Das verheißene Land
Vor Clouds Augen baute sich ein riesiges Gebäude auf, das er noch nie gesehen hatte. Leise kam sein
Motorrad zum Stehen.
„Kongress Palais… Stadthalle Kassel?“, murmelte er. Eigentlich hatte er sich gerade eben noch mit
seinen Freunden auf einem Highway in Midgar befunden. Als Nächstes hatten sie vorgehabt nach
Kalm, einer kleinen Stadt nördlich von Midgar, zu reisen. Kalm. Nicht Kassel. War das hier überhaupt
noch Gaia?
Entnervt schob Cloud sein Motorrad an die Seite und ging auf das Gebäude zu. Einige Flaggen wehten
im Wind. Auf ihnen war ein merkwürdiger gelber Vogel abgebildet, der zumindest entfernt
Ähnlichkeit mit einem Chocoboküken hatte.
Je näher Cloud dem Gebäude kam, desto mehr Menschen tauchten vor ihm auf. Anders als in Midgar
sahen diese jedoch überhaupt nicht aus wie Zivilisten. Ihre Haare strahlten in bunten Farben und
auch ihre Kleidung war sogar um einiges auffälliger als alles, was die Mitglieder von Avalanche
getragen hatten. Cloud hätte sogar schwören können, dass die bunte Meute mehr auffiel als er,
obwohl er ein riesiges Schwert auf dem Rücken trug und auch seine Frisur nicht minder auffällig war.
Er ging um das Gebäude herum und hörte immer wieder Kreischen und bewundernde Rufe neben
sich. ‚Cooles Cosplay‘, riefen sie. Was immer das sein mochte, Cloud kümmerte sich nicht darum,
denn er musste seine Freunde wiederfinden.
Hinter dem Gebäude befand sich ein kleiner Park, in dem sich noch mehr bunte Gestalten
tummelten. Dann sah er plötzlich ein bekanntes Gesicht nahe einem Blumenbeet.
„Aerith!“
Sie sah zu ihm und winkte ihm fröhlich zu. Er lief zu ihr, doch bevor er sie erreichen konnte, tauchte
jemand hinter ihr auf. Mit einem breiten Grinsen erhob sich Sephiroth aus dem Blumenmeer. Er sah
verändert aus und wirkte kleiner als Cloud ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht sogar irgendwie
weiblicher, doch es war definitiv Sephiroth. Er hob sein Schwert und zielte damit auf Aerith. Cloud
zog sein eigenes Schwert, bereit sich dem Kampf zu stellen. Im nächsten Moment spürte er eine
Hand auf seiner Schulter.
„He, warst du mit dem Ding beim Waffencheck?“
Cloud fuhr herum. Noch bevor er sich losreißen konnte, erklang eine weitere Stimme vor ihm.
„Raus aus den Blumenbeeten! Immer dasselbe mit den Cosplayern!“, schimpfte jemand in einem
bunten T-Shirt, auf dem derselbe Vogel abgebildet war wie auf den Flaggen vor dem Gebäude.
Murrend verließ der merkwürdige Sephiroth das Blumenbeet. Er ließ seine Waffe sinken und trat
beiseite. Sein Blick traf schließlich den von Aerith. Sie lächelte, winkte Cloud zu und verschwand
schließlich fröhlich plaudernd mit Sephiroth, als sei nichts gewesen. Cloud verstand die Welt nicht
mehr.
„Und, warst du damit beim Waffencheck oder nicht? Ich seh‘ hier kein Bändchen“, wiederholte der
Mann, der Cloud festhielt.
„Waffen…check?“, brachte Cloud hervor. Die Ereignisse um ihn herum waren so verwirrend, dass er
keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Seufzend ließ ihn der Mann los. „Folg mir einfach, ich bring dich hin. Wir haben hier Regeln. Du
kannst nicht einfach so damit rumfuchteln. Verletzungsgefahr und so. Du verstehst schon…“
Cloud verstand kein bisschen, nickte aber dennoch. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch der Mann in
eines der bunten T-Shirts gehüllt war, ‚Connichi‘ stand in großen Lettern darauf.
Der Waffencheck war mehr eine Art missgünstiger Händlerverein. Unter dem Vorwand für Sicherheit
sorgen zu wollen, hatte man ihm nun seine Waffe abgenommen. Er könne sie ja abholen, wenn er
die ‚Con‘ verließe, hatten sie gesagt. Cloud war genervt. Jede Diskussion war zwecklos gewesen und
so hatte er zumindest für den Moment aufgegeben. Er brauchte einen Plan.
„Cloud! Da bist du ja.“
„Jessie?“ Die Person, die ihn angesprochen hatte, wirkte vertraut, aber sie klang verändert.
„Ich dachte schon, du kommst nie. Du bist gleich dran!“
Sie übergab ihm ein kleines Papierkärtchen und schob ihn weiter ins Innere des Gebäudes, bis sie
einen großen Saal erreichten. Schließlich schubste Jessie ihn in den Backstage-Bereich einer Bühne.
Ehe Cloud sie fragen konnte, was das alles sollte, klopfte sie ihm auf die Schulter und verabschiedete
sich mit einem Grinsen von ihm. Im nächsten Moment winkte einer der T-Shirt-Träger Cloud auf die
Bühne und ein Scheinwerfer wurde auf ihn gerichtet. Cloud kniff die Augen zusammen.
„Unser nächster Teilnehmer cosplayed Cloud Strife aus Final Fantasy VII! Applaus für Cloud!“
Tosender Applaus ging durch die Menge. Der Moderator, ein langhaariger Mann in einer
Dienstmädchenuniform, klatschte in die Hände und Musik wurde abgespielt. Dieses Szenario kam
Cloud deutlich zu bekannt vor. Erst vor wenigen Tagen hatte er sich im Honeybee Inn blamieren
müssen. Nochmal würde er nicht tanzen. Er ballte die Fäuste und wandte sich zum Gehen.
„Los, Cloud! Gib alles!“ Aerith saß im Publikum und feuerte ihn an.
Sein Blick traf ihren. Er seufzte tief. Dann würde er eben tun, was diese bunten Terroristen
verlangten. Nicht, dass es ihm Spaß machen würde.
Zunehmend ließ Cloud sich auf die Atmosphäre ein und sein Körper folgte dem Klang der Musik.
Schließlich endete der Tanz in einer fulminanten Abschlusspose. Die Besucher standen auf,
klatschten und jubelten begeistert. Cloud musste zugeben, dass es ein gutes Gefühl war.
Der Moderator kam auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Danke, Cloud! Das war großartig. Und nun bitte ich alle Teilnehmer noch einmal auf die Bühne! Es
ist Zeit für das Abschlussevent!“
Ehe Cloud auch nur irgendetwas hinterfragen konnte, tauchten nach und nach andere bunt
gekleidete Menschen neben ihm und dem Moderator auf. Als alle versammelt waren, ergriff der
Moderator erneut das Mikrofon und begann zu singen. Es war eine Hymne auf die Veranstaltung und
ihre Besucher.
Cloud sah fasziniert zu wie alle im Saal nach und nach einstimmten. Es war magisch, wie aus dem
Tanzwettbewerb plötzlich ein gigantischer Chor wurde. Die Atmosphäre überwältigte ihn und ein
Gefühl von Gemeinschaft erfüllte ihn wie nie zuvor.
Ein Ort höchster Glückseligkeit… war dies das verheißene Land? Es war sicherlich nicht Kalm und
wahrscheinlich war er nicht mal mehr auf Gaia, aber in diesem Moment spürte Cloud, dass er
angekommen war. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Wo immer er war, ein wenig länger
konnte er ruhig bleiben.