insta.fame
Hart und ungeduldig klopfte es gegen die Tür, die er wohlweislich verschlossen hatte.
„Verdammt, Boris! Was treibst du so lange da drin?!“, nörgelte Ivan erbost. Er hatte in der vergangenen Dreiviertelstunde schon viermal versucht, ins Bad zu kommen.
„Ich muss echt pissen, Mann!“
„Nimm einen Blumenkübel!“, brüllte Boris als Antwort, während er versuchte, die zweite Kugel seines Barbells wieder an Ort und Stelle, nämlich unterhalb seiner Augenbraue, zu schrauben.
„Das hab ich wohl überhört!“, knurrte Yuriy bedrohlich, dem sein Ficus Benjamini heilig war, und seine Stimme vibrierte irgendwo tief in Boris‘ Magen.
Erst, als er alle seine Piercings ordnungsgemäß angebracht hatte, zeigte er Erbarmen für Ivans Harndrang und öffnete die Tür. Sofort schoss dieser an ihm vorbei, knallte die Tür ins Schloss und erleichterte sich hörbar.
„Seit wann schließt du ab?“
„Hallo? Privatsphäre vielleicht?“
Yuriy musterte seinen Freund von oben bis unten sehr genau. Er blieb an der geröteten Haut um seine rechte Augenbraue hängen.
„Pass auf, dass es sich nicht entzündet.“
„Jaaaa, Mama…“
„Du verbringst erstaunlich viel Zeit im Bad für jemanden, der sich nicht schminkt“, mischte sich jetzt auch Sergei ein.
„Körperpflege ist wichtig. Ich dachte, wir teilen dieses Wissen, Monsieur huile à barbe!“
Sergei zog eine Grimasse in Boris‘ Richtung.
„Na, wenn man auch seine ganze Zeit im Bad damit verbringt, Selfies oder Stories zu machen, Insta-boy…“, neckte Ivan, der passend zurückkam, sein Handy in der Luft schwenkend.
„Ich weiß gar nicht, wer dir erlaubt hat, mir zu folgen. Ich dachte, ich hätte dich geblockt!“, entgegnete Boris fast schnippisch und griff endlich zu seinem kalten Bier.
„Zeig mal!“, verlangte Yuriy fordernd. Ivan hatte Boris‘ Instagram geöffnet. Scheinbar gab es dort eine neue Story. Neugierig sah jetzt auch Boris über Yuriys Schulter – und stöhnte genervt auf, als der verwackelte Boomerang sein Malheur zeigte, wie er beim Selfie machen eines seiner Piercings verlor und die Kugel in den Abfluss kullerte, was er dabei mit einem lauten „Fuck!“ verbal untermalte.
Hastig zog Boris sein Handy aus seiner Hosentasche und versuchte, den Post wieder zu löschen.
„Warte, du hast schon über 20 Likes!“
Boris hielt inne. Sein Finger schwebte über den Löschen-Button.
„Ist das jetzt dein Ding? Insta-Fame werden?“, spöttelte Yuriy, sah jetzt aber auf seinem eigenen Handy doch neugierig nach, wer diesen Boomerang schon alles geliked hatte.
„Kai hat dich als erster ausgelacht!“, feixte Ivan rotzig.
„Wird sofort geblockt!“, erklärte Boris unwirsch.
„Jetzt lasst doch mal die Handys sein und leistet mir Gesellschaft! Ist schon ganz trocken hier!“, maulte Sergei und drehte zum Beweis seine leere Flasche Bier auf den Kopf.
So ein Ärger!
Er hatte doch nur ein Foto von seinem neuen Zungenpiercing hochladen wollen, seitdem es nun endlich verheilt war. Jetzt, wo alle im Wohnzimmer schliefen, witterte er seine Chance, sein Missgeschick durch ein perfektes Selfie wieder gut zu machen. Boris schaltete die grelle Spiegellampe ein, das warme Deckenlicht und lieh sich zusätzlich Yuriys Taschenlampe, um seine Position perfekt auszuleuchten. Er versuchte sich im Spiegel an verschiedenen Posen, bis er mit einem Zwinkern und herausgestreckter Zunge zufrieden war. Dann drückte er auf Senden.
„Bist du fertig mit Zähnepu- Borya, nicht dein Ernst!!“
Boris fuhr zu Yuriy herum, der seine berüchtigte „Was-zum-Fick“-Haltung zur Schau stellte, indem er ein leichtes Kopfschütteln mit einer ausladenden Drehung seines Handgelenks untermalte. Schelmisch grinste Boris ihn an und kratzte sich verlegen an seiner Augenbraue. Da löste sich die obere Kugel seines Barbells, fiel in das Keramikbecken, wo sie dreimal aufsprang, ehe sie kullernd im Waschbeckenschlund verschwand.
„Oh, nicht schon wieder!“