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Idol

von

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Kapitel 3 - Oh du Fürchterliche ...

Kapitel 3 - Oh du Fürchterliche ...
 

Eine wahre Zettelwirschaft liegt auf dem Wohnzimmerboden verteilt. Skriptblätter von Lucians Roman und meine Zeichnungen liegen vor uns auf dem weißen Teppich.

Für Außenstehende muss es wie ein einziges, riesiges Chaos aussehen. Für uns jedoch, hat alles seine Ordnung. "Perfekt!" Eine perfekte Ordnung. "Wir haben es geschafft!", freue ich mich und bestaune das geordnete Durcheinander.

"Ja. Ich denke, so wird ein Schuh draus." Lucian betrachtet unser 'Werk' und nickt.

"Unglaublich, wenn man bedenkt, wie die letzten beiden Tage verlaufen sind."

"Dazu sage ich jetzt nichts", brummelt Lucian und steht mit knackenden Knochen vom Boden auf. Dabei ächzt er und reibt sich über die Knie.

"Okay, alter Mann", grinse ich ihn frech von unten an, während er ich das Nasenfahrrad vom Gesicht zieht. "Behalte deine Weisheiten diesmal für dich."

"Ich gebe dir gleich alter Mann … Tee?"

"Gerne. Danke."

Während Lucian schleichend Richtung Küche verschwindet, schaue ich ihm grinsend nach.

Endlich mal ein positiver und produktiver Tag! So hatte ich mir das vorgestellt.

Nicht nur die Arbeit mit Lucian war richtig gut, sondern auch er selbst war unfassbar nett, hörte nicht nur zu, wenn ich Vorschläge oder Einwände hatte, sondern diskutierte sie auch ernsthaft mit mir, bis wir zu einem gemeinsamen Ergebnis kamen.

"Soll ich alles zusammenräumen?"

"Kannst du machen", kommt es aus der Küche. Lucian klappert in den Schränken herum während ich alles ordentlich sortiert zu einem Stapel packe. "Anstatt Tee könnten wir auch einen Wein trinken", schlägt er nach einer kurzen Weile vor.

Hm Wein … "Auch gut." Warum nicht? Wir können wirklich auf unsere heutige Arbeit anstoßen.
 

Lucian kommt mit einer Flasche Rotwein und zwei Weingläsern in der Hand zurück zu mir.

Wie zuvor lümmeln wir uns auf den Boden, mit den Rücken gegen die Couch gelehnt.

"Bitte sehr."

"Vielen Dank." Ich halte das Weinglas hoch, während er es mit der dunkelroten Flüssigkeit füllt. "Bei dem Wetter da draußen wäre Glühwein auch nicht schlecht", grinse ich, ehe ich einen Schluck trinke.

Am späten Abend hat es abermals angefangen zu Stürmen und wieder hat es dicke Flocken geschneit. "Hm! Gut!"

"Besser als Glühwein?" Lucian Schmunzelt.

"Etwas, ja." Ich funkle Lucian frech an.

"Dir hole ich nochmal Wein aus der Küche." Er tut beleidigt, meint es aber nicht so.

"Kann ich dich etwas fragen?", unterbricht er die angenehme Stille zwischen uns nach einer Weile.

"Klar", antworte ich.

"Was magst du an meinen Büchern?"

Ich runzle für einen Moment die Stirn. "Fragst du das aus Eitelkeit, oder aus echtem, literarischen Interesse?"

Lucian schmunzelt, wobei er wirklich hinreißend aussieht. "Beides", gibt er unverblümt zu und nippt an seinem Glas.

"Okay", grinse ich. "Dann will ich mal versuchen, dir ehrlich zu antworten."

"Zu gütig."

"Nicht?" Wir lächeln uns an und ich überlege kurz, wie ich ihm an einfachsten erklären kann, was mir seine Werke bedeuten. "Ich denke", beginne ich "es ist die Tatsache, dass die beiden, Slate und Neil, ohneeinander wahrscheinlich schon längst in dieser völlig korrupten und zerstörten Welt zugrunde gegangen wären.

Sie brauchen sich, halten zusammen und sich gegenseitig auf Spur, egal was passiert, und lieben sich wahrhaftig. Man spürt es. In jeder Zeile, auch wenn sie meist ziemlich ruppig miteinander umgehen. Am Ende gibt es nur sie beide. Und das finde ich irgendwie … beruhigend."

"Beruhigend? So hat noch niemand meine Bücher genannt", lacht Lucian.

Ich zucke mit den Schultern. "So empfinde ich es halt." Ich bin schon ein bisschen säuerlich, dass er das lustig zu finden scheint, was er wohl auch bemerkt, denn plötzlich berührt er mich am Arm.

"Sorry, ich wollte nicht lachen. Ich denke, jeder empfindet da anders beim Lesen." Ich lächle schmal und nicke. "Na ja … Wenn man es genauer bedenkt könnte ihre Beziehung wirklich auf eine verrückte Art beruhigend sein."

"Sie können sich aufeinander verlassen", sage ich und beobachte den Schein des Feuers durch mein Weinglas hindurch, während man draußen den Wind durch die Bäume pfeifen hört. "Das gibt es nicht sehr oft auf dieser Welt."

"Wie wahr." Sein Glas stößt sachte an meins, dann trinkt er.

"Auf wen kannst du dich verlassen?", frage ich, ohne groß darüber nachzudenken, da ich das Gefühl habe, damit bei ihm einen Nerv getroffen zu haben.

"Auf mich", antwortet er. "Und auf Ramsey." Als der Hund, der direkt vor dem Kaminfeuer liegt, seinen Namen hört, hebt er müde den Kopf und senkt ihn wieder, als er merkt, dass sein Herrchen nichts bestimmtes von ihm will.

"Sonst gibt es niemanden?"

"Reicht das nicht?" Ich hebe die Augenbrauen und zucke leicht mit den Schultern. "Und auf wen kannst du dich verlassen, hm?" Er weicht mir aus.

"Auf meine Familie. Und auf Bill … Sofern ich Handyempfang habe", scherze ich. Aber Lucian erwidert mein Grinsen nicht. Bin ich mit meiner Frage zu weit gegangen?
 

Lucian sieht gedankenverloren ins Kaminfeuer. "Familie", murmelt er. "Wenn ich mich auf die verlassen müsste, wäre ich verlassen."

Ich schlucke und schaue verlegen auf den Boden vor uns. "Sorry. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen", murmle ich.

"Hast du nicht", erwidert er. "Ich habe damit abgeschlossen." Lucian streckt sich, stellt das Weinglas auf den Wohnzimmertisch und steht auf. "Es ist spät geworden. Wir sollten schlafen und morgen vielleicht nochmal über unsere Arbeit drüber gucken."

"Ja", seufze ich und trinke mein Glas leer. "Wäre wohl besser."
 

Lucian stellt den Funkenschutz vor den Kamin und ich räume die Gläser in die Küche.

Seine Worte gehen mir nicht aus dem Kopf und habe ich das Gefühl, dass die Stimmung schon wieder leicht umgeschwenkt hat. Irgendwie bedrückend.

'Ich hätte einfach meine Klappe halten sollen, jetzt, wo es so gut zwischen uns läuft', denke ich bitter. Immer muss ich es vermasseln!

"Kann ich dich auch etwas fragen?", will ich von ihm wissen und lehne mich gegen die Arbeitsplatte.

"Natürlich. Frag ruhig."

"Warum ich?"

"Hm?" Lucian runzelt die Stirn.

"Warum hast du mich für die Illustrationen ausgesucht?" Das interessiert mich wirklich brennend.

"Ich mag deinen Stil", antwortet er, als würde das alles erklären.

"Und wie bist du auch mich aufmerksam geworden?"

Lucian wischt mit der Hand über den Wasserhahn und dreht sich anschließend zu mir. "Manchmal google ich, was meine Fans so fabrizieren. Fanfics, Fanarts … Da bin ich auf deine Zeichnungen gestoßen."

"Echt?" Er nickt. "Wow." Ich fühle mich ehrlich geschmeichelt.

"Ich mag es, wie du Slate darstellst. Stark aber auch zerbrochen und suchend. Und Neal … Er wirkt auf dem ersten Blick wie ein kleiner Junge, doch er hat so ein inneres Strahlen. Genau das, was Slate braucht."

"Ja", sinniere ich. "So stelle ich mir die Beiden vor. Danke."

"Wofür?"

"Einfach so", grinse ich und stoße mich von der Arbeitsplatte ab. "Gute Nacht", wünsche ich Lucian und lächle ihn an, ehe ich nach oben verschwinde.

"Nacht." Er erwidert mein Lächeln und jagt Ramsey von seinem warmen Platz am Kamin.
 

Als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schließe, lehne ich mich von innen dagegen und starre ins Dunkle. Ich verzichte darauf, das Licht anzuschalten und nur langsam gewöhnen sich meine Augen an die Dunkelheit. Draußen im Flur höre ich Lucians Schritte, gefolgt vom scharbenden Tapsen Ramseys.

Erst als ich nichts mehr höre, laufe ich zu meinem Bett und lasse mich drauf fallen. Ich bin plötzlich so müde, dass ich auf der Stelle einpenne.
 

***
 

Es ist wirklich nicht angenehm, morgens in den Klamotten des Vortags aufzuwachen.

Nach einer ausgiebigen, heißen Dusche fühle ich mich schon viel besser und vor allem wacher.

Als ich nur mit einem Handtuch um die Hüften aus dem Bad schlurfe und auf die Uhr schaue, erschrecke ich. "Schon halb zwölf!" Ich habe total verpennt!

In Windeseile ziehe ich mich an und gehe nach unten. Es duftet schon nach Essen.

'Kochen tut Lucian anscheinend wirklich gerne', denke ich innerlich grinsend. 'Hätte ich ihm gar nicht zugetraut.'

"Morgen", grüße ich ihn etwas verlegen.

Mit hochgezogener Augenbraue sieht er mich an. "Morgen? Es ist fast Mittag."

"Ich weiß. Hab verpennt." Lucian lacht und läuft rüber zur Kaffeemaschine. "Noch was da?" Er nickt und reicht mir die Kanne. "Danke." Damit bewaffnet schlurfe ich zum Küchentisch, wo schon eine saubere Tasse auf mich wartet.

Kaum habe ich mich gesetzt, taucht Ramsey bei mir auf, der seinen großen Hundekopf auf meinen Schoß legt und leise, fiepsende Geräusche von sich gibt.

"Es wird nicht gebettelt", tadelt ihn Lucian. "Er riecht das Essen und denkt, du hättest etwas für ihn."

"Tut mir leid, Großer. Ist nur Kaffee." Ich lasse ihn an der Tasse schnüffeln. Beleidigt zieht er von dannen, als er merkt, dass ich nichts Besseres als in Wasser getunkte Bohnen für ihn habe.
 

"Es hat aufgehört zu schneien", bemerke ich und schaue zur Terrassentür. "Oh shit."

"Jepp", brummt Lucian und setzt sich mir gegenüber. "Wir sind eingeschneit."

Tatsache!

Der Schnee türmt sich fast einen Meter vor der Terrassentür auf. Draußen, auf der Wiese hinterm Haus, liegt er bestimmt noch höher. "Und jetzt?", frage ich mehr mich selbst, als Lucian, der jedoch antwortet.

"Abwarten und Kaffee trinken." Er zuckt mit den Schultern.

Ich rutsche unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Eingeschneit mit Lucian Harvest mitten im Wald. Ich weiß nicht, ob mir das gefallen soll, auch wenn wir uns endlich besser verstehen als zu Anfang. Aber übermorgen ist Weihnachten und eigentlich sollte ich morgen schon wieder von hier abreisen.

"Nervös?" Er hat allem Anschein nach bemerkt, dass ich angesichts der Schneeberge da draußen unruhig werde.

"Was machen wir, wenn der Schnee bis zu den Feiertagen nicht weg ist?", frage ich. "Nichts gegen dich, aber ich würde Weihnachten gern bei meiner Familie sein."

Lucian bleibt gelassen, was mich fast schon wieder in Rage bringt, und zuckt nur mit den Schultern.

"So ein Mist! Ich muss bei meinen Eltern anrufen. Und nochmal bei Billy." Ich krame mein Handy aus der Hosentasche und fluche. Kein Empfang!

"Damit wirst du kein Glück haben", sagt Lucian. "Beim Sturm hat es anscheinend doch mehr Telefonmasten erwischt, als gedacht. Per Radio ist der Notstand ausgerufen worden. Die Festnetzleitung ist auch immer noch tot."

Leicht panisch lege ich das Handy auf den Tisch. "Und was mache ich jetzt?" Wieder nur ein Achselzucken. "Toll! Meine Eltern werden sich eine Menge Sorgen um mich machen, wenn ich weder bei ihnen auftauche, noch mich bei ihnen melde."

"Ich habe ein Funkgerät hier." Bitte?!

"Und was soll ich damit?" Ich kann meinen Eltern ja schlecht eine Nachricht aufs Telefon funken.

"Ich könnte einem Bekannten die Nummer deiner Eltern durchgeben, damit er ihnen Bescheid sagen kann wo du bist. Er wohnt näher an der Stadt. Die Chance, dass er Netz hat, ist größer." Wäre eine Möglichkeit … Wahrscheinlich auch meine Einzige. Oder ...

"Und könnte der mir einen Wagen herschicken?"

Lucian lacht und schüttelt mitleidig den Kopf, als würde er mit einem dummen Kleinkind reden, das die Welt noch nicht versteht. "Hier kommt so schnell keiner durch. Es sei denn, mit einem Heli, aber selbst das wäre zu gefährlich."

"Scheiße." Ich lehne mich mit verschränkten Armen seufzend gegen die Stuhllehne. "Schön. Sagen wir deinem Bekannten Bescheid."
 

Keine halbe Stunde später hocken wir in Lucians Keller vor einem eckigen, graugrünen Kasten.

Er spielt eine Weile damit herum, was dem Ding furchtbare Töne entlockt, als er den Knopf an dem Sprechding drückt und zu reden beginnt. "Liam? Bist du da?" Es knackt, aber kein Liam. "Liam?" Wieder ein Knacken, dann ein ekelhaftes Rauschen. Ob das was wird?

"Liam", wiederholt Lucian. Diesmal mit Erfolg.

/Lucian? Hey!/, meldet sich eine verzehrte Männerstimme. /Alles klar bei dir?/

"Ja, alles bestens", antwortet Lucian. "Aber wie du weißt, sind wir hier draußen eingeschneit. Und die Leitungen sind noch alle tot. Könntest du für meinen Gast eine Nachricht weitergeben, falls du raustelefonieren kannst?"

/Klar. Kein Problem./ Ich atme erleichtert aus.

Lucian gibt diesem Liam die Nachricht für meine Eltern durch und deren Telefonnummer. /Um siebzehn Uhr melde ich mich, obs geklappt hat. Schönen Gruß an deinen Besuch. Vielleicht sehen wir uns ja noch mal./

"Okay. Danke. Mach ich." Lucian stellt das Funkgerät aus und seufzt.

Ich runzle die Stirn. Warum grüßt mich der Funker-Typ? Und warum will er mich vielleicht noch mal sehen?

In mir dämmert eine leise Ahnung.
 

"Wer ist dieser Liam?", frage ich frei heraus. "Klang so, als würde er mich kennen."

Lucian ist schon aufgestanden und schiebt den Stuhl nach hinten. "Tut er ja auch. Schließlich war er vorgestern hier." Also doch!

Mit hochgezogenen Augenbrauen deute ich mit dem Zeigefinger auf den Funkapparat. "Das eben war dein Fickstück?"

Lucian runzelt die Stirn und ich trete mir in den Hintern. Wenn Blondi doch sein Freund ist, dann habe ich soeben total bei ihm verschissen.

"Sieht so aus", grunzt er unfreundlich und lässt mich einfach sitzen.

Oh verdammt!
 

Auf dem Weg nach oben überlege ich mir schon mal eine gute Entschuldigung. Bloß fällt mir nichts Gescheites ein.

Oben an der Treppe erwartet mich Ramsey schwanzwedelnd. Ich tätschle seinen Kopf im Vorbeigehen und halte nach Lucian Ausschau. Abermals finde ich ihn im Wohnzimmer mit einem Buch in der Hand.

"Es tut mir leid", murmle ich kleinlaut und bleibe unschlüssig neben der Couch stehen. "Ich wollte weder dich noch deinen Freund beleidigen." Doch. Wollte ich und habe ich. Jedenfalls was Blondi betrifft. Und auch wenn Liam meinen Eltern über meine Lage Bescheid gibt, kann ich ihn dennoch nicht leiden. Der erste Eindruck von ihm war einfach zu … bescheiden. "Geht mich ja auch nichts an."

"Da hast du recht", entgegnet Lucian, klappt lautstark das Buch zu und sieht mich an. "Und weil dich mein Sexualleben so brennend zu interessieren scheint, Liam ist nicht mein Freund, sondern ein Freund. Ein sehr guter, um genau zu sein."

Mein Gesicht fängt Feuer und ich komme mir auf der Stelle unfassbar bescheuert vor. Gleichzeitig aber auch ein wenig erleichtert. Warum auch immer. Trotzdem schäme ich mich in Grund und Boden. "Okay", antworte ich. "Verstanden."
 

Ich trete beschämt den Rückzug an. Es ist wohl das Beste, wenn ich in mein Zimmer gehe und erst wieder rauskomme, wenn der Schnee endlich die Wege wieder frei gibt, damit ich nicht noch größeren Mist verzapfen kann. Hinterher kann ich unsere Zusammenarbeit komplett vergessen ...

"Himmel noch eins!", höre ich Lucian hinter mir auf einmal zetern. "Bringen wir es hinter uns, damit endlich Ruhe ist!" Was?

Verwirrt bleibe ich neben der Treppe stehen und drehe mich halb zu Lucian um.

Dieser kommt geradewegs mit ausladenden Schritten auf mich zu und sieht mich mit einem sehr merkwürdigen Gesichtsausdruck an.

Ich komme mir vor wie ein Reh im Scheinwerferlicht eines heranbrausenden Autos, unfähig mich zu bewegen. Schon steht er vor mir, packt mich mit einer Hand an der Schulter, drückt mich gegen das Geländer der Treppe und umfasst mit der anderen Hand mein Kinn.

Völlig perplex sehe ich Lucians Gesicht immer näher kommen bis … Scheiße!

Seine Lippen pressen sich auf meine während er mich weiterhin mit diesem beinahe angsteinflößenden Blick anstarrt.

Was soll denn das jetzt plötzlich?!
 

Zuerst rühre ich mich nicht, kann ich auch gar nicht, so erschrocken bin ich über diese Attacke. Doch dann hebe ich meine Arme, lege sie auf seine Brust und drücke. So fest ich kann.

Er soll damit aufhören!

Der hat sie doch nicht mehr alle!

Als er nicht auf meine schiebende Hände reagiert werde ich nachdrücklicher und schlage ein paar Mal gegen seine Schultern. Das wirkt.

Lucian rückt von mir ab und blickt entgeistert drein.

"Hast du sie noch alle?!", kacke ich ihn wütend an und schon macht sich meine linke Hand selbstständig und visiert Lucians Wange an. Den Schlag hat er definitiv nicht kommen sehen. "Denkst du etwa, ich bin eines deiner billigen Fickstücke?!"

Ich bin so sauer! Doch Lucian steht einfach nur da, hält sich seine rechte Wange und glotzt wie ein überfahrenes Eichhörnchen.

Das nutze ich aus, schlängle mich an ihm vorbei und jage kopflos die Treppe hinauf. Ich will nur noch in mein Zimmer!
 

***
 

Der Morgen naht. Man kann schon das erste schwache Licht zwischen den Baumkronen erahnen. Und noch immer liege ich in meinem Bett und bin hellwach.

Seit dem 'Vorfall' vorgestern Mittag, habe ich das Zimmer nur einmal verlassen. Gestern Vormittag, als ich vom Fenster aus Lucian draußen mit Ramsey im Garten herumlaufen sah, und habe mir aus der Küche einen kleinen Vorrat an Essen und Wasser organisiert. Danach habe ich mich wieder in meinem Zimmer eingeigelt und den Rest des Tages damit verbracht, an meinem Handy zu hängen, um doch noch irgendwie einen Fitzel Empfang zu bekommen, aber Pustekuchen.

Ich will hier weg! Und dass am liebsten, ohne nochmal unter Lucians Augen treten zu müssen.

Inzwischen sind mir sogar die Zeichnungen egal. Die kann er von mir aus behalten. Den Rest können sowieso unsere Agenten miteinander aushandeln. Selbst falls doch noch etwas an meinen Zeichnungen abgeändert werden muss.

Ich komme mir ja so dämlich vor! Und ich schäme mich.

Wie konnte ich ihm nur eine Backpfeife verpassen! Aber wieso küsst mich dieser Vollpfosten auch einfach so aus heiterem Himmel?

Kein Wunder also, dass ich ihm eine gelangt habe! … Trotzdem.

"Ach, Scheiße!", brumme ich ins Kopfkissen und drehe mich auf die andere Seite.

Jetzt muss ich allerdings die Tür anstarren, was ich den letzten Tag schon genug getan habe.
 

Ein paar mal glaubte ich Lucian auf der anderen Seite vorbeilaufen zu hören. Bildete mir sogar ein, er würde davor stehen bleiben, aber weder ein Klopfen noch seine tiefe Stimme waren zu hören. Naja. Wahrscheinlich habe ich mir das nur eingebildet oder geträumt. Warum sollte er auch vor meiner Zimmertür herumschleichen? Um sich zu entschuldigen?

Angebracht wäre es. Allerdings müsste ich mich dann bei ihm für die leicht überzogene Ohrfeige und die unschönen Worte entschuldigen …

Ich ziehe mir die Bettdecke über den Kopf. Das alles ist mir ja so peinlich!
 

Wieso will das mit uns einfach nicht klappen? Als scheint ein Fluch auf unsere Zusammenarbeit zu liegen, obwohl es doch vorgestern so gut geklappt hat.

Entweder, wir können wirklich nicht miteinander, oder irgendwas stimmt nicht mit uns. Oder mit einem von uns.

'Alles nur wegen Blondi!'

Wäre der Typ bloß niemals aufgetaucht! Nur Liam ist Schuld! Seit der Kerl auf der Matte stand, lief alles schief …

Obwohl Lucian mich davor ignoriert hat …

Vielleicht stimmt etwas mit ihm nicht. Seine Eigenbrödlerei bekommt ihm bestimmt nicht gut. Das wird's sein. Außerdem hat er ein großes Talent dafür, mich auf hundertachtzig zu bringen. Wie auch immer er das schafft.

'Schade. Dabei kann er so nett sein …'

Unweigerlich muss ich an den Kuss denken und streiche mir dabei unbewusst über die Lippen. Gar nicht gut! Also nicht der Kuss an sich, ich meine, dass ich schon wieder daran denken muss.

"Fuck!" Ich drehe mich zappelnd wieder auf die andere Seite. "Wieso hat dieser Idiot das gemacht?" Mir will einfach keine plausible Antwort darauf einfallen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe und zwinge meine Gedanken an etwas anderes zu denken.

An den leckeren Gänsebraten meiner Mutter. Den ich dieses Jahr höchstens aufgewärmt vor die Nase gesetzt bekomme.
 

Ein Klopfen schreckt mich auf.

Ich muss eingeschlafen sein.

"Nate?" Lucian. Diesmal ist es keine Einbildung. Er steht tatsächlich vor meiner Tür. "Bist du wach?" Ich bringe kein Wort heraus.

Er seufzt. "Okay. Dann hör einfach zu, ja?" Zuhören kann ich. Kein Problem.

Neugierig setze ich mich auf und ziehe die Beine an meinen Körper, während ich gebannt auf die geschlossene Zimmertür starre. "Ich dachte, es wäre doch bescheuert, wenn du am Heilig Abend hier allein im Zimmer hockst und ähm … Also ich habe für heute Abend eine Kleinigkeit gekocht, falls du Hunger hast und …" Wieder ein Seufzen. Diesmal hört es sich irgendwie resigniert an. "Lass uns über alles reden und dann bitte einfach vergessen. Ich erkläre dir alles, aber das kann ich nicht mir einer Tür vor der Nase. Um achtzehn Uhr esse ich. Es wäre schön, wenn du runter kommen würdest." Es raschelt leise. Was tut er da? "Es ähm … ich habe auch eine Kleinigkeit für dich." Was? "Na ja. Also …"

Stille.

Ich bleibe versteinert auf dem Bett sitzen und höre, wie Lucian nach unten geht.
 

Ich weiß nicht warum, aber mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

War das eben eine Entschuldigung? So 'ne Art Friedensangebot?

Supi! Jetzt fühle ich mich erst recht elend.

Ich überlege, was ich tun soll, komme dann zu dem Schluss, dass ich mich vorerst lange genug hier eingeigelt habe und schäle mich aus dem Bett.

Jetzt, wo er den ersten Schritt gewagt hat, wäre es dämlich von mir, sein Friedensangebot nicht anzunehmen. Obwohl das bedeutet, dass ich mich auch bei ihm entschuldigen muss. Die Ohrfeige war echt zu viel, fürchte ich ...
 

Im Bad mache ich mich schnell frisch, suche mir Kleidung raus, die noch einigermaßen frisch ist und verlasse das Zimmer. Doch bevor ich auch nur richtig den Flur betrete, stoßen meine Füße gegen etwas.

Ich schaue runter und ziehe überrascht die Augenbrauen nach oben. Ein Geschenk?

Zögernd hebe ich das flache, rechteckige Päckchen auf und muss grinsen. Es ist in Zeitungspapier eingepackt. Darauf steht mit blauem Edding geschrieben: Hatte kein Geschenkpapier.

Oh Mann! Wer kann da denn noch lange sauer sein?

Kurz überlege ich, ob ich runter gehen soll, entscheide mich aber dafür, wieder zurück in mein Zimmer zu gehen. Ich muss mir auch eine Kleinigkeit für ihn einfallen lassen. Schließlich ist Weihnachten und wenn er schon so nett ist und mir etwas schenkt, käme ich mir blöd vor, ohne was in den Händen vor ihm zu stehen. Nur was könnte ich ihm schenken?

Bis auf einen Koffer voll dreckiger Wäsche habe ich nichts bei mir und die mag er sicher nicht haben. Also was könnte ich …?

Meine Mundwinkel ziehen sich nach oben. Mir kommt da so eine Idee …
 

******
 

Ob die beiden Raufbolde es diesmal hinbekommen? So ganz überzeugt bin ich ja noch nicht. Und ihr?

Schönen dritten Advent euch allen ^^ Ich verziehe mich jetzt und stürze mich in meine Weihnachtsdeko. Irgendwer muss ja mal langsam das Haus zum Glitzern bringen xD

Tschööö!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Yamasha
2019-12-15T18:36:56+00:00 15.12.2019 19:36
Gott ne, sind das zwei Knallköppe! So wie die aneinander vorbei reden und sich missverstehen... Dass es jetzt in wahrsten seine des Wortes geknallt hat, überrascht mich nicht so sehr. 😅 Aber umso mehr bin ich auf die Geschenke der beiden gespannt und ob es ein happy end did die beiden gibt 😄


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