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Die Geister der Unterwelt

Wichtelgeschichte für Futuhiro
von

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Das Schicksal der Sterne

Mit kreischenden Bremsen, fuhr die U-Bahn in die Station ein.

Olga blinzelte. Wo war sie?

Ein Bellen ließ sie zusammenzucken. Yefim war vor sie gesprungen, um sie vom Rand des Bahnsteiges zurückzudrängen.

Wo zur Hölle war sie nur?

Sie sah sich um, erkannte die vertrauten Wände der Station der Universität. Wie war sie hierher gekommen? Ihre Erinnerungen waren seltsam verschwommen. Sie waren wegen der Prüfung hergekommen, waren im Tunnel in eine Tür gegangen und dann …

Ihre Hand wanderte zu ihrer Wange, ehe der Schmerz der Berührung sie zusammenzucken ließ. Die Wange war noch immer geschwollen. Moment … Noch immer? Ja, genau, sie war gefallen, hatte sich gestoßen, sich verletzt und dann …

Sie sah sich um und erkannte eine vertraute gestalt gegen einen der Pfeiler lehnend. Vaska war am Boden zusammengesunken, Kir auf ihrem Schoß. Ihr aschblondes Haar, das bei ihrem Aufbruch noch zu einem Kranz geflochten gewesen war, lag nun offen über ihren Schultern. Schlief sie?

Olga ging zu ihr, legte eine Hand auf die Schulter des Mädchens. „Hey. Vaska. Vaska?“

Das Mädchen zuckte zusammen, blinzelte, sah sie an, während die Katze auf ihrem Schoß sich genüsslich ausstreckte und dabei die Krallen im festen Mantelstoff versenkte. „Wo …“, setzte Vaska an und schaute sich um. Auch sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Die Verwirrung schwand schließlich von ihrem Gesicht, wich einer bitteren Erkenntnis. Sie streckte den Arm aus, in einer stummen Aufforderung.

Olga hörte, half ihr auf die Beine, was eine missmutige Katze auf den Boden vertrieb.

„Bist du in Ordnung?“, fragte Olga.

Vaska nickte, wenngleich sich Müdigkeit auf ihren Zügen abzeichnete. „Ja. Es ist in Ordnung …“ Sie seufzte.

Sie hielt für einen Moment inne, den Blick auf Kir gerichtet, die um ihre Beine strich. „Vanya ist fort …“

Olga blinzelte verwirrt. Ja. Vanya war nicht hier. Warum war Vanya nicht hier? Irgendwo in ihrem Unterbewusstsein war eine Erinnerung, die versuchte aktiv in ihre Gedanken einzudringen, aber eine unsichtbare Wand schien sie aufzuhalten. „Was?“

„Er ist bei Veles“, erwiderte Vaska.

„Veles, wie dem Gott?“ Olga war sich nicht sicher, ob sie verstand, was ihre Cousine sagte. Sie schaute sich auf dem Bahnsteig um, erwartete Vanya irgendwo zu sehen, doch sowohl von dem Jungen als auch seiner Eule fehlte jede Spur.

Vaska schwieg für einen Moment. „Ja. So …“ Sie griff in ihre Tasche und holte etwas hervor. Ein Schlüssel mit einer Metallplatte daran, wie sie für Spints oder Schließfächer üblich waren. „Wie lange habe ich noch?“, fragte sie.

Noch immer tat Olga sich schwer zu verstehen. Ihr fehlten Erinnerungen, so viel war klar. Umso mehr, als sie auf die Uhr schaute und feststellte, dass es halb neun am Abend war. „Noch dreieinhalb Stunden“, erwiderte sie. Ihr fehlten über fünf Stunden. Was war passiert?

Vaska hatte etwas von Veles gesagt. Ein Gott? Hatten sie wirklich einen Gott getroffen? Wieso hatte er dann ihre Erinnerungen gelöscht?

Olgas Zunge fand die Lücke zwischen ihren Zähnen. Sie wollte wirklich wissen, was geschehen war. Oh Gott, was sollte sie überhaupt ihrem Onkel, ja, ihren Eltern erzählen, wenn Vanya nicht zurückkam?

„Weißt du zufällig, wo das hingehört?“, fragte Vaska und riss sie damit aus ihren Gedanken. Sie zeigte ihr den Schlüssel und die dazugehörige Metallplatte.

Olga schaute herauf. Die Form des Anhängers erkannte sie. Natürlich konnte es sein, dass es solche Schlüssel auch anderswo in Moskau gab – es war immerhin eine große Stadt – doch waren sie an der korrekten Station. „Ja, weiß ich“, sagte sie daher. „Komm mit.“
 

Die Bibliothek war geschlossen gewesen, doch mit ein wenig Magie und etwas Trickserei waren sie hereingekommen, um so das richtige Schließfach zu finden. So standen sie in dem dunklen Flur, als Vaska den Schlüssel in das Schloss steckte und drehte. Das metallene Fach ließ sich öffnen, knarzte ein wenig.

Neugierig schauten sie hinein. Darin war nur ein einzelner Gegenstand, der auf dem grauen Metall lag: Eine Kette, an der ein runder, goldener Anhänger, etwa so groß wie Vaskas Handfläche, hing. Vorsichtig streckte sie die Hand danach aus und zog die Kette aus dem Fach hervor.

„Sie ist warm“, murmelte das Mädchen und betrachtete sie genauer im Licht des Zaubers, der wieder über ihnen schwebte.

Der Anhänger war mit einem ihnen sehr bekannten Symbol verziert: Dem Sonnenzeichen Peruns.

Vaska drehte den Anhänger weiter, wendete ihn hin und her, hielt schließlich aber inne. „Was mache ich jetzt damit?“

Das war eine gute Frage, wenn Olga bedachte, dass ihre Aufgabe so viel direkter gewesen war und kein Rätsel. Wer hatte die Kette überhaupt hier positioniert und warum? „Entweder kehrst du zur Balaya damit zurück oder wir fahren zurück nach Hause.“ Die Idee gefiel ihr gar nicht. Sie hatte keine Ahnung, was sie ihrer Familie erzählen sollte. Vor allem, da sie sich doch selbst an nichts erinnerte. Wie hatte sie Vanya nur verlieren können?

„Lass uns zur Balaya zurück“, erwiderte Vaska. Vielleicht konnte sie Olgas Gedanken erraten. Dabei zögerte sie nur Sachen heraus.

Also verließen sie die Bibliothek, schlichen durch die Kälte zurück zum Parkplatz. Der Wagen war komplett ausgekühlt, auch wenn sich dank der trockenen Luft kein Eis auf der Scheibe gebildet hatte. Dennoch war es innen eisig.

Der Wagen stotterte, als sie den Schlüssel drehte. Noch immer rasten ihre Gedanken. Sie wollte eigentlich nur wissen, wo ihr Bruder geblieben war. Was war passiert? Doch sie wollte Vaska nicht mehr fragen stellen. Das Mädchen sah müde aus. Sie hatte die Arme um Kir geschlungen, die wieder auf ihrem Schoß saß. Wenn sie sich erinnern konnte, gab es für sie vielleicht noch mehr Schrecken, als für Olga.

Ein zweiter Versuch den Wagen zu starten. So viel Zeit hatten sie auch nicht mehr. Doch wieder nur ein Stottern.

Leise fluchte Olga. „Jetzt komm schon“, murrte sie den Wagen an und legte den Kopf gegen das eisige Lenkrad. „Jetzt mach. Bitte.“ Sie wollte einfach nur noch, dass diese Prüfung vorbei war. Sie brauchte … Ruhe. Nein, vielleicht etwas mehr. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Zeit für sich selbst. Zeit, um zu versuchen, sich zu erinnern.

Noch einmal drehte sie den Zündschlüssel und dieses Mal erwachte der schwarze Wagen zum Leben.

Also fuhr sie – zurück nach Ostankino.

Es waren jetzt mehr Leute draußen unterwegs. Leute, die unterwegs waren zu Feiern, von Feiern. Leute die dicke Mäntel und Mützen trugen. Wahrscheinlich war es noch kälter, auch wenn es vom Gefühl her keinen Unterschied mehr machte. Ihre Finger waren trotz Handschuhen so kalt. Wenn sie zurückkamen, könnte sie sich aufwärmen.

Nachdem sie mit ihren Eltern gesprochen hatte, natürlich.

Da. Da endlich war der Fernsehturm.

Yefim hatte sich müde auf dem Beifahrersitz zusammengerollt und war offenbar eingeschlafen. Selbst für ihn musste es kalt sein.

Als Olga endlich in eine Parklücke vor dem Fernsehturm fuhr, stupste sie ihn an. „Komm.“

Der Fuchs hob den Kopf und stellte seine Ohren auf, ehe er gähnte und sich streckte, nur um missmutig vor der Tür zu warten. Olga stieg aus, ging um den Wagen herum, um ihm zu öffnen, während auch Vaska ausstieg.

Das Mädchen ließ die Schultern hängen. Etwas, das Olga verstehen konnte.

Sie seufzte. „Lass uns zur Balaya gehen und hoffen, dass alles …“ Sie beendete den Satz nicht – sie wusste nicht wie.

Doch Vaska nickte und folgte ihr zum Turm.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Taroru
2021-03-26T16:04:05+00:00 26.03.2021 17:04
mhm...... okay, das macht es natürlich nicht einfacher, erinnerungslücken sind jedenfalls nicht lustig....
bin gespannt wie sich der kreis schließen wird
Von: Futuhiro
2021-03-20T20:39:30+00:00 20.03.2021 21:39
Hm~ Ich weiß gar nicht mehr so genau, ob sie in der Original-Version vor einem Jahr auch nochmal zum Fernsehturm zurückgefahren waren, und ob Vaska sich erinnern konnte. Ich weiß nur noch, wie fies ich es fand, dass Olga von nichts mehr wusste. Hast du die Szene später nochmal ausgebaut? ^_^


> ... während die Katze auf ihrem Schoß sich genüsslich ausstreckte und dabei die Krallen im festen Mantelstoff versenkte.

--> Ich liebe diese Stelle. >u<
(Merkt man, dass ich Katzen total liebe? XD)


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