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Stichflamme

Der Aufstieg des Phönix
von

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Dissonanz

Der Himmel über Leeds kannte kein Erbarmen. Ein neuerlicher Regenschauer durchnässte Muggel wie Magiebegabte beim Beziehen ihrer Positionen rund um Haus Nr. 42. Dank der Wolken erhellte nichts die Nachbargärten, abgesehen vom Schein ferner Straßenlaternen. Nur besonders aufmerksamen Augen konnte auffallen, dass die Schatten hinter der Hecke keine Büsche waren, sondern drei ungleiche Eingriffstruppen. Davon war Minerva überzeugt. Dennoch ertappte sie sich dabei, auf der Unterlippe zu kauen. So weit war es zuletzt vor ihrem lange vergangenen Endspiel gegen Slytherin im Quidditchcup gekommen – und das hatte mit gebrochenen Rippen sowie einer empfindlich hohen Niederlage geendet. Dass dieses Mal nicht bloß Stolz, sondern unschuldige Leben in Gefahr waren, ließ sie trotz aller Selbstermahnung Blut schmecken.

Detective Hammond musterte sie mit zusammengezogenen Augenbrauen, als er ihr Seufzen vernahm. Nicht zum ersten Mal in den letzten Minuten fuhr sein Blick über Minervas Aufmachung, die sie deutlich von den Polizisten abhob. Die verzauberte Schutzweste verbarg sich unter ihrem geliebten grünen Umhang und die zurückverwandelten Haare trug sie jetzt wieder ordentlich hochgesteckt. Einzig die praktischen Jeanshosen entstammten noch der Muggelmode. Falls Elladora recht hatte – und daran zweifelte Minerva nicht – würden alle Verwandlungszauber von dem Schutzbann aufgehoben werden. Diesen schockierenden Anblick ersparte sie den Muggelpolizisten lieber, von daher trat sie nun als ihr gewöhnliches Selbst auf, bis hin zu dem Zauberstab, auf dessen Griff ihre Finger einen ungeduldigen Rhythmus trommelten.

Das Holz zog Hammonds Aufmerksamkeit an, doch sobald er bemerkte, dass Minerva seinen Blick erwiderte, sah er wieder durch die Hecke neben ihm. »Wo ist eigentlich Ihre Waffe?«, wollte der leitende Ermittler schließlich wissen.

»Direkt hier«, erklärte Minerva und drehte den Zauberstab durch ihre Finger. »Eine etwas andere Herangehensweise als Ihre Pistolen, aber ebenso effektiv. Was auch immer gleich dort drinnen geschieht – bleiben Sie bitte einfach hinter mir, in Ordnung?«

Die Problematik des Zauberstabeinsatzes hatte sie mit Elphinstone und Mulciber lange diskutiert, ohne eine Übereinkunft zu finden. Letztlich wären weder Erklärungsversuche noch Geheimniskrämerei hilfreich. Minerva hoffte schlicht, dass unter dem Adrenalinrausch des Einsatzes keine Zeit für Verwunderung blieb. Im Anschluss konnte Mulciber das tun, worin er am besten war – sämtliche Polizisten oblivieren.

Die buschigen Augenbrauen von Detective Hammond näherten sich einander bei der Betrachtung ihres Zauberstabs weiter an. »Verzeihen Sie, aber das sieht aus wie ... nun, ein Holzstab. Erzählen Sie mir jetzt nicht, dass es wie einer von James Bonds Kugelschreibern ist und Sie damit kleine Giftpfeile verschießen können.«

»Ah, lachen Sie nicht, aber ... so in der Art -«

»Ehrlich?« Hammonds Augenbrauen vollführten einen Tanz, als sie nun vor Erstaunen auseinander und die Stirn hinauf wanderten. »Ich hab das immer für Fantasiekram gehalten!«

Angesichts seiner beinahe kindlichen Aufregung lächelte Minerva schwach. »Jede Fantasie trägt einen Funken Wahrheit in sich. Es gibt keine Giftpfeile, aber ich kann damit jemanden betäuben oder ... töten. In jedem Fall ist mein Stab genauso zuverlässig wie Ihre Schusswaffe. Es könnte sein, dass unsere Gegner ebenfalls solche Waffen bei sich tragen. Davon dürfen Sie sich nicht irritieren lassen. Wenn jemand damit auf Sie feuert, ist das genauso gefährlich wie ein Pistolenschuss.«

»Na schön ...« Der Detective warf einen langen Blick auf den Zauberstab. »Das muss ich Ihnen wohl glauben. Danke.« Er trat beiseite, damit Minerva die Führung übernehmen konnte, und aktivierte knisternd sein Funkgerät. »An alle Einheiten – bereit?«

Über ihr eigenes Gerät, das an der Schutzweste steckte, hörte Minerva, wie die anderen Gruppen seine Frage bestätigten. Irgendwo bei ihnen waren Elphinstone und Mulciber. Diese Gewissheit beruhigte und besorgte sie gleichermaßen.

Hammond nickte ihr zu. »Wir gehen los. Die übrigen Einheiten folgen auf mein Signal, sobald wir drinnen sind.«

Mit einem tiefen Atemzug trat Minerva näher an die Hecke. Ihr letzter Gedanke, bevor sie den Bann übertrat, galt Elphinstone, dessen Gruppe zusammen mit Mulcibers die Entführer stellen würde. Bedrückt strich sie über den blauen Strang ihres Foemicus-Bandes. Elphinstone war ein fähiger Duellant. Sie konnte sich auf ihn verlassen. Und doch betete sie, dass ihm nichts geschehen würde. Gemeinsam mit den himmelwärtsgewandten Worten gab Minerva die Sorgen frei. Der Einsatz verlangte volle Aufmerksamkeit.

Bedacht schob sie ihren Zauberstab zwischen die Blätter der Hecke. Die andere Hand umschloss das Gegenstück zur Geheimnisaufspürsonde. Falls sich drinnen etwas regte – oder die Schutzzauber unvermittelt anschlugen – würde der Alarm sie hoffentlich rechtzeitig warnen. Doch kein Pfeifen schrillte durch die Nacht, als sie den ersten Bann überbrückte. Nein, Minerva fühlte nicht einmal das Kribbeln von Magie. Sie zwängte sich Stück für Stück durch die Äste, ohne, dass etwas geschah.

Ein paar Herzschläge lang verharrte sie reglos. Wartete auf das Zuschnappen einer Falle. Alles blieb ruhig. Erleichtert bedeutete sie Hammond und seinen drei Männern, ihr zu folgen. Geduckt huschten sie über das nasse Gras hinüber zu dem Haus Nr. 42. Hinter den geschlossenen Gardinen war kein Lichtschimmer zu erahnen. Wenigstens hatte Mulciber geschworen, die Verbindung zum Flohnetzwerk höchstpersönlich gekappt zu haben. Sonst wäre Minerva der Befürchtung erlegen, dass sie zu spät kamen.

Im Schutz der Hauswand tastete ihre Gruppe sich zum Einstiegspunkt voran. Das Badezimmerfenster war nicht das größte, dafür konnte man durch das Milchglas erahnen, dass der Raum dahinter leer war. Im Gegensatz zum ersten Schutzbann prickelte hier die Anwesenheit von dunkler Magie wie schäumendes Wasser an Minervas Nerven. Selbst die Muggelpolizisten rieben sich voll offenkundigem Unbehagen Arme und Nacken.

Zur Warnung hob Minerva eine Hand. Detective Hammond und die Polizisten blieben hinter ihr zurück. Sie zog einen eingewickelten Zitronenbonbon aus der Umhangtasche (irgendwie schaffte Albus‘ liebste Muggelsüßigkeiten es immer, dort drinnen zwischen einzelnen Knuts in Vergessenheit zu geraten) und warf ihn gegen das Fenster. Wie bei einem Stein, der über Wasser hüpfte, breiteten sich in Ringform violette Wellen auf dem Glas aus, als der Bonbon mit einem Klackern dagegen schlug. Außer dem Pochen ihres eigenen Herzens hörte Minerva nichts. Das Einwickelpapier des Bonbons war vollkommen unbeschädigt, also überbrückte sie die letzten Zentimeter zu dem Melionwurzbann. Zeit, Elphinstones Schutztrank einem Praxistest zu unterziehen.

Minerva presste ihre Fingerspitzen auf das kühle Glas. Einige Wimpernschläge lang glühte es erneut violett. Ihr war, dass der Regen kälter wurde, und in der Ferne hörte sie eine Dissonanz aus Fauchen und Zischen. Dann schnellte etwas gegen ihre Finger zurück, einem reißenden Gummiband gleich. Im selben Augenblick schwand das Glühen. Testweise legte sie die ganze, verschwitzte Handfläche an das Glas. Erneut passierte ... nichts.

Der zweite und weitaus gefährlichere Schutzbann war überwunden. Minerva merkte erst, dass sie die Luft angehalten hatte, als ihre Lungen schmerzend nach mehr verlangten. Um Fassung bemüht lehnte sie sich gegen die Hauswand. »Die Alarmanlage wird nicht anschlagen«, erklärte sie ihren Begleitern knapp.

Auf Hammonds Nicken hin machte sich einer der Polizisten mit einem Kreisschneider an dem Fenster zu schaffen. Nur ein leises Knirschen drang von dem Glas, während die Klinge mit jeder Umrundung tiefer hineinschnitt, bis der Mann ein handtellergroßes Stück aus der Scheibe hob. Flugs schob er den Arm durch das entstandene Loche und öffnete die Verriegelung von innen.

Minerva sah auf die Taschenuhr mit Verbindung zur Geheimnisaufspürsonde hinab. Das Ziffernblatt strahlte weiterhin weiß. Zum ersten Mal an diesem Tag hoffte sie nicht bloß, dass die ‚Muggelmagie‘ ihr großer Trumpf sein würde – sie war überzeugt davon. Solange sie keine Magie nutzten, blieben sie unbemerkt.

Den Männern voran stemmte sie den Fuß gegen die Steinmauer und zog sich am Fensterrahmen hoch. Wie gerne hätte sie sich jetzt in Katzengestalt bewegt. Die samtweichen Pfoten der Animagusform wären flüsterleise. Ihre menschlichen Bemühungen hingegen erschienen so laut, als würde klapperndes Blech an ihrem Umhang jede Bewegung verkünden. Im Bad landete Minerva auf dem – zum Glück geschlossenen – Klodeckel. Nur schemenhaft erkannte sie das Waschbecken und einen Medizinschrank vor sich. Den Zauberstabarm ausgestreckt, tastete sie sich in den verlassenen Raum vor. Gedämpfte Geräusche mischten sich in das Regenprasseln von draußen. Gelächter. Unter der feuchten Robe lief es ihr kalt den Rücken hinab.

Einmal mehr bedauerte Minerva die Abwesenheit ihrer geschärften Katzensinne. Sie verstand die Stimmen genauso wenig, wie sie sah, wohin sie trat. Endlich stießen ihre Finger auf Handtücher an einem Trockengitter. Sie arbeitete sich daran bis zur Tür vor, während hinter ihr Hammond und Begleiter durch das Fenster kletterten. Zaghaft legte Minerva die Fingerspitzen an den Türknauf. Auch hier jagte kein lähmender Blitz oder ein anderer Fluch durch ihre Nerven. Stattdessen drehte sie und mit einem Klicken öffnete sich das Schloss.

In ihrer Brust hämmerte das Herz wie bei der ersten Verwandlung in ihrer UTZ-Prüfung. Allerdings hatte ihr Schicksal damals allein in ihrer Hand gelegen und sie jeden Schritt auf dem Weg zum Animagus mit Sorgfalt befolgt. Jetzt hingegen rechnete sie fast damit, hinter der Tür von Bellatrix Black und ihrem blutigen Dolch überrascht zu werden. Sie warf einen weiteren Blick auf die Taschenuhr. Im Dunkeln war es schwer, auszumachen, ob die Farbe eventuell zu mattem Rosa wechselte.

»Das Küchenteam sollte ebenfalls einsteigen und sich bereithalten«, flüsterte sie an Detective Hammond gewandt.

Er nickte und verteilte den Befehl weiter. Aus seinem Funkgerät rauschte es leise, ehe er die verzerrte Bestätigung erhielt. Rasch verdeckte er den Lautsprecher mit den Fingern. Die Schutzzauber zeigten bereits Wirkung auf die Technik.

Ihre Zunge klebte Minerva trocken am Gaumen, als sie die Tür zurückzog. Niemand wartete, nur der dunkle Flur lag dahinter. In greifbarer Nähe erkannte sie die Kellertreppe. Obwohl sie zum ersten Mal hier war, kam das Haus ihr vertraut vor. Der Eindruck fremder Erinnerungen in ihrem Kopf verwirrte sie, erweckte irrationale Angst. In Gedanken sah sie wieder, wie Theo Winters diese Treppe hinabgezerrt wurde. Obwohl nur das Foemicus-Band über ihre Haut rieb, hatte sie das Gefühl, ebenfalls am Handgelenk gepackt zu werden.

Der verzierte Griff ihres Zauberstabs bohrte sich in Minervas Handfläche und brachte ihre Gedanken zu der Mission zurück. Am anderen Ende des Hausflurs – wo es ins Wohnzimmer ging – erhellte ein schmaler Lichtstreifen den Teppichboden. Stimmgewirr drang hinter der Tür hervor, hin und wieder unterbrochen von Lachen. Sie hörte Gläser klirren. Die Entführer feierten tatsächlich.

So leise wie menschenmöglich, schlich Minerva zur Kellertreppe. Am Fuß der Stufen befand sich ein kleiner Vorraum mit einer Eisentür. Erneut nahm sie den Zitronenbonbon und warf ihn. Wie eine Springbohne kam die Süßigkeit von dem dunkelgrün lackierten Metall zurückgehüpft. Die Tür war imperturbiert, aber nicht mit weiteren Schutzvorkehrungen belegt. Sie winkte und die Polizisten folgten ihr die Treppe hinab.

Bei der Tür angelangt verließ das Glück sie zum ersten Mal. Verschlossen. Ungeduldig rieb Minerva ihr Handgelenk, an dem sie immer noch einen phantomhaften Griff spürte. Der Mann, der schon den Kreisschneider eingesetzt hatte, zog jetzt einen Metallstift aus einer Gürteltasche. Er kniete sich vor das Schloss und stocherte darin herum, wie sie einst bei Dougal und einem versehentlich versperrten Scheunentor gesehen hatte. Sein Werkzeug war allerdings eine ihrer Haarnadeln gewesen. Gelegentlich stieß der Polizist missmutig die Luft aus oder seufzte leise, doch schließlich ertönte ein Klicken und er schob die Tür nach innen.

Mit gezückten Waffen traten sie in den Kellerraum. Schwärze wie aus dem Tintenfass begrüßte sie. Minerva kniff die Augen zusammen. Im Flur hatte sie gedacht, sich an die Dunkelheit gewöhnt zu haben. Ihr Handgelenk juckte vor Nervosität. Wo waren die Gefangenen? Das verfluchte Brennen auf der Haut vernebelte ihr Denken. Sie schob die Finger unter das Stoffband und kratzte, doch das half kein bisschen. Der Käfig musste links sein. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, aber mit jedem Schritt drückten die Schatten fester gegen ihre Augäpfel. Als hätte jemand den Keller aus der Existenz gerissen ... Blut von ihrem aufgekratzten Handgelenk benetzte ihre Fingerspitzen. Diesen Gedanken hatte sie bereits einmal gehabt!

»Runter!«, zischte sie.

Eine Finsternisschote! Natürlich! Kalter Beton empfing Minerva, die zu Boden stürzte. Keine Sekunde später schoss ein roter Lichtstrahl über sie hinweg. Die Entführer mussten sie beim Schlossknacken gehört haben und waren vorbereitet.

Neben Minerva rauschte Detective Hammonds Funkgerät. »Zugriff!«, bellte er hinein. »Angriff im Keller!«

Aus Minervas eigenem Gerät antwortete nur Knirschen und Knacken. Den Zauberstab fest umschlungen, kroch sie in Richtung von Hammonds Stimme. Die Taschenuhr hatte sie verloren, doch nicht einmal jetzt warnte sie der Alarm. In der Dunkelheit stieß ein Polizist leise Verwünschungen aus. Weitere Flüche kamen aus der Tiefe des Kellers und Minerva schuf eine Schutzbarriere, ein paar Fuß vor ihnen. Jemand riss einen Klettverschluss auf, dann flog etwas von hinten durch ihre Barriere und klirrte zu Boden. Es blitzte kurz, ehe in der Finsternis ein grelles Licht erblühte.

Minerva hob die linke Hand, um ihre Augen vor der plötzlichen Helligkeit abzuschirmen. Mit der Rechten zielte sie grob. Erst da bemerkte sie, was passiert war. An ihrem Foemicus-Band fehlte eine Farbe. Der rote Strang – Mulcibers Strang – war verschwunden. Das einzige Rot an ihrem Handgelenk stammte von ihren selbstverursachten Kratzern. Sie biss sich wieder auf die ebenso blutige Unterlippe, als sie ihren Blick davon losriss und der unmittelbaren Gefahr zuwandte.

Schwarze Nebelschwaden erfüllten den Keller. Mitten drin standen zwei der Entführer, Zauberstäbe gezückt. Unter erhobenen Armen hervor starrten sie wie Rehe auf der Landstraße in das elektrische Licht, das den ganzen Zauber ihrer Finsternisschote vertrieb. Im Hintergrund glänzten die Gitterstäbe des Käfigs, in dem sich die Gefangenen drängten. Die Polizisten zögerten nicht. Ein Knall, gefolgt von einem Schrei, ließ Minerva zusammenzucken – dann lag einer der Zauberer am Boden, sein Bein mit schmerzverzerrtem Gesicht umklammert.

»Waffe fallen lassen!«, donnerte Hammond, die Pistole auf den zweiten Zauberer gerichtet. »Wir haben das Gebäude umstellt, also seien Sie nicht naiv! Wenn Sie jetzt kooperieren, wird das Ihre Strafe mildern.«

Der am Boden liegende Mann hielt trotz des Sturzes noch den Zauberstab umklammert. Seine Hand zitterte, aber er zielte auf Hammond. Minerva kam ihm mit einem Schnippen ihres eigenen Stabs zuvor. Magische Seile fesselten seine Arme eng an den Oberkörper. Eine weitere Bewegung entwaffnete ihn.

Sein Partner knurrte wütend auf. Anstatt den Zauberstab fallen zu lassen, vollführte er eine peitschende Geste in Minervas Richtung. »Dreckige Verräterin!«

Hammond feuerte schneller, als Minerva einen passenden Gegenfluch dachte. Der gegnerische Zauberer rettete sich nur, weil die Kugel von seinem nächsten Fluch pulverisiert wurde. Auf Knien schleuderte Minerva ihm einen Schockzauber entgegen. Ihr Gegner wich einige Schritte zurück und attackierte erneut. Flüche explodierten um sie her wie buntes Feuerwerk. Sie sprang auf die Füße. Die Lippen fest aufeinandergepresst, jagte sie ihm Stupor um Stupor hinterher. Immer weiter rückte sie vor, gab ihm keine Pause. Trieb ihn in die Enge, bis er mit dem Rücken zur Wand stand. Hob den Zauberstab zum finalen Schlag – und schoss ins Leere.

Der Entführer hatte sich unter ihrem Angriff hindurch geduckt. Anstelle von ihr galt sein nächster Fluch den Polizisten, die ungeschützt hinter Minerva hockten und ihn mit den Waffen anvisierten. Einer der Männer stöhnte auf, als ihn der purpurne Blitz mitten in die Brust traf. Sein Finger krampfte sich um den Abzug der Pistole. Die abgefeuerte Kugel raste haarscharf an Minerva vorbei und streifte den Oberarm ihres Duellgegners. Zeitgleich sackten Muggel und Zauberer nach vorne.

Hammond stürzte zu seinem getroffenen Kollegen, während Minerva weitere Seile heraufbeschwor, die den zweiten Angreifer fesselten. Mit einem Tritt beförderte sie seinen Zauberstab zur Seite.

»Du kleine Schlampe -«

»Petrificus Totalus!« Minervas Zauberstabhand bebte vor Wut. Es hatte so gut angefangen und nun ...

Eines nach dem anderen. Ruhe und Besonnenheit, wie Elphinstone sagen würde. Panik half niemandem. Sie stellte sich vor, wie er die Hand auf ihre Schulter legte und sie daran erinnerte. Ebenso würde er predigen, sich zuerst um die Verdächtigen zu kümmern, damit keiner entkam oder schlimmer – verstarb. Minerva atmete tief ein und aus, bevor sie die oberflächliche Wunde des Zauberers zu ihren Füßen musterte und befand, dass er ruhig noch etwas leiden konnte. Rasch eilte sie zu seinem Komplizen weiter.

Dieser Mann gab bloß leises Stöhnen von sich. Auf dem Boden unter ihm hatte sich eine dunkle Pfütze angesammelt, die Minervas Magen einen Salto rückwärts beschreiben ließ. In seinem Oberschenkel, wo ihn die Kugel getroffen hatte, klaffte ein Loch. Sie war keine Heilerin, aber er würde schon überleben, solange er nicht ewig liegen blieb. Ein einfacher Gerinnungszauber stoppte zumindest die Blutung.

Sie hielt sich nicht weiter mit den Entführern auf, sondern kehrte zu Detective Hammond und den Polizisten zurück. Diese hatten sich um ihren getroffenen Kollegen versammelt, der in ihrer Mitte auf dem Boden lag. Das Gesicht des Mannes war kalkweiß und sein Atem flach, doch er lebte, bemühte sich sogar um ein Lächeln.

»Das war ziemlich beeindruckend, Agentin McGregor. Auch wenn ich gerne auf die Erfahrung mit dieser ... Stabwaffe verzichtet hätte. Fühlt sich an, als hätte sich ein Nilpferd auf meine Brust gesetzt.«

»Das wird schon wieder, Boyd.« Hammond tätschelte seine Schulter. »Zum Glück haben Sie ihre Weste an.«

»Ja, das bekommen wir hin«, pflichtete Minerva dem Detective bei. Sie hatte keine Ahnung, welcher Fluch den Armen getroffen hatte, aber es so aus, als wirkte ihre Verzauberung der Schutzweste tatsächlich. Unter anderen Umständen wäre sie stolz gewesen. »Nehmen Sie das hier Mr. Boyd, das wird helfen.«

Der Polizist betrachtete ihre Phiole voller Heiltrank argwöhnisch, ließ aber zu, dass Minerva ihm den Inhalt in den Mund träufelte. Er verzog das Gesicht über den bitteren Geschmack, doch die Farbe kehrte auf seine Züge zurück. »Danke. Sie haben etwas gut bei mir.«

»Und ich bei Ihnen.« Minerva versteckte die selbstauflösende Phiole in ihrer Faust und nickte Detective Hammond zu. »Wir sollten ihn und die Gefangenen besser schnell rausbringen. Hoffentlich ist der Weg oben frei. Ich fürchte, die anderen Gruppen könnten ebenfalls auf Schwierigkeiten gestoßen sein.«

»Gibt nur einen Weg, das herauszufinden.« Hammond bedeutete seinem Einbruchsexperten, sich dem Käfigschloss zu widmen.

Das behelfsmäßige Gefängnis in der Ecke war kaum hoch genug, dass jemand Erwachsenes darin stehen konnte. Bleiche Gesichter pressten sich in die Schatten hinter den Gitterstäben. Aber nur drei. Theo Winters und die Eltern von Jonathan Alditch.

Besorgt kniete Minerva sich neben den Polizisten vor den Käfig. »Wo ist Jonathan? Wo ist Mrs. Winters?«

Die drei Gefangenen betrachteten sie aus geweiteten Augen und drückten sich tiefer an die Wand in ihrem Rücken. Selbst als Minerva den Zauberstab in ihrem Ärmelaufschlag verbarg, stand ihnen die Angst davor noch in die Gesichter geschrieben.

»Bitte, wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, flehte Minerva die Erwachsenen an. Sie wandte sich zu den Alditchs. »Erinnern Sie sich? Wir haben uns schon einmal getroffen. Ich tue Ihnen nichts. Versprochen.«

Doch ihre Worte bewirkten nur, dass Tränen in Mrs. Alditchs Augen aufwallten. Unwirsch drückte Minerva den Polizisten beiseite und tippte mit dem Zauberstab gegen das Schloss. Augenblicklich sprang es auf. Am liebsten hätte sie die verschreckten Menschen eigenhändig in die Freiheit gezogen. Jede Sekunde war kostbar – konnte bedeuten, dass ihre Hilfe zu spät kam.

Mit verschränkten Armen sah sie zu, wie Detective Hammond und der andere Polizist den geschwächten Muggeln auf die Beine halfen. Arm in Arm mit ihrem Mann stand Mrs. Alditch schließlich da und sah unter Tränen zu Minerva auf.

»Professor ... Sie sind es wirklich«, hauchte sie. »Oben. Unser Jonathan ist oben. Sie haben ihn heute Abend geholt ...« Sie vergrub das Gesicht an der Schulter ihres Ehemannes. »Helfen Sie ihm?«

Minerva nickte, die Kehle wie zugeschnürt. Ehe sie etwas sagen konnte, hafteten sich die blassen Augen von Theo Winters auf sie. Nicht so schrecklich leer wie beim letzten Mal, dafür von umso mehr Angst erfüllt.

»Sie ... Sie sind auch so ... aber Sie retten auch meine Emily?«

Wieder nickte Minerva. Ihre Kehle, ihre Augen, ihr Herz – alles brannte. »Ja. Wir sind hier, um sie zu befreien.«

Sie ballte die zitternden Finger ihrer linken Hand zu einer Faust vor der Brust. Nun, da sie ihren Blick beschämt von dem gebrochenen Mann senkte, bemerkte sie noch etwas anderes. Die losen Fäden aus Gelb, Lila und Blau, die von ihrem Handgelenk rutschten, gen Boden fielen und ... verschwanden. Das Foemicus-Band war fort. Restlos fort.

Jegliche winzige Erleichterung über den Sieg gegen die zwei Entführer verpuffte. Robbie und Pippa waren nicht einmal hier! Wie konnten sie in Gefahr sein? Und doch hatten sich alle Stränge aufgelöst. Elphinstone! Die Gefühle entglitten Minervas Kontrolle wie das Band von ihrem Handgelenk.

Sie starrte auf den blanken Beton zu ihren Füßen. Ihre Lippen pressten sich so fest aufeinander, dass kein Ton ihre Kehle verlassen konnte. Aber ihr Herz, das raste schlimmer als beim Einstieg in das Haus. Eine schwere Hand landete auf ihrer Schulter. Für einen wahnwitzigen Moment sah sie in der Hoffnung auf, dass es Elphinstone war.

»Agentin McGregor?« Hammond schob sich in ihr Blickfeld, die Augenbrauen erneut zu einem Strich zusammengezogen. »Alles in Ordnung?«

»Nein ...« Sie schluckte schwer. »Wir müssen schnell fort hier. Keine Zeit für Erklärungen. Bringen Sie die Gefangenen wie besprochen zur Vordertür raus und begeben sich in Sicherheit.«

Der Ermittler schüttelte sacht den Kopf. »Vergessen Sie’s. Das können meine Männer machen, aber ich komme mit Ihnen.« Er nickte seinen Leuten zu. »Ihr habt die Agentin gehört. Los!«

Minerva konnte nicht sagen, ob sie dankbar war, dass der Detective an ihrer Seite blieb. Immerhin hatten sie nur gemeinsam die zwei Zauberer überwältigt. Doch es brauchte nur eine magische Falle und alles würde vorbei sein. Trotzdem fand sie keine Widerworte, sondern folgte ihm stumm.

Eine Hand packte ihren Ärmelsaum. Theo Winters starrte sie an und gleichzeitig wieder nicht, als wäre sie durchscheinend wie ein Geist. »Bitte ... meine Emily«, hauchte er noch einmal. Hatte er ihre vorigen Worte bereits vergessen?

»Natürlich«, bekräftigte Minerva erneute. »Ich verspreche Ihnen, dass ich sie rette.«

Aber die Furcht, dass sie dieses Versprechen nicht halten konnte, fraß sich hartnäckig in ihrem Herzen fest, als sie neben Detective Hammond die Kellertreppe nach oben lief und die Schreie hörte. Der Kampf im Wohnzimmer war vorbei. Schüsse und Fluchzischen erstarben, dafür mischte sich in der eintretenden Stille Lachen mit Weinen. Sie wurden bereits erwartet.



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