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Eine Chance für Ranma

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Verzweiflung

Eine Chance für Ranma

 

 

1. Kapitel

Verzweiflung

 

 

Ranma!"

Wütend stößt Akane die Tür zu Ranmas Zimmer beiseite.

„Steh endlich auf! Ich hab keine Lust, wegen dir zu spät zur Schule zu kommen!"

Instinktiv rollt sich Ranma unter seiner Decke zusammen, und da kassiert er auch schon den ersten Fußtritt des Tages.

Sie schreit noch ein wenig herum, eindeutig enttäuscht über seine fehlende Reaktion, bevor sie frustriert aus dem Raum stürmt.

Erst als er sicher sein kann, dass sie wirklich weg ist, wühlt sich Ranma aus seinen Decken. Seufzend reibt er such die schmerzenden Rippen. Dieses Mannweib hat einen Tritt wie ein Ochse! Beim Gedanken daran, dass er ab nächsten Monat mit ihr verheiratet sein wird, wird ihm ganz übel.

Nicht zum ersten Mal fragt er sich, womit er das verdient hat.

Wehmütig denkt er an seinen Traum zurück – diesen und ähnliche hat er seit geraumer Zeit – und unwillkürlich kurven sich sich seine Lippen zu einem kleinen, aber auch sehr traurigen Lächeln. Gedankenverloren fährt er sich mit der rechten Hand über die linke Brust. Manchmal glaubt er diese Hand noch dort zu spüren, doch es ist inzwischen so lange her, dass es nur noch zum Echo einer Erinnerung geworden ist. Nur in diesen Träumen, da wiederholt sich dieser eine Moment immer wieder und dann fühlt es sich nicht mehr wie ein Echo an. Oder wie eine Erinnerung.

Seine Träume beginnen immer mit diesem einen, ganz besonderen Moment, aber dann ändern sie sich immer, weichen weit ab von dem, was wirklich passiert ist, und egal, welchen Verlauf sie nehmen, es ist immer besser als das.

In seinen Träumen ist er glücklich.

In seinen Träumen kann er er selbst sein.

In diesen Träumen wird er geliebt.

 

 

 

Wie erwartet, erreichen sie die Schule, kurz bevor sich die Tore schließen - wofür ihm Akane zornig eine Kopfnuss gibt, bevor sie zu ihrem Klassenzimmer rennt. Dabei hat sie niemand gebeten, auf ihn zu warten. Er ist nicht Ryouga - er hätte den Weg zur Schule auch ganz allein gefunden!

Noch vor zwei Wochen hätte er sich das nicht alles von ihr gefallen lassen, aber seit der Termin für die Hochzeit steht, fühlt er sich mehr denn je in einer aussichtslosen Situation gefangen. Irgendwie hat ihn jeder Kampfeswille verlassen.

Sich seufzend den Hinterkopf reibend, macht er sich eilig daran, wenigstens nicht allzu spät im Klassenzimmer anzukommen.

Denn eigentlich geht er gerne zur Schule. Er hat hier Freunde, und er will etwas lernen. Es ist nicht seine Schuld, dass sein Vater ihn die ersten Jahre seiner Kindheit nicht zur Schule geschickt hat und er deswegen jetzt in allem hinterher hinkt und mehr lernen muss als alle anderen. Er wünschte nur, er hätte genug Zeit dazu ... Wenn ihn sein Vater und dessen Busenkumpel Tendō nicht ständig dazu zwingen würden, zu trainieren, dann wären seine Noten vielleicht besser als unterer Durchschnitt.

Von daher gibt er sich im Unterricht immer besonders viel Mühe, mitzukommen. dass er in den letzten beiden Wochen sogar damit aufhörte, mit seinen Freunden zu flüstern oder in den Pausen zwischen den Stunden herum zu blödeln, fällt aber niemanden wirklich auf.

Ihm ist es nur Recht so.

Inzwischen ist der Unterricht die schönste Zeit des Tages, auch, weil es dann so gesittet und ruhig zugeht, ganz anders als im Haus der Tendōs, wo er ständig von einem Wespennest ins andere stolpert und immer nur angebrüllt wird.

Hier wird er auch von keiner seiner anderen Verlobten oder Liebesrivalen genervt, weil sie nicht auf die Furikan Oberschule gehen. Außer Kuonji Ukyō vielleicht, aber sie hat sich, seit der Termin der Hochzeit steht, noch mehr zurückgezogen als Kunō Tatewaki. Kunō geht hier wenigstens noch zur Schule, aber Ukyō hat ihre immer angedrohten Pläne wahrgemacht, die Schule abgebrochen und arbeitet nur noch in ihrem Okonomiyaki-Restaurant. Ranma vermisst Ukyō, denn trotz allem war sie immer eine gute Freundin und sie kennen sich schon seit ihrer Kindheit. Aber er traut sich auch nicht, sie in ihrem Restaurant zu besuchen. Er will ihren Kummer nicht noch vergrößern.

Akane geht hier zwar auch zur Schule, aber in eine andere Klasse und getreu den Schulregeln umgibt sie sich auch in der Mittagspause nur mit ihren Klassenkameraden. Wenn es hochkommt, erhaschen sie in der Cafeteria einen Blick aufeinander oder wechseln ein paar höfliche Grußworte, aber das ist, zu Ranmas großer Erleichterung, alles.

Er hat seine eigenen Freunde, deren Gesellschaft reicht ihm. Hiroshi und Daisuke sind witzig und immer zu kleinen Streichen aufgelegt, und ihre dummen Sprüche, die sie bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit heraushauen, entlocken ihm manchmal sogar ein kleines Lächeln.

Heute allerdings nicht. Heute fühlt sich Ranma einfach nur niedergeschlagen.

„Isst du schon wieder nichts?" will Hiroshi von ihm wissen, als sie zusammen am Mittagstisch sitzen und gibt sich die Antwort dann auch sofort selbst: „Bist wohl aufgeregt wegen deiner Hochzeit."

Er grinst süffisant.

Aber Ranma stochert nur weiterhin schweigend in seinem Bento herum. Das ist das einzig Gute am Tendō-Haushalt: Kasumis Kochkünste. Außerdem vergisst Akanes große Schwester nie, ihm eine kleine Nascherei dazu zu packen. Nur schade, dass er wirklich keinen Appetit mehr hat. Und der letzte Rest davon vergeht ihm, als er Daisuke neben sich schwärmen hört:

„Ich kann es immer noch nicht glauben: jetzt ist es soweit und du heiratest das schönste Mädchen der Schule."

Hiroshi nickt zustimmend.

„Ich bin total neidisch auf dich, Ranma."

Ranma zieht es vor, zu schweigen. Er weiß aus Erfahrung: jedes Verziehen der Miene oder Widerwort wäre nur der Auftakt zu einer langatmigen Diskussion, und dazu steht ihm wirklich nicht der Sinn.

Es gibt niemanden, der ihn versteht.

Er hat es versucht.

Aber alle hier denken, Akane wäre süß und wenn sie mit ihm ungeduldig wird und ihn anbrüllt und zuschlägt, dann hätte er es verdient. Sie freuen sich auf die Hochzeit und beneiden ihn.

Am liebsten würde er ihnen Akane schenken.

Nein, besser noch: sein Leben! Das mag er sowieso nicht mehr.

Lustlos schiebt er die Reisbällchen von einer Ecke der Bentobox in die andere und überlegt sich, ob der Landstreicher mit den kleinen Hund, der immer im Park herumsitzt, wohl wieder Hunger hat. Die letzten fünf Reisbällchen samt Beilagen hat er jedenfalls dankbar angenommen.

Vielleicht füttert er heute aber auch nur die Enten damit. Bis auf den Nußriegel natürlich, den isst Ranma selbst. Er ist so in Gedanken versunken, dass ihn erst das auffällige Benehmen seiner beiden Freunde wieder zurück ins Hier und Jetzt holt.

„Uh", macht Daisuke, schüttelt sich kurz und saugt dann auffällig hastig weiter am Strohhalm seiner Milchtüte.

„Was ist los?" will Hiroshi neugierig wissen.

„Da ist Kunō ", flüstert Daisuke zurück mit einem angedeuteten Kopfnicken an die Wand, wo die Getränkeautomaten stehen. Dabei schneidet er eine Grimasse und schaudert übertrieben. „Er starrt so merkwürdig zu uns rüber."

Hiroshi grinst nur.

„Na und? Laß ihn doch. Wenn er frech wird, macht Ranma ihn fertig wie immer." Lachend gibt er Ranma einen Ellbogenstoß in die Seite. Der hebt kaum den Kopf und gibt nur ein unbestimmtes Brummen von sich.

„Wenn ich genauer darüber nachdenke, ist es doch schon eine Weile her, dass ihr gekämpft habt", redet Hiroshi da schon weiter. „Er hat wohl aufgegeben, weil du und Akane bald heiraten."

„Er hat es wohl endlich kapiert",stimmt Daisuke ihm zu.

„Und das Schuljahr ist auch bald um. Dann ist er mit der Schule fertig und wir müssen ihn nie wieder sehen."

Ranma schluckt schwer. Und starrt nur weiterhin angestrengt auf sein Essen. Er muss den Kopf nicht heben, er kann Kunōs Blicke spüren. Alles in ihm drängt danach, etwas dagegen zu unternehmen, er will aufspringen, zu ihm hinüber sprinten und ihn zur Rede stellen. Ihn anschreien und fragen, was das soll? Wieso kommt er nicht mehr zu ihm hinüber und provoziert einen Kampf? Wieso hat er aufgegeben? Wieso?

Doch alles, wozu Ranma kommt, ist aufzustehen, seine Bentobox zu nehmen und mit schlurfenden Schritten die Cafeteria zu verlassen.

Auf dem Gang muß er plötzlich mit den Tränen kämpfen. Es gelingt ihm gerade noch rechtzeitig, sich auf die Jungentoilette in eine Kabine zu retten. Dort verbringt er den Rest der Mittagspause, mit angezogenen Beinen auf dem heruntergeklappten Toilettensitz hockend, und er gibt keinen Laut von sich, während ihm Tränen über die Wangen rollen, jede Sekunde in der Hoffnung, dass ihn niemand entdeckt.

Es ist nicht nur so, dass ihn niemand entdeckt – es scheint ihn auch niemand zu suchen.

Denkt er. Denn plötzlich hört er das charakteristische Klicken der sich schließenden Haupttür, gefolgt von Schritten und dann hört er ein unsicheres Räuspern.

„Saotome? Saotome... -kun?“ Ein kurzes, bedeutsames Zögern vor dem „kun“.

Ich bin hier, will Ranma unwillkürlich antworten, aber dann bringt er doch keinen Ton heraus und rollt sich stattdessen nur noch enger in sich zusammen. Er hält sogar den Atem an. Nach fünf Sekunden bangen Wartens entfernen sich die Schritte wieder und als sich die Tür hinter Kunō wieder schließt, fühlt sich Ranma schlechter als jemals zuvor.

 

 

 

Den Rest des Tages versucht er, dem Unterricht zu folgen so gut es geht. Zu seiner großen Erleichterung sind Daisuke und Hiroshi nicht an einer ausschweifenden Erklärung interessiert, wohin und warum er so plötzlich verschwunden ist. Außerdem stehen die Zwischenprüfungen vor der Tür, da kann es sich niemand von ihnen leisten, nicht dem Lehrer zuzuhören.

Aber Ranmas Motivation fällt ins Bodenlose, als er den Mathetest von letzter Woche zurück erhält. Mit diesen Noten ist die Zwischenprüfung schon gelaufen, bevor er sie angefangen hat. Und dabei hat er nächtelang gelernt, um diese Algebra-Formeln zu kapieren. Es hat nichts genutzt. Akane hat wohl recht, wenn sie ihn immer einen idiotischen Versager nennt! Wozu überhaupt noch die ganze Mühe?

Das ist doch sinnlos!

Und ab diesem Moment geht es immer schneller bergab.

Es ist wie ein großer, dunkler Sog, dem er nicht mehr entkommen kann. War die Welt schon vorher grau und farblos, ist sie nun regelrecht düster. Und kalt. So furchtbar kalt. Und dieser Gedanke, dieses „ich-will-nicht-mehr“, das in den letzten Wochen immer häufiger wurde, füllt nun sein gesamtes Wesen aus.

Er hat keine AG, aber normalerweise würde er trotzdem nach Unterrichtsende länger bleiben, einfach, weil alles besser ist, als nach „Hause“ zu den Tendōs zu gehen.

Inzwischen allerdings ist er in einem Zustand, wo er gar nicht vorhat, nach „Hause“ zurück zu kehren.

Nie wieder.

Es ist daher noch hell, als er die Schule verlässt – auch wenn sich am Himmel die ersten grauen Wolken zusammen ballen. Das Wetter passt zu seiner Laune.

Seine Füße tragen ihn wie von selbst in den Park, wo er den Vagabunden mit dem Hund trifft und ihm sein nicht angerührtes Mittagessen einfach wortlos in die Hand drückt. Der Mann bedankt sich aufrichtig bei ihm, aber Ranma hört seine Worte gar nicht.

Er geht schon weiter, scheinbar ziellos.

Erst als er auf der Brücke ankommt, erwacht er aus seinem tranceähnlichen Zustand und versteht, wohin ihn sein Unterbewußtsein geführt hat.

Lange starrt er in den träge dahin strömenden Fluß unter sich.

Als die ersten Regentropfen fallen, sorgt sich Ranma für einen Augenblick, dass er sich in ein Mädchen verwandeln könnte. Aber so kalt ist der Regen noch nicht. Der Fluß dagegen … wird man ihn überhaupt erkennen, wenn man ihn aus dem Wasser fischt? Oder wird er als unbekannte Tote beerdigt?

Der Gedanke lässt ihn einen Moment zögern, aber dann klettert er doch auf das Geländer.

 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Witch23
2020-08-03T13:54:19+00:00 03.08.2020 15:54
Nur anbei kann SPOILER enthalten ^_^


Tatsächlich ist die Frage ob er wenn er verstirbt sich wieder zurück verwandelt berechtigt. Aber da die Manga und Anime Reihe weniger ernst war, ist es tatsächlich müßig darüber nachzudenken. Man könnte im Grunde selber etwas festlegen.
Ranmas Abwärtsspirale finde ich immer noch gut getroffen. Und auch wenn ich selber nicht das Pech hatte so etwas zu erleben, zumindest nicht so, ist es doch nachvollziehbar und von dem was ich über Depressionen erfahren habe, trifft es den Kern der Sache.

Schlimme ist das zwar von außen Hilfe geleistet werden muss, aber nicht jeder dafür geeignet ist zudem muss letztlich der betroffene sich selber helfen.

Hier ist es zum Glück auch so das es eher ne Depressive Episode ist, bzw alles nicht so hoffnungslos wie vermutet.
Aber wenn ich mehr sage würde ich mehr Spoilern als ich möchte XD
Antwort von:  MariLuna
03.08.2020 18:37
Mach dir mal keine Sorgen ums spoilern, bin mir sicher, das hier liest eh kaum einer. Und wenn, dann fangen die bestimmt nicht bei den Reviews an ^^
wenn es nur darum geht, kurze depressive Phasen zu beschreiben, das mache ich ja gerne und oft. Es ist eben wirklich die Art Niedergeschlagenheit/ Hoffnungslosigkeit, bei der von außen geholfen werden kann. Oder geholfen werden könnte, wenn es eine Tragödie wird.


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