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Lass dein Herz darauf vertrauen

von

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Ohne Worte (Yama)

Zwei Monate.

Es waren bereits mehr als zwei Monate vergangen. Keine Kinder, kein Wollknäuel. Nur der Magier und er.

Kurogane versuchte, Schlaf zu finden, doch sein Zimmergenosse drehte sich die ganze Zeit unruhig umher. Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto einfacher und einfacher wurde es für den Ninja, die Mimik und Gestik des Anderen zu lesen. Nicht das dusselige Grinsen und das alberne Gezappel. Das war Theater. Es waren die mikroskopisch kleinen Gesichtsausdrücke, die sekundenbruchteilige Körperspannung, die immer kurz durchschienen, ehe der Magier wieder seine Show abzog. Und was er dort wahrnahm, ließ die Beunruhigung in Kurogane zunehmend wachsen. Der Andere verbarg etwas, so viel wusste er, aber seit sie hier waren, war da noch etwas. Dieses Etwas nahm stetig zu. Lag es an der Unfähigkeit zu kommunizieren? War es die Stille, die den Magier nun gezwungenermaßen umgab? Kurogane hatte schon mehrere erfolglose Versuche gestartet, den Anderen danach zu fragen. Und er war sich sehr sicher, dass dieser die Frage verstanden hatte.

Ein erneutes Bettdeckenrascheln später reichte es dem Ninja.

„Kannst du nicht schlafen?“

Das Rascheln verstummte abrupt.

Kurogane drehte sich nach links um und sah es wieder. Für einen kurzen Moment erhaschte er in Fyes Augen Traurigkeit. Geistesgegenwärtig platzierte der Blondschopf allerdings wieder ein Lächeln in seinem Gesicht und schüttelte den Kopf.

„Was ist los?“ Der Ninja zeigte mit einer Hand auf sein Herz und dann zu seinem Gefährten.

Kopfschütteln.

„Was ist los?“ Kurogane brummte von Mal zu Mal unzufriedener und wiederholte die Geste.

Kopfschütteln. Noch mehr Lächeln.

Das war jetzt genug!

Wütend setzte Kurogane sich auf und rammte dem überrumpelten Fye eher unsanft seine rechte Hand auf dessen Brust.

„Was. Ist. Los. Mit. Dir?!“

Fye schluckte und blickte ängstlich zu dem anderen Mann hoch, was Kurogane aber ignorierte. Er hatte (für seine Verhältnisse) mehrmals freundlich gefragt, jetzt war Schluss mit freundlich. Der Magier versuchte, mit seinen Händen die Hand des Anderen wegzuschieben, doch Kurogane riss mit der linken Hand Fyes linken Arm weg und hielt auch diesen sehr grob fest.

„Wenn du es mir nicht sagen willst, dann kann ich es auch gerne aus dir raus prügeln. Vielleicht hilft das ja.“ Er verstärkte den Druck auf Fyes Brust und ließ auch nicht locker, als der Andere davon etwas röcheln musste.

Ein paar Sekunden vergingen, in denen Fye strampelte, während er überraschend zornig den anderen Mann anfunkelte, ehe er dies aufgab und nach einem weiteren, kurzen Schweigen, dieses endlich brach.

Es war ein Redeschwall, doch ohne jegliches Lächeln und Fye ertrug es anscheinend nicht, den Anderen dabei anzusehen, weswegen er seinen Blick abgewandt hatte. Natürlich konnte Kurogane keines der Wörter verstehen, aber trotzdem verstand er Fye. Der Klang seiner Stimme war traurig und Kurogane entgingen auch nicht die Tränen, die sich in den Augen des Anderen sammelten. Der Magier wollte nicht wortwörtlich verstanden werden, sonst hätte er sich bemüht, den Sinn seines beinah verzweifelt klingenden Monologs irgendwie durch Zeichensprache verständlich zu machen. Aber es war überdeutlich, dass er all dies endlich hatte rauslassen müssen. Es dauerte einige Minuten, dann war es vorbei und nur noch das kläglich unterdrückte Schluchzen des Magiers war zu hören. Kurogane ließ seinen linken Arm los und verringerte den Druck auf seine Brust. Nun lag seine Hand nur noch auf und er spürte den rasenden Herzschlag des Blonden.

Er hatte keine Ahnung, wie lange sie so verharrten. Aber sie taten es, bis Fyes Herz wieder langsamer schlug und Kurogane irgendwann bemerkte, dass der Andere eingeschlafen war. Langsam hob er seine Hand von dessen Brustkorb weg, als könnte das Fehlen dieser Berührung ihn wieder aufwecken. Eine Weile sah er noch auf die schlafende Gestalt seines Begleiters hinab und er konnte nicht anders, als sich zu wundern, warum sein eigenes Herz nun so raste.

Was war gerade geschehen?

Was in aller Welt war da gerade geschehen?

 

Als Fye nach dem Aufstehen sein blubberndes Schauspiel wieder aufführte, war Kurogane selbst davon überrascht, wie sehr ihn das störte. Wollte der Magier ihn für dumm verkaufen? Selbst wenn er nur so tun wollte, als wäre nichts gewesen, es erzürnte ihn über alle Maßen.

„Mach doch was du willst“, brummte er ihm übellaunig entgegen und wandte sich von ihm ab.

Das Blubbern stoppte mit einem Mal.

Kurogane zuckte beinahe zusammen, als eine Hand ihn am linken Arm berührte. Obwohl er Fye in diesem Moment nicht sehen konnte, da er ihm aus Verärgerung den Rücken zugewandt hatte, spürte der Ninja, dass der Magier gerade nicht lächelte.

Ein unverständliches Wort erklang und auch wenn Kurogane es, selbst wenn sein Leben davon abgehangen hätte, nicht hätte wiedergeben können, er wusste um dessen Bedeutung.

Er winkte mit seiner rechten Hand ab.

„Nicht der Rede wert.“

Die Hand an seinem Arm drückte sacht zu, ehe sie sich zurückzog, doch die Gänsehaut auf Kuroganes Arm blieb noch eine ganze Weile.

 

Kurogane beschloss, dass es wahrscheinlich besser für den Magier war, wenn er nicht zu viel Zeit alleine in ihrem Zimmer verbrachte. Also nahm er ihn von da an mit, wenn es zu Besprechungen ging oder darum, sich mit den notwendigsten Dingen (sprich: Alkohol) einzudecken. Fye zog ihn auf, wenn er seinen Sold für Hochprozentiges ausgab und Kurogane wiederum bekam jedes Mal einen Anfall, wenn Fye sich Süßkram kaufte. Es wurde eine regelrechte Gewohnheit zwischen ihnen und der Ninja wollte sich innerlich selbst dafür ohrfeigen, dass er nicht früher darauf gekommen war, etwas gegen die Vereinsamung des Anderen zu tun, obwohl sie ihm doch schon so früh aufgefallen war. Nach wie vor konnte er nicht mit vollkommener Sicherheit sagen, was an dem Verhalten des Magiers echt war und was nur Show, doch ganz deutlich wusste er nun, dass Stille und Einsamkeit ihm alles andere als gut taten.

Kurogane tat sein Bestes, um die Gedanken beiseite zu schieben, dass ihn das Wohlbefinden des Idioten kümmerte. Er redete sich ebenso ein, dass das Grinsen, das sich gerade in seine Züge schlich, nur daher kam, weil er dem Blondschopf, der beim Einkaufen auf seine Hilfe angewiesen war, irgendwelche sauren Snacks angedreht hatte. Somit war einmal nicht er das Opfer eines Scherzes, sondern der Witzbold, der nun so aussah als hätte er in eine Zitrone gebissen. Das Grinsen kam nicht daher, dass der Anblick von Fye, wie er sich schüttelte, seine blonden Locken umherflogen und er ihm anklagend Spitznamen um die Ohren schlug, seinen Körper mit so vielen Glücksgefühlen durchflutete, dass es Kurogane beinahe schwindelig wurde.

Nein.

Alles andere wäre geradezu lächerlich.

 

Über drei Monate. Bereits weit über drei Monate.

Kurogane lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand und starrte in die Flasche, die er in Händen hielt.

Was, wenn den Kindern etwas passiert war? Was sollte er tun? Sie waren definitiv nicht in dieser Welt, sonst hätten sie sie längst entdeckt. Es gab nichts, was er tun konnte. Absolut nichts! Und wenn ihnen wirklich etwas zugestoßen war? Die Prinzessin war so fragil und der Kleine, auch wenn er großes Vertrauen in ihn hatte … er würde trotzdem nicht mit jeder Situation fertig werden. Und das Wollknäuel war alles, aber kein Kämpfer. Ob sie wirklich …?

Ein Rascheln schreckte den Ninja aus seinen Überlegungen auf und er blickte zu den Futons. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, erst nach Fye zu Bett zu gehen. Wenn er wusste, dass der Magier schlief und sich nicht mit irgendwelchen vermutlich düsteren Gedanken quälte, fand er selbst besser zur Ruhe.

Der Magier schlief nicht. Er setzte sich auf und schaute Kurogane fragend an.

„Schlaf weiter.“

Fye behielt seinen fragenden Blick bei und zeigte auf seinen Gefährten.

„Nichts. Schlaf weiter.“

Natürlich hörte der Schwachkopf nicht auf ihn. Er schob die Bettdecke endgültig beiseite und krabbelte schläfrig zu der kleinen Sitzecke, bei der Kurogane sich niedergelassen hatte.

„Was wird das?“, fragte der dunkelhaarige Mann mit hochgezogener Augenbraue.

Fye hockte sich vor ihn, schüttelte missbilligend seinen Kopf und sagte mit einem Seufzer einen dieser Spitznamen. Dann lächelte er sanft.

Für einen Augenblick war Kurogane von diesem Lächeln überwältigt. Es war keines dieser maskenhaften Lächeln, mit denen der Magier sonst um sich warf, um irgendetwas zu verbergen. Nein. Dies war ein wunderschönes Lächeln. (Er schob diesen Gedanken ganz schnell auf den Alkohol.)

Derweil streckte Fye seine rechte Hand aus und legte sie auf Kuroganes Brust. Dann sah er ihn mit diesem atemberaubenden Lächeln abwartend an. Der Ninja musste unwillkürlich schlucken. Es war unmöglich, dass dem Magier das unregelmäßige Gepolter, das sein Herz jetzt aufführte, entging.

Fye verstärkte den Druck ein wenig, um seiner Frage Nachdruck zu verleihen.

„Shaolan. Sakura. Mokona“, sagte Kurogane nach einer Weile, die ihm ewig vorgekommen war.

Der Andere nickte sogleich. Er sagte einige Dinge, die der Ninja, so wie sie vorgetragen wurden, als aufmunternde Worte der Zuversicht verstand.

„Du denkst, es geht ihnen gut?“

Erneut nickte Fye.

Sie verstanden sich ohne Worte.

Angesichts dieser Erkenntnis schlich sich ein flüchtiges Lächeln auf Kuroganes Gesicht. Wie Wochen zuvor verharrten sie weiter in dieser Pose. Bis auf einmal Fyes Lächeln verschwand, als hätte er sich erschrocken, und er ruckartig seine Hand von der Brust des Anderen nahm.

Kurogane fragte nicht nach, was plötzlich los war. Auch nicht als der Magier ohne weitere Konversationsversuche zurück in sein Bett krabbelte. Die Leere, die seine nun fehlende Berührung hinterlassen hatte, beschäftigte den Ninja viel zu sehr.

 

„Hnng.“ Kurogane biss die Zähne zusammen, als Fye seine Wunde am Oberarm verarztete. Das war nicht seine erste Verletzung, die er in diesen Kämpfen davon getragen hatte, aber bisher war es seine schlimmste. Der Magier flötete einen Spitznamen und versuchte, tadelnd zu klingen, als würde er ein kleines Kind ausschimpfen, dass beim Herumtoben nicht aufgepasst hatte.

„Mach einfach den dämlichen Verband drum.“

Fye wackelte anklagend mit einem Zeigefinger und malträtierte ihn weiter mit der Salbe, die sie von einem Heilkundigen bekommen hatten.

„Das brennt.“

Der Idiot hatte die Nerven, zu kichern.

„Das ist nicht lustig.“

Das Kichern wurde lauter.

„Hey! Ich sagte, es ist NICHT lustig!“

Das Kichern wurde zu einem ausgewachsenen Lachanfall.

Nach außen hin starrte der Ninja seinen Kameraden mit dem bekannten grimmigen Blick an, doch innerlich spürte er, wie dieses Lachen seinen Herzschlag schon wieder aus dem Takt brachte. Irgendetwas an Fye hatte sich verändert. Zwar konnte Kurogane immer noch diese plötzliche Traurigkeit in seinen Augen sehen, doch der Magier hatte immer mehr Momente, in denen er aufrichtig lächelte. Und er selbst wiederum hatte mehr und mehr Momente, in denen er sich fragte, wo das alles hinführen sollte. Als ihm klar wurde, dass sich selbst zu belügen genauso falsch war wie die Lügen des Magiers, versuchte er, seine Gefühle zu ordnen. Seine Gefühle für diesen Idioten. Nicht nur, dass er begonnen hatte, sich zu verlieben (das allein war schon schlimm genug), nein, es musste in ihn, ausgerechnet in ihn, sein. Was sollte er denn mit solchen Gefühlen anfangen? Sie gingen auch nicht weg. Nein, zu allem Überfluss wurden sie mehr und mehr.

„Hey! Bist du fertig, ja? Mein Arm blutet immer noch.“ Missmutig zeigte der Ninja auf seine Wunde. Fye beruhigte sich wieder und legte, immer noch glucksend, den Verband an. Als er fertig war und seine Finger ganz sachte die Haut neben dem Verband berührten, legte Kurogane die Hand seines gesunden Arms auf die Hand seines Kameraden. Perplex blickte Fye auf ihre Hände, dann in das Gesicht des anderen Mannes.

„Danke.“

Der Magier schluckte und Kurogane gefiel es ganz und gar nicht, dass dessen Blick etwas Angsterfülltes hatte, während sie sich ansahen. Trotzdem blieben sie so sitzen, ehe Fye seine Hand langsam unter der des Anderen zurückzog und sich damit beschäftigte, das restliche Verbandsmaterial wegzuräumen. Der Ninja war sich sicher, dass es kein Wunschdenken seinerseits war, dass Fye ihre Berührung eigentlich noch länger hatte fortsetzen wollen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hat zufällig jemand von euch die deutsche „Tokyo Revelations“-OVA und möchte sie verkaufen? Oder mir mal (über den Postweg) ausleihen? Ich kann nur sagen, dass ich sehr vertrauenswürdig bin. Komplett anzeigen

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