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Die Vertretung und die Folgen

Wenn Hündchen vor große Herausforderungen gestellt werden
von

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Umzug

Samstag, 01.10.
 

Die Woche war wie im Flug vergangen. Der Ausflug ans Meer war wundervoll gewesen und Joey hatte die drei Tage sehr genossen. Das gleiche galt auch für Mokuba, der mit dem Grinsen gar nicht mehr hatte aufhören können. Sie hatten heimlich gegessen, die halbe Nacht ferngeschaut und unendlich viel Zeit im Wasser verbracht, bis Seto sie beinahe aus dem Wasser gezogen hatte, damit sie sich ausruhten. Den zweiten Abend hatten sie alles nach draußen getragen und dort in Ruhe Abend gegessen und sich danach auf Liegen an den Strand gelegt und entspannt irgendwelche Geschichten erzählt. Es hatte sich wie ein richtiger Urlaub angefühlt und Joey hatte neue Kraft gesammelt.

Die Woche danach war sehr gut gelaufen. Zweimal hatte er mit Serenity telefoniert und Kaiba und er hatten sich das Büro für die Arbeit geteilt, was überraschend gut funktioniert hatte. Während der CEO, wie es sich gehörte, vom Schreibtisch aus arbeitete, saß er selbst mit dem Laptop auf dem Sofa, doch das störte ihn nicht.

Bei einem Meeting mit der Grafikabteilung hatte Seto sogar auf seine Anwesenheit verzichtet, weil er ihm zutraute, dass auch allein im Sinne der Firma zu regeln. Das war ein großes Kompliment für ihn gewesen, aber er konnte sich einfach nicht daran gewöhnen.

An diesen netten, warmherzigen Seto würde er sich vielleicht nie gewöhnen können, aber sein Herz schwebte förmlich deswegen.

Doch heute stand ein ganz anderes Thema an. Es war Samstag und er durfte seine neue Wohnung beziehen! Dafür hatte Seto sogar einen großen Van organisiert, den allerdings Roland fuhr. Kaiba selbst hatte keine Zeit, weil er noch zu Hause arbeitete und außerdem konnte er noch nicht tragen, da seine Verletzungen noch nicht komplett verheilt waren.

Stattdessen waren Roland, Tristan, Tea, Duke und Yugi da, um ihm zu helfen. Der Assistent von Kaiba war mittlerweile ein guter Freund, ebenso wie Yuuto und Yukiko. Mit Yuna hatte er nicht ganz so viel zu tun, deswegen war das Verhältnis etwas lockerer, doch er hatte sie alle in sein Herz geschlossen.

Jetzt aber stand er zwischen gepackten Kisten und die Wohnung wirkte seltsam leer und trotzdem vollgestellt. Er wusste nicht, wie er es beschreiben sollte und es überforderte ihn. Mit diesen vier Wänden verband er so viel. So viele Erinnerungen, die auf ihn einprasselten, die ihn beinahe überwältigten.

Joey ließ den Karton auf den Boden fallen und durch das Geräusch aufgeschreckt, kam Yami auf ihn zu. Die anderen waren gerade draußen am Van, um ein paar Möbel zu verstauen.

„Hey Joey, alles okay?“ Ganz langsam setzte sich der Blondschopf auf einen Stuhl, der in der Nähe war und atmete bewusst ein und aus. Ein und aus. Ein und aus.
 

Es war bereits nach 22 Uhr, als er vollkommen erschöpft und müde die Wohnung aufschloss. Hoffentlich würde sein alter Herr schon schlafen oder noch oder wie auch immer, dann könnte er schnell die Einkäufe verstauen und sich in seinem Zimmer einschließen.

Auf Zehenspitzen schlich er vorsichtig durch den Flur, wo er eine leere Flasche entdeckte. Langsam bückte er sich und hob sie auf, um sie wegzustellen. Sollte aus irgendeinem Grund mal jemand klingeln, wäre es nicht gut, wenn man das sehen würde. Andererseits kümmerte das schon seit Jahren niemanden, also wozu sich die Mühe machen?

In der Küche packte er alles weg und er war schon froh, dass er das lautlos hinbekommen hatte, als er mit der leeren Tüte eine Wasserflasche aus Glas vom Tisch fegte. Klirrend zerbrach sie am Boden und panisch hielt Joey den Atem an. Wie ein verschrecktes Beutetier lauschte er auf die Geräusche, doch anscheinend schien der Alte zu schlafen und schnell, aber sehr leise räumte er die Scherben weg und wischte den Boden.

„Joey!? Du Nichtsnutz eines Sohnes! Bist du da?“, donnerte plötzlich die tiefe Stimme seines Vaters durch die Räume. Mit angehaltenem Atem verharrte er mitten in der Bewegung und machte ein Stoßgebet, dass er einfach wieder einschlafen würde, doch das tat er nicht. Natürlich nicht.

Der da oben war noch nie gnädig zu ihm gewesen.

Das Rascheln, das er wahrnahm, verhieß nichts Gutes und schnell stellte er den Wischmobb beiseite und wollte in sein Zimmer flüchten, doch sein Vater torkelte gerade in den Flur und wie ein aufgescheuchtes Reh, dass einem Wolf gegenüberstand, blieb er abrupt stehen. Sofort ging Joey in eine Abwehrhaltung, weil er nie wusste, was in dem Kopf des alten Mannes vorging. Wahrscheinlich wusste der das nicht mal selbst.

„Was willst du?“ „Was ich will? Einen guten Sohn, der was aus sich macht! Der was in seinem Leben erreicht! Aber du … Die Schule hat letztens schon wieder angerufen, dass du dich geprügelt hast! Es war so klar, dass deine Mutter dich hiergelassen und meine Prinzessin mitgenommen hat. Was soll ich nur mit dir machen, hm? Sag’s mir!“

Was? Was sagte er da? War das sein beschissener Ernst? Der Blondschopf war fassungslos und konnte den Mann vor sich nur anstarren. Er nahm kaum wahr, dass er sich langsam auf ihn zubewegte, weil sein Gehirn noch immer versuchte, seine Worte zu begreifen.

Der Alkohol schien aus jeder Pore zu stinken, sein ganz Äußeres war so ungepflegt und er hatte das Bedürfnis, ihn für eine Stunde unter die Dusche zu stellen. Was war nur aus seinem Paps geworden? Wo war der freundliche, freche und abenteuerlustige Mensch hin verschwunden? Wie hatte es nur so weit kommen können?

Der plötzliche, feste Griff um seinen Unterarm holte ihn zurück und panisch rüttelte er an dem Arm. „Lass mich los!“ Seine Stimme war viel zu hoch, sein Atem ging viel zu schnell. Alles in ihm schrie förmlich danach, zu flüchten, sich in Sicherheit zu bringen.

„Joey, ich bin es doch nur. Dein Papa. Warum hast du so eine Angst? Was ist passiert?“ Und auf einmal umarmte der Mann ihn einfach nur. Er schlug ihn nicht, wie all die Male zuvor, sondern hängte sich förmlich an ihn, als würde er ertrinken. „Es tut mir alles so leid, mein Sohn. Du bist doch mein ein und alles. Ich habe dich so lieb. Aber ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Wie sollen wir das alles nur schaffen?“ Erstarrt stand der Blondschopf da, rührte sich nicht und konnte nicht fassen, was gerade geschah. Was ging bloß in diesem Kopf vor?

„Willst du deinen armen Papa nicht auch umarmen, mein Sohn? Das –“ „Arm?“ Das Wort ließ bei ihm eine Sicherung durchbrennen und unwirsch stieß er den alten Mann von sich weg. Der war zu überrascht, um sich festzuklammern und landete unsanft auf dem Boden vor sich. Beim Versuch, Halt zu finden, hatte er seine grüne Freizeitjacke zerrissen, die er im Königreich der Duellanten getragen hatte. Ein Erinnerungsstück, zerfetzt von seinem alten Herrn, wie so vieles.

„Du bist nicht arm! Du hast dich aufgegeben und bist deswegen in dieser beschissenen Lage! Du warst es, der meine Kindheit zerstört hat! Der mich zu dem gemacht hat, der ich bin! Aber ich werde niemals so enden! Siehst du das eigentlich!? Was DU für ein elender Versager bist? Ich werde etwas aus mir machen! Verlass dich drauf! Und du kannst hier weiter vor dich hinvegetieren, wie du es schon seit fast zehn Jahren tust! Ich habe dich nicht mehr lieb, Papa. Ich habe deine Vergangenheit lieb, an die ich noch ein paar Erinnerungen habe. Als wir damals zusammen Fußball gespielt haben oder wir im Wald unterwegs waren, um Abenteurer zu spielen. Aber das hat nichts mehr mit diesem Arschloch vor mir zu tun! Sieh doch zu, wie du klarkommst!“ Schnell griff er die kaputte Jacke, verließ die Wohnung und rannte weg. Weit weg.
 

Das war seine letzte Begegnung mit ihm gewesen. Über eine Woche hatte er sich bei Yugi einquartiert, wo er bei vorigen Besuchen schon einige Sachen hingebracht hatte. Dann war er nach dem Beginn der Ferien noch einnmal in die Wohnung gefahren, um saubere Kleidung zu holen und hatte ihn gefunden. Tot in seiner eigenen Kotze liegend. Ironie des Schicksals.

„Joey? Hey, ist alles ok? Rede bitte mit mir“, murmelte Yami besorgt neben ihm und er löste sich aus der Starre. Langsam nickte er und schaute seinem Kumpel in die Augen. „Ich musste nur gerade an unsere letzte Begegnung denken.“ „Es ist eine schwere Situation, aber wir sind alle bei dir, Joey. Sag uns, wenn wir etwas für dich tun können.“ „Das werde ich, danke. Aber jetzt sollten wir den anderen beim Tragen helfen, sonst meckern die noch, dass sie die ganze Arbeit machen.“ Er rang sich ein leichtes Grinsen ab und Yami nickte ihm zu, als er den Karton griff und nach draußen schleppte.
 

Es dauerte nur etwas über zwei Stunden, da hatten sie alles in dem Van verstaut und Joey bat die anderen, draußen zu warten. Dann schritt er mit hektischen Atemzügen ein letztes Mal in die Wohnung. So leer wirkte sie so anders, dass er nicht einmal sicher war, ob er hier jemals gelebt hatte. Alte Flecken von Alkohol und anderen Dingen hatte er überstrichen, die Böden mehrfach gewischt und geputzt, bis sie fast wieder wie neu wirkten und die Möbel wollte er nach und nach ersetzen, sobald er etwas Geld hatte.

Geld. Immerhin da hatte er etwas Glück gehabt. Tea hatte vorhin in einer Schublade versteckt noch einen Umschlag mit 100.000 Yen gefunden, so konnte er über ein paar Monate hinweg die Raten bei dem Arschloch abbezahlen. Woher der alte Sack auch immer das Geld hatte, doch das war ihm jetzt egal.

Keiner seiner Freunde hatte diese Wohnung jemals vorher gesehen und es war besser so gewesen, auch wenn es ihm geschmerzt hatte. Es war schon seltsam genug, dass sie heute dabei gewesen waren. Er hatte immer akribisch dafür gesorgt, dass sich seine beiden Welten nicht begegneten und jetzt waren sie es irgendwie doch.

„Du hast mir das Leben zur Hölle gemacht und es gibt so unendlich viel, was ich dir niemals verzeihen kann. Vielleicht hattest du Gründe, dich mal fallen zu lassen, aber nicht für so lange Zeit und nicht so krass. Du hast mich auf Arten geprägt, die mich mein ganzes Leben nicht loslassen werden und dafür verabscheue ich dich. Und trotzdem ist da dieser kleiner Junge in mir, der dich bewundernd abgeschaut hat, als du einen Fisch mit den Händen aus dem Wasser gezogen hast. Der mit leuchtenden Augen danebenstand, wenn du das Radio auseinander- und danach wieder zusammengeschraubt hast und es immernoch funktionierte. Der sich darauf freute, wenn du ihm abends im Bett selbst ausgedachte Abeteuergeschichten erzählt hast, wo das Gute immer gewonnen hat. Was ist nur daraus geworden?“ Seine Stimme versagte und er versuchte die Tränen nieder zu kmäpfen, aber es klappte nicht. Eine Stimme in ihm wollte ihn maßregeln, dass dieses Arschloch keine Tränen verdient hatte, aber sie liefen trotzdem und aus Angst, dass er einfach umkippen würde, weil ihm die Beine versagten, ließ er sich auf die Knie sinken. Dann vergrub der Blondschopf sein Gesicht in seinen Händen und schluchzte hemmungslos.

Vielleicht beweinte er auch nicht mal ihn, sondern seine Vergangenheit, die nie zurückgekehrt war. Scheiße, das war alles so frustrierend.

Ihm war nicht klar, wie lange er da so gesessen hatte, doch er wollte die anderen nicht länger warten lassen. Schniefend zog er die Nase hoch und wischte sich mit dem Ärmel seiner Jacke über die das Gesicht. Mit wackeligen Knien rappelte er sich auf und schleppte sich ins Bad, um sich noch ein letztes Mal das Gesicht zu waschen. So konnte er sich ja nicht draußen zeigen.

Wie immer schaute Joey nach dem Waschen nach oben, doch da waren nur Fliesen. Den Spiegel hatte er eingepackt und womöglich war es besser, dass er den Haufen Elend gerade nicht sehen konnte.
 

Das Zuziehen und Abschließen der Wohnungstür hatte etwas so Endgültiges, dass sich sein Herz zusammenzog, aber Joey ging eisern weiter. Seine Hand zitterte stark, als er den Schlüssel, wie mit der Hausverwaltung abgesprochen, in den Briefkasten warf, und das Haus verließ.

Für eine Sekunde blieb er noch auf dem Absatz stehen, hörte, wie die Haustür hinter ihm ins Schloss fiel, und sah seine Freunde, die winkend am Van standen und lächelten.

Es wurde Zeit für sein neues Leben und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen ließ er seine Vergangenheit hinter sich und schritt auf seine Zukunft zu.



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