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Centuries

von

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Kapitel 7

Sie saßen gegen die Wand gelehnt auf dem Futon, Karyus Arm noch immer fast schützend um seine Schultern, während er müde und ausgelaugt einen Fleck auf dem Fußboden fixierte. Sehen tat er jedoch nichts, viel zu gefangen war er noch immer in den Bildern seines Traumes, seiner Erinnerung, von der er seinem Freund soeben erzählt hatte. Er seufzte unhörbar, drehte den Kopf zur Seite und verbarg sein Gesicht gegen Karyus Brust gelehnt, wie er es so oft in den letzten Minuten getan hatte. Die Nähe zu ihm tat so unglaublich gut, doch gleichzeitig nagte eine immer stärker werdende Nervosität an seinem Nervenkostüm. Was würde Karyu sagen? Was würde er von all dem halten, was er ihm gerade erzählt hatte? Würde er glauben, dass es nur ein Traum war oder hatte er sich mit dieser Geschichte endgültig verraten. Noch hatte er nicht reagiert, schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen und Zero brachte es nicht über sich, ihn anzusprechen. Wäre es wirklich so schlimm, wenn er ihn durchschaut hätte? Vielleicht war es an der Zeit, endlich reinen Tisch zu machen. Er konnte die anfängliche Erleichterung bereits spüren, die dieses Geständnis mit sich bringen würde …

 

„Du, Karyu, hör mal …“, begann er, verstummte jedoch, als sein Freund zeitgleich zu sprechen anfing.

 

„Warum nur sind all deine Geschichten immer so traurig? Oh, entschuldige, was wolltest du sagen?“

 

„Nicht so wichtig.“

 

„Sicher?“

 

„Mhmh.“ Zero seufzte und schloss die Augen, als sich der kurze Anflug von Mut verzog und ihn unsicher und zwiegespalten zurückließ. „Aber, um deine Frage zu beantworten, ich hab keine Ahnung, warum ich träume, was und wie ich träume.“

‚Lüge! Bodenlose Lüge!‘, schrie es in seinem Inneren, aber er ignorierte die Stimme ebenso wie das aufziehende schlechte Gewissen.

 

„Jedenfalls ist es wirklich kein Wunder, dass dich so ein Traum aufwühlt. Wen täte das nicht?“ Karyus Finger schoben sich in seinen Nacken, streichelten über die empfindliche Haut dort und bescherten ihm eine dicke Gänsehaut, die langsam über seinen Rücken rann. „Wir sollten dein Unterbewusstsein darauf trainieren, nur noch Träume mit Happy End zu produzieren, was hältst du davon?“

 

„Keine schlechte Idee“, gab er zu und war über Karyus Versuch, die etwas eingetrübte Stimmung aufzuheitern, mit einem Mal so erleichtert, dass er am liebsten laut aufgelacht hätte. Er beließ es jedoch bei einem belustigten Schnauben und schaute von unten her zu seinem Freund auf, ohne jedoch sein gemütliches Plätzchen an seiner Seite aufzugeben. „Ich glaube nur nicht, dass sich mein Unterbewusstsein von deinen Versuchen beeindrucken lassen wird.“

 

„Wenn es so stur wie du ist, dann sicherlich nicht.“

 

„Es ist ein Teil von mir, du hast nicht wirklich etwas anderes erwartet, oder?

 

„Nein, wenn ich ehrlich bin, hab ich das nicht.“ Karyu lächelte auf ihn herab und die Anziehung zwischen ihnen war plötzlich zu einem greifbaren Wesen geworden, das ein Eigenleben zu entwickeln schien. Schnell wandte Zero den Blick ab und starrte auf seine rechte Hand, die – wann auch immer das geschehen war – komplizierte Muster auf Karyus Oberschenkel zeichnete. Fuck. Er hielt inne, verschränkte die Finger so fest miteinander, dass die Knöchel weiß wurden, und verfluchte seinen Körper für die notorische Unzurechnungsfähigkeit, die ihn in Karyus Gegenwart ständig befiel.

 

„Also, Doktor Freut …“, begann er und versuchte, seiner Stimme einen lockeren Unterton zu verleihen. „Da ich nicht glaube, dass du dich mit dem Argument, wir müssen früh raus, von deinem Vorhaben abbringen lässt …“ Ein prüfender Blick nach oben zeigte ihm Karyus breites Grinsen, was ihm Antwort genug war, sodass er fortfuhr: „Weih mich ein, wie du mein Unterbewusstsein umprogrammieren willst.“ Kurz fragte sich ein kleiner, wohl noch rationaler Teil seines Gehirns, ob sie mitten in der Nacht tatsächlich nichts Besseres zu tun hatten, als sich nun irgendwelche blödsinnigen Theorien auszudenken, aber Karyus Augen funkelten so vorfreudig, dass er es nicht über sich brachte, seiner Vernunft nachzugeben.

 

„Ich dachte mir, ich könnte damit anfangen, deinem Traum jetzt und hier ein glückliches Ende zu verpassen, vielleicht genügt das schon als Anregung für die Zukunft?“

 

„Das ist aber sehr zuversichtlich gedacht.“

 

„Schon, aber was anderes fällt mir gerade nicht ein.“

 

„Na schön, dann leg mal los, jetzt bin ich neugierig.“ Ohne weiter darüber nachzudenken kuschelte er sich bequemer an und zog die Decke über ihre Beine. Karyus Arm verstärkte für einen Moment seinen Halt, bevor er spürte, wie sich der größere Körper neben ihm entspannte.

‚Als hätte er die ganze Zeit über den Atem angehalten‘, dachte Zero und ließ das liebevolle Lächeln zu, das mit Nachdruck an seinen Lippen zupfte.

In Augenblicken wie diesen fragte er sich wirklich, ob er tatsächlich so gerne litt oder ob die Sehnsucht nach Karyu mittlerweile einfach so groß geworden war, dass er bewusst oder unbewusst jede Chance ausnutzte, ihm nahe sein zu können. Und obwohl ihm die prekäre Lage, in die er sich und seinen Freund manövriert hatte, mehr als bewusst war, konnte oder wollte er nichts dagegen tun.

 

„Also …“, begann Karyu und verlieh seinen Worten einen tragenden Unterton, so wie es jeder gute Geschichtenerzähler getan hätte. Nur mit dem Unterschied, dass Zero eine gewisse Nervosität aus der weichen Stimme heraushören konnte, was er unglaublich rührend fand. Er schloss die Augen, versuchte, alle Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben und nur noch dem zu lauschen, was Karyu ihm zu erzählen hatte.

„Als ihr Danna krank wurde, klapperte die Meiko alle Ärzte der Stadt ab, um …“

 

„Dein Ernst?“

 

„Ehm, ja, wieso?“

 

„Ich glaube kaum, dass eine Meiko im achtzehnten Jahrhundert irgendwas abklappert.“

 

„Okay, das ist ein Argument.“

 

Zero sah das verlegene Lächeln auf Karyus Lippen, als er kurz den Kopf hob, wurde im nächsten Moment jedoch von seinem Arm abgelenkt, der sich um seine Mitte legte. Obwohl die lockere Umarmung unerwartet kam, tat er nichts, um sich aus ihr zu lösen, sondern erwiderte das Lächeln, bevor er es sich wieder gemütlich machte. Karyus Kopf lehnte sich leicht gegen seinen und es verstrichen einige Sekunden der Stille, die angenehmer waren, als Zero es für möglich gehalten hätte. Vielleicht hätte er sogar einschlafen können, würde es ihn nicht so brennend interessieren, was Karyu sich ausgedacht hatte.

 

„Erzählst du weiter?“

 

„Ehm, na klar. Also … als ihr Danna krank wurde, suchte die Meiko jeden Arzt der Gegend auf, nur um ein ums andere Mal abgewiesen zu werden. Ist das jetzt besser so?“ Der andere machte eine Pause und Zero lachte leise in sich hinein, als er kurz nickte.

 

„Ja, so kannst du weitererzählen.“

 

„Sehr gut.“

 

Erneut sanken seine Lider entspannt herab und ohne, dass er sich wirklich anstrengen musste, erschienen die Bilder in seinem Geist, die Karyu mit Worten zeichnete. Er sah sich selbst in der Gestalt der Meiko, wie sie immer verzweifelter wurde, als niemand ihr und ihrem Danna helfen konnte.

 

„Eines Tages fand sie schließlich einen Arzt, der sich ihren Liebsten ansah und ihm Heilung versprach … zu einem Preis, versteht sich.“

 

„Natürlich, immerhin ist nichts umsonst und der Traum soll ja realistisch sein.“

 

„Ganz genau.“ Karyu lachte leise in sich hinein, während er für eine Sekunde den Halt um ihn verstärkte. Er gönnte es sich, seinem schwelenden Verlangen wenigstens ein bisschen nachzugeben und ebenfalls die Arme um die Mitte seines Freundes zu legen. Sie mussten schon ein seltsames Bild abgeben, wie sie hier ineinander verschlungen saßen und sich Geschichten ausdachten, aber gerade war ihm das herzlich egal. Karyu schien nichts dagegen zu haben und das war das Einzige, was für ihn zählte.

„Die Meiko war nicht mittellos, aber diese Summe konnte sie nicht aufbringen.“

 

„Konnte sie nicht? Aber was ist mit ihrem Gönner, hat der nicht genug Geld?“

 

„Stimmt …Mist.“ Karyu überlegte für einen langen Moment, bevor ein begeisterter Laut ankündigte, dass ihm wohl eine Lösung für sein Dilemma eingefallen war. „Ihr Geliebter war schon zu schwach, um in diese Richtung noch irgendwas veranlassen zu können, und … Genau! Die Meiko konnte nicht einfach über sein Geld verfügen, sodass sie darauf angewiesen war, den Betrag irgendwie selbst zu beschaffen.“

 

„Mh, okay, das akzeptiere ich jetzt einfach mal so, weil du’s bist.“

 

„Ha! Super, dann muss ich mir nichts Neues einfallen lassen.“

 

„Dachte ich mir“, murmelte Zero grinsend, aber Karyu ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.

 

„Sie überlegte also hin und her, was sie tun konnte, bis sie sich schließlich dafür entschied, ihren kostbarsten Kimono zu verkaufen.“

 

„Autsch.“

 

„Ganz genau. Tatsächlich konnte es sich jedoch keiner der vielen Kaufleute der Stadt leisten, dieses Kunstwerk zu erstehen. Es schien aussichtslos und ihrem Danna ging es immer schlechter, aber als die Verzweiflung am größten war, fasste sie all ihren Mut zusammen und besuchte einen allerletzten Händler. Ein zwielichtiger Geselle – hier kannst du dir übrigens Hizumi vorstellen, hab ich grad beschlossen.“

 

„Hizumi, ernsthaft? Und das soll gegen meine Albträume helfen?“

 

„Das war fies …“, stellte Karyu bemüht tadelnd fest, obwohl Zero nur zu deutlich spüren konnte, dass er sein Lachen kaum unterdrücken konnte. Er hatte damit weniger Skrupel, als er sich feixend etwas nach vorn beugte und nach der kleinen Wasserflasche angelte, die er gerade halb unter seinem Kopfkissen versteckt entdeckt hatte.

 

„Willst du auch?“, fragte er, nachdem er einen großen Schluck getrunken hatte, und reichte die Flasche an seinen Freund weiter. „Du hast allerdings recht.“ Er streckte sich kurz, bevor er sich wieder gegen Karyu lehnte und die Augen schloss. „Ich kann mir Hizumi wirklich sehr gut als zwielichtigen Gesellen vorstellen.“

 

„Na, sag ich doch.“ Karyu stellte die Flasche beiseite und zog ihn erneut in seine Arme, was er beinahe mit einem glücklichen Aufseufzen quittiert hätte. So weit war seine Hirnleistung jedoch noch nicht abgefallen, sodass er es dabei beließ, die Decke wieder anständig über sie zu ziehen.

„Also, weiter im Text. Der Kaufmann ließ sich bitten und die Verhandlungen mit ihm waren alles andere als angenehm für die Meiko, aber schlussendlich hatte sie ihn so weit, dass er ihr das dringend benötigte Geld gab. Es hatte sie nicht nur ihren kostbaren Kimono und einen vergoldeten Haarkamm, sondern auch einen Teil ihrer Ehre gekostet, aber das war alles vergessen, als sie den Arzt endlich beauftragen konnte, sich um ihren Liebsten zu kümmern. Und ja, bevor du fragst, ich bin dafür, dass wir Tsukasa zum Arzt machen.“

 

„Unseren Drummer Boy? Na, ob das was wird. Aber okay, ich lass mich drauf ein.“

 

„Sehr gut.“

 

„Aber warte mal …“

 

„Ja?“

 

„Wenn Hizumi der Händler und Tsukasa der Arzt ist, wer ist dann der Danna? Ich gehe davon aus, die Meiko bin ich, oder etwa nicht?“ Er wusste, dass er Karyu mit dieser Frage zu Überlegungen anregte, die alles andere als gut für sie beide waren, und er hätte sie sich einfach verkneifen sollen, aber er wollte wissen, ob der Gitarrist bereits eine Ahnung hatte oder zumindest in dieselbe Richtung dachte wie er.

 

„Das überlasse ich ganz dir, immerhin hast ja du von ihm geträumt.“ Ihre Blicke trafen sich, als er erneut zu seinem Freund aufsah. Hätte Karyu nicht die feine Röte auf seinen Wangen bereits verraten, spätestens das hoffnungsvolle Flackern in den schönen Augen sprach Bände.

 

„Gut, ich hab mich nämlich schon entschieden, wisperte er und auf eine seltsame Art und Weise hörten sich diese wenigen Worte in seinen Ohren wie ein Versprechen an. „Also, wie geht es weiter?“ Karyu räusperte sich, während Zero den Blick wieder von ihm abwandte und mit einem verstohlenen Lächeln auf den Lippen nach seiner Hand griff, um ihre Finger miteinander zu verschränken.

 

„Der Arzt nahm die beiden mit in ein kleines Fischerdorf, wo neben seinen Tinkturen und Tees vor allem die Seeluft helfen sollte, die Krankheit zu vertreiben. Wochen und Monate zogen ins Land, bis sich der Zustand ihres Liebsten langsam besserte.“

 

Zero seufzte unhörbar, als sich erneut Bilder vor sein geistiges Auge schoben. Er glaubte beinahe, das Salz in der Luft riechen und auf seinen Lippen schmecken zu können, als er durch die Augen der Meiko auf das Meer hinaussah. Hätte sein Leben so verlaufen können? Hätten sich die Arme seines Liebsten genau so um seine Mitte gelegt, wie sie es in seiner Vorstellung soeben taten? Hätte sein Danna sich wieder vollständig erholt? Wären sie zusammen glücklich geworden, hätten sie nur ein wenig mehr Zeit gehabt? Die Krankheit war so plötzlich gekommen, hatte einen so schweren Verlauf genommen, dass er keine Chance gehabt hatte, irgendetwas zu unternehmen. Zeit, immer wieder Zeit. Genau wie in all den Leben zuvor hatte es ihm auch in diesem an Zeit gemangelt. Er war so in seinen Überlegungen versunken gewesen, dass er weder Karyus Erzählung weiter hatte folgen können, noch die Tränen bemerkte, die ihm langsam über die Wangen rannen. Erst jetzt, als er sich dazu zwang, die Augen wieder zu öffnen, konnte er der Stimme seines Freundes lauschen, die ihm von dem glücklichen Ende berichtete, das er sich für die beiden Liebenden ausgedacht hatte.

 

„Der Danna war wieder ganz gesund geworden und obwohl ihre lange Abwesenheit weder seinen Geschäften noch der Berufung seiner Meiko … Mh, eigentlich müsste sie jetzt ja schon eine Geisha sein, oder?“ Karyu rieb sich übers Kinn, schien jedoch keine Antwort zu erwarten, weil er im nächsten Moment bereits mit seiner Geschichte fortfuhr. „Also, ihre lange Abwesenheit hatte ihnen geschäftlich gesehen zwar nicht gutgetan, aber zusammen überwanden sie auch diese Krise. Genau wie sie ab diesem Zeitpunkt alles gemeinsam taten. Es gab nur eines, das ihm zu ihrem absoluten Glück noch fehlte und das war, seine Geliebte endlich zur Frau zu nehmen. Aber er geduldete sich, wusste, dass es einer Geisha untersagt war, zu heiraten. Doch als es an der Zeit war, dass sie Platz für die nächste Generation machte, ging er vor ihr auf die Knie und bat sie, seine Frau zu werden.“

 

„Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“

 

„Vorher gabs noch die fetteste Party, die das Hanamachi je gesehen hat, aber ja, im Großen und Ganzen ist das das Ende.“

Zero lachte und verbarg sein Gesicht im Stoff von Karyus Oberteil, als ihm gleichzeitig dicke Tränen über die Wangen rollten. Himmel, wann war er so fürchterlich emotional geworden? Aber allein es einmal ausgesprochen zu hören, wie eines seiner Leben hätte verlaufen können, hätte sich das Schicksal nicht gegen ihn verschworen, tat gleichzeitig so gut und so weh, dass er das Gefühl hatte, sein Herz würde jeden Augenblick zerbersten.

„Zero? Was ist denn? Hab ich was Falsches gesagt?“

 

„Nein“, schniefte er und schaute auf, direkt in Karyus Gesicht, über das sich Verwirrung und Besorgnis in gleichem Maße zogen. „Du hast genau das Richtige gesagt. Die Geschichte war toll, ehrlich, ich bin nur ein betrunkener, viel zu emotionaler Idiot, das ist alles.“ Er lächelte schief, zog die Nase hoch und verfluchte den eitlen Teil seiner selbst, der sich gerade allen Ernstes Sorgen darüber machte, dass Karyu ihn in so einem desolaten und alles andere als ansehnlichen Zustand sehen musste. Als hätte er keine größeren Probleme. Die Hand seines Freundes zum Beispiel, die sich unerwartet an seine Wange gelegt hatte, und ihn mit sanftem Nachdruck zwang, seinen Blick zu erwidern.

 

„Das glaub ich dir nicht. Du bist weder betrunken genug noch ein von Natur aus extrem emotionaler Mensch, also muss deine Reaktion etwas anderes zu bedeuten haben.“

Zero stockte der Atem und seine Lippen wurden mit einem Mal taub, als er versuchte, das, was sein Gegenüber soeben gesagt hatte, begreifen zu können.

„Ich bin mir sicher, dass mehr hinter deinen Träumen steckt, als du mir bislang verraten hast. Ich bin noch nicht ganz dahintergekommen, was genau es ist, aber das ist okay.“ Karyu lächelte und sein Daumen strich derart sanft eine Träne unter seinem rechten Auge fort, dass er sich ein leises Aufschluchzen verkneifen musste.

„Ich will nur, dass du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Ich will für dich da sein, Zero.“

 

„Himmel, Karyu“, seufzte er beinahe weinerlich klingend und schloss die Augen, um den erwartungsvollen Blick seines Freundes nicht mehr sehen zu müssen. „Du weißt gar nicht, wie sehr ich mir das wünsche, aber es geht nicht.“

 

„Warum denn nicht?“

 

„Weil …“ Er presste die Lippen aufeinander, versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber je schneller sein Herz zu schlagen begann, desto weniger gelang es ihm. „Ich hab Angst. Angst um dich, Angst dass dir etwas passiert und Angst dich zu verlieren.“

 

„Aber, wieso? Ich versteh das nicht. Was ist denn los? Ich fühle mich, als wäre ich so kurz davor, endlich alles zu begreifen und das Einzige, was mir noch fehlt, ist ein winziger Hinweis von dir, der alles ins richtige Licht rückt. Kannst du dir auch nur im Geringsten vorstellen, wie verrückt mich das macht?“

 

„Es tut mir leid.“ Zero legte seine Rechte über die Karyus und atmete durch, um sich wenigstens etwas zu sammeln. „Ich begreife selbst erst nach und nach, was hier überhaupt vor sich geht, verstehst du? Ich kann dir nichts sagen, was ich selbst nicht weiß.“

 

„Dann sag mir das, was du kannst.“

Als Karyu die Stirn gegen seine lehnte, erschauerte er und öffnete einen Spalt breit die Augen. Sein Freund war ihm so nah, dass sich ihr Atem mischte, und es wäre ein Leichtes gewesen, seiner Sehnsucht nachzugeben und endlich diese so weich wirkenden Lippen zu küssen. Womöglich würde sich Karyu damit auf andere Gedanken bringe… Nein, das war seinem Freund gegenüber nicht fair. Trotzdem … Dieser Mund …

„Bitte, Zero.“

 

„Ich …“ Er biss sich auf die Unterlippe, presste für einen Moment die Lider fest aufeinander, bevor er etwas auf Abstand ging, um wenigstens zu versuchen, passende Worte zu finden. „Meine Träume sind keine Träume im herkömmlichen Sinn.“ So, jetzt hatte er es ausgesprochen, aber Karyu sah nicht so aus, als würde diese Offenbarung viel Sinn für ihn ergeben. „Sie sind Erinnerungen. Erinnerungen an frühere Leben.“

 

„Was?“ Karyus Mimik schien wie erstarrt und er wusste nicht, ob der andere nur verwirrt oder vollkommen geschockt von dem war, was er ihm gerade erzählt hatte.

 

„Nenn es Wiedergeburt oder Reinkarnation, wie auch immer. Ich träume von früheren Leben … unseren früheren Leben. Deinen und meinen, verstehst du?“

Sein Freund sagte nichts, blinzelte nicht einmal, also griff er nach seinen Händen, die eiskalt geworden waren, und hielt sie fest umschlossen.

„Du bist der Danna, die Prinzessin und noch so viele mehr, von denen ich dir noch nicht erzählt habe. Himmel, Karyu, in einem Leben warst du ein kleines Mädchen, das ich vor dem Ertrinken gerettet habe, nur um zusehen zu müssen, wie du doch in meinen Armen stirbst. In einem anderen habe ich meine Existenz damit verbracht, nach dir zu suchen, doch als ich dich endlich fand, warst du so alt und gebrechlich, dass ich dabei zusehen konnte, wie uns die Zeit durch die Finger rann. Kriege, Unfälle, Naturkatastrophen … Es ist in jedem verfluchten Leben dasselbe. Kaum habe ich dich gefunden, wirst du mir wieder weggenommen!“

 

„W… warte, ich …“

 

Aber Zero hatte sich zu sehr in seine Furcht hineingesteigert, dass er nicht mehr zu reden aufhören konnte.

„Ich kann dich nicht noch einmal verlieren, Karyu. Ich ertrage nicht noch ein Leben, in dem ich dabei zusehen muss, wie du stirbst. Ich weiß, dass du in Gefahr bist, diese Männer, von denen du mir erzählt hast, haben bestimmt auch etwas damit zu tun, aber ich hab einfach keine Ahnung, was ich tun kann, um dich zu beschützen. Ich hab versucht, auf Abstand zu gehen, diese dummen Gefühle zu dir, die mich nur ablenken, nicht an mich ran zu lassen, aber du machst es mir verflucht noch mal auch nicht leicht!“ Er hatte seine Hände in Karyus Oberteil verkrallt, sein wilder Blick auf das blass gewordene Gesicht seines Freundes gerichtet, und bekam kaum noch Luft. Wieder brannten Tränen in seinen Augen, obwohl diese nun von der Wut herrührten, die er in diesem Moment auf sich selbst verspürte. Wieso war er nur so schwach? Warum war er unfähig, seine Liebe zu beschützen? Warum nur?

 

Er zuckte zusammen, als er Karyus Finger spürte, die erst zaghaft über seine Zöpfe streichelten, bevor sie ihn mit sanftem Druck dazu brachten, dass er sich gegen seine Schulter lehnte. Arme legten sich schützend um ihn, zogen ihn nah gegen den so herrlich warmen Körper.

 

„Du … hast Gefühle für mich?“

 

„Nach allem, was ich dir gerade erzählt habe, ist es ausgerechnet das, was dich aus der Fassung bringt?“ Unwillkürlich entkam Zero ein amüsiertes Schnauben, aber er blieb weiterhin gegen Karyu gelehnt, wagte es nicht, ihm erneut ins Gesicht zu sehen.

 

„Scheint so.“ Das Lachen seines Freundes klang nervös, aber auch er blieb an Ort und Stelle, verstärkte sogar den Halt um ihn. „Ich weiß gerade nicht, was ich denken soll. Bis eben war ich mir sicher, nichts von dir zu erfahren, und jetzt schwirrt mir der Kopf und ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Bei jedem anderen würde ich mich nun auf den Arm genommen fühlen …“ Karyus Stimme war leise und ein nachdenklicher Unterton verlieh ihr beinahe einen ätherischen Klang. „Aber bei dir weiß ich, dass du dir niemals so einen schlechten Scherz mit mir erlauben würdest. Nicht du.“ Zero spürte den Druck eines flüchtigen Kusses auf seinem Schopf, bevor der andere weitersprach. „Ich will nicht behaupten, dass ich auch nur im Ansatz begreifen kann, was du mir gerade erzählt hast, aber … ich glaube dir.“

 

„Ehrlich?“

 

„Ja. So unfassbar sich das alles anhört, aber irgendwie weiß ich einfach, dass es wahr ist.“

Zero kniff die Augen zusammen, als er mit einem Mal das Gefühl hatte, irgendetwas in seinem Inneren hätte sich gelöst und ließe ihn seit einer Ewigkeit endlich frei atmen. Seine Emotionen spielten verrückt, sein Körper wollte lachen und weinen zugleich, doch im selben Moment war da die Furcht davor, einen Fehler gemacht zu haben.

„Hast du mir jemals zuvor davon erzählt?“

 

„Nie.“

 

„Warum nicht.“

 

Zero atmete tief durch und fasste sich, bevor er sich ein kleines Stück weit löste, um Karyus Blick erwidern zu können.

„Meist blieb uns einfach nicht die Zeit und wenn doch, hatte ich zu große Angst davor, dein Schicksal mit diesem Wissen zu besiegeln. Aber jetzt … In diesem Leben scheint so vieles anders zu sein. Wir haben noch nie eine so lange Zeitspanne gemeinsam verbracht und ich weiß heute Dinge, die vielleicht alles ändern könnten. Trotzdem hab ich Angst, doch die falsche Entscheidung getroffen zu haben.“ Er senkte den Blick oder wollte es zumindest, aber erneut war es Karyus Hand an seiner Wange, die ihn daran hinderte.

 

„Wie lange?“

 

„Was meinst du?“

 

„Wie viele Leben trägst du dieses Wissen schon allein mit dir herum?“

 

Zeros Lippen verzogen sich zu einem müden Lächeln und als er den Schmerz in Karyus Augen erkannte, den diese kleine Geste bereits verursacht hatte, hätte er am liebsten nichts gesagt. Doch sein Freund blieb stumm, erwartungsvoll, und hatte er nicht eine Antwort verdient?

„Zehn Leben, beinahe tausend Jahre …“

 

„Oh, Zero.“ Karyus Augen glänzten und er konnte den Ansturm der Emotionen fühlen, die in ihm toben mussten, als wären es seine Eigenen.

„Warum nur du? Ich meine, wieso erinnere ich mich nicht? Ist doch so, oder? Dass ich mich nie erinnere?“

 

„Ja.“

 

„Das ist so ungerecht, dass nur immer du mit diesem Wissen klarkommen musst.“

 

„Es tut mir leid, vielleicht hätte ich dir schon viel früher etwas sagen sollen.“

 

„Nein, so war das nicht gemeint.“ Karyu streichelte erneut über seine Wange, bevor er die Hand zurückzog, um sich durch die Haare zu fahren. „Es zerreißt mich fast, zu wissen, dass ich bis jetzt keine Ahnung hatte, was du durchgemacht hast. Ich bin so ein Idi…“

 

„Pssst, hör auf damit.“ Sein Finger lag auf Karyus Lippen, um ihn daran zu hindern, sich für etwas Vorhaltungen zu machen, das er nie hatte beeinflussen können. Sein zunächst tadelnder Blick wurde weich, bis sich ein liebevolles Lächeln auf seine Züge schlich. „Das ist so typisch für dich“, murmelte er und rückte näher, hatte nicht einmal bemerkt, dass seine Linke in Karyus Nacken gewandert war und seine Finger mit den feinen Härchen dort zu spielen begonnen hatten. „Mach dich nicht wegen etwas fertig, dass noch nie in deiner Macht lag.“ Ihm war durchaus bewusst, dass er sich diesen Ratschlag gut und gern auch selbst hätte geben können, aber wenn es um Karyu ging, war er schon immer ein Meister darin gewesen, mit zweierlei Maßstäben zu messen. „Weißt du, ich hab Angst zu hoffen, aber vielleicht wird diesmal doch alles anders. Diesmal beschütz ich dich. Diesmal nimmt mir dich keiner weg.“ So daher gesagt seine Worte auch klingen mochten, fühlten sie sich wie ein Schwur an. Karyu atmete zittrig ein, als hätte er in diesem Augenblick dasselbe gespürt, würde wissen und verstehen, was in Zero vor sich ging. Er fühlte sich, als wären sie beide gefangen in einem Fischernetz und jede noch so kleine Bewegung würde ihre Körper näher zueinander bringen. Sie konnten der Anziehung nicht entfliehen und wenn es nach ihm ging, wollte er das auch nicht mehr. Viel zu lange hatte er sich zurückgehalten, viel zu lange hatte er es sich selbst verboten, auch nur in diese Richtung zu denken.

 

„Sag …“, begann Karyu und seine Stimme klang so herrlich heiser, dass ihm ein wohliger Schauer über den Rücken rann. „Sag mir, dass es eine dumme Idee ist, dich jetzt küssen zu wollen.“ Karyu schien den Atem anzuhalten, während Zero endgültig die Hoffnung aufgab, noch einen rationalen Gedanken fassen zu können. Himmel, wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet? Seine Sehnsucht flammte wie ein Schwelbrand auf, schien ihn zu verschlingen und ihm gleichzeitig neue Energie zu verleihen. Wie ein Phönix, der aus der Asche seiner verbrannten Vergangenheit aufersteht. Das Blut rauschte so laut in seinen Ohren, dass er seine eigenen Worte nicht verstand, obwohl er spürte, wie sich seine Lippen bewegten.

 

„Verlang das nicht von mir.“ Seine Rechte glitt über Karyus Gesicht, bis sie auf seiner Brust zum Halten kam. Er konnte das rhythmische Pochen seines Herzens spüren, das mindestens ebenso schnell schlug wie sein eigenes. Die Welt schien den Atem anzuhalten, als sie gleichzeitig den letzten Abstand zwischen ihnen überwanden, bevor sich ihre Lippen in einer ersten, zarten Berührung trafen. Zeros Lider sanken herab, obwohl er fürchtete, nur einem seiner Wunschträume zu erliegen, wenn er den Blick nicht weiterhin auf seine Liebe gerichtet ließ. Als sich Karyus Mund fester gegen den seinen presste und sich warme Arme um ihn legten, war jedoch auch diese Sorge verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Für einen Sekundenbruchteil glaubte er, ein Geräusch zu hören, Hunderter kleiner Zahnräder, die sich gleichzeitig in Bewegung setzten, wie eine Uhr, die rückwärts zählte.

 

„Zero.“

 

Sein Name, gewispert gegen seine Lippen, riss ihn aus seinen Überlegungen, die ihm in derselben Sekunde so unwichtig erschienen. Er ließ sich nach hinten auf den Futon sinken und Karyu folgte ihm, während er den Kontakt ihrer Lippen zu einem richtigen Kuss werden ließ. Ein genussvoller Laut entkam ihm, als er den größeren Körper weiter auf sich zog und seine Hände unter das T-Shirt gleiten ließ, um mehr der warmen Haut fühlen zu können. Testend leckte er über Karyus Lippen und sein Herz machte einen vorfreudigen Hüpfer, als sie sich einladend teilten. Beinahe eintausend Jahre und dennoch war seine Liebe zu küssen nie schöner gewesen. Er spürte, wie er sich langsam entspannte, als sich ihre Zungen trafen und er trotz der Neuheit seiner Gefühle eine nicht zu leugnende Vertrautheit verspürte. Beinahe war es ihm, als wäre er nach langer Abwesenheit endlich nach Hause gekommen. Vieles hatte sich verändert, aber im Kern war doch alles noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte. Karyu war seine Liebe, egal, welches Geschlecht er hatte, wie er aussah oder wie alt er war. Er war sein, unumstößlich und unwiderruflich, über alle Jahrhunderte hinweg.

 

„Was ist?“ Er lächelte, nachdem sich Karyu aus ihrem Kuss gelöst hatte und nun mit einem eigenartigen Blick auf ihn herabsah.

 

„Das ist kein Traum, oder?“

 

„Nein, ganz sicher nicht.“ Er grinste und haschte blitzschnell nach der Unterlippe seines Gegenübers, um spielerisch hineinzubeißen.

 

„Au.“

 

„Siehst du, kein Traum.“

 

„Das hättest du mir auch zärtlicher beweisen können.“

 

„Hätte ich, aber wo wäre da der Spaß geblieben?“

 

Karyu verdrehte die Augen, erwiderte jedoch sein Grinsen mindestens genauso breit, bevor er ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn drückte.

„Wirst du mir irgendwann von all unseren Leben erzählen?“

 

„Wenn du das möchtest. Aber nicht mehr heute.“

Seine Finger fanden den Weg in Karyus haar ebenso zielsicher wie seine Lippen ihr Gegenstück, als er ihn mit Nachdruck erneut auf sich zog.

„Heute hab ich Besseres zu tun.“

 

„Und was wäre das?“

 

„Lass dich überraschen.“

 
 

 

 

~*~

Mummified my teenage dreams

No, it's nothing wrong with me

The kids are all wrong, the story's all off

Heavy metal broke my heart

 

Come on, come on, and let me in

Bruises on your thighs like my fingerprints

And this is for to match

The darkness that you felt

I never meant for you to fix yourself

 

We've been here forever

And here's the frozen proof

I could scream forever

We are the poisoned youth

~*~
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ryo-ki
2023-02-11T03:33:39+00:00 11.02.2023 04:33
Der Einstieg wirkt so gemütlich, trotz der Traurigkeit, die die "Geschichte", die Zero Karyu erzählt, mit sich bringt. Es ist so wunderschön, wie Zero immer mehr über alles reden möchte. Ich kann das völlig nachvollziehen, denn es muss doch unfassbar erdrückend sein. Außerdem ist Karyu ein Teil dessen. Dafür ist Karyus Idee so herzerwärmend. Dass Zero dem allerdings zustimmt, fand ich überraschend, auch wenn ich immer mehr den Eindruck bekomme, dass zumindest sein Unterbewusstsein eine Veränderung möchte und es gerade sehr gut an die Oberfläche dringen kann. Vielleicht durch einen Teil Restalkohol, aber eben auch einfach durch die Einsamkeit des Schweigens und der Nähe zu Karyu. Diese scheint Zero so gut zu tun und auch wenn er sich rational gern dagegenstellt, will sein Inneres ganz eindeutig etwas anderes (immerhin gesteht er sich dieses ja durchaus auch ein).

Karyus Adaption ist herrlich, gerade zu Beginn. Und zugleich zeigt sich, was die Erinnerungen mit Zero machen, denn zumindest in Bezug auf die Erinnerung, wechselt er sprachlich automatisch in das - oder zumindest in Teilen - was für damals gegolten hat. Aber genau das hilft dabei, auch die entsprechende Atmosphäre entstehen zu lassen. Zugleich sorgt es für Witz und Charme zwischen ihnen beiden.
Diese Nähe zwischen beiden hat so unglaublich viel Wärme durch mich geschickt (das wirst du in dem Kommentar vielleicht noch ein paar Mal hören) und ich habe die ganze Zeit nur hier gesessen und gehofft, dass das nicht unterbrochen wird - sei es durch Zero selbst, weil er aus Angst doch wieder abblockt oder weil etwas von außen dazwischengeht.
Dass dann tatsächlich auch noch Hizumi und Tsukasa eingebaut werden - letzteres stärkt meine Vermutung, dass er noch eine Rolle in dem Ganzen abbekommen wird -, hat mich lachen lassen. Und zugleich war das schon wieder so ein kleines Stück in die richtige Richtung, ob bewusst oder unterbewusst, also absichtlich gewollt oder eben eher von innen heraus geschehen, bevor er das kontrolliert hat. Also eigentlich liefert das ja Karyu, schon klar, aber sich selbst korrekt zu verorten, kommt eben von Zero und er lenkt Karyu im Grunde dahin, sich selbst darin zu finden. Diese Neugierde ist vermutlich irgendwie menschlich, aber ich glaube eben auch, sehr viel Unterbewusstsein. Und ich mag das sehr sehr gern. Umso schöner ist es irgendwie zu sehen, dass Karyu sich diese Vorstellung wünscht, aber dieses Mal er zögert, das so direkt zu zeigen.
Dass Zero es schafft, diese neuen Bilder einzubauen, sich eine andere Realität vorzustellen und somit einmal kurzzeitig glücklich sein zu dürfen, ein glückliches Ende mit dem Danna haben zu dürfen, ist wundervoll, selbst wenn die Tatsachen ja doch im Hintergrund einen Schatten über alles werfen.

Zeros Reaktion darauf ist perfekt. Natürlich fühlt es sich immer etwas unangenehm an, so emotional vor anderen zu werden (jedenfalls geht es mir so), aber zugleich hilft es eben, dass er mehr zulassen kann, weil er es braucht und dass Karyu auch mehr auf Zero zu-/eingeht, um für ihn da zu sein. Immerhin lässt er sich dieses Mal nicht einfach abspeisen, als Zero sich rausreden will, auch wenn es natürlich dabei von Vorteil ist, dass sie sich schon so lange kennen.
Endlich bricht Zeros Mauer. Er sagt so viel, dass er kaum noch eine Chance hätte, da raus zu kommen, selbst wenn er es mehr versuchen würde. Dabei ist es gar nicht so schlimm.
Dass Karyu dann gar nicht so überrascht von all dem ist, eben gerade durch diese beiden Männer, die ihm ja auch unwirklich vorkamen und es anscheinend nicht sind, finde ich sehr nachvollziehbar. Zumal Karyu eben auch von Zeros Gefühlen erfährt und wie so oft, wenn es darum geht, rutscht alles Weitere in der Wichtigkeit eben nach hinten. Deswegen ist die Frage gerade danach genauso zu erwarten und nicht so unerwartet, wie Zero das wahrnimmt.
Ich hatte dennoch nicht erwartet, dass Zero so offen redet. Ich mag es, auf jeden Fall mag ich es, nein, ich liebe es, dass es dadurch endlich mehr Klarheit für Karyu gibt und mehr Annäherung zwischen beiden. Davon ausgegangen bin ich dennoch nicht. Gerade auch, weil ich das längst nicht mehr dem Alkohol zuschreibe. Immerhin ist etwas an Zeit vergangen. Ich bin außerdem gespannt, ob er die anderen Leben auch noch erzählen wird. Es ist nicht schlimm, wenn nicht, denn sie stehen in dem Sinne ja nicht im Fokus. Aber da er da noch weitere als die bisherigen erwähnt hat, halte ich es nicht für ausgeschlossen.

"Himmel, wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet?" Nicht nur du, Zero. xDD
Gleichzeitig lässt mich das natürlich nichts Gutes erwarten: "Für einen Sekundenbruchteil glaubte er, ein Geräusch zu hören, Hunderter kleiner Zahnräder, die sich gleichzeitig in Bewegung setzten, wie eine Uhr, die rückwärts zählte." Aber dass es nicht so friedlich bleiben wird, ist der einzig wahrscheinliche Weg. Ich hoffe einfach nur, dass Hizumi dann schnell genug da sein wird oder eingreifen kann oder sie es irgendwie anders gut schaffen können, unversehrt weiter zu kommen. Und irgendwann diesem schrecklichen Kreislauf ganz entfliehen zu können, aber bitte noch nicht jetzt (das würde für mich bedeuten, sie sterben, aber gemeinsam und werden nicht wiedergeboren).

Ich habe bis zum Ende immer befürchtet, dass irgendetwas die schöne Stimmung zerstört und wie das Zitat eben, ist zumindest für Zero ja auch immer ein bisschen Schwere und Sorge dabei, aber hauptsächlich ist das eben einfach eine so wunderschöne, gefühlvolle und warme Zeit, die die beiden miteinander verbringen können und ich bin so erleichtert, dass sie diese bekommen haben.


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