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Gegensatz und Vorurteil

- Ehemals Schubladenmagnet -
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~ 23 ~

 

 

Pauls POV

Die Sonne scheint durch die Baumwipfel und malt flackernde Lichter in die sich bewegenden Schatten der umliegenden Bäume. Der Frühling geht langsam in den Sommer über und das merkt man auch an den Temperaturen, wobei ich mich deutlich mehr auf die hitzige Jahreszeit freue als Josh. Mein Freund scheint mehr der Herbsttyp zu sein und jammert schon jetzt scherzhaft darüber, wie warm ihm immer in den schwarzen Klamotten ist.

„Dann zieh halt keine an.”

„Ne, ich trag nur schwarz, kommt gar nicht in die Tüte”, empört er sich schmunzelnd.

„Das meinte ich damit auch nicht”, erwidere ich frech und zwinkere ihm zu. Es braucht einen Moment, das sehe ich daran, wie sein Ausdruck von fragend zu schockiert wechselt. Ich kann nicht anders als zu lachen, so wie er mich ansieht.

„Du...”, knurrt er, zieht mich an unseren verbundenen Händen zu sich ran, bis sich unsere Oberkörper berühren.

„Was ich? Ich will doch nur hilfreiche Tipps geben.” Ich beiße mir auf die Unterlippe und blicke von unten zu ihm hinauf. Meine Hand, die seine hält, hat er hinter meinen Rücken geführt und hält mich so an sich gedrückt, die andere lasse ich an seiner Knopfleiste entlangwandern. Ich weiß mittlerweile ziemlich genau wie er auf mich reagiert und dieses Wissen berauscht mich.

„Von wegen hilfreiche Tipps.” Die Augenbrauen gefährlich zusammengezogen, beugt er sich zu mir herab. Ich strecke mich, komme die letzten Zentimeter ungeduldig entgegen. Ich spüre seine freie Hand auf meinem Po und seufze zufrieden auf.

Wir lösen uns erst wieder, als sich eine Gruppe nähert. Ausnahmsweise bin ich froh um das laute Geschnatter, das sie schon von weitem ankündigt. Joshua will sich von mir lösen und beinahe trotzig halte ich seine Hand fest, was mir einen fragenden Blick einbringt. Ich zucke die Schultern und recke das Kinn ein wenig in die Höhe. Ein schiefes Lächeln umspielt die Mundwinkel des Schwarzhaarigen, er drückt verstehend meine immer noch mit seinen verschränkten Finger und so gehen wir den Weg weiter, auch, als wir die fremden Menschen passieren. Wir beachten sie gar nicht groß und ebenso ergeht es uns. Ein bisschen nervös war ich schon, auch wenn ich Josh das nicht zeigen wollte und umso größer ist die Erleichterung und der Stolz, einfach mal ich selbst gewesen zu sein.

 

Unser zweiter Zwischenstopp ist deutlich weiter abseits der Wege, die letzten Meter müssen wir uns querfeldein schlagen. Dafür ist der Ort verdammt beeindruckend. Wieder eine Lichtung, diesmal gesäumt von fünf uralten Bäumen, die in etwas Abstand zueinander stehen und ihre weit ausladenden Äste schützend über den Wald ausbreiten.

„Wenn ich das richtig verstanden habe, soll unser nächster Hinweis unter dem dritten Baum sein.” Joshua sieht skeptisch zu der alten Eiche.

„Ein Glück dass es fünf sind, dann ist es aus jeder Richtung der mittlere.” Ich habe längst keine Hemmungen mehr und gehe schnurstracks auf besagten Baum zu. Die Wurzeln ragen hier und da aus der Erde und bilden kleine Höhlen. Diesmal bin ich es, der die blaue Brotbox mit Clipverschlüssen zuerst entdeckt. „Ha!” Triumphierend halte ich unsere Beute hoch.

„Das ging ja schnell”, freut sich Joshua und kommt zu mir.

„Wieder nur Koordinaten.” Ich halte ihm den Zettel hin.

„Aber die letzten, die hier sollten zum Ziel führen.” Er tippt sie in sein Handy ein.

„Hm, wie wäre es, wenn wir diesen Pfad nehmen und dort dann auf den Richtung Westen wechseln?” Ich deute entsprechend auf die Karte.

„Oder hier lang und dann da?”

Wir diskutieren noch ein wenig, trinken aus unseren mitgebrachten Flaschen und einigen uns schließlich. Als ich mich zum gehen wende, hält Joshua mich auf.

„Du hast vergessen.”

„Hä?”

„Das hier!”

Seine Lippen schmecken nach Zitronenlimonade und mir ist, als würde ich das Prickeln der Kohlensäure auf meiner Zunge spüren können.

 

„Und hier sind wir richtig?” Skeptisch blicke ich mich um.

„Laut GPS ja.” Auch Josh sieht sich kritisch um. Der Ort ist wenig bemerkenswert, im Vergleich zu den beiden vorherigen. Keine Felsen, keine große Lichtung, einfach nur ein Stück Wald wie alles drumherum auch.

Wir suchen die Umgebung akribisch ab, aber nichts sieht verdächtig aus. Frustriert lasse ich mich auf einen Baumstamm plumpsen, mein Freund setzt sich kurz darauf neben mich.

„Schon komisch. Ob jemand die Box mitgenommen hat?”

„Keine Ahnung. Aber irgendwie gemein, da machen wir die ganze Route und dann-” Ich stutze. Sehe nach unten. Schwinge meine Beine erneut, wie zuvor vor und zurück, bis meine linke Ferse gegen ein herumliegendes Aststück kommt. Keine Einbildung, das entstandene Geräusch klingt alles andere als natürlich.

„Oh man, ich glaube du hast es gefunden!” Begeistert springt Joshua wieder auf, kniet sich vor mich und zieht das vermeintliche Holz hervor. „Das ist aus Plastik.” Bei genauerer Betrachtung fällt es auch mir auf.

„Mach auf, mach auf”, feuere ich ihn an.

Es dauert kurz, dann hat er den Mechanismus gefunden und nimmt den Deckel ab. Darin befinden sich ein Stift, eine handvoll Sticker und ein kleines Büchlein, extra verpackt in eine wasserfeste Tüte.

„Das muss das Logbuch sein.” Der Schwarzhaarige setzt sich mit unserer Beute wieder neben mich und reicht mir das falsche Holzstück. Ich nehme einen der Sticker an mich.

„'Jeder Ort kann mehr sein, als man auf den ersten Blick denkt.' Hm. Ein bisschen philosophisch, oder?”

„Könnte schlimmer sein. Stell dir vor, da stünde 'Der Weg ist das Ziel.' oder 'Schönheit liegt im Auge des Betrachters.'”, kommentiert er.

„Stimmt”, schmunzle ich und nehme einen der Sticker für uns als Belohnung an mich.

„Soll ich uns eintragen?”, fragt Joshua, das aufgeschlagene Logbuch auf den Knien.

„Ja, mach ruhig. Ich hab's gefunden, dafür darfst du uns verewigen.”

Er kritzelt etwas in das kleine Kästchen, das uns zusteht und schlägt das Buch zu, ehe ich noch einen Blick darauf werfen kann.

„Gut, dann packen wir wieder alles zusammen und machen uns auf den Heimweg. Oder willst du noch hierbleiben?” Fragend sieht er mich an.

Ich schüttel den Kopf. „Nein, wir können gerne weiter. Ist ja auch noch ein gutes Stückchen.”

„Joa, geht. Wir können den Bus am Landgasthof nehmen, das ist deutlich kürzer als den ganzen Weg zurück.” Mein Freund hat vorausgeplant.

„Machen wir. Die Schnitzeljagd war toll, aber so langsam merke ich meine Füße. Bin halt nichts gewohnt, so als Stubenhocker.” Ich grinse, obwohl ich das durchaus ernst meine.

„Armes Paulchen”, lacht Joshua. „Wenn du nicht mehr kannst, kann ich ja versuchen dich zu tragen.”

Jetzt ist es an mir, zu lachen. „Oh, ich glaube dafür bin ich dann doch zu schwer.” Ich schultere meinen Rucksack, derweil Joshua den falschen Ast zurücklegt.

„Ach, ein kurzes Stück schaffe ich das schon”, ist er sich sicher.

„Hoffen wir einfach, dass wir das heute nicht ausprobieren müssen.”

 

Der Weg bis zum Landgasthof zieht sich weiter, als gedacht. Tragen muss Joshua mich aber nicht, dafür laufen wir wieder ganz offen Hand in Hand. Es ist ein schönes Gefühl und zum ersten Mal kommt in mir das Bedürfnis hoch, meine Gefühle für ihn in die Welt hinaus zu schreien oder sie zumindest nicht mehr zu verheimlichen. Was wohl unsere Freunde dazu sagen werden? Wegen Charly mache ich mir immerhin keine Sorgen, ich glaube der ahnt es ohnehin. Matz und Kathi kann ich schlecht einschätzen, sie haben aber zumindest nie negativ über LGBTQ+ gesprochen.

Über Joshuas Seite muss ich mir zum Glück keine Gedanken machen, die wissen eh alle, wie er tickt und dass ich mehr als nur ein Kumpel bin. Mir steigt prompt die Röte ins Gesicht, als ich an den 'Kondomvorfall' seiner Schwestern denke. Wie unangenehm! Wie kommt man nur auf so Ideen?

„Alles okay?” Die Frage reißt mich aus den peinlichen Erinnerungen.

„Äh, ja?”, kiekse ich, räuspere mich und versuche es erneut. „Alles okay.”

„Wirklich?” So ganz glaubt er mir nicht. Täte ich auch nicht.

„Ja, ich war nur... in Gedanken”, gebe ich zu.

„Aha?” Zunächst wirkt es, als wolle er noch mehr sagen, verkneift es sich aber dankbarerweise. „Wollen wir unterwegs essen oder bei dir was bestellen? Oder kochen natürlich, falls du das lieber magst.”

Ich überlege nur kurz. „Lass uns was bestellen.”

 

Die Bestellung schicken wir ganz neumodisch langweilig via App während der Busfahrt raus. Wir hatten Glück und mussten nur wenige Minuten warten, bis das nächste Beförderungsmittel für uns kam.

Als ich die Haustür aufschließe und uns ins leere Innere lasse, wandert eine Welle kribbelnder Aufregung meine Wirbelsäule hinauf und lässt mich erschauern. Wir haben es zuvor nie explizit angesprochen und doch ist zumindest von meiner Seite aus klar gewesen, dass Joshua über Nacht bleiben wird, jetzt, wo ich sturmfrei habe.

„Machen wir es uns in meinem Zimmer gemütlich, bis das Essen kommt”, schlage ich vor und gehe voran, nachdem wir unsere Schuhe abgestellt haben. Ich mache noch einen kurzen Schlenker in die Küche und hole Getränke und Gläser.

Joshua kommt aus dem Bad, als ich gerade durch meine Zimmertür trete, den Rucksack in der Hand. Die Strähnen an seiner Stirn glänzen feucht.

„Ich bin immer wieder neidisch auf deinen Fernseher”, gibt er neidlos zu und pflanzt sich auf mein Sofa, wo er sein Gepäck auf Seite stellt und mir dann einen Teil meiner Last abnimmt.

„Wir geben ja sonst für fast nichts Geld aus”, meine ich lapidar und fühle mich sofort schlecht. Mein Vater verdient gutes Geld und auch meine Mutter überweist jeden eine großzügige Summe als lächerliche Entschädigung für ihre Abwesenheit. Joshua mit seinen drei Geschwistern hat da vermutlich andere gewohnte Standards.

„Hat alles seine Vor- und Nachteile”, beschwichtigt mein Freund sogleich meine unausgesprochenen Gedanken. „Ich hätte wahrscheinlich nie mehr meine Ruhe in meinem Zimmer.”

„Ich kann mir das gar nicht vorstellen mit so vielen Geschwistern. Tür zumachen reicht vermutlich nicht?” Blöde Frage, ich habe die Hartnäckigkeit der Lehmann'schen Bande schon erlebt und dabei bin ich mir sicher, dass das bisher nur die abgeschwächte Version war.

Joshua lacht auf. „Als ob. Die würden sich reinschleichen, sobald ich pinkeln muss. Nee, lass mal. Dann doch lieber bei dir in Ruhe.”

Wir machen es uns auf dem Sofa bequem und ich starte einen der üblichen Streamingdienste. „Such du aus.” Ich reiche ihm die Fernbedienung.

„Unfair, jetzt bin ich Schuld, wenn es Scheiße ist.”

„Genau”, bestätige ich grinsend. Josh schmollt gespielt. Zufrieden mit meiner Taktik lehne ich mich an ihn. Nicht lange, dann schlingt sich sein Arm um meine Hüfte. Ich ruckle ein wenig herum um eine bequemere Position für uns beide zu finden, da schnappt sich der Ältere einfach meine Beine und legt sie über seinen Schoß, die zweite Hand auf mein Knie gelegt.

„Besser?”, fragt er.

„Hmm”, bestätige ich zufrieden brummend. Auf der Mattscheibe startet derweil eine Serie, die ich noch nicht kenne und die mich aktuell auch nicht weniger interessieren könnte. Meine Aufmerksamkeit liegt vielmehr auf den fremden Händen, die mich gemächlich streicheln und deren Hitze durch meine Kleidung nur minimal gelindert wird. Oder auch gar nicht, denn just schiebt sich eine vorwitzig unter mein Oberteil und ich kann mir nur knapp ein überraschtes Keuchen verkneifen.

Joshua sagt nichts und ein kurzer Kontrollblick verrät mir, dass er sich ganz auf die Handlung auf dem Bildschirm zu konzentrieren scheint. Meine eigene Konzentration könnte dem nicht ferner sein. Ich habe keine Ahnung, was er sich ausgesucht hat, dafür bin ich mit der Finger an meiner Seite nur allzu bewusst. Ich wünsche mir, dass sie weiterwandern und noch viel sensiblere Stellen suchen und zeitgleich würde ich sie gerne stoppen. Keine Ahnung warum, sehne ich mich doch seit Tagen, ach was, Wochen, nach erneuter Intimität. Und jetzt, wo es sich andeutet, bin ich plötzlich überfordert.

Die Türklingel lässt mich erschrocken zusammenfahren und ich springe schon vor lauter Schreck auf.

„Ich äh, das muss unser Essen sein!”, haspele ich und stürme regelrecht zur Haustür. Ein gelangweilter Bote hält mir unsere Bestellung entgegen und schafft es immerhin kurz die Mundwinkel zu heben, als ich ihm sein Trinkgeld in bar reiche, damit es auch wirklich bei ihm ankommt.

Erst danach fällt mir auf, dass ich meine Kleidung hätte kontrollieren sollen, aber zum Glück verdreckt die Cargohose sehr gut, dass mein Unterleib nicht mehr vollständig im Ruhemodus ist.

„Reiß dich zusammen, Paul”, raune ich mir selbst zu. In der Küche hole ich noch Besteck, dann gehe ich zu Joshua zurück. Der hat die Serie pausiert und ich erwähne nicht, dass das sinnlos war, weil ich den Anfang eh nicht mitbekommen habe.

Ich packe die Styroporbehälter aus und verteile sie auf dem Tisch. „Das hier sieht nach deinen Sachen aus.” Ich schiebe den gebratenen Reis und die Ente zu Josh rüber und nehme mir selbst die Nudeln und das Gemüse mit Tofu, als ich wieder sitze.

„Guten Appetit.”

„Danke gleichfalls.”

„Hm, lecker. Ich hatte ewig kein Chinesisch mehr”, freue ich mich über unsere gelungene Auswahl.

„Ich auch nicht”, gibt Josh zu. „Noch so ein Nachteil bei uns. Wir bestellen fast nie. Zu teuer und zu wenig nachhaltig. Oder irgendwie so ein Quatsch, meine Familie ist da ja was komisch.”

„Ach, selbst kochen ist eigentlich viel besser und auch meistens gesünder. Könnt ihr nicht was nach chinesischer Art machen?”, schlage ich vor.

„Hmpf. Schwierig. Muss ja dann allen gefallen und das ist so schon schwierig genug.” Er seufzt.

Wieder brumme ich nur verstehend. Das Problem habe ich nun wirklich nicht, häufig genug bin ich der Einzige, der überhaupt hier zu Hause isst, mein Vater holt sich meistens Mittags in der Mensa auf der Arbeit etwas. Und selbst wenn nicht, ich kann kochen oder bestellen, was ich möchte. Diese Freiheit ist bisweilen belastender, als einfach jeden Tag etwas vorgesetzt zu bekommen.



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