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Force of Nature

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen wunderschönen guten Abend euch! Hier nun der neue Teil! Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen :3

Der Teil kommt allerdings mit einer Triggerwarnung: ich thematisiere hier Jeans Vergewaltigungen. Komplett anzeigen

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Der Hausaufgabendieb

Jean stand stirnrunzelnd vor dem riesigen Regal an Lebensmitteln, die er immer noch nicht alle kannte. Auch nach Monaten waren ihm viele dieser Dinge ein Rätsel und die quietschbunten Packungen luden nun wirklich nicht dazu ein, dass er sein Geld dafür ausgab.

Sein Kapitän sah das anders und so hatte Jean eine Einkaufsliste erhalten, wo genau diese Dinge draufstanden und Jean seit geraumer Zeit damit beschäftigt war, im Supermarkt nach ihnen zu suchen.
 

Fahimas angebotene Hilfe hatte er abgelehnt, denn er wollte selbst wissen, wo er was finden konnte. Auch wenn sich ihm das System der Position von Waren in einzelnen Kategorien des Supermarktes nicht wirklich erschloss.

„Und?“, fragte eben jene augenzwinkernd, den Wagen neben sich, den sie bereits vollgeladen hatte mit den Einkäufen für ihr Team.
 

Jean starrte auf das bunte Sammelsurium aus gesunden Dingen und fürchterlich ungesunden Lebensmitteln. Fahima hatte nach dem Training den Fehler gemacht, ihren gemeinsamen Einkauf anzukündigen und zu fragen, ob sie jemandem etwas mitbringen sollten. Daraus war ein Exzess an Lebensmitteln, Süßigkeiten und Gegenständen geworden, der Jean mehrfach die Augen rollen lassen hatte. Er war Fahima da keine große Hilfe, aber er bemühte sich, auch wenn er erst die Listen von zwei Personen hatte abarbeiten können.
 

„Ich finde diese Süßigkeit nicht“, gab Jean mit einem resignierten Grollen zu und sah auf Fahima hinunter, die ihn mit kaum verhohlener Belustigung anstarrte und ihn sacht mit der Schulter anrempelte.

„Ist doch okay, das ist auch nicht leicht zu finden. Schau mal hier.“ Sie deutete auf das unterste Regal und ganz am linken Ende sah er das, was auch auf der Liste stand.
 

Hawaiin Punch Cotton Candy.
 

Jean schauderte. Das sah schon schlimm aus und er befürchtete, dass es noch viel schlimmer schmecken würde. Nicht, dass er auch nur ein Stück davon in den Mund nehmen würde.
 

„Dieses Team sollte sich gesünder ernähren“, grollte Jean wenig erfreut und scheiterte an ihrem viel zu amüsierten Nicken, das überhaupt nicht ernst zu nehmen war. Er wandte sich indigniert wieder der Liste zu und warf einen Blick in den Laden, der, so wurde es ihm bewusst, derselbe war wie der erste, den er hier betreten hatte.

Überrascht hielt Jean inne. Vor Monaten hatte er kein Gespür für Geld gehabt, keinen Sinn zu überleben und auch kein Interesse an den Dingen, die um ihn herum geschahen. Er hatte noch nicht einmal Interesse daran gehabt, sich ein Kissen zu kaufen. Eben jenes Kissen, was er nun wirklich gerne mochte und mitnichten hergeben wollte, auch wenn Jeremy den einen oder anderen Versuch unternommen hatte, ihre Kissen zu tauschen.
 

Nun stand er hier und wusste zumindest grob, wo er was fand. Er konnte alleine durch die Gänge laufen, ohne dass ihn unsichtbare Ketten an die direkte Nähe seines Kapitäns fesselten. Er verlief sich nicht mehr so häufig wie zuvor.
 

Es war gut. Tatsächlich. Das Leben war gut.
 

„Du strahlst von innen heraus, Jean Moreau“, sagte die viel zu aufmerksame Fahima an seiner Seite und Jean zuckte ertappt zusammen.

„Das bildest du dir ein“, erwiderte er entsprechend abwehrend, doch Fahima hatte bereits Lunte gerochen.

„Das Leben hier tut dir gut. Jeremy tut dir gut. Und du ihm“, sagte sie viel zu sanft, als dass es etwas Anderes als vielsagend gewesen wäre. Natürlich hatte sich in ihrem Tratschtantenteam herumgesprochen, was Alvarez, Val und Ellie so freimütig angenommen hatten. Wie ein Lauffeuer war es am nächsten Tag selbst bei Doktor Chandler gewesen.
 

Überraschenderweise war niemand erstaunt gewesen, im Gegenteil.
 

Es war Logan, der Jean mit einer spöttisch erhobenen Augenbraue angesehen und ihm gesagt hatte, dass es ja nun wirklich nichts Neues war, das zwischen ihm und Jeremy etwas lief. Jean hatte widersprechen wollen, doch Logan hatte abgewunken und war gegangen, ohne ihm die Möglichkeit zu lassen, sich zu rechtfertigen. Der Mistkerl. Nur dass er eben nicht der Einzige war, der so dachte, denn anscheinend war es für die ganzen Trojans schon längst beschlossene Sache gewesen, dass Jeremy und er Dinge taten.
 

Jean fragte sich immer noch wieso.
 

„Ihr seid wunderbar, einzeln wie zusammen“, lobte sie freigiebig und Jean senkte den Blick. Er war verlegen und wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Am Besten gar nichts und am Besten nahm er die Einkaufsliste wieder auf, die er so sträflich vernachlässigt hatte. Sacht knuffte Fahima ihn und ging leise singend in Richtung Gemüse davon.
 

Eigentlich hatte Jean da auch hingewollt, aber nun suchte er die Joghurts heim. Die sagten ihm wenigstens nicht, dass er wunderbar war und raubten ihm damit die Worte.
 

~~**~~
 

„Moreau!“
 

Jean schloss die Tür ihres Schlägerspindes und drehte sich zu ihrem Coach um, der mit seinem üblichen, grummeligen Ton nach ihm gerufen hatte. Fragend hob er die Augenbraue und joggte zu dem älteren Mann, der am anderen Ende des Spielfeldes stand und ihn viel zu neutral musterte, als dass es Jean genug Ruhe vermitteln würde.
 

„Coach?“, fragte er dementsprechend vorsichtig und Rhemann nickte knapp.

„Mitkommen.“
 

Jean folgte seinem Trainer und schloss auf Rhemanns Nicken hin mit nervösen Fingern die Tür zu dessen Büro.

„Ich mach’s kurz, Moreau. Die Ravens wurden für die komplette nächste Saison gesperrt. Der Verband hat das Zeigen dieses Sexvideos von dir als grobe Unsportlichkeit gewertet und sie ausgeschlossen. Wie du dir vorstellen kannst, war der Verein ganz und gar nicht begeistert davon. Soweit ich das mitgekommen habe, haben sie ihren neuen Trainer wieder gefeuert und den Kapitän der Ravens auf Dauer suspendiert, weil er im Verdacht steht, das Ganze angeleiert zu haben.“
 

Jean schluckte, während er Rhemanns Worten lauschte. Es befriedigte ihn zu hören, dass es Konsequenzen für die Ravens gab und dass sie nächste Saison nicht mehr spielen würden. Das geschah ihnen Recht. Was es für Auswirkungen für ihn haben würde, wenn das vormals prämierte und ertragreiche Team wegen ihm nicht mehr spielen durfte…
 

Doch das war vor über zwei Wochen gewesen. Wenn der Lord ihn hatte umbringen lassen wollen, dann hätte er es schon längst getan, oder? Außerdem war er – im Gegensatz zu den Ravens – nicht durch unsportliches Verhalten aufgefallen, ganz im Gegenteil. Er hatte seinen Wert bewiesen, auch unter Umständen, die widriger nicht hätten sein können.
 

Jean ließ seine Gedanken zu dem Punkt schweifen, der ihn mehr beschäftigte als seine Mutmaßungen über den Patriarchen des Moriyama-Clans.

Er fragte sich, ob es sicher war, nun mit Rhemann über die Herkunft des Videos zu sprechen. Beim Spiel wäre es das nicht gewesen, doch nun würde sein Trainer ihn sicherlich nicht mehr sperren oder vom nächsten Spiel ausschließen, nur weil es ihm passiert war.
 

„Es war kein Sexvideo“, stellte er richtig und die Verwirrung seines Coaches war offensichtlich. Natürlich, wusste er doch nichts von Jeremys Definition und von dem, was passiert war. Dass Jean in der Nacht vor Schmerz geschrien hatte, sah man auf dem Video natürlich nicht. Jean räusperte sich und starrte auf seine Hände, die von ihrem Training noch ganz rot und gut durchblutet waren.

„Ich wollte das nicht, was mit mir gemacht wurde. Also das auf dem Video. Er hat sich mir aufgezwungen, das war kein Sex“, nutzte er Jeremys Definition für den Unterschied zwischen Sex und Vergewaltigung und musterte Rhemann vorsichtig.
 

Seine Worte, so ruhig sie auch waren, ließen die Gestik und Mimik seines Coaches einfrieren. Da war nichts mehr. Rhemann starrte ihm in die Augen und das machte Jean mit jeder Sekunde, die verstrich, unruhiger. Je mehr Zeit verging, desto schlimmer wurde es und schlussendlich räusperte er sich nervös.
 

„Jemand hat sich dir aufgezwungen“, wisperte Rhemann daraufhin rau und Jean nickte. Er zuckte brachial zusammen, als der andere Mann sich abrupt bewegte und wich in instinktiver Erwartung eines Schlages zurück. Dass Rhemann lediglich die Hand nach ihm ausgestreckt hatte und ihn nun bestürzt musterte, sah Jean erst jetzt, als er den Blick hob.
 

„Und davon haben sie ein Video gemacht?“ Seine Stimme wurde immer wütender, je mehr er sagte und Jean schluckte. Sein Instinkt riet ihm zu fliehen, weil diese Wut geben ihn gerichtet sein könnte. Sein in Los Angeles gesammeltes Wissen flüsterte ihm ein, dass Rhemann nicht auf ihn sauer war. Sicher war er sich nicht und sein Instinkt hatte da ganz andere Bedürfnisse.
 

„Ja, das haben sie“, bestätigte Jean schlicht und konnte den Schrecken, der hinter diesen Worten lag, nicht gänzlich verbergen. „Aber die Männer, die das getan haben, sind nicht mehr da. Es ist also okay.“

„Männer… und nein! Nichts ist okay!“, begehrte Rhemann auf und Jean senkte schuldbewusst den Blick. Natürlich war es das nicht. Schließlich konnte Rhemann sehen, dass es möglich war, ihn zu demütigen und dadurch ein Spiel zu gefährden. Jean presste seinen Kiefer eisern aufeinander, als er seinen Fehler erkannte.

„Ich kann noch spielen, Sir. Meine Leistung ist dadurch nicht beeinträchtigt. Sie haben damit aufgehört, als ich zwanzig geworden bin. Ich kann weiterspielen, versprochen. Auch wenn sie weiterhin Videos zeigen. Das beeinflusst meine Fähigkeit zu spielen nicht.“

Dieses Mal bewegte sich sein Coach langsamer und berechenbarer für Jean. Er ließ sich auf einen der Stühle auf halbem Weg zwischen Jean und seinem Schreibtisch fallen und barg den Kopf in seinen Händen, scheinbar außer sich vor Emotionen, die Jean nicht genau bestimmen konnte.
 

Ein gequälter Laut verließ Rhemanns Lippen, bevor er mit großen, entsetzten Augen zu Jean hochsah. Keine Wut also. „Junge, hier geht es nicht darum, ob du spielen kannst oder nicht. Hier geht es um dich und was sie dir angetan haben dort. Es tut mir so leid, dass du das alles durchmachen musstest. Ich bin entsetzt und ich bin bestürzt, weil ich nicht weiß, wie ich reagieren soll, um etwas davon wieder gut zu machen. Dir soll es doch gut gehen hier. Du sollst doch nicht leiden.“
 

Die emotionalen Worte berührten Jean mehr, als er es erwartet hatte. Er nahm sich den anderen Stuhl und setzte sich langsam und in ausreichender Entfernung zu Rhemann darauf.

„Es ist okay hier. Ich…ich freue mich. Hier zu sein, weg von Evermore. Ich bin regelmäßig bei Brian und wir sprechen über das, was passiert ist. Er hilft mir. Die Trojans und Sie zeigen mir, dass es auch anders sein kann als dort. Dass es nicht so sein muss. Und dafür bin ich Ihnen dankbar, Coach.“ Seine Stimme war immer leiser geworden und zum Schluss beinahe unhörbar. Es war das erste Mal, dass er die Worte, die er in sich fühlte, auch wirklich aussprach.
 

Rhemann musterte ihn vorsichtig. „Aber da ist doch selbstverständlich, Jean. Du bist ein Mensch. Dir steht jederzeit und immer das Recht zu, unversehrt zu bleiben“, erwiderte er beinahe schon sanft und vor einigen Monaten hätte Jean das als Lüge abgetan. Nun stand er dem Konzept weitaus offener gegenüber, dennoch hatte er immer noch Restzweifel, diese Wahrheit vollumfänglich anzuerkennen.
 

„Es wird…besser“, gestand Jean schließlich ein und erlaubte sich ein versicherndes Nicken. Er meinte es als Versicherung und deswegen konnte er mit der Trauer in den schwarzen Augen seines Trainers wenig anfangen.

„Ich möchte, dass du weißt, dass ich dich jederzeit unterstützen werde, wenn du zur Polizei gehen und Anzeige erstatten willst.“
 

Jean blinzelte. Zur Polizei? Wie auch schon zu Beginn war die Polizei etwas Nebulöses und Hilfloses, das ihm nicht helfen würde ganz im Gegenteil. Es würde die Moriyamas auf seine Spur bringen und das durfte er nicht zulassen. Nicht mit den Verbindungen, die er geknüpft hatte. Nicht mit den Menschen, die er mochte.
 

„Es ist nicht mehr nötig“, erwiderte er daher indifferent und Rhemann glaubte ihm kein Wort. „Es gibt sie nicht mehr und sie können niemandem wehtun. Außerdem ist Riko tot. Er…er hat es damals initiiert.“

Jean wusste, dass er aufhören sollte zu sprechen, weil seine Worte nur Schmerz in Rhemann erzeugten, doch er konnte nicht. Es sprudelte aus ihm heraus und Jean hegte den Verdacht, dass es daher kam, dass ihm in Evermore nie geglaubt worden war. Dass jeder weggesehen hatte. Rhemann tat das nicht und kümmerte sich. Er sorgte sich und ein kleiner, naiver Teil in Jean sehnte sich genau danach um zu verarbeiten, was geschehen war. Um es wieder gut zu machen. Für sich.
 

„Ich würde dich so gerne in den Arm nehmen“, sagte sein Coach schließlich und Jean war froh, dass der andere Mann keine Anstalten machte, auf ihn zuzukommen. Er stellte es ihm frei und das alleine brachte Jean zum Nachdenken. Wie wäre es denn, wenn? Das Undenkbare. Eine Berührung eines Coaches, der ihm keine Schmerzen zufügte. Trotz seines Bedarfes an Wiedergutmachung und an Wahrnehmung seines Leides war das etwas, das noch sehr weit weg war im Rahmen alles Möglichen.
 

Jean schluckte schwer und starrte auf seine Hände. Rhemann war nicht der Herr. Rhemann schlug ihn nicht, peitschte ihn nicht aus, er hatte ihn immer mit Respekt behandelt. Warum sollte er es also nicht wagen?
 

„Wenn Sie das wünschen“, entgegnete er und erntete ein trauriges Lächeln.

„Moreau, es geht nicht darum, was ich mir wünsche, sondern was dir gut tut.“

Das war einfach zu beantworten und ebenso einfach kam es Jean über die Lippen. „Die Trojans tun mir gut“, erwiderte er und brachte ein ehrliches Strahlen auf das Gesicht seines Coaches.

„Das ist gut zu hören“, nickte sein Coach, doch die Traurigkeit in seinen Augen konnte er nicht verbergen.
 

Jean zögerte einen Moment und schüttelte dann den Kopf. „Ich möchte es für die Zukunft nicht ausschließen, aber jetzt möchte ich nicht umarmt werden“, sagte er vorsichtig und es war vollkommen in Ordnung für Rhemann. Er nahm es ihm nicht böse, ganz im Gegenteil, und schon das heilte die Wunde, die Jean in seinem Inneren spürte, ein Stück weiter.
 

~~**~~
 

Jeremy hatte Tage.
 

Tage, an denen sein Team nicht sicher vor ihm war. Tage, an denen er nur Unsinn im Kopf hatte und sein Team unter ihm zu leiden hatte. Egal wer.
 

Er hatte seit Jeans Ankunft bei ihnen keinen solchen mehr gehabt, doch nun war es unvermeidbar. Seit er aufgestanden war, hatte er sprichwörtliche Hummeln im Hintern. Ihm ging es gut und er war entspannt, gelöst. Brian war in der Lage gewesen, ihm in den letzten Tagen das enge Band, das seine Seele umschlossen hatte, zu lösen. Stück für Stück hatten sie die Grundlage für eine Verarbeitung geschaffen, die ihm helfen würde, mit dem Wissen um die Grausamkeiten, die Jean zugestoßen waren, umzugehen. Das traumatisierende Mitwissen und Mitansehen.
 

Jeremy war erleichtert, dass es einen Weg für ihn gab, damit umzugehen, und das schlug sich auf seine Laune nieder und somit auch auf die Gefahr, dass er einen dieser Tage hatte. Alvarez war die Erste gewesen. Sie hatte gleich noch vor ihrer ersten Vorlesung einen Kaffee mit Chilipulver von ihm bekommen. Ajeet hatte er heute im Training seinen Schläger geklaut und war mit diesem vor dem Torhüter während ihres Trainingsspiels gegeneinander quer über das Spielfeld weggerannt. Ellie und Logan hatten ihre Protektoren vertauscht vorgefunden und nun hatte Jeremy ein neues Opfer.
 

Jean.
 

Ja, er hatte Tage, da war er lebensmüde.
 

Sehr lebensmüde, denn er hatte dem hochkonzentrierten Backliner seine Hausaufgaben für den Makroökonomiekurs unter den aufgestützten Armen weggezogen, weil dieser sich seit Stunden darin vergaben hatte, ohne auf seine Umgebung zu achten.
 

Die Blätter eisern umklammert stand er nun am Durchgang zum Wohnzimmer und wartete, dass Jean langsam auf seiner Trance herauskam. Was er auch tat, auch wenn er Sekunden brauchte, um langsam seinen Kopf zu heben. Noch viel langsamer drehte er den Kopf zur Seite, sodass er über seine Schulter sehen konnte, die Augenbraue fragend erhoben.
 

Stumm wurde Jeremy gemustert und er wie auch seine schelmische Seite grinsten breit. Er hob die Blätter und wackelte mit den Augenbrauen.

„Genug gelernt, jetzt ist Freizeit!“, forderte er den Teufel heraus, der ihn nach wie vor stumm musterte und dessen durchdringender Blick viel viel Gutes auf Aufregendes in Jeremy anrichtete.

„Jeremy. Das sind meine Hausaufgaben“, sagte Jean ruhig, als wäre das nicht offensichtlich und als würde Jeremy sie zum ersten Mal sehen. Begeistert nickte er und trat einen Schritt nach hinten. Jean zuckte, hielt sich dann aber zurück, ganz klar unschlüssig, was er tun sollte.

„Ich war noch nicht fertig.“

„Für heute schon!“, erwiderte Jeremy mit absoluter selbstüberzeugter Überredungskunst, die an Jean abperlte wie Wasser an Öl.

„Nein.“

„Doch.“

Jeremy.

„Jean.“
 

Der Backliner atmete tief ein.

„Gib sie mir.“

„Nö.“

„Doch.“

„Nein.“

„Jeremy.“

„Du musst sie dir schon holen.“

Ein Muskel in Jeans Wange zuckte. „Ich bin nicht Ajeet“, grollte er, doch Jeremy sah bereits, dass der andere Junge sich erhob und sich dabei die Muskeln unter seinem dunkelgrünen Shirt anspannten. Ein Jäger, der bereit war für die Jagd. Jeremy wich zurück, im eigenen Jagdtrieb des Flüchtenden.
 

Eigentlich sollte Jeremy Angst haben vor den dunklen, grauen Augen, die ihn so unamüsiert musterten und taxierten, als wolle Jean ihn fressen. Hatte er aber nicht, nein, dazu war das Kribbeln in seiner Magengegend und etwas tiefer viel zu aufregend. Dafür war er heute viel zu wagemutig.
 

Jean trat einen Schritt nach vorne und Jeremy parierte dies mit einem Schritt nach hinten. So tanzten sie Zentimeter um Zentimeter hinaus aus dem Schlafzimmer in das Wohnzimmer.

„Bleib stehen, Knox“, sagte Jean mit tiefer, warnender Stimme, die Jeremy einen Schauer über den Rücken jagte. Ein Ansporn, weiter zu gehen.

„Bring mich dazu“, raunte er mit Schalk in der Stimme und wich nach hinten, als Jean auf ihn zukam. Oh ja, der Backliner hatte das Spiel begriffen und hatte beschlossen, es langsam zu spielen.
 

„Das sind meine Hausaufgaben“, wiederholte Jean murmelnd die Tatsache, die Jeremy nur zu gut bekannt war.

„Jetzt nicht mehr“, erwiderte er entsprechend wagemutig.
 

Jean legte den Kopf schief und musterte ihn mit einem minimalen Lächeln. Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung und ebenso schnell war Jeremy bei ihrer Wohnungstür. Er machte den Fehler sich umzudrehen, weg von Jean, der mit einem einzigen, großen Satz bei ihm war. Jeremys Hand lag noch auf der Türklinke, die er gerade eben hinuntergedrückt hatte, als Jean seine Hand auf Jeremys legte und den Schwung der Bewegung ausnutzte um die geöffnete Tür wieder leise ins Schloss fallen zu lassen. Beinahe schon bedrohlich fiel sein Schatten auf Jeremy und der sowieso schon dunkle, kleine Flur wurde mit einem Mal noch viel dunkler und beengter.
 

Jeremy schauderte ob des Gefühls der schweren, unnachgiebigen Präsenz, der vollkommenen Bewegungslosigkeit, die ihn hier an der Tür gefangen hielt.

„Meine. Hausaufgaben“, raunte Jean ihm ins Ohr und sein Atem strich kitzelnd über Jeremys Haut. Ein leises Wimmern entkam ihm und instinktiv presste Jeremy sich an Jean, der ihm viel zu wenig Spielraum ließ, sich zu bewegen und deswegen seine Worte ad absurdum führte.

Jeremy lehnte seinen Kopf an die Brust des größeren Jungen und schielte wagemutig zu ihm nach oben.
 

„Komm nicht dran“, grinste er schelmisch und Jean hob vielsagend die Augenbraue.

„Überleg es dir nochmal.“

„Brauch ich nicht.“ Jeremy lockte Jean und, was ihn umso mehr verwunderte, Jean ließ sich locken. Er ging auf das Spiel ein, hatte kein Problem mit ihrer Nähe und mit seinem Tun. Jeremy mochte wetten, dass Jean gerade nicht über das nachdachte, was er tat, sondern dass hier wieder derjenige zum Vorschein kam, der instinktiv handelte. Der wenig kontrollierte, aber bestimmende Jean. Der dominierende Mann mit all seiner Strenge und gnadenlosen Ruchlosigkeit, die er auf dem Spielfeld zu bieten hatte.
 

Jeans Atem strich über sein Ohr und Jeremy legte voller Freude seinen Kopf schief, entblößte damit seinen empfindlichen Hals. Er seufzte innerlich, als quälend langsame Sekunden verstrichen, in denen nichts geschah. Dann jedoch war Jeans Atem der Vorbote auf mehr und kaum, dass Jeremy sich darauf einstellen konnte, waren es auch schon die Lippen des Backliners, die sich vorsichtig und hauchzart auf seine empfindliche Haut in der Halsbeuge legten.
 

Nichts an Jeremys Wimmern war nun stumm und es mündete in einem glücklichen Aufstöhnen. Er lehnte sich zurück in Jeans Wärme und stellte fest, dass Jeans Tun ihn sehr zuverlässig erregte. Was absolut kein Wunder war bei ihrer körperlichen Nähe und Jeans Geruch, der Jeremy so gut gefiel.
 

„Hmmm…“, seufzte er zufrieden und der Körper hinter ihm fror ein. Jean wurde starr, das konnte Jeremy ganz genau spüren und zu seinem Unbill löste Jean sich abrupt von ihm. Langsam drehte sich Jeremy um und sah, dass der andere Junge einen ganzen Schritt zurückgegangen war.

Fragend sah er ihm in das erschrockene Gesicht.
 

„Du…deine Geräusche…ich habe dich bedrängt“, presste Jean rau hervor, ganz zu Jeremys Verwirrung. Er war doch nicht bedrängt worden. Jean hatte doch…

Oh Gott.

Verspätet begriff Jeremy, was das Problem sein konnte und er lächelte sanft.

„Du hast mich nicht bedrängt, Jean, ganz und gar nicht.“ Er lacht verlegen. „Ich bin nur erregt. Auf eine gewisse Art und Weise. Also deine Nähe und dein Tun erregen mich.“

Jeans Blick huschte nach unten und zuckt abrupt wieder hoch in seine Augen. Er schluckte sichtbar.

„Wieso bist du das?“, fragte er und knetete unruhig seine Finger. „Was habe ich getan, dass du es bist?“
 

Es schwang latente Sorge mit in der Stimme und Jeremy atmete tief durch. Jean hatte Angst, dass sich ihm jemand aufzwingen würde. Dass er sich ihm aufzwingen würde. Bewusst entspannte Jeremy sich und verbarg seine gut sichtbare Erregung hinter locker verschränkten Händen. Er schämte sich nicht dafür, würde aber alles tun, damit Jean sich sicherer fühlte.
 

„Ich finde es toll, wenn du du bist, also ja, auch dein unnachgiebiges und dominantes Ich. Das gefällt mir sehr und es erregt mich. Deine Berührungen und Küsse tun das, aber ich würde dich niemals zu etwas zwingen. Niemals, Jean, versprochen.“

Unsicherheit flackerte hinter den aufmerksamen, grauen Augen und Jean brauchte lange, um eine Antwort zu finden.
 

„Aber wenn du erregt bist, sollte ich dem doch Abhilfe schaffen, oder?“

Sacht schüttelte Jeremy den Kopf. „Nein, du bist zu gar nichts verpflichtet. Nur, wenn du auch Spaß daran und Lust dazu hast, dann können wir das gemeinsam angehen.“

Wieder traf er auf eine Mauer des kritischen Musterns und schließlich atmete Jean tief durch.
 

„Wie macht man das?“, fragte er neutral und Jeremy hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was Jean meinte.

Fragend runzelte er die Stirn und Jean machte eine allumfassende Handbewegung. „Das hier. Sex.“

Jeremy blinzelte. Was?

„Willst du, dass ich dir erkläre, wie es geht?“, hakte er vorsichtig nach und Jean schüttelte den Kopf. Verdächtige Röte kroch seine Wangen empor und verlegen sah er zur Seite. Eigentlich überall hin nur nicht zu Jeremy.

„Nein, ich…“, Jean stockte, biss sich auf die Lippen und kämpfte augenscheinlich mit seinen Gedanken. Er rang mit ihnen, bevor er sie in Worte pressen konnte.

„Nein, ich meine, wie initiiert man das?“
 

Überrascht weiteten sich Jeremys Augen und auf der Suche nach Worten blinzelte er. Wie initiierte man Sex? Das war eine schwierige Frage. Es kam einfach. Anziehungskraft und Nähe spielten eine große Rolle. So wie jetzt gerade eben. Doch Jean hatte in dieser Beziehung nur Gewalt kennengelernt und wusste dementsprechend nicht, wie es war, wenn es einvernehmlich geschah.

„Beide haben Lust darauf und finden zueinander. Es ist manchmal einfach ein Blick oder ein Wort, ein Gedanke. Vielleicht eine Berührung oder einfach geplant, weil man Lust darauf hat.“

„Ist dies so eine Situation?“, hakte Jean nach und Jeremy wog den Kopf hin und her.

„Das kommt drauf an. Möchtest du es denn auch?“

Zögernd zuckte Jean mit den Schultern. „Das…weiß ich nicht.“
 

Langsam trat Jeremy einen Schritt auf den anderen Jungen zu und griff ebenso gut sichtbar nach dessen Hand. Er führte sie zu seinen Lippen und hauchte einen sachten Kuss auf die rauen Knöchel. „Dann ist es auch noch nicht der richtige Zeitpunkt, Jean. Erst dann, wenn du dir sicher bist.“

Jean sah erneut an ihm herunter und musterte die Ausbeulung von Jeremys Trainingshose kritisch. Es hatte etwas von einem stummen Zwiegespräch und das wiederum hatte im ersten Moment etwas Komisches. Als Jean jedoch hoch- und ihm direkt in die Augen sah, verlor sich jeder Anflug von Humor. Er war ernst, vorsichtig gar.
 

„Ich würde gerne darüber sprechen. Also darüber, was du magst.“

Jeremy nickte. „Und was du magst.“

„Was ich mögen könnte“, korrigierte Jean und Jeremy nickte.

„Wir könnten uns irgendwann das Video einmal anschauen und dann sagst du mir, was dir daran gut gefallen hat.“

Mit einem Mal schüchtern senkte Jean den Blick und starrte auf ihre verbundenen Hände.

„Das wäre schön“, murmelte er und trat abrupt auf Jeremy zu. Sanft zog Jean ihn zu sich heran und presste ihn an sich. Überrascht stöhnte Jeremy auf, als seine Erregung in Kontakt zu Jeans Oberschenkel kam, und Jeans warmer Atem strich erneut über sein Ohr. „Nach meinen Hausaufgaben“, raunte Jean und rupfte die Blätter schamlos aus Jeremys überrascht-fassungsloser Hand.
 

Gepeinigt jaulte Jeremy auf. „Du Mieser! Du hinterhältiger, mieser Schuft!“, beschwerte er sich lautstark über Jeans Überrumpelungstaktik. „Das ist so gemein von dir, so hinterh-“

Weiter kam er nicht, als Jeans Lippen sich auf seine pressten. So sanft sie waren, so unnachgiebig presste Jean Jeremy an die Holztür und hielt ihn nun wirklich gefangen.

Und wer war er, dass er sich gegen diese Behandlung auch nur in Ansätzen wehrte? Im Gegenteil. Jeremy stöhnte zufrieden auf, hinein in ihren Kuss. Er öffnete seine Lippen und lud Jean ein, ihr Spiel intensiver zu treiben.
 

Jean ließ sich locken, er ging darauf ein und verursachte in Jeremy einen Schauer der Erregung nach dem anderen. Die Laute zwischen ihnen waren zwar nicht halb so frivol wie Jeremys Gedanken, doch auch das reichte, um ihn butterweich werden zu lassen in den Händen dieses Diktators, der schlussendlich einen bestimmten Schritt zurücktrat und Jeremy sehen ließ, dass auch er durch ihr Tun nicht unbeeindruckt war.
 

Im Gegenteil.
 

„Wer hätte gedacht, dass man dich so einfach zum Schweigen bringen kann“, raunte Jean und musste sich räuspern, was Jeremy zu einem amüsierten Schnauben brachte.
 

Doch bei aller Lust, die in ihm schwelte, war es auch Aufregung ob der Verantwortung und des Vertrauens, das Jean ihm schenkte, die beide sein Herz schneller schlagen ließen. Er war derjenige, der den schlechten Erinnerungen aus Evermore vielleicht etwas Gutes gegenüberstellen konnte und Jeremy war mehr als bereit, diese Aufgabe zu erfüllen.
 

~~**~~
 

Und so saßen sie einen Tag später zusammen auf der Couch, aneinander gelehnt, so eng, dass kein Blatt zwischen sie passte. Jeremy hatte nach seinem Einverständnis den Kopf auf Jeans Schulter gelegt und Jean hatte es sich nicht nehmen lassen, einen Kuss auf die weichen, blonden Haare zu platzieren. Jeremy roch gut und Jean brauchte in diesem Moment die anschmiegsame, so freigiebige Nähe des anderen Jungen um sich seiner Sache auch wirklich sicher zu sein. Jean brauchte die zutrauliche Offenheit, immer noch. Er brauchte jemanden, der ihn öffnete und es ihm zeigte.
 

So auch, wie man Sex hatte.
 

Er wollte es – grundsätzlich. Er konnte es sich vorstellen. Er wurde durch Jeremys Nähe erregt und er wollte den anderen Jungen berühren, dessen war sich Jean spätestens seit dem Moment sicher, in dem er Jeremy an der Tür eingefangen hatte. Er wollte diese Laute hören, die tief in seinen Unterleib eindrangen und in ihm ein Kribbeln auslösten, das Jean so noch nicht gekannt hatte. Aber gleichzeitig hatte Jean auch Angst davor, was passieren und wie er reagieren würde. Was, wenn die Erinnerung an Evermore zu stark werden würde? Was, wenn sie immer dominieren würden?
 

Er schüttelte die unsicheren Gedanken ab und deutete mit einem Kopfnicken auf sein Handy.

„Bereit?“, fragte er Jeremy, der mit erwartungsvoll großen Augen nickte. Sein Kapitän war aufgeregt, das sah und spürte Jean nur zu deutlich. Widersprüchlicherweise machte ihn selbst das ruhiger und gelassener, auch wenn er keine Ahnung hatte, warum.

Jean drückte auf den großen Dreiecksknopf und hielt das Handy so zwischen sie, dass sie beide schauen konnten. Sie hatten ausgemacht, dass sie Szene für Szene durchgehen und darüber sprechen würden, um einen gemeinsamen Stand zu haben.
 

Es fing harmlos an, Küsse und Streicheleinheiten, körperliche Nähe, die Jean durchaus ertragen und auch mögen konnte. Wenn er an Jeremys Berührungen von vor ein paar Tagen nach ihrem Spiel in Evermore dachte, dann würde er sie auf jeden Fall mögen.

Jean pausierte das Video und deutete mit einem Nicken auf die beiden Männer. „Es war für mich kein Problem, als wir uns nach dem Spiel gegen die Ravens berührt haben. Ich weiß nur nicht, wie es ist, wenn wir beide unbekleidet sind.“

Jeremy hob den Kopf und nickte ernst. „Ich glaube, da hilft nur ausprobieren, wenn du dich sicher genug fühlst.“
 

Abwägend runzelte Jean die Stirn. „Ich mag deinen nackten Körper“, erwiderte er ehrlich und Jeremy blinzelte. Dann strahlte er und grinste.

„Warte, bis du alles gesehen hast“, sagte er mit wackelnden Augenbrauen und Jean zuckte leicht mit den Schultern.

„Das habe ich schon“, sagte er und wurde sich im nächsten Moment bewusst, was er damit ausgedrückt hatte. Natürlich hatte er schon alles gesehen, eben weil er wie ein Spanner die Welt durch ein Schlüsselloch betrachtete und so häufiger in den Genuss von Jeremys Vorder- und Rückseite gekommen war. Das wusste der blonde Junge nur bisher nicht.
 

Bisher.
 

Sie sahen sich an und Jean wusste, dass er rot wurde. Er spürte die Wärme direkt unter seiner Haut, die mehr und mehr an Bedeutung gewann.

Verlegen räusperte er sich und hoffte, dass Jeremy nicht nachfragen oder im schlimmsten Fall böse sein würde. Doch da war nichts, außer einem vielsagenden Grinsen.

„Du hast gespinxt.“

„Ja, habe ich“, murmelte Jean in einer kruden Mischung aus Schuldbewusstsein und Aufregung, sich verraten zu haben und erntete einen hauchzarten Kuss auf seine Wange dafür.

„Das ist okay.“
 

Er gab einen undefinierbaren Laut von sich und schaltete das Video erneut an. Die Männer legten sich auf das Bett und streichelten sich intensiver, auch tiefer und intimer. Jean spürte, wie das Video ihn auch jetzt nicht kalt ließ und fragte sich zum ersten Mal, seit sie beide den Entschluss gefasst hatten, es zu schauen, ob er es wirklich durchstehen konnte ohne zu einem Orgasmus oder eine deutlich sichtbare Erregung zu bekommen.
 

Das sollte doch möglich sein, oder? Er konnte sich schließlich beherrschen. Oder wollte er es nicht? Konnte er sich vorstellen, heute und hier mit Jeremy bisher nie dagewesene Intimität zu teilen?

Jean grübelte. Sie hatten ausgemacht, dass sie erst über Grenzen und Vorlieben sprechen würden, bevor sie sich wirklich so nahekamen. Doch musste dabei ein großer, zeitlicher Abstand dazwischen liegen?

Er wusste es nicht, aber er fühlte auch keinen Druck in sich. War es das, was Jeremy damit gemeint hatte, als er gesagt hatte, dass sie es auf sich zukommen lassen würden? Vermutlich. Vielleicht hatte Jeremy ja auch gar keine Lust darauf.
 

Als der eine Mann den anderen in den Mund nahm, hielt er es wieder an und sah in die geweiteten Pupillen des blonden Jungen, den das Video ebenfalls ganz und gar nicht kalt ließ, der sich um seinetwillen jedoch zurück zu nehmen schien.

„Ich würde das gerne ausprobieren.“

„Oralsex?“, spezifizierte Jeremy und Jean nickte.

„Möchtest du, dass ich dich in den Mund nehme oder möchtest du mich in den Mund nehmen?“, fragte er weiter und Jean räusperte sich.

„Beides.“

Jeremys rote Ohren verrieten die Freude, die ihm Jeans Antwort bereitete. „Ich würde auch gerne beides machen.“
 

„Der Mann in dem Video ist sehr geschickt darin“, merkte Jean nach einem Moment des Schweigens an und verfluchte seine vage Aussage, als er sah, dass der blonde Junge nicht die Frage erkannte, die zwischen den Worten lag. „Ist es wirklich so einfach?“, schob er zähneknirschend nach und endlich verstand Jeremy. Das Zögern in den blauen Augen teilte ihm eigentlich schon alles mit, was er darüber wissen musste und Jean grollte innerlich. Wie schwer konnte es denn schon sein, schließlich schoben sich Menschen, so auch Jeremy, absurde Mengen an Essen in den Mund. Und so groß waren die primären Geschlechtsorgane eines Mannes nun auch nicht, oder?
 

„Man braucht schon etwas Übung“, erwiderte der blonde Junge schließlich ausweichend und Jean erkannte die Untertreibung, als er sie hörte.

„Ist es erlernbar?“

Abgehackt nickte Jeremy und rieb sich verlegen über den Nacken. „Aber sicherlich.“

Jean machte an das Thema einen geistigen Haken und ließ das Video weiterlaufen. Er war gut darin, Dinge zu lernen und dank des Sadismus seines alten Trainers auch ebenso schnell.
 

„Wie ist es damit?“, fragte er kritisch und deutete auf das, was man, wie er mittlerweile wusste, Rimming nannte. Er sah Jeremy an, der feuerrot im Gesicht überall hinsah nur nicht zu ihm. Nachdenklich versuchte Jean diese Reaktion zu kategorisieren und hob schlussendlich die Augenbraue, als ein gepeinigter Laut Jeremys Kehle verließ.

„Das fühlt sich schon gut an.“

„Aber?“

Jeremy wimmerte und barg den Kopf in den Händen. Irritiert wohnte Jean dem bei und wartete geduldig. Er ließ Jeremy Zeit für eine Erklärung, die dieser anscheinend auch dringend brauchte.
 

„Es ist nicht jedermanns Sache“, presste er schließlich hervor und Jean verstand. Natürlich hatte Jeremy auch Vorlieben.

„Hast du es schon einmal gemacht?“

Wild schüttelte Jeremy die blonden, wilden Haare und Jean brummte. Wenn er es jetzt noch nicht gemacht hatte, bei all dem Vorsprung, den er bereits hatte, dann war das vermutlich nichts für ihn.

Jean ließ das Thema mit einem zustimmenden Laut fallen und drückte abermals auf den Playkopf. Schweigend sah er dabei zu, wie ein Mann beide Schwänze in die Hand nahm.
 

„Das sieht einfacher aus“, merkte er an, während er das Video laufen ließ und Jeremy brummte zustimmend.

„Es fühlt sich auch schön an. Sehr intim.“

Jean glaubte ihm das aufs Wort und schaudere innerlich, als er daran dachte, wie er sich alleine befriedigt hatte. Zusammen würde sich das sicherlich noch besser anfühlen. Glaubte er.

„Ich würde es gerne einmal ausprobieren.“ Auch das stieß auf begeisterte Zustimmung und Jean gewann langsam den Eindruck, dass Jeremy mit fast allem zufrieden war, was er ausprobieren wollte oder was er gut fand. Lag es daran, dass der andere Junge soviel Erfahrung hatte oder daran, dass er ihm nichts aufzwingen wollte? Jean runzelte die Stirn und beschloss, Jeremy nach seinen speziellen Vorlieben zu fragen, wenn sie am Ende des Videos angekommen war.
 

Er widmete sich wieder der Intimität vor sich und ließ das Video laufen, bis die beiden Männer bei der Penetration ankamen. Es sah so einfach so, so leicht, doch das war es in Wirklichkeit nicht, soviel hatte er schon recherchiert.
 

Das, was mit ihm gemacht worden war, war nicht richtig. Dehnung war wichtig, Vorsicht ebenso. Analsex sollte nicht bluten und auch nicht schmerzen. Zumindest der Schmerz, den er empfunden hatte, war nicht normal gewesen. Die offensichtliche Lust, die die beiden Männer dabei verspürten, wollte er auch und im Nachhinein war es auch genau das gewesen, was er auf Jeremys Gesicht gesehen hatte, als er ihn mit dem Reporter überrascht hatte. Jean warf einen Seitenblick auf seinen Kapitän, doch dieser starrte, ihn vollkommen ignorierend, hingerissen auf den Bildschirm. Die Lippen leicht geöffnet war Jeremy fasziniert von dem, was er sah. Jean konnte das nur allzu gut nachvollziehen und räusperte sich.
 

„Ich würde das gerne auch ausprobieren“, sagte er leise. „Allerdings glaube ich nicht, dass ich der empfangende Teil dessen sein kann“, nutzte er Jeremys beschönigende Wortwahl für den Akt. Er glaubte nicht, dass er es noch einmal ertragen könnte und Jeremys sanftes Lächeln und Nicken sagten ihm, dass dies auch nicht notwendig sein würde.

„Das ist vollkommen okay. Ich würde mich freuen, dich in mir zu haben. Wenn du es andersherum nicht möchtest, dann ist das vollkommen okay.“
 

Jean schluckte ob der Einfachheit der Worte. So leicht waren sie, so selbstverständlich. Hier war das so, in Los Angeles.

„Die Männer verwenden kein Kondom…ist das normal?“, hakte Jean nach und sah den Beiden noch ein paar Sekunden zu, wie sie sich harmonisch im Gleichtakt bewegten, bevor er das Video pausierte.

Jeremy wog den Kopf hin und her, anscheinend mit sich in innerem Widerstreit, welche Antwort er geben sollte.

„Wenn man sich in einer langjährigen Partnerschaft ohne Partnerwechsel befindet, dann ja. Aber insbesondere am Anfang einer Beziehung oder bei wechselnden Partnern ist es durchaus sinnvoll, ein Kondom zu nutzen.“
 

Stille trat zwischen sie, als Jean über die Worte nachdachte und versuchte, die Erinnerungen in Schach zu halten, die ihn alleine bei dem Wort überkamen. Als er merkte, dass Jeremy ihn viel zu aufmerksam musterte, räusperte er sich und senkte die Hand mit dem Video um sie auf seinem Schoß abzulegen. Er hatte Jeremy nie die Details dessen erzählt und würde es auch nicht tun. Aber hier musste er eine Ausnahme machen, denn es war notwendig. Oder? Jean grübelte und kam schlussendlich zu dem Ergebnis, dass dieses Wissen Jeremy nicht schaden würde.

Er holte tief Luft. „Kurz bevor es passierte, hat Riko Kondome in meiner Umgebung platziert. In dem Badezimmer, auf meiner Tasche in der Umkleide… Es war für mich ein Zeichen, dass es passieren würde, auch wenn ich nicht genau wusste, wann, und irgendwann hatte ich Angst davor. Als ich dann das erste Mal hier ins Bad gekommen bin, habe ich auch Kondome gesehen und gedacht, dass…“
 

Er sprach nicht weiter, musste es auch gar nicht. Jeremys Entsetzen war deutlich greifbar und Jean tat es beinahe augenblicklich leid, das gesagt zu haben. Anscheinend richteten seine Worte doch Schaden an. Wie so oft.
 

„Ich weiß jetzt, dass es niemals passiert wäre“, unterbrach Jean jeden Versuch des blonden Jungen, sich zu rechtfertigen und seufzte. „Ich weiß, dass Kondome ein Schutz sind. Aber ich glaube, ich muss mich erst an sie gewöhnen und eben auch daran, dass sie für etwas Gutes stehen und dass sie nur ein Mittel zum Zweck sind.“

Nur langsam wich die Anspannung aus Jeremys Gesicht und er entspannte sich, fand zu etwas, das einem Lächeln gleichkam. „Das kann ich verstehen, Jean. Ich habe sie in meinem Teil unseres Badezimmerschrankes, ganz hinten links. Wenn du sie und ihren Gebrauch ausprobieren möchtest, dann geht das sehr gut mit einer Banane.“
 

Jean blinzelte verwirrt und Jeremy sah ihm abwartend in den Augen.

„Banane“, echote er, im festen Glauben daran, dass sein Kapitän ihn gerade auf den Arm nahm. Weit gefehlt, sagte ihm doch die Ernsthaftigkeit der blauen Augen etwas gänzlich Anderes.

„Zum Überstreifen.“

„Zum Überstreifen…“, wiederholte Jean und kam sich langsam wie ein Papagei vor.

„Weil eine Banane annähernd die gleiche Größe und Form hat wie ein Penis.“

Er hob die rechte Augenbraue. Das wurde ja immer fragwürdiger und absurder. Doch Jeremy schien es ernst zu meinen, wenn Jean den entschlossenen Zug um seine Lippen richtig interpretierte.
 

„Ich habe das so mit meinem Dad gelernt“, murrte er verteidigend und Jeans Herz ging bei den so schmollend ausgesprochenen Worten auf. Ein Lächeln zog seine Lippen nach oben und er suchte mit seiner Hand die des blonden Jungen.

„Es ist okay. Ich glaube dir.“

Jeremys Augen verengten sich und er starrte Jean misstrauisch an.

„Wirklich?“

„Ja. Auch wenn es absurd scheint.“
 

~~**~~
 

Und es blieb auch dann noch absurd, als Jean das mitten in der Nacht ausprobierte, während Jeremy tief und fest schlief und von den heimischen Kühen träumte. Er hatte beschlossen, sich selbst auszutricksen und das Licht ausgelassen um die Packung nicht sehen zu müssen. Vielleicht ließ sich seine Angst durch andere Sinneseindrücke in Schach halten, also fühlte Jean die Glattheit der Verpackung, die Perforierung, an der er sie aufriss. Er ertastete die feuchte Glitschigkeit des Kondoms und ein unwilliger Laut verließ seine Lippen. Was war das denn? Was sollte daran anregend sein? Vor allen Dingen, wie würde es sich anfühlen, wenn er sich selbst so ein Ding überstülpte?
 

Jean sah an sich hinunter, auch wenn er sich nicht sehen konnte, schließlich trug er seinen Schlafanzug und es war dazu noch dunkel. Unwirsch verzog er die Lippen. Sollte er es ausprobieren? Konnte er es? Vielleicht sollte er tatsächlich erst die Banane nehmen, die Jeremy ihm empfohlen und die er aus der Obstschale mitgenommen hatte.
 

Er brauchte zwei Anläufe und selbst beim zweiten wollte es ihm eher weniger gelingen, dafür war es einfach zu glitschig.

Jean grollte. Wieso gab es nicht einfach eine Pille für so etwas? Er hatte von Valentine gehört, dass sie eine Pille zur Verhütung nahm. Die Medizin heute war doch so weit, konnte es dann nicht auch eine Pille zur Verhütung von übertragbaren Krankheiten geben anstelle dieses feucht-glitschigen Dings, das ihm immer wieder durch die Finger rutschte?
 

Anscheinend nicht, also musste er hiermit Vorlieb nehmen und dass er das wollte, hatte er heute Nachmittag beschlossen, als Jeremy und er über das Video hinaus über viele andere Spielarten der intimen Lust gesprochen hatten. Ihr Gespräch hatte in Jean vorsichtige Neugier geweckt. Dass er die Intimität mit Jeremy dabei mit seiner Bewältigung seiner Angst vor Wasser mittels des Whirlpools in der Berghütte verglich, behielt er jedoch lieber für sich, auch wenn der Pragmatismus dessen ihm Sicherheit gab.
 


 

~~~~~~~~~
 

Wird fortgesetzt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Vielen lieben Dank für's Lesen, ihr tollen Menschen! :) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Niua-chan
2021-11-16T11:10:19+00:00 16.11.2021 12:10
Emotional gesehen ist dieses Kapitel ein auf und ab. Es ist beeindruckend wie ehrlich Jean zum Coach ist und hat mich völlig gefangen genommen mit seinen Gedanken dazu. Und dann kommt der Satz: "Jeremy hatte Tage." XD
Ich habe so gelacht bei diesem Abschnitt... einfach herrlich. Dann schlägt die Stimmung plötzlich wider um und es endet damit das die beiden einen Porno schauen..... :-)
Auch da ist wider eine Portion Stolz beim lesen dabei auf beide. Es ist toll wie du die Entwicklung der beiden einzeln aber auch als Paar beschreibst.
Ein super schönes Kapitel, vielen Dank dafür.
Antwort von:  Cocos
30.11.2021 23:39
:D Jeremys Tage waren sehr viel Spaß zu schreiben, das kann ich dir sagen. Ich kann mir auch bildlich vorstellen, wie die Trojas kollektiv aufstöhnen, wenn es mal wieder soweit ist. Und wie sie sich revanchieren...

Ich freue mich sehr über dein Lob und dass ich dir eine Achterbahnfahrt der Gefühle bieten konnte. Vielen lieben Dank dir dafür!


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