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Time Bomb

von

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Die Unfähigkeit, vergessen zu können

Die untergehende Sonne tauchte den Pier nach und nach in immer mehr Rottöne, als Atsushi Akutagawa gegenübertrat.

„Danke, dass du uns hilfst“, begrüßte Atsushi ihn ernst und bekam einen schlecht gelaunten Gesichtsausdruck zurück.

„Ich helfe euch nicht. Ich will nur, dass alles wieder normal wird.“

„Wie lautet dein Plan?“

„Dazai wird gleich hier auftauchen, weil ich ihm gesagt habe, ich müsste ihn dringend sprechen, da es um Leben oder Tod der Organisation gehe. Was momentan ja nicht einmal gelogen ist.“

Atsushi nickte. „Ich verstehe. Hast du auch über das weitere Vorgehen nachgedacht?“

Der Blick seines Gegenübers konnte tatsächlich noch eine Stufe verächtlicher werden. „Pah, bekommt ihr alleine nichts auf die Reihe?“

Schnell schüttelte Atsushi den Kopf. „Wir haben bereits einen Plan ausgearbeitet. Wenn … wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte, dann darfst du Dazai nur angreifen, wenn ich dies auch tue. Nur gleichzeitig, nicht alleine. Hast du das verstanden?“

„Erteilst du mir etwa Befehle?“

„Das ist sehr wichtig. Wir wollen auf gar keinen Fall, dass Dazai verletzt wird.“

„Ihr scheint noch nicht begriffen zu haben, dass ihr euch in einem Kampf gegen Dazai Sorgen um eure eigene Unversehrtheit machen solltet.“

Atsushi schluckte. „Wir wollen, dass überhaupt niemand verletzt wird.“

Statt einer Antwort entwich Akutagawa lediglich ein unzufriedenes Schnauben.

„Bitte … es ist wichtig,“ fügte der junge Detektiv unbeirrt hinzu.

„Du bist erbärmlich, Menschentiger. Du flehst deinen Feind um Hilfe an?“

„Du hast bei uns angerufen.“ Atsushi konterte so fest entschlossen, dass sein Gegenüber stutzen musste. „Ich weiß, dass die Lage bei uns in der Detektei ernst ist und es ist unübersehbar, dass die ganze Stadt in Gefahr ist, also gehe ich davon aus, dass die Hafen-Mafia mindestens so schlimm wie wir von den Anomalien betroffen ist. Habe ich Recht?“

Der Mafioso steckte seine Hände in seine Manteltaschen ohne zu antworten. Erst als ein paar Sekunden verstrichen waren, richtete er wieder das Wort an den Anderen. „Ihr habt also einen Plan?“

Mindestens so schlimm, dachte Atsushi, oder wahrscheinlich noch viel schlimmer als bei uns. Es war die einzige Erklärung dafür, dass Akutagawa sich mit ihnen zusammentun würde. Der hellhaarige Junge wollte gerade erwidern, dass er ihm vertrauen sollte, als er ihre Zielperson auf sie zu schlendern sah.

„Wer ist dein Freund, Akutagawa?“

Dieser eigentlich harmlose Satz versetzte Atsushi einen tiefen, schmerzhaften Stich ins Herz. Dazai konnte sich nicht an ihn erinnern.

„Erkennst du mich nicht?“, fragte er wider besseren Wissens.

Der eigentlich Älteste der drei stutzte, als er sich zu ihnen gesellte. „Tut mir leid, sind wir uns schon mal begegnet?“

„Ich stelle mir vor, dass das kein schönes Gefühl ist, oder Menschentiger?“

Bedrückt schüttelte Atsushi den Kopf. „Nein, das ist es wirklich nicht.“ Mit traurigen Augen begutachtete der Junge seinen Mentor. Tatsächlich sah er anders aus als sonst und das lag nicht nur an seinem schwarzen Anzug und dem schwarzen Mantel. Er wirkte auch anders. Kühler. Fremder. Etwas an seiner momentanen Präsenz jagte dem Jungen einen unheimlichen Schauer über den Rücken. Doch es war immer noch Dazai, sagte er sich immer und immer wieder. Dazai brauchte seine Hilfe, auch wenn dieser sich dessen gar nicht bewusst war. Es lag ausnahmsweise mal an ihm, dem Brünetten zu helfen und nicht andersherum.

„Bist du verletzt?“, fragte Atsushi besorgt, als ihm der Verband um das rechte Auge des Älteren auffiel.

„Er hat früher immer so ausgesehen“, wandte Akutagawa ein.

„So wie du wirkst“, sagte Dazai und tat sein Bestes die schlimmer werdenden Kopfschmerzen zu ignorieren, „bist du sicher kein Freund von Akutagawa.“

„Dazai.“ Atsushi sah ihn eindringlich an. „Das hier ist nicht richtig. Durch Risse im Raum-Zeit-Gefüge bist du irgendwie in die Vergangenheit geschleudert worden. Du gehörst nicht mehr zur Hafen-Ma-“

„Schon wieder diese Nummer?“ Dazai schüttelte missbilligend den Kopf. „Und jetzt soll ich auch noch ein Zeitreisender sein? Was soll diese lächerliche Show?“

„Das ist keine Show! Und nicht lächerlich!“, schrie der junge Detektiv ihn plötzlich an. „Wir müssen schnell etwas gegen diese Risse tun, sonst werden sie alles verschlingen und nichts wird wieder so wie es sein soll! Bitte, du musst uns helfen!“

„Argh.“ Dazai fasste sich an seinen dröhnenden Kopf. „Schrei nicht so, Atsushi.“

Entgeistert blickte der Angesprochene ihn an. „Du … du kennst meinen Namen?? Erinnerst du dich doch an mich??“

Der Ältere stutzte. Ja, wieso in aller Welt kannte er den Namen eines Jungen, dem er noch nie zuvor begegnet war?

„Versuch, dich weiter zu erinnern!“, flehte Atsushi ihn nun an, während Akutagawa abwartend zwischen den beiden hin und her sah. „Du schaffst das, Dazai. Du weißt, dass hier etwas nicht stimmt. Du musst dich nur erinnern! An die Detektei, an Kunikida, an Kyoka, an Ranpo, an den Chef-“

„Wo ist denn bei diesem ... Schreihals der Ausschalter …?“ Dazai hatte das Gefühl, das sein Schädel gleich zerspringen würde. Mit jedem Wort dieses schrecklich lauten Jungen wurden seine Schmerzen schlimmer. Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal solche Beschwerden gehabt zu haben. Als würde sein Körper, dem sonst fast nichts etwas ausmachte, gegen etwas Unbekanntes rebellieren. War er vielleicht krank?

„Was soll das hier, Akutagawa? Wieso lauern da noch mehr Gestalten im Hintergrund? Wird das ein Hinterhalt? Willst ausgerechnet du mich stürzen? Habe ich mich etwa gerade in dir so massiv getäuscht? Das wäre ja was.“

Auf Fukuzawas Zeichen hin umstellten er, Yosano, Kenji und Tanizaki ihren eigentlichen Kollegen.

„Wie ich schon sagte“, entgegnete Akutagawa ungerührt, „an dir habe ich kein Interesse.“

Ein flüchtiges, spöttisches Lächeln legte sich auf Dazais Lippen. „Wer auch immer ihr seid, ich rate euch davon ab, mich anzugreifen, weil das sonst das Letzte sein wird, was ihr je in eurem Leben tun werdet.“

„Dazai ...“ Atsushi betrachtete ihn fassungslos. Wenn hier nun etwas schief ginge, dachte er angsterfüllt, und Dazai einen von ihnen tatsächlich töten würde, was würde dann geschehen? Selbst wenn sie dieses Zeit-Chaos wieder auflösen konnten, würde es trotzdem nie mehr wie früher werden können.

„Der hat ja 'ne große Klappe“, bemerkte Yosano verächtlich. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass so einer tatsächlich zu uns gehört. Wir haben doch schließlich schon mit Ranpo genug Ego im Büro.“

„Doch“, sagte Atsushi, als seine Entschlossenheit zurückkehrte. Er musste vertrauen, auf die anderen, auf sich selbst. Es war ihre einzige Möglichkeit. „Er gehört zu uns.“

Mit diesen Worten gingen Yosano und Kenji wie sie untereinander zuvor im Büro abgesprochen hatten zeitgleich zum Angriff über. Dazai wich ihnen mit spielender Leichtigkeit aus, schnappte sich Kenjis Handgelenk und schleuderte ihn auf Yosano, sodass beide auf den Boden geworfen wurden. Im nächsten Augenblick zog Fukuzawa sein Schwert, doch der Gegner (der eigentlich keiner sein sollte) bemerkte dies sofort, zog blitzschnell eine Pistole unter seiner Jacke hervor und schoss auf Fukuzawa, der getroffen zu Boden ging. Einem inneren Gefühl folgend, dass dies nicht alles war, drehte sich Dazai um und entkam nur knapp den Händen Tanizakis, die aus dem scheinbaren Nichts nach ihm griffen. Er feuerte einen Schuss auf den rothaarigen Jungen ab, der auf einmal von jemandem zur Seite gerissen wurde und so der Kugel haarscharf auswich. Die abrupte Handlung zwang ihn unglücklicherweise zum Auflösen seiner Fähigkeit.

„Tatsächlich“, stellte Dazai fest und blickte zu dem wieder vor ihm stehenden Fukuzawa, der Tanizaki vor dem Erschießen bewahrt hatte. „Eine Illusion.“

„Er ist so stark wie befürchtet“, entgegnete der Chef der Detektei nur. „Dann bleibt uns nur noch eins. Atsushi!“

Der angesprochene Junge verlor keine Zeit. Er wusste, was er zu tun hatte. Und er hoffte, er hoffte so sehr, dass ihr Plan aufgehen würde, denn nur so würden sie Dazai überwältigen können, ohne mehr Gewalt anwenden zu müssen.

„Fähigkeit: Bestie im Mondschein!“

„Fähigkeit: Rashomon!“

Zu Atsushis enormer Erleichterung hatte Akutagwa ihn tatsächlich verstanden und ging gleichzeitig mit ihm zum Angriff über, was Dazai nur ein schwaches Lächeln entlockte. „Du enttäuschst mich, Akutagawa.“ Er streckte seine Hände nach beiden Seiten aus und berührte die Angreifer. Sofort neutralisierte seine Fähigkeit die beiden anderen.

In genau diesem Moment sprang Murasaki aus ihrem Versteck und aktivierte ohne Umschweife ihre Fähigkeit: „Fähigkeit: Prinz Genji!!“

Eine leuchtende, geisterhafte Männergestalt in einem edlen goldenen Kimono erschien vor Dazai und bevor dieser begreifen konnte, was los war, ging er vor der Erscheinung auf die Knie.

„Ich kann mich … nicht mehr … bewegen ...“ Verwirrt über das Geschehen starrte Dazai zu der beinahe blendenden Gestalt vor ihm. Hatten sie ihn etwa überrumpeln können? Gerade, als ihm der Gedanke kam, dass dies vielleicht noch interessant werden würde, verlor er das Bewusstsein und fiel zu Boden.

Sorgenvoll lief Atsushi sofort zu ihm hin. „Er scheint nicht verletzt zu sein. Danke, dass du uns geholfen hast, Akutagawa.“

„Noch einmal“, brummte dieser, „ich helfe euch nicht.“

„Gut gemacht, Fräulein Murasaki“, sagte Fukuzawa derweil.

„Was ist überhaupt passiert?“, hakte der junge Mafioso nach und musterte die ihm fremde Frau, die eine scheinbar so starke Fähigkeit besaß.

„Meine Fähigkeit“, erläuterte Murasaki erfreut, „paralysiert denjenigen, der zuletzt seine Fähigkeit angewendet hat und übergibt ihn einer kurzen, aber intensiven Ohnmacht. Ich kann den Prinzen aber nicht ohne Unterlass rufen, dann verweigert er mir seine Dienste.“

„Deswegen sollte ich mich also an deinem Angriff orientieren.“ Akutagawa blickte zu Atsushi, welcher nickte.

„Wir mussten sicherstellen, dass Murasaki eine deutliche Chance bekommt, ihre Fähigkeit anzuwenden.“

„Bringen wir ihn in die Detektei“, ordnete der Chef an und sogleich hoben Atsushi und Kenji den bewusstlosen Dazai vom Boden auf.

„Ich komme mit“, sagte Akutagawa zur Überraschung aller. „Ich hasse es, dies zuzugeben, aber im Moment ist auf euren lächerlichen Verein mehr Verlass als auf die Hafen-Mafia, die dabei ist, sich selbst zu vergessen.“

 

Es war dabei, dunkel draußen zu werden.

Langsam, sehr langsam öffnete Dazai seine sich unheimlich träge anfühlenden Augen. Er hatte bereits bemerkt, dass er an einen Stuhl gefesselt war. Mit Stahlseilen. Wie süß. Immerhin unterschätzten sie ihn nicht völlig.

„Dazai“, begrüßte Atsushi ihn, „alles in Ordnung?“

Wieso lag diesem fremden Jungen scheinbar so viel an ihm? Ein erneuter stechender Schmerz durchzuckte seinen Schädel. Dazai blickte auf und sah die gleichen Gestalten wie zuvor vor sich. Zwei weitere malten an einem anderen Tisch auf einem Stadtplan herum und nickten sich ständig zu. Während er sich umschaute, überkamen ihn mit einem Mal noch viel heftigere Kopfschmerzen als zuvor und er krümmte sich – soweit es seine Fesseln zuließen – vor Pein.

„Dazai!!“, rief der silberhaarige Junge alarmiert und ohne es sich erklären zu können, wollte Dazai ihn beruhigen, ihm sagen, dass nichts war. Als wäre es ihm wichtig, dass dieser Junge sich keine Sorgen um ihn machte. Was war hier nur los?

„Ist es möglich, dass seine verloren gegangenen Erinnerungen ihn quälen?“, mutmaßte Akutagawa mitleidslos. „Schon im Kampf stimmte etwas nicht mit ihm. Er schien lächerlich schwach, verglichen mit seiner sonstigen Verfassung.“

„Das ist denkbar“, Yosano kam herein. „Vielleicht weiß er tief in seinem Innern, dass hier etwas falsch läuft und sein Körper rebelliert gegen das, was sein Verstand momentan für die Realität hält.“

„Wird ihm das schaden?“, fragte Fukuzawa.

Die Ärztin warf einen kurzen Blick auf die schwer atmende, gefesselte Gestalt vor ihr und zuckte mit den Schultern. „Gut ist das mit Sicherheit nicht. Ich weiß ja nicht, wie blass der Typ sonst aussieht, aber diese Hautfarbe sieht echt nicht gesund aus.“

„Dazai“, sagte der Junge schon wieder und jedes Mal, wenn er dies tat, hatte Dazai das Gefühl das ihn innerlich tatsächlich etwas zerriss, „es ist mir egal, ob du uns glaubst oder nicht, aber du gehörst nicht mehr zur Hafen-Mafia. Und wenn du uns nicht hilfst, wirst du vielleicht ….“

„Du wirst sterben, weil du diese Idioten vergessen hast.“ Akutagawa klang zornig. „So ein unrühmliches Ende kannst du unmöglich wollen.“

„Ihr klingt alle ...“, presste Dazai schmerzerfüllt hervor, „komplett verrückt ….“ Er wollte hinzufügen, dass zu sterben nichts war, wogegen er Einspruch erheben würde, doch …. Hier stimmte wirklich etwas nicht. Sein Körper schien den Geist aufzugeben, ohne dass er damit etwas zu schaffen gehabt hatte. Und – was viel gravierender war und von ihm kaum geglaubt werden konnte – jetzt in diesem Moment war er nicht besonders scharf darauf zu sterben. Was war hier nur los? Wer waren diese Menschen? Wer waren sie für ihn? Wieso waren sie etwas für ihn?

„Chef“, warf Yosano hastig ein. „Es gibt ein Problem mit Kunikida.“

Beim Klang dieses Namens horchte Dazai auf. „Kunikida? Wer ... ist das?“

„Dein Partner“, antwortete Atsushi in der Hoffnung, der Ältere würde sich an ihn erinnern.

„Was für ein Problem?“, fragte Fukuzawa und stellte sich auf weitere schlechte Nachrichten ein.

„Ich glaube, der Grund für sein ständiges Schreien ist, dass er Schmerzen hat. Wenn seine Rückentwicklung so weiter geht … dann wird seine Existenz bald ausgelöscht.“

Wie auf Kommando fing Kunikida an zu schreien und nur eine Sekunde später kam Naomi mit ihm auf dem Arm dazu.

„Wartet mal“, wandte Dazai ungläubig ein, „DAS ist Kunikida? Ihr … habt sie wirklich nicht mehr alle, oder?“ Er lachte. „Mit was für Verrückten hast du dich da eingelassen, Akutagawa?“

„Naomi“, sagte Atsushi plötzlich, „gib ihn mir mal, ja?“ Er nahm Kunikida auf den Arm und trat mit ihm vor Dazai. „Das ist Kunikida. Dein Partner. Und er wird sterben, wenn wir nichts unternehmen.“

„Hah“, gab Dazai spöttisch von sich, „erst soll ich sterben und jetzt auch noch dieses Baby, das mein Partner sein soll ...“ Er stutzte. Als Kunikida ihn ansah, hörte dieser mit einem Mal auf zu schreien. Wortlos besahen sich die beiden, bis Dazai auf einmal der Atem stockte. Aus dem Nichts ging vor seinem innerem Auge ein gewaltiger Bilderschwall nieder. Jeder Auftrag, jeder Moment, den er je mit Kunikida verbracht hatte, spielte sich wie ein rasend schnell vorgespulter Film vor seinen Augen ab.

„Ist … Kunikida“, fragte Dazai plötzlich und mit seinem sichtbaren Auge weit aufgerissen, „ein streng dreinblickender Kerl mit Pferdeschwanz und Brille, der unglaublich leicht an die Decke geht?“

Alle Versammelten hielten den Atem an. Bedeutete dies etwa …?

„Ja!“, rief Atsushi voller Hoffnung aus, „das ist Kunikida!“

„Das ergibt … keinen Sinn ….“ Er lachte erneut, aber dieses Mal hörte man seinen wachsenden Unglauben stark heraus, als würde auch er mittlerweile an seinem Verstand zweifeln. „Wieso ist es mir wichtig, diesen Kerl nicht sterben zu lassen? Wieso soll mir das wichtig sein? Wieso ist mir das wichtig??“

Atsushi nahm tief Luft, nicht zuletzt weil sein Herz vor Aufregung immer schneller schlug. „Weil er dein Partner ist. Weil ihr beide ein Team seid. Weil ihr gegenseitig aufeinander Acht gebt. Und weil du sonst niemanden mehr hättest, den du so leicht ärgern könntest.“ Endlich! Endlich tat sich bei Dazai vielleicht etwas! Konnten sie nun wieder hoffen?

Dazai schüttelte lachend den Kopf und machte die aufkeimende Hoffnung des Jungen zunichte. Sein Lachen hatte eine unheimliche, fast finstere Färbung angenommen. „Irgendwie klingt das so gar nicht nach mir. Wieso soll dieses Baby, das ein erwachsener Mann sein soll, mir irgendetwas bedeuten? Ihr seid euch wahrscheinlich wirklich nicht darüber bewusst, wie lächerlich das klingt.“

Enttäuscht über den herben Rückschlag senkte Atsushi den Kopf. Aufzugeben kam für ihn dennoch nicht in Frage. „Wir versuchen dir doch die ganze Zeit schon zu erklären, dass Risse im Raum-Zeit-Gefüge zu diesen Vorfällen geführt haben. Irgendwie hat das auf jeden andere Auswirkungen. Einige werden zu ihrem früheren Ich und manche verschwinden spurlos … so wie Kyoka.“

Erneut durchzuckte Dazai ein ungutes Gefühl. „Kyoka … zwei Zöpfe, ein roter Kimono“, hauchte er leise, doch es reichte, um Atsushis Kopf wieder nach oben schnellen zu lassen. Das war haargenau die Beschreibung, die er den anderen zuvor von ihr gegeben hatte.

Was auch immer hier los war, überlegte Dazai, während er seine Gedanken sortierte, im Moment schien die Erklärung, die dieser Junge ihm vorgetragen hatte, beinahe plausibel (wenn auch weit hergeholt). Welchen anderen Grund konnte es sonst geben für all diese Erinnerungen, die ihm in den Sinn kamen, obwohl er sich nicht erinnern konnte, sie tatsächlich erlebt zu haben? Auf dem Weg zum Pier hatte die Stadt in der Tat seltsam gewirkt. Da waren Gebäude, die dort nicht mehr hingehörten und so wenige Menschen schienen unterwegs zu sein. Was das Seltsamste von allem allerdings war … war dieses nagende Gefühl in seinem Innern, das sich so sehr von seinen sonstigen nagenden Gefühlen unterschied. Es kam ihm die ganze Zeit so vor, als hätte er wahrhaftig etwas vergessen. Nein. Nicht nur etwas. Viel. Sehr viel. Etwas, das ihm wichtig war. Seit wann war ihm etwas wichtig? Dieses Baby, das Mädchen namens Kyoka, all die Leute, die zu dieser Detektei gehörten … es war ihm wichtig ihnen zu helfen. Ausgerechnet ihm. Hatten sie tatsächlich recht und er war einer von ihnen? Aber wie-? Wie konnte er einer von ihnen sein? Es gab hier zu viele offene Fragen und er musste die Antworten darauf finden. Er musste! Dazai konnte den Gedanken gerade so zu Ende denken, als sein ganzer Körper heftig reagierte und er sich übergeben musste. Erschrocken sprang Atsushi zur Seite und rief besorgt Dazais Namen (immer diese Sorge um ihn), während Kunikida lautstark zu brüllen begann.

„Wie soll man den bei dem Krach arbeiten?“ Meckernd trat Ranpo zu ihnen. Sei folgte ihm und hielt den vollgekritzelten Stadtplan hoch. „Chef, trotz dieser immens widrigen Arbeitsbedingungen weiß ich, wo wir jetzt hin müssen.“

Ranpo nahm ein Lineal von einem Schreibtisch und zeigte auf eine eingekreiste Stelle auf dem Stadtplan. „Wenn man alle Vorkommnisse und Sichtungen von Rissen verbindet, landet man genau hier.“ Er klopfte mit dem Lineal auf die eingekreiste Stelle. „Das ist ein altes Lagerhaus am Hafen. Ich vermute, unser Aushilfskollege hier weiß da Genaueres zu.“

Alle Blicke gingen zu Akutagawa, der seine Bezeichnung mit einem Grummeln quittierte.

„Die Hafen-Mafia hat dort ein Lager, allerdings dient der Keller des Gebäudes in erster Linie als Kerker für Personen, die ihnen von Nutzen sein könnten.“

„Gefangene also. Und wer sitzt da im Moment so ein?“, hakte Ranpo nach.

„Darüber weiß ich ni-“, wollte Akutagawa antworten, als ihm ein Geistesblitz kam. „Chuuya sagte etwas von einem Gefangenen namens Wells, an den er sich nicht erinnern konnte.“

„Da haben wir unseren Befähigten mit der Zeitmanipulation“, schlussfolgerte Ranpo.

„Na … schön ...“, meldete sich Dazai keuchend zu Wort. „Ich bin … inzwischen davon überzeugt … nicht nur einen echt üblen Kater zu … haben …. Wenn … dieser Kerl Schuld an … der ganzen Misere ist … will ich ihn mir … vorknöpfen.“

Fukuzawa schloss für einen kurzen Moment die Augen, dann öffnete er sie wieder und sah mehr als entschlossen aus. „Atsushi, geh mit Dazai zu diesem Ort und lass ihn diese Fähigkeit stoppen. Dir kann ich keine Befehle erteilen, Akutagawa.“

„Ich kann etwas so Wichtiges unmöglich dem Menschentiger und dieser lächerlichen, sterbenden Gestalt überlassen. Ich werde mitkommen.“

„Ich werde die jungen Herren und den schamlosen Kavalier begleiten“, sagte Murasaki determiniert. „Mir scheint, ungeachtet der Umstände, mich in dieser wundersamen Welt zu befinden, bin ich nicht weiter von diesem Ungemach betroffen.“

„Sei sollte auch mit euch kommen“, fügte Ranpo hinzu.

„Ich verfüge über keinerlei Fähigkeit“, widersprach sie erstaunt.

„Du wirst dort gebraucht werden“, antwortete der Meisterdetektiv kryptisch und winkte mit Blick auf seine Kollegen ab. „Der Rest vom Fest ist gerade leider nicht wirklich zurechnungsfähig und bleibt besser hier.“

Gerade als Atsushi den mittlerweile wieder etwas ruhigeren Kunikida Kenji übergeben wollte, sah das Baby ihn eindringlich an. Als wollte Kunikida ihm sagen: Kriegt das bloß wieder hin.

„Keine Angst“, sagte Atsushi ihm. „Wir werden alles wieder gerade biegen. Wir werden jeden Einzelnen retten.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
In „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ wird besagter Genji als außergewöhnlicher Mann dargestellt, der über allen anderen steht. Genji war mir nie sonderlich sympathisch und ich empfand ihn immer als eingebildeten Gockel, der sich selbst für ziemlich toll hält. Daher gab ich Murasaki eine Fähigkeit, vor der man niederknien muss, während sie quasi das letzte Wort hat. Und es wäre doch auch langweilig, wenn Dazais Fähigkeit tatsächlich das Nonplusultra wäre, oder? Komplett anzeigen

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