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Maboroshi

~ dream a little dream of me ~
von

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Vision


 

~*~

Maboroshi – eine Vision,

ein sehnlicher Wunsch, zum Greifen nah.

~*~

 

Die Scheibenwischer kämpften gegen den Schnee an, der mittlerweile in dicken Flocken vom Himmel fiel. Sato hatte das Radio leiser gedreht, wohl um Hizumi nicht zu stören, und Tsukasa wusste um ehrlich zu sein nicht, ob er ihrem Manager für diese fürsorgliche Geste dankbar sein sollte oder nicht. In relativer Stille entwickelten seine Gedanken und Sorgen immer die dumme Angewohnheit, in Dauerschleife durch seinen Kopf zu jagen und ihn schier verrückt zu machen. Er klappte die Sonnenblende herunter und rutschte in seinem Sitz soweit nach unten, bis er Hizumi, der auf der Rückbank saß, im Spiegel sehen konnte. Das Innere des roten Mitsubishis war zwar angenehm beheizt, dennoch trug der andere noch immer seine Jacke und hielt die Arme vor der Brust verschränkt, als wäre ihm kalt. Sein Kopf lehnte gegen die Fensterscheibe und obwohl es bereits dämmerte, trug er seine Sonnenbrille. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass ihn die Kopfschmerzen noch immer plagten. Hätte Tsukasa nicht gehofft, sein Freund würde schlafen – etwas, was er eben der Sonnenbrille wegen nicht überprüfen konnte – hätte er ihm eine weitere Schmerztablette angeboten. Er seufzte unhörbar und kaute auf der Innenseite seiner Unterlippe herum. Er machte sich wirklich Sorgen um Hizumi und zusätzlich nagte das schlechte Gewissen an ihm. Vielleicht war das Photoshoot heute in der Eiseskälte doch keine so gute Idee gewesen? Auch wenn die ganze Sache nicht einmal auf seinem Mist gewachsen war, war doch er es gewesen, der die anderen angetrieben hatte, das durchzuziehen. Und zu allem Überfluss tat es ihm jetzt für Karyu leid, dass ihre gemeinsame Feier nun ins Wasser gefallen war. Hoffentlich würden sich Gitarrist und Bassist nicht wieder streiten. Noch so eine Funkstille, wie vor einigen Wochen zwischen den beiden geherrscht hatte, würde er nicht ertragen.

Hizumi regte sich, kratzte sich an der Nase und schmatzte leise, während er den Kopf zur anderen Seite drehte. ‚Also doch eingeschlafen‘, dachte Tsukasa und schmunzelte. Na, wenigstens fand er nun auf der Fahrt nach Hause etwas Ruhe. Bevor es noch zu offensichtlich wurde, dass seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf seinem Bandkollegen ruhte, wandte er den Blick ab und richtete ihn stattdessen wieder nach draußen. Vor den Fenstern wurde es immer dunkler und das Schneetreiben immer dichter. Aber Sato war ein guter und routinierter Fahrer und obgleich Tsukasa sich nie so ganz wohl fühlte, wenn er nicht selbst am Steuer saß, vertraute er ihm weit genug, um sich endlich ein wenig zu entspannen.

 

„Soll ich euch eigentlich bei dir oder bei Hizumi rauslassen?“, fragte Sato irgendwann und riss ihn so aus seinen Gedanken.

 

„Bei mir“, antwortete er automatisch und setzte nach: „Bei Hizumi zu Hause müssten wir uns vermutlich erst mal mit einer Machete den Weg freimachen.“

 

„He~, übertreib mal nicht so“, nuschelte es von hinter ihm und verwundert drehte er den Kopf.

 

„Du bist wach?“

 

„Mmmh, nicht wirklich. Aber ich spüre, wenn du schlecht über mich redest.“ Hizumi gähnte und mummelte sich tiefer in seine Jacke ein. Ein ihm nur zu bekanntes Ziehen zog sich bei diesem Anblick durch seinen Magen, aber Tsukasa ignorierte es, wie auch die Hunderte Male zuvor.

 

„Ich rede nicht schlecht über dich … ich stelle nur durchaus wahrscheinliche Vermutungen an.“

 

„Pfff.“ Hizumi schnaubte nur und verstummte wieder. Würde er sich nicht ohnehin schon Sorgen machen, spätestens jetzt würde er es tun, denn es war nun wirklich nicht die Art seines Freundes, so ein Thema einfach auf sich beruhen zu lassen.

 

„Brauchst du noch eine Schmerztablette?“, erkundigte er sich daher leise und drehte sich so, dass er für einen kurzen Moment das Knie des Sängers mit den Fingerspitzen berühren konnte.

 

„Mh? Nein, ich glaub nicht, dass ich die gerade behalten könnte.“

 

„So schlimm?“

 

„Weiß noch nicht.“

 

„Also doch Migräne?“

 

„Ja. Ich seh diese lustigen Lichtquallen, wenn ich die Augen aufmache.“

 

„Dann fahre ich euch am besten ins Krankenhaus, da können sie dir ein Schmerzmittel gleich in die Vene geben“, schaltete sich nun auch Sato in ihr Gespräch ein, ohne jedoch die Augen von der Straße zu nehmen. Tsukasa nickte, aber Hizumi verzog die Lippen zu einer unwilligen Grimasse.

 

„Allein, wenn ich an den Geruch und das grelle Licht denke, droht mein Kopf zu platzen, lass mal lieber. Ich brauch einfach nur ein dunkles Zimmer und Stille.“

 

Tsukasa gab einen unbestimmten Laut von sich, hin- und hergerissen, ob es nun besser war, Hizumi von einem Arzt durchchecken zu lassen oder seinem durchaus verständlichen Wunsch einfach nachzukommen. Immerhin würde sein Freund wohl am besten wissen, was er brauchte. Hizumi hatte diese Migräneanfälle schon, seit sie sich kannten, aber im letzten halben Jahr häuften sie sich und langsam aber sicher bezweifelte er, dass das nur am Stress lag. Plötzlich spürte er eine Berührung an seinen Fingern und verwundert fixierte er seinen Blick, der die letzten Momente über nicht sehend nach draußen gerichtet gewesen war, wieder auf den anderen. Hizumi hatte nach seiner Hand gegriffen, ihre Finger lose miteinander verschränkt und er hatte die Vermutung, dass er ihn gerade musterte, auch wenn er seine Augen hinter der Sonnenbrille nicht sehen konnte. Er strich mit dem Daumen einmal kurz über den sich ein wenig rau anfühlenden Handrücken, erneut sämtliche Reaktionen seines Körpers auf diese wohltuende Nähe verdrängend. Dennoch schlug sein Herz schneller, als er sich wieder so halb nach vorne drehte, ohne jedoch die Verbindung ihrer Hände zu lösen.

 

„Fahr uns zu mir nach Hause, Sato, sollte es nicht besser werden, können wir immer noch ins Krankenhaus.“

 

~*~

 

Die Fahrt zurück hatte deutlich länger gedauert als Tsukasa gehofft hatte. Der Schneefall hatte zwar nachgelassen, je näher sie der Großstadt gekommen waren, allerdings schienen die meisten Autofahrer auch mit gefühlten drei Flocken auf der Fahrbahn bereits heillos überfordert zu sein. Auf der Schnellstraße waren sie in einen Stau geraten und das einzig Gute an der nervenaufreibenden Warterei war gewesen, dass Hizumi augenscheinlich die ganze Sache tief und fest verschlafen hatte.

Nachdem Sato also endlich auf den Parkplatz vor seinem Appartementgebäude gehalten und sich sogleich darum gekümmert hatte, ihr spärliches Gepäck nach oben zu bringen, war auch Tsukasa aus dem Wagen gestiegen und hatte erst mal seine gestauchten Glieder ausführlich gestreckt. Jetzt jedoch stand er vor der geöffneten Tür des roten Coupés und schaute auf seinen Freund herab, der sich noch immer nicht gerührt hatte.

 

„Hizumi“, murmelte er, wollte dem anderen schon aus Gewohnheit durch die Haare fahren, unterließ dies jedoch im letzten Moment und berührte ihn nur leicht an der Schulter. „Wir sind da.“

 

„Mmmh?“, brummte Hizumi leise, schob sich unkoordiniert die Sonnenbrille vom Gesicht in die Haare und blinzelte ihn aus kleinen, geröteten Augen an. Sogleich verzog er das Gesicht und rieb sich mit leisem Keuchen über die Schläfen, als die Kopfschmerzen mit voller Wucht zurückzukehren schienen.

 

„Lass die Augen am besten einfach zu, ich führ dich, okay?“

 

„Kay“, nuschelte der andere, die Sonnenbrille bereits wieder auf der Nase und kämpfte sich groggy aus dem Fahrzeug.

 

„Wart kurz, ich mach nur das Auto zu … So, da bin ich.“ Tsukasa sprach leise, berührte Hizumi am Arm und hatte eigentlich damit gerechnet, dass sein Freund sich bei ihm unterhaken würde, aber stattdessen lehnte er sich nur gegen seine Seite und machte fast den Anschein, einfach weiterschlafen zu wollen. Nun gut, damit konnte er auch arbeiten. Ein seichtes Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen, als er den Arm um Hizumis Rücken legte und den etwas kleineren Mann mit sanftem Druck nach vorne schob. Träge setzte dieser sich in Bewegung und würde ihm Hizumi nicht wirklich unendlich leidtun, könnte er dieser Situation tatsächlich etwas Amüsantes abgewinnen.

 

„Eigentlich bin ich es doch immer, den man aus dem Auto pellen und irgendwohin führen muss. Auch mal schön, das von anderer Seite mitzuerleben“, konnte er sich einen Kommentar dann aber doch nicht verkneifen und blickte mit einem kleinen Lächeln auf seinen Freund herab.

 

„Normalerweise hätten wir in so einer Situation auch deutlich mehr Alkohol im Blut. Was mir, um ehrlich zu sein, gerade um einiges lieber wäre als diese nervigen Kopfschmerzen.“

 

Tsukasa hatte Schwierigkeiten, den anderen wirklich zu verstehen, weil dieser extrem nuschelte und sein Gesicht zu allem Überfluss auch noch so halb im Stoff seiner Jacke vergraben hatte.

 

„Du nuschelst“, meinte er also nur leise in sich hineinlächelnd und drückte auf den Knopf des Fahrstuhls, nachdem sie sein Wohnhaus heil betreten hatten, obwohl der Asphalt des Parkplatzes dank des anhaltenden Schneefalls doch ziemlich rutschig gewesen war.

 

„Sei froh, dass ich nur nuschle und nicht spucke“, konterte Hizumi und er erkannte doch tatsächlich ein schwaches Lächeln auf seinen Zügen.

 

„Ich bin unendlich dankbar, glaub mir.“ Er drückte den Knopf für seine Etage und war gerade mehr als froh darüber, dass der Hausverwalter ihren notorisch defekten Aufzug erst letzte Woche hatte reparieren lassen. Hizumi jetzt die fünf Stockwerke bis zu seiner Wohnung nach oben zu bugsieren, wäre für sie beide nicht wirklich angenehm gewesen. Aber apropos angenehm. Der andere strahlte eine ziemliche Wärme aus und ohne großartig darüber nachzudenken, legte er seine Finger auf Hizumis Stirn.

 

„Mh, Fieber hast du keins, glaub ich“, murmelte er und wollte seine Hand schon wieder zurückziehen, als der andere leise murrte. „Hu?“

 

„Deine Finger sind so schön kalt, lass sie da, das ist gerade total angenehm.“

 

Tsukasas Lippen zuckten, als könnten sie sich nicht entscheiden, ob sie sich zu einem Lächeln oder einer Grimasse verziehen wollten. Unhörbar seufzend beließ er dennoch seine Hand, wo sie war, und versuchte, nicht genauer darüber nachzudenken, dass Hizumi und er mal wieder in so etwas wie einer Umarmung hier herumstanden. In letzter Zeit passierte das gefühlt ständig und es fiel ihm mit jedem Mal schwerer, nicht mehr in diese unschuldige Geste hineinzuinterpretieren. Er hasste sein Hirn wirklich dafür, dass es ihm das Zusammensein mit seinem Freund seit Kindertagen mittlerweile so schwer machte. Wie sehr wünschte er sich die Zeiten zurück, in denen alles um so vieles einfacher gewesen war.

 

„Ist mit dir alles in Ordnung? Du bist total angespannt.“

 

„Was?“ Tsukasas Lider hoben sich und mit leicht gerunzelter Stirn erwiderte er den fragenden Blick seines eigenen Spiegelbilds, das sich in der polierten Stahlwand ihm gegenüber schemenhaft abzeichnete. „Ich hab nur nachgedacht, muss unbewusst passiert sein“, versuchte er zu erklären und atmete erleichtert aus, als der Fahrstuhl zum Stehen kam und somit Hizumis Inquisition beendete. „Ah, danke, Sato.“ Er nickte ihrem Manager zu, der wartend vor seiner Wohnungstür stand und noch immer ihre beiden, kleinen Reisetaschen über der Schulter hängen hatte. „Ich hätte dir auch gleich meinen Schlüssel geben können, was? Sorry, so weit hab ich nicht gedacht.“ Er verdrehte über seine eigene Gedankenlosigkeit belustigt die Augen und grinste.

 

„Kein Problem.“ Sato erwiderte diese Geste und machte ihnen Platz, als er sich noch immer mit Hizumi im Schlepptau näherte. Der Schlüssel war zum Glück schnell gefunden und ihr Manager hatte nur kurz die Taschen in den Flur gestellt, bevor er sie mit einer knappen Verabschiedung und der Erinnerung an das bevorstehende Interview alleingelassen hatte.

 

„Kannst du vielleicht das Licht ausschalten? Also nur, wenn du dir im Dunkeln nichts brichst, versteht sich“, drang Hizumis leise Stimme an sein Ohr, nachdem er selbst nur einige Sekunden lang regungslos herumgestanden war.

 

„Ehm, ja, klar.“ Er schüttelte sacht den Kopf, als könnte das helfen, seine Gedanken wieder zu sortieren und knipste das Licht aus. Im ersten Moment konnte er nichts erkennen, bis sich seine Augen an die schummrige Umgebung gewöhnt hatten. Das Licht der Straßenbeleuchtung fiel durch die offenstehende Wohnzimmertür in den Flur und zeichnete lange Schatten auf die Wände. Als Hizumi einen Schritt zur Seite machte und begann, sich seiner Winterkleidung zu entledigen, konnte auch er endlich seine Lethargie abschütteln und es dem anderen gleichtun. Verflucht, was war denn nur los mit ihm? Tsukasa fuhr sich durchs Haar, stellte seine Schuhe unter die Garderobe und schob sie beiseite, sodass man nicht im nächsten Moment über sie stolpern würde.

 

„Magst du was trinken oder einfach nur ins Bett?“

 

„Bett“, war die einsilbige Antwort und er nickte, auch wenn er vermutete, dass der andere diese Bewegung in der spärlichen Helligkeit ohnehin nicht ausmachen konnte.

 

„Gut, dann mach es dir am besten kurz auf dem Sofa bequem und gib mir fünf Minuten, das Chaos in meinem Schlafzimmer zu beseitigen, ja?“

 

„Ach? Aber mir Unordnung unterstellen wollen.“

 

„Hizu, nichts für ungut, aber bei mir beschränkt sich die Unordnung wenigstens nur auf einen Raum.“

 

„Ja, ja.“

 

Tsukasa lachte leise und ließ seinen Freund im Flur zurück. Hizumi kannte sich hier vermutlich besser aus als er selbst und würde den Weg ins Wohnzimmer daher auch in der relativen Finsternis ohne Probleme finden. Da musste schon vielmehr er aufpassen, nicht über diverse Einrichtungsgegenstände zu stolpern. Die Topfpflanze zum Beispiel, die sich soeben unerwartet aus den Schatten geschält und sich ihm in den Weg gestellt hatte. Könnten sich Pflanzen bewegen, verstand sich, und würde man nicht einfach behaupten, er wäre der geborene Tollpatsch. Wahrscheinlich würde es ihm aber auch schon enorm helfen, würde er gedanklich endlich etwas mehr bei dem sein, was er zu tun gedachte, Herrgott.

 

Im Schlafzimmer angekommen – ohne gebrochene Knochen, das sollte an dieser Stelle wohl noch mal ausdrücklich erwähnt werden – schloss Tsukasa die Tür hinter sich und schaltete erst dann das Licht ein. Mit einem langen Seufzen auf den Lippen lehnte er sich gegen das kühle Holz in seinem Rücken und schloss für einen Moment die Augen. ‚Reiß dich zusammen!‘, schalt er sich innerlich und biss sich auf die Innenseite seiner Unterlippe. Der Schmerz zuckte wie ein Blitz durch seinen Geist, half ihm jedoch, endlich wieder einen klaren Gedanken fassen zu können. Er atmete tief durch und rieb die Hände aneinander, fast so, als würde er sich für einen Kampf wappnen wollen. Dieser Vergleich war auch gar nicht so weit hergeholt, bedachte man die Reaktionen seines Körpers, die die Gegenwart seines eigentlich besten Freundes in letzter Zeit ständig in ihm auszulösen vermochte. Es wurde wirklich höchste Zeit, sein derzeit nicht vorhandenes Liebesleben auf Vordermann zu bringen, bevor hier noch Dinge passierten, die er zutiefst bereuen würde. Und zumindest schien ihm dieser halb gare Plan, der sich gerade in seinen Gehirnwindungen formte, einen Teil seiner Zuversicht wiederzugeben. Mit neugefundenem Elan machte er sich also daran, seine im Zimmer wild verstreuten Klamotten einzusammeln, den Haufen in seinen Wäschekorb zu packen und das Bettzeug wenigstens einmal richtig aufzuschütteln. Gut nur, dass er letzte Woche erst die Bettwäsche gewechselt hatte. Bevor er den Raum wieder verließ, öffnete er noch das Fenster und ließ die kalte Winterluft herein - Kälte war bestimmt besser für Hizumis geplagten Kopf als abgestandene Luft.

 

„So, fertig“, verkündete er, runzelte dann aber die Stirn, als er die Silhouette des Sängers nicht wie erwartet auf der Couch sitzend entdeckte. „Hizumi?“ Mit bedachten Schritten durchquerte er das Wohnzimmer, bis er wieder in seinem kleinen Flur anlangte. Und dort, vor der Tür, die Hand an den Rahmen gelegt und die Stirn gegen das kühle Holz gelehnt, stand sein Freund reglos herum. „Hey, warum bist du denn nicht schon ins Wohnzimmer gegangen? Du musst doch hier nicht warten, als wärest du ein Gast.“ Er versuchte, seiner Stimme eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen, bezweifelte aber, dass ihm das gelang. Als er sich weiter näherte, schließlich die Hand auf Hizumis Schulter legte, zuckte dieser leicht von der Berührung weg, als ob sie ihm unangenehm wäre. Ein schmerzlicher Stich zog sich durch seinen Magen, aber Tsukasa ließ sich ausnahmsweise mal davon nicht beirren. Seine Sorge war erneut in ungekannte Höhen geschnellt und ein unbestimmter Unmut machte sich in ihm breit, als er zu ahnen glaubte, warum der andere dort vor der Tür stand. „Ich sag es dir, mein Lieber. Wenn du jetzt glaubst, deinen Sturschädel durchsetzen zu können und diese Wohnung zu verlassen, dann hast du dich aber mal ziemlich getäuscht. Du stiefelst jetzt brav ins Schlafzimmer, legst dich hin und ruhst dich aus. Und glaub mir, ich hab Mittel und Wege, dich auch zu deinem Glück zu zwingen, wenn es denn sein muss.“

 

Hizumis Schulter zuckte erneut, bevor sich der andere zu ihm herumdrehte und auch, wenn er den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht erkennen konnte, war sich Tsukasa doch ziemlich sicher, dass er gerade bestimmt nicht glücklich aussah.

 

„Schon mal etwas davon gehört, dass ich ein erwachsener Mensch bin und so etwas wie freien Willen besitze?“, murrte sein Freund dann auch und wieder musste Tsukasas Unterlippe dran glauben, als er seine Zähne in das nachgiebige Fleisch grub, bevor er noch auf diese offenkundige Provokation einging. Wenn er nicht aufpasste, konnte Hizumi ihn spielen wie ein gut gestimmtes Instrument und wenn der andere, so wie jetzt gerade, auf Konfrontation gepolt war, konnte so eine kleine Unstimmigkeit sehr schnell in einen handfesten Streit ausarten. Und streiten war etwas, was er auf keinen Fall wollte.

 

„Du willst mir nicht zur Last fallen und deshalb jetzt lieber versuchen, in deinem Zustand irgendwie nach Hause zu kommen, bevor du einfach hierbleibst, oder?“, fragte er, ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme und hatte unbewusst begonnen, mit dem Daumen über Hizumis Schulter zu streicheln. „Und vermutlich willst du mir auch nicht glauben, wenn ich sage, dass deine Gegenwart wirklich nie ein Umstand für mich ist und ich mir nur tierische Sorgen um dich machen würde, würdest du jetzt gehen?“ Er spürte regelrecht Hizumis stechenden Blick auf sich und verdammt, allein der Gedanke an diese durchdringenden, dunklen Augen jagte ihm geschmolzenes Feuer durch die Adern. Ein feines Zittern zog sich durch seinen Leib, doch er versuchte, es ebenso zu unterdrücken, wie seinen schneller gewordenen Atem.

 

„Wer ist jetzt stur, mh?“, durchschnitt die Stimme des anderen schließlich die eingetretene Stille und ehe er es sich versah, war Hizumi einen Schritt auf ihn zugegangen und lehnte nun erneut schwer gegen ihn. Tsukasa kniff die Augen zusammen, gönnte sich eine Sekunde des Durchatmens, bevor er seine Arme um den schmalen Rücken legte.

 

„Heißt das, ich hab gewonnen?“

 

„Ich bin nicht auf der Höhe, das zählt also nicht.“

 

„Natürlich nicht.“ Tsukasa grinste und begann, Hizumi langsam über den Flur zu schieben. „Ich würde auch nie etwas anderes behaupten.“ Wieder im Schlafzimmer angekommen löste er tatsächlich eher unwillig ihre Umarmung und ging zum Fenster hinüber, um es wieder zu schließen. Die Luft war nun angenehm frisch, aber auch dementsprechend kalt, sodass er aus dem Wandschrank noch eine flauschige Wolldecke holte, bevor er wieder an Hizumi herantrat. Der andere hatte es sich derweilen auf dem Bett bequem gemacht und Tsukasa war dem vorherrschenden Halbdunkel gerade unendlich dankbar dafür, dass er nicht erkennen konnte, in welchem Stadium des Nichtbekleidet-Seins sich sein Freund befand. Reichte schon, wenn seine Fantasie soeben mit ihm davonzulaufen drohte und sich überaus ansprechende Bilder in seinem Kopf zu formen begannen. ‚Schluss jetzt!‘, mahnte er sich innerlich zur Ordnung und schüttelte wie zur Untermalung dieses Befehls energisch den Kopf.

 

„Hier, falls dir trotz Zudecke zu kalt werden sollte“, murmelte er und legte die Wolldecke über Hizumis Beine. „Ich hol dir noch ein Kühlpflaster für die Stirn und etwas zu trinken und dann lasse ich dich in Ruhe, okay?“

 

„Okay“, seufzte der Sänger leise und hörte sich nun wieder unendlich müde und erschöpft an. „Aber, wenn ich herausbekomme, dass du die Nacht auf dem Sofa verbracht hast, um mich nicht zu stören, gibt es Ärger, verstanden?“

 

„Verstanden.“ Tsukasa lachte leise in sich hinein und wollte schon den Raum verlassen, als ihn sein Name, leise gemurmelt, erneut innehalten ließ. „Ja? Brauchst du noch was?“

 

„Nein, nur … danke … und so.“

 

„Ach Quatsch, doch nicht dafür.“

 

~*~
 

‚… Wenn ich herausbekomme, dass du die Nacht auf dem Sofa verbracht hast …‘

 

Hizumis Worte spukten ihm im Kopf herum, seit er es sich hier auf der Couch bequem gemacht hatte und ließen ihn einfach nicht zur Ruhe kommen. Weder der alte Samurai-Film, der gerade im Abendprogramm über die Mattscheibe seines Fernsehers flimmerte, noch die erstaunlich leckeren Instantnudeln, die er sich zubereitet hatte, konnten ihn davon ablenken. Er seufzte und rieb sich über die Nasenwurzel, rutschte tiefer, bis er halb auf dem Sofa zum Liegen kam. Wirklich bequem war auch diese Position nicht, aber stillhalten konnte er auch nicht. Wenn Hizumi nur wüsste, welches Chaos sein kleiner und bestimmt gänzlich unbedachter Befehl nun in ihm auslöste, würde er ihn vermutlich für absolut verrückt halten. Natürlich hatte er vorgehabt, die Nacht hier im Wohnzimmer zu verbringen. Hallo? Schließlich war er nicht masochistisch veranlagt oder so. Und wäre er obendrein noch klug, würde er auf das Gesagte nichts geben und seinen gefassten Plan auch weiterverfolgen. Seinen Freund ein wenig vor den Kopf zu stoßen und das Ganze dann in eine gute Absicht zu verpacken, war allemal besser, als eine Nacht schlaflos neben dem Menschen zu verbringen, für den er nun schon viel zu lange absolut unangemessene Gefühle hegte. Wieder kam ihm ein langes Seufzen über die Lippen, gefolgt von einem genervten Knurren, als er sich wieder aufrichtete. Die letzten Reste seines Abendessens waren schnell vertilgt und den Müll in die Küche zu tragen, war eine gute, wenn auch viel zu kurze Ablenkung. Manchmal wünschte er sich, er könnte vor seinen Gedanken davonlaufen und der Drang nach einer Zigarette war nie so stark wie genau in diesen Momenten. Seine Finger hatten begonnen, mit den Essstäbchen zu spielen, sie in einer nervösen Geste herumzuwirbeln und sein Fuß tippte einen Takt auf dem Fliesenboden, dem außer ihm niemand folgen konnte. Vielleicht sollte er in den Keller gehen und seinem Schlagzeug dort ein wenig Aufmerksamkeit schenken? Sich selbst zunickend warf er die Stäbchen in die Spüle, durchquerte mit schnellen Schritten Küche und Wohnzimmer und zog sich im Flur seine Schuhe über. Sich im Keller einen schallgeschützten Raum einzurichten, für den er monatlich zwar eine horrende Miete hinblättern musste, war dennoch eine der besten Entscheidungen der letzten Jahre gewesen. Kurz blickte er ins Halbdunkel seiner Wohnung zurück, aber vermutlich schlief Hizumi bereits tief und fest und würde gar nicht bemerken, dass er ihn für eine Weile alleinließ.

 

~*~

 

Anders, als er ursprünglich geplant hatte, waren es fast zwei Stunden geworden, in denen er auf sein Schlagzeug eingedroschen hatte. Mit müden Gliedern und ziemlich durchgeschwitzt ließ er sich auf sein Sofa fallen und rieb sich mit dem eben noch geholten Handtuch über die Stirn. Himmel, hatte das gutgetan. Ging doch wirklich nichts über so richtiges Auspowern am Schlagzeug, zumindest nicht, wenn man ihn fragte. Die körperliche Anstrengung schaffte es immer wieder, seinen dummen Kopf zum Schweigen zu bringen. Er seufzte zufrieden, schaltete den Fernseher ein und griff nach der Wasserflasche, die auf dem niedrigen Tisch stand. Mit großen Schlucken leerte er sie bis zur Hälfte, stellte sie zurück und lehnte seinen Hinterkopf schwer gegen die Rückenlehne. Er würde nur kurz die Augen schließen, dann duschen und ins Bett gehen. Ja, das war doch ein Plan … von dem sein ausgelaugter Körper allerdings nicht viel zu halten schien, sonst wäre er nicht binnen Sekunden eingeschlafen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  QueenLuna
2020-04-26T08:12:02+00:00 26.04.2020 10:12
Nun ist es doch passiert. Und dabei hatte ich es doch vermeiden wollen. Warum? Waaaruum??? Warum konnte ich nicht an mich halten und warten bis das letzte Kapitel online ist??? Manno >.<

Na wie dem auch sei...
Gott, ist das süüüß <3 Die Geschichte macht mich jetzt schon glücklich und dabei hab ich erst das erste Kapitel gelesen.
Ich find es großartig, wie du einen sofort in die Handlung wirfst und ich wusste auch gleich wieder an welcher Stelle von der anderen FF wir sind. Ich glaub, die hab ich einfach oft genug gelesen um sie auswendig zu kennen *lach*

Hizumis Zustand hast du super beschrieben und man konnte gleich eine Runde mitleiden. Glücklicherweise leide ich selbst nicht an Migräne aber so wars echt spürbar.
Apropos spürbar... Oh Tsukasa... Mit ihm hab ich auch ziemlich gelitten bzw. mit seinem Gefühlschaos. Und er ist ja schon echt niedlich in seiner Art und seiner Fürsorge <3 Hätte ihn die ganze Zeit drücken wollen und ihm sagen wollen "Alles wird gut" xD

Ich mochte auch die Dialoge zwischen Hizumi und Tsukasa sehr. Sie haben mich einige Male zum Schmunzeln gebracht. Und die Anspielung auf Tsukasas Liebe zum Alkohol war großartig xD. Also als er Hizumi aus dem Auto half und sinngemäß meinte, dass er doch sonst derjenige ist, der da unterstützt werden muss xD Schön, dass du diesen Charaktereigenschaften während deiner ganzen Stories treu bleibst <3

Generell hast du die Situationen wieder wunderbar beschrieben und ich hatte gleich alles wie als Film vorm geistigen Auge. Musste auch bei Tsukasas Begegnung mit der Topfpflanze lachen xD Super beschrieben xD

Also die Geschichte hat schon einiges an Herzklopfen und Kribbeln mitgebracht, genauso wie ich es liebe <3 Hach war das schön. Kanns kaum erwarten weiter zu lesen <3

Liebste Grüße
Luna
Antwort von:  yamimaru
26.04.2020 11:29
Hey du. ^^

na, ich bin ja schon mal froh, dass du dich mit dem Lesen auch immer nicht zurückhalten kannst. Geht mir ja ähnlich. XD Und ich bemühe mich wirklich, die Story in den nächsten Tagen fertig zu bekommen. Sie ist ja mein CampNano Projekt und das geht nur noch bis Ende April. Das muss also klappen;D

Freut mich, dass dir die Story glaich nach dem ersten Kapitel schon gefällt und dass du gedanklich auch an Winter Wonderland anknüpfen konntest. ^^ Da merkt man echt, dass du WW schon ziemlich oft gelesen hast. Hach, ich find das toll.

Bei der Beschreibung der Migräne kommt es mir wohl zu Gute, dass ich aus Erfahrung schreiben kann. *lacht* Mal ein Positives an dem Mist. XD Ich finde es von daher super Klasse, dass du mit Hizumi mitleiden konntest. ^^ Und natürlich auch mit Tsukasa. Ich musste gerade echt grinsen, als du meintest, tsukasa wäre in seiner Fürsorglichkeit und dem Gefühlschaos echt niedlich. Fand ich nämlich beim Schreiben auch. Er hat sein Herzchen einfach am rechten Fleck. XD

Danke! Ich bemühe mich immer sehr Charakterzüge, die ich mal in einer anderen Story etabliert habe, auch beizubehalten bzw. zu erwähnen, damit man hier einfach den roten Faden als Leser hat. Gerade hier, wo ich aus Tsukasas Sicht schreibe, der bislang immer etwas wenig erwähnt wurde oder etwas zu sagen hatte, war mir das besonders wichtig. ^^ Schön, dass dir auch die Dialoge zwischen den beiden so gut gefallen - mir hat es wirklich Spaß gemacht, sie interagieren zu lassen. ^__^

Danke, danke, ehrlich. So viel Lob, da werde ich gleich rot. ^^ Mich freut es immer ungemein, wenn du sagst, dass du beim Lesen einen kleinen Film vor Augen hattest. Das ist großartig und genau das,was ich erreichen wollte. Und wenn mir sogar der ein oder andere Lacher gelungen ist, umso schöner. ^^

Ich hoffe, die Story wird dir auch weiterhin gefallen und wie gesagt, ich bemühe mich sehr, sie schnell fertig zu schreiben. ^^

Vielen herzlichen Dank für diesen super schönen Kommentar! Der hat mir eindeutig den Sonntagmorgen versüßt.

Alles Liebe <3
Yami


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