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Herz über Kopf

von

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Pümpel und Pläne

Ich hätte gerne behauptet, dass die nächste Woche wie im Flug verging. Leider hielt sie nach dem so katastrophal schiefgegangenen Zusammentreffen mit Mia noch einige andere, unangenehme Überraschungen bereit. Es begann gleich am nächsten Tag damit, dass einer der Feriengäste verkündete, dass das Wasser in seinem Waschbecken nicht abliefe. Zum Glück war die Gastfamilie verständnisvoll. Sie verabschiedete sich bereits früh am Vormittag an den Strand, während mein Vater und ich mit dem Werkzeugkasten unter dem Arm die Wohnung betraten. Kurz hinter der Tür blieb ich stehen.

 

„Sollen wir die Schuhe ausziehen?“, fragte ich. Die Ferienwohnung wirkte trotz der darin wohnenden Gäste tipptopp aufgeräumt. Nirgends lag etwas herum, wenn man von den Vorräten in der Küche absah. Selbst der dunkle Boden wirkte wie frisch gewischt.

 

„Nur, wenn du nasse Füße haben willst“, entgegnete mein Vater, bevor er weiter in Richtung Badezimmer stapfte. Ich ließ also meine Schuhe an und folgte ihm.

 

Der Stil des Raumes glich unserem eigenen Bad. Cremefarbene Fliesen, Holz und Chrom ergänzten sich zu einem anheimelnden und gleichzeitig modern wirkendem Ambiente, das in puncto Funktionalität keine Wünsche offenließ. Wenn man einmal von der schmutziggrauen Brühe absah, die in dem ovalen Waschbecken stand. Ein fauliger Geruch hatte sich im Raum ausgebreitet. Er ließ mich mühsam schlucken. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, trat ich zum Fenster und öffnete es. Mein Vater knurrte.

 

„Hab ja gleich gesagt, das Zeug taugt nix. Aber nein, deine Mutter fand es ja so schick, dass es ausgerechnet dieser Mist sein musste. Jetzt haben wir den Salat.“

 

Er setzte den Werkzeugkasten auf den Boden und griff zum mitgebrachten Pümpel.

 

„Mal sehen, ob wir dem nicht so beikommen.“

 

Einige Versuche später schwamm auch in der Dusche eine dunkle Pfütze, während sich am Waschbecken wenig getan hatte. Mein Vater knurrte wieder.

 

„Geh und hol einen Eimer“, wies er mich an.

 

Ich tat, wie befohlen. Als ich wiederkam, hatte mein Vater bereits den Unterschrank beiseite geräumt.

 

„Wenn wir Glück haben, ist es nur der Siphon. Wenn es die Rohre sind, müssen wir vielleicht jemanden kommen lassen.“

 

Ich nickte nur und reichte ihm den Eimer. Viel mehr konnte ich ohnehin gerade nicht tun. Eigentlich wusste ich nicht einmal, warum er mich mit dabei haben wollte. Sein Vertrauen in meine handwerklichen Fähigkeiten war ungefähr so groß wie in einen Fisch, wenn es ums Fahrradfahren ging. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte mir erklärt, an welchem Ende man einen Hammer anfassen musste. Nichtsdestotrotz bestand er darauf, mich immer wieder zu irgendwelchen Tätigkeiten als Handlanger anzustellen.

 

„Das hängt fest. Gib mir mal die Rohzange.“

 

Ich öffnete den Werkzeugkasten und griff nach dem gewünschten Werkzeug. Postwendend bekam ich es retour.

 

„Nicht die rote. Die blaue.“

 

Ich rollte mit den Augen, nahm die rote Rohrzange wieder entgegen und tauschte sie gegen die größere blaue. Wenn er gleich die richtige Zange verlangt hätte, hätte ich sie ihm ja geben können.

 

„Eimer“, bellte mein Vater und ich reichte das Gewünschte. Plätschern und Platschen folgte, und noch mehr Gefluche, während sich der Inhalt des Waschbeckens in den Eimer ergoss. Prompt verstärkte sich der Geruch um das Dreifache. Ich konnte ein Ächzen nicht unterdrücken.

 

„Hier“, sagte mein Vater und reichte mir ein gebogenes Metallrohr. „Mach das mal sauber.“

 

Beim Anblick des völlig verdreckten Rohres hob sich mein Magen. Die schleimige Schmierschicht, die zentimeterdick in dessen Inneren saß, schien kurz davor neues Leben hervorzubringen und definitiv keines von der guten Sorte.

 

„Wie soll ich das denn sauber kriegen?“

„Keine Ahnung. Lass dir was einfallen.“

 

Mit spitzen Fingern nahm ich das Rohrstück und sah mich nach einer Möglichkeit um, es zu reinigen. Mein Blick fiel auf die Dusche. Kaum hatte ich mich jedoch in diese Richtung bewegt, wurde ich auch schon zurückgepfiffen.

 

„Nicht da drin. Dann haben wir den Dreck ja im nächsten Rohr. Mach es draußen. Am besten schabst du es erst mal über der Mülltonne aus. Aber sieh zu, dass die Dichtung nicht verlorengeht, sonst muss ich eine neue besorgen. Und bring mir mal ein altes Handtuch.“

 

Während ich nach draußen ging, hörte ich ihn noch etwas vor sich hin murmeln. Es klang nicht sehr freundlich. Ob sich das jetzt auf mich, die Rohre oder die Urlauber, die einfach alles im Waschbecken runterspülten, bezog, war nicht erkennbar.

 

Ich suchte mir zuerst einen Stock, mit dem ich das Rohr notdürftig reinigte. Danach schmiss ich ihn mitsamt dem daran klebenden Dreck in die Mülltonne. Anschließend spülte ich das Rohr mit dem Gartenschlauch durch. Als es wieder in einem einigermaßen vorzeigbaren Zustand war, brachte ich es zurück.

 

„Und das Handtuch?

 

Ich legte das Rohr ab und machte mich erneut auf den Weg. Dieses Mal, um mir von meiner Mutter ein altes Handtuch geben zu lassen. Sie stand in der Küche und bereitete das Mittagessen vor.

 

„Kommt ihr gut voran?“

„Ja ja.“

„Na, das klingt aber begeistert.“

 

Sie lachte, während ich das Gesicht verzog.

 

„Es ist ein Abflussrohr. Was hast du erwartet?“

 

Sie lachte und schüttelte den Kopf, wurde dann aber gleich wieder ernst.

 

„Hast du schon beim Arzt angerufen?“

 

Ich antwortete nicht und wandte den Blick ab. Natürlich hatte ich noch nicht angerufen. Immerhin war ich quasi vom Frühstückstisch zum Rohreinigen abkommandiert worden.

 

„Hast du es Papa eigentlich erzählt?“

 

Aus den Reaktionen meines Vaters war nicht abzulesen gewesen, ob er von den Tabletten wusste, und ich hatte vermieden, ihn danach zu fragen.

 

„Nein, habe ich nicht. Ich fand, dass du das selbst tun solltest.“

„Mhm.“

 

Ich starrte auf das Handtuch in meinen Händen. Es war dunkelbraun und einige Fäden ragten heraus. Vermutlich war es tatsächlich schon uralt. Aus den geheimen Vorräten meiner Urgroßmutter oder so.

 

„Ich sollte mal wieder rübergehen.“

„Mach das. Und rede mit ihm:“

„Ja, ist gut.“

 

Ich trottete nach draußen. Das Handtuch schien mit jedem Schritt schwerer zu werden. Sollte ich es meinem Vater wirklich erzählen? Was, wenn er sagte, dass ich einfach damit aufhören sollte, so viele Tabletten zu nehmen? Dass man wegen so ein bisschen Kopfschmerzen nicht zum Arzt ging? Dass ich mich nicht so anstellen sollte? Ein Indianer kennt keinen Schmerz.

 

Am Eingang der Ferienwohnung blieb ich stehen. Die Tür stand offen und ich konnte meinen Vater drinnen werken hören. Es wäre ein Leichtes gewesen, jetzt zu ihm zu gehen und es ihm einfach zu sagen. Hinzugehen und zu sagen, dass ich mal zum Arzt gehen würde, um mich durchchecken zu lassen. Daran war nichts Verwerfliches. Deswegen war ich noch lange kein Weichei. Es war … notwendig. Ich hatte Schmerzen, also ging ich zum Arzt. Die einfachste Sache der Welt.

 

Und doch hast du Angst, dass er dich dafür verurteilt.

 

„Das ist doch Schwachsinn“, sagte ich zu mir selbst. „Na los, du kannst das.“

 

Mit einem zunehmend mulmigen Gefühl im Bauch betrat ich den im Gegensatz zum sonnenbeschienenen Hof beinahe dunklen Flur. Die Geräusche aus dem Bad wurden lauter. Zusätzlich stieg mir dieser Geruch in die Nase. Ein wenig metallisch und irgendwie schmierig. Der Geruch ließ mich unweigerlich an Handwerker denken. Mein Vater roch meistens nach Heu, frischer Luft und manchmal nach Bier, wenn er es sich abends vor dem Fernseher gemütlich machte. Dieser Geruch jedoch war einer nach Werkstatt, nach Männerschweiß und dreckigen Händen. Nach öltriefenden Motoren und rostigen Muttern. Ich schmeckte ihn förmlich auf meiner Zunge.

 

„Hast du das Handtuch?“

 

Die Stimme meines Vaters holte mich wieder aus meinen Erinnerungen. Früher als Kind hatte ich diesen Geruch geliebt. Ich wusste nicht mehr warum.

 

„Hier“, sagte ich und gab ihm das Handtuch. Er wischte damit an dem Rohr herum, bevor er unter dem Ausguss hervorkam und Wasser in das Becken laufen ließ. Es lief nicht ab. Mein Vater fluchte halblaut.

 

„Na gut, ich hol die Spirale. Bau du den Siphon mal wieder ab.“

 

Damit ging er nach draußen und ließ mich allein. Ich starrte auf das Rohr, den dreckigen Fußboden und das verstreute Werkzeug. Sollte ich jetzt wirklich …? Aber er hatte gesagt, ich sollte es abbauen. Also machte ich mich daran, das Rohr erneut zu entfernen. Als mein Vater wiederkam, stand das Bad unter Wasser. Er hob die Augenbrauen.

 

„Hast du den Eimer druntergestellt?“

„Äh … nein?“

 

Er stöhnte.

 

„Geh und hol einen Mob.“

„Okay.“

 

Auf dem Weg nach draußen hörte ich ihn wieder murmeln. Dieses Mal war ich mir sicher, dass es irgendeine Bemerkung über meine Unfähigkeit war. Darüber, dass ich ein Träumer war. Ständig mit dem Kopf in den Wolken hing. Für alles zu lange brauchte. Immerzu etwas vergaß. Dass ich nicht zuhörte und Anweisungen nicht zu Ende befolgte. Dass ich andauernd Hilfe bei irgendetwas brauchte und nichts auf die Reihe bekam. Was nur später mal aus mir werden sollte.

 

All das ging mir wieder und wieder durch den Kopf, während ich mich daran machte, die Sauerei zu entfernen, die ich verursacht hatte, und mein Vater mit der Drahtspirale das Rohr reinigte. Es dauerte, bis wir fertig waren. Als ich jedoch das letzte Mal den Mob auswrang, stellte sich mein Vater neben mich und brummte:

 

„Jetzt haben wir uns ein Bierchen redlich verdient.“

 

Ich nickte ebenfalls und versuchte, mein Lächeln zu verbergen. Für dieses Lob würde ich sogar das Bier in Kauf nehmen, das mein Vater immer trank. Extra herb. Ich mochte es nicht, aber eine Flasche würde ich wohl ertragen.

 

„Komm, wir gehen hinten rum. Dann merkt deine Mutter nichts.“

 

Wir schlichen uns in den Garten und mein Vater verschwand im Geräteschuppen. Als er wiederkam, hatte er zwei geöffnete Bierflaschen in der Hand. Eine davon reichte er mir.

 

„Hier. Auf uns.“

 

Wir stießen die Flaschenböden gegeneinander. Feuchtigkeit kondensierte auf dem gekühlten Glas. Die Grillen zirpten und die Luft flimmerte vor einem wolkenlos blauen Himmel.

 

Während ich einen ersten vorsichtigen Schluck nahm und mein Vater begann, mir etwas von dem Nachbarn zu erzählen, der angefragt hatte, ob er ein Stück unserer Weide dazupachten konnte, beschloss ich im Stillen, ihm noch nichts von dem Arztbesuch zu sagen. Sollte die Untersuchung tatsächlich etwas ergeben, konnte ich ihn immer noch davon in Kenntnis setzen. Es war unnötig, vorher die Pferde scheu zu machen.

 

„Willst du noch eins?“, fragte mein Vater und deutete mit dem Kopf in Richtung des Schuppens.

 

„Klar,“, antwortete ich und beeilte mich, meine erste Flasche zu leeren, bevor ich sie ihm zurückgab. Eine zweite würde ich schon auch noch hinunterkriegen.

 

 

Am nächsten Tag hielt die eingetretene Ruhe leider nur bis kurz nach dem Mittagessen. Eines der Gastkinder war bei einer Fahrradtour gestürzt und meine Mutter bat mich nach einer ersten Versorgung der Schürfwunden, Kind und Mutter zum Krankenhaus zu fahren, damit der Vater mit den zwei anderen Geschwistern in der Ferienwohnung bleiben konnte. Ich verbrachte somit den halben Tag in der Notaufnahme, bis wir endlich mit einem erfolgreich eingegipsten Kind das Krankenhaus wieder verlassen konnten.

 

Die Mutter bedankte sich tausend Mal für die Hilfe und bestand darauf, mir einen ziemlich großen Schein für meine Mühen zuzustecken. Als hätte er es gerochen, rief Jo an dem Abend an.

 

„Hey, T, was geht? Seit wann bist du wieder im Lande?“

„Letzten Donnerstag.“

„Waaas? Und da meldest du dich nicht? Wir hätten doch Samstag was machen können.“

„Ging nicht. Mia war hier.“

 

Ich hörte ein Schnauben am anderen Ende der Leitung.

 

„Sie hätte ja mitkommen können.“

„Oh ja, da hat Mia bestimmt Lust drauf. Den Abend bei dir abzuhängen und Fußball zu gucken und sich anschließend mit uns zusammen vollaufen lassen.“

 

Wieder grunzte Jo und schmiss sich den Geräuschen nach zu urteilen auf sein Bett.

 

„Dann halt nächsten Samstag. Bist du dabei?“

 

Jetzt war ich es, der zumindest innerlich stöhnte. Ich kniff die Augen fest zu.

 

„Keine Zeit.“

„Warum nicht?“

„Weil … ich mit Mia verabredet bin. Wir wollen ins Kino.“

 

Ich konnte ihm schließlich kaum verraten, was ich am Samstag tatsächlich vorhatte. Prompt begann mein bester Freund zu quengeln.

 

„Könnt ihr das nicht Freitag machen?“

„Nein, geht nicht. Muss Samstag früh raus. Mein Vater …“

„Man könnte echt meinen, du wärst sechs. Oder 60.“

 

Der Frust, der aus seiner Stimme sprach, kannte keine Grenzen. Ich lachte leicht.

 

„Soweit ich weiß, zähle ich immer noch nur knackige 19 Lenze. Also lass uns doch einfach Donnerstag abhängen.“

„Gute Idee. Am Donnerstag ist im Club Ein-Euro-Party. Da können wir uns das Vorglühen sparen.“

 

Wenn Jo mich jetzt hätte sehen können, hätte er vermutlich das wissende Grinsen bemerkt, das ich auf dem Gesicht hatte. Denn DAS hatte ich natürlich schon vorher gewusst.

 

„Klingt gut. Und zur Feier des Tages werde ich fahren und lade dich ein.“

„Hast du im Lotto gewonnen?“

„So ungefähr.“

 

Ich berichtete von meinem unverhofften Nebeneinkommen. Jo pfiff anerkennend durch die Zähne.

 

„Dann hat es sich wenigstens ein bisschen gelohnt, dass du Holger solange fremdgegangen bist. Der hat übrigens nach dir gefragt. Er braucht jemand, der Freitag spontan ne Schicht übernehmen kann.“

„Alles klar, ich ruf ihn gleich an.“

 

Kaum dass ich aufgelegt hatte, wählte ich erneut und hatte fünf Minuten später den nächsten Arbeitseinsatz für Freitagnachmittag an der Backe. Aber wenigstens gab es dafür Kohle.

 

Als Nächstes war Mia an der Reihe. Nachdenklich betrachtete ich das Display mit ihrer Nummer. Eigentlich hätte ich sie jetzt auch einfach angerufen, aber ich traute mir nicht recht zu, sie am Telefon ebenso leicht einzulullen wie Jo. Dafür kannte sie mich inzwischen viel zu gut. Schließlich öffnete ich mit einem Seufzen den Messenger und schrieb ihr stattdessen eine Nachricht, dass ich Donnerstag mit Jo verabredet sei und Freitag arbeiten müsse. Ob sie Lust hätte, abends mit mir ins Kino zu gehen.

 

Ich schickte die Nachricht ab und betete, dass sie nicht auf die Idee kam, nach einem Treffen für morgen zu fragen. Ihre Antwort war bestand jedoch nur aus einer Zusage für Freitagabend. Einigermaßen entspannt lehnte ich mich wieder auf meinem Stuhl zurück. Jetzt musste ich nur noch meinen Eltern verkaufen, dass ich den ganzen Samstag über nicht da sein würde.

 

Als es Zeit zum Abendessen wurde, versuchte ich es ausnahmsweise mal mit der Wahrheit. Zumindest fast.

 

„Hey“, sagte ich, während ich meinem Vater den Aufschnitt reichte. „Ich wollte dich fragen, ob du noch was für mich zu tun hast. Ich hab von Holger schon wieder ne Schicht aufs Auge gedrückt bekommen und am Samstag wollte ich mit einem Kumpel was unternehmen. Wir müssten das dann also morgen oder übermorgen einplanen, weil ich den Tag über nicht da bin.“

 

„Mhm“, machte mein Vater. „Ich hatte eigentlich überlegt, das Dach vom Schuppen neu zu teeren.“

 

„Das könnt ihr doch auch noch machen, wenn es nicht mehr so heiß ist“, mischte sich meine Mutter ein. „Lass dem Jungen noch ein bisschen was von seinen Ferien.“

 

„Ach, und wenn dann wieder Schule ist, heißt es, er hat keine Zeit, weil er lernen muss“, grummelte mein Vater.

 

„Aber doch nicht gleich in den ersten Wochen. Bitte, Papa.“

 

Mein Vater brummte noch einmal, nickte aber. Ich grinste ihn an und widmete mich wieder meinem Abendessen, den fragenden Blick meiner Mutter wohlweislich ignorierend. Sie geduldete sich bis zum Abräumen, bis sie mich beiseite nahm und fragte, ob ich nun inzwischen schon beim Arzt angerufen hätte. Ich unterdrückte ein Stöhnen.

 

„Ich mache es morgen. Wirklich. Fest versprochen.“

„Hast du denn schon jemanden herausgesucht.“

„Nein. Mache ich jetzt sofort.“

„Gut.“

 

Damit war das Thema anscheinend erst einmal wieder vom Tisch. Ich schlich mich hoch in mein Zimmer und machte dir Tür fest hinter mir zu. Der Tag saß mir in den Knochen. Trotzdem suchte ich wie versprochen noch die Nummer eines Arztes in der nahegelegen Stadt heraus. Ich legte den Zettel gut sichtbar auf meinen Schreibtisch, für den Fall das meine Mutter hereinkam, und legte mich dann aufs Bett, das Handy in der Hand. Für einen Moment schloss ich die Augen, doch obwohl ich so fertig war, juckte es mich in den Fingern.

 

Nach einigen Augenblick schnaufte ich genervt, drehte mich auf den Bauch und öffnete den Chat mit Benedikt. Wieder las ich seine Nachrichten. Ob ich ihm noch darauf antworten sollte? Aber was?

 

'Was machst du gerade?'

 

Zu abgedroschen.

 

'Wo treffen wir uns Samstag eigentlich?'

 

Ja, das war gut. Immerhin hatten wir noch nicht wirklich was abgemacht und irgendwie mussten wir schließlich nach Hamburg kommen. Ich tippte die Nachricht ein und schickte sie ab. Eine Weile beobachtete ich das Display, aber es passierte nichts. Genau in dem Moment, in dem ich das Handy beiseite legen wollte, änderte sich jedoch die Farbe der beiden Häkchen und Benedikt wurde mir als online angezeigt. Mein Herzschlag beschleunigte sich.

 

Einige Momente lang passierte gar nichts, dann begann er zu schreiben, wie mir seine Statusnachricht verriet. Ich kam hoch und setzte mich im Schneidersitz aufs Bett. Warum dauerte das so lange? Da, endlich! Die Nachricht erschien.

 

'Weiß nicht. Hatte überlegt, mit dem Zug zu fahren. Parkplatz suchen in Hamburg ist massig.'

'Assig.'

'Dämliche Autokorrektur. :P'

 

Ich grinste, während ich anfing, eine Antwort zu tippen.

 

'Wollen wir dann zusammen fahren?'

 

'Klar, warum nicht', kam prompt zurück. 'Ich such mal eben ne Verbindung raus.'

 

Ich wartete, bis er wieder zu tippen begann.

 

'Die Demo geht um 12 los, von daher sollte es reichen, wenn wir den Zug um 9.55 nehmen. Schaffst du das?'

 

Was sollte denn die Frage? Natürlich schaffte ich das und schickte die Antwort ab. Danach biss ich mir auf die Unterlippe. Und jetzt? Jetzt war eigentlich alles geklärt. Trotzdem wollte ich irgendwie nicht „auflegen“. Also begann ich doch die Frage einzutippen, was er jetzt gerade machte. Da sah ich, dass auch er etwas schrieb. Mit über dem Display schwebenden Daumen wartete ich, was jetzt kam. Doch es passierte nichts. Er hörte einfach auf zu schreiben. Argh, wieso das denn?

 

Ich löschte meine Nachricht wieder und begann mit einer neuen Nachricht. Als ich fertig war, wartete ich noch ab. Kam von ihm noch etwas, das ich beantworten konnte, statt diese total dämliche und aus der Luft gegriffene Frage abzuschicken? Nein? Na gut, dann musste es wohl sein.

 

'Was zieht man denn da eigentlich an?'

 

Ich krümmte mich innerlich zusammen bei dieser absolut idiotischen Klischee-Frage, aber mir war auf die Schnelle nichts anderes eingefallen. Die Nachricht wurde gelesen und Benedikt begann sofort zu antworten.

 

'Na irgendwas, in dem du dich wohlfühlst. Ist doch keine Modenschau.'

 

Ich schlug mir mit dem Handy gegen die Stirn. Natürlich war die Frage dumm gewesen und er hatte ebenso unverständig darauf reagiert, wie es jeder andere halbwegs normal denkende Mensch auch getan hätte.

 

Doch was war das? Während ich mich mit dem Handy malträtiert hatte, hatte er noch mehr geschrieben. Ich las und begann wieder zu grinsen.

 

'Du kannst natürlich auch gerne im regenbogenfarbenen Einhorn-Onesie kommen.'

 

„Ha, na warte“, grollte ich und schrieb zurück.

 

'Der ist gerade in der Wäsche. Geht auch das rosa Tutu?'

 

Wieder kam Benedikts Antwort binnen weniger Sekunden.

 

'Aber nur, wenn du auch einen Zauberstab und Flügel mitbringst.'

 

Jetzt schickte er mir doch tatsächlich einen Feen-Emoji. Ich schüttelte den Kopf und grinste immer noch. Als ich gerade überlegte, was ich noch fragen könnte, schrieb er wieder.

 

'Nee, mal im Ernst. Ist alles ganz locker.'

'Es sei denn, du willst jemanden aufreißen.'

'Dann sollte es sexy sein.'

 

Ich beobachtete das Display, ob er noch etwas schrieb, aber es kam nichts mehr. Wie hatte er das gemeint? Ich überlegte gerade, ob ich noch einmal nachfragen sollte, doch da war er schon offline gegangen.

 

Sexy? Was verstand er denn unter sexy? Und was sollte der Spruch mit dem Aufreißen? So etwas in die Richtung hatte er letztens schon gesagt. Ob er vorhatte, jemanden abzuschleppen? Die Gelegenheit war vermutlich günstig. Soweit ich wusste, war das Ganze neben einer gesellschaftlichen und politischen Präsenzaktion vor allem eine große Party. Die Gelegenheit, jemanden zu finden, der ähnlich tickte wie man selbst, war dort vermutlich ungleich höher.

 

Du kannst es ihm nicht verbieten, wisperte es in meinem Kopf. Ermattet ließ ich mich zurück auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Es stimmte. Ich war nicht in der Position, Benedikt irgendetwas zu verbieten. Gleichzeitig wünschte ich, dass ich es gewesen wäre. Es hätte so vieles so unendlich viel leichter gemacht.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  z1ck3
2020-12-17T15:19:34+00:00 17.12.2020 16:19
Liebe Mag,

Argerst du den armen Theo immer noch? :D ich frage mich Benedikts Nachricht eher, was für ein Bild er gerade von Theo hat. Denkt er vielleicht Theo habe ihn nur angegraben, weil er halt gerade ein Mann in der Nähe war (also im Camp)? Denkt er Theo sei schlampig? Ooooooooooooooder war das ein Witz von wegen falls Theo BENEDIKT aufreißen will??? Fragen über Fragen und dieses ganze rumgelüge vorher.... Kein Wunder dass Theo solche Kopfweh hat.

Ich muss mich erstmal erholen und hibbelig aufs nächste Kapitel warten!!!

Liebe Grüße
Antwort von:  Maginisha
17.12.2020 16:58
Hey z1ck3!

Klar muss ich ihn ärgern.Theo ist doch zurzeit mein Lieblingsopfer. ^___^

Deine Theorien, warum Benedikt das geschrieben hat, sind ziemlich interessant und zwar alle beide. ;)

Das mit den Lügen ist tatsächlich ziemlich unschön. Zumal die ja bekanntlich kurze Beine haben. Ich kann dir aber versichern, dass ich schon fleißig tippe, damit du nicht so lange hibbeln musst. :)

Zauberhafte Grüße
Mag
Antwort von:  z1ck3
17.12.2020 19:22
Das ist zauberhaft! Aber überarbeitet dich nicht <3
Von:  Ryosae
2020-12-16T11:02:22+00:00 16.12.2020 12:02
Ohweh, die letzten zwei Sätze lassen nichts Gutes erahnen.
Bitte, bitte, bitte sag, dass er am Freitag versucht mit Mia schluss zu machen! Er wird bestimmt Ben sagen das es aus ist, ist es aber nicht.
Es wird noch viel Drama geben! Du musst uns noch etwas plüsch geben, bevor es wieder schlimm wird...bitte? 🥺
Antwort von:  Maginisha
16.12.2020 12:23
Hey Ryosae!

Ich kann dir ja mal so viel verraten: Nachdem dieses Kapitel fertig war, habe ich den Storyverlauf nochmal ein wenig umgestellt. Die neue Version wird so imo mehr Sinn ergeben. Und zweitens würde Theo Benedikt diesbezüglich nicht anlügen. Nicht nach dem, was er schon gebracht hat. Zumal das ja binnen kürzester Zeit rauskommen würde, spätestens wenn die Schule wieder losgeht. Von daher hast du dieses Drama nicht zu erwarten. Was den Rest angeht, schweige ich mich aber aus. :)

Zauberhafte Grüße
Mag

P.S.: Das hier im Kapitel war wohl kein Plüsch? :D
Antwort von:  Ryosae
16.12.2020 13:14
Hey Mag,
alles klar, warte geduldig bis zum Ende der FF 😉
Neiiiin plüsch muss was romantisches sein, oder eine gewisse Spannung zwischen den Protagonisten sein. Oder ähnlich dieser Fanservice, den du mal eingebaut hattest im Camp. 😍
Antwort von:  Maginisha
16.12.2020 13:38
Baaald. ;)


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