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Mein Weg zu Dir

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Also ich mag Tai in dem Kapitel ganz gerne :D
Mal sehen, ob es euch auch so geht... Komplett anzeigen

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Tai

Ich bin aufgeregt.

Ich war zwar schon bei Soras letztem Arztbesuch dabei, aber heute können wir eventuell das Geschlecht erfahren und das ist ziemlich spannend. Auch wenn ich immer noch hin und hergerissen bin. Auf der einen Seite möchte ich natürlich hier sein, sehen, wie mein Baby wächst und wie sein Herz schlägt. Auf der anderen Seite möchte ich am liebsten schreiend davonlaufen. Viel zu oft wünsche ich mir immer noch, das alles wäre nur ein Albtraum, aus dem ich bald erwachen würde.

Ich habe es immer noch nicht meinen Eltern gesagt, aber sie sind zur Zeit eh auf Reisen, weshalb ich auch ab und zu zu Hause vorbei schauen muss, um nach Kari zu sehen. Obwohl sie inzwischen alt genug ist, aber Mama will es so. Wahrscheinlich ist das einfach so bei Müttern - sie machen sich immer Sorgen um ihre Kinder, egal, wie alt sie sind. Deshalb halte ich auch gerade Soras Hand, während der Arzt mit dem Ultraschallgerät über ihren Bauch fährt. Sie macht sich ständig Sorgen, ob mit dem Baby alles in Ordnung ist. Bei mir ist es nicht ganz so schlimm, aber ich kann sie trotzdem verstehen. Sora war immer schon eine etwas ängstliche Person. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum sie immer noch zu Hause bei ihrer Mutter wohnt. Sie sagt zwar, das Haus ist groß genug, dass sie sich aus den Weg gehen können, wenn sie wollen, aber in Wahrheit hat sie einfach nur Angst, auf eigenen Beinen zu stehen. Was macht dann erst der Gedanke, bald für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein, mit ihr?

»Das sieht alles bestens aus«, verkündet der Arzt und ich höre, wie Sora erleichtert aufatmet. Ich lasse ihre Hand los, als würde sie mich jetzt nicht mehr brauchen und mir entgeht nicht der kurze, aber eindeutige Blick, den sie mir zuwirft. Ich hingegen konzentriere mich ganz auf das Ultraschallbild und auf das, was der Arzt sagt. Er zeigt uns Arme, Beine und Kopf und wir sehen, wie kräftig das Herz schlägt. Das Geschlecht kann der Arzt leider noch nicht erkennen. Trotzdem finde ich es faszinierend - das Wunder des Lebens. Jedes Mal, wenn ich das Baby sehe, denke ich: es kann doch nicht sein, dass etwas so Wunderschönes aus einem so riesigen Fehler entsteht.

Sora ist sichtlich gerührt und ich teile ihre Freude, wenn auch nur bedingt.

Nachdem wir das Arztzimmer wieder verlassen, meint Sora, sie müsse noch mal zur Toilette. Ich halte ihre Jacke und warte auf dem Flur, bis sie fertig ist. Unterdessen verlässt ihr behandelnder Arzt das Zimmer und geht wortlos an mir vorbei. Ich lehne mit dem Rücken an der Wand, schaue ihm nach und ehe ich mich versehe …

»Doktor?«

Fragend dreht er sich zu mir um.

Scheiße. Was mache ich hier? Ist das wirklich dein Ernst, Tai?

Zögernd gehe ich auf ihn zu und werfe dabei einen prüfenden Blick über die Schulter, in Richtung der Toiletten.

»Kann ich Ihnen noch irgendwie weiterhelfen, Herr Yagami?« Der Arzt legt nun prüfend den Kopf schief und ich weiß, dass er eigentlich keine Zeit hat, weil er zum nächsten Patienten muss. Aber das hier ist vermutlich die einzige Chance, die ich habe.

»Nun ich …«, beginne ich unsicher. » … um ehrlich zu sein, ja, vielleicht können Sie mir weiterhelfen.«

»Ach ja?« Sein Interesse ist geweckt. Ich atme tief durch.

»Wissen Sie, es gibt da eine Sache, die mir schon die ganze Zeit nicht aus dem Kopf geht und ich frage mich einfach … wie kann es sein, dass Sora schwanger geworden ist, obwohl wir immer verhütet haben?«

Jetzt zieht er andächtig eine Augenbraue in die Höhe und sieht mich an, wie einen kleinen Jungen, mit dem er jetzt ein Aufklärungsgespräch führen muss.

»Herr Yagami«, beginnt er beinahe belustigt und tritt von einem Bein auf das andere. »Ich muss Ihnen ja wohl nicht erklären, dass es trotz einer scheinbar sicheren Verhütungsmethode zu einer Schwangerschaft kommen kann. Es gibt immer Schlupflöcher.«

Gestresst fahre ich mir über die Stirn. »Nein, das müssen Sie nicht. Ich weiß, dass das passieren kann. Aber die Wahrscheinlichkeit ist doch sehr gering, oder? Ich meine, wenn ich ganz offen reden darf, wir haben immer ein Kondom benutzt und es ist meiner Meinung nach nie etwas schief gelaufen.«

Der Blick des Arztes verändert sich, als er versteht, worauf ich hinaus will. Das hatte er offenbar nicht kommen sehen.

»Sie denken, Sie sind nicht der Vater.« Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung. Eine Feststellung, mit der er absolut recht hat. Nur ein Gedanke, der mich einfach nicht ganz loslässt, auch wenn ich Sora gerne bedingungslos vertrauen möchte.

Betreten sehe ich zu Boden und weiß eigentlich gar nicht mehr, was ich denken soll. Ich habe gegoogelt, viel zu viel über dieses Thema gelesen und letztendlich doch keine eindeutige Aussage gefunden, außer: alles ist möglich. Das hilft mir jedoch nicht weiter, die Zweifel aus meinem Kopf zu vertreiben.

»Hmm, ich verstehe Ihre Lage«, unterbricht der Doktor mein Gedankenkarussell und ich sehe leicht hoffnungsvoll zu ihm auf.

»Allerdings sind mir, was das angeht, die Hände gebunden. Die einzige Möglichkeit, die Sie haben ist, mit der Mutter zu sprechen, ob sie sich einer Fruchtwasseruntersuchung unterziehen würde. Das wäre der einzige Weg, um eine Vaterschaft schon vor der Geburt zu bestätigen. Allerdings ist so eine Untersuchung immer auch mit Risiken verbunden, wenn auch nicht mit vielen. Aber dennoch … wenn sie diese Untersuchung ausschlägt, bleibt Ihnen nur, die Geburt abzuwarten. Sobald das Baby auf der Welt ist, können Sie einen Vaterschaftstest durchführen.«

Ich schnaufe, in Anbetracht meiner wenigen Optionen. Ich weiß, Sora würde dieser Untersuchung vermutlich niemals zustimmen, was für mich weitere Monate der Ungewissheit bedeuten würde.

Ich öffne den Mund, um etwas zu antworten, doch in dem Moment höre ich die Toilettentür hinter mir. Der Arzt versteht sofort, nickt mir zu und beendet unser Gespräch, indem er sich wortlos umdreht und geht.

»Wow, meine Blase hat so gedrückt, ich habe gefühlt fünf Liter ausgepinkelt«, sagt Sora, als sie neben mich tritt. Ich versuche, ihr ein Lächeln zu schenken und helfe ihr in die Jacke.

Das Gespräch mit dem Arzt war äußerst unbefriedigend, weshalb ich ein paar Minuten später auch unruhig mit den Fingern aufs Lenkrad trommle, während ich Sora nach Hause fahre.

Ich spüre ihren Blick auf mir ruhen.

»Du wirkst angespannt«, stellt sie nüchtern fest, doch ich sehe sie nicht an. »War irgendwas nicht in Ordnung? Die Untersuchung ist doch gut gelaufen.«

»Ja, das ist sie«, brumme ich vor mich hin. Eine ganze Weile schweigt sie, was mir wirklich mehr als recht ist. Mir gehen einfach zu viele Dinge durch den Kopf. Doch nach einiger Zeit der Stille, ergreift Sora schließlich das Wort.

»Was habt ihr vorhin noch besprochen?«

Kurz erstarre ich in meiner Bewegung, als ich den Blinker setzen will. Dann tue ich es und biege ab. »Du hast das mitbekommen?«

Ich sehe zu ihr rüber. Sie nickt. Dann wirft sie mir einen gequälten Blick zu.

»Was ist los, Tai? Du bist irgendwie ganz anders als sonst.«

Mag vielleicht daran liegen, dass mir das alles ein wenig über den Kopf wächst und ich nicht weiß, ob du mich anlügst?

Ich schlucke schwer, bevor ich antworte.

»Würdest du einer Fruchtwasseruntersuchung zustimmen?«

Sora runzelt die Stirn. »Wieso sollte ich das tun?«

»Weil ich wissen möchte, ob ich wirklich der Vater deines Kindes bin.«

Ich spüre, wie Sora neben mir zur Salzsäule erstarrt. Ihre Finger krallen sich in ihren Anschnallgurt. Damit hat sie wohl nicht gerechnet.

»Was soll das, Tai? Es gab keinen anderen. Ich war mit dir zusammen. Was sollen plötzlich diese Zweifel?«

Ich reibe mir mit der Hand übers Gesicht und puste dabei die Luft aus. Meint sie das Ernst?

»Du weißt genauso gut wie ich, dass wir immer verhütet haben.«

Sora stößt ein missbilligendes Lachen aus. »Mach dich nicht lächerlich.« Sie schaut aus dem Fenster. »Ich denke, du weißt, dass Kondome auch nicht unfehlbar sind.«

»Ja, das weiß ich«, antworte ich nun eine Spur härter, weil es mir so vorkommt, als würde sie denken, ich wäre ein Idiot.

»Warum machst du dann plötzlich so ein Fass auf?«, will sie wissen und sieht mich verständnislos an. »Ich verstehe nicht, was das soll. Wir bekommen ein Baby, Tai und du … du wirfst mir so etwas an den Kopf. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Hat Mimi dir diesen Quatsch eingeredet?«

Wie auf Kommando schnellt mein Kopf bei ihrem Namen in Soras Richtung. Sie zuckt zusammen, während ich sie anfunkle.

»Lass Mimi da raus, sie hat damit rein gar nichts zu tun.«

Stumm sieht Sora mich an, bis ein Zischen über ihre Lippen kommt. »So war das doch gar nicht gemeint. Aber du musst auch mich verstehen, Tai. Du machst mit mir Schluss, einfach so, um dann kurz darauf mit Mimi zusammenzukommen. Was soll ich davon halten? Ich weiß, dass sie bisher eine große Rolle in deinem Leben gespielt hat …«

Ja, bisher. Nun leider nicht mehr.

Ich halte an einer roten Ampel und Sora greift nach meiner Hand, um sie auf ihren Bauch zu legen. »Aber das hier … das ist viel größer als alles, was vorher war, findest du nicht? Und egal, was vorher zwischen uns passiert ist oder was da mit Mimi gelaufen ist … dieses Kind ist von dir. Und ich will dich nicht verlieren.«

Ihre Worte klingen echt. Aufrichtig. Fast schon schäme ich mich dafür, dass ich ihr so etwas unterstellt habe.

Allerdings …

»Ich weiß, dass du mich nicht verlieren willst«, wiederhole ich leise. »Aber würdest du mich deshalb anlügen?« Noch während ich diese Frage ausspreche, sehe ich ihr direkt in die Augen. Ich versuche, irgendetwas darin zu erkennen. Die Wahrheit. Die Lüge. Irgendwas. Aber da ist nichts. Nichts, was ich aus ihrem Gesicht lesen könnte. Da ist nur das sanfte Lächeln, dass ihre Lippen umspielt und mir Vertrauen schenken soll.

»Nein«, sagt sie mit fester Stimme. »Bitte vertrau mir, Tai.«

Ich zögere, was Sora nicht aus der Fassung bringt. Erwartungsvoll sieht sie mich mit großen Augen an, als ich schließlich nicke. »Schön. Lassen wir das Thema vorerst ruhen.« Dieses Gespräch macht so keinen Sinn.

Sie seufzt erleichtert auf. »Ich bin froh, dass du das sagst.«

Wir fahren weiter, während ich immer noch meinen Gedanken nachhänge.

Das ist sinnlos.

Es bringt nichts, weiter darüber nachzudenken. Sora hat mir eine eindeutige Antwort gegeben und nun liegt es an mir, ihr diese zu glauben. Ich will mich anstrengen, es zumindest versuchen. Ich kenne sie schon so lange und kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie mich belügen würde. Nicht in dieser Sache. Dazu wäre sie nicht fähig.

Ändert das etwas an meinen Gefühlen?

Nein, vermutlich nicht. Aber was soll ich tun?

Ich hatte nie vorgehabt, so früh Vater zu werden. Und schon gar nicht wollte ich mit einer Frau ein Kind bekommen, die ich nicht liebe. Das war alles nicht so vorgesehen. Aber das Leben hat eben oft andere Pläne. Und manchmal ist es das Beste für alle, wenn man sich diesen Plänen einfach fügt …
 

Ich fahre Sora nach Hause und danach in die WG. Ich brauche dringend ein paar Tage Abstand. Sora fand das natürlich nicht gut, aber diesmal hat sie nichts weiter dazu gesagt. Während ich mit der einen Hand aufschließe, schaue ich mit der anderen auf mein Handy. Seufzend öffne ich die Tür zur Wohnung, weil ich natürlich keine Nachricht von Mimi drauf habe.

Was auch sonst? Was hatte ich erwartet?

Es ist so komisch, einfach nichts mehr von ihr zu hören, sie zu sehen oder einfach nur ihre Stimme zu hören. Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen. An diese Lücke, die sie in meinem Leben hinterlassen hat. Aber ich weiß, dass es so besser ist. Ich muss sie auf Abstand halten, wenn ich das mit Sora irgendwie durchhalten will. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war es schwer genug für mich, ihr nicht um den Hals zu fallen oder sie zu küssen oder sie anzuflehen, alles rückgängig zu machen. Ich werde immer so schwach in ihrer Nähe. Daher ist es wirklich das Beste, sie einfach gar nicht zu sehen. Es würde uns beiden nur weh tun.

Als ich ins Wohnzimmer trete, trifft mich der Schlag.

»MATT!«, platzt es aus mir heraus. Mein bester Freund ist wie von der Tarantel gestochen und rennt von einer Ecke zur Nächsten. Alle Schubladen sind offen und durchgewühlt, alles liegt auf dem Boden verstreut und es sieht aus, als hätte hier jemand eingebrochen und alles durchwühlt.

Gott, wie lange war ich noch mal weg? Was treibt der Mistkerl da schon wieder?

»Matt, was zur Hölle, tust du da? Scheiße man, dich kann man nicht mal ein paar Tage alleine lassen.«

Erst jetzt hebt Matt den Kopf, als hätte er mich eben erst wahrgenommen. »Oh, Tai. Hallo.« Dann steckt er den Kopf wieder in den Schrank, der im Wohnzimmer steht. Einige CD Hüllen fliegen hinter ihm raus.

»Ich suche was«, erklärt er mir dann endlich, während ich über mehrere Bücher, die kreuz und quer auf dem Fußboden liegen drüber steige, um nicht auf den Einband zu treten.

»Geht es dabei um Leben und Tod?«

»Kann man so sagen.«

Ich verziehe das Gesicht. »Was suchst du denn?«

»Mein Ladekabel. Hast du es gesehen?«

Stutzig ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. »Das für dein Handy?«

»Nein, das für meine elektrische Zahnbürste. Natürlich das für mein Handy!«

Okay, er klingt eindeutig gereizt. Wie lange sucht er schon nach dem Ding? Aber das hat er doch sowieso … Spinnt er jetzt völlig?

»Hast du das nicht Mimi ausgeliehen?«

Matt hört auf zu räumen und sein Gesicht erscheint hinter der Schranktür. Fragend sieht er mich an.

»Hab ich?«

»Äh, ja?«, entgegne ich. Verwirrung legt sich auf sein Gesicht. »Weißt du das nicht mehr?«

Matts Augen wandern in Richtung Decke, als würde er ernsthaft darüber nachdenken, ob an dieser Tatsache was dran sein könnte. Was ist los mit ihm? Leidet er unter Alzheimer? Dann sieht er mich ausdruckslos an.

»Na, wenn das so ist.« Plötzlich steht er auf, steigt über dieses ganze Chaos hinweg und geht in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen.

»Hey«, beschwere ich mich. »Willst du das nicht wieder aufräumen?«

Matt hebt eine Schulter und legt den Kopf schief. »Das kann doch Mimi machen, sie ist ja auch irgendwie daran schuld. Sie hätte es mir wiederbringen können. Warte, ich rufe sie gleich mal an und beschwere mich bei ihr. Ach nein, geht ja nicht. Mein Handy ist ja seit Tagen abgeschaltet.«

Wow! Er klingt ziemlich wütend.

»Seit wann bist du so zynisch?«, entgegne ich vorsichtig. »Du hättest dir einfach ein Neues kaufen können. Oder bei ihr vorbei fahren können und es dir abholen. Sie meinte, sie bringt es dir nach der Arbeit zurück.« Warum hat sie das nicht gemacht?

»Ich hatte weder für das eine, noch für das andere Zeit. Die Tage haben so schon zu wenig Stunden.« Er füllt sich den Kaffee in eine Tasse und stellt die Kanne lauter zurück auf den Tresen, als es hätte sein müssen. Was ist los mit ihm? Irgendetwas stimmt doch nicht, das spüre ich sofort.

Unaufgefordert setze ich mich an den Tresen und greife ebenfalls nach einer Tasse und der Kanne, um mir etwas Kaffee einzuschenken. Matt weicht meinem Blick aus.

»Du siehst gestresst aus«, stelle ich fest, woraufhin er schnauft.

»Das kannst du laut sagen. Das mit der Band wächst mir langsam über den Kopf.«

Erstaunt hebe ich die Brauen. Was? Es ist die Band, die ihn so austicken lässt?

»Deshalb drehst du hier so am Rad? Also, das hätte ich jetzt nicht erwartet.«

»Nein, natürlich ist es nicht nur das«, entgegnet Matt spitz und sieht mich schief an. »Du hast dich ja auch so gut wie gar nicht mehr hier blicken lassen. Schon klar, dass du da einiges nicht mitbekommen hast.«

Ich schlucke hart und umklammere den Henkel meiner Tasse. Er hat recht. Ich habe mich nicht wirklich gut um mein Privatleben gekümmert, seit das mit Sora passiert ist, geschweige denn um meine Freunde. Matt habe ich kaum gesehen, obwohl wir zusammen wohnen. Man, das war echt scheiße von mir.

Ich stütze mich mit den Unterarmen auf dem Tresen ab und sehe ihn versöhnlich an. »Was ist passiert?«

»Nichts«, sagt Matt und fährt sich dennoch gestresst durch die blonden Haare.

Wissend ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe. »Geht es um Misaki?«

»Wie kommst du denn darauf?«, antwortet er zwar gelangweilt, aber sein tiefes Seufzen, was gleich darauf folgt, verrät ihn.

»Hat sie sich endlich von ihrem Mann getrennt?«, frage ich, woraufhin Matt sich beinahe an seinem Kaffee verschluckt. Nicht aus Entrüstung, sondern weil er lachen muss.

»Du weißt genauso gut wie ich, dass sie das nicht tun wird. Also, was soll diese Frage?«

Demonstrativ rolle ich mit den Augen. »Okay, tut mir leid.« Er hat ja recht. Misaki ist 34 und seit zehn Jahren verheiratet. Das mit Matt hat ungefähr vor einem Jahr angefangen und seitdem haben die beiden eine Affäre. Das Problem an der Sache ist, dass Matt in der Zeit offensichtlich Gefühle für sie entwickelt hat, sie aber nicht. Sie lässt ihn manchmal so sehr an der langen Leine verhungern, dass ich Angst habe, dass diese unscheinbare Affäre sich doch noch zu einer toxischen Beziehung entwickeln könnte - zumindest für meinen besten Freund.

»Ich habe sie seit einer Woche nicht gesehen«, erzählt Matt nun doch, was ich nicht erwartet habe. »Sie sagt, sie hat viel um die Ohren und ich habe auch alle Hände voll zu tun.«

»Oh …«, mache ich, weil ich ihm ganz genau ansehe, wie sehr ihn das wurmt. Er will es nur nicht zugeben. Das will er nie.

Die Beiden haben sich auf einen von Matt’s Auftritten kennengelernt und es wurde ziemlich schnell sehr intensiv zwischen ihnen.

Ich habe Misaki ein paar Mal gesehen, wenn er sie am Abend mit nach Hause gebracht hat oder wenn sie am Morgen wieder unsere Wohnung verlassen hat. Ansonsten halten die beiden sich bedeckt, zeigen sich nicht zusammen in der Öffentlichkeit. Misaki hat zu viel Angst, dass ihr Ehemann von der Affäre erfahren könnte und Matt macht dieses Spiel mit, obwohl es ihn innerlich zerreißt. Ich weiß, dass er ein einziges Mal einen Versuch gestartet und sie gefragt hat, ob sie sich vorstellen könnte, dass das mit den Beiden etwas Ernstes wird. Daraufhin hat sie gelacht und gemeint: »Sei nicht albern, Matt.«

Sie dachte wohl, das wäre ein Scherz und dass Matt zu jung wäre, um das ernst zu meinen. Zugegeben, er ist nicht der Typ für eine feste Beziehung, zumindest bis jetzt nicht. Aber er hat es auch noch nie wirklich versucht. Er war noch nie richtig verliebt. Und dann kommt diese Misaki daher und verdreht ihm völlig den Kopf. Und ausgerechnet bei ihr hat er keine Chance, wo er doch sonst jede Frau mit Leichtigkeit erobert. Nur mit dem Unterschied, dass andere Frauen ihm nichts bedeuten. Was für eine Ironie.

»Ich habe dir schon oft gesagt, du sollst die Reißleine ziehen, bevor es zu spät ist«, ermahne ich ihn, als wäre ich sein großer Bruder, aber in Wahrheit mache ich mir nur Sorgen. Für ihn wäre es wirklich das Beste, wenn er einfach mit Misaki Schluss machen würde. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer so was sein kann.

Matt zischt verächtlich. »Dafür ist es doch sowieso schon zu spät.« Er trinkt seinen Kaffee in einem Zug leer und gießt sich danach gleich noch mal ein. Man, er sieht echt fertig aus. Die dunklen Ringe unter seinen Augen verraten mir, dass er mal wieder nicht viel geschlafen hat.

»Und wieso wächst dir die Band über den Kopf?«, hake ich weiter nach. Zum einen, weil es mich wirklich interessiert und zum anderen, weil ich das Thema »Misaki« nicht noch weiter vertiefen möchte.

»Ja, das ist gleich die nächste große Baustelle«, antwortet Matt seufzend. »Es ist nur … ich kümmere mich einfach um ALLES. Ich plane die Auftritte, handle die Gage mit den Veranstaltern aus, überarbeite die Verträge, kümmere mich um die Einnahmen und die Steuern. Ich organisiere und plane die ganze Zeit, mein Mail Fach platzt fast aus allen Nähten. Und zwischendurch kümmere ich mich auch noch um die Belange der Jungs, die ständig irgendwas haben. Wie soll ich es da noch schaffen, nebenbei Songtexte zu schreiben und zu komponieren? Das funktioniert nicht, wenn der Tag keine 48 Stunden hat.«

Ich senke den Blick. »Oh.« Jetzt verstehe ich. Das ist hart. Ich wusste immer, dass es viel Arbeit ist, die Band zu managen. Quasi ein schlecht bezahlter Full-Time Job.

»Wir spielen seit über einem Jahr dieselben Songs, wenn wir auftreten und so langsam wird es langweilig. Auch für die Zuschauer. In einigen Clubs brauche ich schon gar nicht mehr anfragen, weil sie mir sehr deutlich gemacht haben, solange wir nichts Neues bringen, wären wir nicht kompatibel. Man, du glaubst gar nicht, wie sehr mich das frustriert.«

Doch, glaube ich. Für einen kreativen Freigeist wie Matt muss es die Hölle sein, nicht das tun zu können, wofür er geschaffen wurde.

»Weißt du«, redet er ununterbrochen weiter und dreht dabei seine Tasse in der Hand. »Ich wollte immer einfach nur Musik machen. Nur das. Wie viel ich dabei verdiene, war mir egal. Ich wollte Songs schreiben und produzieren und mit den Jungs zusammen auf der Bühne stehen. Jetzt mache ich alles andere, nur das nicht. Wir haben zwar heute Abend einen Auftritt, aber … es fühlt sich nicht mehr gut an. Es fühlt sich an, als würde ich in der ganzen Arbeit ersticken. Als wäre ich in einer Spirale gefangen. Die Leichtigkeit, wenn ich auf der Bühne stehe und spiele und singe … sie ist einfach weg. Weil ich die ganze Zeit nur im Kopf habe, ob ich auch ja alle Mails beantwortet habe. Ob es noch Verträge auszuarbeiten gibt. Ob auch alle für den Auftritt unterschrieben haben. Oder ob die Versicherung bald ausläuft. Das ist doch Bullshit!«

Die letzten Worte schreit er fast heraus, aber ich weiß, er schreit nicht mich an. Er schreit sich den Frust von der Seele und das ist okay. Ich war in letzter Zeit so wenig für ihn da, dass ich sofort ein schlechtes Gewissen bekomme.

»Das tut mir leid«, sage ich betreten.

Matt winkt ab. »Du kannst ja nichts dafür.«

Ich lege den Kopf schief und denke nach. »Nein, aber … vielleicht kann ich dir helfen.«

Halb belustigt, halb ungläubig sieht Matt mich an. »Und wie willst du das anstellen? Nichts für ungut, Tai, aber du hast momentan sicher selbst genug Probleme am Hals.«

Autsch. Ja okay, das stimmt.

»Oh, nein, so war das nicht gemeint«, rudert Matt sofort zurück, doch ich schüttle nur den Kopf.

»Schon gut. Aber ich denke wirklich, dass ich dir helfen kann. Zumindest hätte ich eine Idee, wie du dir diese ganze lästige Arbeit vom Hals halten kannst. Du brauchst eine Assistentin.«

Kurz ist es still. Dann beginnt Matt zu lachen.

»Machst du Witze? Und wer soll die bezahlen?«

»Du sagst doch selbst, dass du keine Zeit mehr hast, um neue Songs zu schreiben und ihr daher weniger Auftritte habt. Wenn du wieder mehr Zeit hast, kannst du neue Songs schreiben, also hättet ihr auch wieder mehr Auftritte. Ergo: du hättest mehr Geld zur Verfügung.«

Jetzt legt Matt den Finger ans Kinn, um ernsthaft über meinen Vorschlag nachzudenken. »Das klingt nach ziemlich viel Risiko. Was ist, wenn es nicht gut läuft und ich sie oder ihn nicht bezahlen kann?«

Ich zucke mit den Schultern. »Dann fragst du eben erst mal einen Freund, ob er dir für ein, zwei Monate aushelfen würde und bezahlst ihn, sobald du das Geld hast.«

Matt’s Augen weiten sich, bei dieser Idee und er sieht mich hoffnungsvoll an, als er den Mund öffnet.

»Oh nein, nicht mich, Idiot!«, werfe ich gleich dazwischen, bevor er überhaupt nur daran denkt, mich zu fragen. »Ich habe echt keine Zeit, um dir zu helfen. Auch, wenn ich es liebend gerne tun würde. Ich dachte da an jemand anderen. Ich dachte an Mimi.«

Matt nippt an seinem Kaffee, nur, um ihn danach wieder in die Tasse zurück zu spucken.

»Mimi? Ist das dein Ernst?«

»Wieso nicht?«, entgegne ich. »Sie ist klug, leidenschaftlich, motiviert und auf der Suche, nach einer neuen Aufgabe. Soweit ich weiß, hat sie die bis jetzt noch nicht gefunden. Die Stelle im Café hat sie sowieso nur aus der Not heraus angenommen, aber Spaß macht es ihr nicht. Sie wäre perfekt dafür.«

Andächtig zieht Matt eine Augenbraue in die Höhe. »Ich weiß ja nicht. Sie hat nicht wirklich viel Ahnung vom Musikbussiness. Andererseits hat sie uns neulich schon aus der Patsche geholfen und uns Instrumente besorgt, das war ziemlich pfiffig von ihr. Und sie hat sich von dem Typen im Musikgeschäft nicht übers Ohr hauen lassen und einen guten Preis für uns rausgeschlagen.«

Keine Ahnung, was er mit 'aus der Patsche geholfen' meint, aber ich frage auch nicht weiter nach. Ich würde mich für Mimi freuen, wenn sie endlich einen Job hätte, der ihr das Gefühl gibt, gebraucht zu werden. Ich könnte mir vorstellen, dass es ihr sogar ziemlich viel Spaß machen würde. Schon damals in der Schule war sie ein Organisationstalent. Und dieses Talent ist in diesem Café eindeutig verschwendet.

»Okay, ich frage sie«, meint Matt zu meiner Überraschung ganz kurzentschlossen und will nach seinem Handy greifen. Dann verzieht er das Gesicht. »Mist, Akku leer.«

Ich verdrehe die Augen, gehe in mein Schlafzimmer und komme mit einem Ladekabel wieder, welches ich ihm in die Hand drücke.

»Du willst mich verarschen«, sagt Matt.

»Welcher Mensch hat nur ein Ladekabel zu Hause und welcher Mensch kommt nicht auf die Idee, bei seinem Mitbewohner im Zimmer nachzusehen, ob der noch eins hat? Wir haben dasselbe Handy, du Idiot.«

»Ich wollte nur deine Privatsphäre nicht verletzen«, meint Matt daraufhin grummelnd, nimmt das Ladekabel jedoch trotzdem dankend an. Er steckt es an sein Handy an und ich zeige mit dem Finger darauf.

»Ruf sie an. Sie wird ganz sicher ja sagen.«

Matt nickt und ich gehe in mein Zimmer, um mich etwas auszuruhen. Blitzartig ist meine Laune um ein Vielfaches gestiegen. Wie merkwürdig. Ich brauche anscheinend nur an Mimi denken und schon geht es mir wieder gut. Und wenn ich ihr jetzt noch helfen kann, einen neuen Job, vielleicht sogar eine neue Herzensaufgabe zu finden, dann war der Tag zumindest nicht komplett umsonst.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Hallostern2014
2022-09-26T19:06:50+00:00 26.09.2022 21:06
Huhu Liebes ❤

Das Kapitel ist echt toll 😍

Obwohl, Dora hätte gerne noch länger auf dem WC bleiben können..

Tai endlich bis du misstrauisch geworden. Das Baby ist ja auch nicht von dir. Das wird auch der Test zeigen wenn du ihn machst. Leider wird Sora wohl wirklich erst bis Nach der Geburt warten. Es sei denn, er bekommt es vorher raus. Das sein Verdacht stimmt. Das Sora auch gleich Mimi einbezieht ist echt krank von ihr. Nur schnell ablenken..Das sie auch es nicht wahr haben will, dass sie nur ein ersatzt war. Wie sie wieder von dem Verdacht abbringen will. Natürlich kann er keine Lüge sehen. Weil sie krank ist und ihre Rolle perfekt spielt. Schade das Tai sich auf ein Fremdes Kind freut 😭. Es wird ihn so kaputt machen..Wenn die Wahrheit raus kommt..

Matt 🤣. Jetzt wissen wir warum er sich nicht bei Mimi gemeldet hat. Er konnte es einfach nicht. Zum Glück hat Tai sein Zögern nicht gemerkt. Wenn er wüsste...😭.
Oha, aber da hast du jetzt was raus gehauen. Matt ist verliebt? Und hat mit dieser eine Affäre..Oh man der Arme. Dann wird er auch noch nicht ernst genommen von der.. Jetzt wissen wir auch warum er sich das Tattoo stechen lassen hat..Und wieso er sich auf Mimi eingelassen hat. Weil beide fast in der Selbe Situation stecken.. beide sind in jemanden verliebt.. bei Tai wissen wir zwar das er Mimi auch liebt..aber es Dank der Krankeperson gerade alles schwer ist. Und Matt wurde von seiner Flamme verletzt. Er tut mir gerade etwas leid..

Tais Idee finde ich klasse. Matt braucht echt Hilfe..Und Mimi ist die beste Wahl. Schade, dass beide so viel Angst haben sich bei den anderen jeweiligen zu Melden... Ich glaube Tai sofort das er Mimi gerne geküsst hätte als er sie gesehen hat. Aber ich glaube Mimi hätte sofort abgeblockt immerhin hatte sie ja da mit Matt geschlafen. Dennoch bin ich dafür das Tai sich bei Mimi melden sollte. Vielleicht kann sie ihn ja mit Kari helfen. Denn wenn seine Mutter um Hilfe bittet heißt es nichts gutes. Und beide könnten sich dann auch aussprechen.

Ich bin gespannt wie Mimi reagieren tut wenn Matt sich aufeinmal meldet.. freue mich schon aufs nächste Kapitel.

😍❤
Von:  Linchen-86
2022-09-26T18:59:59+00:00 26.09.2022 20:59
Hero.

Aber fangen wir nochmal von vorne an.
Sora ist so ein Miststück... Tai hat einen richtigen Riecher... Ich meine mal gesehen zu haben, dass es noch eine andere Möglichkeit gibt. Ich meine wie weit ist sie denn???

Hm na ja, spätestens wenn das Kind da ist, braucht er nicht ihre Zustimmung und ich würde es tatsächlich sofort machen. Es ist sein gutes Recht. Gewissheit zu haben, egal wie es ausgeht.

Und Matt, oh no, echt das Akku war leer:D so simpel also...
Und who the fuck is Misaki? :D
Er hatte also 1 Jahr lang eine Affäre mit einer älteren Frau. Also das hätte ich jetzt nicht erwartet und man er hat ja echt kein Glück. Auch ohne sie zu kennen, in Ländern wie Japan ist eine Affäre schon ein krasses Vergehen und als Frau würde sie quasi ihr Gesicht verlieren. Also hat Matt absolut keine Chance...

Und dass das mit der Band zuviel für ihn wird, war mir klar... Und ich fand das Mimk gleich das Potenzial zur Managerin hat. Das wird sie super machen und wie süß war das von Tai bitte?

Dass er da so an sie denkt und so beiden Freunden hilft. Richtig schön, dass er Mimi weiterhin hilft, auch ohne nur ein Wort miteinander zu reden. Immer noch so traurig.

Aber Mimi braucht eine Aufgabe, mehr als nur ihren Vater versorgen oder im Cafe zu kellnern.

Also dann, nächstes bitte:)


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