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Die Wölfe 3 ~Der Pianist des Paten~

Teil III
von

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~Zimtschnecken~

Wie seltsam, ich fühle mich irgendwie schlapp und mein Magen sticht entsetzlich. Alles ist dunkel, ich muss die Augen öffnen um daran etwas zu ändern. Mein erster Blick fällt auf Holzbretter, die von krummen Nägeln zusammengehalten werden. Das ist die Hütte, die ich mit Toni auf dem Dach des Abrisshauses gebaut habe, aber wie komme ich hier her? War ich nicht eben noch unten in einer der Wohnungen und wollte Toni einen blasen? Was ist denn passiert? Mein Blick schweift umher. Vor dem Eingang des Bretterverschlags sitzt mein Leibwächter, er hat mir den Rücken zugedreht, seine ganze Haltung ist angespannt. Irgendwas Schlimmes muss passiert sein.

Ich versuche mich aufzusetzen, doch die Kraft in meinem Körper ist kaum nennenswert. Ich brauche zwei Anläufe, bis es mir endlich gelingt. Mein Kopf fühlt sich dabei an, als wenn er in eine Schraubzwinge geraten wäre. Ich greife meine Stirn und stöhne kläglich.

Tonis Haltung verspannt sich weiter, laut und angriffslustig fragt er: „Wie lange Enrico? Wie lange hast du schon nichts mehr gegessen?“

Ich fühle mich ertappt und setze ein schelmisches Grinsen auf. „Was?“, frage ich und versuche unschuldig zu klingen.

Toni schüttelt leicht den Kopf. „Du bist wirklich gut darin geworden bei Aaron deine Mahlzeiten verschwinden zu lassen. Ich habe es nicht bemerkt.“ Seine Stimmlage wird immer dunkler und unheilvoller.

„Aber ich esse doch…“, versuche ich glaubhaft zu lügen.

Toni dreht sich nach mir um, in seinen Augen flammt Wut. Er holt weit aus und schlägt mich hart auf die Wange.

Ich fahre zusammen und fasse mir an die schmerzende Haut. Entsetzt sehe ich ihn an.

Toni hält mir drohend seinen Zeigefinger ins Gesicht. „Lüge mich nicht auch noch an! Du bist gerade einfach umgefallen und warst jetzt fast eine Stunde ohnmächtig!“

Ich senke meinen Blick und wage nicht mehr ihn anzusehen. Auch Worte der Verteidigung habe ich nicht auf Lager, also schweige ich.

Tonis Stimme bleibt wütend, als er sagt: „Du siehst aus wie ein Gerippe und gerade beim Sex war deine Gegenwehr erbärmlich. Was glaubst du passiert wenn wir auf einen der Drachen treffen? Denkst du, dann hast du auch nur den Hauch einer Chance zu entkommen?“

Ich drehe den Kopf zur Seite und betrachte ein loses Brett der Hütte. Leise sage ich: „Sollte noch mal so ein Typ vor mir auftauchen, erschieße ich mich selbst bevor ich ihm in die Hände falle.“

„Ich klatsche dir gleich noch eine!“, sagt er ernst.

Ich atme schwer aus und schweige wieder.

„Wir haben jetzt seit über einem Jahr alles dafür getan, um am Leben zu bleiben und nun gibst du einfach auf?“, fragt er vorwurfsvoll.

„Ich habe doch nur einfach keinen Hunger“, sage ich leise. Als wenn mir mein Magen wiedersprechen wollte, knurrt er laut. Das Gurgeln in meinem Inneren wandelt sich in einen stechenden Schmerz. Ich krümme mich zusammen und halte mir den Bauch.

Tonis finsterer Blick lastet schwer auf mir. Er zieht eine braune Papiertüte aus seinem Schoß und hält sie mir unter die Nase. Aus ihr duftet es nach Gebäck und Hefeteig. „Iss!“, sagt er streng.

Wo er die wohl her hat? Ist er extra noch mal los um mir was zu Essen zu besorgen? Ich seufze und nehme ihm die Tüte aus der Hand, doch trotz des betörenden Duftes, bringe ich es nicht über mich sie zu öffnen.

Toni straft seine Haltung, sein Körper versperrt nun komplett den Eingang der Hütte. „Du kommst hier nicht raus, eh du alles aufgegessen hast und wehe du kommst auf die Idee es wieder auszukotzen, dann zwinge ich es dir mit einem Trichter rein, mir egal wie das dann schmeckt!“

Der Gedanke klingt scheußlich, doch so wie Toni schaut habe ich keinen Zweifel daran, dass er seine Drohung in die Tat umsetzen wird.

Ich seufze und lasse die Schultern hängen. Die Papiertüte lege ich mir in den Schoß und öffne sie. Zwei Zimtschnecken und ein Beagle starren mich mahnend an. Ich fische mir eine der Zimtschnecken heraus. Sie sieht wirklich köstlich aus und mein Körper verlangt nach der Nahrung, trotzdem kann ich mich nur schwer überwinden etwas davon abzubeißen. Ich kämpfe schon so lange mit der Übelkeit beim Anblick von Essen, das es schon reine Gewohnheit ist, nach einem Ausweg zu suchen, das Zeug ungesehen los zu werden. Auch jetzt erwische ich mich dabei, wie ich meinen Blick schweifen lasse. Unter der Decke würde sich das Gebäck sicher gut verstecken lassen, doch Toni sitzt genau vor mir und beobachtet mich mit Adleraugen. Ich zwinge mich dazu, abzubeißen und den ersten Bissen hinunter zu schlucken. Die Süße schmeckt nach mehr und mein Körper überschüttet mich nach der langen Zeit ohne Nahrung mit einem Glücksgefühl, trotzdem bleibt jeder neue Bissen eine Überwindung.

Toni beobachtet mich noch einen Moment lang, dann fragt er: „Warum isst du nichts?“

Ich seufze und nutze das Gespräch, um für den Moment mit dem Essen aufhören zu können. Während ich das Gebäck mit traurigem Blick betrachte, sage ich: „Weil mir immer schlecht wird, wenn ich was zu Essen sehe.“

„Das ist aber doch nicht normal. Vielleicht sollten wir Susen bitten, dich zu untersuchen.“ Sorge legt sich in Tonis Blick und löst seine finstere Miene ab.

Ich sehe zur Seite weg. „Sie hat mich schon untersucht!“, sage ich kleinlaut. Susen ist es natürlich nicht entgangen, dass ich immer dünner werde. Sie hat darauf bestanden mich zu untersuchen.

„Und?“, fragt Toni.

„Mir fehlt körperlich nichts. Sie meinte das hat was mit meinem Kopf zu tun.“ Vorsichtig hebe ich den Blick, um Tonis Reaktion abschätzen zu können.

Er schaut fragend.

„Naja wegen den ganzen schlimmen Dingen die uns so passiert sind“, füge ich erklärend an.

„Hat sie auch gesagt, was man dagegen tun kann?“

Ich lasse die angebissene Schnecke in meinen Schoß sinken und schaffe es nicht mehr Toni anzusehen. Während ich vor mich hinstarre, sage ich: „Ich soll mit jemanden darüber reden dem ich vertrauen kann, aber ich will nicht darüber sprechen, oder je wieder daran denken.“ Es reicht mir dass ich jede Nacht davon träume. Schon beim bloßen Gedanken an dieses Zimmer in der Lagerhalle an den Docks, mit dem Tisch und dem Werkzeug darauf, wird mir schlecht. Beinah glaube ich den Schmerz in meinem Bein wieder fühlen zu können. Unweigerlich zwingen sich mir Tränen in die Augen, ich kämpfe sie hinunter.

Toni kommt auf den Knien robbend in die Hütte, stehend hätte er hier drin auch keinen Platz. Er legt sich neben mich und verschränkt die Arme hinter den Kopf. „Lass uns heute einfach hier bleiben, wir brauchen beide eine Auszeit. Vielleicht sollten wir das einfach wieder regelmäßig machen. Mal abhauen, weg von diesen ganzen Mafiatypen. Einfach mal einen Tag uns hier verschanzen.“

„Aaron wird ausflippen!“, gebe ich zu bedenken.

„Seit wann stört dich das? Außerdem hast du doch eure Vereinbarung erfüllt. Judy scheint dir verfallen zu sein und diese reichen Säcke hast du auch von deinem Talent am Klavier überzeugt. Jetzt müssten wir doch wieder nach Hause dürfen, oder nicht?“

Das hatte ich schon fast wieder vergessen. Sollte Aaron uns dumm kommen, werde ich ihm das wirklich vorhalten können. Mit der Aussicht endlich wieder mein eigener Herr zu sein und zu unserem Rudel zurückkehren zu können, entspanne ich mich zunehmend. Schließlich lehne ich mich zurück und lege mich zu Toni. Meinen Kopf bette ich auf seinem Oberkörper. Nicht ins Anwesen zurückkehren zu müssen, macht mir tatsächlich gute Laune. Wenn wir die ganze Nacht hier verbringen und in Zukunft wieder in der Fabrik wohnen, muss ich mich auch nicht jeden Moment darum bemühen, Toni zu meiden. Das wird herrlich werden.

Toni greift nach meiner Hand mit der ich noch immer die Zimtschnecke in meinem Schoss halte. Er führt sie mir zum Mund. „Iss!“, sagt er streng.

Mit der Aussicht hier zu bleiben, habe ich gerade so gute Laune, dass ich den Rest des Gebäcks verschlinge ohne darüber nachzudenken.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Brooky
2022-06-12T06:08:38+00:00 12.06.2022 08:08
Das ist ebenfalls ein super schönes Kapitel. Und es ist gut, dass sie Mal über das Essproblem sprechen. Auch wenn es auf diese Weise erst einmal nicht gelöst werden kann, so weiß Toni nun zumindest, was die Ursache des ganzen ist und vielleicht schafft Enrico es ja, mit jemandem darüber zu sprechen. Mit Toni darüber zu sprechen wäre zwar in der Theorie auch eine Option. Aber gerade weiß ich nicht, ob das nicht eine zu große Belastung für beide wäre. Sie stehen so schon genug unter Druck. Dann auch noch zu wissen, was Enrico insgeheim denkt und fühlt...es könnte kontraproduktiv sein.
Antwort von:  Enrico
16.06.2022 16:54
In der Beziehung sind sich Enrico und Lucca doch sehr ähnlich. Die können beide nichts mehr Essen, wenn ihnen zu viele Traumatas im Nacken sitzen. Enrico hat nur deutlich weniger Möglichkeiten sich deswegen mitzuteilen. Ich denke auch das Toni da vielleicht zu nah dran ist. Aber so was wie Therapeuten gab es nicht wie heute und war damals sicher noch mehr verschrieen als heute. Bleibt zu hoffen das beide einen Weg finden mit ihren Erlebnisen und dem Durck der auf ihnen lastet umzugehen, ohne daran zu zerbrechen.

LG. Enrico


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