämpfen?“

„Wir wollen nicht gegen ihn kämpfen“, korrigierte Kurogane sie, „wir wollen das Vieh töten.“

„Das läuft immer noch darauf hinaus, dass es eine dumme Idee ist“, konterte Reta seufzend. „Wir haben all die Jahre noch keinen Weg gefunden, ihn zu töten. Und warum wollt ihr euer Leben dafür riskieren? Ihr könnt doch einfach weiterreisen.“

„Nein“, antwortete Shaolan bestimmt. „Wir wollen euch helfen.“

„Lasst sie doch“, warf Rohi kühl ein, „ist nicht unser Problem, wenn sie dabei sterben.“

„Vater!“

„Zeigt ihr uns morgen wie verabredet euer Waffenarsenal?“, fragte Kurogane und Reta nickte achselzuckend.

„Wenn ihr darauf besteht.“

„Ah!“, machte Fye plötzlich. „Ich will mir die am Dorfeingang angebrachte Barriere noch ansehen, bevor es dunkel wird.“ Er stand eilig – für Kuroganes Verständnis zu eilig – auf. „Mokona, willst du mich begleiten?“

„Warum willst du das Wollknäuel mitnehmen?“

Der Blonde schluckte seinen Ärger über das Misstrauen des Anderen zügig runter. „Weil Mokona etwas von magischen Barrieren versteht.“

„Mokona ist ziemlich klug, aber ob ich davon mehr verstehe als du, Fye?“

„Soll ich auch …?“, fragte Shaolan, wurde aber gleich von dem Magier abgewürgt.

„Nicht nötig. Wärm dich hier drinnen weiter auf.“ Fye hielt seine Hände auf und Mokona sprang ihm sofort entgegen. Sie krabbelte unter seinen Mantel und guckte oben am Halsausschnitt heraus. „Wir sind gleich zurück.“ Die skeptischen Blicke Kuroganes bohrten sich beinahe in seinen Rücken, als er das Haus verließ.

 

Die Barriere hatte er im Handumdrehen analysiert – was Mokona nicht wissen durfte. „Könntest du mir einen großen Gefallen tun?“, fragte Fye sie nach einer Weile. Inzwischen war es fast dunkel und die Dorfbewohner hatten sich alle in ihre Häuser zurückgezogen.

„Jeden!“

Bei dem freudigen Ausruf musste Fye unwillkürlich lächeln. „Ich möchte mit Watanuki-kun sprechen.“

Sie neigte ihren Kopf zur Seite. „Warum?“

„Ich muss ihn etwas fragen. Und könntest du währenddessen schlafen?“

Mokonas Gesicht verriet, dass ihr die ganze Sache nicht gefiel. „Fye? Warum bist du so traurig und nervös? Heute Morgen warst du das noch nicht.“

Er streichelte mit einer Hand über ihren Kopf. „Tust du mir bitte diesen Gefallen? Es ist sehr wichtig. Und du darfst Kuro-sama und Shaolan-kun nichts davon erzählen.“

„Hmm … hmm …“ Das kleine Wesen haderte mit dieser Bitte. „Okay. Wenn es dir so wichtig ist. Aber du musst mir versprechen, dass du uns sagst, wenn dich etwas bedrückt.“

„Versprochen.“ Es tat ihm zutiefst weh und leid, ihr so ins Gesicht zu lügen, aber die Zeit drängte. „Und du versprichst mir, worum ich dich gebeten habe?“

Zaudernd nickte Mokona, bevor sie die Verbindung zu Watanuki herstellte und einschlief.

„Fye-san?“ Der bebrillte Junge war offensichtlich überrascht.

„Watanuki-kun, ich hoffe, ich störe dich nicht?“

„Nein, tust du nicht. Ist bei euch alles in Ordnung?“

„Ja. Shaolan geht es so weit gut. Allerdings müsste ich dich etwas fragen und ich habe nicht viel Zeit.“ Kurogane könnte hier auftauchen, wenn er zu lang wegbliebe und das durfte unter keinen Umständen geschehen. Watanuki nickte und Fye holte tief Luft, um fortzufahren: „Gibt es einen Weg, mit dem ich meine Lebenszeit an die der Menschen um mich herum anpassen könnte?“

Der dunkelhaarige Junge stutzte heftig. „Wie meinst du das?“

„Damit ich nicht länger lebe als sie.“

„Das … das ist ein schwieriges Unterfangen, Fye-san. Du bist nun mal halt ein Magier. Und wenn du das als Wunsch formulieren würdest, hätte dies einen gewaltig hohen Preis.“

„Das habe ich bereits befürchtet. Vielleicht steht in irgendeinem von Yukos Büchern etwas dazu? Irgendein Fluch, ein Zauberspruch, irgendetwas?“

„Ich könnte einmal nachsehen ...“

„Tu das bitte.“

„Fye-san?“

„Ja?“

„Mach dir bitte keine zu großen Hoffnungen.“

„Hab schon mal vielen Dank, Watanuki-kun.“

Der Junge seufzte bekümmert, ehe die Verbindung beendet wurde und Fye geschwind zurück zum Haus eilte – vor dem ihn ein sehr vertrautes, skeptisches Gesicht begrüßte.

„Kuro-pon, was stehst du hier draußen in der Kälte?“ Fye wollte geschickt an ihm vorbei ins Innere des Gebäudes gleiten, doch Kurogane packte ihn – behutsam – an einem Arm.

„Ist irgendwas vorgefallen?“

Der Magier sah ihn fragend an. „Was meinst du?“

„Du benimmst dich seltsam.“

„Seltsamer als sonst?“

Anstatt zu antworten, fixierten ihn zwei ernste, rote Augen. Es war kaum zu fassen, was für einen Druck er nur mit diesem Blick auf ihn ausüben konnte. Halb aus Verlegenheit, diesem Druck ausweichen zu wollen und halb aus einer plötzlich aufkommenden Sehnsucht nach der Wärme des Anderen, lehnte sich Fye leise seufzend gegen den größeren Mann, der umgehend seine Arme um ihn legte.

„Weißt du, was dein Problem ist?“

„Mein Problem?“ Kurogane hob eine Augenbraue.

„Du machst dir immer zu viele Sorgen um mich.“

Kurogane wollte darauf etwas erwidern, doch Fye bibberte theatralisch und machte sich schnell auf ins Haus.

 

Zurück in ihrem Zimmer erklärte Fye ausladend, um was für eine Barriere es sich handelte und ob ihnen das irgendetwas für den Kampf gegen den Drachen bringen würde (jein, denn um den Drachen zu versiegeln, reichten Fyes Fähigkeiten nicht, aber es war hilfreich zu wissen, dass Barrieren gegen die Echse Wirkung zeigten).

„Ist Mokona draußen eingeschlafen?“ Shaolan hielt die schlafende Kreatur in seinen Händen.

„Ja. Sie muss von dem aufregenden Tag sehr erschöpft gewesen sein. Du siehst auch recht müde aus.“

„Das kommt davon, dass wir einen Umweg gegangen sind, damit dieser Reta uns von weitem zeigen konnte, wo der Drache sich normalerweise zum Schlafen hin verzieht“, erläuterte Kurogane.

Fye warf Shaolan einen sanftmütigen Blick zu. „Ich weiß, du willst den Menschen hier helfen, aber übernimm dich bitte nicht, hörst du?“

Schwach nickte der Junge. „Ich kann nicht weiterziehen, ohne dieses Problem beseitigt zu haben. Das … das würde mich für alle Zeit verfolgen. Und ich könnte mich nicht mehr darauf konzentrieren, meinen …“ Shaolan stockte plötzlich und wusste nicht warum. Meinen Eltern zu helfen, hatte der Satz lauten sollen, doch als er dies sagen wollte, hatte er auf einmal das Bedürfnis, in die Gesichter seiner Begleiter zu blicken und daraufhin hatte er sich unfähig gefühlt, den Satz zu beenden.

„Eins nach dem anderen“, stöhnte Kurogane, „wie oft muss ich es denn noch sagen?“ Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass auch der Magier für den Bruchteil einer Sekunde ein erschüttertes Gesicht gemacht hatte.

Diesem war seine Entgleisung rasch aufgefallen und lächelnd drängte er die anderen dazu, schnell ins Bett zu gehen, damit sie am nächsten Tag ausgeschlafen waren. Fye wusste, dass Kurogane ihn nicht löchern würde, solange Shaolan dabei war (der vehement darauf bestand, nicht mehr in der Mitte zu liegen und sich mit so viel Abstand, wie die schmale Schlafstätte es erlaubte, neben Kurogane kauerte und ihm den Rücken zudrehte). Der Ninja fluchte innerlich, weil auch Fye ihm den Rücken zuwandte und es deutlich wurde, dass niemand, absolut niemand hier aussprach, was in ihm vorging.

Der Blondschopf spürte erneut die unzufriedenen Blicke, die sein Hinterkopf abbekam, aber sie waren in diesem Moment nicht das, was ihn am meisten beschäftigte. Shaolan hatte seine Eltern erwähnen wollen, die Kinder, wegen denen sie unterwegs waren und ein furchterregender Gedanke hatte Fye wie ein Blitz getroffen: Was war, wenn sie ihre Mission nicht zu Lebzeiten Kuroganes und Shaolans und Sakuras abschließen konnten? Was war, wenn die Menschen um ihn herum alle alterten und starben und er alleine zurückblieb? Was, wenn das Schicksal einen so grausamen Humor hatte, dass er einen Weg finden würde, Shaolans Eltern zurückzubringen, nachdem Shaolan bereits tot wäre? Müsste er ihnen sagen, dass ihr Sohn nach einem hoffentlich langen, aber unglücklichen Leben gestorben wäre? Könnte er so eine schreckliche Botschaft überbringen? Würde, sollte er überhaupt nach ihnen weitersuchen? Sämtliche Gefahren, in die sie ständig gerieten, außer Acht gelassen, was für eine Lebenserwartung hatten Kurogane und Shaolan? Wie viel Zeit blieb ihnen noch?

Zu wenig.

Einfach zu wenig.

Fyes Finger verkrampften sich in sein Gewand. Was sollte er ohne Kurogane machen? Welchen Sinn hatte es, ohne ihn weiterzuleben? Wie hatte er so etwas Essentielles nicht bedenken können? Wie hatte er so dumm sein können, anzunehmen, er könnte glücklich werden? Er war verflucht – bis in alle Ewigkeit.

Ein Arm, der sich um ihn legte, durchbrach sein düsteres Gedankenkarussel.

„Du vergisst schon wieder zu atmen“, raunte Kurogane leise. Stille Tränen fielen blasse Wangen hinab, während Fye die Hand des Anderen so fest hielt, als würde sein Leben davon abhängen.

Unheil

Am nächsten Morgen war Kuroganes Laune vollends im Keller. Der Kleine benahm sich merkwürdig und war noch verbissener als sonst und der trottelige Magier verhielt sich so auffällig, dass dem Ninja nach Schreien und irgendetwas Kaputtschlagen zumute war. Anstatt mit ihm und dem Bengel das Waffenlager des Dorfes zu inspizieren, beharrte der Wirrkopf darauf, mit Mokona zusammen im Haus zu bleiben. Ihm wäre zu kalt und er bräuchte Mokonas Wärme.

Am Arsch!

Der Spinner kam aus einer verdammten Eiswelt; glaubte der, er hätte das vergessen?! Oh nein, niemals würde er irgendetwas von dem vergessen, was mit Ceres oder Valeria zu tun hatte! Niemals würde er irgendetwas von dem vergessen, was er in Ceres gesehen hatte!

Vielleicht lag da das Problem.

Direkt nach ihrer Ankunft hatte Fye beinahe eine Panikattacke gehabt; nur weil er den Schnee und das Eis gesehen hatte. Vielleicht gab es hier einfach zu viel von dem, was ihn an die grausamen Welten erinnerte, in denen er aufgewachsen war.

Kurogane schnaubte innerlich. Konnte der Idiot das nicht einfach sagen? Oder war da noch etwas anderes im Gange?

Eher halbherzig hörte er den Erklärungen Retas und Rohis zu, die ihm und Shaolan das Waffenarsenal zeigten. Magie half nicht gegen das Viech, Schwerter und Pfeile prallten ebenso ab.

Toll. Wirklich toll.

Trotzdem fragte der Ninja, ob er einen Bogen und ein paar Pfeile für Fye mitnehmen könnte. Den Schwachkopf ganz unbewaffnet mit auf Drachenjagd zu nehmen, war kein Gedanke, der ihm gefiel. Genauso wie das Gesicht, das der Alte zog, als er Fye erwähnte.

„Ihr wollt … den Magier mitnehmen?“ Der Kerl gab sich nicht einmal Mühe, die Verachtung in seiner Stimme zu verschleiern.

„Irgendein Problem damit?“, knurrte Kurogane.

So jemand bringt nur Unglück“, konterte Rohi und ahnte nicht, welches Unglück er damit über sich selbst brachte.

Sämtliche Zurückhaltung und Manieren in den Wind schlagend, packte Kurogane ihn wutentbrannt an seinem Kragen und drückte ihn brachial gegen die nächste Wand.

So jemand?? Was soll das heißen??“

Verdattert blieben Shaolan und Reta regungslos im Hintergrund stehen.

„Ich hatte so wenig wie möglich mit dem Magier, der hier gelebt hat, zu tun, aber weil meine Frau immer zu ihm rennen musste, weiß ich ganz genau, was das für einer war“, antwortete Rohi, unbeeindruckt von Kuroganes Wutausbruch. „Einer, der nach den alten Lehren unseres Volkes Unheil bringt, weil er sich mit Leuten des gleichen Geschlechts einlässt. Und euer Magier scheint genau so einer zu -“

„Kurogane-san, nicht!!“, rief Shaolan dazwischen, als der Dunkelhaarige mit einer Faust zum Schlag ausholte. Die Faust verweilte noch einen langen Moment in der Luft, ehe er sie wieder absenkte und dafür den alten Mann kräftig durchschüttelte.

„Unheil, ja? Ging die Geschichte nicht so, dass euer Magier euch eure ehrlosen Ärsche gerettet hat? Er hätte den verdammten Drachen in Ruhe lassen sollen und dafür euch wegsperren sollen!“

„Denken … denken alle Leute eures Volkes so?“ Bekümmert wandte sich Shaolan an Reta, der eiligst den Kopf schüttelte.

„Nein. Nur noch ein paar der Älteren. Keiner weiß mehr so wirklich, woher dieser unsinnige Aberglaube eigentlich kam.“

Beleidigt presste Rohi seine Lippen zusammen, bevor Kurogane ihn noch einmal mit ganzer Kraft in die Wand rammte und ihn dann fallen ließ.

„Abergläubische Vollidioten!“ Zornig stapfte er aus dem Lagerraum hinaus.

Die kalte Luft brannte in seinen Lungen und tat dennoch nichts dafür, dass er sein erhitztes Gemüt abkühlen konnte. Unheil! Wenn er dieses verfluchte Wort noch einmal hörte, würde er ausrasten! Was stimmte mit den Leuten nicht? Irgendwo gab es wahrscheinlich auch eine Welt, in der man blonde Haare für unheilvoll hielt. Oder blaue Augen. Oder eine Vorliebe für Süßkram. Es war nicht Fye, der Unheil brachte, es waren die Leute, die ihn für unheilbringend hielten.

Wütend kickte er gegen den Schnee, der auf dem Boden lag, als Shaolan sich ihm vorsichtig näherte.

„Kurogane-san?“

Der Angesprochene hörte auf, seinen Unmut an dem Schnee auszulassen und hob eine Hand, um anzuzeigen, dass er sich beruhigt hatte.

„Kein Wort darüber zu dem Magier.“

Shaolan nickte.

 

Fye beeilte sich, Mokona nach dem erneuten Gespräch mit Watanuki wieder aufzuwecken. Wenn sie schon wieder schlief, nachdem sie bei ihm geblieben war, wäre das zu auffällig – und Kurogane hatte ja eh bereits Lunte gerochen. Watanuki hatte in Yukos Aufzeichnungen nur eine einzige Methode gefunden und die klang nicht nach einer guten Idee. Die Erfolgsquote bei diesem Fluch war so gering, dass Fye nicht groß darüber nachdenken musste. Bei seinem Glück würde der Fluch ihn direkt killen – und das konnte er den anderen nicht antun. Nicht nachdem sie – und besonders einer von ihnen – so viel auf sich genommen hatten, um ihn am Leben zu erhalten. Außerdem … wollte er bei ihnen bleiben.

Also war er erst einmal dabei verblieben, Watanuki darum zu bitten, weiterzusuchen. Aber was, wenn es keinen anderen Weg gab?

Mokona gähnte und hopste sogleich nach dem Erwachen in seine Arme.

„Konnte Watanuki dir nicht helfen?“

Mit abwesendem Blick gab er ihr einen Kuss auf den Kopf. „Nein.“

„Dann fragst du jetzt Kurogane und Shaolan um Hilfe?“

„Noch nicht.“

„Dann will Mokona helfen!“

Der Eifer des kleinen Wesens ließ ihn trotz der Schwere seines Herzens schmunzeln. „Oh? Die anderen kommen wieder-“ Er stockte, als die zwei ins Zimmer kamen. Einer von beiden hatte deutlich schlechte Laune. Verwirrt musterte er sie, bevor er in Shaolans Richtung wisperte: „Ist etwas passiert?“

Der Junge kaute augenblicklich auf seiner Unterlippe. „Na ja, es … es wird sehr schwierig, den Drachen zu töten.“

„Aha …?“ Log Shaolan ihn da gerade an? Ausgerechnet Shaolan? Oweia, färbte er etwa auf den Jungen ab? War er ihm ein schlechtes Vorbild? Aber Shaolan orientierte sich doch sonst mehr an der Aufrichtigkeit in Person – die nur grummelte und knurrte, als Mokona fragte, warum er so wütend war.

„Äääh“, machte Fye verlegen, „ich weiß, das klingt ausgerechnet von mir jetzt ein bisschen … komisch, aber … verheimlicht ihr etwas vor mir?“

„Nein!“, rief Shaolan wie aus der Pistole geschossen. Oh weh, war der Junge ein schlechter Lügner.

„Ich bin einfach nur froh, wenn wir diese Welt wieder verlassen können“, brummte Kurogane und ließ dies seine ganze Antwort sein.

Fyes Verwirrung nahm beim Abendessen zu. Rohi saß abseits von ihnen und fixierte mit angesäuerter Miene entweder die Schüssel in seinen Händen oder den Boden unter sich, während Ruka ihm giftige Blicke zuwarf (zudem hatte Fye mitbekommen, wie sie sich draußen wegen irgendetwas angeschrien hatten; er hatte allerdings nicht verstehen können, um was es dabei gegangen war). Reta hatte ihn selbst in ein auffallend bemühtes Gespräch darüber verwickelt, wie es um seine Bogenschießkünste stand und wo er dies denn gelernt hatte. Der Magier hatte ihm freundlich alle Fragen beantwortet, kam aber nicht umhin, bei der angespannten Atmosphäre innerlich eine gequälte Grimasse zu ziehen. So fühlte es sich also an, wenn andere Geheimnisse vor einem hatten? Autsch. Ein wirklich blödes Gefühl war das.

Es half ihm definitiv nicht dabei, sich in irgendeiner Weise besser zu fühlen.

 

„Wollknäuel, du bleibst beim Magier.“

Kurogane schnappte sich Mokona, die es sich auf seinem Kopf bequem gemacht hatte und warf sie Fye zu. „Ich sage es euch ein letztes Mal: Wenn irgendwas schief geht, brechen wir die Aktion ab. Verstanden?“

„Schon beim ersten Mal, Kuro-rin.“

„ … Ja.“

„Einer von euch beiden hat mich nicht überzeugt und es war schockierenderweise niemand mit einem furchtbar falschen Lächeln.“

Ertappt zuckte Shaolan zusammen, ehe er mal wieder eine große, schwere Hand auf seinem Kopf spürte. Kurogane seufzte.

„Hör zu, egal, wie wichtig dir das hier ist, es hat keiner was davon, wenn du dabei drauf gehst. Verstanden?“

Zaghaft nickte der Junge, bevor Fye sacht seine Schultern drückte.

„Papa ist nur so streng, weil er nicht will, dass dir etwas zustößt. Wir killen den Drachen schon irgendwie. Mach dir darüber keine Sorgen.“ Er zurrte den Köcher mit den Pfeilen darin an seinem Körper fest.

Abmarschbereit traten sie in den Wohnraum, wo Ruka und Reta nervös warteten. Rohi wanderte derweil im Dorf umher.

„Ihr müsst das nach wie vor nicht tun“, äußerte Ruka besorgt.

„Auch wenn ihr meint, der Drache müsste einen Schwachpunkt haben, das ist zu gefährlich“, stimmte Reta ihr ebenso angstbesetzt zu.

Der Schwachpunkt war Fyes Einfall gewesen. Wenn man ein mächtiges Wesen erschuf, so lautete seine Logik, versah man es auch mit einem Ausschalter. Kein Zauberer wäre so dämlich, diese einfache Grundregel außer Acht zu lassen.

„Wir wissen nicht, ob wir erfolgreich sein werden“, sagte Shaolan bestimmt, „doch wir werden es auf jeden Fall versuchen.“

„Ich will irgendwem den Kopf abschlagen. Also lasst uns endlich das Echsenvieh suchen.“

„Kuro-tan, manchmal kannst du wirklich schlimm sein.“

„So brutal!!“

Ruka und Reta sahen der scheinbar unerschütterlichen Gruppe noch lange hinterher, nachdem sie das Dorf verlassen hatte.

Ihr Plan sah vor, dass sie dem Drachen in der Nähe seiner Höhle, zu der er sich mehrmals am Tag zurückzog, auflauerten. Kurogane und Shaolan würden ihn einen Kampf verwickeln, um Fye und Mokona die Gelegenheit zu geben, nach dem erhofften Schwachpunkt Ausschau zu halten.

Ein eisiger Wind wehte ihnen auf dem Weg zur Höhle entgegen, sodass Shaolan seinen Umhang noch fester um sich zuzog. Kurogane marschierte vornweg und meckerte über das Wetter, Fye trottete dicht hinter ihm selbst her und warf immer mal wieder einen besorgten Blick gen Himmel. Shaolan war so froh, die beiden bei sich zu haben und fühlte sich gleichzeitig schuldig dafür. Womit hatte er sie überhaupt verdient?

„Hey“, Kurogane warf einen Blick über seine Schulter zurück, „konzentrier dich.“

Ertappt schreckte der Junge zusammen, während Fye zu ihm aufschloss und ihm zuraunte: „Manchmal glaube ich, er riecht es, wenn man einen düsteren Gedanken hat.“ Er zwinkerte dem Jüngeren zu und ließ sich wieder zurückfallen. In dieser Formation stapften sie durch die Schneemassen den Berg hinauf, bis sie direkt vor der Höhle ihres gesuchten Zieles standen.

„Scheint nicht da zu sein.“ Kurogane blickte mithilfe eines Lichtzaubers seines blonden Gefährten in die dunkle, doch überschaubare Höhle.

„Kaum zu glauben, wie enttäuscht du klingst.“

„Die Aussicht, ewig in der Kälte zu stehen, um auf das Vieh zu warten, reizt mich eben nicht besonders.“

„Reta sagte, der Drache würde mehrmals täglich hierher einkehren, um sich auszuruhen.“ Shaolan stand hinter seinen Kameraden am Höhleneingang. „Vielleicht müssen wir nicht zu lange wa-“

Das ohrenbetäubende Geräusch gigantischer Flügel unterbrach seine Erklärung und ließ ihn erschrocken herumwirbeln. In der Ferne erkannte er den Drachen, der genau auf sie zuflog – und alles andere als begeistert zu sein schien, dass da Fremde an seinem Schlafplatz standen. Er zog das Tempo an und kam noch schneller auf sie zu.

„Na also.“ Mit einem martialischen Grinsen stellte Kurogane sich neben Shaolan und zog sein Schwert.

„Ein bisschen irre siehst du schon aus“, neckte Fye und entlockte dem Ninja ein Grummeln.

„Je eher wir wieder aus dieser Kälte herauskommen, desto besser.“

Der Drache verlangsamte sein Tempo wieder und blieb vor ihnen in der Luft stehen. Umgehend spie er seinen Feueratem in ihre Richtung, sodass Kurogane und Shaolan zur einen Seite ausweichen mussten, während Fye und Mokona sich zur anderen Seite in Sicherheit brachten.

„Kurogane war ja schließlich kalt“, kommentierte Mokona unerschrocken.

„Ich glaube, das hatte er nicht gemeint.“ Fye lachte und richtete seinen fokussierten Blick auf die Riesenechse, die vor ihnen in der Luft flatterte und zum Angriff auf die beiden Schwertkämpfer überging. Anscheinend hatte sie einen Narren an Shaolan gefressen, denn die Feuerattacken konzentrierten sich auf den Jungen, der so immer weiter von Kurogane weggetrieben wurde. Der Ninja wiederum hatte frustriert festgestellt, dass wirklich keine einzige seiner Spezialtechniken dem Drachen einen Kratzer zufügen konnte. Jede einzelne wurde sofort mit einem einfachen Schlag des ellenlangen Schwanzes zurückgeschleudert und er sah sich gezwungen, seinen eigenen Angriffen auszuweichen. Shaolan erging es nicht anders und mit einem Mal bemerkte der Junge panisch, dass er im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand stand: Der Drache hatte ihn bis an das Gesteinsmassiv getrieben und keine Möglichkeit zur weiteren Flucht gelassen.

„Scheiße!!“, brüllte Kurogane gegen den heulenden Wind, während er losrannte, um zu ihm zu gelangen.

„Hm.“ Mit ruhigem Blick beobachtete Fye die Situation, zog einen Pfeil aus dem Köcher auf seinem Rücken und spannte ihn in den Bogen. Mokona entging weder das flüchtige Leuchten des Pfeiles, noch die Magie, die sie kurz gespürt hatte. Aber wen oder was visierte Fye da an? So wie er den Bogen hielt gewiss nicht den Drachen.

Der Pfeil sauste durch die Luft, an der Echse vorbei und schlug knapp neben Shaolans Kopf in das Gestein hinter ihm ein. Die Spitze, die sich in den Fels bohrte, begann zu glühen und in Sekundenschnelle formierten sich bunte Linien und Symbole auf dem Gestein, die hell strahlten. Als würde ihn plötzlich etwas irritieren, stellte das Ungetüm seinen Angriff ein und wich zurück.

Überwältigt von solch starker Magie begriff Shaolan, was der Magier getan hatte. Er hatte mit dem Pfeil eine Barriere zu ihm transportiert. Leider blieb ihm für die Bewunderung dieser Fähigkeiten nicht viel Zeit; das Leuchten ebbte wieder ab und die Symbole verschwanden wieder. Geistesgegenwärtig nutzte Shaolan die gewonnene Zeit, um aus seiner miserablen Position zu entkommen und zurück auf das breitere Plateau vor dem Höhleneingang zu fliehen. Der Drache hatte sich mittlerweile von seinem Schrecken erholt und drehte sich von neuem zu Shaolan um, der bei Kurogane angekommen war.

„Das ist interessant“, murmelte Fye, als er die Bewegungen des Drachen beobachtete. „Kuro-sama“, rief er hinüber, „greif ihn noch einmal an!“

„Hatte ich sowieso vor!“ Der Ninja schleuderte einen weiteren Angriff auf das Monstrum vor sich. Wie all die Male zuvor wehrte der Drache die Attacke mit einem Hieb seines Schwanzes ab, während er mit kleinsten Bewegungen seiner Flügel an Ort und Stelle verharrte.

Konnte es sein …? Ohne lange darüber nachzudenken, spannte Fye den nächsten Pfeil in seinen Bogen und zielte hoch in die Luft. Er feuerte den Pfeil ab, der – mit magischer Unterstützung – einen losen Felsbrocken auf einer höheren Stelle des Berges traf. Das tonnenschwere Gestein brach los und stürzte auf den Drachen hinab. Doch statt seine gewaltigen Schwingen auszubreiten, um das von oben kommende Gestein aufzuhalten, schnellte erneut der Schwanz des Tieres empor und wehrte so das steinerne Geschoss ab.

„Alles klar.“ Das kampflustige Grinsen schlich sich zurück auf Kuroganes Gesicht.

„Seine Flügel?“, hakte Shaolan grübelnd und letztlich begreifend nach. „Ist die Schwachstelle unter seinen Flügeln?“

„Er weigert sich strikt, seine Flügel auszubreiten. Das heißt, er will irgendeine Stelle auf deren Unterseite beschützen.“

Dem Drachen jedoch war in der Zwischenzeit aufgefallen, wer ihn ständig störte. Mit einem blitzschnellen Dreh preschte er auf Fye zu, unterband mit seinem Feuerstrahl geschwind den Versuch des Magiers eine Barriere aufzubauen, sodass diesem nur das Zurückweichen blieb (nachdem er Mokona hastig in Sicherheit geworfen hatte) und rasend schnell schoss der Schwanz des Drachen nach vorn, packte sein Opfer an einem Bein und warf es mit voller Wucht zu Boden.

Der laute Schmerzensschrei des Magiers hallte durch die gesamte Umgebung.

Fye war, als hätte er den Knochen in seinem Bein brechen hören und ein stechender Schmerz, als würde jemand ihm sein Bein abreißen, schoss durch ihn hindurch. Übelkeit stieg in ihm auf und ihm wurde schwarz vor Augen.

„Mist“, presste er gepeinigt und Auge in Auge mit dem vor ihm schwebenden Drachen hervor. „Mein Glück ... mal wieder.“ Verschwommen konnte er sehen, wie sein Gegenüber sein Maul öffnete, um erneut Feuer daraus zu spucken. Panik ergriff ihn. Er konnte ihm so nicht entkommen. Aber … er durfte hier und jetzt nicht sterben. Nein … er wollte nicht sterben! Und doch-

Fye schloss seine Augen, als das Feuer das Maul des Drachen verließ.

Sie flogen wieder auf, als er zwar die Hitze spürte, die Flammen ihn direkt aber nicht trafen. Sein Herz blieb beinahe stehen, als er sah, warum dem so war.

Kurogane hatte sich schützend über ihn geworfen.

Mit zusammengebissenen Zähnen und schmerzverzerrtem Gesicht bekam der Ninja den Feuerstrahl ab, der für den Magier bestimmt gewesen war. Im Hintergrund hörte man Shaolan panisch schreien. Im gleichen Atemzug griff der Junge mit einer seiner Spezialtechniken den Drachen an und unterbrach so dessen Attacke auf die beiden anderen. Der Drache wollte Fyes zertrümmertes Bein loslassen, um Shaolans Angriff zu parieren, doch sah sich plötzlich außer Stande dies zu können. Um seinen Schwanz herum leuchteten Symbole strahlend auf und hielten ihn davon ab, sich wegzubewegen.

Elendig keuchend blickte Kurogane von den aufleuchtenden Zeichen hin zum nicht minder elendig aussehenden Magier, dessen Teint der Farbe des Schnees glich und der um Luft rang. Der Ohnmacht nahe hatte Fye mit letzter Kraft eine weitere Barriere errichtet. Dem Drachen blieb nichts anderes übrig, als Shaolans Angriff mit einem seiner Flügel abzuwehren.

Die Schwinge hob sich nur einen kurzen Moment lang, aber in Kuroganes Sichtfeld existierte nichts mehr außer dem Feind vor ihm; nichts mehr außer dem Wunsch, seine Liebsten zu beschützen, indem er dieses Ungetüm nun tötete. In diesem kurzen, flüchtigen Moment, in dem die winzige, schuppenfreie, ungeschützte Stelle auf der Unterseite des Flügels alles war, was er sehen konnte, schleuderte er mit seinem linken Arm sein Schwert genau dort hinein. Der Drache kreischte auf, schien in der Luft geradezu zu erstarren und fiel abrupt zu Boden - leblos wie der Fels, den er zuvor weggeschlagen hatte.

Der Ausschalter.

Magier waren doch nicht so blöd, wie er immer angenommen hatte.

Kraftlos und das Bewusstsein verlierend, fiel Kurogane in den Schnee; die angsterfüllten Schreie Shaolans und Mokonas nahm er nicht mehr wahr.

 

Kuroganes im Halbschlaf noch verschlossenen Lippen entwich ein schmerzerfülltes Ächzen. Sein rechter Arm und sein Rücken brannten, als würde er noch immer von dieser dämlichen Echse geröstet werde-

Die dämliche Echse!

Seine Augen sprangen auf und er wäre es genauso, wenn er sich vor Schmerzen hätte rühren können.

„Vorsicht! Vorsicht!“ Die Frau, die an seine Seite eilte, signalisierte ihm mit hektischen Gesten, dass er liegen bleiben sollte. War das nicht … Ruka?

„Kuro-tan? Bist du wach?“

Der Kopf des Ninjas schnellte zur anderen Seite. Ein schwaches, erschöpftes Lächeln begrüßte ihn dort neben sich – und ließ ihn hörbar aufatmen. Der Idiot lebte also noch, fehlten nur …

„Ah, endlich! Endlich! Mokona hatte schreckliche Angst, weil Kurogane so lange geschlafen hat!“

„Wie geht es dir? Hast du schlimme Schmerzen?“

Der Blick des Dunkelhaarigen wanderte nach oben. An Fyes Seite standen Shaolan (mit einem Ausdruck in den Augen, als würde er gleich anfangen zu heulen) und Mokona, die er in Händen hielt und die unverhohlen heulte. Waren sie wieder im Haus des Ältesten?

„Was ...“ Kurogane musste sich räuspern. Seine Stimmbänder fühlten sich schrecklich rau an. „Was ist mit der Echse?“

Shaolans Blick wurde ernst. „Der Drache ist tot.“

Den Schmerzen zum Trotz musste Kurogane lächeln. Es war kein triumphierendes Grinsen, wie er es sonst schon mal an den Tag gelegt hatte. Es war ein zufriedenes Lächeln. Drache tot, Gefährten noch am Leben. So gefiel ihm das.

„Ich kann nicht fassen, dass ihr das wahrhaftig geschafft habt“, Ruka klang ergriffen, „ich habe es den anderen bereits gesagt, aber auch dir möchte ich es noch sagen: Vielen Dank. Wir danken euch allen von Herzen. Wir werden für immer in eurer Schuld stehen.“

„War keine große Sache.“ Aus dem Augenwinkel heraus konnte er Fye mit den Augen rollen sehen.

„Ich wünschte nur, wir könnten mehr für euch tun“, fuhr Ruka bedauernd fort. „Unsere Medizin hilft nicht viel bei so starken Verletzungen. Ihr beide müsst schreckliche Schmerzen haben.“

„Lässt sich aushalten.“

„Shaolan-kun? Schlägst du ihn bitte einmal kräftig für mich?“

„HÄH??“

„Äh, ich-ich möchte lieber nicht-“

„Mokona macht das!“ Energisch hob der Klops eine kleine Pfote, doch Shaolan ließ sie nicht aus seinem Griff heraus.

„Ruht euch bitte weiter aus“, warf Ruka sichtlich überfordert mit dem Verhalten ihrer Gäste ein. „Ruft mich, wenn ihr etwas braucht.“ Sie verließ das Zimmer.

„Wie sind wir hierher gekommen?“, fragte Kurogane, den blassen Magier neben sich so gut es ging musternd.

„Nachdem der Drache tot zu Boden gestürzt war und ihr das Bewusstsein verloren hattet“, begann Shaolan zu erzählen, „wollte ich zurück zum Dorf laufen, um Hilfe zu holen. Auf halbem Weg kamen mir Ruka und Reta schon entgegen, weil sie sich Sorgen um uns gemacht haben.“

„Verstehe.“

„Kurogane-san, Fye-san, es tut mir so-“

„Kein Wort“, unterband der Ninja harsch seine Entschuldigung. „Wir leben noch.“

Shaolan biss sich auf seine Unterlippe. Es war mal wieder ein verzweifelter Versuch, seine Tränen zurückzuhalten. „Es hätte auch anders ausgehen können.“

„Ist es aber nicht.“

„Ihr seid verletzt.“

„Das mag sein“, schaltete Fye sich in die Diskussion ein, „aber weißt du, was das Gute daran ist?“

Perplex sah der Junge ihn an. „Was … was soll gut daran sein?“

Ein aufrichtiges Lächeln strahlte ihm von einem erschöpften Gesicht entgegen. „Du bist es nicht.“ Der Magier streckte eine Hand zu Shaolan hin aus und berührte ihn sacht am Arm. „Mir wäre es natürlich lieber, keiner von uns wäre verletzt worden. Und ich bin ebenso kein Fan davon, dass Kuro-sama zwischen mich und den Drachen gesprungen ist; vor allem, weil er nicht einmal zugeben kann, wie schlimm die Verbrennungen weh tun müssen“, seine zweite Hand fand den Weg zum Kopf des Ninjas, „aber dir und Mokona ist nichts passiert und keiner von uns ist gestorben. Das ist das Wichtigste. Das ist das, was zählt, Shaolan-kun.“

Der Junge schniefte und japste und dennoch liefen dicke Tränen seine Wangen hinunter. Er hatte seinen Blick gesenkt und Kurogane fragte sich, ob er sich seiner Tränen schämte.

„Du musst müde sein“, sagte Fye, „hast du seit gestern überhaupt einmal geschlafen?“

„Seit gestern?“ Kurogane hob eine Augenbraue.

„Seit gestern, als wir den Drachen getötet haben.“ Der Magier wandte sich ihm wieder zu. „Du hast ziemlich lange geschlafen. Wage es ja nicht, mir je wieder so einen Schrecken einzujagen.“

Oh. Der Ninja blinzelte lediglich. Wenn der Idiot dermaßen wütend klang, dann hielt er lieber die Klappe.

 

Ruka und Reta kümmerten sich in den darauffolgenden Tagen nach Leibeskräften und voller Herzlichkeit um die Verwundeten. Andere Dorfbewohner kamen vorbei, dankten ihnen, brachten ihnen getrocknete Heilkräuter und zahlreiche Hausmittel gegen Brandwunden und bastelten mit Shaolans Hilfe eine improvisierte Schiene für Fyes Bein (der medizinische Standard dieser Welt war in der Tat noch nicht weit entwickelt). Selbst Rohi hatte ihnen sehr kleinlaut gedankt und noch kleinlauter gemurmelt, sie sollten bleiben, bis ihre Verletzungen besser waren.

Aber als nach fast zwei Wochen Kuroganes Verbrennungen immer noch recht schlimm aussahen, wuchs Fyes Sorge, der Andere könnte sich eine Infektion zuziehen und so beschlossen sie, ihr Glück zu versuchen und in eine andere Welt weiterzureisen. Nach Möglichkeit eine, in der es bessere Medizin oder vielleicht sogar Heilzauber gab. Es war riskant, doch sie waren sich darüber rasch einig. Kurogane war die Kälte leid, Fye die Rumliegerei und beide der Umstand, dass Shaolan schuldbewusst um sie herum wuselte.

„Ich hoffe, eure Wunden sind bald verheilt und dass ihr findet, wonach ihr sucht.“ Reta atmete angespannt aus, als sie vor dem Haus des Ältesten Abschied von ihren Gästen nahmen. „Werdet ihr uns irgendwann noch einmal besuchen?“

„Das ist möglich“, antwortete Shaolan, während er sich mit seinen Kameraden aufstellte. Fye hing an Kuroganes unversehrter Seite und während Ersterer selbst daran noch etwas Belustigendes finden konnte, grummelte Letzterer wie gewohnt unzufrieden. Bei den Schnee- und Eismassen dieser Welt machten Krücken nicht viel Sinn und Fye hatte gescherzt, dass, wenn er so mitleiderregend an dem Ninja hing, das Schicksal eventuell Milde zeigte und sie in eine Welt schickte, in denen ihnen geholfen werden konnte.

Mit nachdenklichem Blick verabschiedete Ruka sich von dem Magier. „Fye, wegen unseres Gesprächs damals ...“

Der Blondschopf zuckte merklich zusammen, was Kuroganes Aufmerksamkeit nicht entging.

„Shaolan hat mir ein wenig von euren Abenteuern erzählt und ...“ Sie stockte, unsicher, ob sie ihren Gedanken überhaupt aussprechen sollte. „Ich denke, ich verstehe es jetzt. Es tut mir leid, dass ich dir das gesagt habe. Das war schrecklich unbedacht von mir gewesen.“

Fye erwiderte mit einem leichten Kopfschütteln. „Nein, du hast nichts falsch gemacht. Ich … mir hätte das eigentlich schon vorher klar sein sollen.“ Er spürte Kuroganes fragenden Blick auf sich und ein automatisiertes Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. „Sorge dich nicht darum.“

Mokonas Flügel begannen zu wachsen.

„Habt vielen Dank für eure Gastfreundschaft!“, rief Fye dem mit staunenden Augen zusehenden Paar zu.

Nur einen Augenaufschlag später waren die Reisenden, so schnell wie sie gekommen waren, wieder aus dem Land aus Eis und Schnee verschwunden.

Die Hölle

Kalt.

Es war entsetzlich kalt.

Fye spürte den frostigen Schnee unter seinen Füßen. Verwirrt schweifte sein Blick von dem Schnee unter sich zum Himmel hinauf. Es wehte kein Wind. Keine Wolke war am grauen Himmel zu erkennen. Dieser Anblick … er kam ihm so bekannt vor … als hätte er schon oft, schrecklich, schrecklich oft in diesen Himmel empor geschaut.

Plötzlich schnellte der Blick des Magiers hastig zu allen Seiten um sich herum.

Eine Mauer! Eine meterhohe, unüberwindbare Mauer, die ihn ringsherum einschloss!

Nein!

Nein!!

Das Tal??

Fye fühlte sein Herz gegen seine Brust hämmern. Sein Atem ging rasend schnell und trotzdem fand kaum etwas von der eiskalten Luft den Weg in seine Lungen.

Wie kam er hierher?? Wo waren die anderen??

Er rief, nein, brüllte regelrecht nach ihnen, brüllte so laut wie er es nur vermochte. Er brüllte, bis sein Hals weh tat.

Kurogane!

Shaolan!

Mokona!

Sie waren nicht hier. Er war allein.

Obwohl sein Verstand dies zügig begriff, wiederholten seine Lippen die Namen wie ein verzweifeltes Gebet.

Kurogane.

Shaolan.

Mokona.

Niemand war hier.

Er war ganz allein.

Panisch raste sein Blick erneut nach oben und suchte dort die Umgebung oberhalb der Mauer ab.

Seine Augen weiteten sich bei seiner Entdeckung.

Etwas stimmte nicht.

Es gab keinen Turm.

Instinktiv aktivierte er einen Zauberspruch, doch keine Magie entwich seinen Fingern.

Was …?“ Nicht verstehend, was vor sich ging, starrte Fye auf seine Hände. Er konnte keine Magie anwenden, was dafür sprach, dass er sich in dem verfluchten Tal befand, aber … wieso fehlte der Turm? Und wie war er überhaupt hierher gekommen?

Die Erinnerung, an das, was zuletzt geschehen war, traf ihn wie ein Schlag. Er hatte mit den drei anderen über das Problem seines langen Lebens gesprochen … zugegeben, es war irgendwie in einen Streit eskaliert, und dann ….

Mit einem Mal wurde Fyes Mimik ganz ausdruckslos. Seine Arme fielen schlaff zu seinen Seiten hinunter.

War er …?

Der Schmerz, der durch seinen Körper gejagt war, das Blut, das er erbrochen hatte; er war umgekippt, ja, Kurogane hatte ihn noch aufgefangen, aber dann war ihm schwarz vor Augen geworden.

War er … tot?

Langsam drehte der Magier sich um die eigene Achse und betrachtete dabei von neuem die trostlose, albtraumhafte Umgebung. Dieses Mal war sein Blick aber nicht von Panik getrübt, denn er begann zu verstehen, was dies für ein Ort sein musste.

Er führte eine Hand zu seinem Kopf und ein leises, dann lauter werdendes, verzweifeltes Lachen hallte durch die Grube, die er nie hatte wiedersehen wollen.

Es gab keinen Zweifel.

Dieser furchtbare, grauenhafte Ort konnte nur eines sein.

Die Hölle“, flüsterte Fye in die kalte Luft hinein, „das hier muss die Hölle sein.“ In sein beinahe wahnsinnig klingendes Lachen mischten sich Tränen. „Wo sonst sollte ich auch landen, außer in diesem verfluchten Tal, verdammt dazu, bis in alle Ewigkeit allein zu bleiben!“

Er sank auf die Knie, schlug die Hände vors Gesicht und weinte bitterlich.

 

Du bist nicht allein.“

 

„Hey! Was ist los?! Scheiße, was ist hier los, verdammt noch mal?!“

Kurogane rüttelte an der leblosen Gestalt in seinen Armen, während Mokona panisch immer und immer wieder Fyes Namen schrie.

„Er atmet nicht!“ Der Ninja hatte das Gefühl, dass sein Herz auch jeden Augenblick aussetzte. Es war nur einen Moment her, dass sie sich gegenseitig angeschrien hatten und jetzt-

Was fiel dem Spinner ein, hier einfach umzukippen und nicht mehr zu atmen??

Das würde er ihm nicht durchgehen lassen!

„Wir brauchen Hilfe!“ Shaolan hyperventilierte fast. Der Junge verstand genauso wenig wie er selbst, was hier vor sich ging und ihm stand das Wort „Todesangst“ ins Gesicht geschrieben. In Großbuchstaben. „Die Heilerin! Wir müssen ihn zu der Heilerin bringen!“

Kurogane hatte den bewusstlosen Magier bereits hochgehoben und trug ihn nun auf beiden Armen. „Beeilen wir uns.“

„Aber, aber wir werden auffliegen“, wandte Mokona mit bebender Stimme ein, „vielleicht hilft sie uns nicht, weil wir sie angelogen haben. Vielleicht greifen die Wächterinnen uns an, weil wir gegen ihre Gesetze verstoßen haben.“

„Bengel“, Kurogane schritt hastig an Shaolan vorbei zur Tür, „wenn das passieren sollte, hauen du und der Klops ab.“

„Wir bleiben bei euch“, Shaolan umklammerte Mokona und rannte hinter dem Älteren her, der im Laufschritt die Treppe hinuntereilte und im gleichen Tempo draußen den Weg zur Klinik einschlug.

Nicht wenige Menschen auf der Straße drehten verwirrt und teils verstört den Kopf nach ihnen um. Offensichtlich ein medizinischer Notfall – und was war das für ein seltsames weißes Ding, das der Junge in den Armen trug und das so ängstlich dreinblickte?

Kurogane sah keinen einzigen von ihnen. Er war vollkommen auf den Weg vor sich konzentriert und warf nur hin und wieder einen Blick auf das aschfahle Gesicht des Mannes in seinen Armen. Das rote Blut, das er erbrochen hatte, bildete einen grotesken Kontrast zu seiner leichenblassen Haut. Ein Teil war ebenso auf dem ursprünglich strahlend weißen Gewand gelandet und mischte sich dort in das blau-rote Muster, als würde es dazugehören.

Hör sofort auf zu sterben, du Idiot! Was fällt dir eigentlich ein?

Er konnte den Magier vor Angriffen anderer beschützen, er konnte ihn vor sich selbst beschützen, aber er war komplett machtlos gegen das, was gerade vor sich ging.

Kurogane war noch nie so wütend auf sich selbst gewesen.

Was fällt dir eigentlich ein?? Du kannst mich hier nicht zurücklassen. Du kannst mich nicht verlassen. Das erlaube ich nicht. Das lasse ich nicht zu. Hast du gehört? Das lasse ich nicht zu!

„Die Heilerin, schnell!!“, brüllte er dem Empfangsbereich der Klinik entgegen, sobald er in das Gebäude gestürmt war. Shaolan kam hinter ihm zum Stehen und schnappte hörbar nach Luft. Kurogane war sich nicht bewusst, wie schnell er gerannt war.

Besagte Heilerin polterte umgehend aus einem Zimmer in den Flur und erschrak bei dem Anblick, der sie dort erwartete.

„Oh, verdammt“, fluchte Monique und Shaolan beäugte sie angsterfüllt. Jetzt war der Moment, in dem sie herausfinden würden, wie die Wächterinnen auf ihre Scharade reagieren würden. Würden sie sie angreifen? Einsperren? Das war alles nicht wichtig, solange sie nur erst Fye helfen würden.

„Bitte, bitte hilf Fye!“, rief Mokona flehend.

„Das kann ich nicht“, erwiderte Monique. „Ich kann ihm nicht helfen.“

Bei diesen Worten rutschte Shaolan das Herz in die Hose. Sie konnte nicht? Sie hatte ihn doch noch nicht einmal untersucht. Wieso-

„Er stirbt! Mach was, verdammt noch mal!“ Kuroganes Stimme bebte und donnerte trotzdem wie ein Grollen durch den Gang.

Hastigen Schrittes kam die Wächterin auf sie zu. „Ich allein kann ihm nicht helfen. Kommt mit, schnell!“ Sie lief auf die Straße hinaus.

Die Zurückgebliebenen verharrten einen Moment lang perplex an Ort und Stelle, ehe Kurogane ihr hinterherrannte und Shaolan ihm folgte.

Ein mehr als ungutes Gefühl machte sich in dem Ninja breit. All seine Instinkte schlugen Alarm. Hier stimmte etwas nicht. Hier stimmte etwas ganz gewaltig nicht.

Sie rannten ihr quer durch die Stadt nach, bis zum Rathaus, in das die Frau - und somit auch sie - eintraten.

„Sagt den anderen Bescheid!“, wies Monique die dort am Empfang arbeitenden Leute an, die verdattert auf die abgehetzte Gruppe schauten. „Sie wissen, worum es geht!“

Die Mitarbeiter nickten und rannten sofort durch eine hinter dem Empfang befindliche Türe. Nur Sekunden später rauschte Simone durch eben diesen Eingang in das geräumige Foyer.

Ihr Gesichtsausdruck war bitterernst.

„Übergib ihn mir, schnell.“ Sie streckte ihre Arme aus, um Fye aus den Armen Kuroganes entgegen zu nehmen. Der Magier war ein ziemliches Leichtgewicht und ihre Aufforderung daher alles andere als absurd. Aber der Dunkelhaarige verstärkte seinen Griff um den ohnmächtigen Mann und machte mit argwöhnischer Miene einen Schritt zurück.

„Tut mir leid, in die Versammlungshalle der Wächterinnen dürfen keine Außenstehenden“, erklärte Monique eilig, während Simone ihre Arme weiter ausstreckte. „Deswegen musst du ihn ihr übergeben.“

„Einen Scheiß werd ich.“

„Aber Kurogane!“ Mokona verstand die Welt nicht mehr. „Fye braucht doch Hilfe!“

„Hier läuft irgendein krummes Ding. Warum wusste diese Heilerin sofort, dass sie dem Magier nicht helfen kann? Warum wollen sie ihn mitnehmen? Warum ist keine von ihnen überrascht? Hier ist etwas faul und ich lasse ihn ganz bestimmt nicht allein mit diesen dubiosen Gestalten!“

Schlagartig zog Shaolan scharf die Luft ein. „Fye-san sagte, die Magie dieser Welt würde sich komisch anfühlen! Vielleicht-“

„Habt ihr irgendetwas mit ihm gemacht?!“ Kuroganes Augen verengten sich im Zorn und Simone senkte ihre Arme.

Wir haben nichts getan.“ Sie schüttelte den Kopf. „Unsere Welt ist voll von frei herumschwebender Magie und sie funktioniert so, dass sie in den Körper eines zur Magie befähigten Menschen eindringt und dadurch für ihn nutzbar wird. Allerdings nur, wenn diese Person ein unbelastetes Herz besitzt.“

„Ein unbelastetes Herz?“, wiederholte Shaolan entgeistert.

„Eines, das frei ist von negativen Gedanken und Gefühlen“, erläuterte Simone ruhig weiter. „Wenn dem nicht so ist, dann kann die Magie bei dieser Person großen Schaden anrichten.“

Frei von negativen Gedanken und Gefühlen? Kurogane blickte auf Fye. Scheiße.

Die Wächterin streckte ihre Arme erneut aus. „Wir müssen diese hier aufgenommene Magie wieder aus seinem Körper herausziehen, sonst tötet sie ihn.“

Der Ninja knirschte mit den Zähnen. „Das ist immer noch nur ein Teil der Wahrheit. Woher soll ich wissen, dass ihr ihm wirklich helft und nicht sonst was mit ihm anstellt?“

Sein Blick traf den von Simone. Sie dachte kurz nach und deutete ein Nicken an. „Du willst ihn beschützen, das ist verständlich. Nun … in Ordnung, ihr könnt eintreten.“

„Bist du dir sicher?“ Monique sah sie fragend an.

„Das Mädchen sagte, ich solle ihnen vertrauen.“ Die Wächterin nahm noch den fassungslosen Blick in den Gesichtern der beiden Reisenden wahr, ehe sie sich umdrehte und, gefolgt von Monique, durch die große Tür schritt.

„Das … Mädchen?“, hauchte Shaolan und wandte sich hastig Kurogane zu, der das Gleiche zu denken schien wie er.

„Hey!“, rief der dunkelhaarige Mann den Frauen hinterher, bevor er sich in Bewegung setzte und ihnen folgte. „Was für ein Mädchen?“

Shaolan lief mit großen Schritten hinter ihm her. Hinter der Türe befand sich ein langer, hoher und mit Säulen bestückter Gang. Sie passierten Tür um Tür und langsam wurde deutlich, dass ihr Ziel höchstwahrscheinlich hinter der breiten, massiv aussehenden Flügeltür am Ende des Flurs lag. Die voranschreitenden Frauen immer nur kurz aus den Augen lassend, warf Kurogane Blick um Blick auf die leblose Gestalt in seinen Armen.

Wie schrecklich blass er war.

Fyes Teint war schon immer bleich gewesen, aber ihn so zu sehen ….

Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Hoffentlich würden diese Magierinnen ihm tatsächlich helfen. Dass der Idiot hier starb, kam nicht in die Tüte. Das war keine Option und egal, was man von ihm verlangen würde, um Fyes Leben zu retten, Kurogane würde alles tun. Alles. Solange Fye nur lebte.

Es passte ihm ganz und gar nicht, dass er sein Leben in die Hände von Leuten legen musste, die nicht ehrlich gewesen waren. Diese Simone und auch diese Heilerin, sie mussten ihre Farce sofort durchschaut haben. Sie mussten direkt gewusst haben, wer Fye war und dass diese Welt ihm schaden konnte. Wenn er merkte, dass sie noch mehr krumme Dinger drehen wollten, würde er zum Berserker werden, so viel war sicher. Das einzige, das ihn im Moment noch halbwegs die Ruhe bewahren ließ, das ihm einen Funken Hoffnung gab, war die letzte Bemerkung Simones gewesen.

Die Frauen verschwanden in den Raum hinter der Flügeltür und Kurogane beeilte sich, es ihnen gleichzutun.

„Hey! Ich habe euch was gefragt!“

 

Du bist nicht allein.“

Fye schreckte zusammen, als er eine Stimme hörte und eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er senkte seine Hände, die er vor seinem Gesicht zusammengeschlagen hatte, hinab und drehte seinen Kopf, um zu der Besitzerin der Stimme zu blicken.

Seine tränennassen Augen weiteten sich im Schock, als er das Mädchen dort stehen sah, deren Stimme er unter Tausenden erkannt hätte.

Ich bin bei dir“, sagte sie und lächelte sanft. „Ich werde so lange bei dir bleiben, wie du hier bleiben musst.“

Als könnte er immer noch nicht begreifen, wie es sein konnte, dass sie an diesem schrecklichen Ort war, öffnete Fye den Mund, um etwas zu sagen, doch er bekam keinen Laut heraus.

Ihre Hände wischten behutsam die Tränen auf seinen Wangen fort.

Oh, Fye-san, du fürchtest dich bestimmt, nicht wahr?“

Nach wie vor in seiner knienden Position auf dem Boden verharrend, schlang der Magier plötzlich seine Arme um den Körper des Mädchens und drückte sie fest an sich. Neue Tränen strömten seine Wangen hinab.

Sakura-chan!“

Die Gegenwart, die wir wollen

„Hey! Ich habe euch was gefragt!“, bellte Kurogane, als er den Raum am Ende des Gangs betrat und dort zehn weitere Frauen vorfand. Sie standen um einen ellenlangen, steinernen Tisch. Obwohl das Zimmer (mehr schon ein Saal) riesig war, wurde es nur durch ein paar spärliche Lampen an den Wänden beleuchtet. Fenster gab es keine und trotzdem war es nicht stickig. Die Luft fühlte sich im Gegenteil ganz frisch und klar an.

„Ist er das?“

„Er ist sehr hübsch, das muss man ihm lassen.“

„Ein männlicher Magier! Das ich das noch erleben darf!“

„Zwei seiner Begleiter haben auch ein wenig magische Kräfte.“

„Ja, nur der Grimmige nicht.“

Die Frauen tuschelten und staunten in einem wilden Durcheinander.

„Leg ihn auf den Tisch“, sagte Simone ruhig und seufzte, als Kurogane zögerte. „Das sind die anderen Wächterinnen.“

„Schon klar“, erwiderte er.

„Kurogane-san“, schaltete Shaolan sich von der Seite ein, „wir haben keine andere Wahl, als ihnen zu vertrauen.“ Mit ernstem Blick wandte er sich an die vor ihm stehenden Wächterinnen und verbeugte sich vor ihnen. „Ich bitte Sie, helfen Sie unserem Gefährten, wenn Sie können.“

„Machen wir. Wenn der Große uns lässt“, entgegnete Monique.

Kurogane spürte die Blicke aller Anwesenden auf sich, obwohl er seinen zu Fye hinabgebeugt hatte. „Klops, was denkst du?“

„Huh?“ Überrascht, dass sie gefragt wurde, horchte Mokona auf. „Ich glaube nicht, dass sie Fye wehtun wollen.“

„Hn.“ Der Ninja nahm seine Augen nicht von dem Magier in seinen Armen. „Einverstanden. Aber wenn ich merke, dass hier etwas schief läuft, werdet ihr es bereuen.“

Zum Erstaunen der Reisenden entfuhr Simone ein Schmunzeln. „Wie das Mädchen in meinem Traum gesagt hat. 'Einer von ihnen wirkt wie ein Grobian. Aber nur, weil er die Menschen, die er liebt, um jeden Preis beschützen will.'“

Ohne darauf zu reagieren, legte Kurogane Fye auf dem Tisch ab. Shaolan fixierte derweil Simone, die wie die anderen Wächterinnen an den Tisch heranrückte und ihre Finger auf der Tischplatte rund um die darauf liegende Gestalt ablegte – unter den wachsamen Augen eines Ninjas.

„Sie sind in einem Traum einem Mädchen begegnet?“, hakte Shaolan nach.

„Oh ja. Eigentlich bin ich keine Traumseherin.“ Die Hände der Wächterinnen begannen in allerlei Farben zu leuchten. „Und doch erschien mir vor einiger Zeit in einem Traum dieses Mädchen. Sie sagte, dass dies eventuell bedeutete, dass ihre Freunde in diese Welt kommen würden und sie fragte mich nach unserer Welt. Als ich ihr erklärte, wie unsere Magie funktionierte, erschrak sie. Einer ihrer besagten Freunde sei nämlich ein mächtiger Magier, doch ein unbelastetes Herz habe er bei weitem nicht. Leider, wie sie traurig anfügte.“

Shaolan, Mokona und Kurogane beobachteten, wie die Leuchtstrahlen aus den Händen der Wächterinnen in den Tisch fuhren und plötzlich auf Fyes Körper aufleuchteten.

Angespannt (und mit einer Aura, die verriet, dass er jeden Augenblick den Magierinnen den Kopf abreißen würde, wenn ihm das Geschehen zu suspekt wurde) besah sich Kurogane die vielen verschiedenfarbigen Linien, die mit einem Mal auf dem Körper des Ohnmächtigen erschienen waren. Die grellen Farben sahen auf seiner blassen Haut befremdlich aus.

„Das war die Prinzessin, oder?“

Shaolan nickte, während er ebenso Fye nicht aus den Augen ließ. „Es kann nur Sakura-chan gewesen sein.“

„Ich wollte ihr zuerst gar nicht glauben“, erzählte Simone mit konzentriertem, doch gelassenem Blick, weiter. „Ein Mann, der über magische Kräfte verfügt? Das war mir in vielerlei Hinsicht verdächtig. Aber gleichzeitig hatte es meine Neugier geweckt. Der Traum brach viel zu früh ab, wohl weil ich keine Traumseherin bin. Und weil lange Zeit nichts passierte, gab ich nicht mehr viel darum. Als ihr jedoch plötzlich vor mir standet, erinnerte ich mich an diesen Traum.“

Die bunten Leuchtstreifen fingen an, sich von Fyes Körper zurückzuziehen, doch sie taten dies nur langsam und mit sichtlichem Widerstand. Einige der Frauen fluchten nun, andere verzogen vor Anstrengung ihre Miene – was Kurogane umgehend nervös machte.

„Was ist los?“

„Stimmt etwas nicht?“, fragte auch Shaolan besorgt nach, während er Mokona über ihr kleines Haupt fuhr, um sie zu beruhigen.

„Euer Magier hat echt verdammt viel Magie in dieser kurzen Zeit aufgenommen.“ Monique klangt frustriert. „Und er muss verdammt viel Negativität besitzen.“

Auch Simone sah nun weniger entspannt aus, was Kuroganes Herzschlag abrupt schneller werden ließ.

„Ich hätte mir nie vorstellen können, dass jemand so viel Magie auf einmal aufnehmen könnte. So schwerwiegende Folgen in so kurzer Zeit hatte ich beim besten Willen nicht erwartet. Du meine Güte, was ist denn mit ihm, dass er ein dermaßen schweres Herz hat?“

„Aber, aber ihr könnt Fye doch helfen, ja? Ihr könnt ihn wieder gesund machen, ja?“, jaulte Mokona zu Tode verängstigt.

„Ein bisschen was muss er uns schon entgegen kommen“, antwortete Simone ernst. „Er muss auch zu uns zurückkommen wollen.“ Sie drehte ihren Kopf in Kuroganes Richtung, als sie bemerkte, wie eine seine Hände unschlüssig in der Luft über Fyes Kopf schwebte und sich wieder zurückzog. „Es ist in Ordnung. Du darfst ihn anfassen.“

Die Hand zuckte kaum wahrnehmbar, bevor sie ihren Weg auf Fyes Kopf fand.

„Er ist ein Idiot. Das ist sein Hauptproblem.“

Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht der Wächterin. „Die Herausforderung, vor der wir zurückweichen, muss erst noch gefunden werden!“

Voller Inbrunst stimmten die elf anderen ihr zu.

 

Sakura-chan, was machst du an einem so schrecklichen Ort?“ Fye löste sich ein Stück von ihr und sah sie besorgt an. „Du gehörst hier nicht hin.“

Die Prinzessin ergriff seine beiden Hände und setzte sich zu ihm auf den Boden. „Das ist ein grausamer Gedanke, dass du glaubst, du würdest hierher gehören.“

Ich ...“ 'Ich will ja auch nicht hier sein', wollte er sagen, aber dies änderte nichts daran, dass er hier war.

Du hattest in letzter Zeit viele Albträume, nicht wahr?“

Erstaunt riss Fye die Augen auf. „Woher …?“

„Die Magie in der Welt, in der ihr gerade seid, reagiert auf traurige Gedanken. Dein Körper und deine Seele wurden davon beeinflusst und deswegen wurdest du krank.“

Für einen kurzen Moment schloss der Magier die Augen. Das war es also. Er war selbst schuld an seiner Misere.

Oh Fye-san, warum bist du denn nur so traurig?“

Er öffnete seine Augen und sah die Sorge in Sakuras Augen. „Weil ich Angst vor dem Alleinsein habe. Weil ich Angst davor habe, ohne Kurogane und Shaolan und Mokona und dich zu sein.“

Aber wir sind doch bei dir. Zu jeder Zeit.“

Irgendwann werdet ihr das nicht mehr sein.“

Aber jetzt, jetzt sind wir es doch.“

Fye wandte seinen Blick von der Prinzessin ab und küsste sie auf eine ihrer Hände. „Eine Zukunft ohne euch macht mir so sehr Angst, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr atmen zu können. Nein. So eine Zukunft will ich nicht.“

„Fye-san … was für eine Gegenwart willst du denn?“

Sein Blick schnellte zu ihr zurück. Hatte Kurogane nicht etwas Ähnliches gesagt?

'Deine Gedanken kreisen nur darum, wie du mit uns sterben könntest. Verschwendest du auch mal einen Gedanken daran, mit uns zu leben?'

Niemand weiß, was die Zukunft bringen wird“, sagte Sakura resolut. „Selbst wenn man die Zukunft ein Stück weit vorhersehen kann, heißt das nicht, dass sie vorherbestimmt ist. Die Zukunft entsteht aus der Gegenwart. Vielleicht wirst du irgendwann wieder allein sein, vielleicht aber auch nicht. Ist es nicht viel wichtiger, dass du es jetzt nicht bist?“

Wortlos sah er sie an. Wie vertauscht ihre Rollen wieder einmal waren! Er war der Erwachsene, doch sie kümmerte sich um ihn und machte ihm Mut.

Fye atmete tief aus.

Sie hatte Recht. Natürlich. Sakura-chan hatte noch nie Unrecht gehabt.

Er hatte sich so in das Schicksal des Yuis aus Dragoon hineingesteigert, dass er darüber vergessen hatte, dass dies nicht sein Schicksal war. Dieser Yui hatte seinen Kurogane verloren, aber seiner war noch quicklebendig und anstatt sich darüber zu freuen, hatte er nur noch sehen können, dass er ihn irgendwann verlieren würde. Irgendwann. Irgendwann, wenn sie 'Shaolan' und 'Sakura' zurückgebracht hätten und ein langes, gemeinsames Leben gehabt hätten. Dann würde vielleicht der Moment kommen, in dem er sich um alles weitere Sorgen machen sollte. Fye konnte sich gut vorstellen, dass Kurogane es genauso sah.

Der Hauch eines Lächelns glitt über sein Gesicht und erstarrte sogleich wieder.

Seine Einsicht kam zu spät. Sie änderte nichts mehr. Er war jetzt an diesem Ort, weit weg von denen, die er zurückgelassen hatte.

Fye schluckte. ER hatte die anderen zurückgelassen! Was würden sie jetzt tun? Was würde nun aus ihnen werden? Was würde nun aus … - Die Vergangenheit hatte gezeigt, wie Kurogane mit seinem möglichen Verlust umging. Schlecht. Sehr schlecht.

Mit einem Mal war der Magier schrecklich aufgekratzt. Sein Atem raste und sein Herz überschlug sich fast. Besorgt intensivierte Sakura den Druck, mit dem sie die Hände des Blonden mit ihren eigenen umschlossen hielt.

Fye-san?“

Ich habe etwas Furchtbares getan, Sakura-chan. Ich habe etwas getan, von dem ich mir geschworen hatte, es nie wieder zu tun.“

Sie blinzelte ihn mit ihren großen Augen an.

Ich habe … das Herz eines geliebten Menschen gebrochen.“

Aber doch nicht mit Absicht, nicht wahr? Du würdest so etwas nicht mit Absicht tun“, entgegnete sie ruhig.

Nein. Nein, das war nicht meine Absicht.“

Dann wird Kurogane-san bestimmt nicht böse sein.“

Fye war nur für einen flüchtigen Moment verwundert. Das Mädchen war eintausend Mal klüger und weiser als ihr Alter es verriet.

Machst du dir Sorgen um ihn?“, fragte sie weiter.

Ja.“

Die Prinzessin lächelte ein strahlend schönes Lächeln. „Sonst macht er sich ja meistens Sorgen um dich. Das ist schön, dass ihr beide aufeinander aufpasst.“

Sakuras bezauberndes Lächeln beruhigte ihn ein wenig und er erwiderte es sogar. „Eigentlich habe ich mir immer gewünscht, dass er sich nicht so sehr um mich sorgen würde.“

Das macht er nur, weil er weiß, dass du viel zu wenig an dich selbst denkst.“

Der Magier stutzte. So hatte er es noch nie betrachtet.

Wenn du besser auf dich aufpasst, wird er weniger Sorge um dich haben.“

Fye stutzte von neuem. Sakura wusste so viel über seine aktuelle Lage, aber sie sprach die ganze Zeit schon so, als -

Willst du ab jetzt besser auf dich aufpassen, Fye-san?“

Irritiert starrte er sie an. „Sakura-chan, ich … ich bin doch ...“

Versprichst du mir das noch? Wir müssen wieder Abschied voneinander nehmen.“

W-was heißt das?“

Ich kann nur so lange bei dir bleiben, wie der Traum andauert.“

Traum?“ Verdutzt blickte er in die nun leicht betrübten Augen seiner Gefährtin.

Ich weiß, dass wir uns bestimmt bald wiedersehen, deswegen will ich jetzt nicht traurig sein“, antwortete sie tapfer, während sie langsam durchsichtig zu werden schien.

In Windeseile fiel der Magier dem Mädchen ein weiteres Mal um den Hals.

Ich verspreche es dir, Sakura-chan! Ich verspreche es dir!“

 

„Na bitte!! Wer sagt's denn!!“ Simone reckte jubelnd ihre Hände in die Höhe.

„Niemand zwingt uns in die Knie!!“ Monique stieß einen lautstarken Jubelschrei aus und auch die anderen Wächterinnen schrien frohlockend und erleichtert auf und durcheinander. Manche lagen sich sogar in den Armen.

Aufs Äußerste verwirrt und irritiert kniff Fye ein paar Mal die Augen zusammen.

Was war hier los? Wo war er überhau-

„FYEEEEEEE!!“ Eine Sturzbäche weinende Mokona kam in sein Sichtfeld.

„Fye-san, kannst du mich hören? Wie geht es dir? Kannst du sprechen? Oder blinzele nur, wenn das nicht geht. Hast du noch Schmerzen? Fühlt sich irgendetwas seltsam an?“ Shaolan, der Mokona hielt (und im Moment auch davon abhielt, auf den Erwachten drauf zu springen), überschlug sich fast mit seinen Worten. Seine den Magier wachsam beobachtenden Augen schwankten zwischen Bestürzung und Erleichterung hin und her.

Plötzlich wurde er sich der Hand auf seinem Kopf gewahr. Fyes Augen wanderten ein Stück nach oben und – erblickten die sauertöpfischste, angefressenste Miene, die er je gesehen hatte.

„Gut. Du bist wach. Dann kann ich dich jetzt töten.“

„Hey, hey, hey, nix da!“, widersprach Monique empört. „Du hast keine Vorstellung, wie anstrengend das gerade war. Ich habe keine Lust, das für die Katz gemacht zu haben!“

Fye wollte etwas sagen und musste erst einmal husten. Mit einem Mal waren alle still und blickten ihn erwartungsvoll an.

„Ich … ich habe irgendetwas verpasst, oder?“

Simone kicherte leise. „Lassen wir sie für den Moment allein. Sollte etwas sein, findet ihr mich im Flur.“ Sie gab den restlichen Wächterinnen ein Zeichen, ihr nach draußen zu folgen, was diese unverzüglich taten.

„Hey“, brummte Kurogane, bevor sie die Tür schlossen, „danke.“

Ein erneutes Glucksen später waren sie unter sich.

Vorsichtig setzte Fye sich auf. Umgehend stützte Kurogane ihn ab, wohl aus Angst, er könnte wieder umfallen. Der Magier legte eine seiner Hände auf eine der Größeren, die ihn aufrecht hielten.

„Ich ...“, begann er zaghaft, „ich muss mich für eine ganze Menge entschuldigen.“

„Nicht doch.“ Shaolan schüttelte sofort den Kopf. „Ich bin nur heilfroh, dass es dir wieder besser geht.“

Mokona hüpfte auf Fyes Schoß. „Mokona hat so Angst gehabt! Aber wenn du versprichst, deine Sorgen nicht mehr für dich zu behalten, dann will Mokona dir verzeihen!“

Fyes andere Hand legte sich behutsam um das Wollknäuel. „Ich verspreche es euch. Ich habe ziemlichen Mist gebaut. Und das soll nie wieder vorkommen.“

„Das hoffe ich für dich“, grummelte es neben ihm. „Ich will eine ausführliche Entschuldigung und das Versprechen am besten schriftlich.“

Obwohl dies mit großer Wahrscheinlichkeit Kuroganes voller Ernst gewesen war, musste der Magier lachen. „Du kannst meine Schrift doch gar nicht lesen, Kuro-pon.“

„Dann diktier's dem Bengel und wir lassen das von irgendwem beglaubigen.“

„Mein Wort allein reicht dir nicht?“

„Nie und nimmer.“

Fyes Lachen wurde lauter. „Sakura-chan hat mir mein Versprechen eben einfach so abgenommen.“

Er spürte alle Augen auf sich.

„Sakura-chan?“ Shaolan tauschte einen Blick mit Kurogane aus.

„Mmm-hmm. Sie hat mir im Traum Gesellschaft geleistet.“ Die Erinnerung an ihre Begegnung erfüllte Fye spürbar mit Freude.

„Sakura-chan hat ebenso Simone vorgewarnt, dass wir hier auftauchen würden“, erklärte Shaolan. „Daher ahnten die Wächterinnen, was mit dir passieren könnte. Die Magie dieser Welt -“

„Ich weiß. Sakura-chan hat mir alles erzählt.“ Nachdenklich strich Fye über Mokonas Rücken und machte eine Pause, um sich auf das vorzubereiten, über das er sprechen musste – über das, was ihm sein Herz überhaupt erst so schwer gemacht hatte. „Der Magier aus Dragoon … er hatte die gleiche Seele wie ich.“ Er fühlte, wie die Anspannung der drei anderen schlagartig zunahm. „Er hatte nicht damit umgehen können, dass er jemanden, den er über alles geliebt hatte, überlebt hatte und deswegen hatte er seinem eigenen Leben ein Ende bereitet. Und ich … ich bekam plötzlich Angst.“

Ein bleischweres Schweigen herrschte nun in dem geräumigen Saal. Ein Schweigen, das recht ruppig durchbrochen wurde.

„Du bist ein Idiot. Und der Kerl, der die gleiche Seele wie du gehabt haben soll, war auch ein Idiot, aber für ihn können wir nichts mehr tun. Du hingegen bist noch da, auch wenn du dir alle Mühe gibst, damit das nicht so bleibt. Du bist fast draufgegangen, weil du Angst hast, uns zu überleben. Ich muss dir die Ironie nicht erklären, oder?“

Blinzelnd schüttelte Fye den Kopf.

„Bevor du Blut spuckend zusammengeklappt bist, hast du deine Magie verflucht. Du hast gesagt, wenn sie nur nicht wäre, wäre alles besser, aber ich sage dir eins: Wenn deine Magie nicht wäre, wären wir uns nie begegnet, du Trottel.“

Der Magier starrte den Schwarzhaarigen mit offenem Mund an. Da hatte er nicht Unrecht.

„Ich weiß auch nicht, was die Zukunft bringen wird, ist mir auch egal“, fuhr Kurogane fort, „wichtig ist die Gegenwart. Und gegenwärtig finde ich den Gedanken unerträglich, dass du nicht weiterleben willst, wenn ich einmal nicht mehr bin. Wenn ich irgendwann einmal abtreten sollte, lange, lange nachdem wir die Kinder zurückgebracht haben, und du dich einsam fühlen solltest, dann gehst du zu den Kindern und deren Kind und dann zu dessen Kindern und so weiter, denn die wollen dich mit Sicherheit um sich haben. Verstanden?“

Die Stille, die nun in der Halle herrschte, war nicht mehr bleischwer – es wusste einfach niemand etwas darauf zu antworten. Fye war sprachlos, dass Kurogane sich allem Anschein nach bereits derart viele Gedanken um diese Sache gemacht hatte. Es hatte nicht so geklungen, als wäre ihm das alles gerade spontan eingefallen. Shaolan war derweil bei der Erwähnung seiner potentiellen zukünftigen Kinder rot angelaufen. Er räusperte sich verlegen.

„Fye-san, Kurogane-san hat Recht. Wir wissen nicht, was noch alles auf uns zukommen wird, aber ich weiß ganz sicher, dass es immer jemanden geben wird, der will, dass du lebst.“

Der sichtlich ergriffene Magier fand immer noch keine Worte. Stattdessen liefen ein paar einzelne, stille Tränen seine Wangen hinab.

„Sprich lieber aus, was du denkst“, mahnte Kurogane ihn. „Ich habe keine Lust, dass du gleich schon wieder ohne Vorwarnung umfällst.“

Die Hand, die Mokona gestreichelt hatte, wischte die Tränen aus seinem Gesicht, als Fye unwillkürlich lachen musste.

„Womit habe ich euch eigentlich verdient?“

„Das frage ich mir bei dir ständig.“ Der Ninja zuckte mit den Achseln.

„Es ist leider wahr. Ich … ich bin ein Idiot.“ Der Blondschopf lächelte. „Und ich kann meine Ängste nicht so einfach ablegen. Aber wenn ihr es aushaltet mit so einem ängstlichen Idioten zusammen zu sein, dann will ich auch jetzt und hier mit euch zusammen sein und mit euch zusammen sehen, was die Zukunft bringen wird.“

„Mokona will auch mit Fye zusammen zu sein!“

„Ich bin froh, das zu hören, Fye-san.“

Der Dritte im Bunde zuckte nur erneut mit den Schultern.

„Willst du nichts dazu sagen, Kuro-pii?“

„Tsk. Ich will sehen, wie du diesen Worten Taten folgen lässt. Dann reden wir weiter.“

„Da Kurogane-san es eben schon angesprochen hat“, begann Shaolan plötzlich sehr ernst, „wir können vermutlich nicht länger hier bleiben, wenn die Magie dieser Welt Fye-san so leicht Schaden zufügen kann.“

„Der Gedanke kam mir auch bereits.“ Fye nickte bedächtig. „Allerdings scheinen die Zauberkräfte der Wächterinnen extrem stark zu sein. Wir sollten nicht weiterreisen, bevor wir nicht die Gelegenheit hatten mit ihnen über Shaolans Problem zu sprechen. Außerdem müssen wir ihnen noch das mit der Feder erklären.“

„Bist du dir sicher, Fye-san? Nicht, dass du erneut-“

Der Magier ließ von der Hand des anderen Mannes ab und winkte mit dieser ab. „Fragen wir die Wächterinnen, was sie dazu meinen.“

Kurogane machte ein mürrisches Geräusch. „Sie haben uns zwar eben geholfen, aber ich halte sie für ziemlich komische Gestalten.“

„Kann es sein, dass du ein bisschen voreingenommen gegenüber Magiern bist, Kuro-rin?“

„WORAN DAS WOHL LIEGEN MAG!“

„Hmm ...“ Shaolan fasste sich nachdenklich mit einer Hand ans Kinn. „Es gibt noch so viele offene Fragen, was diese Welt betrifft. Soll ich Simone herholen?“

Die zwei Erwachsenen nickten und Shaolan eilte zur Tür. Im Flur standen Simone und Monique und unterhielten sich. Einige der Türen im Gang waren nun geöffnet und der Junge verstand, dass dies die Arbeitszimmer der Wächterinnen sein mussten.

„Oh? Was gibt's?“ Neugierig wandte Simone sich ihm zu.

„Wir … wir hätten noch ein paar Fragen ...“

„Das klingt lustig!“ Monique lud sich selbst mit ein, als die beiden anderen in die Halle zurückkehrten. Beschwingten Schrittes steuerte sie auf Fye zu. „Was macht der Patient?“

„Er fühlt sich viel besser, vielen Dank.“ Der Angesprochene verneigte sich von seiner sitzenden Position aus.

„Hey, kann das wieder passieren?“ Kurogane legte weniger gute Manieren an den Tag.

„Natürlich“, antwortete Simone direkt. „Euer Magier nimmt weiterhin die natürliche Magie unserer Welt auf.“

Fye spürte die plötzliche Anspannung des Ninjas. Und nicht nur er.

„Ganz ruhig“, sagte Monique gelassen, „jetzt sind wir ja gewarnt und behalten ihn im Auge.“

„Eine Sache begreife ich nicht“, warf Shaolan ein, „ich verfüge auch über Zauberkräfte, aber die natürliche Magie dieser Welt scheint auf mich gar keinen Effekt zu haben. Ich spüre sie sogar kaum.“

Die zwei Wächterinnen tauschten unverhohlen einen amüsierten Blick aus.

„Aww, ist das süß“, entfuhr es Monique – und Shaolan kam nicht umher, einen Hauch Hochmut herauszuhören.

Simone kicherte abermals. „Oh, Junge, wie soll ich das ausdrücken, ohne deine Gefühle zu verletzen? Im Vergleich zu uns oder eurem Magier sind deine Zauberkräfte … eher niedlich. Ziemlich niedlich, um ehrlich zu sein.“

Shaolan machte ein Gesicht, als hätte ihm jemand einen Eimer Eiswasser ins Gesicht geschüttet. „Oh“, sagte er nach einer unangenehm langen Pause, „verstehe.“

„Das heißt, Shaolan-kun nimmt nichts von der Magie hier auf?“, hakte Fye nach und Monique nickte energisch.

„Man kann sagen, sie ignoriert ihn, nachdem sie ihn begutachtet hat.“

„Ah“, Fye wurde etwas klar, „deswegen die Unterschiede in unserer Wahrnehmung.“

„Wird Mokona auch ignoriert?“

Die Heilerin beugte sich lächelnd zu dem Wesen hinab. „Nur von der Magie. Wir sind Feuer und Flamme für ein so süßes Ding wie dich. Gut, dass du aus deinem Versteck gekommen bist.“

Das Wollknäuel quietschte zufrieden.

„Wenn ich noch etwas fragen dürfte“, begann Fye freundlich. „Wieso habt ihr eure Zauberkräfte in meiner Gegenwart unterdrückt?“

Simone zuckte schmunzelnd mit den Schultern. „Wir wollten nicht, dass du sofort weißt, wie stark wir sind. Ich wusste anfangs ja nicht, was ihr vorhabt und ob ihr nicht doch gefährlich seid. Alles, was ich hatte, war das Wort dieses Mädchens aus meinem Traum. Und da du deine Magie ebenso unterdrückt hattest, gab ich den anderen Bescheid, dies auch zu tun. Sodass du, hättest du uns unterschätzt und angegriffen, eine Überraschung erlebt hättest.“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Ich weiß nicht, ob dir klar ist, was für ein Kuriosum du für uns bist. Ein männlicher Magier! In all meinen 126 Jahren habe ich so etwas noch nicht gesehen. Wir waren alle sehr, sehr neugierig auf dich. Und dann gibst du dich auch noch als Frau aus und versteckst dieses magische Wesen auf so kuriose Weise! Wir können wohl alle behaupten, dass das Warten auf euer Eintreffen sich gelohnt hat. Zum Glück seid ihr uns in der Tat nicht feindlich gesonnen. Aber selbst wenn dürftest du inzwischen erkannt haben, wie stark wir sind.“ Sie zwinkerte ihm zu, stutzte und fügte ein entschuldigendes Lächeln an. „Ich hoffe, das klang nicht beleidigend. Ich würde niemanden herabwürdigen wollen, der älter ist als ich.“

Fyes Mimik erstarrte bei ihrem letzten Satz. Zögernd blickte er aus dem Augenwinkel zu seinen Begleitern. Shaolan sah verdutzt zu ihm und gab sich gleichzeitig große Mühe, seine Fassungslosigkeit zu verschleiern. Kurogane war der Unterkiefer heruntergeklappt. Keiner von beiden sagte etwas. Fye hatte schon oft befürchtet, dass diese Frage irgendwann aufkommen könnte und er hatte sich vor ihr gefürchtet. Nicht weil ihm sein hohes Alter unangenehm war, nein, das war es nicht – er hatte nur nicht die geringste Ahnung, was er ihnen darauf antworteten sollte. Er hatte längst den Überblick verloren, wie alt er eigentlich war. Es war zuvor auch nie wichtig gewesen. Aber wie klang das, zu sagen, dass man so alt war, dass man nicht mehr wusste, wie alt? Würde es etwas daran verändern, wie sie ihn sahen? Würde es etwas daran verändern, wie Kurogane ihn sah?

„Nicht, Fye! Nicht! Du darfst nicht traurig werden in dieser Welt! Das ist schlecht!“ Mokona wibbelte auf seinem Schoß nervös auf und ab.

„Tut mir leid“, flüsterte der Magier entmutigt, „selbst wenn ich wollte, ich könnte euch nicht sagen, wie a-“

„Tsk“, machte Kurogane nonchalant, nachdem er den ersten Schock überwunden hatte, „geistig bist du etwa fünf Jahre alt.“

Jetzt war es an Fye, verdattert dreinzublicken. Mit großen Augen sah er den Ninja ein paar Sekunden an, ehe er lächelte. „Du bist ein alter Charmeur, Kuro-sama.“

Kurogane erwiderte das Lächeln, bevor er heftig ins Stutzen geriet. Man konnte sehen, wie gerade eine Erkenntnis über ihn hereinbrach. „Moment. Moment!“ Sein missmutiger Blick landete auf den beiden Frauen. „Wenn ihr von Anfang an wusstet, dass der Magier ein Mann ist und er das Wollknäuel unter seiner Kleidung versteckt, was sollte dann das 'werte Freundin' und die Sorge um das Kind??“

Die Wächterinnen sahen ihn ernst an.

„Ist dir nicht klar, warum wir das getan haben?“, fragte Simone trocken.

Überfragt schüttelte er den Kopf.

„Um euch zu ärgern!“, platzte es aus Monique heraus und die zwei Damen brachen in lautstarkes Gelächter aus.

Wie der Ninja so dastand und derart dumm aus der Wäsche guckte, wie er es noch nie zuvor getan hatte, prusteten zu seinem gesteigerten Unmut auch noch Fye und Mokona los.

„Ich meine …“, Simone wischte sich die vor Lachen geflossenen Tränen weg, „das war auch ein guter Weg, um etwas über euch zu erfahren. Ab da waren wir uns sehr sicher, dass eine wunderliche Gruppe wie eure keine bösen Absichten hegt.“

„Kurogane-san?“, fragte Shaolan vorsichtig, nachdem dieser scheinbar erstarrt war und nicht einmal mehr mit der Wimper zuckte. „Ist alles in Ordnung?“

Ein tiefes Grummeln erfüllte den großen Raum.

„Knalltüten! Alles Knalltüten!!“

Bis ans Ende aller Tage

Als das Lachen der Frauen abebbte, blickte Shaolan ernst zu seinen Begleitern. Genau wissend, was dieser Ausdruck des Jungen fragte, nickten sie. Shaolan räusperte sich und nahm tief Luft, was den Wächterinnen nicht entging. Gespannt warteten sie darauf, was der Junge wohl zu sagen hatte.

„Es gibt da noch eine sehr wichtige Sache, die Sie wissen sollten.“ Er bemühte sich den Blicken seiner Gegenüber standzuhalten. „Es … es geht um die Feder.“

Überrascht sahen die zwei Frauen ihn an, dann einander, dann wieder ihn.

„Wir hören“, forderte Simone, mit einem Mal kühler klingend, ihn zum Weitersprechen auf.

Offenkundig nach den richtigen Worten suchend, ließ Shaolan einige Sekunden verstreichen. „Dass diese Feder hier aufgetaucht ist, ist … meine Schuld.“

Sie stutzten und betrachteten den Jungen mit zunehmender Verwirrung, während Fye und Kurogane sie nicht aus den Augen ließen. Die Wächterinnen waren so weit freundlich und hilfsbereit gewesen, aber man könnte es ihnen nicht einmal verdenken, wenn sie schlecht auf diese Nachrichten reagierten.

„Die ganze Geschichte ist äußerst lang und kompliziert“, fuhr Shaolan beklommen fort, „aber der Punkt ist, dass einige schreckliche Ereignisse zu der Entstehung der Federn und ihrer Verteilung über verschiedene Welten geführt haben. Es war nie meine Absicht, irgendwem zu schaden und doch ist es mir sehr schmerzlich bewusst, dass ich vielen Menschen Leid gebracht habe.“ Seine Hände hatten sich an diesem Punkt zu zitternden Fäusten geballt und seine Stimme bebte. „Keine Entschuldigung macht dies ungeschehen, aber Sie sollten wissen, dass die Feder nie wieder zurückkommen wird. Sie wird nie wieder die Magie Ihrer Welt versiegeln.“

Eine lange, unangenehme Pause entstand, in der die Wächterinnen den Jungen vor sich einfach nur anblickten. Man musste keine Gedanken lesen können, um zu erahnen, dass es in ihnen arbeitete. Simone führte eine Hand zu ihrem Kinn und rieb es gedankenversunken. Monique stemmte ihre Hände in ihre Hüften und legte den Kopf schief.

„Shaolan wollte niemandem etwas Böses tun“, warf Mokona flehentlich ein. „Er leidet selbst bis heute ganz, ganz doll darunter.“

„Er ist ein guter Junge“, bekräftigte Fye die Aussage der kleinen Gefährtin. „Er hat einen Fehler gemacht, aber er hat noch nie auch nur einen bösartigen Gedanken gehabt.“

Kurogane blickte die zwei Damen lediglich eindringlich an. Sie verstanden die Bedeutung dieses Blickes dennoch ohne jegliches Missverständnis: Lasst den Bengel in Ruhe, sonst setzt es was.

„Warum reist ihr durch die Dimensionen?“, fragte Simone schließlich streng.

Von dieser Frage kalt erwischt, zuckte Shaolan zusammen. „Wir … wir müssen eine Lösung für ein Problem finden.“

„Details, bitte“, forderte sie mit Nachdruck ein.

Unsicher huschte sein Blick verstohlen zu seinen Begleitern. „Meine … meine Existenz widerspricht der Vernunft, weil die Existenz meiner Eltern ausgelöscht wurde und nun suchen wir nach einer Möglichkeit, sie zurückzubringen.“

Die Augen der Frauen weiteten sich bei seiner Erzählung. Mit kritischer Miene sahen sie sich gegenseitig an.

„Oh, Schande, was?!“, platzte es aus Monique entgeistert heraus.

„Whoa, das ist wirklich mal ein Problem, ja.“ Auch Simone war merklich überrumpelt. Allerdings-

Beide hatten von jetzt auf gleich ihr unterkühltes Gehabe wieder abgelegt und verhielten sich erneut so, wie die Reisenden sie kennen gelernt hatten.

„Okay, ich glaube, ich kriege Kopfschmerzen“, fügte Simone hinzu.

„Und das ist nur die Kurzfassung.“ Fye warf ihnen ein entschuldigendes Lächeln zu. „Die Langfassung hat es so richtig in sich.“

„Das ist ja ...“ Die Heilerin fasste sich an ihren Kopf. „Oje, wie elendig der Kleine gerade geklungen hat. Nein, das ist ja nicht zum Aushalten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich scharf auf die Langfassung bin. Aber die Feder hat mit diesen traurigen Umständen zu tun, ja?“

Shaolan nickte energisch.

„Sie wird sich nie wieder hierher verirren?“

„Nie wieder.“

Monique drehte sich achselzuckend zu ihrer Kollegin. „Die Geschichte klingt so verrückt, dass ich sie ihnen glaube.“

„Nun ja“, Simone tippte von neuem mit ihren Fingern gegen ihr Kinn, „das sind für uns eigentlich gute Neuigkeiten.“ Sie stockte kurz und seufzte dann theatralisch. „Oh weh, das wird aber ein Arbeitsaufwand.“

Shaolan blinzelte sie fragend an. Er wartete noch darauf, dass die Frauen eine Strafe für ihn in den Raum warfen, aber … es sah nicht so aus, als hätten sie das vor.

„Arbeitsaufwand?“, fragte er stattdessen kleinlaut.

„Ein guter Teil unserer Gesetze befasst sich mit vorbeugenden Maßnahmen für den Fall eines erneuten Putsches mithilfe einer solchen Feder“, erklärte Simone ihm. „Wir wussten ja nicht, was das Ding war und wo es hergekommen war. Wenn das nie wieder passieren kann, dann müssen wir all diese Gesetze überarbeiten.“ Dieses Mal seufzte sie zuerst und schmunzelte dann. „Aber das Leben hier wird jetzt um einiges leichter werden. Wir danken euch also für diese Information.“

„Haben dann Männer in Zukunft hier auch etwas zu sagen?“, warf Kurogane launisch ein, was ein erheitertes Glucksen von Fye zur Folge hatte.

„Ich wusste doch, dass dich das stört.“

„Pah.“

„Ah, Großer, du tust ja so, als würden wir die Männer unterdrücken“, konterte Monique empört.

„Tut ihr das nicht?“

Die zwei Damen sahen den Ninja an, als hätte er etwas äußerst Dummes gesagt.

„Wir dachten, na ja“, kam Shaolan ihm zur Hilfe, „weil doch alle hohen Ämter mit Frauen besetzt sind und auch die Geschäfte anscheinend nur von Frauen geführt werden ….“

Simone zog eine Grimasse. „Das ist ja nett. Wir haben euch direkt als harmlos eingestuft und ihr habt uns für Despoten gehalten?“

„Nein, nein! So meinten wir das nicht!“ Der Junge lief dunkelrot an.

„Aw, der Kleine ist so süß.“ Monique grinste. „Aber ernsthaft. Was glaubt ihr denn, wieso hier überall mehr Frauen als Männer sind? Ihr erinnert euch an den Krieg, den wir hatten? Da sind die Männer geblieben. Und die Frauen mussten hinterher alles wieder aufbauen. Vielleicht sollten wir so langsam aber mal dafür sorgen, dass mehr Männer in verschiedene Berufe kommen. Die Jüngeren sind es so gewohnt, dass Frauen die Vorgesetzten sind und kommen womöglich gar nicht darauf, selber eine Karriere anzustreben ...“

„Das kommt auf die lange Liste, der Dinge, um die wir uns jetzt kümmern müssen“, entgegnete ihre Kameradin.

„Wir wollen nicht noch mehr eurer Zeit in Anspruch nehmen“, warf Fye ein, „aber weiß eine von euch vielleicht etwas, was uns bei unserem Problem weiterhelfen kann?“

„Uff.“ Simone atmete hörbar aus. „Mir wäre es neu, dass irgendeine von uns Expertin für das Wiederbringen ausgelöschter Existenzen wäre, allerdings …“

Shaolan hielt unbewusst die Luft an.

„... allerdings haben vor Urzeiten einige unserer Vorfahrinnen auch verschiedene Welten bereist und möglicherweise steht irgendetwas dazu in eine ihrer Aufzeichnungen. Aber, Junge, mach dir keine zu großen Hoffnungen. Ich will dir nichts versprechen. Die Erfolgsaussichten werden da nicht allzu groß sein.“

„Dürfte ich mir diese Aufzeichnungen ansehen?“, erwiderte Shaolan wie aus der Pistole geschossen und die Wächterin nickte, bevor ihre Augen wieder auf Fye landeten.

„Du willst doch noch etwas fragen, nicht wahr?“

„Ha ha, ihr durchschaut wirklich alles.“ Der Magier ignorierte die fragenden und teils skeptischen Blicke seiner Gefährten. „Wie geht ihr damit um, dass ihr länger lebt als eure menschlichen Partner?“

Ein tiefes, unzufriedenes Brummen erklang neben ihm.

„Das schon wieder?!“

„Ich werde doch wohl fragen dürfen.“

Kurogane knirschte hörbar mit den Zähnen, während Fye stur und nervös seine Augen auf die Wächterinnen richtete.

Bei diesem Anblick schnalzte Monique mit der Zunge. „Wer altern will, gibt seine Magie auf.“

„Das bedeutet für euch Magier doch den Tod“, entgegnete Kurogane.

„Doch nicht alle Magie auf einmal.“ Die Heilerin rollte mit den Augen. „Dann wäre man ja wirklich sofort hinüber.“

„Dann benutzt ihr den Fluch, der nach und nach Magie entzieht?“, hakte Fye resignierend nach. Den hatte er doch längst ausgeschlossen. Wenn das die einzige Möglichkeit war …. Er hatte die Hoffnung am Leben erhalten wollen, dass es noch eine Alternative gab. Sein aufkommender Schwermut ließ Mokona erneut kribbelig werden.

„Du meine Güte“, entfuhr es Simone angewidert, „bloß nicht den Fluch! Der funktioniert so gut wie nie und killt einen meistens auf der Stelle.“

„Oh ...“ Fye blinzelte. „Wirklich? Glück gehabt!“ Er grinste verlegen den schnaubenden Mann neben sich an. „Aber … welchen Zauber benutzt ihr dann?“

„Einen, der die Magie umverteilt.“ Simone ließ in ihrer rechten Hand eine Kugel aus Licht erstrahlen. „Wenn man beschlossen hat, altern zu wollen, fängt man an, Teile seiner Magie abzugeben: an die Umwelt, aber auch an andere, die Magie aufnehmen können.“ Eine kleinere Lichtkugel spaltete sich von der Größeren ab und wanderte in die linke Hand der Frau. „Das macht man in vielen kleinen Einzelschritten, bis irgendwann nur noch wenig Zauberkraft übrig ist.“

Fyes Augen erstrahlten nicht nur durch das Licht, in das er blickte, viel heller. Konnte das wirklich sein? Eine Möglichkeit, die für ihn in Frage kam?

Shaolan bemerkte seine hoffnungsvolle Miene und wandte sich besorgt an die Wächterinnen.

„Und diese Methode birgt keine Gefahren?“

„Nö“, antwortete Monique ihm, „allerdings müsste Goldlöckchen“, sie zeigte auf Fye, „beachten, dass er außerhalb dieser Welt keine neue Magie mehr erhält, wenn er anfangen sollte, welche abzugeben. In einer derart widrigen Situation wie eurer würde ich mir das gut überlegen, auch nur auf einen Teil meiner Zauberkraft zu verzichten.“

„Könnt ihr mir diesen Spruch beibringen?“, fragte besagter Magier aufgeregt, unbeirrt von dem, was gerade eingewandt worden war.

Simone ließ die Lichtkugeln verschwinden. „Ja. Das ist leicht.“

Er wollte bereits aufspringen und auf der Stelle damit beginnen, den Zauber zu erlernen, als eine Hand ihn zurückhielt.

„Stopp.“

Verwirrt sah Fye zu Kurogane, der ihn festhielt und sauer anblickte. Warum hielt er ihn zurück? Hatte er nicht verstanden, dass da gerade eine Lösung für ein Problem aufgetaucht war, das ihm so viel Kummer bereitete? Fyes Stimmung schlug mit einem Mal von Ekstase in Empörung um. Er wollte dem Ninja gerade die Meinung geigen, als dieser sich den Wächterinnen zuwandte.

„Ist es möglich, jemand anderem diesen Zauberspruch zu zeigen und denjenigen dann diesen Spruch weitergeben zu lassen?“

„Was?“ Völlig perplex wusste der Magier nichts anderes zu sagen.

„Ja, doch, das ist möglich“, antwortete Simone. „Wenn derjenige etwas von Magie versteht natürlich.“

„Gut. Dann bringt es dem Bengel bei. Aber auf gar keinem Fall dem Magier.“

Bei der Erwähnung seiner Person horchte Shaolan auf. „Mir?“

„Sollte der Magier diesen Spruch irgendwann brauchen, zeigst du ihm ihn. Aber keine Sekunde vorher.“ Er blickte wieder zu dem blonden Mann neben sich. „Ich vertraue dir. Doch du bist und bleibst ein Idiot. Deswegen ist es sicherer, es so zu machen. Sind wir uns da einig?“

Wortlos sahen sie sich an, bevor ein zartes Lächeln sich auf Fyes Gesicht stahl.

„Ah!“, freute Mokona sich. „In der Magiersprache heißt das 'Ja'!“

 

Kurogane war durch die Bewegungen neben sich wach geworden.

Feines Sonnenlicht fiel in das Schlafzimmer. Es war der Morgen nach dem turbulenten Tag, an dem sie den Magier beinahe verloren hätten – und es musste noch ziemlich früh an diesem Morgen sein.

„Wo willst du hin?“, richtete der Ninja an den Blondschopf und erhielt einen Kuss auf die Stirn als Antwort.

„Schlaf weiter“, sagte Fye sanft und über ihn gebeugt. „Du siehst noch ziemlich zerknittert aus.“

Wem glaubst du denn habe ich das zu verdanken?? Du kostest mich Jahre meines Lebens!, dachte Kurogane, ohne dies nach außen zu zeigen. Das konnte er ihm schließlich nicht sagen. So brummte er lediglich.

Der Magier kicherte, verließ das Bett und entschwand auf leisen Sohlen aus dem Raum.

Wenige Augenblicke später war ein leises Klappern aus der Küche zu hören.

Kurogane rollte auf den Rücken und starrte zur Zimmerdecke, während er den Geräuschen aus dem anderen Raum lauschte. Es war beruhigend dies zu hören. Nicht weil er sich auf ein anständiges Frühstück freute (das vielleicht auch ein bisschen), sondern weil Fye sich endlich wieder wie er selbst benahm. Keine Geheimnisse, keine Heimlichtuerei, keine Lügen.

Er hatte ihn vermisst.

Kurogane fühlte das Lächeln auf seinen Lippen und erlaubte ihm, so lange zu verweilen, wie er dalag und dem leisen Klappern und dem gedämpften Summen aus dem Nebenzimmer zuhörte. Dann stand er mit einem Ächzen auf und folgte den Geräuschen zu ihrem Ursprung.

„Du solltest doch weiterschlafen. Nie machst du, was man dir sagt“, schalt Fye den Ninja augenzwinkernd, als er neben ihm am Herd auftauchte. Ohne darauf zu reagieren, küsste Kurogane ihn. Einmal. Zweimal. Ein drittes, langes Mal.

„Das ist definitiv eine gute Art, den Tag zu beginnen“, kommentierte Fye freudestrahlend, nachdem sie auseinander gegangen waren.

„Wie fühlst du dich? Irgendetwas auffällig?“

„Wenn wir uns noch länger küssen, wird etwas … auffällig werden.“

„DAS MEINTE ICH SICHER NICHT!“

„He he, pssst, Kuro-tan. Shaolan und Mokona schlafen noch. Oder wolltest du die Zeit jetzt nutzen-“

„NEIN!“

Fye kicherte abermals und schüttelte schließlich den Kopf. „Im Moment habe ich nicht das Gefühl, dass irgendeine Magie mich umbringen will, falls du das meinst.“

„Sobald sich etwas seltsam anfühlt, sagst du sofort Bescheid.“

„Ja doch.“

Kurogane war nicht wirklich glücklich damit, länger in dieser Welt zu bleiben. Die Wächterinnen hatten ihm zwar versichert, dass sie nun ein Auge auf Fye haben würden und früher reagieren könnten, wenn etwas sein sollte, aber der Schreck des Vortages steckte ihm noch zu tief in den Knochen. Allerdings konnten sie nicht weg, solange Shaolan sich nicht die Aufzeichnungen angesehen hatte. Ihre Erwartung war verhalten, aber wenn irgendetwas darunter war, was dem Bengel vielleicht einen Funken Hoffnung geben konnte, dann würden sie bleiben, bis er alles durchgelesen hatte. Hélène hatte ihre Hilfe angeboten, da Shaolan die Schrift nicht lesen konnte. Als Kurogane in der vorangegangenen Nacht nach ihm gesehen hatte, war er mit einem Wörterbuch in der Hand eingeschlafen. Es war so typisch für ihn.

Simones Tochter hatte außerdem einen Korb voll mit Lebensmitteln vorbei gebracht, dem eine kurze Notiz Moniques beigelegt worden war:

Damit Goldlöckchen wieder zu Kräften kommt, der Kleine noch wächst und der Große bessere Laune kriegt.“

Obwohl Hélène ihn nur vorgelesen hatte und keiner von ihnen ein Wort darauf entziffern konnte, hatte Kurogane den Zettel umgehend zerknüllt.

Immerhin sah das, was Fye aus den Zutaten zauberte, ganz appetitlich aus. Es dauerte nicht lange, bis der Magier etwas von den Zutaten mitsamt eines Messers auf einem Schneidebrett zu dem Ninja schob. Sie arbeiteten nur kurz in heimeliger, vertrauter Zweisamkeit, ehe Shaolan, sich die Augen reibend und Mokona auf dem Kopf tragend, zu ihnen schlurfte.

„Oh, Fye-san, du machst Frühstück? Fühlst du dich gut genug dafür?“

Der Angesprochene zog eine Grimasse, als hätte er in eine Zitrone gebissen. „Ihr müsst mich ja für furchtbar zerbrechlich halten!“

„Nicht für zerbrechlich. Nur für dämlich“, murmelte Kurogane im Hintergrund, völlig auf die Zubereitung des Essens konzentriert.

„Ahhh~, lecker! Das riecht lecker!!“, jubelte Mokona freudig und sprang auf Shaolans Kopf auf und ab.

„Bist du nicht noch müde?“, fragte Fye in Richtung des Jungen. „Du warst gestern viel zu lange auf. Du brauchst ausreichend Schlaf.“

Shaolan spürte den sorgenvoll-musternden Blick des Blonden auf sich und wandte betreten seine Augen ab – was keinem der anderen entging.

„Shaolan?“ Mokona beugte sich zu seinem Gesicht hinunter. „Warum bist du so aufgewühlt?“

„Stimmt. Das erinnert mich an was.“ Kurogane wandte sich dem Jüngeren zu. „Jetzt, wo wir die Probleme des einen Idioten geklärt haben-“

„Hey!“

„ - kannst du damit rausrücken, was mit dir los ist.“

„I-ich … nichts … bei mir ist alles … alles in Ordnung.“

„Shaolan-kun.“ Fye machte ein strenges Gesicht. „Ich muss dir das jetzt einmal sagen. Du bist ein schrecklicher Lügner. Richtig grausig.“

Kurogane stöhnte. „Meine Geduld wurde von einer gewissen Knalltüte bereits bis aufs Letzte aufgebraucht-“

„Hey!“

„- deswegen kürz das ab und spuck es aus.“

Shaolan ließ seine Augen ziellos über den Boden wandern, als könnte er da eine Antwort finden, die er den anderen geben konnte. Auf dem Boden fand sich jedoch nichts. Zögerlich hob er seinen Blick wieder. „Ihr … ihr beide seid für mich wie … wie eine Art Eltern, aber das ist nicht richtig.“

Die zwei Erwachsenen tauschten einen erstaunten (und was Fye betraf: ebenso bangen) Blick aus. Wieso empfand er es als nicht richtig, sie als Eltern zu sehen? Weil sie beide Männer waren? Nein, das passte nicht zu ihm. Sie wussten, dass Shaolan kein Problem damit hatte.

Plötzlich weiteten sich Shaolans Augen vor Schreck, als er die Reaktion seiner Gegenüber bemerkte und ihm seine Wortwahl auffiel.

„Nein, nein!“ Er wedelte so panisch mit den Händen und schüttelte so heftig seinen Kopf, dass Mokona von ihm herunterfiel und auf seiner Schulter landete. „Ich meinte, es ist nicht richtig, dass ich mich als euer Sohn fühle.“

Es wurde totenstill in der kleinen Wohnung, als sich alle darin Anwesenden anschwiegen.

„Verstehst du das?“, fragte Fye schließlich.

„Nicht im Geringsten.“ Kurogane stöhnte von neuem. „Er verbringt zu viel Zeit mit dir. Das klang für mich nach knalltütisch.“

„Er verbringt eher zu viel Zeit mit dir. So schweigsam wie er ist.“

„Shaolan?“ Mokona drehte sich seinem Gesicht zu. „Wir haben keine Ahnung, wovon du redest.“

Die Miene des Jungen wurde seltsam schmerzverzerrt. Zu behaupten, dass es ihm nicht leicht fiel über das Folgende zu sprechen, wäre wohl eine immense Untertreibung gewesen.

„Ich will sagen … der andere Shaolan und die andere Sakura, sie waren doch eure Kinder. Ich bin der Letzte, der ein Anrecht darauf hat, diesen Platz einzunehmen, weil sie doch nur meinetwegen nicht mehr da sind. Und wenn ich sie niemals zurückbringen kann? Was ist, wenn ich sie euch niemals zurückbringen kann? Ich habe eure Zuneigung überhaupt nicht verdient!“ Je mehr er redete, desto lauter wurde er. Sein Blick hatte sich wieder gen Boden gesenkt. Dicke Tränen platschten nun auf diesen.

„Shaolan-kun“, äußerte Fye sanft, doch bestimmt, „ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll, aber: Du liegst vollkommen falsch.“ Eine blasse Hand mit langen Fingern schob sich unter das Kinn des Jungen und hob seinen Kopf wieder hoch. „Gerade du hast unsere Zuneigung verdient.“

„Außerdem“, eine schwere Hand wuschelte ihm durch die Haare, „bringst nicht du sie zurück, sondern wir alle zusammen. Wir lösen alle Probleme gemeinsam.“

„Ja, alles andere wäre wirklich dämlich.“ Der Magier grinste selbstgefällig.

„Ach ja??“ Kurogane ging sofort dazu über, mit seiner anderen Hand die Haare des Blonden durchzuwuscheln – weitaus weniger behutsam.

„Auauauau!“

Mokona lachte und sprang freudig auf und ab. „Mokona liebt alle ihre Geschwister gleichermaßen! Und Mokona liebt Mama Fye und Kuro-papa!“

„Wieso wird eigentlich der Name des Magiers nie von dir verunstaltet??“

„Kuro-papa! Kuro-papa!“ Die Rufe des weißen Klopses gingen in einen Gesang über, in den ein gewisser Blondschopf natürlich mit einstieg.

Nachdenklich besah sich Shaolan das vergnügte Treiben um ihn herum und schniefte, während die Tränen allmählich versiegten. „Ist es wirklich ... in Ordnung?“

„Überleg doch mal.“ Fye zuckte leicht mit den Schultern, so als wäre die Antwort offensichtlich. „Wie würden deine Eltern das sehen? Würden sie wollen, dass du dich quälst oder würden sie wollen, dass du von Liebe umgeben bist?“

Er blickte den Magier an, ohne etwas zu sagen, woraufhin Kurogane hörbar ausatmete.

„Sag mir nicht, du musst darüber erst nachdenken?“

„Nein … ich meine … ja … ich ….“ Die angespannten Züge des Jungen entspannten sich ein wenig. Man konnte sogar den Hauch eines Lächelns darauf ausmachen. „Sie würden wollen, dass ich von Liebe umgeben bin.“

„Richtige Antwort, Shaolan-kun!“ Fye klatschte applaudierend in die Hände. Dann hielt er einen Augenblick lang erwägend inne, ehe er sich zu Shaolan herunterbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. „Dann sollst du von Liebe umgeben sein.“

Die Augen des Brünetten weiteten sich, bevor er, ohne bewusst zu steuern, was er da tat, dem Anderen um den Hals fiel.

„Ich danke euch. Ich danke euch so sehr!“

Ein warmes Lächeln breitete sich über Fyes Gesicht aus und als er den Kopf zu Kurogane drehte, fand er bei diesem einen ähnlichen Ausdruck vor. Als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden, stellte der rot gewordene Ninja das Lächeln umgehend ab und räusperte sich.

„Das war jetzt genug Sentimentalität für den frühen Morgen. Das ist ja nicht zum Aushalten. Wann gibt's Frühstück?“

„Moment.“ Der Magier richtete sich wieder auf und wandte sich ihm zu. „Eine Sache wäre da noch zu klären, Kuro-pon.“

Der Angesprochene hob fragend eine Augenbraue, blieb aber ansonsten völlig ruhig. Er hatte ganz gewiss keine Leichen im Keller; was wollte der Wirrkopf von ihm?

„In Dragoon“, begann Fye ungewohnt ernst, „hast du von deiner Familie geredet.“

Unbeeindruckt zuckte Kurogane mit den Schultern. „Ja, und?“

„Welche Familie?“

Der Ninja drehte sich weg. „Ist doch egal.“

Mit zunehmender Irritation schüttelte der Blonde den Kopf. „Das ist definitiv nicht egal. Du hast schließlich keine Familie in Nihon … oder?“ Das „Oder“ kam beinahe ängstlich über seine Lippen, als wäre ihm plötzlich bewusst geworden, was es bedeutete, wenn seine Annahme falsch war. Bis eben war er der festen Überzeugung gewesen, dass das „Oder“ unnötig und unmöglich war, aber Kuroganes abwehrendes Verhalten schürte schlagartig eine große Angst in ihm. Selbst wenn der Ninja keine Ehefrau hatte, war es nicht auszuschließen, dass er vielleicht mit irgendwem Kinder hatte. Oder vielleicht war es in Nihon auch ganz normal, mehrere Ehepartner zu haben; in anderen Welten hatten sie so etwas schon gesehen. Fye versuchte, ruhig zu atmen, damit die Angst in ihm nicht überhand nehmen konnte. Diese Welt war für ihn in der Tat nicht optimal.

„Kurogane-san?“, hakte selbst Shaolan beklommen nach.

Als der Dunkelhaarige sich zu ihnen zurückdrehte, konnte er in beiden Gesichtern die gleiche Verunsicherung ausmachen.

Ein tiefes Stöhnen entwich ihm.

Zu was für Schlussfolgerungen die zwei sprangen! Dachten die ernsthaft, er hätte eine Frau und eine Schar Kinder vor ihnen versteckt, oder wie?

„Was glaubt ihr denn von mir? Nein, natürlich habe ich keine Familie in Nihon!“

Fast gleichzeitig atmeten Fye und Shaolan auf. Selbst Mokona wirkte erleichtert.

„Werd doch nicht gleich böse, Kuro-rin. Es hätte ja sein können, dass du vor unserer Reise sonst etwas getrieben hast und-“

„Und da dem nicht so ist, können wir das Thema wieder fallen lassen!“

„Hmm …“ Mokona legte den Kopf schief. „Kuro-papa ist wegen irgendetwas verlegen.“

„Ist er nicht! Was ist mit dem Frühstück??“

Von seinen Ängsten befreit, klickte Fye schelmisch mit der Zunge. Kurogane war wegen etwas verlegen? Und auch noch dermaßen deutlich? So so. Da lohnte es sich, dranzubleiben.

„Gibt's erst, wenn du uns sagst, was deine komische Aussage sollte.“

„Hnnnnggghhh …“

„Was hast du damals gemeint, Kuro-tan? Du klangst richtig stolz, als du deine Familie erwähnt hast; viel zu überzeugend für eine mal eben daher gesagte Lüge. Besonders, da wir ja auch wissen, dass du nichts vom Lügen hältst.“

Drei erwartungsvolle Gesichter blickten ihm entgegen und Kurogane wusste, dass er keine Chance hatte. Ein mächtiger und stolzer Ninja – der einer Bande von Spinnern hoffnungslos unterlegen war.

„Ich habe euch Idioten gemeint.“

Der gegrummelte Satz blieb eine Weile im nun stillen Raum in der Luft hängen - bevor Fye und Mokona sich mit Freudenschreien auf den dunkelhaarigen Mann stürzten, ihn küssten und nicht mehr loslassen wollten und selbst Shaolan zögerlich und mit roten Wangen seine Arme um ihn legte.

Nach außen hin stoisch ließ Kurogane dies alles mit sich machen. Sie waren Spinner, keine Frage, aber sie waren liebenswerte Spinner. Sie waren seine Spinner. Und egal, was kommen mochte, sie würden dies bis ans Ende aller Tage bleiben.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Mokona steuert den Zeitpunkt der Weiterreise anscheinend tatsächlich einmal (als Sakura sie bittet, eine von dem anderen Shaolan zerstörte Welt schnell zu verlassen) und ich dachte mir, sie lernt ja bestimmt auch dazu und … nja, es muss für diese FF als Prämisse gelten.
Da ich für diese Welt ein französisches Thema im Kopf hatte, haben dadurch alle OCs in Matrisis Namen von französischsprachigen Gelehrten erhalten, die etwas mit Feminismus oder Gender-Thematik zu tun haben (Simone de Beauvoir, Hélène Cixous, Michel Foucault). Ja, das kommt dabei herum, wenn ich mit einer groben (und kuriosen) Idee einfach drauf los schreibe. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ursprünglich hatte ich eigentlich Fluff schreiben wollen, aber dann bekam ich endlich (endlich!) die Tokyo Revelations DVD in die Finger und … es hatte sich ausgeflufft. Na ja, ein bisschen Fluff ist wohl noch übrig geblieben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich habe hin und her überlegt, welche Schreibweise von Fyes tatsächlichem Namen ich nehmen soll. „Yui“ hat das Rennen gemacht, weil ich finde, dass es schöner aussieht.
Monique hat ihren Namen von Monique Wittig; wie die anderen eine französischsprachige Gelehrte. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Zugegeben, ich habe einfach Spaß daran, Shaolan in Verlegenheit zu bringen. XD Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ist es mir gelungen, euch mit dieser Wendung zu überraschen? Für das nächste Kapitel werden wir einen kleinen Zeitsprung rückwärts machen und dann endlich in Erfahrung bringen, was es mit der vorigen Welt auf sich hatte. Der Zeitpunkt dafür scheint bei der Dramatik gerade seltsam gewählt zu sein, aber es wird am Ende Sinn ergeben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
„Dragoon“ ist übrigens die englische Bezeichnung für einen berittenen Infanteristen und kommt vom französischen Wort für „Drache.“ „Dragoon“ als englisches Verb bedeutet jemanden zu etwas zwingen, was von der Bedeutung her auch interessant ist.
Was die Namen betrifft, war mein Gedankengang für diese Welt: Schnee … Eis … Skandinavien ... Ruka ist ein Ort in Finnland. Für alle anderen bin ich dann einfach bei der japanischen „Ra“-Silbenreihe geblieben. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und mit dem Aufbruch der Helden nach Matrisis kehren wir im nächsten Kapitel in die Gegenwart zurück. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich freue mich, Sakura hier unterbringen zu können. Da sie ja nicht bei den anderen ist, brauchte es diesen kleinen Kniff. Was Sakura in Fyes Hölle macht? Das werdet ihr im nächsten Kapitel sehen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wenn ich mich recht erinnere, sagt Yuko über Fyes Alter nur, dass er schon viel, viel länger leben würde als Kurogane … was auch immer das heißen mag.
Das Kapitel wurde etwas zu lang, deswegen kommt Shaolans Geständnis gegenüber den Wächterinnen erst im nächsten und letzten Kapitel. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Und das kommt dabei heraus, wenn ich eine grobe Idee für eine FF und einen Ohrwurm von Erasure's „Always“ habe und die Tokyo Revelations DVD mehrmals gucke. Habe ich euch erfolgreich aufs Glatteis führen können? Ich wollte ein bisschen das Motiv der Täuschung und der Plottwists aus dem Original aufnehmen und alles ein wenig anders erscheinen lassen, als es tatsächlich ist. Mir war das Risiko bewusst, dass besonders bei dem vorgetäuschten mpreg einige Leser abspringen könnten (oder einige, die darauf gehofft haben, dann doch enttäuscht waren, dass es nicht darum ging). Wenn ihr die Geschichte bis zum Ende gelesen habt, dann danke ich euch sehr dafür!
Diese FF hat so viel Spaß gemacht und ich liebe es, Fye und Kurogane zu schreiben! Die beiden gehören zu den wundervollsten Charakteren, die je kreiert wurden. Ich wollte Fye auch nicht ohne eine greifbare Lösung für sein Problem zurücklassen. Nur Shaolans Problem ist etwas schwieriger.
Habt vielen Dank für euer Interesse; ich hoffe, dieses Abenteuer hat euch auch gefallen.
Im Besonderen auch noch einmal ein ganz, ganz großes Danke an Lady_Ocean! Dass du dir mit den ausführlichen Kommentaren so viel Mühe machst, bedeutet mir wirklich viel! Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (13)

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Von:  Lady_Ocean
2022-11-17T06:52:38+00:00 17.11.2022 07:52
Das war ein echt schöner Abschluss für die Geschichte! Du hast so viele offene Enden noch aufgearbeitet! Kuroganes Kommentar zu seiner Familie in Nippon ist mir gar nicht mehr in Erinnerung geblieben. Aber es war total süß, wie sich das zwischen ihnen noch entwickelt hat. Er ist im Innern halt einfach ein totaler Softie und super schüchtern. *hihi*
Auch die Szene, wo Kurogane Shaolan ins Kreuzverhör genommen hat, wo dem denn nun der Schuh drückt, war super. Fye und Kurogane wirkten hier wirklich wie Eltern, die sich gegenseitig die Schuld für die Macken ihres Jungen zuschieben. XD Und auch die Kommentare, die wieder geflogen sind. "Das klang für mich nach Knalltütisch." "In der Magiersprache heißt das 'ja"." Und auch die Charaktere von den zwei Magierinnen, die hier in der kleinen Aussprache am Beginn des Kapitels noch mal sehr schön deutlich wurde. Was das für zwei verrückte Hühner sind, wenn sie ihre Vorsicht fallen lassen und sich entspannt geben! *lach* Es waren wirklich ganz, ganz viele köstliche Szenen und Sätze dabei. Und interessant finde ich es auch, wie hier noch mal das Thema der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen thematisiert wurde. Was man wohl machen müsste, damit den Männern dieser Welt überhaupt wieder in den Sinn kommt, dass sie eigentlich auch Karriere machen könnten. Und dass sie selbst in ihren Gewohnheiten so fest drin stehen, dass ihnen gar nicht mehr so richtig auffällt, dass sie tatsächlich die Männer in dieser Welt unterdrücken. Kurogane und Shaolan hatten anfangs ja ganz schön mit Zurechtweisungen zu kämpfen, wenn sie ohne ihre weibliche Aufsichtsperson irgendwo erwischt worden. Dass so eine weibliche Aufsichtsperson nötig ist, ist für mich ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass Männer in dieser Welt unterdrückt werden. Auch wenn ihnen rein gesetzlich nicht der Weg in irgendwelche Berufe versperrt zu sein scheint. Auf subtile Weise wird ihnne halt doch vieles erschwert. Und das wird wirklich schwer, das anzupacken. Wir sehen es ja in umgekehrter Form an unserer Gesellschaft. ^^ Es ist wirklich ein interessanter Spiegel, der uns da vorgelegt wird.
Antwort von:  rokugatsu-go
19.11.2022 17:52
Das freut mich wirklich, wirklich sehr, dass dir der Schluss gefallen hat! Ich stelle mir vor, wie Kuro-pon reagieren würde, wenn er hören würde, dass jemand ihn "Softie" nennt. *lach* Ich wollte fürs Ende noch eine gute Portion Fluff haben, denn die vier eignen sich nicht nur hervorragend für Fluff, sie haben ihn auch mehr als verdient.
Ich liebe es, dass du meine beiden OC-Magierinnen "verrückte Hühner" nennst; das trifft sehr gut das, was ich mit ihnen im Sinn hatte. XD (natürlich in einem äußerst liebevollen Sinn)
Es freut mich sehr, dass der Genderaspekt bei dir gut angekommen ist. Ich hatte beim Schreiben noch die Befürchtung, es könnte zu plakativ geraten, daher ist es schön, wenn du das Ganze als Spiegel bezeichnest und dir deine Gedanken darum gemacht hast. Es ist auch interessant, dass Fye sich weniger an dieser Welt stört, weil er ja keinen Einschränkungen (außer der Verkleidung) ausgesetzt war. Kurogane und Shaolan hatten damit ja eine ganz andere Erfahrung dieser Welt als er.
Für mich war es interessant, dass die Genderthematik nicht zu meinen Ausgangsmotiven gehörte, als ich die Geschichte begonnen hatte, sondern mit den Ursprungsideen mitgewachsen ist und einzelne Details in beiden Welten beeinflusst hat.
Ich danke dir noch einmal für diesen und all deine Kommentare! Es bedeutet mir sehr viel, zu wissen, dass meine Geschichten gelesen (und gemocht <3) werden und sich auch jemand Gedanken dazu macht. Auch deine Verbesserungsvorschläge sind sehr hilfreich! Außerdem ist es so schön, dass TC immer noch von jemandem gemocht wird und man darüber reden kann. ;)
Antwort von:  Lady_Ocean
21.11.2022 02:43
Ich freue mich auch immer wieder, wenn ich doch noch mal was von TRC höre. Es wird für mich immer die Geschichte bleiben, die mich am meisten mitgerissen und am längsten begleitet hat. Und Kurogane und Fye sind einfach so ein tolles Paar. :3
Ich fand es spannend, wie du diesen Gegenwardsdiskurs in die Geschichte eingebaut hast. Auf die Art - also einfach den Spieß umdrehen - habe ich das bisher noch nicht gelesen. Und auch mal in 'ne falsche Fährte reinzulaufen (mit dem MPreg) war witzig. ^^
Also ich würde mich echt freuen, wenn ich mal wieder von dir lese!
Antwort von:  rokugatsu-go
26.11.2022 16:07
Lass mich dir verraten, dass ich beim Schreiben dachte: "Ich hänge so an dieser Serie, ich werde nicht um eine Fortsetzung dieser Geschichte herumkommen ..."
Ich bin dabei, ein paar Ideen zu sammeln, aber das wird noch lange dauern, bis da etwas draus wird. Nur dass du weißt, dass im Fandom noch nicht aller Tage Abend ist. ;)
*sich auf Schulter klopf* Mein Studium von Gender Theorien hat sich auf interessante Art bezahlt gemacht. XD
Da ich sonst leider keine Rückmeldungen gekriegt habe, weiß ich nicht, ob ich nicht doch ein paar Leser durch die mpreg-Sache verloren habe, aber mich freut es, dass dir die Irreführung Spaß gemacht hat. ^^
Antwort von:  Lady_Ocean
27.11.2022 12:32
Oh wie cool! :D Dann bin ich mal gespannt, was aus deinen Ideen für die Fortsetzung so wird. ^^
Ja, es ist echt schade, dass man mittlerweile so wenig Feedback vom Leserkreis bekommt. An den Favo-Zahlen sieht man zwar einigermaßen, wie viele Leute Interesse an einer Geschichte zeigen, aber das sagt einem halt trotzdem nicht, ob die persönlichen Lieblingsstellen die Leserschaft packen konnten, was andere nicht so toll fanden u.ä. Dabei finde ich es so schön, sich auszutauschen, wenn man für eine gemeinsame Sache schwärmt.
Von:  Lady_Ocean
2022-10-30T10:18:21+00:00 30.10.2022 11:18
Gott sei Dank (oder: Sakura sei Dank) hat Fye noch mal die Kurve gekriegt. Und er ist sich dessen auch bewusst, dass er noch lange an seiner Unsicherheit zu knabbern hat. Aber für den Moment ist er erst mal wieder mit sich im Reinen. Ein Glück. Sakura ist definitiv eine sehr viel bessere Gesprächspartnerin als Kurogane. Sie antwortet ihm ohne auszurasten. Kein Wunder, dass es Fye leichter fällt, sich ihr anzuvertrauen als Kurogane. Wenn Kurogane es schaffen würde, an seiner Beherrschung zu arbeiten, könnte er künft vielleicht auch mehr aus Fye rauskriegen. Dass er selbst sich auch so seine Gedanken über die Zukunft macht, zeigt sein Vorschlag, dass er nach Fyes Ableben bei den Kindern und dann deren Kindern bleiben soll, ja sehr schön. Aber unterm Schnitt haben sowohl Kurogane als auch Sakura recht, wenn sie sagen, dass Fye sich erst mal überlegen soll, was für eine Gegenwart er will. Ich denke, zwischenzeitlich hatte Fye sich auch daran orientiert, aber das Wissen über den Yui aus Dragoon haben ihn echt aus der Bahn geworfen. Immerhin ist ihm während seines Traums klar geworden, wie sehr er die anderen damit verletzt hat. Speziell gegenüber Kurogane ist ihm das bewusst geworden, aber ich denke, im Folgenden, wenn sich die Aufregung legt und er noch mal Zeit zum Nachdenken hat, werden auch Shaolan, Mokona und Sakura wieder präsenter in seinem Denken sein und es wird ihm noch mal bewusst werden, dass er sie damit ebenfalls sehr verletzt hat.
Und Kurogane ist mal wieder ganz der Pragmatiker, der er ist. ^^ Dass er auf Fyes Worte nichts gibt, sondern Taten sehen will, das konnte echt nur aus seinem Mund kommen! Genauso wie Fyes geschätztes geistiges Alter. Ein Kommentar in einer ähnlichen Richtung war mal in einer anderen Fanfic zu den beiden drin. Da hat Fye angemerkt, dass er alt genug ist, um Kuroganes Vater sein zu können. Woraufhin Kurogane erwidert hat, er benehme sich aber, als wäre _er_ der Sohn. ^^
Antwort von:  rokugatsu-go
05.11.2022 15:30
Du hast absolut verstanden, warum Sakura hier vorkommen musste. Kein anderer aus der Truppe eignet sich besser als Gesprächspartner für Fye. Außerdem hängen die beiden ja sehr aneinander. Da Kurogane eher nicht an einem anger management Seminar teilnehmen wird, ist es vorerst ganz gut, Sakura in der Hinterhand zu haben.
Ich muss ehrlich sagen, ich (und Fye wahrscheinlich auch) liebe Kurogane so wie er ist. Er ist nicht nur für Fye der Fels in der Brandung und sein Pragmatismus hilft ihm bei der Erfüllung dieser Rolle sicher ungemein.
Uh, dieser Kommentar aus der anderen FF gefällt mir auch sehr gut! Das ist witzig ... und so wahr. *lach*
Ich danke dir wieder sehr für deinen Kommentar! Ein Kapitel noch; was insofern auch schade ist, weil ich so gerne deine Analysen und Gedanken dazu lese. :)
Von:  Lady_Ocean
2022-10-17T11:34:24+00:00 17.10.2022 13:34
Ooooooh, Sakura-chan! Ich freue mich, dass sie auch einen Platz in der FF hat. Ihre Anwesenheit wird Fye sicher helfen, diese schwere Stunde durchzustehen. Und hoffentlich können die Heilerinnen ihm helfen. Die wussten ja ganz offensichtlich mehr, als sie vorgegeben haben. Ich kann Kuroganes Misstrauen sehr gut verstehen. Auf solch ein Versteckspiel reagiert er ja ohnehin allergisch, aber wenn es sich dann auch noch um Fye dreht, wird er besonders empfindlich. Man merkt auch seinen Gedanken an, dass er echt Panik hat, Fye zu verlieren, ihm diesmal nicht helfen zu können.
Dass ihn die Eigenarten der hiesigen Magie in solch einen gefährlichen Zustand versetzt haben - und das eigentlich binnen weniger Augenblicke, kam nun aber auch für alle sehr unerwartet. Die Vorzeichen waren zwar da, dass da was nicht stimmt, aber es war so leicht, das zu unterschätzen, weil Fyes Unwohlsein bis dahin natürlich sehr diffuse Symptome waren. Zumindest wissen wir nun, was diese seltsamen Symptome plötzlich ausgelöst hat. Dass es eine Kombination aus Fyes derzeit sehr labiler Psyche ist (durch den Schock, den er in Dragoon erlitten hatte) und der Magie in dieser Welt sowie ihrer Eigenschaft, sehr destruktiv auf Negativität zu reagieren. Aber auch wenn die Magierinnen Fye jetzt helfen und die Magie rechtzeitig aus seinem Körper entfernen können, löst das die Wurzel des Problems nicht. Wenn Fye keine Möglichkeit findet, mit sich ins Reine zu kommen, wird sich so etwas nur wiederholen. Und selbst wenn sie die Welt wechseln, um eine Wiederholung dieses Szenarios zu vermeiden, macht Fye sich dennoch kaputt, wenn er diese Schuldgefühle und die Angst vor dem Alleinsein nicht aufgearbeitet bekommt.
Antwort von:  rokugatsu-go
22.10.2022 14:55
Ich freue mich, dass sich noch jemand über Sakura freut! ^^ Auf der Liste meiner Lieblingscharaktere steht sie zwar weiter hinten, aber ich mag sie dennoch. Besonders, weil sie und Fye einfach auch ein süßes (und chaotisches) Duo bilden. Außerdem wird ihr hier natürlich noch eine wichtige Aufgabe zuteil.
Ich hoffe, das kommt nicht zu sadistisch meinerseits rüber (wie war das noch mit dem Holzhammer? ^^°), aber ich mag einen in Panik versetzten Kurogane, der Angst um seine Lieben hat. Wenn der Mann sich Sorgen macht, weißt du, dass die Lage echt schlimm ist.
Ich mag auch deine Idee, dass Fyes Magie sich von ihm abtrennen könnte, aber darauf war ich nicht gekommen; das wäre auch eine interessante Geschichte geworden. :)
Ich bin auf jeden Fall weiterhin gespannt, was du zum weiteren Verlauf sagen wirst.
Erneut vielen Dank für deinen Kommentar! ^^
Von:  Lady_Ocean
2022-10-03T06:06:15+00:00 03.10.2022 08:06
Ich finde es cool, dass du den Kampf gegen den Drachen so kurz und prägnant abgerundet hast. Ich war mir nicht sicher, ob es bis zum Finale nicht noch ein, zwei Kapitel dauern könnte, Und bis zur Weiterreise eventuell noch eins. Aber mich juckt es zu erfahren, wie es in der Gegenwart weitergeht. Deshalb finde ich es echt gut, dass die Geschichte so flott durch diesen kleinen Höhepunkt geflutscht ist. Nun ist also auch klar, wie Fye und Kurogane zu ihren Verletzungen gekommen waren. Hilfe, bei dem Feuerstrahl ist selbst mir das Herz halb stehen geblieben. Ich nehme an, Kurogane wird nach wie vor in irgendeiner Form magisch geschützt sein. Sonst hätte ihn dieser Angriff garantiert das Leben gekostet. Aber es war echt cool, wie sie alle drei gemeinsam den Drachen zur Strecke gebracht haben. Jeder hat auf seine Art einen wichtigen Beitrag geleistet. Ein gut eingespieltes Team. Hat mir sehr gefallen. :)
Und auch der Humor, der immer mal wieder eingestreut war, war herrlich! "„Kurogane war ja schließlich kalt“, kommentierte Mokona unerschrocken." - Oder wie Mokona sich später so bereitwillig anbietet, Kurogane für Fye zu schlagen, nachdem Shaolan es nicht übers Herz gebracht hat. XDDDD

Bei dem Aberglauben, der in dieser Welt bezüglich Magiern herrschte, konnte ich aber nur ähnlich den Kopf schütteln wie Kurogane. Auch wenn ich nicht handgreiflich geworden wäre (gut, wenn sich der Angriff auf meinen Liebsten gerichtet hätte, dessen Leben wegen genau solcher Sachen bereits zur Hölle gemacht worden war, sähe das sicher anders aus), konnte ich es ihm soooo gut nachvollziehen, wie angekotzt er war über diese Vorurteile. Ich war aber froh, dass sich diese Flausen in dieser Welt in den jüngeren Generationen offenbar gelichtet hatten. Meine persönliche Theorie von Valeria wäre ja, dass das Land nur deshalb so schlimm von Unheil heimgesucht worden war, weil so unglaublich viele Menschen an diese Mär der Unheil verheißenden Zwillinge glaubten und die Magie diesem Glauben und dieser Angst Gestalt verliehen hatte. Es hörte damals ja selbst dann nicht auf, als die beiden in ewiges Elend verbannt worden waren. Weil garantiert die Angst der Menschen vor einem "Aber was, wenn das alles doch nicht ausreicht?" nicht verklungen war.
Antwort von:  rokugatsu-go
08.10.2022 14:24
Siehst du, hier war mir der Gedanke gekommen, dass manch einer den Kampf vielleicht zu kurz finden könnte. Ich entscheide mich eigentlich grundsätzlich für das, was mir am besten gefällt und freue mich dann, wenn diese Lösung bei jemandem Zuspruch findet. Jetzt gerade freue ich mich, dass dir der Kampf gefallen hat. ^_^
Ich wollte damit auch zeigen, dass sie ein gut eingespieltes Team sind, wenn auch jeder ständig in seine eigene Gedankenwelt abtaucht. ;)
Ah~, schön, dass dir Mokonas comic relief-Momente gefallen haben! Ich liebe dieses Wollknäuel. XD

Ich stimme deiner Valeria-Theorie so etwas von zu! Die Leute dort wirkten ja regelrecht fanatisch, was den Glauben an den Aberglauben anging. Das Land ist ja trotz der Verbannung der Zwillinge untergegangen (und sie gaben immer noch den beiden die Schuld daran!). Ich habe genau das hier aufgreifen wollen, nur mit dem Twist, dass der Aberglaube irgendwann als genau das und nur das erkannt wird und sich somit langsam auflöst. Kurogane deutet das ebenso an, als er sich darüber aufregt, dass die Menschen immer etwas finden würden, auf das sie ihr Unglück schieben.

Vielen Dank für deinen Kommentar! Du machst mich mit denen immer sehr froh! :)
Von:  Lady_Ocean
2022-09-25T13:07:31+00:00 25.09.2022 15:07
Das Kapitel zeigt sehr deutlich, was Fyes Ängste wieder an die Oberfläche treten ließ. Das Wissen, dass es sich bei dem tragischen Magier in dieser Welt um eines seiner Ebenbilder gehandelt haben musste, und dass dieser am Ende in seinem Unglück ertrank und sich das Leben nahm, das wühlt natürlich eine ganze Menge wieder auf. Und es ist auch kein Wunder, dass Kurogane so genau mitbekommen hat, dass Fye sich seit Dragoon so merkwürdig verhält. Solch einen Schlag kann man wahrlich nicht verschleiern. Vor allem vor Kurogane nicht. Interessant fand ich auch, dieses erste Gespräch zwischen Fye und Watanuki nun auch im Gesamten mitzubekommen. :) Fyes Erklärung nach, dass Watanuki diesen Fluch gefunden hatte, Fye den aber als zu gefährlich eingestuft und diese Option daher abgelehnt hat, wird es noch wenigstens ein weiteres Folgegespräch gegeben haben. Ich vermute, an diese Stelle kommen wir wahrscheinlich in einem der nächsten Kapitel.

Und auch Shaolan scheint sich seit Dragoon vermehrt mit der Frage auseinanderzusetzen, wer Fye und Kurogane für ihn mittlerweile eigentlich sind. Er stolpert immer öfter über den Vergleich zu seinen Eltern. Sie sind nun schon so lange unterwegs, haben viel gemeinsam durchgemacht, kennen einander gut und Kurogane und Fye stehen wirklich immer schützend vor ihm wie Elternteile. Die beiden stört dieser Gedanke wahrscheinlich auch gar nicht. Nur Shaolan selbst muss damit irgendwie umgehen lernen. Wahrscheinlich hat er in seinem Innern Angst, dass er damit seine leiblichen Eltern hintergeht, die er auf dieser Reise doch so verzweifelt sucht. Mal sehen, ob Shaolan mit diesem Konflikt irgendwann seinen Seelenfrieden finden wird.

Von der Umsetzung her fand ich eine einzige Szene nicht ganz überzeugend, und das war bei dem Gespräch zwischen Fye und Ruka, als sie über den Magier dieser Welt gesprochen haben. Ruka begann das Gespräch mit den Worten, dass sie damals noch zu klein gewesen sei und sich kaum erinnert. Aber dann spricht sie doch ziemlich detailliert über ihre Erinnerungen. Und erinnert sich zum Schluss sogar an den Namen. Dabei wäre es gar nicht mal verwunderlich gewesen, wenn niemand in dieser Welt den Namen gekannt hätte, so zurückgezogen, wie Yui damals gelebt hat. Es wäre gut vorstellbar gewesen, dass er seinen Namen niemals preis gegeben hatte. Aber mit ein paar unbedachten Kommentaren wie "Das ist alles schon so lange her, dass ich unseren Magier fast vergessen hatte. Aber wenn ich dich sehe, fühle ich mich irgendwie in die Vergangenheit zurückversetzt. Mit den hellen Haaren und dem Mantel siehst du genauso aus wie er. Vielleicht spielt mir meine Erinnerung aber auch einfach Streiche. Es ist ja wirklich schon ewig her. Und er war immer so distanziert, so ... traurig. Fast schon wie tot. Oder seelenlos? Er hatte nicht dieses Funkeln in den Augen wie du. - Fye, was hast du?" Ich denke, ein unbedarftes Schwelgen in Erinnerungen auf so eine ähnliche Art würde Fye schon mehr als genug Anlass geben, da zweifelsfrei Yui zu vermuten. Ob es sich am Ende tatsächlich um Yui handelte oder nicht, kann man eigentlich auch offen lassen. Wichtig ist ja, dass Fye davon überzeugt ist. Zusammen mit seinem traurigen Ende. Denn diese Überzeugung ist es ja, die Fye in seinen Grundfesten so erschüttert.
Antwort von:  rokugatsu-go
01.10.2022 13:57
Du hast in diesem Kommentar schon einen Teil aus dem neuen Kapitel vorweggenommen. *lach* Du bist ein wirklich sehr aufmerksamer Leser. :)
Watanuki vorkommen zu lassen hat mich, um ehrlich zu sein, ein wenig nervös gemacht. Er gehört zu den Charakteren, die ich eher verwirrend und kompliziert finde. Aber schön, dass du das Gespräch interessant fandest. ^^

Ah~, ich mag deine Schlussfolgerungen so sehr. Gut, wir verbleiben da mal bei "mal sehen." ;)
Shaolans "Elternproblematik" ist bei der Enstehung meiner Geschichte mitgewachsen. Zu Beginn war der Fokus rein auf Fye, aber dann begann ich automatisch, darüber nachzudenken, wie Shaolan sich bei der ganzen Sache wohl fühlt und so wurde aus einer ursprünglichen kleinen Idee eine viel größere Geschichte, als ich eigentlich gedacht hatte. ^.^

Du bist zu nett zu Fye. Da muss schon der Holzhammer ran. *lach*
Nein, im Ernst, deine Version hatte ich in Gedanken auch durchgespielt, aber zugunsten dieser Version verworfen. Ich wollte die Eindeutigkeit (aka den Holzhammer XD). Fye hat ja auch gleich die Ahnung, dass da eines seiner Ebenbilder im Spiel gewesen sein musste. So wird ihm indirekt bestätigt, dass seine düstere Ahnung dann auch der Wahrheit entspricht - was bei Fye dazu führen könnte, daran zu glauben, dass alles Schlimme, was er sich vorstellt, auch wahr wird.
Was Rukas Erinnerungen angeht, hatte ich gehofft, es würde durchscheinen, dass sie sich im Gespräch mit Fye langsam erinnert und zeitgleich auch nicht ganz klar ist, was tatsächlich ihre Erinnerungen sind und was ihre Mutter ihr vielleicht erzählt hat. Das hätte dann wahrscheinlich noch etwas eindeutiger sein können.

Ich danke dir wieder sehr für deinen Kommentar! ^__^
Bin gespannt, was du zum neusten Kapitel sagen wirst. Danach verlassen wir Dragoon übrigens wieder. ;)
Antwort von:  Lady_Ocean
03.10.2022 07:57
*haha* Danke. ^^
Watanuki finde ich auch nur schwer greifbar. Er hat sich in Holic sehr entwickelt, aber weil er dennoch im Grunde ein stiller Charakter ist, spielte sich vieles davon unter der Oberfläche ab. Das erschwert es mir auch, seine Gedanken und damit seine nächsten Schritte zu greifen.

Interessant, dass du auch beide Versionen durchgespielt hast und dich dann ganz bewusst für den Holzhammer entschieden hast. :D Aber wenn Ruka diese Details alle im Gespräch wieder einfallen (sowas hat man ja echt oft. Dass beim Sprechen plötzlich Erinnerungen wieder wach werden. Oder zumindest mögliche Versionen einer Erinnerung). Ich vermute, ich habe das durch ihren Sprachfluss nicht so gut herausgelesen. Wenn einem plötzlich was einfällt, bricht man ja normalerweise mitten im Gedanken ab und setzt ganz unerwartet neu an. Manchmal auch zeitverzögert. Also wenn das eigentliche Thema schon verstrichen ist. Wer weiß, vielleicht wäre so ein etwas chaotischer Gesprächsstil auch eine Option für dich - entweder, wenn du an das Gespräch noch mal Hand anlegen möchtest oder falls du zukünftig eine ähnliche Szene ausarbeiten möchtest. :)
Antwort von:  rokugatsu-go
08.10.2022 14:04
Danke, dass ich mit dem Wataknuki-Problem nicht alleine bin. ^^° Ich kenne von Holic nur den Film und der hat nicht unbedingt geholfen.

Eigentlich gilt: Wenn ich schon denke "Ist das deutlich genug?", sollte ich es schon deutlicher machen, aber dann will ich auch nicht alles zu sehr ausbreiten. Aber ja, ich glaube, falls ich noch mal so eine Szene schreibe, halte ich mich an deinen Vorschlag. Danke. :)
Von:  Lady_Ocean
2022-09-08T19:43:43+00:00 08.09.2022 21:43
Zu Beginn dieses Kapitels war ich meeeeega verwirrt: Was? Weltenwechsel? Warum das auf einmal? Hab sogar zurückgeblättert, ob ich ein Kapitel übersehen habe. XD Aber im Verlauf des Lesens kam mir dann die Vermutung, dass es sich hier vielleicht um eine Rückblende handelt - was sich bestätigt hat, als das Wort "Dragoon" fiel. Die schlimmen Verletzungen, die alle bei ihrer Ankunft in der neuen Welt davongetragen hatten, mussten vom Kampf mit dem Drachen stammen. Hoffentlich war es ihn gelungen, das Vieh zu töten. Ist ja richtig übel, was das für ein Unheil in dieser Welt angerichtet hat. Und dann ist es auch noch immun gegen Magie...
Von Shaolan kam hier eine Seite heraus, die man auch schon lange nicht mehr an ihm gesehen hatte - und die Fye sehr ähnlich ist. Nämlich dass auch er sich ganz stark die Schuld an den Geschehnissen gibt, die FWR ausgelöst hat, und tief in seinem Innern das Gefühl hat, allein dafür geradestehen zu müssen. Als sie zu dritt zurück nach Clow Country gekommen waren und Kurogane und Fye von Shaolans Vergangenheit erfahren hatten (dass er seinen persönlichen Wunsch, Sakura zu retten, über das Wohl der Welten gestellt hatte, und damit alles aus dem Gleichgewicht gebracht hatte), hatte sich das gezeigt. Allerdings ist Shaolan in seinem Denken nicht so festgefahren wie Fye. Er lässt sich von Fye und Kurogane auf den rechten Weg zurückführen. Er hört ihnen zu und glaubt ihren Worten, wenn sie ihn daran erinnern, dass es nicht seine Schuld ist, was geschehen ist. Fye ist auf diesem Ohr anscheinend immer noch taub, leider.
Und Dragoon war also auch eine Schneewelt, die optisch Valeria sehr geähnelt hat. Kein Wunder, dass es Fyes größte Ängste so unerwartet zurück an die Oberfläche gerissen hat. Die Angst in ihm war sicherlich geringer geworden, nachdem er sie durch den Kampf gegen Ashura, Kuroganes Opfer und alles, was danach folgte, ziemlich gut aufgearbeitet hatte. Aber vollkommen überwunden hatte er all das noch nicht. Und als dann Ruhe einkehrte und auch sein Denken zum Stillstand kam, ist seine nur zur Hälfte aufgearbeitete Vergangenheit wohl in der Versenkung verschwunden, wo sie sich dann aber festgesetzt hat. Und Dragoon hat für einen heftigen Rückschlag gesorgt. :(
Antwort von:  rokugatsu-go
10.09.2022 12:04
Irgendwie muss ich meine Leser immer verwirren. Dabei will ich das in dieser Hinsicht gar nicht. ^^° In einem Anime würde man einfach "Rückblende" einblenden oder im Manga die Seitenränder schwarz färben. Es gibt Autoren, die das auch in FF-Form sehr schön hinbekommen ... bei mir gerät es immer etwas ungelenk.
Ich bin froh, dass du trotzdem verstanden hast, was hier los ist.
Die Manga-Szene mit Shaolan in Clow, die du erwähnst, mag ich übrigens unheimlich gerne. Ich glaube, Shaolan ist auch sehr verbissen in seinem Denken und Tun, aber offener für Trost und Unterstützung, weil er keine komplett verkorkste Vergangenheit hat. Insgesamt mag ich in der Serie diese Schuld und Vergebungs- Thematik, daher greife ich sie auch gerne auf. ;)
Kleiner Teaser: Auf Fye warten noch mehr Rückschläge ... aber das erahnst du vermutlich schon.
Vielen, vielen Dank für deinen Kommentar! ^^
Antwort von:  Lady_Ocean
10.09.2022 21:17
Ah, ich dachte, du hättest das kleine Verwirrungs-Moment absichtlich eingebaut, weil es sich ohnehin im Verlauf des Kapitels auflöst. ^^ Also ich fands nicht schlimm, dass ich im ersten Moment so ins Grübeln gekommen bin. :)

Ich denke auch, dass es bei Shaolan daran liegt, dass er einerseits in seiner Kindheit nicht so was Traumatisches mit dem Verlust seiner Familie durchmachen musste, andererseits, dass er generell noch deutlich jünger ist als Kurogane. Dass er sich andere Meinungen besser annehmen kann als Fye und Kurogane.
Von:  Lady_Ocean
2022-08-20T14:07:25+00:00 20.08.2022 16:07
Oh Hilfe, was für ein Drama da plötzlich draus geworden ist! T___T Und Fyes Dilemma ist auch irgendwie wieder Fye-typisch. Er will mit ihnen gemeinsam alt werden und sterben, aber er weiß auch ganz genau, wie die anderen, speziell Kurogane, darauf reagieren würden (und hat). Für solche Gedanken - also was er längerfristig mit seinem Leben machen will, wie er es schaffen kann, für sich selbst zu leben und nicht in Abhängigkeit von den wenigen Menschen, die so wichtig für ihn sind - für diese Gedanken ist es noch viel zu früh. Seine Psyche ist noch nicht stabil genug für sowas. Aber es wundert mich nicht, dass all das die Gedanken an Ceres wieder an die Oberfläche gebracht hat. Seine zentrale Angst - der "Fluch" seiner Magie - ist das, was Fyes Meinung nach der Ursprung für all das Leid, welches in Ceres geschehen ist, verursacht hat. Er sieht den Ursprung all dieses Leids offenbar leider immer noch nicht in FWR, der ja über Leichen und die Zerstörung ganzer Welten gegangen ist, um seine eigenen egoistischen Ziele durchzusetzen und die Gesetze der Dimensionen auszuhebeln.
Und gegen Ende des Kapitels habe ich mich gefragt, ob es hier tatsächlich um MPreg geht, oder ob Fyes Zustand nicht doch durch etwas anderes bedingt ist. Durch die negative Einstellung, die er seiner Magie gegenüber hat, vielleicht. Das magische Konstrukt dieser Welt scheint ja irgendwie auf ihn zu reagieren, mit seiner Magie in Wechselwirkung zu stehen. Jedenfalls hab ich noch nie von 'ner Schwangerschaft gehört, bei der man Blut spuckt und das Bewusstsein verliert. Es kommt mir grad im Moment eher so vor, als würde Fyes extreme Ablehnung seiner eigenen Magie dazu fürhen, dass diese sich in dieser neuen Welt evtl. tatsächlich gewaltsam von ihm trennen könnte/ getrennt werden könnte, was aber wider seiner Natur ist und daher physische Gefahren/ Schäden mit sich bringt. Und je stärker er sich da hineinsteigert, desto schlimmer werden die Folgen. Zu Beginn war es noch unterschwelliger. Aber mit jedem Albtraum nimmt die Intensität seiner Angst, seiner Ablehnung zu. Und auch die Auswirkungen auf Fyes Körper werden immer schlimmer. So ist es auch kein Wunder, dass das jetzt einen vorläufigen Höhepunkt fand, als das Thema auf den Tisch kam und die Auseinandersetzung mit Kurogane eskaliert ist.
Es könnte natürlich auch was anderes dahinterstecken, aber das wär jetzt so die erste schlüssige Vermutung, die mir in den Sinn kam. :) Aber nix verraten! ;)
Antwort von:  rokugatsu-go
27.08.2022 14:57
Ich liebe es, wenn ein Kommentar mit den Worten "Oh Hilfe" anfängt. *lach*
Es geht um Fye, da ist das Drama immer vorprogrammiert. Ich mag deine Analysen von Fye, da sind wir nämlich ziemlich einer Meinung. :) Ich glaube, eines von Fyes vielen, vielen Problemen liegt darin, dass er Schwierigkeiten hat, das große Ganze zu sehen. Er verliert sich immer in Bruchstücken, die ihm aber keinen Ausweg oder eine Lösung zeigen. Das ist toll, wenn man Drama schreiben will, aber gleichzeitig tut er mir auch immer leid.
Okay, ich darf nix verraten, also lächele ich in mich hinein und freue mich über deine getätigten Vermutungen. Ich bin gespannt, was du zum nächsten Teil sagen wirst, wenn wir zeitlich etwas zurückspringen und den Auslöser für Fyes aktuelle Ängste suchen. ;)
Vielen, vielen Dank für deinen Kommentar! Es war eine Freude, den zu lesen! ^__^
Von:  Lady_Ocean
2022-08-07T11:56:15+00:00 07.08.2022 13:56
Dieses Kapitelende. Ich grinse bis über beide Ohren. Und ich finde es einfach toll, wie du die Chemie zwischen den beiden darstellst. Wie sie auf der einen Seite aufgeklärt und erwachsen sind und wissen, was da zwischen ihnen los ist, auf der anderen Seite aber immer noch um einander herumtanzen. Ein "Ich liebe dich" würde wohl keinem von beiden je über die Lippen kommen. Und auch Entbehrungen stehen offenbar auf der Tagesordnung, bis sie es beide nicht mehr aushalten. Ich war mir bisher nicht mal sicher, ob sie überhaupt schon mal miteinander geschlafen hatten oder ob das zwischen ihnen rein platonisch geblieben ist. Auf diese Frage habe ich nun ja eine Antwort bekommen. :) (Armer Shaolan! XDDD) Und derweil vermute ich auch, dass Fyes Appetitlosigkeit und Übelkeit von einer tatsächlichen Schwangerschaft herrühren könnte. Kuroganes ernstgemeinte Frage danach, ob Fye sich nicht wieder in irgendwas Unerfüllbares verrennt, könnten auch ein Vorbote in diese Richtung gewesen sein. Ich muss sagen, ich bin jetzt nicht unbedingt ein Fan von MPreg, aber ich lese es auch mal mit, wenn die Geschichte insgesamt noch mehr zu bieten hat. Und hier bin ich ja auch darauf gespannt, wie die Suche nach Shaolans Eltern weitergeht und Fyes Aufarbeitung seiner Vergangenheit. Außerdem, ob die Magie dieser Welt vielleicht ihren Teil dazu beiträgt, dass das Fye gerade so intensiv wieder einholt und was sie in dieser Welt evtl. generell noch erwarten könnte. Z. B. wenn irgendwann vielleicht doch rauskommt, dass Fye keine Frau ist. Und woher Fyes Gefühl kommt, dass mit der Magie dieser Welt irgendwas nicht stimmt. Also es gibt 'ne ganze Menge offener Fäden, deren Weitergang mich interessiert. :)
Fyes Kommentar übrigens, „Ah, kein Dichter hat je etwas Romantischeres gesagt“, war herrlich! Kuroganes trockenes Statement davor war ja schon wunderbar, aber diese Erwiderung war absolut top! ^^
Antwort von:  rokugatsu-go
13.08.2022 13:35
Was freut mich das, dass die letzte Szene so gut angekommen ist. XD
Außerdem strahle ich wegen deines Kommentars über beide Ohren. Die Beziehung zwischen Fye und Kurogane ist einfach etwas Besonderes und da erfüllt es mich mit Freude, wenn ich es geschafft habe, diese gut darzustellen. ^_^
Das beste Pairing aller Zeiten! Es ist so schön, Dialoge für die beiden zu schreiben.
Und, ja, armer Shaolan ... hehehe. XD
Ich finde es so toll, wie du über meine FF nachdenkst und sie analysierst. ^^ Ich würde immer so gerne etwas darauf antworten, aber ich will ja nichts verraten. Ich könnte aber verraten, dass ein wiederkehrendes Motiv in Fyes Albträumen auftaucht ... dabei belass ich es mal fürs Erste. ;)
Ich hoffe, du bleibst weiterhin gespannt. Ich bin schon sehr gespannt, was du zu den nächsten Entwicklungen sagen wirst. ^^
Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar!
Von:  Lady_Ocean
2022-07-25T00:04:47+00:00 25.07.2022 02:04
Ich hatte den Prolog damals beim Erscheinen schon zufällig entdeckt, kam aber noch nicht dazu, was zu schreiben. Aber ich hab mich total gefreut, dass es von TRC eine neue Fanfic gibt. :D Und dann ist sie auch noch gut geschrieben! Ich mag den Humor zwischen Fye und Kurogane. Es ist echt schön, die Chemie zwischen den beiden mal wieder genießen zu können. Und in der Art, wie sie miteinander umgehen, sind sie echt in-chara. Man hat als Leser ganz schön zu darben. XD Aber das hat die Beziehung zwischen den beiden bei Clamp schon so romantisch gemacht.
Auch das Setting dieser Geschichte sieht vielversprechend aus. So viele Hints, was da wohl los sein könnte mit der Magie in dieser Welt und was nun plötzlich zu Fyes Rückfall in alte Verhaltensmuster geführt hat (mein erster Gedanke war, dass nun wahrscheinlich genügend Zeit ins Land gegangen ist und er emotional mittlerweile so weit gefestigt ist, dass er das emotional weiter verarbeiten kann und deshalb viele der Gefühle aus seiner traumatischen Kindheit noch mal durchlebt. Aber die Magie in diesem Land wird das ebenfalls getriggert haben). Auch der Gedanke, dass hier nur Frauen das Sagen haben und Männer sich kategorisch unterzuordnen haben, macht einem noch mal so richtig stark bewusst, wie patriarchalisch unsere Gesellschaft teilweise immer noch ist - und wie enorm das noch bis vor einigen Jahrzehnten war. Es aus der anderen Perspektive heraus zu lesen, wirkt einfach so widersinnig. Nicht, dass das was Neues für mich wäre. Aber das mal nicht nur episodenhaft durchzudenken, sondern eine komplette Geschichte lang durchweg zu verfolgen, ist schon cool.
Antwort von:  rokugatsu-go
28.07.2022 15:56
Aaah, schön, dass du wieder eine FF von mir liest! ^__^
Danke, danke für dein Lob! Ich bin gespannt, ob man merkt, dass mir mein zweiter Versuch einer TC-FF etwas leichter gefallen ist als der erste.
Ich finde das toll, wenn jemand sich Gedanken über die Geschichte macht und richtig ins Rätseln gerät. Ich sage jetzt natürlich nichts zu deinen Vermutungen, aber du hast sehr gute Ideen. :)
Es freut mich, dass dir das Setting und der Gendertwist gefallen; das wird nicht der letzte Twist gewesen sein. ;)


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