Zum Inhalt der Seite

Katzenjammer

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Lektion 7 - Es sind die kleinen Dinge, die zählen.

Wie gebannt starrte Kaoru auf die leuchtenden Ziffern des altmodischen Radioweckers. Lesen konnte er zwar noch immer nicht, und das umfasste auch das Erkennen der Uhrzeit auf eine Weise, die ihm vertraut war, aber er hatte eine Möglichkeit gefunden, sich zu behelfen. Das rote Muster auf dem Display veränderte sich und er wusste, dass es nun nicht mehr lange dauern konnte, bis der Wecker zu klingeln begann. Er fühlte sich wie ein Archäologe, der uralte Schriftzeichen zu entziffern versuchte, während er darauf wartete, dass es für Die Zeit wurde, aufzustehen. Aber heute würde der andere dank ihm noch ein paar Minuten länger liegen bleiben.

Noch bevor der Wecker also die Chance hatte, auch nur einen Ton von sich zu geben, presste eine kleine Pfote den großen Schlummerknopf. Zufrieden legte Kaoru den Kopf schief, leckte sich über die Lefzen und gönnte es sich, seinen schlafenden Freund einige Augenblicke länger zu betrachten.

 

Er war Die und den anderen noch immer so unendlich dankbar, dass sie ihn aus der Hölle des Tierheims befreit hatten, und er hatte sich geschworen, seinem Freund ab jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Im Gegenteil – er würde dafür sorgen, dass Die nicht mehr so traurig und gestresst war, wieder mehr zu dem Mann wurde, auf dessen gute Laune und Ausgeglichenheit Kaoru sich früher immer verlassen hatte. Erst, seit er eine Katze geworden war, war ihm wirklich bewusst geworden, wie sehr er diesen Wesenszug seines Freundes schätzte und brauchte. Die war immer schon der Einzige gewesen, der ihn aus dem Hamsterrad seiner vielen Arbeit herausholen konnte, und war dabei immer so selbstlos. Kaoru hatte wirklich einiges wiedergutzumachen und heute würde er damit beginnen.

Natürlich stellte die Tatsache, dass er noch immer im Körper einer Katze festsaß, ein nicht zu unterschätzendes Hindernis dar, aber er war nicht schon seit vielen Jahren Leader einer erfolgreichen Band, wüsste er nicht, wie er schwierige Situationen zu meistern hatte.

Phase eins seines Plans hatte schließlich hervorragend geklappt und genauso zielstrebig würde er weitermachen.

 

Die atmete lange aus, seufzte beinahe, bevor er sich auf die Seite rollte, Kaoru den Rücken zudrehte und friedlich weiterschlief. Den Kopf schief legend blinzelte er träge, den Blick unverwandt auf den anderen gerichtet. Eine Welle der Zuneigung schwappte über ihn und eine eigenartige Wärme machte sich in seinem Brustkorb breit, die er sich nicht richtig erklären konnte. Bevor der Moment jedoch unangenehm werden konnte, hüpfte er vom Nachttisch und tapste auf leisen Pfoten durch die Wohnung. In der Küche angekommen sprang er auf die Arbeitsplatte, drückte etwas umständlich gegen den Einschaltknopf des Kaffeevollautomaten und hörte zufrieden dabei zu, wie das Wasser langsam zu kochen begann.

 

Seine nächste Mission führte ihn ins Wohnzimmer, wo Dies Smartphone auf dem niedrigen Sofatisch lag. Toshiya hatte sich gestern wortreich darüber gefreut, dass für heute keine Termine anstanden, und somit hatte Kaoru beschlossen, dass auch Die seinen freien Tag ungestört genießen sollte. Mit einem gedämpften Laut kam das Telefon auf dem Teppichboden auf, nachdem Kaoru es mit der Pfote vom Tisch geschubst hatte. Das Gerät nun mit dem Maul hinter sich her zu ziehen, war zwar nicht sonderlich einfach, aber er schaffte es, es unter die Kommode zu verfrachten, noch bevor der Wecker zu klingeln begann.

Schwer zufrieden mit sich und seiner Leistung schlenderte er in den Flur, genau im richtigen Moment, um einem vollkommen aufgelösten Die gegenüberzustehen.

 

„Kao? Kao!“, rief er, hielt sich mit einer Hand an der Schlafzimmertür fest und blickte sich gehetzt aus derart verquollenen Augen um, dass Kaoru bezweifelte, sein Freund würde überhaupt etwas sehen. Also tat er das, was er am besten konnte – er maunzte laut und lang gezogen, bevor er seinen Körper gegen Dies Beine rieb. Keine Sekunde später fand er sich auf den Armen des anderen wieder.

„Kao … Ich dachte schon, ich hätte das alles nur geträumt und du wärst noch immer verschwunden.“ Die atmete schwer aus, drückte Kaoru noch einen Moment länger gegen sich, bevor er ihn wieder auf dem Boden absetzte.

„Willst du frühstücken?“ Kaoru beließ seine Antwort diesmal bei einem langen Blick, den er gleichzeitig nutzte, um Die ausführlich zu mustern. Allein diese Reaktion gerade bewies ihm, wie dringend sich sein Freund entspannen musste, und schaffte es gleichzeitig, sein schlechtes Gewissen von Neuem aufflammen zu lassen. Er schob die negativen Gefühle jedoch sofort von sich. Er hatte eine Mission und im Moment zählte nichts weiter.

 

Seinem Freund in die Küche folgend hockte er sich vor seinen Futterplatz und schaute betont unschuldig zu ihm auf, als er sich über die arbeitsbereite Kaffeemaschine wunderte.

„Hab ich gestern vergessen, die auszuschalten?“, murmelte Die halblaut vor sich hin und kratzte sich am Kopf. Nach einem kurzen Zucken seiner Schultern stellte er jedoch ohne weiteres Grübeln eine Tasse unter die Maschine und wartete geduldig auf sein schwarzes Gold.

Eigenartigerweise vermisste Kaoru Koffein ebenso wenig wie Nikotin. Vielleicht war es nach diesem ungeplanten kalten Entzug an der Zeit, seine schlechten Gewohnheiten zu überdenken. Seine Gesundheit würde das definitiv zu schätzen wissen. Aber zurück zu Die, der ihm gerade eine Portion Fisch zerkleinert hatte und nun vor ihm auf den Boden stellte.

 

‚DAS nenne ich Essen‘, sinnierte er, als seine Gedanken kurz zu Red und seiner Sucht nach Trockenfutter abschweiften. Wie es dem roten Kater wohl gerade ging? Er musste zugeben, dass er die unkomplizierte Art des anderen ehrlich vermisste, was seinen Entschluss, ihn sobald er konnte aus dem Tierheim zu holen, nur untermauerte.

Gerade wollte Kaoru zu essen beginnen, als ihm auffiel, dass sich Die zwar an den Küchentisch gesetzt hatte, außer seiner Tasse Kaffee jedoch offensichtlich nichts weiter frühstücken wollte. So wie er es in den Tagen, seit Kaoru bei ihm war, immer getan hatte. Aber nicht heute. Mit der Nase begann er, seinen Futternapf, der glücklicherweise nicht sehr schwer war, über den Boden zu schieben, bis er genau neben Dies Stuhl stand.

 

„Kao? Was genau wird das, wenn es fertig ist?“

Ein langer Blick aus kugelrunden Katzenaugen und ein aufforderndes Maunzen waren alles, was Die auf seine Frage zur Antwort bekam.

„Willst du dein Futter nicht?“

Schweigen.

„Ich hab leider nichts anderes für dich da.“

Kaoru setzte sich auf seinen Hintern und starrte Die weiterhin auffordernd an. Sein Freund seufzte und rieb sich übers Kinn, den Mund verziehend, als ihm auffiel, dass er noch immer unrasiert war.

„Was ist denn los, mh? Iss doch.“

Kaoru maunzte, rieb seinen Kopf kurz gegen Dies Schienbein, trottete zum Kühlschrank und kehrte wieder zurück, nur um sich erneut vor den anderen hinzuhocken.

„Willst du etwa nicht allein essen?“

Beinahe hätte Kaoru genickt, beließ es im letzten Moment jedoch bei einem weiteren Maunzen, doch selbst dieses schien Die zu irritieren.

„Also, wenn das stimmt …“ Kopfschüttelnd erhob der Große sich, öffnete den Kühlschrank und spähte wenig begeistert hinein.

„Kyo hält mich für verrückt, wenn ich ihm das erzähle“, nuschelte er dem gekühlten Essen entgegen, entschied sich, wie es aussah, für eine Auswahl der Reste vom Vortag und packte diese auf einen Teller, der kurz darauf in der Mikrowelle verschwand.

„Deinetwegen stecken mich meine Kollegen irgendwann noch in die Klapse, weil ich ständig behaupte, du würdest mich verstehen.“

Kaoru kam murrend auf Die zu, der in die Hocke gegangen war und eine Hand nach ihm ausgestreckt hatte. Er leckte über den Zeigefinger seines Freundes und gönnte sich den Spaß, kurz, aber nicht fest in die Kuppe zu beißen.

„He~, wenn du Hunger hast, iss dein Futter, aber knabber mich nicht an. Ich schmecke nicht.“

 

‚Ach, hast du ‘ne Ahnung‘, dachte Kaoru innerlich grinsend und leckte sich betont vielsagend über die Lefzen.

 

~*~

 

„Ich bin doch nicht blöd, ich weiß, dass ich mein Handy gestern Abend auf dem Tisch hab liegen lassen.“ Zum gefühlt hundertsten Mal hob Die alle drei Couchkissen hoch, tastete die Sofaritze ab und späte unter das Möbel, aber das Gesuchte fand er nicht. Wie auch, lag das Smartphone doch noch immer unter der Kommode, wo Kaoru dafür gesorgt hatte, dass es ganz weit hinten in der letzten Ecke versteckt war. So konnte sein Freund es auch nicht zufällig beim Vorbeilaufen sehen. Kaoru stolzierte mit hocherhobenem Schwanz durch das Wohnzimmer, hüpfte auf die Fensterbank und sah schwer mit sich zufrieden nach draußen.

 

Vor der Scheibe herrschte wahres Bilderbuchwetter. Die Sonne schien von einem kornblauen Himmel, über den sich zarte Schleierwolken zogen. Es kribbelte in seinen Pfoten, als er einen Vogel beobachtete, der auf dem gegenüberliegenden Hausdach gelandet war und munter sein Lied trällerte. Alles zog ihn nach draußen, aber gleichzeitig wusste er, dass er fürs Erste in der Wohnung festsaß.

 

„Na du?“ Die schien seine Suche aufgegeben zu haben, stand nun neben ihm am Fenster und streichelte über seinen Kopf. Kaoru reckte sich der Hand entgegen, begann automatisch zu schnurren.

„Vermisst du es, draußen zu sein? Vermutlich hat Kyo recht und du hast mittlerweile Gefallen daran gefunden, allein herumzustromern.“

Er sah auf, fixierte das Gesicht seines Freundes, in dem der Konflikt nicht deutlicher hätte geschrieben stehen können.

„Ich würde dir das wirklich nur zu gern gönnen, aber die Welt dort draußen ist gefährlich. Was, wenn dich erneut jemand fängt oder du überfahren wirst?“

Die seufzte und Kaoru hätte es ihm am liebsten gleichgetan.

„Eine Idee hätte ich allerdings noch, aber ich weiß nicht, ob dir das gefallen wird.“

 

~*~

 

‚Gefallen ist echt übertrieben‘, dachte Kaoru und schüttelte sich, weil sich das Ledergeschirr, das sich um seinen Hals und den Brustkorb spannte, wirklich eigenartig anfühlte. Es war nicht unangenehm, dafür hatte Die gesorgt, aber es war ungewohnt.

Vor seinem unfreiwilligen Aufenthalt im Tierheim hätte ihn nicht einmal sein Freund dazu bringen können, sich dieses Gebilde anlegen zu lassen, damit er an der Leine durch den Park geführt werden konnte. Jetzt jedoch verstand er Dies Besorgnis und fand es sogar ein wenig rührend, dass er sich so um ihn kümmerte. Schließlich hätte es ihm genauso gut egal sein können, ob seine Katze nun raus wollte oder nicht.

 

Sie waren in einen Park gefahren, der etwas außerhalb des Stadtkerns lag und in dem die Chance, nicht jeden Meter über Paare, Gruppen von Freunden und Familien zu stolpern, die die Kirschblüte genossen, noch am Größten war. Dennoch war viel los und Die erregte ausnahmsweise einmal nicht durch seine bloße Anwesenheit Aufmerksamkeit, sondern diese zweifelhafte Ehre galt einzig und allein ihm.

Kaoru reckte den Kopf noch höher und streckte seinen getigerten Schwanz noch weiter empor, als ihnen ein kleiner, kläffender Köter entgegenkam. Wie er hing der Hund an der Leine, führte sich jedoch auf, als würde er sich am liebsten losreißen wollen.

 

„Du bist wirklich mutig, Kao, und so brav. Ich bin sehr stolz auf dich.“

Hach ja, Dies Lob ging runter wie Öl. Da machte es auch nichts, dass sein armes, kleines Katzenherz vor Angst gerade schnell wie Maschinengewehrsalven in seiner Brust hämmerte.

„Dort unten am See scheint es etwas ruhiger zu sein“, sprach sein Freund weiter und schlug den Weg ans Wasser ein. Kaoru folgte brav, lief nur ab und an etwas voraus, wenn er im dichten Gras ein Insekt erspähte, das es zu jagen galt. Leider war er noch immer miserabel, was das anging, und konnte am See angekommen keine einzige Beute vorweisen.

Etwas gefrustet hockte er sich mitten auf die Decke, die Die gerade ausgebreitet hatte, und blinzelte in die Sonne.

 

„Hier.“ Dies lächelndes Gesicht schob sich in sein Blickfeld und ein verboten leckerer Duft kitzelte seine Nase. Hielt ihm sein Freund gerade wirklich ein Stückchen Käse hin?

 

„Oh Die, ich könnte dich knutschen!“, maunzte er und machte sich über die Leckerei her.

Die kicherte auf diese herzliche, etwas alberne Art, die so typisch für ihn war und holte ein Sandwich aus der Kühltasche, die er mitgebracht hatte. Sich schwer zufrieden über das Mäulchen leckend spazierte Kaoru noch etwas um die Decke herum. Viel Auslauf bot ihm die Leine zwar nicht, aber auch wenn es in der Ferne einiges gab, was er nur zu gern erkundet hätte, blieb er brav in Dies Nähe. Vielleicht würden sie später noch um den See gehen, das würde ihm gefallen, und wenn nicht, hätte sein Freund sicher nichts dagegen, zurück in der Wohnung noch eine Runde mit ihm zu spielen. Ein wenig unausgelastet fühlte sich Kaoru nach den Tagen eingesperrt in einem viel zu kleinen Käfig noch immer, aber gerade war es wichtiger, dass Die sich entspannen konnte.

 

Sein Freund gähnte, schob sich seine Sonnenbrille zu Recht und streckte sich auf der Decke aus, die Leine locker um das Handgelenk geschlungen. Möglicherweise interpretierte Kaoru zu viel in diese Geste, aber bedachte man, dass er erst vor ein paar Tagen weggelaufen war, war dieser Vertrauensbeweis seines Freundes in seinen Augen etwas sehr Besonderes. Kaoru tapste näher, kletterte auf Dies Bauch, was er mit einem unterdrückten Ächzen bedachte, und rollte sich dort zusammen.

 

„Dir ist bewusst, dass ich gerade etwas gegessen habe und du genau auf meinem Magen liegst?“

 

„Ach, sei kein Weichei“, maunzte er und schmiegte seinen Kopf gegen Dies lange Finger.

 

~*~

 

 „Bitte verzeihen Sie.“ Verwundert hob Kaoru den Kopf, als er eine unbekannte Frauenstimme nahe bei sich hörte. Gerade hatte er noch einmal versucht, eine Zikade zu fangen, und hätte sie auch fast gehabt, hätte die Fremde ihn nicht aus dem Konzept gebracht. Die blickte nicht minder überrascht von seinem Buch auf, fixierte die Frau und legte fragend den Kopf schief.

„Ich will Sie wirklich nicht stören, aber ich bin so fasziniert von ihrer Katze.“

 

„Von Kao?“

 

„Kao? Was für ein schöner Name.“ Die Fremde ging einen halben Meter von ihrer Decke entfernt in die Hocke und streckte ihre zierliche Hand in Kaorus Richtung aus. Skeptisch beäugte er sie, entschied sich für den Moment jedoch dafür, sich nicht von der Stelle zu bewegen. Was bitte wollte die von ihnen?

„Hat es lange gedauert, bis sich Ihre Katze an das Geschirr gewöhnt hat? Sie müssen wissen, ich habe auch eine Katze und überlege schon lange, ihr die Natur zu zeigen, aber sie mag die Leine nicht. Ich hatte gehofft, Sie könnten mir vielleicht ein paar Tipps geben?“

 

„Oh.“ Die lachte etwas nervös wirkend und fuhr sich durch die Haare. „Ich befürchte, da werde ich Ihnen keine große Hilfe sein. Kao trägt sein Geschirr heute zum ersten Mal.“

 

„Wirklich?“ Mit großen Augen musterte ihn die junge Frau und obwohl sie nett schien, konnte Kaoru ihr nichts abgewinnen. Sie sollte wieder gehen und sie diesen schönen Tag in Ruhe genießen lassen. Stattdessen fragte Die gerade, ob sie sich denn nicht setzen wollte, und war sogleich in einer enthusiastischen Fachsimpelei über den richtigen Umgang mit felinen Mitbewohnern vertieft. Etwas seiner guten Laune beraubt, legte sich Kaoru so weit es ihm möglich war weg von den beiden ins Gras und versuchte, ihre Stimmen auszublenden. Die schien eine gute Zeit zu haben, amüsierte sich prächtig, aber obwohl er sich für seinen Freund freuen sollte, schmeckte ihm dieser Umstand ganz und gar nicht. Kaoru verstand sich und vor allem diese immer stärker werdende Abneigung der jungen Frau gegenüber nicht, konnte aber nichts dagegen tun.

 

Dementsprechend erleichtert war er, als sie sich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich verabschiedete, nicht ohne jedoch Die ihre Visitenkarte unterzujubeln. Was fiel der eigentlich ein? Die grinste dümmlich auf das weiße Papier herab, bevor er es in seine Hosentasche steckte.

 

„Ist das zu fassen? Shinya hatte mal wieder recht.“

Kaoru ahnte, worauf Die mit dieser Aussage hinaus wollte. Der Drummer riet seinem Freund schon seit Längerem, mehr unter Leute zu gehen und sein Einsiedlertum aufzugeben, aber verdammt noch eins, das hieß nicht, sich von der erstbesten dahergelaufenen Katzenbesitzerin um den Finger wickeln zu lassen. Er spürte, wie sich sein Rückenfell vor lauter Missfallen aufrichtete und ein Knurren in seiner Kehle kitzelte, was er glücklicherweise gerade so noch unterdrücken konnte. Die würde seine Übellaunigkeit ohnehin nicht verstehen … er verstand sie ja nicht einmal selbst.

 

~*~

 

Sie waren tatsächlich noch eine Runde um den See gegangen, was Kaoru auf der einen Seite wirklich begrüßt hatte. Auf der anderen Seite hatte er ihren kleinen Ausflug nicht mehr in vollem Maße genießen können und selbst, als sie nun wieder zurück in der Wohnung waren, lag ein drückender, harter Klumpen in seinem Magen. Nicht einmal sein Abendessen hatte er angerührt, was Die zwar gesorgt, er schlussendlich jedoch auf Kaorus Müdigkeit geschoben hatte.

Pfff, er war nicht müde, er war … keine Ahnung.

 

Kaoru lag betrübt auf dem Sofa, seine Ohren zuckten, als im Bad die Dusche angestellt wurde. Duschen war tatsächlich das Einzige, was er vermisste, seit er eine Katze war. Das und die Fähigkeit, sein Leben selbst bestimmen zu können. Sich streckend hüpfte er auf den Boden, tapste durch das Wohnzimmer und in den Flur, wo Die vorhin seine Habseligkeiten auf die Kommode dort gelegt hatte. Neugierig sprang er auf eben jenes Möbel und sah sich um. Dies Schlüssel lagen dort, ebenso wie seine Geldbörse und …

 

„Die Visitenkarte“, fauchte er, fegte das weiße Papier herunter und sprang ihm hinterher. Mit einem Satz griff er den unschuldigen Karton an, zerrte und riss solange daran, bis nur noch Fetzen davon übrig waren.

‚Gott, das hab ich gebraucht.‘

 

„Kao, was hast du angestellt?“

War klar, dass Die ausgerechnet jetzt aus dem Bad kommen musste, oder? Er versuchte gar nicht erst, unschuldig zu gucken, rappelte sich stattdessen auf und schmeichelte um die Beine seines Freundes.

 

„Als würdest du die Karte von dieser Schnepfe brauchen“, schnurrte er und stellte sich auf die Hinterläufe, um Die zu zeigen, dass er hochgehoben werden wollte.

 

„Du weißt haargenau, dass du etwas falschgemacht hast, nicht wahr?“

 

„Hab ich nicht, aber wenn du meinst.“ Kaoru schnurrte lauter, leckte über Dies Wange, die nun wieder so glattrasiert war, wie er es von ihm gewöhnt war.

 

„Kleiner Frechdachs.“ Die schien nicht sonderlich enttäuscht darüber zu sein, die Daten der Katzenliebhaberin auf ewig verloren zu haben, was wie Balsam für Kaorus frustrierte Seele war. Gemeinsam setzten sie sich aufs Sofa, Die unter der Wolldecke eingemummelt, Kaoru auf seinem Brustkorb liegend und zappten durch die Kanäle. Okay, Die zappte, Kaoru ließ sich die Streicheleinheiten gefallen und war schneller eingeschlafen, als er es für möglich gehalten hätte.

 

~*~

 

Stunden später, es war bereits dunkel in Dies Wohnung, erwachte er zusammengerollt neben seinem Freund auf dem Sofa liegend. Sein Magen knurrte so laut, dass er für eine Sekunde befürchtete, Die aufgeweckt zu haben, aber der andere schlief seelenruhig weiter.

Er gönnte sich einige lange Momente, in denen er seinen Freund nur betrachtete. Im Licht des Vollmondes, das durch die Fenster ins Wohnzimmer schien, wirkte Dies Haut beinahe silbrig, während seine langen Wimpern dunkle Schatten unter seine Augen zeichneten. Die Lippen sahen etwas trocken aus und die Wangen waren eingefallen, ein deutliches Zeichen, dass sein Freund in letzter Zeit wirklich zu wenig gegessen hatte.

 

‚Genau wie ich‘, dachte Kaoru und krümmte sich, als sich zu dem Knurren in seinem Magen ein unangenehmes Stechen gesellte. Himmel, er hätte das Abendessen nicht ausfallen lassen sollen. Nicht nach den Tagen seines Hungerstreiks, die er erst wieder aufholen musste, aber gleichzeitig wollte er seinen Freund nicht wecken. Wie er solche Zwickmühlen verabscheute. Unschlüssig erhob er sich, machte einen Buckel und streckte sich, bevor er von der Couch hüpfte und in die Küche schlich.

 

Leider hatte Die sein Abendessen bereits wieder in den Kühlschrank geräumt, was er enttäuscht bemerkte, als er sich vor seinen leeren Untersetzer hockte. Wasser stand dort und er trank, bis wenigstens das ärgste Ziehen nachgelassen hatte.

 

„Toll, und jetzt?“, maunzte er in die Stille des Raumes.

 

„Soll ich die Kühlschranktür für dich öffnen?“

 

Kaoru wirbelte so schnell herum, dass ihm schwindlig wurde und er eine Sekunde brauchte, bevor die Gestalt vor ihm klare Züge annahm. Dort im Türrahmen saß sie, das schwarze Fell im Mondlicht glänzend, die grünen Augen leuchtend.

 

„Zauberkatze“, fauchte er, was als Kater deutlich eindrucksvoller klang, als mit menschlicher Stimme.

 

„Na, na, kein Grund, territorial zu werden. Das war eine ganz uneigennützige Frage.“

 

„Du glaubst, dass ich territorial bin?“ Die Absurdität, dass die Zauberkatze wirklich dachte, er würde ‚sein Futter‘ vor ihr verteidigen wollen, hätte ihn beinahe laut auflachen lassen.

„Was willst du hier?“

 

„Ich dachte mir, ich muss mal wieder nach meinem Schützling sehen.“

 

„Seit wann bitte bin ich dein Schützling? Ich hätte deine Hilfe vor Tagen gebraucht, als sie mich eingefangen und festgehalten haben! Wo bist du da gewesen, mh?“

 

„Ich war beschäftigt.“

 

„Beschäftigt? KANNST du dir überhaupt vorstellen, was ich durchgemacht habe?“

 

„Vermutlich nicht.“

 

„Nein, denn du kannst einfach mit der Pfote wedeln und dich aus jeder misslichen Lage befreien. Aber, Newsflash, das kann nicht jeder!“

 

„Das weiß ich. Wenn du nun also mit deiner Schimpftirade fertig bist, könnte ich dir helfen, dein Magenknurren abzustellen. Außer, du willst warten, bis dein Mensch irgendwann aufwacht, dann bitte sehr.“

 

Kaoru hätte gute Lust, sich umzudrehen und die Zauberkatze so lange mit Schweigen zu strafen, bis sie wieder verschwand. Zum einen schätzte er jedoch, dass sie sich von seiner kalten Schulter nicht sehr beeindruckt zeigen würde und zum anderen wäre er dumm, ihr Angebot nicht anzunehmen.

 

„In Ordnung, mach den Kühlschrank auf.“ Ohne zu blinzeln, starrte ihn die Zauberkatze an, aber auch nach mehreren Sekunden des Wartens geschah nichts.

„Bitte“, presste Kaoru zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch und keinen Moment später öffnete sich der Kühlschrank wie von Geisterhand.

„Danke“.

 

Er schnaubte unhörbar, fixierte die geöffnete Tür und sprang hoch, kam einen Millimeter vor den Gemüsefächern zum Stehen. Die kalte Luft ließ ihn kurz schaudern, aber viel interessanter war der Duft nach frischem Fisch, der ihm sogleich in die Nase stieg. Er kam aus einer Plastiktüte, die im Mittleren der Fächer lag, und die quasi seinen Namen quer darüber geschrieben hatte. Zumindest, wenn man seine Nase fragte. Mit der Pfote versuchte er sie herauszuschieben und als das nicht gelang, hakte er seine Krallen in das dünne Plastik und zog, bis die Tüte mit einem leisen Rascheln auf dem Boden landete. Er sprang hinterher, wunderte sich nicht einmal mehr darüber, dass sich die Kühlschranktür von allein wieder schloss.

 

Eingeschlagen in Papier fand Kaoru ein großes Stück Thunfisch, über das er sich sogleich hermachte und es in kürzester Zeit verputzt hatte, ohne seinem ungeladenen Gast auch nur einen Bissen anzubieten. Die kleine Schale mit Sardinen schob er ihr jedoch großmütig zu.

 

„Ich frage mich, ob du gern teilst oder nur die Verpackung nicht öffnen kannst.“ Die Zauberkatze klang immens belustigt, während sie mit wenigen Pfotenschlägen den Plastikdeckel von der durchsichtigen Verpackung entfernt hatte.

 

„Das darfst du sehen, wie du möchtest“, nuschelte Kaoru, putzte sich die rechte Pfote, bevor er es sich anders überlegte und sich mit ausgefahrenen Krallen auch eine Sardine stibitzte. So gesehen war es angenehm, nicht allein essen zu müssen, obwohl sein Groll auf die Zauberkatze noch nicht ganz verschwunden war.

„Ich will wieder ein Mensch sein“, meinte er irgendwann, als der ganze Fisch verputzt war und sich sein Magen gut gefüllt anfühlte.

„Die hat sich große Sorgen gemacht, als ich verschwunden war.“

 

„Tja, jetzt bist du ja wieder da.“

 

„Darum geht es nicht. Er macht sich ebenso um mich, den Menschen, Sorgen, verstehst du? Das war auch der Grund, weshalb ich raus bin. Ich hatte dich suchen und um deine Hilfe bitten wollen.“

 

„Jetzt bin ich hier und vielleicht willens, dir zu helfen.“

 

„Dann verwandle mich zurück, bitte.“ Kaoru war selbst überrascht davon, wie ruhig er sich gerade fühlte, obwohl die Gelassenheit der Zauberkatze ihm nach allem, was er hatte durchmachen müssen, tierisch auf den Zeiger gehen sollte.

„Ich danke dir für die Auszeit, die du mir durch die Erfüllung meines Wunsches verschafft hast, aber es wird Zeit, dass ich mein Leben wieder selbst in die Hand nehme. Ich möchte nicht, dass sich Die weiter um mich sorgen muss.“

 

„Aber er wird dich vermissen, wenn du erst wieder ein Mensch bist.“

 

Für einen Moment verstand Kaoru nicht, was sie meinte, dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Sie hatte recht. Die würde krank vor Kummer werden, würde sein Kao nur einen Tag, nachdem er ihn wiedergefunden hatte, für immer verschwinden. Dennoch … er konnte nicht auf ewig eine Katze bleiben.

 

„Ich wünsche mir wirklich nichts sehnlicher, als Die auch als Mensch so nahe sein zu können, wie ich es in den letzten Tagen als Katze war. Dann könnte ich für ihn da sein und er würde Kao einfach vergessen können.“

 

„Siehst du.“ Die Zauberkatze sah ihm tief in die Augen und blinzelte träge. „Das nenne ich einen Herzenswunsch.“



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  -Pharao-Atemu-
2024-04-27T19:21:27+00:00 27.04.2024 21:21
Darüber habi ch seit Dai und Kaokatze zusammen gek0ommen sind gedacht. Ob Red und Diva Dai trösten können? Ach es tut mir so leid dass im Leben ein Gewinn meist mit einem Verlust gepaart sein muss
*traurig ist*


Zurück