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Neue Anfänge

Daichi x Kiyoko
von

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Neue Anfänge

Ein kurzes Klingeln ließ Daichi an diesem Morgen erwachen und nach seinem Handy greifen, das wie gewohnt neben seinem Kissen lag. Er musste einige Male gegen die künstliche Helligkeit anblinzeln, um die Textnachricht und ihren Absender entziffern zu können.

„Hey, Daichi, da zwei Arbeitskollegen ausfallen, wurde ich gebeten, heute die Morgenschicht zu übernehmen. Tut mir wirklich leid, dass ich es nicht zum Treffen heute schaffe. Grüß die anderen von mir. Sugawara“, las Daichi die Nachricht murmelnd vor, während er sich daran zu erinnern versuchte, welchen Tag sie hatten und was für ein Treffen Sugawara eigentlich meinte.

Ein Blick auf das Datum löste das Rätsel der geistigen Umnachtung, die einer Nacht mit nur wenig Schlaf entstammte. Sie hatten den ersten Januar, was bedeutete, dass er mit Asahi, Shimizu und Sugawara verabredet war, um den Shinto-Schrein zu besuchen, so wie es in den letzten Jahren zur Tradition zwischen ihnen geworden war.

Die Erinnerungen an all die vorigen gemeinsamen Besuche erfüllten Daichis Herz mit einer angenehmer Wärme, als er aus dem Bett stieg, um sich anzuziehen. Zwar betrübte es ihn, dass Sugawara diesmal nicht mitkommen konnte, aber Daichi verstand, dass sie alle inzwischen ein Teil der Arbeitswelt waren und verschiedene Ziele verfolgten, die gelegentlich auch Opfer erforderten. Und Daichi wusste, wie wichtig Sugawara sein Studium war und dazu gehörte es auch Geld zu erarbeiten, um dieses finanzieren zu können.

Frischer Schnee war über Nacht gefallen, wie Daichi bemerkte, als er den schwarzen Schal um seinen Hals wickelte und den Reisverschluss seiner Winterjacke noch etwas höher zog. Anschließend zog er die Haustür hinter sich zu und machte sich auf den Weg zum Treffpunkt.

Auch dieser hatte sich in den letzten Jahren nicht geändert und wie es meist so der Fall war, fand sich Daichi nicht nur verfrüht, sondern auch als erster am Treffpunkt wieder. Ausmachen tat es ihm nichts, nur schmunzelte er über sich selbst, da es eher die Gewohnheit und nicht die Nervosität war, die es zu verantworten hatte.

Das Lächeln auf seinen Lippen wich einem erstaunten Ausdruck, als sein Mobiltelefon eine weitere Textnachricht ankündigte. Vorsichtig holte Daichi es heraus, damit es ihm nicht sogleich aus den kalten Fingern glitt. Die Textnachricht war von Asahi. Eine dunkle Vorahnung ergriff von Daichi Besitz und ließ das Herz in seiner Brust flattern, noch ehe er die Nachricht geöffnet hatte.

„Hi, Daichi, ich habe mich erkältet und Nishinoya lässt mich nicht aus der Wohnung. Es tut mir leid. So, so, so leid. Ich hoffe, du bist nicht zu sauer. Es tut mir l—“ Daichi steckte sein Handy weg, anstatt all die Entschuldigungen weiterzulesen, die den Rest der Nachricht einnahmen. Immerhin hätte es eine Entschuldigung auch getan und es war nicht so, als ob Daichi darauf bestehen würde, dass sich jemand bei diesen Temperaturen und mit einer Erklärung hinausschleppte, um einen Schrein zu besuchen.

Sich warme Luft in die Hände pustend, um das Gefühl nicht gänzlich in den Fingern zu verlieren, beobachtete Daichi die vorbeifahrenden Autos auf der Straße, als er darüber nachdachte, dass er heute weder Sugawara noch Asahi zu Gesicht bekommen würde.

„Sawamura“, unterbrach ein Ausruf Daichis Gedanken. Er hob den Blick, um Shimizu anzuschauen, die eingehüllt in einen dunklen, eleganten Wintermantel auf ihn zukam.

Ein paar vereinzelte Schneeflocken suchten sich den Weg vom Himmel und verfingen sich in ihrem dunklen Haar, als sie vor ihm zum Stehen kam. Es war dieser Anblick, der Daichi aus seiner betäubten Starre riss. Mit einem Schlag wurde ihm bewusst, dass er allein mit Shimizu war und weder Sugawara und Asahi heute noch zu ihnen stoßen würden.

„Shimizu…“, entrann es Daichi, eine viel zu lange Pause einlegend, als er sich mit ihrem noch immer viel zu vertrauten, geduldigen Blick konfrontiert sah. „Hast du… Hast du Sugawaras und Asahis Textnachrichten erhalten?“

Shimizu nickte sachte. „Ihnen ist etwas dazwischen gekommen“, fasste sie die erhaltenden Informationen zusammen. „Sie kommen heute nicht.“

Daichi kratzte sich am Hinterkopf. „Ich wünschte, wir hätten es früher gewusst, dann—“

„Wenn wir schon mal hier sind, wäre es respektlos den Schrein nicht zu besuchen“, meinte Shimizu so sachlich, dass Daichi nur erstaunt dreinblicken konnte.

„Ähm… ja… also, du hast vollkommen recht.“ Zwar hatte sich Daichi den jährlichen Besuch nicht so vorgestellt, aber er konnte Shimizus Worte auch nicht widerlegen.

Seine Mundwinkel hoben sich zu einem schmalen Lächeln, auch wenn eine merkwürdige Art der Nervosität noch immer wie eine elektrische Energie unter seiner Haut kribbelte. Trotzdem erfasste Daichi eine gewisse Vertrautheit, als er mit Shimizu loszog und schweigend neben ihr herging.

Daichi stieg neben Shimizu die steinernen Stufen zum Schrein hinauf. Der Schnee war fortgeschaufelt worden, doch Daichi beobachtete bei ihrem Aufstieg wie sich die einzelnen, dicken Flocken auf dem kalten Gestein festsetzten und eine feine Schicht bildeten.

„Ich erinnere mich noch, wie nervös ich damals gewesen bin“, sagte Daichi irgendwann, die Hände wieder tief in die Jackentaschen vergraben, um sie vor der Kälte zu schützen.

„Damals?“, erkundigte sich Shimizu.

Daichi lächelte bei dem Gedanken an die vergangene Zeit, die sie alle gemeinsam verbracht hatten. „Damals vor dem Turnier. Ich hatte einen sehr merkwürdigen Traum.“

Einige Leute kamen ihnen auf der anderen Seite der breiten Steintreppe entgegen, getrennt durch ein dünnes, eisernes Geländer, und machten sich auf den Weg des Abstiegs, da sie den Schrein bereits einen Besuch abgestattet hatten.

„Ich habe damals geträumt, dass der Basketballclub die Turnhalle eingenommen hat, da es den Volleyballclub nicht gegeben hat.“ Daichi lachte leise auf, da der Traum fürchterlich absurd gewesen war, aber ihn trotzdem nach seinem Erwachen erschüttert hatte. „Ich war so erschrocken, dass ich vor unserem Treffen am Schrein zur Turnhalle gegangen bin.“

Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie sich Shimizus Mundwinkel hoben und sie eine behandschuhte Hand an die Lippen führte.

„Ich habe auch etwas geträumt“, gestand sie, als sie die letzten Stufen hinter sich zurückgelassen hatten und der verschneite Shinto-Schrein sich vor ihnen mit seiner vertrauten, majestätischen Schönheit auftat.

Daichi warf Shimizu einen erstaunten Blick zu. „Du auch?“

„Ich habe geträumt, dass Hinatas Fahrrad auf dem Weg zum Bus einen Platten gehabt hat und sich dadurch unsere Abfahrt verzögert hat“, erklärte Shimizu mit sanfter Stimme, als sie den Schrein erreichten.

Daichi unterdrückte ein Lachen, als er stattdessen die Hände aus den Jackentaschen nahm und die Handflächen aneinander legte. Wortlos verneigten sie sich beide, wobei Daichi nicht einmal lange überlegen musste, um zu wissen, was er sich für das neue Jahr wünschen sollte. Es gab bereits viele kleine Dinge, für die er dankbar war, einschließlich der Aufnahme in die Polizeiakademie und dass er diesen Tag mit Shimizu verbringen durfte. Daher war sein Wunsch für das kommende Jahr eine Fortsetzung dessen und beinhaltete sowohl Shimizu, als auch Asahi und Sugawara, die ähnlich wie er, einen neuen Abschnitt in ihrem Leben begonnen hatten.

„Shimizu...“, entwich es Daichi leise, als sie den überdachten Tempel verließen. „Frohes neues Jahr.“

„Dir auch ein schönes neues Jahr, Sawamura“, erwiderte Shimizu und verlangsamte ihre Schritte, bis sie endgültig zum Stillstand kam. „Sollen wir uns Glückslose kaufen?“, fragte sie. „So sie sonst?“

Auch Daichi blieb nun stehen, um ihrem Blick zu dem kleinen Stand hinüber zu folgen. „Sollten wir“, bestätigte er. „Das ist inzwischen auch so etwas wie eine Tradition für uns, nicht wahr?“

Sie reihten sich in die kurze Schlange ein, die sich vor dem Stand gebildet hatte, waren aber innerhalb weniger Minuten an der Reihe. Daichi zog seine Geldbörse hervor. „Lass mich das bezahlen.“

Für den Bruchteil einer Sekunde öffnete Shimizu den Mund, ehe sie Daichi ein schmales Lächeln schenkte.

Shimizu schob die Hand in die hölzerne Kiste, um zwei Glückslose hervorzuziehen. Anschließend schlenderten sie davon, fast so, als wären sie eines der vielen Paare, die an Neujahr zusammen den Schrein besuchten. Daichi sah viele davon um sie herum, wurde ihm schlagartig bewusst und seine kühlen Wangen erhitzten sich.

„Hier.“ Shimizu reichte ihm sein Glückslos und der Moment, in dem Shimizus behandschuhten Finger seine streiften, brachte die anfängliche Nervosität mit einem Schlag zurück.

Die Erkenntnis traf Daichi erneut wie ein Blitz, der ihm sämtliche der kurzen Härchen im Nacken zu Berge stehen und sein Herz einen Schlag aussetzen ließ: Er war allein mit Shimizu und, wichtiger noch, es gefiel ihm.

„Was sagt dein Los, Sawamura?“, erkundigte sich Shimizu.

„Oh...“ Daichi öffnete sein Papierlos und las es, wobei sein Mund sich plötzlich furchtbar trocken anfühlte. „Neue Jahre sind wie neue Anfänge oder Türen, von denen man nicht erwartet hätte, dass sie sich öffnen.“

Ein Moment der Stille herrschte zwischen ihnen, ehe Shimizu ihm ihr Los hinhielt. „Es passt zu meinem“, stellte sie fest. „Geöffnete Türen und Fenster lassen unerwartetes Licht hinein.“

„Es... passt tatsächlich.“ Mit einem leisen, rauen Lachen kratzte sich Daichi am Hinterkopf. „Auch sehr passend, um das neue Jahr einzuläuten“, fügte er hinzu. „Sehr abgestimmt.“

Shimizu nickte kaum merklich, wobei Daichi nicht sagen konnte, ob sie seine plötzliche Verlegenheit nicht bemerkte oder sie mit der gewohnten Eleganz ignorierte. Was auch immer es war, Daichi war ihr dankbar dafür.

Sein Blick senkte sich und blieb an den Glückslosen hängen, die sie noch immer in den Händen hielten, so nah beieinander, als gehörten sie tatsächlich zusammen. Vielleicht war dies ebenfalls ein neuer Anfang, ging es Daichi dabei unwillkürlich durch den Kopf.

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. „Hey, Shimizu“, begann er, ehe der Mut wieder die Gelegenheit bekam, ihm zu entfleuchen. „Ich habe mich heute früh so schnell auf den Weg gemacht, dass ich glatt das Frühstücken vergessen habe. Wie wäre es, wenn wir irgendwohin gehen und es nachholen? Hast du Appetit?“

Shimizu sah ihn mit unleserlichem Ausdruck an, doch den Sekundenbruchteil später lächelte sie sanft. „Das trifft sich gut. Ich habe heute auch noch nicht gefrühstückt.“

Daichis Finger schlossen sich fester um das Los, bevor er es in die Jackentasche steckte und sie sich an den Abstieg machten. Ein letzter Blick ging über seine Schulter zu dem Schrein, der ihn in den letzten Jahren schon so einige Wünsche erfüllt und ihm gute Jahre beschert hatte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SarahSunshine
2020-07-27T11:06:46+00:00 27.07.2020 13:06
Aww wie schön *^* so eine niedliche kleine Geschichte! Das war richtig erheiternd und flüssig! Es ist sowieso immer süß wie die älteren um Shimizu rumschwärmen und hier hast du einfach einen tollen Moment eingefangen.
Die abgestimmten Glückslose haben mir am besten gefallen!!

Einmal hast du geistliche Umnachtung geschrieben, ich glaube dazu sagt man geistige, weil geistliche eher eine religiöse Bedeutung hat?

Ansonsten war das tolle Unterhaltung für meine Mittagspause :)


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