Anstoß
“Hallo Elsa.”
Die Angesprochene lächelte, als Viktor, der Bruder ihrer Freundin und der Freund ihres Bruders, sich neben sie stellte.
“Hallo Viktor”, entgegnete sie. “Was willst du trinken?”, fragte sie ihn direkt anschließend, da sie gerade in der Küche standen, wo auf der Arbeitsfläche die Getränke aufgebaut waren.
Gregor feierte seinen fünfzehnten Geburtstag, dazu hatte er alle Kickers eingeladen, noch ein paar seiner Klassenkameraden und selbstverständlich auch seine eigene Freundin Conny sowie deren älteren Bruder, seinen Mentor, Viktor. Das Haus war voll.
Viktor deutete auf die Cola. “Ich nehme davon etwas.”
“Na dann.”
Elsa öffnete die Flasche und schnell hielt er ihr seinen Becher entgegen, damit sie ihm einschenken konnte. Sie verschloss anschließend die Flasche wieder und stellte sie zurück auf den Tisch.
“Du, ich habe nachgedacht”, erklärte Viktor in diesem Moment.
“Über was?”, fragte Elsa neugierig.
Der Ältere grinste sie an. “Über dich. Und über mich.”
“Über … was?” Elsas Augen weiteten sich ungläubig und sie starrte Viktor an.
“Weißt du, ich mag dich und ich finde dich sehr hübsch. Wir sollten einfach mal miteinander ausgehen, was denkst du? Wir beide, wir würden ein hübsches, gutaussehendes Paar abgeben.” Er zwinkerte ihr zu.
Sie blinzelte, ihre Wangen waren rot angelaufen. “Ich …”
“Ich weiß”, Viktor winkte ab, “alle sagen, dass du und Mario gut zusammenpassen würdet, aber sind wir doch mal ehrlich, wie viele Jahre hatte er schon die Chance, dich um ein Date zu bitten und er hat es, meinem Wissensstand zufolge, bis heute nicht getan. Also, warum solltest du noch lange warten? Geh mit mir aus und ich sorge dafür, dass du ihn vollkommen vergisst, versprochen. Du und ich, Elsa, das klingt doch gut.”
Sie starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen, hochroten Wangen und offenem Mund an, brachte kein Wort hervor. Damit hatte sie nicht gerechnet, überhaupt nicht.
“Okay, ich habe dich damit überrumpelt, entschuldige bitte, Elsa. Ich schlage dir vor, denk darüber nach und dann sag mir Bescheid. Wir können gerne ins Kino gehen, wenn du magst, ich lade dich ein.”
Erneut zwinkerte Viktor ihr zu, dann drehte er sich herum und ging aus der Küche hinaus, ließ sie alleine. Elsa blieb fassungslos stehen, starrte ihm immer noch ungläubig hinterher. Mit Viktor auf ein Date gehen?
Es waren sicherlich schon über zehn Minuten vergangen, seit Viktor Elsa auf ein Date angesprochen hatte und seit diesem Zeitpunkt stand sie hier, immer noch in der Küche und starrte ungläubig auf die Getränke vor sich.
In diesem Moment tauchte Mario neben ihr auf.
“Hallo Elsa”, brachte er leise hervor und griff nach einer Wasserflasche, ohne etwas weiteres zu sagen.
“Mario?”, brach fragend aus ihr heraus, ohne dass sie ihn ansah.
Er unterbrach seinen Griff nach der Flasche und sah wiederum mit roten Wangen zu ihr.
“Ja?”
“Warst du schonmal … auf einem Date?”, fragte sie, während ihr Blick immer noch auf die Flaschen gerichtet war, ohne diese wirklich wahrzunehmen.
“Was?” Marios Augen weiteten sich ungläubig, er machte eine Schritt zurück und hob beide Hände abwehrend in die Höhe. “N-nein. Ich … nein. Ich war noch auf keinem Date ..”, antwortete er schockiert. Wie kam sie denn auf so eine Frage? Und sollte es ihr nicht klar sein? Immerhin … war da doch sie … und er wollte doch nur mit ihr … also eigentlich … aber ...
“Warum nicht?”, erklang ihre Stimme erneut.
“Ähm … ich … also … eigentlich … weil … ähm …”, stotterte er herum, ohne ihr eine wirklich Antwort zu geben.
“Viktor hat mich um ein Date gebeten …”, gab sie von sich, ohne richtig zugehört zu haben, was Mario gesagt hatte.
Dieser erstarrte.
“Vielleicht sollte ich es machen. Also mit ihm auf ein Date gehen …” Elsa biss auf ihre Unterlippe.
Mario war immer noch wie erstarrt und seine Augen weiteten sich noch mehr. Sein Herz schlug fast schmerzhaft in seiner Brust, sein Blick war auf Elsa gerichtet.
“Was ist eigentlich dein Problem?”, brach es plötzlich aus ihr heraus, woraufhin Mario zusammen zuckte. Er erkannte, dass Tränen in ihre Augen stiegen, warum musste sie nun weinen?
“Ist es dir tatsächlich egal, was ich mache? Bin ich dir tatsächlich so egal, dass es kein Problem für dich ist, wenn ich mit Viktor ausgehen würde?”, rief sie laut und nun konnte man ihr die Wut in der Stimme anhören.
An Marios Blick aus den weit aufgerissenen Augen änderte sich nichts.
“Wirklich? Nichts? Klar, war ja die letzten Jahre schon so, warum sollte sich da plötzlich etwas ändern. Ich … habe mir da nur eingebildet, einfach falsches gedacht, interpretiert, dass du mich magst. Wie dumm bin ich eigentlich!” Nun begannen die Tränen über Elsas Wangen zu laufen und sie schluchzte auf. “Ich bin doch so dumm …”
“Nein! Du bist nicht dumm, Elsa”, reagierte Mario nun endlich. “Du … du hast dir nichts eingebildet”, gab er von sich, trat zu ihr, streckte eine Hand unsicher nach ihr aus, ließ sie dann aber wieder sinken. Was sollte er sagen? Was tun? Das hier … er wollte doch nicht, dass sie weinte, unglücklich war … und sie schien es gerade zu sein, seinetwegen. Ja, er hatte es bis heute nicht geschafft, ihr seine Gefühle zu gestehen, immerhin war er schon lange in sie verliebt. Aber … oh Gott, er war immer so unsicher, wenn er in ihrer Nähe war, obwohl er sie so sehr mochte. Doch jetzt zu hören, dass Viktor mit ihr auf ein Date gehen wollte, sie es sich tatsächlich überlegte … das verunsicherte ihn nur noch mehr, ihm wurde bei dem Gedanken regelrecht schlecht.
Sie sah ihm nun tatsächlich in die Augen, während immer noch Tränen über die Wangen liefen. “Wenn … wenn”, schluchzte sie, “ich mir nichts eingebildet habe, warum hast du es mir dann nicht einfach gesagt? Warum hast du mich nicht um ein Date gebeten? Warum hast du es mir noch nie gezeigt, mich einfach in den Arm genommen, mich geküsst …”
Marios Herz schlug bei ihren Worten immer schneller. Sie hatte doch recht! Warum hatte er es ihr nicht einfach gesagt? Oder sie um ein Date gebeten? Sie in den Arm genommen oder sie … Bei ihren letzten Worten erstarrte er. Sie einfach geküsst …
Sie schluchzte nun auf, schlug ihre Hände vors Gesicht und er hörte, wie sie weinte, sah ihre Schultern zucken. Alles in ihm zog sich zusammen. Er wollte doch nur, dass sie glücklich war. Doch wäre sie es, wenn … “mich einfach in den Arm genommen, mich geküsst …”
Er biss sich auf die Unterlippe. Seine Schüchternheit hatte ihn bisher nicht weitergebracht, im Gegenteil. Nur das war der Grund, dass Elsa nun hier stand und weinte … er war schuld daran … und daher war es doch seine Aufgabe, das wieder in Ordnung zu bringen. Bisher hatte er immer Angst gehabt, dass er es war, der sich etwas einbildete, dass sie ihn nicht so mochte, wie er sie, hatte Angst vor einem Korb gehabt … aber wäre das so, dann hätte sie nicht so reagiert, hätte ihm das alles nicht an den Kopf geworfen … und daher … Er nahm all seinen Mut zusammen, trat zu ihr, ganz nahe vor sie. Sie ließ ihre Hände sinken, sah ihn mit großen Augen erstaunt an, schien nicht glauben zu können, was er hier tat, er konnte es ja selbst kaum glauben. Als es nun er war, der seine Hände auf ihre tränennassen Wangen legte, weiteten sich ihre Augen noch mehr. Und dann schloss er seine Augen, legte er kurzerhand seine Lippen auf ihre, ließ all seine Gefühle in diesen Kuss fließen, hoffte, dass sie verstand, was er ihr damit sagen wollte. Er spürte, wie sich ihre Hände um seine Handgelenke legten und dann erwiderte sie seinen Kuss. Und eines der Dinge, die ihm durch den Kopf gingen, war: Warum hatte er solange damit gewartet?
Als sie sich wieder voneinander trennten, sahen sie sich ungläubig über das, was gerade geschehen war, nach so langer Zeit, an. Ein Lächeln trat auf ihre Gesichter und gleich darauf ein verschmitztes Schmunzeln auf ihres.
“Heißt das, ich sollte Viktor lieber absagen?”
Auch Mario lachte leise auf. “Ja, das wäre mir ganz recht. Und wenn er fragt, ob du dann irgendwann anders Zeit hast”, er lächelte sie liebevoll an, “dann sag, dass du nie wieder Zeit hast, ja?”
Ihre Augen begannen zu strahlen und sie nickte. “Okay, das kann ich machen. Und ich werde ihm sagen, dass es da eben doch jemanden gibt, ist das in Ordnung?”
Mario nickte. “Mehr als in Ordnung.” Und dann zog er sie wieder an sich, um sie erneut zu küssen.
Manchmal braucht es eben nur einen kleinen Anstoß, um das Glück zu finden.
~~~ Ende~~~
