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Geliehenes Glück

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Geliehenes Glück

Sie war geflohen, hinaus in den kalten Wald. Die dicht stehenden Bäume, deren Blätter in gelb und rot aufflammten, beruhigten sie. Wenn sie nur weit genug lief in diesem Ozean aus Laub, dann fühlte es sich an als könne sie endlich frei atmen. So war es schon früher gewesen. Doch dieser Tage reichte die Kraft nicht immer aus hierher zu kommen. Müdigkeit war in ihre Glieder gekrochen. Der Kampf war vorbei. Dieses Mal war sie wirklich eine Gewinnerin und doch fühlte sie sich leer. Der Griff der Axt lag geschmeidig in ihrer Hand. Jede Kerbe in dem schlichten Holzgriff hatte eine Geschichte, jede Macke vermittelte ein Gefühl der Vertrautheit. Wann immer der Zorn sie innerlich verzehrte, hatte sie zu der Axt gegriffen und im Wald so lange auf die Bäume eingeschlagen, bis die Wut nicht mehr unter ihrer Haut brannte.

Johanna atmete tief ein und aus, ehe sie die Axt in ihren Händen rotieren ließ. Niemals hätte sie die Bewegungen verlernen können, denn sie waren ihr längst in Fleisch und Blut übergegangen. Ohne nachzudenken wirbelte sie die Axt durch die Luft, fing sie auf und schlug schließlich einem imaginären Gegner den Kopf ab. Ein glatter, eleganter Treffer. Keuchend hielt sie inne, sah ihren Atem in der kalten Luft aufsteigen. Es gab keine echten Gegner mehr, in die sie ihre Axt vergraben konnte. Panems Diktatur war gefallen und alles wogegen sich ihr Hass gerichtet hatte war vergangen. Sie schleuderte ihre Axt mit letzter Kraft gegen einen Baum. Sirrend blieb sie in der Rinde stecken. Früher hätte sie stundenlang geschrien und auf die Bäume eingeschlagen, bis sie vor Erschöpfung zusammenbrach. Aber nun sorgte die Müdigkeit dafür, dass sie sich machtlos fühlte. Von einem auf den anderen Tag war ihre Welt zu einem Flüstern verstummt. Vielleicht hätte sie laut weinen sollen, sich erlauben ein wenig durchzudrehen, wie Annie es tat. Nur, dass sie es nicht konnte. Das letzte Mal, das sie geweint hatte, war während ihrer Hungerspiele gewesen. Als sie aus der Arena gekommen war, waren ihre Tränen für immer versiegt, verbrannt von dem Hass, der sie fortan antrieb.

Zusammensackend ließ sie sich auf den von Laub bedeckten Boden fallen, den Kopf gegen einen rauen Baum gelehnt. Sie hielt ihren Blick auf das kleine Stück blauen Himmels zwischen den Bäumen gerichtet. Johanna mochte Rache bekommen haben, doch es hinterließ kein seliges Glücksgefühl in ihr. Snow sterben zu sehen – Coin sterben zu sehen – war nur ein Wimpernschlag lang ein glücklicher Moment gewesen. Wofür lohnte es sich jetzt noch zu kämpfen? Es gab schlichtweg keinen Kampf mehr. Alles wofür sie gebrannt hatte war vergangen und was blieb war eine ausgebrannte Version ihrer Selbst. Die einzigen Spuren ihrer Folter, die sichtbar blieben, waren die kurzen Haare, die nur zögerlich nachwuchsen. Johanna hatte sie feuerrot gefärbt. So passten sie gut zum herbstlichen Baldachin aus Blättern. Mehr blieb nicht, keine Narben, auch wenn sie sich entstellt fühlte. Andernorts dagegen entstand aus der Asche neues Glück. Selbst der Spotttölpel war glücklich. Im Gegensatz zu Johanna hatte sie schließlich ihre Rache selbst einfordern können. Vielleicht war Johanna neidisch. Glück, so fand sie, konnte ihr nicht gehören. Sie war nie dazu bestimmt gewesen glücklich zu sein. Hass war ihr Gefühl. Doch was tun, wenn das Feuer des Hasses erloschen war?

Vorsichtig hob sie ein Blatt hoch. Feucht vom Tau lag es in ihrer Hand. Der Geruch des Herbstes stieg schwer von ihm auf. Für einen Moment hätte sie behaupten wollen, dass sie den Herbst hasste, da er sie an den Tod erinnerte. Erst im letzten Jahr hatte die Rebellion diese Jahreszeit in einen dunklen Albtraum verwandelt. Doch als sie das Blatt in ihrer Hand zerrieb erinnerte sie sich an die Johanna, die den Herbst liebte. Kurz flackerte die alte Wut in ihr auf, dann erlosch die Empfindung. Sie war eine Närrin. Es gab keine Johanna mehr, die den Herbst liebte. Selbst das hatte das Kapitol ihr genommen. Mit dem letzten Rest Kraft sprang sie auf. Energisch riss sie die Axt aus dem Baum, sodass Rindenstücke in alle Richtungen flogen. Wenn sie nicht mehr um sich schlug, machte es keinen Sinn hier zu sein. Zum ersten Mal in ihrem Leben schien die Stille des sterbenden Waldes sie zu erdrücken, anstatt zu befreien. Mit der Axt auf der Schulter machte sie sich auf den Weg zurück in den Distrikt.

Langsam verfärbte das Stück Himmel sich zu einem stählernen Grau. Frischer Wind fuhr durch die Bäume und ließ sie frösteln. Trotzdem genoss sie das Gefühl der beißenden Kälte, die bereits an den Winter erinnerte. Nur so konnte sie sich lebendig fühlen, wenn der Wind sie mit seinen eisigen Krallen durchbohrt, an ihr zerrte, bis hinab auf die Knochen und Stück für Stück von ihr fort trug, bis alle Gedanken im eisigen Nichts versanken. Im Distrikt waren kaum Menschen unterwegs. Die meisten arbeiteten wohl noch. Selbst nach dem Krieg hatte sich kaum etwas in Distrikt sieben verändert. Bäume wurden gefällt und in den Fabriken verarbeitet. Wenn überhaupt, so schien die Rebellion für die Menschen hier nicht mehr als ein kurzzeitiger Ausnahmezustand gewesen zu sein. Nicht umsonst war ihr Distrikt einer der letzten gewesen, der sich offen gegen das Kapitol gewandt hatte. Ein Grund mehr für Johanna die Menschen hier zu verachten – wären sie nicht das letzte bisschen Heimat, dass es zu schützen galt.

Schlecht gelaunt erreichte Johanna das Dorf der Sieger. Sie hätte überall wohnen können. Nur die Macht der Gewohnheit hielt sie hier, in jenem Haus, in dem außer ihr nur Geister zu wohnen schienen. Achtlos trat sie die Schuhe in eine Ecke des Flurs und schleppte sich dann ins Wohnzimmer. Eine dicke Staubschicht bedeckte das meiste, wie den Fernseher oder den kalten Kamin. Dem Sofa hingegen sah man an, dass Johanna hier einen Großteil ihrer Zeit verbrachte. Unordentliche Kissen und Decken stapelten sich darauf, einer Festung aus Stoff und Watte gleich. Genau in jene Festung wollte sie sich gerade zurück ziehen, als das Telefon klingelte. Das war etwas, was nicht oft passierte. Sie verharrte in der Bewegung, unsicher ob sie abheben sollte. Katniss würde es nicht sein, sie hatten feste Zeiten zu denen sie einander anriefen. Einmal im Monat, am ersten Freitag. Niemals sonst. Johanna wusste selber, dass sie sonst keine Freunde hatte und selbst wenn hätte wohl kaum einer ein Telefon – außer Leuten aus dem Kapitol. Dieser Gedanke gab ihr die Überzeugung es einfach gut sein zu lassen. Sie kroch unter die wärmenden Decken. Ihre Hände fanden das kleine Säckchen aus Baumnadeln, welches Katniss einst für sie gemacht hatte, in Distrikt dreizehn. Hätte es jemand gefunden wäre es ihr wohl peinlich gewesen, denn insgeheim bedeutete ihr diese kleine Geste mehr, als sie in Worte fassen konnte.

Nach beinahe einem Jahr war der Geruch zwar schwach, aber nicht minder beruhigend. Dieser kleine Wald roch anders als jener vor ihrer Tür. Es war nicht der Geruch von unbändiger Natur, der sie in den Schlaf wiegte, sondern das zarte Gefühl der Freundschaft, welches Johannas Herz wärmte und sie daran erinnerte wie es sich anfühlte so etwas wie Glück zu empfinden. Im Halbschlaf glaubte sie gar beruhigende Stimmen zu hören, nicht mehr als ein leichtes Flüstern. Vermutlich nur die Geister, dachte Johanna, die ihr ein Schlaflied sangen. Immerhin war sie nicht allein.

Die Grenze zwischen unruhigem Schlaf und Erwachen war fließend. Für einen Moment war sie gefangen in einer schattenhaften Welt aus Schreien, Tod und Schmerzen, doch dann veränderten die Schreie sich, wurden zu einem leisen Flüstern und aus dem Schatten der Nacht wurde das Dunkel des frühen Morgengrauens. Johanna wusste, dass sie erwachte, hielt aber die Augen geschlossen, nicht bereit dem neuen Tag entgegen zu treten. Je länger sie hier lag, die Wärme der Decken über sich, desto länger konnte sie sich selber einreden, dass alles gut war. Irgendwie schien es als wäre dieser Ort der Einzige an dem wirklich alles gut war, diesem Platz der weder der Traumwelt noch ganz der Realität gehörte. Anders als sonst jedoch wurde das geisterhafte Flüstern wieder lauter. Eine eindringliche Stimme drang auf ihr Bewusstsein ein, das – noch ganz schlaftrunken – sich weigerte den Worten Sinn zu verleihen. Plötzlich fühlte sie einen Druck auf ihrer Schulter. Binnen Sekunden durchfuhr ein Adrenalinstoß sie, riss sie mit Gewalt aus ihrem einsamen Halbschlafparadies.

Wie sie dort hingekommen war konnte sie nicht sagen, doch mit einem Mal stand sie auf ihren Füßen, ein schmutziges Brotmesser in der Hand. Zu ihren Füßen lag ein Mensch – ein Mann wie ihre Gedanken träge realisierten. Schwarze Kleidung, die eines Soldaten. Distrikt dreizehn, nicht Kapitol. Dunkle Haut und Haare, niemand den sie kannte. Ihr Atem rasselte in den Lungen als sie versuchte die Panik nieder zu kämpfen. Der Mann am Boden stöhnte und setzte sich langsam auf, einen wachsamen Blick auf Johanna gerichtet. Etwas sagte ihr, dass sie ihn mit voller Wucht zu Boden geworfen hatte. Manche Erfahrungen aus der Arena blieben für immer bei einem. Johanna senkte das Messer nicht.

„Was verschafft mir die Ehre des ungebetenen Besuchs?“ fragte sie scharf.

Der Mann lachte leicht auf, eine Hand an die Rippen gepresst. „Man hatte mich gewarnt…“, sagte er, mehr zu sich selbst, als zu ihr. Sein Blick fiel auf das Brotmesser in ihrer Hand. „Das können Sie wegstecken, ich bin nicht hier um Sie zu überfallen.“

„Sieht aber anders aus, wenn man sich in mein Haus schleicht während ich schlafe“, hielt sie dagegen. Anstatt das Messer zu senken packte sie es noch fester.

„Nun, mein Klingeln und Klopfen wurde ja nicht beantwortet. Wir haben einen engen Zeitplan, Ms. Mason.“ Seine letzten Worte wurden harsch. „Ihr Zug wartet, also lassen sie das Messer sinken, damit wir endlich los können.“

Scheinbar war Johanna doch noch nicht ganz wach. Denn wovon auch immer der Mann redete, sie erinnerte sich nicht. „Wovon reden Sie? Ich hätte gerne eine Antwort, die keine Rätsel aufgibt.“ Fordernd hielt sie das Messer auf sein Gesicht gerichtet. Er zuckte nicht zurück, sondern senkte nur ergeben den Blick.

„Wie Sie wohl vergessen haben, hatten Sie Präsidentin Paylor versprochen zum Tag des Gedenkens ins Kapitol zu reisen. Klingelt da vielleicht was?“ Der Soldat blickte Johanna fragend an. „Große Feier mit allen Siegern, eine Ansprache der Präsidentin, wird ein Riesending. Meine Aufgabe ist es nur Sie abzuholen und dort abzuliefern und wir sind schon sehr spät dran.“

Eine längst verdrängte Erinnerung wurde in Johanna wach. Tatsächlich hatte Präsidentin Paylor sie schon vor Wochen angerufen. Damals hätte sie zu allem ja gesagt nur um das Gespräch zu beenden und wieder unter den sicheren Decken verschwinden zu können. Am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt, denn jetzt stand sie hier, in den selben Kleidern, die sie schon – ja wie lange genau trug sie diese eigentlich schon? Sie konnte es nicht mehr sagen. Jedenfalls gab sie einen mehr als jämmerlichen Eindruck ab. Wut flammte auf, auf sie selbst, den Soldaten und das verdammte Kapitol mit Präsidentin Paylor. Sie hatte es einfach vergessen. Ärgerlich knallte sie das Messer auf den Tisch.

„Was halten Sie davon, wenn Sie mich das nächste Mal vorwarnen, bevor Sie plötzlich vor meiner Tür, beziehungsweise in meinem Haus stehen? So ein schickes Telefon, das sollten Sie in Distrikt dreizehn oder dem Kapitol, oder wo auch immer Sie stationiert sind, haben, nicht wahr?“ Der Mann klappte entrüstet den Mund auf, vermutlich um ihr zu erzählen wo er her kam. „Erzählen Sie es mir nicht, es interessiert mich nicht“, kam sie ihm zuvor. Irgendwo in ihrem Hinterkopf hörte sie jedoch ein Telefonklingeln, das sie erst gestern genervt hatte. Nun gut, sie hatten es also versucht. Unangenehm berührt von ihrer eigenen Vergesslichkeit wendete sie sich ab um in den ersten Stock zu stürmen. „Wenigstens ein paar meiner Sachen werden Sie mich ja wohl packen lassen?“, fauchte sie den Soldaten an. Ergeben nickte dieser, scheinbar steckte ihm seine unerwartete Begegnung mit dem Fußboden noch in den Knochen.

Johanna kalkulierte ihre Optionen. Vermutlich würde sie es nicht mehr schaffen, sich in einen vorzeigbaren Zustand zu bringen. Sowieso warteten in ihrem Kleiderschrank keine frischen Klamotten mehr, es war schon lange her, dass sie Wäsche gewaschen hatte. Einzig die Sachen, die ihr Stylist ihr früher immer geschickt hatte, hingen unberührt im Schrank. Aber wahrscheinlich würde man ohnehin erwarten, dass sie sich elegant präsentierte und nicht in fleckigen Hosen und einem alten Leinenhemd. Als sie Distrikt sieben schließlich verließen hatte Johanna nichts dabei als eine Tasche voll wahllos hineingeworfener Designerkleidung und ihrem Tannennadelsäckchen. Ihre Axt war leider keine Option gewesen, auch wenn sie versucht gewesen war sie in ihr Gepäck zu schmuggeln.

Selbst jetzt noch konnte Johanna sich der Faszination von den Hochgeschwindigkeitszügen nicht entziehen. Die Landschaft draußen vorbeiziehen zu sehen machte ihr einmal mehr schmerzlich bewusst wie groß die Welt da draußen war und wie klein Distrikt sieben im Vergleich war. Im Zug zu ihren Hungerspielen war ihr zum ersten Mal aufgefallen, wie gefangen sie in Distrikt sieben war, obwohl die Wälder sich für sie immer nach Freiheit angefühlt hatten. Anders als früher kamen allerdings keine gepflegten Landstriche in Sicht, als sie sich dem Kapitol näherten, sondern verwüstete Kraterlandschaften. Zerfallende Häuser, verlassene Autos und eine schwere Schicht aus Asche säumten den Weg des Zuges durch die Ausläufer des Kapitols. An jeder Straßenecke wurden einem die Folgen des Krieges in Erinnerung gerufen. Wo einst bunte Häuser standen bedeckte nun schwarzer Teer aus tödlichen Fallen die Straßenzüge. Leben war hier unmöglich. Auf eine perverse Art und Weise befriedigte der Anblick Johanna zumindest ein wenig. Das Kapitol hatte einen Schluck seiner eigenen Medizin mehr als verdient ihrer Ansicht nach. Sie hatten das Unglück ganz allein über sich gebracht.

Im Zentrum des Kapitols war die Zerstörung bereits weniger spürbar. Sie wurden am völlig intakten Bahnhof in einem hochmodernen Wagen abgeholt und fuhren durch das einstige Luxusviertel. Hier waren die Straßen freigeräumt von Unrat und nur hin und wieder gab es ausgebombte Lücken in den Häuserreihen. Kräne umgaben einige Gebäude, die bereits wieder aufgebaut wurden. Auf ihrem Weg durch das Zentrum sah Johanna jedoch kaum Menschen. Die wenigen, die unterwegs waren, gingen schnellen Schrittes, ihren Blick auf das frische Straßenpflaster geheftet. Zwar waren ihre Mäntel bunt, aber ihre Mode war längst nicht so exzentrisch wie es vor dem Umbruch gewesen war. Ein weiterer Moment der Befriedigung für Johanna, doch der kurze Impuls war kein wirkliches Glücksempfinden. Die Menschen sahen elend aus. Teils gab es Kinder mit hohlen Wangen, die einsam und allein an Straßenecken standen, die wenigen Passanten um Geld anbettelnd. Ärgerlich wandte Johanna den Blick ab. Sie hatte genug Leid erfahren um zu wissen wie Hunger und Furcht sich anfühlten, sie wollte nicht daran erinnert werden.

Sanft ruckelnd kam ihr Wagen schließlich vor dem Trainingscenter zum Halt. Das mehrstöckige Gebäude schien unverändert. In der Glasfassade spiegelte sich der traurige Himmel des späten Novembers. Einzig das Siegel des Kapitols, welches einst über dem Eingang gethront hatte, war demontiert worden. Ein ungutes Gefühl machte sich in Johannas Magen breit. Dieser Ort hielt zu viele Erinnerungen. „Das soll wohl ein Witz sein?“, wendete sie sich an den Soldaten, der sie ihren gesamten Weg begleitet hatte.

Überraschenderweise sah auch er nicht allzu glücklich aus. „Ich fürchte leider, dass uns ein anderer geeigneter Ort derzeit fehlt. Das Trainingscenter ist eines der wenigen Gebäude, die den Krieg unbeschadet überstanden haben. Da der Präsidentenpalast derzeit umgebaut wird müssen wir Sie leider hier unterbringen.“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Ich würde lieber auch nicht daran erinnert werden“, murmelt er, erneut mehr zu sich selbst, als zu ihr.

Johannas Finger tasteten nach dem kleinen Tannennadelsäckchen in ihrer Jackentasche und umschlossen es fest. Es brachte nichts in der Vergangenheit zu verweilen. Bestimmt öffnete sie die Wagentür. Ehe ihre Begleitung wusste wie ihm geschah marschierte sie bereits durch die hohen Glastüren in die Lobby. Hörbar schweren Schrittes lief er ihr hinter her. Wirklich gar nichts hatte sich verändert. Beinahe fühlte es sich an, als wäre sie wieder hier um Mentorin in den nächsten Hungerspielen zu sein. Unsicher, ob sie Zorn oder Traurigkeit empfinden sollte, atmete sie tief ein.

„Das Treffen hat bereits begonnen, unten im alten Festsaal. Ich bringe Sie hin“, riss sie der pflichtbewusste Soldat aus ihren Gedanken. Gemeinsam mit der Eskorte stieg sie in den gläsernen Fahrstuhl, der sie eine Ebene hinab brachte, zu dem Saal in dem die Mentoren sich alljährlich zum großen Finale versammeln mussten. Keiner von ihnen sprach ein Wort, bis die Türen des Fahrstuhls sich zischend öffneten. „Tun Sie mir nur einen Gefallen“, sagte der Mann schließlich, „erwähnen Sie Präsidentin Paylor gegenüber nicht, dass Sie mich aufs Kreuz gelegt haben. Das macht sich für die nächste Gehaltsverhandlung nicht gut, es reicht schon, dass ich Sie verspätet abliefere.“ Er schenkte ihr ein schelmisches Lächeln.

Zwinkernd winkte sie ihrem Begleiter ein letztes Mal zu. „Vielleicht kriegen Sie ja eine Entschädigung, wenn Sie sagen, dass ich Sie geschlagen haben“, warf sie ihm als letzten Rat zu. Er brach in wohlklingendes Gelächter aus – ein Geräusch, das so lange in ihrem Leben gefehlt hatte, dass es ihr unweigerlich eine Gänsehaut bereitete. Es war eines dieser Gefühle, die sie nicht zulassen konnte, weil sie wusste, dass es früher oder später verschwinden würde. Fast schon wollte sie nicht gehen, doch dann trat sie angespannt in den prunkvollen Saal. Alle warteten bereits auf sie. Die anderen Sieger, außer dem Spotttölpel, und Präsidentin Paylor, alleine. Ihr kleines Grüppchen wirkte verloren zwischen all dem ausschweifenden Luxus, angefangen bei hohen Marmorsäulen, über mehrere Kronleuchter, bis hin zu opulenten Möbelstücken.

„Ah, endlich beehrt uns auch Ms. Mason mit ihrer Anwesenheit“, Paylors Blick fiel auf ihre Schuhe, an denen immer noch Erde klebte, „anscheinend direkt aus den Wäldern von Sieben.“ Ihre Stimme sprach von strenger Autorität, dennoch erkannte Johanna einen Funken Sympathie in ihren Augen. Von der kleinen Gruppe Sieger kam nur Schweigen.

„Nur kein allzu großer Jubel bitte, ich weiß ihr freut euch alle mich zu sehen“, entkam es Johanna vermeintlich selbstsicher. Sie fühlte sich, als würde jemand sie steuern und ihr Worte in den Mund legen, die eine frühere Version ihrer Selbst vielleicht gesagt hätte. Die Worte fühlten sich hohl an, aber etwas zwang sie so zu sprechen. Zu allem Überfluss lachte sie auch noch freudlos, ehe sie sich auf einen reich verzierten Sessel gegenüber der Präsidentin fallen ließ. Brennend lagen die Blicke aller Anwesenden auf ihr. Mit jeder Sekunde wuchs die Sehnsucht nach ihrer Festung daheim.

„Nun gut, da nun alle versammelt sind kann ich ihnen den Grund für unsere Zusammenkunft erläutern“, fuhr Paylor fort, als wäre nichts gewesen. „Zum Einen wollen wir dem Jahrestag der Rebellion gedenken, zum Anderen – und das ist wohl der wichtigere Grund – gibt es etwas zu besprechen, das für die Zukunft unseres Landes wegweisend sein wird.“ Etwas in Paylors Stimme ließ Johanna aufhorchen. „Es ist der Öffentlichkeit zugetragen worden, dass die neue Regierung plant sich zu rächen. Ein findiger Journalist hat uns so lange unterwandert, bis er von der Abstimmung für die Rachespiele erfahren hat.“ Ein kleines Seufzen entwich der abgehärteten Frau. „Unglücklicherweise wähnte ich diese Abstimmung bisher nie nennenswert, doch offensichtlich war das ein Fehler. Auch wenn es Coins, und nicht mein Wirken war, glaubt man nun im Kapitol, dass wir es in die Tat umsetzen werden.“ Es war still in dem viel zu großen Saal, so still wie es sonst nur in den entscheidenden Sekunden des Finales der Hungerspiele gewesen war. Sechs Paar Augen waren starr auf die einstige Kommandantin gerichtet. „Ich denke, ich muss nicht erwähnen, dass ich in meiner ganzen bisherigen Amtszeit nie die Absicht hatte, diese Spiele stattfinden zu lassen. Für mich war es nie mehr, als eine der schlechteren Ideen von Alma Coin. Da es wohl einen Grund hat, dass ich heute hier stehe und nicht sie, nehme ich an, dass Coins Wort hier kein Gewicht mehr hat.“ Herausfordernd richtete sich Paylors Blick auf die Sieger. Allem Anschein nach schien ihre Durchsetzungsfähigkeit sich im ersten Jahr ihrer Amtszeit nur noch gefestigt zu haben. „Um es kurz zu machen: Die Lage ist ernst. Und zumindest zum Teil trifft sie die Verantwortung dafür.“

Johanna fühlte sich an die Abstimmung erinnert. Sie hatte ihre Stimme mit voller Klarheit für die Rachespiele eingelegt. Getrieben vom Wunsch nach Vergeltung, der jetzt nicht mehr als eine vage Erinnerung war. Paylor fuhr fort: „Unser neu gefundener Frieden ist fragil. Wenn das Kapitol jetzt gegen die neue Ordnung aufbegehrt könnte alles in sich zusammen fallen wie ein Kartenhaus. Ich höre bereits jetzt von wütenden Stimmen, die fordern, dass die Distrikte zurück geschlagen werden.“ Unter den Siegern kam langsam aber sicher Unruhe auf. Annie redete bereits wieder mit sich selbst und Haymitch sah aus als würde er gleich nach einem Drink verlangen. Peeta saß ruhig da, nur eine Hand, die um das andere Handgelenk geschlungen war, verriet seinen inneren Tumult. Enobaria war die Einzige, die Johannas Blick erwiderte, ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, das ihre spitzen Zähne zeigte.

„Das Kapitol und ganz Panem stehen tief in eurer Schuld“, sagte Paylor, „aber es liegt an uns Größe zu zeigen indem wir auf die Rachespiele verzichten. Wenn ich das einfach nur beschließe, dann hat es jedoch keinen Wert für die Bevölkerung. Es muss von euch Siegern kommen, jene, die diesem Plan zustimmten. In diesen schwierigen Zeiten kann uns nur Einigkeit helfen. Ich erwarte nicht sofort eine Antwort, aber ich erwarte, dass jeder darüber nachdenkt. Wie ihr euch jetzt entscheidet ist von großer Bedeutung. Es steht euch frei, bei eurer Entscheidung zu bleiben. Wenn dem so ist muss ich dies akzeptieren und mich für meine eigenen Fehlentscheidungen verantworten. Im Rahmen der Gedenkfeier in zwei Tagen möchte ich euch zu Wort kommen lassen. Das wäre alles – entscheidet euch weise.“

Johanna war die Erste, die den Festsaal verließ, unwillig mit den anderen Siegern zu reden. Bei den Festlichkeiten würden sie noch genug Zeit miteinander verbringen müssen, mehr als ihr lieb war. Im Fahrstuhl, auf dem Weg in ihr altes Apartment, schwirrte Johanna noch immer der Kopf. Obwohl sie für die Rachespiele gestimmt hatte, waren diese in dem vergangenen Jahr völlig verdrängt worden. Der Tod von Coin hatte das Blatt noch einmal gewendet und nach ihrer Rückkehr in die Wälder von Distrikt sieben wollte sie nicht mehr zurückschauen. In Gedanken trat Johanna aus dem Fahrstuhl, ihre Eskorte wie ein Schatten wieder zurück an ihren Fersen.

„Ach was ist es doch schön nach Hause zurückzukehren“, entfuhr es ihr sarkastisch, als sie in das wohlbekannte Wohnzimmer trat. Erst jetzt wurde ihr bewusst wie vertraut sich dieser Ort anfühlte. Ihr Begleiter schenkte ihr einen undeutbaren Blick.

„Für mich erinnert es eher an ein Gefängnis“, sagte er leise.

Überrascht von der Ernsthaftigkeit in seiner Stimme drehte Johanna sich um. „Das muss wirklich schlimm sein für euch Leute aus Dreizehn, an dem Ort zu stehen, von dem ihr wisst was dort geschah und doch nichts getan habt, außer gemütlich in eurem Bunker zu sitzen und zuzusehen wie wir uns gequält haben.“ Der Vorwurf in ihrer Stimme war scharf.

Der großgewachsene Mann blickte sie mit Bedauern an. „Ich war nicht immer Teil von Distrikt dreizehn. In der Zeit davor war das hier auch mal mein Zuhause.“ Sein Blick wanderte durch das luxuriös eingerichtete Zimmer, als würde er in alten Erinnerungen schwelgen. „Mein Bruder und ich haben hier gearbeitet, zwei vielversprechende junge Stylisten. Nun, das Kapitol hat seine Spiele nicht nur mit euch Tributen gespielt. Meinen Bruder hat es das Leben gekostet, mich hat es nur zum Friedenswächter gemacht. Und später, da bin ich erst entkommen und nach Dreizehn geflohen.“

Für einen Moment hielt sein Blick den Johannas, dann wandte sie sich ab, ein heißes Gefühl in der Brust. „Schönen Dank auch für diese rührselige Geschichte“, fuhr sie ihn an, „aber erwarte nicht, dass ich Mitleid habe mit einem kleinen Speichellecker aus dem Kapitol!“ Verrat durchzuckte sie. Wie könnte sie diesen Leuten je vergeben, egal ob sie die Uniform von Dreizehn trugen oder nicht? Die Vergangenheit konnte man nicht ausradieren. Wütend, zum ersten Mal seit langem, schmiss sie ihre Tasche auf den Boden und stürmte den Weg zurück, Richtung Fahrstuhl. Bereits als sie auf die Taste für den Fahrstuhl hieb spürte sie wie der Zorn von einer Welle der Müdigkeit verschluckt wurde. Sie hatte all das hier so unendlich satt.

Mit einem sanften Klingeln hielt der Fahrstuhl vor ihr. Hastig trat sie ein und schlug wahllos auf das Bedienfeld, völlig egal wohin sie fahren würde – Hauptsache weg. Blut rauschte in ihren Ohren und ihre Hände waren immer noch zu Fäusten geballt. Geräuschlos glitt der Fahrstuhl nach unten. Allerdings stand vor den Türen bereits jemand der seinerseits auf den Fahrstuhl wartete. Peeta, eine Staffelei und Klapphocker unter den Arm geklemmt. Ihre Blicke trafen sich durch die Glastüren hindurch.

„Oh hi, Johanna. Gehst du aus?“, war das Erste was er sagte, als die Türen öffneten.

Wortlos schüttelte sie den Kopf. Nein, durch die Straßen des Kapitols irren war das Letzte, was sie wollte. Eigentlich wusste sie nicht, wo sie hin sollte, jetzt wo sie auf der Flucht war. Einen Wald gab es hier jedenfalls nicht. So blieb sie stehen und Peeta drängte sich mit seiner Staffelei zu ihr in den Fahrstuhl.

„Wenn wir hier so stehen muss ich mich daran erinnern, wie wir uns hier im Fahrstuhl zum ersten Mal begegnet sind. Du warst ziemlich… offenherzig.“

Sie warf Peeta einen Blick zu, der sie über seine Staffelei hinweg angrinste.

„Es hat Spaß gemacht euch zu ärgern, ihr wart ja schließlich solche Unschuldslämmer.“

„Katniss konnte dich echt nicht leiden an dem Tag.“

Ein trockenes Lachen entfuhr ihr. „Ich konnte sie auch nicht leiden, an dem Tag.“ Es wäre überflüssig gewesen hinzuzufügen, dass sie mittlerweile nicht mehr so dachte.

„Wer hätte gedacht, dass wir noch einmal gemeinsam hier stehen würden“, sinnierte Peeta.

„Ich jedenfalls nicht“, erwiderte sie. „Ich hab immer erwartet, dass der alte Snow uns alle vernichten würde. Fast hätte er es geschafft, aber sieht aus, als wenn er versagt hätte, wenn ich mir dich so anschaue. Deine Handschellen brauchst du wohl nicht mehr, wenn man dich frei rumlaufen lässt.“

Peetas blaue Augen wurden traurig. „Nein, er hat es nicht geschafft, aber wir werden auch nie wieder dieselben sein.“

Für Johannas Geschmack war er viel zu sehr wie sein altes Selbst, als hätte sie die Tage voller Schreie, die aus seiner Zelle drangen, nur halluziniert. Woher nahm er nur die Frechheit nicht mehr Sklave seiner Schreie zu sein? Oder war er etwa stärker als sie?

Der Fahrstuhl war mittlerweile oben angekommen, im letzten Stockwerk. Johanna war noch nie hier oben gewesen, doch es sah alles genauso aus wie im siebten Stockwerk. Trotzdem blieb Peeta einen Moment unschlüssig stehen.

„Also, wo geht es jetzt für dich hin?“, fragte er noch einmal.

Genervt zuckte sie mit den Schultern. „Keine Ahnung, irgendwo hin wo die Leute mich nicht nerven vermutlich.“ Vielleicht würde sie in ihr Apartment zurückkehren und darauf hoffen, dass ihr unerwünschter Begleiter inzwischen verschwunden war.

„Du warst wahrscheinlich noch nie oben auf dem Dach, oder?“

„Man kann auf das Dach hochgehen?“

Ein Lächeln breitete sich auf Peetas Gesicht aus. „Oh ja, Distrikt zwölf hat zwar nicht viel Luxus, aber wir haben unsere eigene Dachterasse. Warum kommst du nicht mit? Ich verspreche auch, dich nicht zu nerven. Ich werde wahrscheinlich eh nur Augen für meine Leinwand haben.“

Es brauchte nicht viel Überzeugung für Johanna um auf Peetas Angebot einzugehen. Zumindest wäre es unwahrscheinlich, dass jemand auf dem Dach nach ihr suchen würde. Abgesehen davon war Peetas Gesellschaft wenigstens noch erträglich, nachdem er einst ihr Leidensgenosse gewesen war. Immerhin kannten sie einander ihre intimsten Schreie.

Oben auf dem Dach empfing sie ein eisiger Wind. Erleichtert atmete sie ein. Die Straßen des Kapitols lagen nun weit unter ihnen, die Lücken in den Häuserreihen noch offensichtlicher als von unten. Im Sommer, zu den Hungerspielen, schien ein farbenfrohes Glühen über dem Kapitol gelegen zu haben, doch jetzt war das Kapitol genauso grau wie die Distrikte. Sie trat an das Geländer und lehnte sich weit darüber um nach unten, auf den breiten Korso, zu blicken.

„Vorsicht“, sagte Peeta hinter ihr, „ich glaube das Kraftfeld funktioniert nicht mehr.“

Seufzend lehnte sie sich zurück und beobachtete ihn, wie er seine Staffelei aufstellte. Sorgsam arrangierte er eine Auswahl an Pinseln neben sich auf dem Klapphocker.

„Du machst den Zirkus mit den Bildern immer noch?“, fragte sie ihn.

„Ich denke ich hatte Glück, denn im Gegensatz zu vielen anderen Siegern habe ich tatsächlich Gefallen an meinem Hobby.“

Eine Weile beobachtete sie ihn dabei, wie er einige Farben aus seiner Umhängetasche auswählte.

„Und was malst du? Die tolle Aussicht?“ Es klang sarkastischer als beabsichtigt.

Peeta sah nachdenklich aus. „Das kann ich nie so ganz sagen, was es am Ende wird. Aber sag mal, ich dachte du wolltest nicht genervt werden?“ Er sah sie mit einem Funkeln in den Augen an.

„Das heißt ja nicht, dass ich dich nicht nerven kann, wenn mir der Sinn danach ist“, schoss sie zurück. Dennoch wandte sie sich ab um ihn mit seinem Bild alleine zu lassen. Das Gefühl beschlich sie bei etwas intimen zu stören. Im hinteren Teil der Dachterrasse waren einige kahle Hochbeete, in denen keine Blumen mehr zu wachsen schienen. Hier ließ sie sich auf den Boden sinken.

„Falls dir kalt ist gibt es hier oben im Übrigen auch eine Heizung“, sagte Peeta. „Auch wenn ich persönlich nichts gegen ein wenig Wind habe.“

„Ich mag den eisigen Wind, wenn er nur stark genug ist fühlt es sich an als könnte er alles was ich hasse von mir fort wehen.“ Sie hielt inne, plötzlich in dem Verdacht, zu viel gesagt zu haben. Schweigend starrte sie hinaus auf die graue Skyline. Peeta aber beobachtete sie wachsam von der Seite, ehe er einer Eingebung zu folgen schien. Er streckte den Pinsel in ihre Richtung aus.

„Ich glaube du kannst es gerade mehr gebrauchen, als ich“, sagte er einladend.

Johanna lachte auf. „Ich kann nicht malen.“

Peeta schüttelte den Kopf. „Du musst es nicht können um es zu tun.“

Noch einmal lachte Johanna bitter. „Das sagst du nur, weil du mit Talent geboren wurdest.“

Doch er ließ nicht locker. „Es geht nicht ums Können. Und wenn du malst wie ein kleines Kind ist es immer noch gut genug. Du tust es für dich, nicht für jemand anderen.“ Die Hand mit dem Pinsel war immer noch nach ihr ausgestreckt. „Die Realität kennen wir alle, sie ist schon tausendfach eingefangen worden. Zeig etwas, das noch nie vorher gemalt wurde. Male was du fühlst, nicht was du siehst! Was ich davon denke ist ganz egal.“

„Du wirst nicht aufgeben, oder?“

Jetzt war es an Peeta zu lachen. „Ich denke nicht. Tut mir leid, ich weiß ich hatte dir versprochen, dich nicht zu nerven. Aber ich würde mich freuen wenn du dem hier“, er wedelte mit dem Pinsel, „eine Chance gibst. Glaub mir, es macht den Kopf schön frei.“

Schnaubend schnappte Johanna sich den Pinsel. „Schön, aber nur diese eine Mal, kleiner Bäcker. Das nächste Mal darfst du ruhig wieder versuchen Katniss zum Malen zu überreden.“

Seiner Grimasse nach schien sie ins Schwarze getroffen haben. „Ich glaube nicht, dass Katniss je die Faszination von Farbe und Pinsel verstehen wird. Aber mach dir keine Sorgen, wenn es dir nicht gefällt werde ich dich schon nie wieder damit nerven. Die Lektion habe ich gelernt.“ Bei der Erinnerung an einen fernen Moment glitt ein abwesender Ausdruck über sein Gesicht.

Johanna indes trat vor die leere Leinwand, die ihr, aus der Nähe betrachtet, noch größer vorkam. Sie hatte keine Ahnung wie sie die gähnende Leere jemals füllen könnte. Peetas Bilder schafften es eine Geschichte zu erzählen. Ganz sicher würde sie nichts derartiges schaffen. Unsicher starrte sie auf die Farbtuben auf dem Hocker neben der Staffelei. Ein wunderschönes Orange war darunter, eine Farbe wie Feuer. Einer Eingebung folgend drückte sie einen Klecks Farbe mitten auf die Leinwand. Ihr Rücken schien unter dem wachsamen Blick von Peeta zu brennen, doch als sie sich umdrehte lehnte er bloß am Geländer, den Blick in die Ferne gerichtet.

Zögerlich tunkte sie den Pinsel in die Farbe. Ganz wie auf der Leinwand herrschte auch in ihrem Kopf nur Leere. Sie wusste nicht was sie tat, aber ihre Hand schien ein Eigenleben zu entwickeln, als sie die Farbe verteilte. In breiten Strichen verteilte sie das flüssige Feuer über die Leinwand. Und ja, tatsächlich bereitete es ihr Spaß zu sehen wie die Farbe sich unter ihren Bewegungen veränderte. Es war weniger Malen und mehr Beobachten, was sie tat. Auf das Orange folgte ein glühendes Rot, die sich miteinander zu neuen Farben verbanden. Die Farben schienen die ersten seit Wochen zu sein, die Johanna zu Gesicht bekam.

Vom anderen Ende des Daches wehte der Wind ein leises Seufzen zu ihr heran. „Jo, ich weiß, dass ich versprochen habe dich nicht zu nerven – und das auch schon gebrochen habe – aber ich weiß nicht, wer mir sonst zuhören würde. Verzeihst du mir, wenn ich versuche meine Gedanken etwas zu ordnen?“

Gespielt genervt seufzte auch sie, doch eigentlich störte es sie nicht. Nachdem sie so lange Zeit alleine in Distrikt sieben gewesen war, hatte sie ganz vergessen wie es war jemanden um sich zu haben, wenn auch nur für einen kurzen Moment. „Solange du nicht erwartest, dass ich dir gute Ratschläge gebe…“

Dankbar nickte Peeta ihr zu. „Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal solche Angst haben würde vor dem was die Zukunft bringen könnte“, sagte er leise.

Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm antworten sollte, also schwieg sie.

„Es wundert mich nicht, dass die Leute Angst vor neuen Spielen haben. Wäre ich in ihrer Situation, ginge es mir vermutlich genauso.“

„Ich habe kein Mitleid. Sie haben es verdient. Einmal Spiele, das wäre ein schwacher Tausch im Vergleich zu 75 Jahren Spielen.“ Frustriert verteilte sie noch mehr rote Farbe auf der Leinwand. „Ein einziges Mal und sie würden einen Bruchteil unserer Angst kennen lernen.“ Rot spritzte, als sie den Pinsel zu doll auf die Leinwand schlug.

Peeta beobachtete sie ohne eine Bemerkung über ihren lieblosen Umgang mit dem Malwerkzeug zu machen. „Ich betrachte es lieber so – sollten nicht wir, die wissen wie schrecklich und unmenschlich die Spiele sind, es besser wissen, als dieses Leid anderen anzutun? Ich bin überzeugt davon, dass es faire Strafen gibt. Für die Eltern die das zugelassen haben, nicht für die unschuldigen Kinder.“

Johanna griff zu der gelben Farbe und begann auch diese zu verteilen. „Niemand sagt, dass diese Welt gerecht ist. Zu mir war sie es jedenfalls nie.“ Zorn, der die ganze Zeit verborgen in ihr geschlafen hatte, loderte erneut auf. Energisch wischte ihr Pinsel von links nach rechts, breite Farbschlieren aus gelb, rot, orange hinterlassend.

„Aber was würde mit den Leuten passieren, denen wir erzählen, dass ihr Leben für uns keinen Wert hat? Hätten sie dann nicht genau denselben Grund, wie wir, zu rebellieren?“

Sie fühlte wie das Chaos in ihrem Kopf drohte Überhand zu gewinnen. „Verdammt Peeta, woher soll ich das denn wissen?“ Johanna schlug förmlich mit dem Pinsel auf die Leinwand ein, bei jedem ihrer Worte landete ein dicker Klecks Farbe auf dem Canvas. „Alles was ich weiß, ist, dass ich sie hasse. Hasse, hasse, hasse!“ Beinahe hätte sie die letzten Worte geschrien. Atemlos starrte sie auf die rot gesprenkelte Leinwand vor sich. Weitere Farbe landete darauf, wild und ohne erkennbares Muster.

„Also wirst du deine Meinung nicht ändern?“ Peetas Stimme war sachlich, kein Ärger oder andere Emotionen darin.

„Hab ich denn eine andere Wahl?“, fragte sie energisch. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass Paylor mir eine Wahl lässt. Nicht, wenn es einen zweiten Krieg riskiert.“ Dunkelblaue Farbe landete in ärgerlichen Tupfern auf dem Bild über all dem Rot, Gelb und Orange. „Ich habe keine Ahnung von Politik, aber selbst ich weiß, dass es nur einen Ausweg gibt.“ Frustriert spürte Johanna wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Schweigend führte sie ihr Bild fort, ließ die blaue Farbe in die rote fließen, um noch mehr neue Muster erblühen zu lassen. Für den Moment sprach keiner von Beiden, nur der scharfe Wind heulte um sie herum. Langsam lichtete sich das Wirrwarr in ihren Gedanken wieder und sie konzentrierte sich ganz darauf mit dem Pinsel in kleinen Wellen über die Leinwand zu fahren. Das Resultat – Farbwirbel aus blau und rot – sah irgendwie lustig aus.

Sie erwartete, dass Peeta sie bedrängen würde ihre Meinung zu ändern, oder gar wütend werden würde, doch er hatte schon immer mehr Kontrolle über seine Emotionen gehabt als sie. Bedächtig ließ er sich auf einen der leeren Blumenkästen sinken und streckte sein Bein – die Prothese wie Johanna sich erinnerte – aus. „Würdest du dir wünschen, dass die Spiele stattfinden?“, fragte er.

„Dann hätte ich wenigstens wieder eine Aufgabe, wenn ich mir all die Fallen und Mutationen ausdenken dürfte“, entgegnete sie. „Früher habe ich mir in den schlaflosen Nächten schon immer ausgemalt, was man ihnen alles antun könnte, aus Rache.“

Zu ihrer eigenen Überraschung stimmte Peeta ihr zu. „Ich glaube das hat wahrscheinlich jeder von uns schon einmal, wenn auch eher unfreiwillig, überlegt.“

„Du?“, platzte es aus ihr heraus. „Entschuldige, aber du bist so ziemlich einer der nettesten Menschen die ich je getroffen habe. Selbst in deinen Spielen warst du immer noch so… schrecklich freundlich. Das hat mich damals schon angekotzt.“

Er lachte nur leise. „Weißt du, Katniss hat mal etwas ganz ähnliches gesagt. Vielleicht seid ihr euch gar nicht so unähnlich. Naja, aber selbst ich habe mal Rachegedanken.“ Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit, während er weiter sprach. „Das Kapitol hat mir mein Zuhause genommen, meine Familie und fast auch das Wichtigste – mich selber. Natürlich reißt wieder hier zu sein alte Wunden auf.“ In seinen blauen Augen sah Johanna reines Bedauern, als ihre Blicke einander trafen.

„Wie kommt es, dass du ihnen dann nicht die Köpfe abreißen willst?“

„Weil ich weiß, dass aus Rache und Hass kein Glück erwachsen wird. Ich habe es in der Arena gesehen, im Jubeljubiläum, während des Krieges. Wieder und wieder. Nur weil dein Gegner tot ist, heißt das nicht, dass alles gut wird. Am Ende bist du selbst dein größter Gegner, wenn du es nicht schaffst loszulassen. In dem Moment, wo ich Sieger der Spiele war, zweiundzwanzig von uns tot, wusste ich, dass ich so nie glücklich werden könnte. Selbst wenn ich mich gefreut habe, weil nicht nur ich noch lebte, sondern Katniss auch, so war es ein Glück von kurzer Dauer.“

Geliehenes Glück“, murmelte Johanna sanft. So hatte sie diese Empfindung für sich selber getauft, jenes freudige Gefühl, das Wasser gleich immerzu ihren Händen entrann, sobald sie es festhalten wollte.

Aus großen Augen sah Peeta sie an, ehe er nachdenklich nickte. „Ja, ein Gefühl von Glück, dass ich nur ausgeliehen habe, geboren von dem Leid anderer. Nein, dieses Glücksgefühl will ich nicht. Ich will das Glück, was aus guten Taten erwächst, das, was ich mir selber erschaffe.“

Wie sie ihm so zuhörte spürte Johanna erneut die Müdigkeit in jeder Faser ihres Körpers. Die Empfindung drohte sie zu überwältigen. Einer Ertrinkenden gleich, die nach dem letzten Strohhalm greift, klammerte sie sich an den Pinsel. Vor ihren Augen schimmerte in feuchten Farben das Bild, welches sie unbewusst gemalt hatte. Es erinnerte an den Sonnenuntergang – oder war es ein Aufgang? Jedenfalls liefen die Farben von einem freundlichen Gelb langsam in ein dunkles Blau hinab, hier und da einzelnes rotes Leuchten, wo sie die Farbe in ihrer Wut auf die Leinwand geschleudert hatte. Traurigkeit lag ihr schwer auf dem Herzen. In Peetas sanfte Stimme gefasst bewegten die Worte etwas in ihrem Inneren, das sie nicht gänzlich erfassen konnte. Sie hatte nur einen Namen für das Gefühl gehabt, doch Peeta schien in einem Blick die ganze Wahrheit erfasst zu haben. Mit zittriger Hand ließ sie den Pinsel sinken.

„Wie machst du das nur“, sagte sie, angestrengt in dem Versuch ihre Stimme nicht auch zittern zu lassen. „Wie findest du nur immer die richtigen Worte um etwas zu beschreiben? Da fühlt man sich echt unzulänglich.“

„Ich sage einfach nur gerade heraus, was ich empfinde. Katniss hat erst neulich zu mir gesagt, dass ich das kann, weil diese Welt mehr Menschen braucht, die sie zusammen halten, wenn alles auseinander zu brechen droht.“ Zur Antwort nickte Johanna bestätigend. Vielleicht hatte der Spotttölpel damit recht. „Aber genauso braucht es Menschen, die nicht nur schlau sprechen, sondern auch etwas tun um diese Welt zu ändern. Wie dich, oder Katniss.“

Das wiederum entrang ihr nur einen halbherzigen Seufzer. „Was tue ich schon Gutes für diese Welt? Am Ende konnte ich nicht mal in der Rebellion meinen Teil tun. Ihr seid schön ins Kapitol einmarschiert, während ich Angst vor der Dusche hatte -“

„Sei nicht so hart mit dir“, fiel Peeta ihr schnell ins Wort, „es zählen nicht nur die Taten im Krieg. Dein ganzes Leben lang hast du diesen Kampf geführt, lange genug.“

„Und jetzt? Jetzt ist meine Zeit vorbei. Du siehst doch wozu es führt, alles was ich will ist noch einmal Hungerspiele zu veranstalten. Für ein bisschen geliehenes Glück.“

Peeta schüttelte den Kopf. „Selbst wenn es sich gerade so anfühlt, dies ist nicht das Ende. Wir müssen unseren Kampf fortsetzen, oder alles wird umsonst sein. So hart es auch klingen mag, jetzt ist nicht die Zeit aufzugeben. Wir müssen die Art, wie wir kämpfen, ändern, nicht den Kampf selbst. Es liegt jetzt in unserer Hand, die Zukunft zu gestalten.“

„Bist du dir da sicher? Ich dachte wir hätten das Happy End erreicht, wo Snow tot ist und so. Jetzt kommt nur noch der Regenbogen, so heißt es doch immer. Wenn der Feind tot ist wird alles besser.“ Achselzuckend legte Johanna den Pinsel nieder. „Meine ganze Aufgabe war es, den Feind zu besiegen. Das war alles, was ich in meinem Leben je wollte. Und jetzt ist nicht nur Snow tot, sondern auch Coin.“

„Und doch stehen wir beide hier, weil eben nicht alles gut ist. Es ist nicht mehr alles schwarz um uns herum, aber dafür eher grau. Bis wirklich alles gut ist und die Welt wieder in voller Pracht erstrahlt wird noch viel Zeit vergehen. Du hast doch auch die Kinder gesehen, auf dem Weg hierher?“

Ja, die hatte sie gesehen, hungrig und vom Krieg verwundet. Scham erfüllt wandte sie den Blick von Peeta ab, so wie sie ihn von den Kinder abgewandt hatte. „Natürlich habe ich das.“ In Ermanglung einer sinnvollen Tätigkeit für ihre Hände verschränkte sie die Arme vor der Brust.

„Dann weißt du, was es alles noch zu tun gibt, damit diese Kinder in einem besseren Land aufwachsen. In dem Wissen, warum die Hungerspiele falsch waren und dass wir dies niemals vergessen dürfen. Daran können wir sie erinnern, so lange wir leben.“

Johanna schluckte schwer. Etwas in ihr sagte, dass er Recht hatte. Ein zögerliches Klopfen riss sie mitten aus ihren Gedanken. Sie wirbelte herum, von einem plötzlichen Adrenalinstoß gepackt, doch es war nur Annie, die an der Treppe stand und sich mit einem Klopfer auf das Treppengeländer bemerkbar gemacht hatte, ihren kleinen Sohn im Arm.

„Oh, hallo Johanna. Mit dir hätte ich hier oben nicht gerechnet.“ Sie schenkte ihr ein sanftes Lächeln. „Ich wollte euch beide nicht stören, aber unten ist es gerade so turbulent, da wollte ich lieber etwas Ruhe haben. Überall sind Leute die Vorbereitungen für den Festtag machen, da geht es ja bald zu wie vor der Siegestour.“

Einladend winkte Peeta sie heran. „Du störst doch nicht. Komm ruhig zu uns.“

Annies Blick glitt im Vorbeigehen über Johannas Bild. „Das ist aber ungewöhnlich für dich, Peeta“, bemerkte sie beiläufig.

Röte kroch in Johannas Wangen, als er mit einem Lachen erwiderte „Das ist allein Johannas Werk.“ Peinlich berührt ging sie ein paar Schritte von den Beiden weg. „War ja nur ein Experiment, ein paar Farben auf die Leinwand zu schmieren“, sagte sie defensiv.

„Nun, dann sieht es jedenfalls gut genug aus, als dass ich dachte, Peeta hätte sich an einem neuen Stil ausprobiert“, erwiderte Annie fröhlich. Ebenso unbekümmert fragte sie weiter „Worüber habt ihr beiden gesprochen bevor ich kam? Verzeiht mir wenn ich zu neugierig bin, aber ich habe nur deinen letzten Satz gehört Peeta, als ich die Treppe hochkam.“

Johanna fragte sich noch ob es wohl ratsam wäre Annie von ihrem Thema zu erzählen, doch Peeta machte keinen Hehl daraus, indem er ihr frei heraus erzählte, was sie beschäftigt hatte. Annies Augen wurden groß, aber anders als von Johanna erwartet überwältige keine Panikattacke sie. Stattdessen streichelte sie geistesabwesend über die Wange ihres wenige Wochen alten Sohnes.

„Ja, diese Sorge hält auch meine Gedanken gefangen“, gab sie zu. „Natürlich hat meine Meinung sich nicht geändert, aber es macht mir einmal mehr bewusst, dass unsere Rebellion noch lange nicht beendet ist. Jetzt fängt erst die wahre Arbeit an, die Gerechtigkeit zu erarbeiten, von der wir immer geträumt haben. Liebevoll blickte sie auf das Kind in ihren Armen. „Jedes Mal wenn ich ihn ansehe weiß ich, wofür es sich lohnt all das auf sich zu nehmen.“ Sie hob den Blick wieder und es schien als würde sie von weit unten auftauchen, so sehr nahm ihr Sohn sie gefangen. „Aber ich glaube daran, dass wir es schaffen können ein friedlicheres Panem zu hinterlassen, für unsere Kinder.“

Schmerzhaft zog sich Johannas Herz zusammen. Ihr wurde bewusst, dass auch Annie, deren Kind keinen Vater mehr hatte, ihren Frieden mit dem Ende des Krieges geschlossen hatte. Warum nur fiel es ihr so schwer, warum fühlte sie sich so leer und bedeutungslos?

„Hast du den Kleinen überhaupt schon einmal kennen gelernt?“

Annie musste sich angeschlichen haben, denn mit einem Mal stand sie vor ihr. Das Baby streckte eine winzig kleine Hand nach Johanna aus. Etwas verschämt ergriff sie das Händchen und spürte, wie sie sich erstaunlich fest um ihren Zeigefinger schloss. Über sein Deckchen hinweg sah Annie sie besorgt an. „Denk daran, wofür Finnick gestorben ist. Keine Spiele mehr.“

 

Zwei Tage später saß Johanna in einem Wagen auf dem Weg zum großen Festakt. Auf dem Korso wo einst die Tribute dem Kapitol präsentiert wurden, würden sie heute das erste Mal dem Kriegsende gedenken. Nervös spielte Johanna mit dem Tannennadelsäckchen.

„Wir sind gleich da, Ms. Mason“, sagte ihre Begleitung, derselbe Soldat dem sie wütend ihre Tasche vor die Füße geworfen hatte, und der nun neben ihr saß. Seit ihrem Abgang hatte sie ihn nicht wieder gesehen, bis er heute wieder aufgetaucht war. Über ihre Auseinandersetzung hatte er kein Wort verloren. Sie hätte nicht gewusst wie sie es ansprechen sollte, also kam auch sie nicht darauf zu sprechen.

„Sieze mich bloß nicht die ganze Zeit, dann fühle ich mich ja uralt“, grummelte sie unwirsch. „Ich bin Johanna.“

Ein ehrliches Lächeln zeigte sich auf dem Gesicht des Soldaten. „Dann bin ich Devin.“ Er streckte ihr die Hand zum Handschlag hin, doch das war zu viel des Guten für sie. Etwas enttäuscht ließ er sie wieder sinken.

„Also“, begann er in einem erzwungenen Plauderton, „haben wir die Hungerspiele verdient?“

Ihr entging nicht, dass er sich plötzlich dem Kapitol zugehörig sah. Ihre Finger schlossen sich fest um das Tannennadelsäckchen. Starr richtete sie den Blick aus dem Fenster, hinaus auf das graue Kapitol. „Verdient vielleicht, aber nicht jeder bekommt das, was er verdient. Und in diesem Fall ist es wohl Zeit, weniger Hass zu säen.“

Schweigen.

„Also war es das mit all dem Hass fürs Kapitol?“

„Nein. Ich kann nicht sagen, dass ich gar nicht mehr wütend bin. Aber es wird sich wohl ein anderes Ventil für all die Wut finden lassen. Vielleicht tausche ich meine Axt ja doch noch einmal gegen einen Pinsel.“

Schrecken durchfuhr sie, als Devin überraschend nach ihrer Hand griff und sie drückte. Ihr Blick fuhr zu ihm herum und fand, dass er sie ernst ansah. „Danke, dass du uns eine neue Chance gibst.“

Eigenartig, dachte Johanna als sie plötzlich lächeln musste, aber dieses Mal blieb eine zarte Spur des Glücksgefühls in ihr zurück.



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