Zum Inhalt der Seite

Road Trip through Hell

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Zagreus’ Gemächer


 

Als er vor dem Salon auftauchte, sah er nur noch, wie ein großer, roter Schemen in Zagreus’ Gemächern verschwand. Ebenso rote Flusen folgten ihm. Irgendwas klirrte.

Zagreus, der mit qualmenden Füßen neben ihm zum Stehen kam, verzog das Gesicht.

“Das waren die Hanteln.”

Seiner Meinung nach konnte sein Freund froh sein, dass es nur die Dinger waren und nicht etwa die Wahrsageschüssel, die Leier oder eine der dutzend anderen Stolperfallen, die Zagreus “Dekor” nannte.

“Bist du dir sicher, dass du ihn in dein Zimmer lassen solltest?”

Zagreus warf einen Blick zum Eingang seiner Kammer und runzelte die Stirn. 

“Irgendwie müssen wir doch hier rauskommen.”

Zur Antwort zog Thanatos die Augenbrauen hoch.

“Wir könnten den Garten nehmen”, schlug er vor. “So wie alle anderen auch.”

Statt begeistert zu nicken wurde Zagreus ungewohnt blass.

“Ähm … nein.”

“Warum nein?”, fragte Thanatos. “Ich bin mir sicher, Kerberos mag den Garten.”

Zagreus schluckte.

“Oh, das tut er. Sehr-”, begann er. Mit einer fahrigen Geste strich er sich durchs kohlrabenschwarze Haar. Er hätte niedlich dabei gewirkt, klänge er nicht so, als säße ihm noch eine Standpauke im Nacken. “Beim letzten Mal hat er sich in Mutters Mohn gewälzt.”

“Oh.”

“Anschließend hat er ihre Hyazinthen aus- und ihre Pflanzschaufel eingegraben und ist danach in den Styx gesprungen.”

Oh … richtig. 

Thanatos war selbst nicht vor Ort gewesen, doch er hatte Dusa putzen gesehen. Pfotenspuren tauchten vor seinem inneren Auge auf, Fellbüschel und irgendwas, das nach einer zertretenen Blume ausgesehen hatte. Der ganze Saal hatte geschwommen.

“Und dann ist er, wie er war, einmal durch das ganze Haus, oder?”

Zagreus nickte klamm.

“Er hat sich vor Vaters Schreibtisch geschüttelt und sich dann auf den Rücken gerollt, damit er ihn streichelt.”

Das erklärte, warum in einer seiner Dieser-unmögliche-Bengel-Tiraden von Kerberos die Rede gewesen war. Nicht, dass Kerberos seinen Lieblings-Prinzen brauchte, um Unsinn anzustellen und danach um Leckerchen zu betteln, als könne er kein Styxwasser trügen. Thanatos erinnerte sich an den Bettelblick. Und an den Salon, den er nach dem letzten dieser Blicke wohlweislich nicht mehr betreten hatte.

Unwillkürlich warf er einen Blick über seine Schulter. Abgesehen von einer Reihe neuer, plüschiger Sofas, die niemand benutzte, konnte er nichts ungewöhnliches erkennen. Auch das rhythmische Tschakk-Tschakk-Tschakk!, mit dem der Chefkoch schnitt, was auch immer Zag zuletzt aus dem Styx gezerrt hatte, ließ auf kein neues Kerberos-Desaster schließen.

“Jedenfalls war niemand begeistert. Nicht einmal Hypnos.” Zagreus blickte zum Tor, das in den Garten führte, als erwartete er schlechte Nachrichten. “Mutter ist ihm nicht mehr sauer. Du kennst sie. Sie kann ihm nicht böse sein. Aaaaaber er hat Gartenverbot. Für beide Gärten. Und-”

Und Kerberos mochte keine Standpauke zu hören bekommen - Zagreus schon.

Thanatos nickte.

“Fein”, entschied er. “Lass uns-”

“Whoah!”

Der Schrei war laut genug, um jedes seiner Worte zu übertönen. Thanatos blinzelte. Kurzzeitig fragte er sich, warum die Panik, die mitschwang, so seltsam klang. Ein lautes “Wheeee!” später beschlich ihn die Ahnung, dass das gar keine Panik war. Schlimmer noch: Die Stimme kam ihm bekannt vor.

Und sie kam eindeutig aus Zagreus’ Gemächern. 

Sie drehten sich beide dem Gang zu, der zu Zags Kammer führte. Thanatos zog die Augenbrauen hoch. In seinem Augenwinkel tat Zagreus es ihm gleich. Sie tauschten einen Blick.

“Was ist das?”, fragte Thanatos, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er die Antwort wissen wollte. Er kannte den Klimbim in diesem Zimmer und wenn das Zeug jetzt auch noch ein Eigenleben entwickelte-

Als Antwort verdrehte Zagreus die Augen. “Skelly.”

Thanatos runzelte die Stirn. Skelly? Skelle-

Urgh. Richtig.

Daher kannte er die Stimme. Zagreus’ masochistischer Knochenberg von einem Nachbarn.

“Dieses Skelett?”

Zag nickte und sagte: “Genau -” 

“Ja, gibs mir!”

Sein Freund verschränkte die Arme vor der Brust. Demonstrativ verdrehte er die Augen. “das.” 

“Heyoooo!” 

“Am Besten, du igno-” 

“Ah! mein Oberschenkelknochen!” 

“-rierst ihn einfa-”

“Das steht nicht in meinem Arbeitsvertrag!” 

Zagreus beendete seinen Satz nicht und das nicht nur, weil dieses verdammte Skelett nicht zu ignorieren war. Erneut tauschten sie einen Blick. Sein Freund riss die Augen auf. Einen Moment später fiel der Obol auch bei Thanatos.

Richtig. Skelly war nicht allein.

Ein Grollen übertönte den nächsten, spitzen Schrei. Es klang aufgeregt.

Zagreus reagierte zuerst.

“Kerberos!”

Thanatos folgte seinem Freund - und dem leichten Geruch nach Rauch, den seine Füße hinterließen - durch das Schlafgemach und in die Kammer dahinter. Über Zagreus’ Schulter hinweg konnte er das Skelett ausmachen. Es hatte beide Arme in die Hüften gestützt und hüpfte auf einem Bein.

Das andere Bein hing zwischen Kerberos Zähnen. Der Wächter der Unterwelt wackelte mit dem Schwanz.

“Gib das sofort zurück!”

Einer von Kerberos Köpfen - der, der gerade nicht damit beschäftigt war, an einem der Knochenenden zu zerren - bellte.

“Kerberos!”, rief Zagreus und trat vor. “Aus!”

Kerberos dachte nicht an Aus!. Einer seiner Köpfe zerrte an der Ferse, ein zweiter am Oberschenkelhals und der dritte hechelte aufgeregt. Die Knochen knackten bedenklich.

Hilflos warf Zag ihm einen Blick zu. Thanatos blickte ebenso hilflos zurück.

“Das war die Fibula”, wimmerte das Skelett.

All das beeindruckte Kerberos nicht. Es knackte wieder.

“Und das die Patella.”

“Kerb! Spuck das sofort aus-!” Noch halb im letzten Wort drehte Zagreus sich um. Einen Augenblick lang starrte er das Skelett an. Furchen zogen sich durch seine Stirn, fast so, als hätte man ihn im Arbeitszimmer seines Vaters ausgesetzt. “Skelly? Was sind das eigentlich für Begriffe?”

“Ist doch egal! Tu was, Boyo!”

Zagreus warf erst Skelly und dann Kerberos einen skeptischen Blick zu. Seine Augen glitten zu den Waffen, die am anderen Ende des Raumes auf ihn warteten. Keine davon sah Hunde-geeignet aus. Er schluckte.

Thanatos konnte ihm förmlich dabei zusehen, wie er einen Plan nach dem anderen verwarf. Schwert? Nein. Bogen? Nein. Schild? Nein. Speer - Nein. Am Ende hielt Kerberos den für ein überdimensionales Stöckchen.

Schlussendlich atmete Zagreus tief durch - und stürzte sich mit bloßen Händen auf den Wächter der Unterwelt. Als hätte selbiger nur darauf gewartet, spannte Kerberos seinerseits die Muskeln an. Wie ein sehr roter, sehr klobiger Blitz katapultierte er sich durch die Kammer.

Alles bebte.

Irgendwie bekam Zag den Oberschenkelknochen zu fassen. Wie ein Kuscheltier wurde er mitgeschliffen.

“Gib - AU! - das - ARGH! - sofort her!”

Kerberos bellte und wackelte freudig mit der Rute. Die Bewegung schickte Sturmböen durch den ganzen Raum.

Thanatos störten die Böen nicht. Als Gott des Todes stand er über solchen Dingen. Das Skelett jedoch stolperte zurück. Mit rudernden Armen hüpfte es nach hinten. Einmal, zweimal -

Knochige Finger vergruben sich in Thanatos’ Chiton. Einen Wimpernschlag später hing Skelly wie ein nasser Sack an ihm.

“Uff!”, verkündete das Skelett. “Danke, Kumpel.”

Thanatos starrte zurück.

Sterbende Menschen waren ihm lieber. Verdammt, normale Schatten waren ihm lieber. Erstere fürchteten ihn und … letztere fürchteten ihn auch. Die meisten hielt das automatisch auf Abstand.

Skelly dagegen machte keine Anstalten, loszulassen.

Er hörte Zag japsen und im Augenwinkel konnte Thanatos sogar sehen, wie Kerberos seine Beute mitsamt Prinzen schüttelte, doch sein Blick hing an Skelly. Diese großen, roten Augen waren ihm eindeutig viel zu nah.

“Uh”, sagte Skelly, während Zagreus hinter ihm durch die Kammer rollte. “Du bist doch der Tod, oder?”

Kerberos bellte auffordernd, doch Thanatos war damit beschäftigt, zurückzustarren. Argwöhnisch beobachtete er jede Bewegung des Skeletts. Wie es sich aufrichtete und seine Finger dabei noch etwas fester in seinen Chiton verhakte. Wie es ihn musterte.

“Jep, eindeutig”, entschied Skelly, während Zag sich erneut auf Kerberos stürzte. “Gib’s mir!”

“Entschuldigung?!”

Irgendwo hinter Skelly bekam Zag etwas zu fassen, das Knochen sein musste.

“Bring mich um!”

Thanatos legte den Kopf schief.

“Du hast mich schon verstanden, Bursche! Zieh mir eins über! Mit der Sense da!”

Bei seiner Arbeit waren es nicht die Sterblichen, die ihn um mehr Zeit anflehten, die ihn irritierten. Thanatos wusste, er sollte Fragen stellen. Er wusste auch, dass Zag von ihm erwartete, Fragen zu stellen. Doch da waren immer noch diese roten Augen, die ihn aus ihren Höhlen heraus anstarrten, und die Fingerknochen, die wie Zangen an seinem Chiton hingen.

“In Ordnung.”

Thanatos spürte den Faden, der Skellys Existenz mit seinem Körper verband. Ein dünnes Band, rau, dehnbar und mit einem Zahn zu wenig. Er stank nach Styx.

Er fasste nach der Sense. Lavendelfarbenes Licht folgte seinem Griff. Bedächtig nahm er einen tiefen Atemzug und zählte bis drei. 

Es war leichter bei Schatten. Ihr Weg war … kürzer. Das machte ihre Bindungen flüchtiger.

Alles, was blieb, waren Ascheflecken auf seinem Chiton.

Am anderen Ende der Kammer bissen Hundezähne aufeinander. Etwas, das entweder ein nasser Sack oder Zag war, fiel mit einem dumpfen Schlag zu Boden. 

Thanatos löste den Blick von seinem Chiton und sah auf. Von seinem Freund erkannte er kaum mehr als die lodernden Füße. Alles andere verschwand hinter drei witternden Hundeköpfen.

“Skelly?” Zagreus’ Hand streckte sich tastend an Kerberos’ linker Nase vorbei. “Ich glaube, dein Fuß ist weg.”

“Nicht nur der”, warf Thanatos ein. In seinen Fingern juckte der Drang, an den Flecken herumzuwischen. Er schluckte ihn hinunter. Wenn er nicht an ihnen wischte, bemerkte Zagreus sie vielleicht nicht einmal. 

“Nicht nur-?” Zagreus hielt inne. Vermutlich sah er sich in der Kammer um. Vielleicht erahnte er sogar ein paar Ascheflocken. Sehen konnte Thanatos das hinter Kerberos, der seine mittlere Nase gerade unter Zags Chiton zu vergraben schien, nicht. “Oh.”

“Er wollte es so.”

Zagreus’ schwarze Locken - oder das, was er von Ihnen sehen konnte - nickten. Entweder das oder Kerberos schubste den Kopf seines Freundes beim Schnüffeln durch Hundespeichel. Potentiell beides.

“Uh, ja - Hör auf, mich vollzusabbern, Kerb - Das klingt nach ihm.”

Der Wächter der Unterwelt fiepte. Dreistimmig.

Thanatos hätte das zum Anlass genommen, den übertrieben traurigen Blick zu hinterfragen, der damit sicher einher ging. Doch Zagreus war nicht Thanatos.

“Hey, was ist denn mein Junge? So hab ich das nicht gemeint!” Zag hob seine Hand, um den Kopf zu streicheln, der ihm am nächsten war. “Oh, vermisst du deinen Knochen? Keine Sorge, Skelly kommt bald wieder!”

Thanatos öffnete den Mund. War es bei dem ganzen Drama nicht darum gegangen, dass das nicht Kerberos’ Knochen war?

Ugh. Zag.

Einen Moment lang hoffte er, dass das Skelett klug genug war, um sich von ihnen fernzuhalten. Zumindest, bis sein Oberschenkelknochen in Sicherheit war.

Dann erinnerte er sich daran, dass dieses Skelett nicht fürs Denken bezahlt wurde.

Missmutig knirschte er mit den Zähnen.

“Wollten wir nicht gehen?”

Einen Moment lang wusste er nicht, ob Zagreus ihn gehört hatte. Sein Freund hatte seine Finger immer noch in Kerberos’ Fell und nuschelte irgendwas, das sich verdächtig wie “Guter Junge!” anhörte. Schließlich hielt er aber doch noch inne. “Oh, richtig!”, verkündete er und rappelte sich auf. “Komm, Kerb! Wir suchen dir einen neuen Knochen!”

Kerb wuffte zustimmend.

“Wer zuerst im Tartarus ist!”, rief er und schlitterte mit qualmenden Füßen an Thanatos vorbei. Mit einem Satz sprang er durch den Bogen, durch den er sonst immer floh. Kerberos jagte hinterher.

In Thanatos’ Nacken kribbelte eine dunkle Vorahnung.

“Nein”, grollte er. Er konnte förmlich hören, wie die Stimme in seinem Nacken beim Luftholen innehielt. 

“Sag nichts”, fuhr er fort. “Nichts über die Asche in meinem Chiton. Nichts über meinen Prinzen. Und vor allem nichts über mein Urteilsvermögen. Verstanden?”

Er konnte die Stimme nicht nicken sehen, aber er hörte sie schlucken. Für einen Moment war es beinahe unheimlich still. Nur Hades’ Stimme, der im großen Saal nach dem nächsten Schatten rief, dröhnte dumpf durch die Mauern.

 
 

Und mit diesen Worten folgt der Gott des Todes Prinz Zagreus hinab in den Tartarus …

 



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück