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Schwarze Witwe

Eine Waldlichtung
von

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Ein unangenehmer Geruch stieg ihr in die Nase und auf einmal verschwammen die Lichter der weit entfernten Stadt vor ihren Augen zu lauter unkenntlichen Punkten. Keinen Augenblick später wurde alles schwarz und sie spürte ihren Körper fallen.
 

Kommissar Wolff rieb sich mit seiner Hand den Schlaf aus den Augen. Kaum hatte er mal wieder Bereitschaft, wurde er gleich um zwei Uhr morgens aus seinem wohlverdienten Schlaf gerissen, um sein Handy auf dem Nachttisch aufblitzen zu sehen. Es hatte keine zwei Sekunden gebraucht, bevor er verstanden hatte, dass es eine Leiche geben musste. Nun stand er auf einer Waldlichtung am Rande der Stadt. Wäre er unter anderen Umständen hier, hätte er vielleicht die Aussicht auf die entfernten Stadtlichter genossen und das sanfte Mondlicht, das selbst diesen abgelegenen Ort in ein dämmriges, aber friedliches Licht tauchte. Doch stattdessen hielt die tote Person ein paar Meter abseits der Lichtung seine volle Aufmerksamkeit. Seine Kollegen waren bereits vor Ort und hatten einige der Spuren gesichert. Sein Blick fiel auf eine Pistole auf dem feuchten Waldboden, die mit einer Nummer markiert worden war. Man musste kein Experte sein, um darauf zu schließen, dass die Schusswunde im Kopf des toten Mannes die Todesursache gewesen sein muss.
 

Dennoch trat Kommissar Wolff neben den Gerichtsmediziner und ging leicht in die Hocke, um einen näheren Blick auf das Opfer zu werfen. “Guten Abend, Kommissar”, wurde er begrüßt, Wolff lachte leicht. “Gute Nacht wohl eher, Doktor.” Der Doktor lachte ebenfalls kurz und deutete auf die Leiche. “Ich denke mal, die Todesursache ist klar.” “Wie lange ist er schon tot?”, fragte Wolff, der langsam wach zu werden schien, auf einmal ganz fokussiert auf seine Arbeit. “Nicht lange, vielleicht eine Stunde.”, gab der Gerichtsmediziner an und Wolff blickte überrascht vom Körper auf. Es kam nicht oft vor, dass eine Leiche so früh entdeckt wurde. Nicht um diese Zeit, nicht an solch einem Ort. Ein unwohles Gefühl machte sich in seinem Magen breit. “Wer hat die Leiche gemeldet?”, fragte er daher nun und der Doktor wies mit seinem Kopf in eine Richtung.
 

Wolff folgt der Bewegung und sein Blick fiel auf eine sehr attraktive junge Dame, die mit zusammengesackten Schultern auf einem Baumstamm am Rande der Szene saß. Sie erinnerte den Mann an seine eigene Tochter mit ihren langen braunen Haaren und ihrer kleinen roten Handtasche neben sich. Über ihre Schultern hatte man eine orange Decke gelegt und in ihren Händen befand sich eine Tasse mit dampfender Flüssigkeit. Da es trotz der späten Stunde an die 24° waren, konnte man wohl davon ausgehen, dass die Frau unter einem ziemlichen Schock stehen musste. Wolff seufzte und erhob sich aus seiner Hocke. Er mochte seinen Job, aber das Befragen von traumatisierten Zeugen war nicht unbedingt sein liebster Part. Dennoch etwas, das getan werden musste und so begab er sich auf den Weg zu der Dame, geschult ein beruhigendes Lächeln aufzusetzen. Neben ihr lag ein umgefallener Baumstumpf, auf den er sich trotz des Dreckes niederließ und ihr Blick hob sich, als sie die Bewegung registrierte.
 

“Hallo”, lächelte er freundlich, “ich bin Kommissar Wolff.” Die Diamant ähnlichen hellblauen Augen der Frau, schienen durch ihn hindurch zu starren und als sie nichts entgegnete, fuhr er fort: “Man sagte mir, sie sind diejenige, die die Leiche gefunden hat?” Sie schüttelte den Kopf und Wolff hob verdutzt eine Augenbraue. Hatte er falsch angenommen? Er blickte um sie herum, aber außer zwei Polizisten, einem Rettungssanitäter und dem Doktor war sonst niemand hier. “Entschuldigen Sie bitte, dann muss ich falsch informiert worden sein. Dürfte ich dann fragen, wie sie in die Situation hier verwickelt sind?” Die Frau umklammerte ihre Tasse und blickte verloren die Flüssigkeit darin an, als könnte sie darin etwas sehen. “Ich habe ihn umgebracht”, wisperte sie kaum hörbar und voller Reue. Wieder hatte Wolff ein unwohles Gefühl. Sie hatte ihn umgebracht? Die Dame führte ihre Aussage nicht fort, sondern starrte nur weiter in ihre Tasse.
 

Einer der beiden Polizisten trat zu den beiden und Wolff stand auf, um sich von der Dame abzuwenden. “Sie ist diejenige, die uns angerufen hat.”, erklärte ihm der Kollege. Der Mann war etwa einen halben Kopf kleiner als Wolf und schien recht jung. Wolff schätzte den Burschen auf Ende dreißig. Aber wenn man wie Wolff kurz vor seiner Rente stand, dann schien für einen wahrscheinlich jeder jung. “Und sie hat ihn umgebracht?”, fragte Wolff, nicht überzeugt von der Aussage der Frau. Der junge Mann kratzte sich am Hinterkopf. “Na ja, das sagt sie zumindest, …” “Aber?”, hakte Wolff nach, da der Satz noch nicht beendet schien. “An der Waffe sind keine Finger-Abdrücke, wir konnten so noch keine Schussrückstände feststellen und bis auf ‘Ich habe ihn umgebracht’ haben wir bisher noch nicht viel aus ihr herausbekommen. Außerdem.”, er legte eine kurze Pause ein und schaute kurz zu der Dame“, außerdem war sie in einem schlimmen Zustand als wir ankamen.” Wolff legte seinen Kopf schief: ”Definieren sie schlimm.” Der junge Polizist biss sich leicht auf die Unterlippe. “Na ja, ihr Haare waren zersaust, ihre Kleidung ist zerrissen - daher die Decke und wegen des Schocks natürlich - und sie hat mehrere frische Schnittwunden auf ihrem Rücken.” “Schnittwunden?” Der junge Polizist nickte. “Ja, aber bisher haben wir nirgendwo ein Messer oder ähnliches finden können. Aber wenn sie ihn wirklich umgebracht haben sollte, dann scheint mir das hier eher wie ein Fall von Selbstverteidigung?”
 

Wolff fuhr sich durch sein fast graues, kurzes Haar und blickte ein weiteres Mal zu der Zeugin. Oder sollte er Täterin sagen? Noch war er sich nicht sicher, wie er diese Situation deuten sollte, aber irgendwas schien nicht ganz zu stimmen. “Wir sollten auf jeden Fall schauen, dass wir das Messer ausfindig machen. Wissen wir ihren oder den Namen des Opfers?” Der junge Mann schüttelte den Kopf. “In Ordnung, ich werde versuchen mit ihr zu reden” “Viel Glück” Damit begab sich der Polizist wieder zurück zu seinem Kollegen, um diesem zu helfen den Bereich abzusperren. Wolff setzte sich ein weiteres Mal auf dem Baumstumpf und blickte die Frau an. “Können sie mir ihren Namen sagen?”, fragte er mit seiner vertrauenswürdigsten Stimme. Doch scheinbar war er es diesmal nicht wert, dass sie von ihrer Tasse hochschaute. “Kannten sie das Opfer?”, versuchte er daher eine andere Frage und sie zuckte leicht, als er ‘Opfer’ sagte. Jede andere Bewegung blieb jedoch aus. Wolff wollte schon die nächste Frage stellen, da sah er, wie sie kaum merklich den Kopf schüttelte. Zumindest etwas, dachte er sich. “Hat er ihnen ihre Wunden zugefügt?”, traute er sich weiter zu fragen. Ja / Nein Fragen schienen aktuell am effektivsten zu sein. Wieder schüttelte sie leicht ihren Kopf. “Die Person, die ihnen die Wunden zugefügt hat. War sie dabei, als das Opfer gestorben ist?”, fragte Wolff hoffnungsvoll. Er brauchte irgendjemanden, der ihm mehr gab als diese Frau. Zu seinem Überraschen nickte sie zögerlich. “Und wo ist diese Person jetzt?”, hakte er schnell nach, aber die Frau beharrte wohl darauf nichts zu sagen. Daher wiederholte er seine Frage ein wenig umformuliert. “Ist diese Person noch in der Nähe?” Sie nickte. Instinktiv schaute sich Wolff um, aber um sie herum waren nur Bäume so weit das Auge reichte. Als er zurücksah, traf ihn der Blick der Frau und ihre leblosen Augen starrten ihn eingängig an. Einer ihrer Hände löste sich von ihrer Tasse und langsam hob sie ihren nackten Arm, um in den Wald zu zeigen. Wolff versuchte etwas in der Richtung auszumachen, aber das spärliche Mondlicht reichte nicht weit. “Ist er in diese Richtung?”, versuchte er ihre Geste zu verstehen und sie nickte, bevor sie ihre Hand zurückzog und wieder ihre ursprüngliche Haltung - über ihre Tasse gebeugt - einnahm.
 

“In Ordnung”, Wolff erhob sich und entschloss sich eine kleine Expedition in den Wald zu starten. Er wusste nicht, was genau er erwartete, aber er wusste, dass er gerade nicht viele andere Anhaltspunkte hatte und wenn der Typ, der tatsächlich für das hier verantwortlich war, noch hier im Wald herumlungerte, dann konnte er das sicherlich nicht bis morgen warten lassen. Er bat den jungen Polizisten ihn zu begleiten und dieser willigte freudig ein. “Natürlich Sir. Haben sie eine Spur?” Für die späte Stunde, war der Mann vielleicht ein klein wenig zu enthusiastisch. Er erinnerte Wolff ein klein wenig an sich selbst, als er noch ein Polizist gewesen war. “Vielleicht”, gab er kurz zurück und sie stapften los.
 

Der lockere Waldboden gab hier und da unter ihren Füßen nach und ab und zu brachen einige Äste unter ihren Schuhen. In der Ferne hörte man ab und an eine Eule und langsam verschluckte das Laub über ihnen das Mondlicht, sodass nur noch das Licht der Taschenlampe, die der Polizist gezückt hatte, den Weg vor ihnen erleuchtete. “Wonach suchen wir?”, fragte der Polizist nach, seine Stimme leise und vielleicht sogar etwas beunruhigt. Leider wusste auch Wolff nicht wonach genau sie suchten, bis er glaubte es gefunden zu haben. Er könnte sich irren, aber er glaubte einen größeren Schatten hinter einem der Bäume ausmachen zu können. Schnell setzte er seinen Zeigefinger auf seine Lippen, um dem jungen Mann neben sich zu verstehen zu geben, dass er einen Moment ruhig sein sollte. Dann zeigte er stumm in die Richtung des Baumes und auf einmal ging alles ganz schnell.
 

Nichts ahnend lenkt der Polizist den Lichtkegel in die Richtung des Baumes und eine hockende Gestalt wird sichtbar. Die Gestalt zuckt zusammen, dreht sich um und zwei dunkelbraune Augen starren die beiden Männer an. Der Mann hinter dem Baum erhebt sich und in seiner linken Hand sieht Wolff etwas Silbernes aufblitzen. Das Messer. Es dauert keinen Augenblick bis Wolff seine Pistole gezogen hat und sie auf den Mann vor sich zielt.
 

“Bleiben sie, wo sie sind”, befahl Wolff dem Mann vorsichtig. Auch sein Kollege hatte nun seine Waffe gezogen und den Unbekannten anvisiert. Der Mann schien schlau genug zu sein, um den Befehl nicht zu missachten. Zumindest etwas, dachte Wolff und fuhr langsam fort: “Bitte lassen sie die Waffe fallen.” Der Blick des Unbekannten fiel auf das Messer in seiner Hand, als würde ihm jetzt erst auffallen, dass er es überhaupt hatte. Seine Augen zuckten zwischen Wolff und dem Messer hin und her bis er innehielt und Wolff ansah. Kaum sichtbar schüttelte er den Kopf und verstärkte den Griff um das Messer. Wolff atmete tief ein und aus, um weiterhin seine ruhige Farce aufrechterhalten zu können. “Wir wollen ihnen nichts Böses. Wir wollen nur mit ihnen reden. Bitte… legen sie die Waffe ab. Ihnen passiert nichts.”
 

“Sie verstehen nicht!”, rief der Unbekannte auf einmal mit zittriger Stimme, das Messer weiterhin fest umklammert. “Was verstehen wir nicht?”, fragte Wolff in einem deutlich leiseren Tonfall. Der Unbekannt begann zu stottern: “Sie-...Sie-...ver-stehen nicht, Sie...Sie…”, der Mann stoppt und seine Augen weiten sich und von jetzt auf gleich purzelten die Worte nur so aus ihm heraus: “Sie hat ihn umgebracht! Sie ist schuld! Sie ist an allem schuld! Ich wollte ihn nicht umbringen! Diese Frau sie hat ihn einfach umgebracht! Sie müssen sie festnehmen! Ich bin als Nächstes dran!” Der Mann stoppte und sein Atem ging schwerer. Sprach er von der Frau, die unter Schock ein paar Meter weiter mit einer Tasse Tee in der Hand auf einem Baumstamm saß? Hatte er Angst vor ihr? Sicherlich Fragen für einen späteren Zeitpunkt. Zunächst musste Wolff sicherstellen, dass der Mann niemanden verletzte. “Sie müssen keine Angst haben. Die Frau wird ihnen nichts tun, das verspreche ich ihnen. Sie müssen nur von ihrer Waffe ablassen.”, versuchte Wolff den Mann zu versichern, welcher offensichtlich mit seinen Nerven am Ende war.
 

Hoffnungsvoll schaute ihn der Mann an. “Habt ihr sie festgenommen?” Wolff wusste, was der Mann hören wollte, aber in solchen Momenten zu lügen konnte einen später böse einholen. “Nein, aber sie ist unter Bewachung”, antwortete Wolff daher mehr oder weniger wahrheitsgetreu. Um ehrlich zu sein, konnte er sich noch immer nicht vorstellen, dass die Frau, die er zuvor getroffen hatte, ohne Grund einen Mann ermordet haben sollte. Sie schien auch nicht dazu in der Lage am selben Abend noch einen zweiten Mann zu töten. Vorausgesetzt sie hatte überhaupt den ersten auf dem Gewissen.
 

Der unbekannte Mann schien ein wenig beruhigt zu sein, denn er beugte sich nach vorne und legte das Messer auf dem Boden vor sich ab. Wolff nickte schnell dem Polizisten zu und dieser sammelte das Messer ein und ließ es in eine kleine Plastiktüte gleiten. Damit senkte auch Wolff seine Waffe und nähert sich dem unbekannten Mann. “Wie lautet ihr Name junger Mann?” “Tobias Dornten” antwortet der Mann schon deutlich ruhiger. “Wie in Dornten Electronis?”, fragte der Polizist überrascht nach. Herr Dornten nickte. “Die Firma gehört meinem Vater.” Wolff blickte den Polizisten etwas verloren an. “Kennen sie die Firma etwa nicht, Kommissar? Aktuell ist Dornten nur einen Platz hinter dem Marktführer ‘Venus & more’. Man spekuliert, es dauert nicht mehr lange, bis der Laden auch die überholt.” Wolff nickt nur leicht, das war nicht unbedingt etwas, was er aktiv mitverfolgte. Wenn es um Technik ging, hatte er sich damit abgefunden, dass er einfach nicht mehr Teil dieser Generation war.
 

“Also Herr Dornten”, führte Wolff seine Befragung weiter, “ich würde ihnen gerne ein paar Fragen stellen, würden sie mir dazu einmal zurück zur Lichtung folgen?” Herr Dornten nickte, wenn auch nur zögerlich und folgte den beiden stumm zurück zum Tatort. Kaum hatten sie den Schutz der Bäume hinter sich gelassen und waren auf die Lichtung getreten, erblickte Dornten etwas und stockte in seinen Schritten. Wolff konnte sich denken, dass der Mann die Frau ein paar Meter weiter auf dem Baumstamm ausgemacht hatte. Auch Wolff hielt an und drehte sich um. “Wir können die Befragung auch hier durchführen, wenn ihnen das lieber sein sollte”, schlug er vor, da er nicht noch einen Panikausbruch des Mannes erleben wollte. Einer hatte für diese Nacht zunächst ausgereicht. Dornten schluckte etwas herunter, das ihn am Reden zu hindern schien, und nickte erneut, bevor er mit einem leichten “Ja” antwortete.
 

Wolff nickte ebenfalls und wand sich kurz zum Polizisten. “Haben sie etwas zum Schreiben bei sich?” “Ja! Natürlich!” antwortet der Polizist energisch und kramte in einer seiner Hosentaschen. “Kleinen Moment, irgendwo hier sollte es sein”, er schien in der einen Hosentasche nicht fündig zu werden, daher probierte er es schnell in einer anderen und zauberte wenige Momente später einen kleinen Notizblock mit dem Stadt-Logo darauf und einen Kuli von einer Hausbaufirma daraus hervor. Wolff nahm die beiden Artikel entgegen und ignorierte die Dezente Werbung die sie hier kostenlos verbreiteten. Er schlug die nächste freie Seite auf und setzte zum Schreiben an. “Also Herr Dornten, waren sie dabei als das Opfer erschossen wurde?” Gefragter starrte ihn an, als hätte er ihn gerade gefragt, ob er ein blaues Schwein im Wald gesehen hätte. “Herr Dornten?”, hakte Wolff nach. Seine Müdigkeit machte ihn nicht unbedingt zu einem geduldigeren Menschen und er ist froh, dass man nun auf seine Frage antwortete, wenn auch etwas schnippisch. “Natürlich war ich dabei. Ich sagte ihnen. Sie hat ihn umgebracht!”, er deutet auf die Frau, ohne dabei in ihre Richtung zu sehen. Erst jetzt fallen Wolff die dunkelbraunen Handschuhe an den Händen des Mannes auf. Durchaus eine mögliche Erklärung dafür, dass keine Fingerabdrücke auf der Waffe zu finden waren. Still notierte er sich diese Beobachtung und fragte weiter ohne sich aus der Bahn bringen zu lassen.
 

“Kannten sie das Opfer?” “Ja, wir kennen uns, ich meine kannten uns seit dem College.” “Haben sie einen Namen für mich?” “Teresa” Nun blickte Wolff den Mann verdutzt an? “Teresa?” Dornten nickt, “So hat sie sich zumindest bei mir vorgestellt. Ich kenne sie erst seit heute Abend. Wir haben uns in einer Bar in der Stadt getroffen und sie wirkte nicht wie eine Psychopatin auf mich, aber ich meine-” Wolff unterbricht ihn. “Ich sprach von dem Opfer.” “Achso ... em … Markus Klepert” “Klepert?!”, warf der Polizist neben ihnen ein, den Wolff fast vergessen hatte. Mit gehobener Augenbraue sah Wolff den Mann an. “Entschuldigung. Ich wusste nur nicht, dass unsere Leiche berühmt ist. Habe den Mann nie zuvor gesehen, aber den Namen habe ich oft genug gehört, um zu wissen, dass er wichtig ist.” Na toll, dachte sich Wolff. Das bedeutete umso mehr Papierkram für ihn, wenn das ganze hier durch war. Aber das hatte er eigentlich schon erwartet, als der Polizist Dornten am Namen erkannt hatte.
 

“Also..”, nahm Wolff das Gespräch wieder in die eigene Hand. Den Namen des Opfers hatte er notiert. “Schildern sie mir doch bitte genau, was abgelaufen ist.” Dornten verstummte und rieb sich über sein Hosenbein. “Herr Dornten?”, Dornten stoppt in seiner nervösen Bewegung und schaut Wolff etwas verängstigt an, aber nach einem kurzen Zögern begann er zu erzählen.
 

“WIe ich bereits gesagt habe, habe ich diese Frau in der Bar getroffen und wollte ihr die Aussicht von hier oben zeigen. Ich mein, das Panorama der Stadt sieht man von nirgendwo besser und sie sagte, sie wäre nicht von hier. Darum wollte ich ihr die Lichtung zeigen. Das ist irgendwie mein Plätzchen oder so ähnlich. Jedenfalls bring ich sie hier hin und auf einmal taucht Markus auf. Kein Ahnung, warum. Echt nicht, er hat irgendwas von einer Nachricht gelabert, aber ich hab ihm nichts geschickt, hab sogar extra mein Handy gecheckt, da war nichts. Auf jeden Fall hat er mich angemault. ‘Tobias du hast gesagt, du hörst auf!’ ‘Tobias ich kann dich nicht ewig decken’ Das übliche.” Wolff konnte nur annehmen, dass Dornten versuchte die Stimme des Opfers nachzuahmen. Ob er diese getroffen hatte, würde er wohl jetzt nicht mehr erfahren können. Zumindest nicht aus erster Hand. “Was meint er mit decken?”
 

Dornten winkt ab: “Ich bin verheiratet.” “Ah”, gibt Wolff nur zurück und merkt, dass ihm der Mann nicht gerade sympathischer wird. “Fahren sie fort” Dornten nickt und im Zuge seiner Geschichte scheint er fast zu vergessen, dass er soeben noch Angst vor der Frau hatte, die ein paar Meter weiter unverändert sitzt.
 

“Okay, okay, auf jeden Fall meinte dann auf einmal die Frau in unsern Streit zu fallen. Sie konnte nicht einfach den Mund halten und musste auf einmal sagen, dass sie bestimmte Bilder auf meinem Handy gesehen hat. Sie muss die wohl gesehen haben, als ich welche mit ihr gemacht habe und die Galerie geöffnet habe. Nicht den blassesten Schimmer, woher sie wusste, dass die Frau auf den Bildern Markus Verlobte ist, äh war. Ich meine zu dem Zeitpunkt hat mich das nicht wahnsinnig geschockt, weil beide relativ berühmt sind. Ich dachte, sie hätte sich an die berühmte Frau in meinem Handy erinnert. Nunja, mittlerweile weiß ich, dass sie das alles geplant haben muss. Markus war über dieses Wissen nicht ganz happy. Er hat gedroht alles auffliegen zu lassen. Und da hab ich entschieden ihm auch ein wenig zu drohen. Und dann hab ich…” Wolff rotierte sein Handgelenk, um zu zeigen, dass er fortfahren soll “Da haben sie...?” “Da hab ich meine Waffe gezogen… Aber ich hatte nicht vor ihn zu erschießen! Wirklich nicht. Ich wollte ihm nur Schiss machen. Ehrlich! Fragen sie jemanden in unserem Freundeskreis! Wir waren so”, er kreuzt zwei Finger und hält seine Hand etwas verzweifelt hoch. Wolff nickt nur, versucht objektiv zu bleiben, auch wenn ihm dies zunehmend schwerfällt, wenn er seine zwei Verdächtigen betrachtet.
 

“Fahren sie fort. Wie kam es dazu, dass ihr Freund erschossen wurde?” Erneut fährt seine linke Hand über seinen Oberschenkel und Dornten fährt nach einer kurzen Pause fort. “Für ne kurze Zeit war es ein hin und her zwischen uns beiden. Ich meine wir haben uns beide Sachen gegen den Kopf geworfen, die wir sicher nicht so meinten und ich war total in unserem Streit gefangen, da habe ich nicht gemerkt, dass sich das Weib bewegt hat und auf einmal hinter mir stand. In der einen Sekunde stand Markus vor mir und in der nächsten…” Er beendet seinen Satz nicht, sondern lässt stattdessen seinen Blick zu der Leiche gleiten, die noch immer hinter Wolff auf dem Waldboden schlummert. Wolff verstand, dass es schwer sein musste, die Geschehnisse so kurz nach dem Verleben des Freundes wiedergeben zu müssen. Dennoch musste er noch einmal tiefer fragen: “Hat die Frau sie erschreckt und sie haben abgedrückt?” Dornten beißt sich auf seine Unterlippe. “Ich meine, wer berührt urplötzlich eine Hand, die mit dem Finger am Auslöser einer Waffe ist. Sie wollte, dass ich ihn erschieße! … Sie glauben mir nicht!”, stellt Dornten geschockt fest und Wolff versucht den ungläubigen Blick, der sich wohl auf sein Gesicht geschlichen haben musste, zu unterdrücken. Ja, das meiste der Geschichte war irgendwie stimmig, aber die Frau hat wahrscheinlich eher versucht ihn zu entwaffnen, als ihn abdrücken zu lassen.
 

“Warten sie, bis sie hören, was sie gesagt hat, als er tot war!”, versucht Dornten den Kommissar zu überzeugen. “Du hast deinen Freund ermordet.” Er versuchte eine Frauenstimme nachzuahmen, was ihm nicht unbedingt gelang. “Das hat sie gesagt. Aber nicht geschockt, nein! Als würde sie mich auslachen wollen! Mich verspotten!” Dornten war wieder in eine etwas aufgewühlte Stimmlage verfallen. Wolff konnte sich nicht verkneifen einen Blick zu der besagten Frau zu werfen. Langsam glaubte er, dass sich der Mann die Realität zu seinen Gunsten ein wenig verzog. Vielleicht glaubte Dornten sogar wirklich, dass die Frau seinen Freund ermorden wollte, aber vielleicht war es auch tatsächlich ein tragischer Unfall. Oder aber der Mann log extrem gut und hatte das alles geplant. Dass die Frau versucht hatte ihm die Waffe abzunehmen, kam ihm da vielleicht nur recht.
 

Nach all den Jahren im Beruf wusste Wolff allerdings, dass man eigentlich kaum jemandem trauen konnte. Selbst die Menschen, die einem komplett unschuldig erscheinen, können sich als die schlimmsten Verbrecher entpuppen. Daher wollte er weder die Frau noch den Mann gänzlich von der Liste streichen. Aktuell hatte er nur mündliche Beschreibungen. Klar war nur, dass Dornten den Abzug betätigt hatte, sonst hätte er dies sicherlich nicht zugegeben. Die Frage war nur, ob mit Vorsatz oder tatsächlich aus Schreck. Oder vielleicht auch, weil die Frau es so wollte. Wolff notierte sich das Wichtigste in seinem Notizbuch. “Und sie sagten, die Frau habe sich bei ihnen als Teresa vorgestellt? Sie haben sie heute in einer Bar getroffen?” Dornten nickt nur kurz.
 

“Und die Schnittwunden?”, warf der Polizist neben ihnen auf einmal ein. Wolff schenkt ihm einen Blick, der sagt “Danke, aber das wollte ich auch gleich fragen” und der Mann presst entschuldigend seine Lippen zusammen. “Bitte beantworten Sie die Frage meines Kollegen: Die Frau hat Schnittwunden und sie hatten ein Messer. Wie ist das passiert?” “Achdas, joa also...”, beginnt Dornten und schmunzelt tatsächlich kurz: “sie meinte, sie steht drauf. Blood Play und so, sie wissen doch wie das ist mit den Kinks von heute. Und so einer hübschen Frau schlage ich doch keinen Wunsch aus. Sie wissen sicherlich wie das ist mit den Weibern.” Wolff zog eine Augenbraue nach oben, denn er war sich nicht sicher, was genau er wissen sollte über die “Weiber”. Seine Ehe war seit über 30 Jahren mehr als glücklich und selbst in seinen jungen Jahren ist er nie wirklich herumgekommen.
 

Auf jeden Fall würde er die Aussage gerne mit der Frau, Teresa, abgleichen, aber nur mit Ja-Nein Fragen könnte sich das als recht müßig herausstellen. Vielleicht wäre es besser zu warten, bis ihr Zustand sich verbessert hatte. Zumindest glaubte Wolff nicht, dass er noch irgendwelche Details hier übersehen hatte, die nicht noch bis morgen warten könnten. “Vielen Dank Herr Dornten, das waren zunächst alle Fragen. Ich muss sie darum bitten ihre Kontaktdaten bei meinem Kollegen zu hinterlassen und die Stadt in den nächsten Tagen nicht zu verlassen. Wir werden uns bei ihnen melden. Ich würde ihnen allerdings raten sich einen Anwalt zu suchen. Außerdem würde ich gerne noch ihr Handy sehen und das Bild, dass sie angesprochen haben. Nur um alles abzudecken.”, erläuterte Wolff ruhig und recht routiniert. “Em ja, das könnte etwas schwer werden, Markus wollte, dass ich die Bilder lösche und ich wollte ihn nicht noch mehr verärgern, darum habe ich klein bei gegeben.” “Vielleicht sind sie ja noch im Papierkorb”, warf der Polizist optimistisch ein. “Geben sie mir am besten einfach einmal ihr Handy”, wiederholte Wolff seine Bitte. “Ich würde lieber nicht, ich meine ich hab da auch privates Zeug drauf, wissen sie.” Wolff seufzte und rieb sich die Augen. “Ich versicher ihnen, ich schau mir nur kurz die Galerie an.” “Ja, aber da sind auch private Fotos.”
 

“Weigern sie sich gerade, mir ihr Handy auszuhändigen?”, fragt Wolff ein klein wenig genervt und auch dezent überrascht, da Dornten bis hierhin recht kooperativ war. Abgesehen von der initialen Messergeschichte zumindest. “Ich meine, haben sie ein Recht dazu einfach in meinem Handy herumzusuchen?” Wieso müssen es alle immer komplizierter machen, als es sein muss? Eine Frage, die Wolff nicht unbedingt selten durch den Kopf ging. “Nein”, erläutert er widerwillig, “dazu müsste ich einen Beschluss beantragen, aber sie machen sich nur unnötig verdächtig, wenn sie es jetzt verweigern. Wir können ihr Handy zudem einsammeln, ohne die Daten einzusehen, bis wir einen Beschluss haben. Um sicherzugehen, dass sie in der Zeit nichts löschen oder abändern, was vielleicht als Beweis dienen könnte, können wir das Gerät beschlagnahmen, bis ein Beschluss vorliegt.” Dornten starrt ihn etwas erschrocken an. So langsam wurde das Handy immer interessanter. Vor einem Augenblick hatte Wolff sich nicht viel bei seiner Bitte gedacht, nun war er sich mehr als sicher, dass Herr Dornten etwas in seinem Handy hatte, was er nicht mit der Polizei teilen wollte. War nur die Frage, ob dieses etwas mit dem Fall zu tun hatte.
 

“Nehmen Sie bitte das Handy an sich”, bittet Wolff den Polizisten, aber seine Bitte kommt mehr wie eine Anweisung heraus. Dies schien den jungen Mann jedoch nicht zu stören und freundlich nimmt er Dornten dessen Handy ab, der dieses nur widerwillig übergibt. Wolff könnte schwören, er hörte ihn etwas in die Richtung murmeln, dass sie von seinem Anwalt hören würden. Sollte er ruhig versuchen. Wolff war sich ziemlich sicher, dass der Staatsanwalt das Handy als Beweismittel zulassen würde. Es hieß also nur noch abwarten.
 

“Bäcker”, kam der zweite Polizist hier am Tatort auf ihr Grüppchen zu, mit der Hand leicht winkend über seinem Kopf. Erst als der Polizist neben ihm auf das Wort reagierte, verstand Wolff, dass er sich hier um den Namen des Kollegen handelte und der Polizist sie nicht fragen wollte, ob er ihnen was vom Bäcker bringen soll. Hätte Wolff auch gewundert. Um diese Uhrzeit hatte schließlich nichts mehr auf. “Ja?”, entgegnete angesprochener. “Die Zeugin, äh, Täterin (?), em die Tatverdächtige hat auf eine unserer Fragen geantwortet!” berichtet der Mann strahlend. Warum war die Jugend von heute nur so motiviert? Wolff war einfach nur froh, wenn er das Drama für heute abschließen konnte und morgen nach einer Mütze voll Schlaf die restlichen Indizien bearbeiten könnte.
 

Ganz stolz fuhr der Mann fort: “Sie heißt Teresa Veilchen und sie hat gesagt, sie hat diesen Mann heute in einer Bar getroffen und ist mit ihm hier hochgefahren.” Er zeigt auf Herrn Dornten. Soweit bis auf einen Nachnamen nichts Neues, denkt Wolff sich, aber scheinbar ist es hier noch nicht zu Ende mit den Informationen. “Sie sagte, er habe ihr auf einmal von hinten ein Tuch vor die Nase gehalten und als sie aufwachte, war sie gefesselt und ihr Rücken schmerzte. Er hätte hinter ihr mit einem Messer gestanden und ihr langsam Schnittwunden zugefügt und dann Fotos davon gemacht.” Diese Information war neu. Die Blicke von Wolff und dem Polizisten, der wohl Bäcker hieß, fielen zu Dornten, der sie nur perplex anstarrte.
 

Beschützend hob er die Hände. “Sowas hab ich nie getan. Sie will nur die Schuld von sich ablenken! Das mit den Wunden war ganz ihre Idee.” “Und die Fotos?”, fragte Wolff skeptisch. “D-Die auch”, presste Dornten heraus, aber er war nicht sonderlich überzeugt. Wolff überlegte, ob er genug gegen Dornten in der Hand hatte, um ihn in Gewahrsam zu nehmen. So langsam war er sich nämlich nicht mehr sicher, was er dem Mann glauben konnte. Doch die Müdigkeit vernebelte seine Gedanken zu sehr, um ausgiebig über die Option nachzudenken. Schnell entschließt er sich daher seine Chance nicht zu vertun. “Herr Dornten ich nehme sie vorläufig in Haft auf Verdacht von Missbrauch und Mord. Brauchen wir Handschellen oder begleiten sie uns freiwillig?” “Aber ich sag ihnen doch, ich wars nicht! Sie wars! Nehmen sie sie fest!”, schreit Dornten, seine Fassung wieder vollständig verloren, über die Lichtung hinweg. “Sie haben das recht zu schweigen.” antwortet Wolff nur stumpf und weist seinen Kollegen an die Festnahme durchzuführen. Dieser, eifrig wie er ist, kommt seiner Aufgabe gleich nach und Wolff wendet sich von den Geschehnissen ab. Morgen würde er sich um alles Weitere kümmern. Jetzt rief erst einmal sein Bett nach ihm.
 

Kurz bevor er das Gelände verlässt, um sich auf den Weg zu seinem parkenden Auto zu begeben, wirft er noch einen Blick auf die Frau, die mittlerweile neben dem Sanitäter steht und diesem ihre Tasse reicht. Dieser nimmt die Tasse entgegen und sie dreht sich um. Ihre Blicke treffen sich und Wolff versucht ein aufmunterndes Lächeln in ihre Richtung zu werfen. Und ganz kurz meint er im Mondschein ein Lachen auf den Lippen der Frau aufblitzen zu sehen. Kein schüchternes, freundliches Lächeln. Ein triumphierendes Lachen.
 

Wolff rieb sich die Augen. Hatte er sich das gerade eingebildet? Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, die sich auf einmal in seinem Kopf breit machen wollten. Doch auch zu Hause angekommen schwirren da immer noch diese Fragen in seinem Kopf herum. Wieso hat sie auf einmal alles erzählt und das, nachdem sie den gesehen hat, der ihr ihre Wunden zugefügt hatte? Wer hatte Markus die angesprochene Nachricht geschickt? Wie hatte sie Dornten nicht bemerkt, bis es zu spät war? Wieso hat sie das Bild auf seinem Handy angesprochen? Man muss nicht extra erwähnen, dass Wolffs Schlaf in jener Nacht gering ausfiel. Wolff sollte nie erfahren, was wirklich passiert war. Auf Dorntens Handy würde er Beweise finden, dass Teresa nicht dessen einziges Opfer war, unter diesen auch die Ex-Verlobte von Markus.
 

~~
 

Ein lauter Schuss hallte durch den Wald und alles verstummte mit einem Male. Selbst der Wind schien innezuhalten. Nicht einmal eine Grille traute sich zu zirpen. Für einen Moment war die Welt um sie herum in absolute Stille getaucht. Für einen Moment hielt alles den Atem an, bevor der Wind einige Augenblicke später wieder durch die Blätter streifte, als wenn nichts gewesen wäre. Nichts bis auf, dass ein Mensch wenige Meter von ihnen entfernt diese Welt verlassen hatte. Tobias schaute geschockt in Richtung seines Freundes, der leblos auf dem nassen Waldboden lag und sich nicht mehr zu rühren schien. Nur das Blut, dass noch aus seiner

Schusswunde zwischen den Augen austrat, verriet, dass er vor wenigen Sekunden noch am Leben gewesen sein musste. Tobias Augen folgten der roten Flüssigkeit, wie sie seine Schläfen entlang floss und auf die Erde tropfte.

Sein Körper ließ ihn im Stich und er sackte auf seinen Knien zusammen. Zittrig wand er seinen Blick von Markus Körper vor ihm auf seine Hände. Dort lag die ganz unschuldig die Pistole in seiner Hand, als hätte sie nicht gerade jemanden umgebracht. Sein Griff wurde schwach und die Waffe fiel aus seinen Händen. Er verstand nicht, was war geschehen? Er hatte gemerkt, wie sich etwas auf seine Hand gelegt hatte und dann… Dann war es auch schon geschehen gewesen. Er schluckte und merkt, dass noch immer eine Hand auf der seinen aufliegt. Nur langsam folgt er dem Arm, dem die Hand anhängt und sieht sich auf einmal Teresa gegenüber. Wie im…? Wann hatte sie sich aus ihren Fesseln befreit? Was hatte sie dazu bewegt sich hinter ihn zu begeben und seinen Finger auf den Abzug zu drücken? Oder hatte er gezuckt, als sie ihn berührt hatte? Hatte er den Tod seines Freundes zu verantworten? Wieso war die Sicherung seiner Waffe nicht aktiv? Warum zitterten ihre Hände nicht? Wieso waren ihre Augen auf einmal so kalt? Wieso lächelte sie?
 

Eine Million Fragen rasten mit rasantem Tempo durch seinen Kopf, aber er verstand überhaupt nichts mehr. Seitdem Markus aufgetaucht war, wusste er nicht mehr wirklich was passierte. Es hätte doch ein ganz normaler Freitagabend werden sollen. Normal, zumindest in seinem Buch. Sicherlich machte sich nicht jeder was daraus, Frauen in Bars aufzureißen, nur um sie dann zu betäuben und sich daran zu erfreuen ihre jungfräuliche Haut mit Wunden zu schmücken. Sein Hobby war schon immer sehr speziell gewesen. Ohne Markus Unterstützung wäre er sicherlich nicht immer so einfach damit davon gekommen. Bis vor seinem Auftauchen hatte er das Gefühl gehabt, alles unter Kontrolle zu haben. Und jetzt? Jetzt schien alles aus den Fugen geraten zu sein. Der Boden schien ihm unter den Beinen hinwegzugleiten. Mit jedem stillen Moment ein wenig mehr.
 

Er hatte Angst zu fallen, wenn er nicht endlich etwas sagte. Er wollte schreien. Aber seine Stimme ließ ihn im Stich. Kein einziges Wort verließ seine Lippen, so sehr er auch den Willen dazu hatte Worte zu formen. Sein Mund wollte sich nicht öffnen und ihm wurde schwindelig. Es war die Frau, die die Stille durchbrach. "Was hast du bloß getan?", fragte sie und Tobias sah sie verständnislos an. "Du hast deinen Freund ermordet, weil er verraten wollte, dass du dir einen Spaß daraus machst, Frauen zu vergewaltigen und ihn ausgenutzt hast, um die Sache zu vertuschen. Weil er herausgefunden hat, dass du dich hinter seinem Rücken an seiner Verlobten vergriffen hast." Die Stimme der Frau klang kühl und gelassen, vielleicht sogar ein klein wenig spöttisch. Ganz anders als kurz zuvor, wo sie sich unschuldig an ihn geschmiegt und ihm zugeblinzelt hatte. Sie schien wie ausgetauscht. Auf einmal wurde die Situation klarer.
 

“Du…”, der Rest des Satzes schaffte es nicht seinen Mund zu verlassen. Aber auch ohne den Rest seines Satzes schien die Frau zu verstehen. “Was?”, fragte sie mit aufgesetzter Unschuld. “Du glaubst doch nicht etwa, dass ich…”, sie fasst sich gespielt an ihr Herz. “Dass ich das hier alles geplant hatte?” Sie erhebt sich vom Waldboden und schaut auf Tobias herab und lächelt. Das kleine Theaterspiel findet jedoch schnell ein Ende, als sie wieder in einem kalten Tonfall weitersprach, der Tobias trotz der Temperatur frieren ließ. “Vielleicht, vielleicht nicht, aber und ich glaube, da darf ich dich zitieren: ‘Schätzchen, vertrau mir, wenn ich dir sage, dass dir niemand glauben wird. Du kannst es versuchen, aber du wirst scheitern. Ich bin bis jetzt noch immer davon gekommen.’ Oder hattest du es leicht anders formuliert. Nein, ich glaube, ich war ziemlich genau.”
 

Tobias bekommt Panik und seine Augen haschen um sie herum. Überall nichts als Bäume, die über drohend über ihm zu ragen schienen und auf einmal bedrückend auf ihn wirkten. Der Ort, den er extra gewählt hatte, um von niemanden erwischt zu werden, sollte ihm nun zum Verhängnis werden. Da blitze vor ihm auf einmal etwas auf. Unter ein wenig Laub lag dort vor ihm sein Messer. Ohne darüber nachzudenken, warum und wieso und was, griff er hastig danach und richtet es auf die Frau vor sich. Dabei liegt die Pistole viel näher. Aber etwas in ihm sträubt sich dagegen, sie erneut in die Hand zu nehmen. Das Messer hingegen war sein alter Freund, er wusste wie es in seiner Hand lag, wie sich das Gewicht verlagerte und wie es sich anfühlte, wenn es in Haut schnitt.
 

Die Frau hingegen schien sein kleiner Akt nicht weiter zu kümmern. Ihr Augen schienen ihn gar nicht mehr wahrzunehmen, als wäre er überhaupt keine Bedrohung mehr für ihn und irgendetwas an der Art wie sie da stand und in ihrer Tasche kramte ließ ihn glauben, dass er tatsächlich keine Bedrohung für sie war. Sie war die, die einen Menschen auf dem Gewissen hatte, ohne mit der Wimper zu zucken. Angst machte sich breit und seine Kampf-oder-Flucht Reaktion entschied sich für Flucht.
 

Teresa blickt ihm hinterher, wie er im Wald verschwindet und zückt ihr Handy.

Der Sperrbildschirm zeigt das Bild einer Schwarzen Witwe. Ihr Finger huscht über die Zahlen auf dem Bildschirm und so wie er sich entsperrt öffnet sie eine Chat-App und tippt eine Nachricht an ‘Anonymous’:
 

Das Netz ist gesponnen.

Die Elektronik hat so funktioniert wie geplant.

Fahre wie besprochen fort.
 

Sie wartete eine Weile, dann tippte sie 110 in ihr Handy.



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