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Erste Male

von

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Erstes Treffen

Nadja kam sich deplatziert vor. Das Restaurant war viel zu fein, gegenüber allen, die sie bisher besucht hatte. Ja, es war an sich nur ein besserer Italiener – aber eben ein wirklich besserer. Hier trugen ein paar Leute sogar Anzug zum Essen.

Himmel, sie hätte widersprechen sollen. Sie hätte was anderes vorschlagen sollen. Natürlich verstand sie irgendwie, dass die beiden wahrscheinlich angeben wollten, aber … Sie presste ihre Handtasche fest an sich und wartete darauf, dass einer der Kellner zu ihr kam.

„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

„Ich … Ähm, ich sollte mich mit Freunden hier treffen. Ähm, der Tisch sollte auf den Namen Heller reserviert sein.“

Der Kellner ging zu einem Tisch, auf dem eine Liste lag. „Ah, ja. Kommen Sie mit.“

Da ihr kaum eine andere Wahl blieb, folgte Nadja dem Kellner. Ihre Eingeweide fühlten sich nicht an, als könnte sie aktuell etwas essen. Ihr war übel vor Nervosität. Ein Teil von ihr konnte nicht glauben, dass sie das gerade wirklich durchzog. Es war eigentlich so eine Geschichte, vor der ihre Eltern sie gewarnt hätten. Sich mit Fremden aus dem Internet treffen, um Sex zu haben. Das klang nach einer Idee, bei der viel schief gehen konnte.

Aber wie sollte sie den Sex sonst bekommen, wenn die meisten Kerle, die sie normal traf, es nicht auf die Reihe bekamen, sie zufrieden zu stellen.

Ihr Gesicht brannte vor Scharm, als der Kellner stehen blieb und auf einen Tisch zeigte, an dem bereits zwei Leute saßen. „Das ist Ihr Tisch. Soll ich Ihnen schon einmal eine Karte bringen?“

Nadja biss sich auf die Unterlippe. „Ja. Ähm. Gerne. Danke.“ Dann atmete sie tief durch und ging zu den beiden hinüber.

Natürlich hatte sie schon Fotos von ihnen gesehen. Irene hatte schwarzes Haar, dass sie zu einem Zopf zurückgebunden hatte. Sie war groß, kräftig für eine Frau und wirkte auf den ersten Blick etwas streng. Andre war ebenfalls gut gebaut. Er hatte kurzes, rotbrauens Haar und wirkte gegenüber seiner Frau deutlich entspannter.

Die beiden hatten sie entdeckt und allem Anschein nach ebenfalls erkannt. Verflucht. Jetzt gab es wohl kein zurück.

Sie blieb an dem Tisch stehen. Was sollte sie sagen? Sie zögerte. „Hi.“ Großartiger erster Eindruck. Wirklich.

Beide sahen sie an. Es war Irene, die lächelte. „Hallo.“ Sie stand auf. „Du bist Nadja, richtig?“

Am liebsten wäre Nadja auf der Stelle in Grund und Boden versunken. Sie hasste gerade alles hierdran. Sie kam sich so deplatziert vor. Dennoch sagte sie: „Genau.“

Wenigstens wirkte auch das Lächeln auf Irenes Zügen etwas angespannt. „Ähm.“ Und auch sie schien Probleme zu haben, die richtigen Worte zu finden. „Magst du dich setzen?“

„Ja, gerne.“ Was sollte sie auch sonst sagen?

So setzte sie sich den anderen beiden gegenüber an den Tisch. Für einen Moment musterte sie erst Andre, dann Irene, wandte dann aber den Blick ab. Ihr Gehirn drohte, seine Dienste komplett zu verweigern, jedenfalls was die Sprachbearbeitung anging.

Sie wollte es ja. Sie wollte die Chance, die die beiden ihr boten. Aber es war einfach so komisch sich mit fremden Menschen deswegen zu treffen.

„Hast du gut hergefunden?“, fragte Irene.

„Ja. War kein Problem.“

„Gut.“ Wieder war da dieses zurückhaltende und etwas steife Lächeln.

Der Kellner erlöste sie damit die Karte zu bringen. Karten, um genauer zu sein. Offenbar hatten Andre und Irene auf sie gewartet.

So konnte Nadja sich für einen Moment hinter der Karte verstecken. Ach, zur Hölle noch mal, sie hatte sich hierauf eigentlich irgendwie gefreut. Immerhin klang, was die beiden online geschrieben haben, fast zu gut um wahr zu sein. Aber sie wusste einfach nicht, wie sie mit ihnen sprechen sollten.

Technisch gesehen waren die beiden nicht mal wesentlich älter als sie und im selben Alter wie einige ihrer Freundinnen und Freunde. Andre war fünf Jahre älter als sie, Irene vier. Nur waren sie deutlich schon in einem anderen Abschnitt in ihrem Leben angekommen. Andre arbeitete als Arzt in einem der Krankenhäuser. Irene war Bankangestellte und offenbar in einer höheren Position.

„Weißt du schon, was du nimmst?“, fragte Irene.

Nadja warf Andre einen Blick zu, der bisher noch gar nichts gesagt hatte. Tatsächlich wirkte er, als wäre er auch gerade lieber woanders.

„Ähm, erst einmal nur eine Cola“, antwortete sie.

„Du kannst dir zu Essen bestellen, was du willst“, meinte Irene. „Wir bezahlen.“

Darauf nickte Nadja nur stumm.

Warum war es nur so schwer, gerade einfach zu sprechen?

Sie legte die Karte erst einmal weg. Sie musste ja irgendwie anfangen. „Ähm.“ Kein besonders guter Anfang. „Schön euch auch mal so kennen zu lernen.“

„Ja, ganz unsererseits“, erwiderte Irene.

„Hattet ihr eine angenehme Woche?“ Das klang nach einer angemessenen Frage, nicht?

„Ach ja, das übliche.“ Irene zuckte mit den Schultern. Auch ihr stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben. „Es gibt immer wieder Stress mit bestimmten Kunden. Aber nichts besonders Dramatisches.“ Sie stupste Andre mit dem Ellenbogen an.

Er schluckte. „Ähm, ja. Das Übliche.“

Nadja versuchte ihm ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. „Nicht der große Redner, oder?“

Das brachte Irene zu einem richtigen Grinsen. „Er ist nur nervös. Er ist nicht gut mit Reden, wenn er Nervös ist.“

Haha. Ja. Das konnte Nadja gerade nachvollziehen.

„Du studierst Chemie, nicht?“, fragte Irene offenbar um das Gespräch am Laufen zu halten.

„Ja. Genau. Aktuell noch im Bachelor. Nächstes Semester ist die Bachlorarbeit dran.“

„Und, hörst du danach auf?“

Nadja schüttelte den Kopf. „Ich wollte den Master eigentlich noch dranhängen.“

„Ah, schön.“ Nun war es Irene, die sie musterte. „Und schon konkrete Pläne, was du mit einem fertigen Abschluss machst?“

Wenn es möglich war, wurde Nadja noch röter. Natürlich hatte sie eine genaue Vorstellung was sie plante, aber es war albern und vielleicht auch unrealistisch. Deswegen schüttelte sie den Kopf. „Noch nicht wirklich.“

„Nun, muss ja auch noch nicht.“

Dann folgte wieder eine peinliche Stille, bis kurz darauf der Kellner zu ihnen kam. „Möchten Sie schon etwas bestellen?“

Kurz sah Irene zu Nadja, nickte dann aber dem Kellner zu. „Ja. Zu Trinken erst einmal nur.“

„Sehr gern.“ Und so nahm der Kellner die Bestellungen entgegen. Der Tatsache, dass Irene Wein bestellte, entnahm Nadja, dass Andre für die beiden wohl fahren durfte. Dabei konnte wahrscheinlich gerade erst etwas Alkohol gebrauchen. Doch zumindest das Schicksal teilten sie.

Zumindest schien Irene darauf bedacht zuwarten, dass sie alle etwas lockerer wurden, um auf den eigentlichen Punkt des Gespräches zu kommen. Daher versuchte sie es weiter mit Smalltalk. „Arbeitest du neben der Uni?“

„Na ja, ein wenig. Ich jobbe an manchen Wochenenden in einem Café. Aber im Chemiestudium hat man nicht so viel Zeit. Daher mach ich das meiste eher in den Semesterferien.“

„Ja, ich habe so Gerüchte über das Chemiestudium gehört“, erwiderte Irene. „Hohe Ausdünnquote, nicht?“

„Ja. Genau das. Teilweise 60 Stunden Wochen.“

„Klingt nach einer Menge Stress.“

Nadja nickte wehmütig. Es war einer der Gründe, warum sie ohnehin keine Zeit für eine richtige Beziehung hatte. Also abgesehen davon, dass ihre letzten zwei Beziehungen eher ein Reinfall gewesen waren.

„Was machst du so in deiner Freizeit?“

Um eine Antwort heraus zu zögern, zuckte Nadja vage mit den Schultern. „Ähm.“ Kam drauf an, wie viel Freizeit sie hatte. „Wenn ich Zeit habe, zocke ich recht viel. Na ja, und sonst schaue ich Filme oder Serien und so.“

„Was für Filme und Serien?“

„Alles mögliche.“ Sie kam sich langsam vor, wie bei einem Verhör. Doch wenigstens war es leichter über diese Sachen zu reden. „Ich schaue ganz gern alles mögliche in Sachen Comedy. Kennt ihr Community?“

Irene schmunzelte. „Kann man das hier überhaupt irgendwo legal schauen?“

Nadja fixierte die Tischdecke. „Auf Amazon zum Kaufen. Glaub ich.“

Das entlockte Irene ein leises Glucksen. „Glaubst du, hmm?“

Nadja war versucht eine zynische Antwort zu geben, zuckte aber nur mit den Schultern. „Und ihr? Was macht ihr so?“

„Ach, ich bin meistens auch mit Filmen oder Büchern zufrieden. Andre hier“, sie warf ihrem Ehemann einen Seitenblick zu, „ist derweil unter den Nerds zu finden.“

„So nerdig ist es nun auch nicht“, erwiderte er.

„Was ist nicht so nerdig?“, fragte Nadja.

„Rollenspiel“, antwortete er. „Wenn du weißt, was das ist.“

Das brachte Nadja tatsächlich dazu, zu grinsen. „Noch einer!“, seufzte sie.

„Noch einer?“

„Mein Mitbewohner ist auch so einer“, erwiderte sie. „Die ganze Zeit geht es nur um irgendwelche Orks, Goblins und Trolle, die irgendwelche Schätze finden.“ Sie bemühte sich an ihrem Tonfall deutlich zu machen, dass sie vornehmlich scherzte. Nicht, dass Chris nicht wirklich ein furchtbarer Nerd war, der einem Herr der Ringe aus dem Kopf zitierten konnte.

Andre schaute sie nun mit einer Spur von Neugierde an. „Und du?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich habe mal versucht bei DSA mitzuspielen, aber das war nicht meins. Deutlich zu viel Excel involviert, um es in der Freizeit zu machen.“

„Nun, vielleicht ist DSA dann einfach nicht das richtige Spiel für dich“, gab Andre zu bedenken.

Irene grinste. „Oh je, jetzt hast du was angefangen.“

Das hatte sie tatsächlich. Was sie aus dem folgenden Schwall an Informationen entnahm, war vornehmlich eins: Irene hatte Recht. Ihr Mann war ein absoluter Nerd. Und irgendwie passte es nicht zu Nadjas Bild von einem Krankenhausarzt, dass diese Rollenspiele spielten. War das nicht eher ein Hobby für Informatiker?

Dennoch half es mit einer Sache. Sie wurde lockerer. Denn wie man mit Nerds redete, das wusste sie. Damit hatte sie dank Chris immerhin die beste Erfahrung. Und außerdem war sie ja vielleicht auch ein wenig ein Nerd. Immerhin zockte sie eine ganze Menge Videospiele und tat dies auch schon seit über zehn Jahren.

Also redete sie darüber, nachdem der Kellner das Trinken gebracht und sie zu essen bestellt hatten.

Ja, über diese Dinge zu reden war deutlich einfacher.

„Ich kenne tatsächlich wenig Frauen, die sowas spielen“, kommentierte Irene.

„Ach, ich kenne da schon welche“, erwiderte Nadja. „Aber man darf sich ständig was von den Kerlen anhören.“ Sie verdrehte die Augen und nippte an ihrer Cola.

„Nun, in seiner Rollenspielrunde gibt es auch keine Frauen.“ Irene sah zu ihrem Mann herüber.

Dieser zuckte mit den Schultern. „Hat sich halt nicht so ergeben. Und du könntest jeder Zeit mitspielen.“

„Nein, danke, Schatz.“

Das brachte Nadja zum Grinsen. Ja, eigentlich schienen die beiden okay. Sie erinnerten sie ein wenig an ihren Mitbewohner und seine Freundin. Nur dass von den beiden Chris derjenige war, der sich leichter damit tat, Gespräche anzufangen, während seine Freundin eher zurückhaltend war.

„Was für Bücher liest du denn?“, fragte Nadja schließlich an Irene gewandt.

„Ach, dies und das. Gerne historische Romane und Romanzen. Halt eher der übliche Frauenkram.“

„Ist doch auch okay“, erwiderte Nadja.

Kurz darauf kam das Essen und es wurde wieder etwas stiller am Tisch. Nadja hatte sich eine Lasagne bestellt. Denn gute Pizza konnte sie selbst. Aber gute Lasagne? Das war erstaunlich schwer. Also aß sie genüsslich. Immerhin könnte sie sich das Essen hier normal nicht leisten. Und ja, die Lasagne war deutlich besser, als bei ihrem Standard-Italiener in der Nachbarschaft.

Als das Essen zu großen Teilen verspeist war, wechselte das Gespräch dann zu Filmen, die vor kurzem ins Kino gekommen waren. Das Thema hielt aus, bis die Teller komplett geleert waren.

Danach bestellten sie noch etwas zu trinken und dann kam, womit Nadja schon fast gerechnet hatte. Die nächste unsichere Stille.

„Nadja“, begann Irene schließlich. „Hättest du denn prinzipiell wirklich Interesse, dich mit uns … auch anders zu treffen.“

Nadja merkte, wie sie prompt wieder rot wurde. Es war halt einfach etwas, was man normal nicht machte: Leute einfach nach Sex fragen. Dennoch nickte sie. „Ja. Prinzipiell schon.“

„Wir würden es dir auch nicht übel nehmen, wenn nicht.“

„Nein. Wirklich.“ Nadja winkte ab und zwang sich ihren Blick zu erwidern. „Ihr wirkt nett und ich … Nun …“ Die Wahrheit war, dass sie vollkommen untervögelt war, aber sie tat sich schwer, es genau so zu sagen.

Offenbar konnte Irene sich aber ihren Teil denken. „Ich verstehe schon.“ Sie zwinkerte.

Nadja trank einen Schluck Cola, um sich ein wenig Zeit zu verschaffen. Dann aber kam sie nicht umher, die andere Frage zu stellen, die ihr auf der Seele brannte: „Und der Kram auf den Bildern … Das habt ihr wirklich alles?“

Die beiden tauschten einen langen Blick. Sie wirkten beide etwas verlegen.

„Nun. Man könnte es als ein Hobby bezeichnen“, antwortete Andre. „Nur dass es mit uns beiden … Sagen wir es so, von uns ist keiner devot oder masochistisch.“

„Verstehe schon.“ Ihr Problem war bisher immer gewesen, dass keiner ihrer Freunde sadistisch gewesen war. Und damit war es auf Dauer für sie nicht besonders spannend im Bett gewesen. Das belastete auf Dauer.

„Vielleicht magst du dann mal zu uns rüber kommen?“, schlug Irene vor.

Das war immer noch die eine Sache, bei der alles, was ihr in ihrer Jugend die Erwachsenen erzählt hatten, „Nein“ schrie. Aber das waren nur Vorurteile von Leuten, die keine Ahnung vom Internet hatten. Immerhin kannte Chris auch die Hälfte seines Freundeskreises von online. Auch wenn er zugegebenermaßen mit keinem dieser Freunde Sex hatte – jedenfalls von allem, was Nadja wusste.

Sie senkte den Blick. „Ja. Gerne.“

„Da wäre es auch leichter ein wenig mehr über Details zu sprechen“, meinte Andre. „Hier ist es … vielleicht doch etwas zu öffentlich.“

Nadja nickte. „Ja.“

„Wann hättest du prinzipiell Zeit?“, fragte Irene.

Oh Gott, sie tat es wirklich. „Übernächtes Wochenende?“, erwiderte sie vorsichtig.

Prompt holten beide ihre Handys heraus, offenbar um in Kalendern nachzuschauen. „Ja. Das ginge bei mir.“ Irene spähte auf das Handy ihres Mannes.

„Ich habe da bisher auch keine Schicht“, antwortete Andre. „Solange sich daran nichts ändert, ginge es bei mir auch.“

Nadja biss sich verlegen auf die Unterlippe. „Dann klingt das ja nach einem Plan.“

„Ja.“

Schweigen senkte sich wieder über sie, ehe es Irene war, die das Thema wechselte. „Hast du eigentlich ein Netflix-Abo?“ Damit würde sich das Gespräch wohl wieder in mildere Gefilde bewegen.



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