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Brandnarben

von

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Irgendwann öffne ich die Augen wieder. Konzentriere mich auf den Anblick der Flammen, strecke wieder meine Hand aus. Genieße die Hitze auf meiner Haut. Ziehe die Hand zurück. Warte einige Sekunden lang, wiederhole es dann.

Vor. Zurück. Vor. Zurück. Immer wieder.

Es ist beängstigend, dieser Anblick, und gleichzeitig so beruhigend; schmerzhaft und doch angenehm.

Die Stimme meiner Mutter erklingt in meinem Kopf, so klar, dass sie sich beinahe wirklich real anhört.

„Mit Feuer spielt man nicht“, sagt sie, freundlich und streng zugleich. „Du wirst dich daran verbrennen!“

Aber das hier ist kein Spiel. Es ist so viel mehr.

Es ist mein Tor zur Vergangenheit. Zu einer Zeit, in der ich mich noch gut fühlte. Lebendig.

Niemals könnte ich darauf verzichten…

Und plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, zerspringt alles um mich herum.

Jemand, oder etwas, packt mich an den Schultern und zerrt mich zurück. Dreht mich um, hält mich weiter fest, und einen Augenblick lang sehe ich in das Gesicht meines sogenannten ‚Vaters‘.

Er starrt mich ebenfalls an, mit aufgerissenen Augen und aufgebrachtem Blick, öffnet den Mund und sagt etwas… Aber ich kann ihn nicht verstehen.

Verharre einfach reglos in seinem Griff, halb kniend, halb stehend, versuche, zu begreifen, was hier geschieht…

Er sollte doch noch nicht wieder zurück sein. Wollte doch mit Nancy irgendwelche Freunde besuchen, bis spät in die Nacht, es kann doch noch nicht…

Dann trifft mich ein heftiger Schlag.

Mein Kopf wird zur Seite gerissen und ich schnappe nach Luft, Schmerz durchzuckt mich, noch immer gedämpft, aber doch spürbar.

Allmählich dringen die Worte zu mir durch, die mir entgegengebracht werden.

„…mir zu! Bist du eigentlich total bescheuert?“

Ich antworte nicht. Sehe ihn einfach bloß an, noch immer versuchend, die Situation zu verstehen, zu erfassen, was passiert…

Dann beginnt sein Gesicht, sich zu verändern. Seine Züge verformen sich, Risse ziehen sich über die Haut und verleihen ihr das Aussehen von gesprungenem Porzellan, seine Lippen verziehen sich zu einem widerlichen Grinsen…

„Keine Angst“, sagt der Mann vor mir, mit einer anderen Stimme als zuvor, einem anderen Aussehen als zuvor.

Ein Zittern erfasst meinen gesamten Körper, als ich registriere, dass ich in die dunkelbraunen Augen meines Großvaters blicke.

Heftig zicke ich zurück. Strecke gleichzeitig die Arme aus, schlage nach meinem Gegenüber.

Eine Handlung, mit der dieser anscheinend nicht gerechnet hat.

Er schreit auf, als meine Finger ihn an der Wange treffen, darüber kratzen und rote Striemen hinterlassen. Lässt meine Schultern los und streicht sich mit einer Hand durchs Gesicht, mich dabei anstarrend, mit diesen verdammten, braunen Augen…

Ich stolpere nach hinten, zurück, weg von ihm, höre dabei einige Sekunden lang zwei verschiedene Stimmen, die sich gegenseitig überlagern wie bei einem Radio, dessen eingestellte Frequenz zwischen zwei Sendern liegt.

„…los mit dir? Du…“

„…wehtun. Es wird…“

„…dich noch um! Ist es…“

„…du stillhältst. Ich…“

„…willst? Oh, das…“

„…Mühe, dass es schnell geht. Du…“

„…einfacher haben! Jedenfalls ohne unser…“

„…ruhig bleiben! Dann ist es…“

„…abzufackeln! Wenn du schon…“

„…vorbei!“

„…sehr sterben willst!“

Möglicherweise sagen sie noch mehr, sehr wahrscheinlich tun sie das. Sie werden nicht einfach verstummen, werden weiter auf mich einreden, mich bedrängen, mich wahnsinnig machen!

Doch für den Moment kann ich sie nicht mehr hören. Denn meine eigenen Schreie sind zu laut.

Panik durchfährt meinen gesamten Körper. Das Adrenalin fließt durch meine Adern, mein Puls rast, mein Herz pocht unregelmäßig, stolpert.

Hektisch schnappe ich nach Luft, aber scheinbar ohne Erfolg; da ist nichts, was ich einatmet kann, kein Sauerstoff, nichts. Bloß ein lebensfeindliches Vakuum…

Dann sehe ich, wie mein Großvater sich über mich beugt. Seine Augen sind auf mich gerichtet, mustern mich. Das Lächeln, das sein Gesicht ziert, ist freundlich, sanft, ein Anblick, der einfach bloß unfassbar schmerzhaft ist… Hämisch. Grausam.

Er packt meine Arme und drückt mich auf den Boden.

Meine Schreie werden lauter, meine Panik noch intensiver; mit aller Kraft versuche ich, mich loszureißen, winde mich in seinem Griff, trete nach ihm… Aber alles ohne Erfolg.

Sein Gewicht auf mir nimmt zu, sein Griff wird fester.

Aus den Augenwinkeln nehme ich eine Bewegung wahr. Undeutlich, kaum mehr als ein Schatten… ist dort noch jemand?

Ich will mich zur Seite drehen, will sehen, was es ist, was sich dort bewegt („Nancy“, flüstert eine Stimme in meinem Kopf, das ist Nancy da hinten, und der Typ, der dich festhält, ist dien ‚Vater‘, und das ist vielleicht beschissen, ziemlich beschissen sogar, aber allemal besser, als wenn es wirklich dein Großvater wäre! Also reiß dich zusammen und-“

Ich habe keine Ahnung, was nach dem ‚Und‘ noch folgen sollte, was die Stimme, die immer irgendwie so tut, als hätte sie alles im Griff, mir sagen wollte.

Denn plötzlich ist alles still.

Ich glaube, noch immer zu schreien, so fühlt es sich an, doch ich höre nichts mehr. Nicht mich selbst, nicht die Stimme in meinem Kopf, nicht die meines Großvaters… einfach nichts.

Die Stille ist so vollkommen, so… endgültig. Es fühlt sich so seltsam an…

Ich merke, wie ich wegdrifte. Mein Körper fühlt sich schwer an, taub, und irgendwie so, als würde er nicht mehr mir gehören. Als würde er mich abstoßen.

Kurz bevor ich endgültig versinke, in eine tiefe, allumfassende Schwärze, vernehme ich doch noch einmal ein Geräusch, das zu mir durchdringt.

Wieder ist es mein Großvater, der zu mir spricht, mit dieser so vollkommen unpassend freundlichen Stimme…

„Ganz ruhig.“

Während er zu mir spricht spüre ich, wie sich etwas um meinen Hals legt. Es kratzt auf meiner Haut, scheuert, aber bloß leicht… dann zieht es sich zusammen. Schnürt mir die Luft ab, drückt meinen Kehlkopf schmerzhaft zusammen, sorgt dafür, dass mein Körper sich reflexartig zusammenkrümmt, ohne, dass ich irgendeinen Einfluss darauf hätte…

„Jetzt halt endlich still, du dummes Kind!“

Dann - nichts mehr.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Drachenprinz
2021-02-21T14:55:24+00:00 21.02.2021 15:55
Puh... Das war bisher, finde ich, das krasseste Kapitel in dieser Geschichte, mit den ganzen Empfindungen, die man hier miterlebt, mit den ganzen Menschen aus Jonnys Leben, die irgendwie auf ihn einreden... Auch wenn er das in diesem Moment hier offenbar 'nur' halluziniert, aber er scheint es ja sehr realistisch wahrzunehmen. Und ich vermute mal, diese Dinge sind zum Teil wirklich passiert. Dass sein (Adoptiv-)Vater ihn geschlagen hat, zum Beispiel. Das ist ja schon schlimm genug... ._. Und dann diese sich abwechselnden Stimmen, die er hört, und dann auch noch sein Großvater. Uff. Das ist ja echt einfach wie ein heftiger Albtraum, aus dem er nicht entkommen kann. Deine Charaktere bleiben aber auch einfach von nichts verschont. xD LEEEIIIID!!! ... Ja, ähm.
Ich freu mich auf jeden Fall wieder, wenn es weitergeht! :D
Antwort von:  ReptarCrane
22.02.2021 11:06
Jaaa, Leiiiiid xDD
Es freut mich auf jeden Fall dass du es spannend findest und so c:


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