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Die Gefühle, über die wir nicht reden

von

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Apfel

Kornheim war der Stadtteil, der gern als das Herzstück dieser Stadt beschrieben wurde, vielleicht aus dem Grund, weil er die höchste Kneipendichte aufwies. Alle Häuser dieser Straße waren mit Graffiti besprüht, so auch die Backsteinfassade des Hauses am Ende der Straße. Die Haustür stand bloß angelehnt, also schlüpfte ich hindurch. Ein muffiger Geruch nach Altbau empfing mich. Nach dem Klingeln an Sandros Wohnungstür wartete ich ab, mein Herz schlug mir bis zum Hals. Erst bemerkte ich drinnen Licht, dann hörte ich Schritte und ein Schatten war hinter den bunten Glasscheiben erkennbar. Nun gab es kein Zurück mehr.

„Hallo“, krächzte ich, als die Tür geöffnet wurde und Sandro vor mir stand, ganz in Schwarz gekleidet, ein gewohnter Anblick. Sofort huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

„Hey. Hast dich ja doch getraut. Komm rein, zieh bitte die Schuhe aus.“ Ich tat, wie mir geheißen, folgte ihm auf quietschenden Dielen in den kleinen Flur.

Meine billige olivgrüne Steppjacke nahm er mir ab und hing sie auf einen Holzbügel an der Garderobe, mehr Ehre als ihr gebührte.

Ich schlüpfte aus meinen Chucks mit den abgelaufenen Sohlen, dem Loch an der rechten Ferse und den mittlerweile grau gewordenen und zerfaserten Schnürsenkeln. Schuhe waren wirklich Letzte, um das ich mir vor diesem Besuch Gedanken gemacht hatte.

„Diese Unterschriften…?“, bemerkte Sandro, als er die Edding-Krakel auf den einst weiß gewesenen Schuhspitzen inspizierte.

„Sind von Jo, Chris und Marie. Meine besten Freunde. Sollte mir Glück fürs Abi bringen.“

„Und, hat es das?“

„Naja. Hätte mehr lernen können“, gab ich zu und er grinste.

Dann öffnete er die Tür, die zum Wohnzimmer führte. Hier dominierte ganz sandro-like die Farbe Schwarz aber auch Rot, und es wirkte edel und gemütlich, aber... Auf dem Ohrensessel vor dem Flachbildschirm saß in einem schwarzen T-Shirt mit dem Rolling Stones Logo der Bassist seiner Band!

„Oh, du hast Besuch heute?“ Deutlich hörte man die Enttäuschung aus meiner Stimme heraus.

„Nein, Tilmann ist mein Mitbewohner. Sorry, habe ich vergessen, zu erwähnen. Tilmann, das ist Dominique, er war schon ein paarmal im QUAKE, und mag unsere Musik.“ Der zweite Teil davon stimmte mitnichten, doch hier und jetzt wollte ich ihn ungern korrigieren.

Tilmann brummte etwas, das in seinem dichten Vollbart verschwand. Der horizontal geteilte Bildschirm zeigte den Pausenmodus eines sehr alten, grobpixeligen Videospiels im 3:4 Format an. Zwei graue Controller mit bunten Knöpfen waren in die Konsole eingestöpselt. Wie eine Zeitreise in die Vergangenheit.

„Setz dich doch, und wundere dich nicht, wir waren gerade mitten in einem Videospiel, ein Ego-Shooter mit Multiplayer-Modus aus den Neunzigern, das auf einem weltberühmten Geheimagenten basiert. Es ist also in mehrfacher Hinsicht paradox. Tilmann konnte auf dem Flohmarkt neulich nicht dran vorbeigehen.“

Sandros Zigarettenschachtel lag griffbereit auf dem Glastisch, neben mehreren Fernbedienungen, einem Handy, einem Brillenetui und zwei leeren Dosen Rockstar Energydrink. In der Mitte des Tisches stand eine Schale mit quietschgrünen Äpfeln, doch die dürften die Auswirkungen des Rauchens auch nicht wettmachen. Ich entschied mich ebenfalls für Energydrink, als mir Sandro etwas zu trinken anbot und er machte sich auf zu der winzigen Küchenzeile hinter dem Sofa.

Ich schaute ihm hinterher, ob er mir vielleicht ein geheimes Zeichen machte, aber nichts dergleichen geschah. War es etwa nicht klar gewesen, was ich mit meinem Besuch beabsichtigt hatte? Hatte ich mich umsonst verrückt gemacht, die drei Tage lang? Verständlich, dass Sandro nicht Däumchen drehte, während er auf mich wartete, aber wollte er mich wirklich nötigen, jetzt dieses öde Videospiel mitzuspielen? War ich für ihn etwa der Hetero, der bloß eine platonische Freundschaft zu einem Hobbygitarristen suchte, und zum Zocken vorbeikam? Das wäre echt traurig, wenn wir so sehr aneinander vorbei kommuniziert hätten, und ich mir diese gewisse Magie zwischen uns nur eingebildet hatte…

Sandro reichte mir die kühle Dose und setzte sich neben mich. Die Enttäuschung musste mir ins Gesicht geschrieben stehen. Ein Zeichen, nicht einmal ein kleines Zeichen. Ich lehnte mich also zurück, nahm einen Schluck, und schaute zu, wie sie ihr Spiel wieder fortsetzten. Dass er sich mit seinem Bandkollegen Tilmann nicht nur eine Wohnung teilte, sondern auch so gut mit ihm befreundet war, dass er seiner Nähe ganz er selbst sein konnte und auch mich nicht vor ihm versteckte, imponierte mir.

Beide Figuren rannten mit Pistolen bewaffnet durch eine Art Lagerhalle. Plötzlich explodierte etwas in orangefarbenen Wolken, und Sandros Spielfigur ging zu Boden, während Blut über seine Bildschirmhälfte floss.

„Was war das?“, fragte ich.

„Minen. Das ganze gottverdammte Level ist vermint, und wenn man sich einer nähert, geht sie hoch“, kommentiert Sandro.

„Vier zu null, Xenia. Das kannst du nicht mehr aufholen“, meldete sich Tilmann zu Wort.

„Tilmann. Du blamierst mich vor meinem Fan.“

„Was soll ich tun, dich absichtlich gewinnen lassen?“

„Natürlich nicht! Aber ich versichere dir, Dominique, dass ich dieses Spiel zum allerersten Mal spiele.“

„Für dein erstes Mal stellst du dich gar nicht schlecht an“, raunte ich ihm zu. Der Seitenblick, den er mir daraufhin zuwarf, war nicht mit Worten zu beschreiben und ich musste mir ein Lachen verkneifen. Einige Sekunden hielten wir Blickkontakt. Alle meine Zweifel von vorhin wurden weggefegt. Dass wir abgelenkt waren, nutzte Tilmann, um sich mit einem gezielten Schuss auf Sandros Figur das 5:0 zu sichern, und abermals floss Blut über Sandros Bildschirmhälfte und das Spiel war beendet.

„Tja, verloren…“, verkündete Sandro mit gespielt trauriger Stimme.

Ich stellte meine Dose auf den Tisch und ergriff Sandros Controller, sowie seine Hand, die ihn festhielt.

„Lass mich dich rächen. Aber ohne Minen, nur Knarren.“

„Hm? Glaubst du, dass du eine Chance gegen Tilmann hast?“ Seine Finger hatte er nicht einen Millimeter bewegt. „Das Spiel ist älter als du!“

„Na und?“

„Okay, zeig, was du drauf hast.“ Sandro überließ mir den Controller, nahm die Hände erst weg, als ich ihn zu mir gezogen hatte, und wir kamen uns so nah, dass mich sein Atem streifte. Gänsehaut pur! Oh Mann, was stellte er mit mir an?!

Tilmann stellte im Menü die Waffen und den Schwierigkeitsgrad ein und startete ein neues Spiel.

Die Steuerung war ungewohnt, ich musste erst reinkommen, mich in dem 3D-Labyrinth zurechtfinden. Im Grunde war ich nur ein Gelegenheitszocker, wann immer Jo mich mal dazu überreden konnte. Sandro, nun nur noch Zuschauer, saß mit verschränkten Armen da, den Blick auf den Bildschirm geheftet, wo eigentlich noch gar nichts passierte. Zuerst mussten wir eine Waffe im Level finden, und danach uns gegenseitig.

„Ich bin gleich wieder da, macht nur weiter“, verkündete Sandro jetzt und erhob sich geschmeidig von der Couch, nicht ohne, dass ich ihm hinterherschaute. Ich blieb alleine mit Tilmann zurück. Könnte dem emsig Schweigenden jede Frage über Sandro stellen – ob er sie mir beantwortete, stand auf einem anderen Blatt.

Nein, ich traute mich definitiv nicht, ihn über Sandro auszuquetschen, dafür war ich zu schüchtern. Nicht bei seiner Quatsch-mich-nicht-voll-Aura, die er verströmte.
 

Es stand bereits drei zu eins für Tilmann, als Sandro zurückkam und in unser Gespräch über Videospiele platzte, doch er machte keine Anstalten, sich wieder dazu zu setzen. „Da bin ich wieder.“

„Hmhm“, murmelte ich abwesend, ganz ins Spielgeschehen vertieft. Ich musste auf der Hut sein, denn ein einziger Schuss würde mich umbringen.

„Dominique. Sieh mich an“, forderte Sandro mich im Flüsterton auf. Also schaute ich kurz vom Bildschirm auf, über meine Schulter. Wow. Er hatte sich in der Zwischenzeit geschminkt, so wie auf der Bühne. Einzig für mich, das stand außer Frage. Er brachte mich ziemlich aus der Fassung, was er amüsiert zur Kenntnis nahm.

„Magst du meine Gitarre sehen?“

„…Ähh“, machte ich genauso überrumpelt wie unschlüssig. Meinte er das jetzt wortwörtlich? Nach dem Videospielen noch eine kurze Gitarreneinheit? Wäre ihm zuzutrauen. Tilmann hatte mich schon wieder erschossen, sich meine Ablenkung zunutze gemacht. Ich gönnte ihm den Sieg und erhob mich.

„Gibst du mir einen Apfel?“, bat Sandro, die Hand ausgestreckt, also angelte ich von der Schale auf dem Tisch einen am Stiel.

Behutsam manövrierte er mich in den Flur hinaus, weg von Tilmann, der etwas hüstelte, das sich wie „dünne Wände“ anhörte, die nächste Tür in sein Schlafzimmer hinein.
 

Hier sah es biederer aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Da wo das Bett stand, war ein Raumtrenner mit dunklen Lamellen angebracht, das keinen Blick darauf erlaubte. Doch allein durch die Anwesenheit seines Bettes lag eine eigenartige Spannung in der Luft.

Ein deutliches Knirschgeräusch war zu vernehmen, als er in den Apfel hineinbiss, ganz nah bei mir, und ich zuckte zusammen, so sehr stand ich unter Spannung. Sein Kauen war in der Stille gut zu vernehmen.

„Sag mal. Die Frage ist jetzt vielleicht etwas äh… dreist…“

„Hm?“, fragte er mit vollem Mund.

„Wollt ihr groß rauskommen, irgendwann? Berühmt werden?“

Er prustete los. „Das steht doch gar nicht zur Debatte.“

„Warum nicht? Ich verstehe leider gar nichts von Musik und Produzenten und so. Aber mich interessieren deine Ziele. Und Träume. Wenn du die freie Wahl hättest.“ Während ich redete, schaute ich mich weiter um im Zimmer. Die Gitarre entdeckte ich nicht, aber dafür zogen die Musikalben meinen Blick auf sich. Mit ihren Covern voran lehnten sie nebeneinander, auf einem besonders schmalen Brett, was sehr schön aussah. Kreuz und quer durch das Rock-Genre, bekannte Bands und weniger bekannte. Schwarzes, Düsteres, aber auch Buntes dazwischen.

„Niemals werde ich ins Showbusiness einsteigen. Dazu hätte ich auch gar nicht die Nerven dafür. Meine Lieblingsmusiker hat der Ruhm das Leben gekostet, so will ich nicht enden.“

Ich verweilte etwas länger an einem ganz bestimmten CD-Album. „Ich hätte nicht gedacht, dass du Eminem-Fan bist.“

„Fan, würde ich es nicht ausdrücken, aber es tut manchmal gut, ihn zu hören“, sagte er nur kryptisch und ich ließ den Blick weiter schweifen, über die Hülle eines signierten Albums, auf dessen Cover die Bandmitglieder abgebildet waren, dicht zusammenstehend, mit freien, behaarten Oberkörpern, provokant in die Kamera schauend. Das war schon viel mehr Sandro.

„Magst du die hören?“

„Nein!“, sagte ich eine Spur angewiderter als beabsichtigt. „Ich brauche jetzt keine Musik.“

Langsam ging er die paar Schritte auf mich zu, stellte sich so dicht vor mich, dass ich die Hitze seines Atems im Gesicht spürte. Seine Worte fast nur ein Flüstern: „Was brauchst du denn dann?“

Mir wurde bei dieser Stimmlage von ihm der Mund so trocken, dass ich es ihm nicht verraten könnte, selbst wenn ich es wüsste. Ja, was war es, was ich brauchte? Noch vor einer Woche hätte ich jeden ausgelacht, der mir prophezeit hätte, dass ich mich heute nur einen Raumteiler entfernt von seinem Bett befinden würde.
 

Ich griff nach dem halb angebissenen Apfel in seiner Hand. Er ließ ihn nicht los, als ich einen vorsichtigen Bissen nahm, und versenkte dann ebenfalls die Zähne darin, bevor er den Rest des Apfels in den Flechtkorb in der Ecke warf. Sehr sauer, dieser Apfel. Doch das bewirkte, dass meine Sinne zurückkehrten.

„Sag es mir. Was du magst. Hm?“ Sandros Stimme war klar und ruhig dabei, doch er erwischte mich trotzdem kalt.

„Ehrlich gesagt, ich…“ Ich war im Begriff, ihm etwas zu gestehen, fand aber einfach keine Worte, die ausdrückten, was ich fühlte. Dass ich das nicht wusste. Also eigentlich schon, aber nicht bei einem Mann... Dass ich mir gestern verstörende Videos reingezogen hatte, um eine Ahnung davon zu bekommen, was mich heute erwarten würde, und das Ganze jetzt noch unangenehmer für mich war. Ihn sicher nicht beleidigen wollte, auf keinem Falls ich ihm die Schuld zuschieben wollte, wenn es nicht so klappte, wie er es sich vorstellte! Mein konisch geformter Deoroller fiel mir ein, der jetzt im Müll lag, nachdem er mich um eine Erfahrung reicher gemacht hatte, auf die ich im Nachhinein gern verzichtet hätte.

Das alles brannte mir auf der Seele, während er immer noch so geduldig dastand, bei mir, mit dem er seine Zeit verschwenden würde.

Nun legte er mir die Hand auf die Schulter. „Hey. Du bist ja ganz durch den Wind, dafür, dass du dich quasi selbst eingeladen hast. Magst du etwas zu trinken, um lockerer zu werden?“

„Nein, bloß nicht.“

„Angst vor deiner eigenen Courage?“

„Ganz ehrlich? Ja!“

Sandro schmunzelte nur in sich hinein. Dann nahm er mein Handgelenk. Meine Hand führte er unter sein Shirt, legte sie auf sein Sixpack! Wow. Das zu erreichen, musste harte Arbeit und Disziplin erfordert haben. Noch nie hatte ich so einen durchtrainierten männlichen Körper berührt, höchstens auf Hochglanzmagazinen angestarrt. Weil ich selbst gern so aussehen würde. Hatte ich zumindest immer angenommen, oder mir eingeredet.

Meine Finger konnte ich nicht mehr zurückhalten, sie krochen wie hungrige Raupen seine formvollendeten Bauchmuskeln mit den Vertiefungen, Erhebungen, hinauf bis zu seiner Brust. Ich erfühlte seine Gänsehaut dabei. Und den weichen Teppich aus Haaren. Die Augen geschlossen war es, wie in der Zeit zurückkatapultiert zu werden, in eine zwielichte Abstellkammer, wo ich bei diesem Anblick bloß Neid und Abscheu empfunden hatte, weil ich das komplette Gegenteil davon war. Nun erkannte ich, dass es etwas völlig anderes war: Begehren! Von dem Punkt, an dem ich es verabscheut hatte, von ihm berührt zu werden, war ich mittlerweile soweit, wo ich genau dies mehr als alles sonst begehrte. Eine hundertachtzig Grad Wendung. Als seine Finger unter mein Shirt kriechen wollten, zog ich reflexartig den Bauch ein und wich zurück.

„Genierst du dich?“

„Bisschen…“, gab ich zu.

„Unnötig.“

Als er mich in eine Umarmung zog, protestierte ich nicht. Ich sog seinen Duft ein, diesen männlichen… nach Moschus und Holz? Genau konnte ich es nicht definieren, aber er roch gut. Es dauerte nicht allzu lange und ich fand mich in einem Kuss wieder. Seine Lippen waren so rau und gleichzeitig so weich und voll, wie auch immer so etwas möglich war. Gegensätze, wie sein südländischer Name und sein nordisches Erscheinungsbild. Sein Bart, über den ich mit dem Daumen strich, war weicher als er den Anschein erweckte. Nach einer kleinen Ewigkeit erst ließ er mich los. Bestimmt war ich lippenstiftverschmiert.

„Magst du Massagen?“, fragte er ganz leise und da öffnete ich wieder die Augen.

„Äh…“ Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.

„Darf ich dir deine Füße massieren?“

„Meine Füße?“, wiederholte ich irritiert.

„Du läufst doch viel auf deiner Arbeit.“

„Schon, aber…“

„Dann setz dich auf die Couch.“ Unklar, was mich erwartete, ließ ich mich auf die alte karamellfarbene Couch in der Ecke nieder, die bequemer war als sie aussah. Aber die Dellen im Leder und die abgeschabte Farbe ließen vermuten, dass sie schon einige Jahre alt war. An einer Stelle befand sich sogar ein Brandfleck.

Ich wollte meine Socke ausziehen, doch Sandro bestand darauf, das selbst zu tun, also ließ ich ihn gewähren.

Wie er auf dem Teppich vor der Couch kniete, langsam und bedächtig er den Socken herunterzog und meine blanke Haut preisgab, meinen Fuß dabei in beiden Hände haltend... Dann kam sein Gesicht näher. Er berührte mit der Nasenspitze meine Sohle, inhalierte so tief, dass sich sein Brustkorb dabei blähte. Beim Ausatmen kitzelte mich sein warmer Atem. Dieses Grinsen, wie eine Mondsichel in der Nacht. Seine Zunge wanderte über meine Zehenkuppen, als wären sie ein Xylophon. Irgendwann verschwand mein großer Zeh zwischen seinen schwarzen Lippen. Er saugte daran, als ob es gar kein Zeh wäre, sondern… Jetzt nahm er eine Tube vom Beistelltisch und begann, die Creme auf meinen Fuß zu verteilen, die kalt war und einen herben Geruch nach Olive verströmte. Seine Hände waren warm und der kräftige Druck, den er ausübte, sehr angenehm. Wie professionell. Ich genoss seine Berührungen. Wie nötig meine Füße eine Massage gehabt hatten, wurde mir erst in diesem Moment bewusst. Seine geschickten Finger glitten zwischen meinen Zehen auf und ab.

„Das ist noch besser als Thai-Massage“, hörte ich mich sagen und sank tiefer in die Polster.

„Das will ich doch hoffen.“

Nach einer Weile hielt ich dem Druck nicht mehr stand, knöpfte meine Jeans auf und schaute mir die Bescherung in meiner Boxershorts an. Einige Tropfen waren bereits in den Stoff gesickert. Mein Schwanz pulsierte. Einsatzbereit, sehnte er sich nach Feuchte und Enge…

„Trau dich ruhig“, hörte ich Sandro sagen, und ich schenkte ihm die Freiheit. Ich fasste mich an und er hielt kurz inne, nur um sich dann dafür zu entscheiden, auch meinen anderen Fuß einzucremen, während er mir zuschaute, ganz nonchalant.

Irgendwann löste seine Hand meine ab. Geschmeidige Finger mit schwarz lackierten Nägeln schlossen sich um meinen Schaft, in den noch mehr Leben strömte. In seiner Hand blühte er vollends auf und dann senkte er den Kopf auf meine Körpermitte, was mich nach Luft schnappen ließ.

Mit Worten war das nicht zu beschreiben, als sein Bart meine intimsten Stellen streifte. Seine Lippen um meine Eichel waren wie ein sanfter Griff. Langsam glitt er tiefer hinab, verschlang mich geradezu. Seine Hände verblieben in einem eng gezogenen Radius meiner pulsierenden Mitte, eine Hand auf meinem Unterbauch, mit der anderen massierte er meine Hoden.

Er wusste, was er tat. Das hier war einfach Welten besser, als ich es mir in den kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Mein Schwanz. Sein Mund, mit dem er es schaffte, dass es sich anfühlte, als würde er vergoldet. Eine Technik, mit der er mich an den Rand des Wahnsinns brachte. Ich hatte gar nichts erwartet und wurde so überrascht. Meine Hüften konnten gar nicht anders, als sich in seinem Rhythmus zu bewegen, in der fremden Mundhöhle, die mich warm und feucht willkommen hieß und den perfekten Druck ausübten.

Irgendwann widmete er sich immer wieder dieser einen Stelle, an der es am geilsten war. Funkenstieben an meinem ganzen Körper. Sein Blick ging mir durch und durch, als er zu mir aufsah. Ich spie einen lautlosen Schrei aus, als seine Lippen daraufhin meine Hoden berührten, an der empfindlichen Haut saugten. Ganz langsam arbeitete sich seine Zunge meinen Schaft entlang wieder himmelwärts.

„Gleich… gleich…“ Meine Stimme war nur ein kehliges Japsen. Lange vor mir erahnte er das Beben, trotzdem ließ er nicht von mir ab, als mein Unterleib explodierte. Ich kam, wie ich nie zuvor gekommen war. Wollte nicht so laut aufstöhnen, aber es ließ sich nicht vermeiden. Und er ließ erst von mir ab, als alles vorbei war.

Sandro bettete mich danach rücklings, so dass ich mich längs auf der kleinen Couch ausstrecken konnte, so gut es eben möglich war. Ein dünner Speichelfaden baumelte von seinem Kinn. Der Lippenstift war fast ganz verwischt. Unschlüssig schaute er mich an, sein Gesicht nah an meinem, da hüpfte deutlich sein Adamsapfel. Ich riss die Augen auf. Ernsthaft?! Mann, das ging mir durch und durch!

Beide Hände, die sich anfühlten, als würden sie aus Pudding bestehen, legte ich an seinen Nacken und zog ihn zu mir herunter, wo er den Kopf auf meine Schulter ablegte, und ich ihn an meinem Nachbeben teilhaben ließ. Keiner sprach, Worte waren unnötig und ich hätte eh keinen vernünftigen Satz herausgebracht. Nie hatte ich mich so geborgen gefühlt wie in diesem Moment.

In meinem Kopf, in Gedanken, die ich mir niemals zu Ende zu denken erlaubt hatte, war es mit einem anderen Kerl grob, schnell vorbei und mit Konkurrenzdruck angesichts der Tatsache, dass gleich zwei Penisse im Spiel waren. Wodurch Vergleiche und blöde Sprüche an der Tagesordnung wären. Doch keine einzige meiner Befürchtungen war eingetroffen. Natürlich kannte ich das Wort schwul, doch Sandro lehrte mich überhaupt erst die Bedeutung dessen. Ausgerechnet er, dem ich es niemals zugetraut hätte, so zärtlich zu sein. Oder vielleicht mir selbst nicht, mich einem Mann hingeben zu können. Meine Finger strichen von seinem Schulterblatt aus seinen Nacken entlang, in seinen Haaransatz hinein und zurück.

Fast musste ich darüber lachen, wie krampfhaft und zugleich erfolglos ich zu verdrängen versucht hatte, dass Sandro mir sogar sehr gefiel.

„Jetzt hast du mir deine Gitarre gar nicht gezeigt“, murmelte ich schläfrig. An meinem Oberschenkel spürte ich ganz deutlich… Hm. Ja. Das gehörte nunmal dazu. Zu ihm. Nicht, dass es sich wie eine Aufforderung, eine offene Rechnung anfühlen würde oder es Absicht von ihm war; er verlangte gar nichts von mir. Lag nur da und atmete.
 

Unser intimes Beisammensein unterbrach jäh ein Stimmengewirr im Flur, das ich nicht zuordnen konnte. Ich musste eingedöst sein, wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war. Sandro krabbelte von mir und dem für uns beide viel zu kleinen Sofa herunter und ich vermisste sein Gewicht auf mir schon in der nächsten Sekunde. Wie kalt es ohne ihn war. Ich trug ja auch keine Hose mehr.

„Süßer. Ich bin in fünf Minuten wieder da, muss nur schnell was regeln.“ Schon war er an der Tür, verschwand, ohne meinen Protest abzuwarten und ließ mich alleine und halb nackt im Zimmer zurück. Und mit feuerrotem Kopf. Hatte er mich wirklich gerade Süßer genannt?!

Tilmanns Bariton war undeutlich zu vernehmen, durch die dünnen Wände des Altbaus und die Tür, die Sandro nur angelehnt hatte. Dazu eine andere Männerstimme, hoch und schrill im Vergleich dazu, so dass ich einen Bösewicht aus einem Cartoon vor Augen hatte, der Spucketröpfchen ausspie: „Da bist du ja! Du hast mich überall blockiert, was blieb mir denn anderes übrig, als persönlich herzukommen?!“

Kerzengerade saß ich auf der Couch und versuchte mir einen Reim darauf zu machen, was zur Hölle da draußen im Flur vor sich ging. War ER das? Sandros Ex? Warum denn ausgerechnet heute?!

„Was macht dein Entzug?“ Mir entgleisten die Gesichtszüge.

„Den habe ich gerockt, aber sowas von!“

„Wolltest du nicht nach Amerika auswandern? Nur große Töne gespuckt, was“, klinkte sich Tilmann wieder ein. Ich schlüpfte in meine Kleider, eine Diele quietschte dabei. Fast wagte ich nicht mehr zu atmen.

„Das geht dich einen Scheißdreck an, und wegen dir bin auch gar nicht hier! Sandro, du hast noch etwas, das mir gehört und das will ich zurück. Ich überweise dir dann die Kohle zurück, die ich dir schulde, und wir sind quitt!“

Sandro murmelte einige unverständliche Worte.

„Ja, ich bin verdammt sicher!“

Schritte, die sich näherten. Oh Gott, würden die beiden jetzt das Zimmer betreten? Ich kauerte mich zusammen. Begleitet von einem Knarzen der Diele kam Sandro herein, alleine, würdigte mich keines Blickes und trat hinter den Raumteiler. Kurz darauf tauchte er dahinter wieder auf und trug einen Gitarrenkoffer aus dem Zimmer heraus. Die Tür schloss er wieder hinter sich.

Ich schlich mich dorthin, presste das Ohr gegen das Schlüsselloch, um zu lauschen. Nicht die feinste Art, ich weiß. Aber ich konnte nicht anders.

„Nimm sie und verschwinde. Dein Zeug will ich eh nicht mehr hier haben.“

„Weißt du was? Ohne mich wärst du eine Nullnummer, Sandro Schwarzer, menschlich wie künstlerisch! Du und der Rest, der von der Band übrig geblieben ist, dieser Freakhaufen. Keine Ahnung, was ich je an dir gefunden habe. Hörst du?“, wurde er lauter. „Ja, wegrennen, das kannst du gut!“

„Raus jetzt, Flo! Meine letzte Warnung!“, brüllte Tilmann. „Zum Geier! Du hast Nerven, diese Wohnung überhaupt zu betreten, so kurz vor dem Prozess!“

„Was hast du zu melden, und seit wann wohnst du hier überhaupt? Halt dich im Hintergrund, so wie es sich für dich gehört, Bassist!“, gellte die Stimme zurück. „Eines sag ich euch: Wenn ihr weiterhin auftretet mit den Songs, die ICH geschrieben habe, könnt ihr was erleben!“ Meine Neugier wog mittlerweile schwerer als die Furcht, also fasste ich all meinen Mut zusammen und drückte die Türklinke hinab. Einen kleinen Spaltbreit öffnete ich die Tür und spähte hindurch. Aber da war nur Tilmanns breiter Rücken zu sehen, der die Sicht auf alles andere versperrte. Seine Arme hielt er auf sehr angepisste Art in die Hüfte gestemmt. „Gibs auf, was soll es denn bei uns zu holen geben?!“

„Schon mal was von geistigem Eigentum gehört? Das gilt noch, wenn ich schon lange verrottet bin.“

„Ja Flo, verrotte doch einfach. Dein Hirn hat ja schon längst damit angefangen.“

Krachend fiel die Tür ins Schloss, dem folgten polternde Schritte im Treppenhaus.

Da traute ich mich endlich raus. „Ich weiß nicht, wer das war, aber Sandro schreibt eindeutig die besseren Songs“, sagte ich, mehr zu mir selbst. Mich hielt nichts mehr hier in der WG dieser verrückten Band! Was für ein Abend. Ich nahm meine Schuhe und meine Jacke und zog mich im Treppenhaus an.



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