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In Zeiten des Krieges

Draco x Ginny
von

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Teil 2 – Kapitel 20

September 1998

 

Sein Trank wirkte gut, denn Ginny verschlief glatt das Frühstück. Auch Draco konnte nichts mehr so leicht wecken, nachdem er in ihr Bett zurückgekehrt und wieder eingeschlafen war. Erst als jemand lauter als notwendig gegen die Tür polterte, und verkündete, dass das Mittagessen bald fertig sein würde, wachte er wieder auf. Ginny schlief weiterhin seelenruhig und er beschloss im Bad, das er sich leider mit den anderen Hausbewohnern teilen musste, duschen zu gehen. Doch als er dann kurze Zeit später zurückkehrte und sie sich immer noch nicht gerührt hatte, entschied er sie endlich zu wecken. Genervt grummelnd ließ sie es zu – der köstliche Duft des Mittagessens, der sich langsam aber sicher im gesamten Haus ausbreitete, trug vermutlich einen erheblichen Teil dazu bei. Als Ginny den Anschein machte halbwegs aufnahmefähig zu sein erzählte Draco ihr, welche Neuigkeiten er vor einigen Stunden im Salon erfahren hatte, ebenso wie von seinem Plan, Verstärkung für den Orden zu organisieren.

 

Spätestens bei der Erwähnung der Namen derjenigen, die im Kampf gegen die Todesser ums Leben gekommen waren, war sie hellwach. Draco hatte doch gewusst, dass er den Namen Clearwater schon einmal gehört hatte. Sie war eine Vertrauensschülerin aus Ravenclaw gewesen und wie Ginny ihm mit teils traurigem und teils resignierendem Blick berichtete, die Freundin ihres Bruders Percy.

 

Draco lehnte nun gegen den dunklen Schminktisch, der in ihrem Schlafzimmer stand. Am Tag seines Einzugs hatte der Hauself das in die Jahre gekommene Möbelstück aus feinstem Wengeholz mit einem Fingerschnippen wieder hergestellt, den Spiegel vom dicken Staub befreit und die kaputte Schublade repariert. Allem Anschein nach bewohnten sie das ehemalige Ankleidezimmer von Walburga Black. Draco hatte erst einen Fuß in das Zimmer gesetzt, nachdem es von Motten und Spinnenweben befreit worden war. Der Kleiderschrank war kurzerhand in ein Doppelbett verwandelt worden, sodass sie einen Platz zum Schlafen hatten. Dieser Raum war deutlich kleiner, als Dracos Schlafzimmer in Malfoy Manor, aber er erfüllte seinen Zweck.

 

Seine blonden Haarspitzen waren von der Dusche noch leicht feucht. Die Ärmel seines dunklen Hemdes hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt und seine Hände steckten in den Taschen seiner schwarzen Hose. Sein Entschluss stand fest: nach dem Mittagessen wollte er aufbrechen. Bevor er dieses Zimmer verließ würde er darauf achten die Ärmel wieder herunterzuziehen, um das Dunkle Mal auf seinem linken Unterarm zu verdecken. Jeder im Grimmauld Place wusste, dass er es trug, doch er hoffte, dass es ganz getreu dem Motto „Aus den Augen, aus dem Sinn“ für keine weiteren Probleme sorgen würde.

 

„Astoria Greengrass?“

 

Große, braune Augen sahen ihn zweifelnd an. Ginny saß ihm im Bett gegenüber, die Beine zu einem Schneidersitz verschränkt und trug im Gegensatz zu ihm immer noch ihre Schlafkleidung. Er vermutete, dass das gelbe, verwaschene Shirt einem ihrer Brüder gehörte, da es ihr offensichtlich einige Nummern zu groß war. Für einen Moment stellte er sich vor, wie es wohl wäre, wenn sie stattdessen sein Shirt tragen würde.

 

„Du meinst die aus Slytherin?“

 

Draco rollte mit den Augen. „Kennst du denn noch eine Astoria Greengrass?“

 

Ginnys Augen verengten sich bei seiner sarkastischen Antwort. Er hatte überlegt, wie sie reagieren würde, sobald er ihr von seinem Vorhaben erzählte. Offensichtlich war sie skeptisch. Sie wirkte jedenfalls alles andere als begeistert. Kein Wunder. Draco war der erste Slytherin, der sich dem Orden aus freien Stücken anschloss. Allein das war schon ein kleines Wunder gewesen. Dass es noch weitere Widerständler geben sollte, aus dem Haus, das dafür bekannt war, die meisten Schwarzmagier hervorzubringen, war äußerst zweifelhaft. Slytherins mussten immer doppelt so hart daran arbeiten, ihren guten Willen zu beweisen.

 

„Ich wusste gar nicht“, begann Ginny, während sie ihren Kopf zur Seite drehte und seinem Blick somit auswich, „dass ihr befreundet seid.“

 

Der Ton, mit dem sie dieses eine Wort aussprach, brachte Draco dazu die Stirn zu runzeln. Schließlich wusste Ginny, dass die einzigen beiden Personen, die Draco jemals der Kategorie „Freund“ zugeordnet hatte, inzwischen tot waren. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass noch etwas anderes dahinter steckte.

 

„Sind wir auch nicht“, gestand er sachlich. „Obwohl wir beide in Slytherin waren hatten wir nie etwas miteinander zu tun. Vermutlich weil sie zwei Jahrgänge unter mir war.“ Er zuckte mit den Schultern. Auch in seinem Jahrgang hatte es einige Schüler gegeben, mit denen er, abgesehen vom gemeinsamen Unterricht, keinen Kontakt gehabt hatte, wie zum Beispiel Tracey Davis. Bei ihr lag es aber ziemlich wahrscheinlich daran, dass sie halbblütig war. „Aber vor einiger Zeit bin ich ihr zufällig begegnet. Blaise hatte sie mir vorgestellt. Und daraufhin haben wir uns ein wenig unterhalten.“ Er konnte sich noch gut an ihr plötzliches Auftauchen im Papillon erinnern, und wie aufgebracht er gewesen war, weil sein bester Freund ihn so dreist übergangen hatte. So zumindest hatte es sich für ihn in diesem Moment angefühlt.

 

An diesem Abend hatte er Blaise das letzte Mal gesehen. Ein kleiner Teil in seinem Magen zog sich bei der Erinnerung unangenehm zusammen. Vielleicht hatte eine von Blaise‘ letzten Entscheidungen noch etwas Gutes bewirkt, denn er hatte Draco und Astoria zusammengebracht, wenn auch nicht auf die Art, wie er es sich vorgestellt hatte.

 

Ginnys Blick wurde noch skeptischer. Sie wirkte immer noch nicht überzeugt. „Und diese eine Unterhaltung reicht aus, um dich davon zu überzeugen, dass sie sich uns anschließen wird, statt dich direkt Du-weißt-schon-wem auszuliefern?“

 

„Weißt du noch, was ich dir erzählt habe, was sie mit Pansys Familie angestellt haben?“, fragte Draco. „Der Dunkle Lord hat ihre Eltern bestrafen lassen, dafür, dass ihre Tochter sich geweigert hat, seine Befehle auszuführen. Das Gleiche ist Daphnes Familie wiederfahren. Astoria war ihre Schwester. Sie hat nun drei lange Narben im Gesicht.“ Er zog die rechte Hand aus der Hosentasche und fuhr sich mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger über das Gesicht, angefangen von der linken Schläfe bis zum rechten Ohrläppchen. „Es ist eine Strafe, die sie ihr Leben lang tragen muss.“

 

Seine Stimme klang beherrscht, schon beinahe monoton, als lese er aus einem langatmigen Schulbuch vor. Dabei sah es in ihm drin ganz anders aus. Nicht nur der drastische Tod von Pansy und Daphne, sondern auch die Tatsache, dass Voldemort nicht nur sie, sondern auch ihre Familien bestraft hatte, zeigte ihm wieder einmal, wie gnadenlos der Dunkle Lord sein konnte. Ein kleiner Fehltritt konnte nicht nur das eigene Todesurteil bedeuten, man brachte auch diejenigen in Gefahr, die einem am meisten bedeuteten. Seine Entscheidung, sich dem Orden anzuschließen, bedeutete nicht nur für ihn, sondern auch für seine Eltern Konsequenzen. Auch wenn man Lucius und Narzissa Malfoy nichts Belastendes nachweisen konnte, würde man sie ab sofort genau im Auge behalten.

 

„Astoria hasst Snape genau so sehr wie ich“, fuhr Draco fort. „Glaub mir, sie hat einen guten Grund, um sich auf unsere Seite zu stellen. Noch dazu ist sie nicht in Hogwarts, da sie ab sofort aufgrund ihrer Bestrafung zuhause unterrichtet wird. Das wird vieles einfacher machen.“

 

Pünktlich zum ersten September hatte das neue Schuljahr begonnen. Da der Tagesprophet den Grimmauld Place nur über Umwege erreichte, hielt Augusta Longbottom sie diesbezüglich stets auf dem Laufenden. Die Lehrerschaft war beinahe vollkommen neu aufgestellt worden. Muggelkunde war ohne große Überraschung vom Stundenplan gestrichen worden und die Anzahl der Schüler hatte sich drastisch reduziert, nachdem es Muggelgeborenen nicht mehr gestattet wurde in Hogwarts unterrichtet zu werden und zahlreiche Schüler während des Kampfes Anfang Januar ums Leben gekommen waren.

 

„Na schön“, seufzte Ginny. „Wieso nicht? Einen Versuch ist es wert. Wir können jede Hilfe gebrauchen. Wann brechen wir auf?“

 

Dracos linke Augenbraue wanderte langsam seine Stirn hinauf. „Ich werde nach dem Mittagessen aufbrechen. Du bleibst hier.“

 

Empört starrte sie ihn an. „Was? Wieso darf ich nicht mitkommen?“

 

Das genervte Seufzen konnte er nicht unterdrücken. Wo sollte er anfangen? „Ich halte es für weniger klug, wenn ich mit einer Gryffindor auftauche. Außerdem wollte ich in meiner Animagusform fliegen. So werde ich auf keinen Fall auffallen. Für den Fall, dass die Todesser ihr Haus überwachen lassen.“

 

Außerdem, dachte er bitter, ist Astoria in mich verliebt, und es wäre nicht gerade von Vorteil, wenn ich mit meiner Freundin bei ihr auftauche. Aber diesen Gedanken behielt er lieber für sich, sonst würde Ginny sich nur noch mehr aufregen. Ihre Ohren nahmen inzwischen einen gefährlichen Rotton an. Kein gutes Zeichen.

 

„Es wird doch sicher noch einen anderen Weg geben“, wehrte sie sich. „Ich könnte mir Harrys Tarnumhang leihen, und–“

 

„Nein.“ Draco schüttelte entschieden den Kopf. „Ich gehe allein.“

 

„Du solltest aber nicht alleine gehen“, hielt sie energisch dagegen. Offensichtlich wollte Ginny nicht so schnell aufgeben. „Da würde mir jeder andere zustimmen. Was ist wenn etwas schief geht? Was ist wenn sie doch mit den Todessern unter einer Decke steckt? Vielleicht hat sie dich belogen, um deine Loyalität zu testen und sie warten nur darauf, dass du einen Fehler machst.“

 

Darüber hatte er selbstverständlich auch schon nachgedacht. Draco war alles andere als unvorsichtig. Ihre Worte waren berechtigt, doch ihn ließ das Gefühl nicht los, dass etwas Unausgesprochenes in der Luft hing. „Sind diese Befürchtungen der wirkliche Grund weshalb du so überreagierst?“

 

Für einen Moment sah sie ihn perplex an. „Wie darf ich das denn bitte verstehen?“

 

„Du bist eifersüchtig“, stellte er fest und ein Hauch seiner alten Arroganz kehrte in seine Stimme zurück.

 

Ginny schnaubte. „Mach dich nicht lächerlich.“ Abwehrend verschränkte sie ihre Arme vor der Brust. Doch hinter ihrer sturen und beleidigten Fassade erkannte er noch etwas anderes. Es waren Unsicherheit und Angst. Emotionen, die er selten mit der tapferen Weasley in Verbindung brachte. Seitdem er ihr von dem Gespräch mit Charlie erzählt und seine Gedanken darüber Astoria Greengrass für den Orden des Phönix zu gewinnen anvertraut hatte, wirkte sie so angespannt.

 

Draco hatte sie durchschaut. Einer seiner Mundwinkel hob sich amüsiert. Seine grauen Augen musterten sie von Kopf bis Fuß. „Das ich das noch erleben darf: Ginny Weasley, eifersüchtig auf eine Slytherin.“

 

„Und wenn schon“, murmelte Ginny kleinlaut. Ihr Gesicht färbte sich langsam rot. Ob vor Scham oder vor Wut konnte er nicht sagen. „Ich meine … Sogar ich muss zugeben, dass sie verdammt gut aussieht.“ Mit ihrer vorgeschobenen Unterlippe und ihren verschränkten Armen vor der Brust sah sie aus wie ein beleidigtes Kind, das dabei erwischt worden war, wie es Unsinn anstellte.

 

Draco fuhr mit seinem Zeigefinger die imaginäre Linie in seinem Gesicht nach. „Die Narben habe ich bereits erwähnt, ja?“ Allein bei der Vorstellung verzog sich angewidert sein Gesicht.

 

Ginny lachte trocken auf. „Ach ja, ich habe glatt vergessen, dass du oberflächlich bist. Da hab ich ja echt Glück gehabt.“ Kopfschüttelnd blickte sie ihn an.

 

So fühlte sich das also an, wenn der Partner eifersüchtig war. Draco musste zugeben, dass es irgendwie seinem Ego schmeichelte. Vor allem, da es ihm zeigte, wie viel er ihr bedeuten musste, wenn sie sich so sehr darum sorgte, dass sie ihn verlieren könnte. Das machte ihr unsinniges Verhalten schon fast wieder gut. Er fragte sich, ob er sich damals auch so lächerlich verhalten hatte, als er eifersüchtig auf Potter gewesen war. Nach ihrer Trennung hatte er gedacht, dass Ginny mit dem Narbengesicht etwas angefangen hätte und er erinnerte sich noch gut an dieses Gefühl, an diese unerträgliche Hilflosigkeit und den sinnesvernebelnden Zorn, der dafür gesorgt hatte, dass er Potter beim Quidditch mit einem Klatscher vom Besen werfen wollte. Es war kein schönes Gefühl gewesen, das stand fest. Deshalb stieß er sich vom Schminktisch ab, ging auf Ginny zu und kniete sich vor ihr hin, sodass sie ungefähr auf Augenhöhe waren.

 

„Du musst dir keine Sorgen machen“, versprach er ernst. Für einen Moment blickte sie ihn überrascht an, da sie seinen Stimmungswechsel bemerkt hatte. Draco legte seine Hand auf ihre, woraufhin sie ihre Arme vor der Brust löste, eine Geste, die das Aufgeben ihres Widerstands symbolisierte. Ihre Finger verschränkten sich mit seinen. „Dass du denkst, ich würde aus anderen Gründen zu ihr gehen wollen, ist völliger Blödsinn.“ Er seufzte. „Außerdem wäre es ganz schön dämlich von mir, wenn ich es dir erzählen würde“, neckte er sie. „Oder?“

 

Er suchte ihren Blick. Ginny starrte unentwegt auf ihre verschränkten Hände, die nun auf ihren Knien ruhten. Sie grummelte etwas Zustimmendes.

 

„Wie kommst du überhaupt auf den Gedanken?“, fragte er, wobei er versuchte nicht allzu anklagend zu klingen. „Du müsstest doch inzwischen wissen, was ich für dich empfinde.“ Ihre heimliche Unterstellung, er könnte mit einer anderen etwas am Laufen haben, war völlig abwegig. Es wäre nicht nur der ungünstigste Zeitpunkt Ginny das Herz zu brechen, da er momentan mit ihrer Familie und ihren Freunden unter einem Dach hauste, die ihm alle einen Kopf kürzer machen würden, sollten sie von seiner Untreue erfahren. Noch dazu hatte er keinen Grund. Die letzten Monate hatte er die Freiheit gehabt sich jede Frau zu schnappen, die er haben wollte, doch keine hatte ihm gefallen, keine hatte ihn gereizt. Die Wahrheit war, seit dem Tag, an dem er sich auf die rothaarige Gryffindor eingelassen hatte, war er ihr verfallen. Sie war die Einzige für ihn. Gerade erst hatte er sie wieder und diesmal würde ihn nichts mehr von ihr fernhalten.

 

„Ja, das weiß ich.“ Zögernd sah Ginny durch ihre dichten Wimpern von unten zu ihm hinauf. „Aber es wäre schön, es auch einmal zu hören, weißt du?“ Sie biss sich leicht auf die Unterlippe und sah wieder ausweichend zur Seite. Draco wusste, was sie meinte. Die berühmten drei Worte. Schließlich hatten sie sie noch nicht gesagt. Das „Ich dich auch“, das er bei ihrem Widersehen am See ausgesprochen hatte, war zwar nah dran, aber es kam nicht ans Original ran. Dracos Mund wurde ganz trocken und auch das Schlucken half nicht wirklich dagegen, dass sich seine Kehle allmählich zuschnürte. Wieso musste er es unbedingt aussprechen? Sie wusste doch, dass Draco zu den Menschen gehörte, die nicht gerne über Gefühle sprachen. Er zeigte seine Gefühle lieber durch Gesten.

 

Er hatte Potter vom Besen werfen wollen, weil er den Gedanken nicht ertragen konnte, dass sie einen anderen küsste. Er hatte sich von ihr getrennt, um sie vor Voldemorts Grausamkeit zu beschützen. Er hatte sie im Hogwarts-Express versucht außerhalb der Reichweite der Todesser zu bringen. Er hatte ihr den Mondstein gegeben, um sie zu schützen. Und er hatte sich in einen Animagus verwandelt, um zu ihr fliegen und sie sehen zu können.

 

Wenn das kein Zeichen von Liebe war, was dann?

 

Für einen Moment erinnerte sie ihn an Pansy. Sie hatte auch immer von ihm oder Blaise hören wollen, dass sie hübsch aussah, auch wenn sie wusste, dass dies der Fall war. Sie hatte diese Bestätigung einfach gebraucht. Dieses Verhalten zeugte entweder von schwachem Selbstvertrauen oder aber von Narzissmus, doch nichts von beidem traf auf Ginny zu.

 

Und dann dachte er daran, wie er in den langen Nächten, in denen er nicht hatte schlafen können und sie so schmerzlich vermisst hatte, sich gewünscht hatte, noch einmal die Gelegenheit zu bekommen sie wiederzusehen und ihr sagen zu können, was er für sie empfand. Diese Gelegenheit war nun schon lange da und doch hatte er es noch nicht getan.

 

Wieso?

 

Weil er ein Feigling war?

 

Eins stand fest, er wollte es nicht noch einmal bereuen eine Chance nicht genutzt zu haben.

 

„Gin?“ Er wartete darauf, dass sie ihren Kopf wieder zu ihm drehte und ihm in die Augen sah. Langsam beugte er sich vor, schloss die Augen und küsste sie auf die Lippen. Sofort erwiderte sie seinen Kuss, doch gerade, als sie anfing ihn zu vertiefen, löste er sich von ihr, nur wenige Zentimeter, und lehnte, immer noch mit geschlossenen Augen, seine Stirn gegen ihre. „Ich liebe dich“, sagte er leise. „Sehr sogar.“

 

Diese Offenbarung sorgte dafür, dass er sich elendig verwundbar fühlte, als würde er etwas ganz Privates teilen, das eigentlich nur ihm gehörte. Seine Unsicherheit wuchs, als sie zuerst nicht darauf reagierte. Ginny schien wie erstarrt, weshalb er sich ihr wieder näherte, um sie erneut zu küssen, nur damit diese peinliche Stille nicht länger in seinen Ohren dröhnte. Doch kaum hatten seine Lippen ihre wieder berührt, lehnte sie sich zurück und wich ihm somit aus. Mit einem breiten Grinsen sah sie ihn an und ihr Blick schien zu sagen: War das wirklich so schwer gewesen? Die Farbe ihrer Augen glich geschmolzenem Karamell, das eine angenehme Wärme ausstrahlte. Sie wirkte unsagbar glücklich. Allein dieser Anblick war die Offenbarung seiner Gefühle wert gewesen.

 

„Ich liebe dich auch.“ Sanft legte sie beide Handflächen an seine Wangen. „Sehr sogar.“ Ihr Grinsen wurde noch breiter und auch in seinem Gesicht schien sich langsam etwas zu regen. Ein sanftes Lächeln bildete sich, das auch noch anhielt, als sie ihn zu einem weiteren Kuss zu sich heranzog. Das geschmolzene Karamell schien sich auch in seinem Magen zu befinden, denn dort wurde es plötzlich ganz warm und die Wärme breitete sich langsam aber sicher in seinem gesamten Körper aus.

 

Im Stillen musste er ihr zustimmen. Es war wirklich schön, diese Worte auch einmal zu hören. Das Gefühl, das sie bei ihm hinterließen, war überwältigend. Er wollte mehr davon. Jetzt, da die Worte raus waren, kam es ihm töricht vor, sie vorher so lange für sich behalten zu haben. Die Glücksgefühle drängten seine Unsicherheit immer weiter zurück. Ihre Lippen waren zu weich und zu verlockend, um sich länger als unnötig von ihnen fernzuhalten, doch mit viel Willensstärke schaffte er es sich von ihrem Mund zu lösen, um Luft zu holen, für die nächsten Worte.

 

„Ich–“

 

Das laute Poltern gegen die Tür ließ das Holz beinahe bersten und sie beide auf der Stelle innehalten.

 

„Wie oft soll ich denn noch rufen? Das Essen ist fertig!“, donnerte Mutter-Wiesels zornige Stimme hinter der lädierten Tür. „Ginevra Weasley, wenn du glaubst, du könntest jetzt auch noch das Mittagessen verschlafen, dann hast du dich aber geschnitten!“, zeterte sie, woraufhin Ginny das Gesicht zu einer leidenden Miene verzog. „Merlin bewahre, dass ich dieses Zimmer betreten muss, um dich selbst zu holen.“ Ihre Stimme klang so wie Draco sich bei dieser Vorstellung fühlte: ziemlich unwohl.

 

Ginny sprang vom Bett auf. „Bin schon unterwegs!“, rief sie Richtung Tür. Entschuldigend lächelnd hielt sie Draco ihre rechte Hand hin, um ihm auf die Beine zu helfen. „Komm, ich fürchte, sie wartet sonst vor der Tür auf uns.“

 

Draco ließ sich mitziehen, auch wenn ihm das Mittagessen in diesem Moment nicht weniger interessieren könnte …

 
 

* * *

 

Das Anwesen der Familie Greengrass lag im Norden Englands. Draco war bereits einige Male dort gewesen. An manche Abende konnte er sich erinnern, an manche weniger, was entweder an den Mengen an Alkohol lag, oder aber daran, dass sie zu langweilig gewesen waren, um sich daran zu erinnern. Im Gegensatz zu den spannenden und oft lustigen Geburtstagsfeiern von Daphne, zu denen er stets eingeladen worden war, seitdem sie angefangen hatten gemeinsam nach Hogwarts zu gehen, waren die Pflichtveranstaltungen, zu denen seine Eltern ihn so oft mitgeschleppt hatten, weniger interessant für ihn gewesen.

 

Schon damals war es Draco nicht entgangen, dass deren Anwesen nicht einmal annähernd an die Größe und den Stolz von Malfoy Manor herankam. Das Verließ der Greengrasses in Gringotts durfte im Gegensatz zu denen der Malfoys recht bescheiden gefüllt sein. Sie waren ohne Frage wohlhabend, doch so stinkreich wie seine Familie waren sie nicht.

 

In seiner Rabengestalt flog Draco über das dunkle Tonziegeldach, erleichtert, dass es zumindest keine Schutzzauber gab, die ihn von einem unerwünschten Eindringen auf das Grundstück abhielten. Er flog weiter hinab, umrundete das Haus und verschaffte sich einen Überblick über die einzelnen Räume. Daphnes Zimmer hatte sich soweit er sich erinnern konnte im ersten Stockwerk befunden und von ihrem Fenster aus konnte man einen Blick in den Garten werfen. Für einen kurzen Moment landete er auf dem hellen Fenstersims. In der Fensterscheibe blickte ihm sein eigenes Spiegelbild entgegen. Schwarze Augen sahen ihn an. Der Rabe krächzte einmal laut.

 

Hinter der Scheibe erkannte er Daphnes Zimmer. Bei der Feier zu ihrem siebzehnten Geburtstag hatte Blaise sie auf ihrem Bett mit Vaisey beim Rumknutschen erwischt. Es war ihr peinlich gewesen, weil er ein Jahr jünger gewesen war als sie und Blaise hatte sie den ganzen Abend mit Babysitter-Witzen aufgezogen. Von daher war es nicht verwunderlich, dass aus den beiden nichts geworden war.
 

Draco stieß sich vom Fenstersims ab und breitete die Flügel aus. Jetzt musste er nur noch Astoria finden. Deshalb flog er von Fenster zu Fenster. Er hoffte, dass sie zuhause war und nicht irgendwo in der Winkelgasse oder bei irgendeinem Verwandten zu Besuch. Vielleicht war sie doch nach Hogwarts zurückgekehrt, weil die Todesser sie dazu zwangen, um sie im Blick zu behalten. Doch all diese Gedanken sollten sich nicht bewahrheiten, da er sie im zweiten Stock fand. Beinahe lautlos landete er auf dem Fenstersims und blickte offensichtlich in ein Arbeitszimmer, das auch beinahe als Bibliothek hätte durchgehen können. Aber eben auch nur beinahe. Mit der großen Bibliothek in Malfoy Manor konnten die Greengrasses auch hier nicht mithalten.

 

An einem runden Tisch saßen sich zwei Frauen gegenüber. Bei der älteren von beiden handelte es sich offenbar um die Mutter von Daphne und Astoria, denn sie hatte das gleiche lange, blonde Haar. Die ähnlichen Gesichtszüge waren unbestreitbar. Aber auch sie trug nun eine hässliche Fluchnarbe im Gesicht. Auf dem Tisch stapelten sich mehrere Bücher. Allem Anschein nach lernten sie. Draco fragte sich, ob Mister Greengrass momentan ebenfalls zuhause war, oder ob er sich bei der Arbeit befand. Draco überlegte, konnte sich aber weder an den Vornamen, geschweige den an seinen Beruf erinnern.

 

Die beiden Frauen schienen ihn nicht zu bemerken. Und selbst wenn. In ihren Augen war Draco nichts weiter als ein Rabe, der einen kurzen Zwischenstopp auf ihrem Fenstersims einlegte, ehe er weiterflog. Die Sommersonne wärmte sein schwarzes Gefieder, während er wartete. Es sollten noch etliche Minuten vergehen, ehe Misses Greengrass aufstand und das Arbeitszimmer verließ.

 

Draco pickte mit seinem Schnabel gegen die Fensterscheibe. Astoria sah von ihrem Buch auf und in seine Richtung. Draco pickte noch einmal. Zögerlich stand sie auf und näherte sich dem Fenster. Sie wirkte misstrauisch, denn üblicherweise waren es Eulen, die am Fenster auf sich aufmerksam machten, keine Raben. Doch in ihren blauen Augen erkannte er eindeutig auch die Neugier, die sie letztendlich dazu brachte, das Fenster zu öffnen. Dann fiel ihr Blick auf das Stückchen Pergament an seinem Bein.

 
 

Wenn es auf eurem Anwesen sicher ist triff mich dort,

wo wir ungestört reden können.

 
 

***

 

Dracos Augen wanderten durch den riesigen Stall. Der penetrante Gestank der geflügelten Pferde brannte in seiner feinen Nase. Beim Anblick der Abraxaner erinnerte er sich auch wieder an den Beruf von Gareth Greengrass: er züchtete Abraxas-Pferde. Früher einmal hatte er damit gutes Geld verdient, doch seitdem er ebenfalls von Voldemort gebrandmarkt worden war blieben die Kunden aus.

 

„Ich weiß nicht, Draco. Was soll ich schon ausrichten können?“

 

Nachdem Draco sichergestellt hatte, dass dieser Ort nicht überwacht wurde, hatten sie sich auf dem Anwesen bei den Ställen getroffen, die sich neben dem Garten befanden. „Du hättest die Möglichkeit dich an Snape zu rächen“, schlug er sachlich vor.

 

Astoria blickte ihn mit einem amüsierten Lächeln an. „An Snape. Natürlich. Als würde ich eine Chance gegen ihn haben.“ Sie streckte ihre Hand aus und streichelte einem Palomino über den Kopf. Draco hielt lieber gleich zwei Armeslängen Abstand zu den Biestern. Sie mochten zwar freundlich wirken, doch spätestens seit Seidenschnabel wusste er, dass der äußere Schein oftmals trügen konnte.

 

„Ich habe dich während der Verteidigungs-AG beobachtet“, log Draco ohne mit der Wimper zu zucken. „Du bist gut im Duellieren.“

 

„Das war Daphne auch“, entgegnete Astoria trocken, ohne den Blick von dem Pferd in seiner Box zu nehmen. „Und jetzt ist sie tot.“

 

Draco verzog den Mund. Gutes Argument. Aber so schnell würde er nicht aufgeben. „Das stimmt. Aber du lebst noch und hast immer noch die Chance etwas zu bewirken. Oder willst du etwa, dass die magische Welt so bleibt, wie sie im Augenblick ist?“

 

Nun drehte Astoria sich zu ihm um, das Gesicht entschlossen. Die Narben in ihrem Gesicht konnte er schon beinahe ignorieren, zumindest störten sie ihn nicht mehr so sehr wie in dem Moment, als er sie das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte. „Natürlich nicht“, erwiderte sie ernst. „Du-weißt-schon-wer ist grausam. Wer weiß wie viele Familien er noch zerstört. Und all die Muggel, die er auf dem Gewissen hat …“ Ihre Augen wurden glasig und Draco erkannte noch einen weiteren Unterschied zwischen ihnen beiden.

 

„Willst du damit sagen, dass du Muggel …?“

 

„Dass ich sie mag? Mögen ist vielleicht das falsche Wort, aber ich toleriere sie. Sie sind auch nur Menschen. Und sie haben nichts verbrochen, um diese Grausamkeit zu verdienen“, antwortete sie so überzeugt, als stünde nie eine Alternative zur Wahl. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. „Überrascht es dich, dass ich so denke?“

 

Ja!, schrie die Stimme in seinem Kopf. „Ein wenig“, gestand er schulterzuckend.

 

Ihr Lächeln wurde noch weicher, als sie sein Gesicht betrachtete, und wieder einmal erkannte er die Ähnlichkeit zu ihrer Schwester. „Ich weiß, dass das nicht unbedingt die Ansichten eines traditionellen Slytherins sind. Aber manchmal sind die Muggel wirklich interessant.“ Offenbar gab es noch viel mehr Unterschiede zwischen den Malfoys und den Greengrasses. Falls Daphne auch so gedacht hatte, dann hatte sie es all die Jahre gut verstecken können.

 

Bevor dieses Gespräch in eine Richtung verlief, die Draco lieber vermeiden wollte, wechselte er das Thema. „Hör zu, Astoria, ich will dich zu nichts überreden. Solch eine Entscheidung sollte nicht leichtfertig getroffen werden. Wir beide wissen, wie viel auf dem Spiel steht, wenn man gegen die Regeln verstößt.“

 

Ihr Blick wanderte gen Boden und eine tiefe Trauer schien sie zu erfüllen. „Das weiß ich“, gab sie leise zu. Sie hatte es bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen. Nach einem kurzen Zögern fügte sie hinzu: „Ehrlich gesagt, hatte ich es irgendwie immer geahnt, was dich betrifft, oder besser gesagt, ich hatte es gehofft, dass du ihnen nicht folgen würdest. Im Gegensatz zu anderen, wie Crabbe und Goyle, oder Wilkes und Rowle aus meinem Jahrgang, hast du nie groß herum geprahlt wie großartig es ist aus einer Todesserfamilie zu stammen oder wie weltverbessernd Du-weißt-schon wer ist. Jedenfalls habe ich nie etwas in der Art mitbekommen. Du hast zu diesem Thema geschwiegen und ich hatte meine eigenen Theorien, wieso.“

 

Draco hörte aufmerksam zu, während sie sprach. Er erinnerte sich an ihr Gespräch nach ihrem Treffen im Papillon. Sie hatte behauptet, sie hätte ihn beobachtet und würde ihn kennen. Für ihn waren das an jenem Abend nur leere Worte gewesen, denn seiner Meinung nach wusste sie rein gar nichts über ihn. Doch vielleicht war an ihrer Aussage tatsächlich etwas dran. Denn genau auf diese Weise hatten Blaise und Pansy bemerkt, dass er sich den Machenschaften des Dunklen Lords nicht unterwerfen wollte, allerdings keine andere Wahl hatte, als den Weg zu gehen, den sein Vater ihm geebnet hatte.

 

„Vermutlich klinge ich wie ein Feigling, wenn ich das jetzt sage“, sagte Astoria, „aber nachdem was meiner Schwester widerfahren war, konnte ich mir nicht mehr vorstellen, wer sich ihnen freiwillig in den Weg stellen würde. Und dass du vielleicht genau deswegen das Dunkle Mal trägst, weil du weißt, dass es keinen Ausweg gibt.“ Sie machte eine kurze Pause. „Dann stand es vor zwei Tagen im Tagespropheten. Sie nennen dich einen Verräter und haben sogar ein Kopfgeld auf dich ausgesetzt.“

 

Diese Information überraschte Draco nicht, denn mit nichts anderem hatte er gerechnet. Mit Verrätern wurde immer kurzen Prozess gemacht. Doch Astoria schien es regelrecht zu bestürzen. Die Sorge in ihrem Gesicht war unübersehbar. War es nur die Angst vor der Grausamkeit der Todesser oder bezog sich ihre Sorge auf ihn?

 

„Ich würde es jederzeit wieder tun“, gestand Draco, wodurch er sie dazu brachte aufzusehen. Diese Worte dienten nicht dafür sie für seine Sache zu gewinnen, sondern er sagte sie aus voller Überzeugung. „Ich bereue es nur, dass ich es nicht schon früher getan habe.“

 

Ihr Blick war zweifelnd und hoffnungsvoll zugleich. Ihre blauen Augen baten stumm nach mehr. Nach einem Schubs in die richtige Richtung. Nach jemandem, zu dem sie aufschauen, auf den sie hören konnte, jetzt da die große Schwester, die sie sonst geführt hatte, nicht mehr da war.

 

„Seit ich mich erinnern konnte sagte man mir, dass der Dunkle Lord uns eine bessere Welt erschaffen würde, sollte er wieder auferstehen“, begann Draco seine Beweggründe zu schildern. „Ich bin mit seinen Idealen groß geworden und durch meinen Vater standen mir alle Türen in seinen Reihen offen. Allerdings musste ich erst mit eigenen Augen sehen, dass er mehr nimmt, als gibt.“ Es gab so vieles, das Voldemort ihm genommen hatte. Angefangen bei Blaise und Pansy, seinen beiden besten Freunden, die ihm so viel bedeutet hatten, über Hogwarts, seinem zweiten Zuhause, wo er nicht nur Freunde, sondern auch die Liebe gefunden hatte, bis hin zu seiner Selbstachtung. Er musste Menschen töten, die er nicht kannte, stumm Befehle ausführen wie eine Marionette, egal, ob er mit den Idealen übereinstimmte oder nicht. Meinungsfreiheit gab es nicht mehr, man stand ständig unter Bewachung. Das Leben war so viel schwieriger, so viel grausamer geworden, seitdem Lord Voldemort an der Macht war.

 

Draco bemerkte, wie weit er mit seinen Gedanken abgedriftet war. „Ich wollte das alles nicht mehr“, sagte er abschließend. „Und so sehr es mir missfällt mit Potter gemeinsame Sache zu machen“, gab er schweren Herzens zu, „es war die einzige richtige Entscheidung. Dieser Orden, den sie gegründet haben … Es sind nicht viele. Aber ich hätte mich ihnen nicht angeschlossen, wenn ich nicht glauben würde, dass sie eine Chance haben. Es wird trotzdem alles andere als einfach. Jeder, der gegen den Dunklen Lord kämpft, statt für ihn, ist ein kleiner Schritt näher zum Sieg.“ Mit einem verschmitzten Lächeln stupste er sie mit dem Ellenbogen an. „Außerdem bin ich dort der einzige Slytherin. Du willst mich mit denen doch nicht alleine lassen, oder?“

 

Astoria konnte sich das verlegene Lächeln nicht verkneifen, ebenso wenig wie den leichten Rotschimmer auf ihren Wangen. Sie schaute überall hin, nur nicht zu ihm. Ihre Reaktion bestätigte ihm noch einmal das, was er bereits vor einigen Monaten in dieser verlassenen Seitenstraße herausgefunden hatte. Astoria empfand immer noch etwas für ihn.

 

„W-was ist mit Theo?“, fragte sie plötzlich, womit sie ihn leicht aus dem Konzept brachte.

 

Draco brauchte einen Moment, um den Namen zuzuordnen. „Nott?“

 

Sie hob ihren Blick und nickte. Als sie seinen verwirrten Gesichtsausdruck sah legte sie den Kopf leicht schief. „Sag bloß du weißt es nicht?“

 

Draco hasste es, wenn man in Rätseln sprach. Seine offensichtliche Unwissenheit schien sie zu belustigen. „Was soll ich wissen?“, fragte er leicht gereizt.

 

„Wenn du noch einen Slytherin brauchst“, begann Astoria zu seiner Verwunderung, „dann bist du bei ihm an der richtigen Stelle. Er wird sich dir sicher anschließen.“

 
 

***

 

Ginny lag, alle Viere von sich gestreckt, auf dem fleckigen, dunkelgrauen Teppich in dem Raum, in dem sich der Familienstammbaum der Familie Black befand, und starrte an die Zimmerdecke. In ihrem Zimmer hatte sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten. Sie brauchte etwas zu tun, um sich abzulenken, wollte aber gleichzeitig niemanden sehen, weshalb sie letztendlich in diesem Raum gelandet war, den aufgrund seiner bedrückenden Atmosphäre selten jemand aufsuchte. Ginny hatte angefangen die vielen Namen an den Wänden auswendig zu lernen, doch ihre Gedanken lenkten sie immer wieder davon ab.

 

Hoffentlich kehrte Draco bald zurück. Er war bereits seit drei Stunden weg und sie wurde beinahe wahnsinnig. Sie bereute inzwischen, dass sie ihn einfach so hatte gehen lassen. Wenn er nicht wollte, dass sie ihn begleitete, dann hätte wenigstens Charlie oder jemand anderes mitgehen können. Wieso hatte sie sich darauf eingelassen? Woher sollte sie wissen, ob man dieser Greengrass trauen konnte? Immerhin war sie eine Slytherin.

 

Verärgert über sich selbst kniff sie die Augen zusammen. So sollte sie nicht denken. Nicht alle Slytherins waren schlecht. Draco war das beste Beispiel dafür. Sie vertraute auf ihn und seine Menschenkenntnis.

 

Aber was wusste sie über Astoria?

 

Da sie nicht nur in unterschiedlichen Häusern, sondern auch in unterschiedlichen Jahrgängen Hogwarts besucht hatten, hatte Ginny sie nie persönlich kennengelernt, sondern nur flüchtig in der Großen Halle oder in den Fluren des Schlosses gesehen. Möglicherweise handelte es sich bei der Blonden um eine bodenständige, nette junge Frau, mit dem Herz am rechten Fleck und dem Kopf voller Träume. Oder aber sie war eine Femme fatale, die nichts anbrennen und sich nicht von Regeln abschrecken ließ. Ginny wusste nur das, was Draco ihr erzählt hatte, nämlich dass sie für das Versagen ihrer Schwester hatte büßen müssen. Und Ginny fragte sich, was Astoria wohl über ihre Schwester dachte – betrachtete sie sie als Schande, da sie dem Dunklen Lord nicht gehorcht hatte oder war sie stolz auf sie, da sie sich ihm widersetzt hatte?

 

Was hätte Astoria in ihrer Situation getan? Wie stand sie zu Voldemort? Und viel wichtiger: Wie stand sie zu Draco?

 

Knarzend ging die Tür auf. Ginny drehte den Kopf langsam zur Seite, um zu sehen, wer sie beim Alleinsein störte.

 

„Was machst du da?“, fragte Ron leicht irritiert, als er sie auf dem Boden liegend erblickte.

 

„Warten.“ Und versuchen nicht daran zu denken, wie Astoria Greengrass meinem Freund genau in diesem Moment schöne Augen macht …

 

Die Stille, die darauf folgte, lag schwer in der Luft. Seitdem Draco in den Orden des Phönix aufgenommen worden war hatte ihr Bruder nicht mehr mit ihr gesprochen. Es war nicht so, dass er sie direkt ignorierte, aber Ginny fiel zunehmend auf, dass er sie bei jeder Gelegenheit, die sich ihm bot, mied. Beim Essen saß er immer erstaunlich weit weg von ihr, wenn sie sich auf dem Flur trafen grüßte er ohne Augenkontakt und wenn sie im Salon drohten die letzten Anwesenden zu sein hatte er urplötzlich etwas vergessen, weshalb er ebenfalls schnellstmöglich den Raum verließ. Die Anspannung zwischen ihnen stieg von Tag zu Tag.

 

Ginny hatte mit diesem Verhalten gerechnet und sie konnte es Ron auch nicht verübeln. Dass er und Draco sich nicht leiden konnten war eine Sache, dass aber nun ein ehemaliger Todesser unter dem gleichen Dach wohnte, wie er, nahm Ron nicht so leicht hin. Im Gegensatz zu Harry und Hermine schien er noch nicht gänzlich von Dracos Loyalität überzeugt zu sein und die Tatsache, das besagter ehemaliger Todesser auch noch eine innige Beziehung zu seiner kleinen Schwester pflegte, brachte das Fass zum Überlaufen. Es waren nicht nur die feindlichen Blicke Draco oder das enttäuschte Schweigen ihr gegenüber. Bei den Versammlungen schaffte Ron es immerhin seinen Unmut Draco gegenüber lauthals in Worte zu fassen. Ebenso wie Sirius.

 

Ginny wagte einen vorsichtigen Seitenblick zu Ron. War das nun die längst überfällige Auseinandersetzung oder der erste Schritt zur Versöhnung? Mehrere Sekunden vergingen, in denen sich keiner von ihnen rührte. Dann schloss Ron die Tür und kam einige Schritte auf sie zu.

 

Ginny starrte wieder an die Decke. Ihr lag bereits die Frage auf der Zunge, ob Hermine ihn geschickt hatte, verkniff sie sich allerdings. Falls es stimmte würde er sich ertappt fühlen, und falls nicht, wäre er sicher sehr gekränkt. Stattdessen fragte sie: „Wusstest du, dass es eine Black gab, die einen Longbottom geheiratet hat?“

 

Für einen Moment herrschte wieder Stille, ehe Ron antwortete: „Ähh, nein?“

 

„Callidora Black“, erklärte Ginny und zeigte mit dem rechten Zeigefinder in die Richtung, in der sich ihr Name auf dem Wandteppich befand. „Sie hat Harfang Longbottom geheiratet.“

 

„Harfang?“, wiederholte Ron. Ächzend setzte er sich neben seine Schwester und zog dabei die langen Beine an die Brust, die er mit beiden Armen umklammerte. „Komischer Name.“

 

Ginny nickte zustimmend und sie beide verfielen erneut in Schweigen. Die Anspannung zwischen ihnen schien allmählich zu verblassen.

 

„Ich will Hermine fragen, ob sie mich heiratet.“

 

Wie vom Klatscher getroffen fuhr Ginny hoch und starrte ihn mit offenem Mund an. Hatte sie sich gerade verhört? Ron hielt den Blick stur geradeaus, das Gesicht fast neutral, nur die roten Ohren zeugten davon, dass er diese Worte wirklich laut ausgesprochen hatte. Er räusperte sich zweimal, ehe er antwortete.

 

„Ich weiß, was du jetzt denkst: Wieso heiraten, in diesen Zeiten? Aber genau darum geht es“, entgegnete er mit fester Überzeugung. „Es könnte jederzeit passieren, dass die Todesser angreifen und einer von uns die Nacht nicht überlebt. Jeder Tag könnte unser letzter sein und wenn man nicht weiß, wie viel Zeit man noch hat, dann versucht man die Zeit sinnvoll zu verbringen.“ Ron ließ immer weiter den Kopf hängen und starrte nun auf seine Knie. Ginny ahnte, was ihm bei diesen Worten durch den Kopf ging. Das Schicksal hatte urplötzlich ihren Vater und drei ihrer Brüder aus dem Leben gerissen. Es hatte Tage gegeben, da hatte Ginny sich gefragt, wie wohl die letzten Worte gelautet hatten, die sie an Percy gerichtet hatte. Die traurige Wahrheit war, dass sie sich nicht erinnern konnte.

 

„Die Liebe meines Lebens zu heiraten, wäre eines der Dinge, die ich unbedingt getan haben wollte“, sagte Ron leise und das Rot seiner Ohren weitete sich nun auch auf den Rest seines Gesichts aus.

 

Ginny hätte ihn am liebsten auf der Stelle umarmt. Doch statt diesem Drang nachzugeben legte sie nur mitfühlend eine Hand auf seine Schulter und drückte sie leicht. „Ich verstehe gut was du meinst.“

 

Dann endlich sah Ron sie an. „Außerdem bekommen wir bald ein Kind“, sagte er mit dem Anflug eines Lächelns. Verlegen kratzte er sich an der Nasenspitze. „Da gehört es sich doch, dass ihre Eltern verheiratet sind, oder?“ Nun grinste er stolz und stecke Ginny damit an. Hermine war felsenfest davon überzeugt, dass ihr Baby ein Mädchen werden würde und anscheinend hatte sich nun auch Ron an diese Vorstellung gewöhnt.

 

Ginny wollte Ron so vieles fragen. Tausend Gedanken gingen ihr durch den Kopf, seitdem sie erfahren hatte, dass Ron und Hermine ein Kind erwarteten. Es blieb auch nicht aus, dass sie sich fragte, wie sie wohl handeln würde, wäre sie in ihrer Situation, wenn sie und Draco– Nein, an dieses Szenario wollte sie nicht denken. Nicht in Zeiten des Krieges. Stattdessen fragte sie: „Hast du Angst?“

 

Ron legte den Kopf fragend schief. „Vor dem Kind oder davor Hermine zu heiraten?“ Er feixte leicht und sie boxte ihm ohne viel Kraft gegen die Schulter.

 

„Beides.“

 

Sein Grinsen verblasste. „Und wie. Aber sag ihr nicht, dass ich das gesagt habe.“ Rasch warf er einen Blick zur Zimmertür, die nach wie vor verschlossen war. „Ich meine“, seufzte er und blickte wieder an die Wand, „wir sind noch so jung. Bill war immerhin schon siebenundzwanzig, als er geheiratet hat. Ich habe Schiss, aber versteh das nicht falsch. Was Hermine betrifft bin ich mir zu hundert Prozent sicher. Es ist nur … Ich habe Angst, dass uns nicht viel Zeit bleibt. Verstehst du? Genau deswegen will ich es jetzt tun.“ Und Ginny glaubte ihm jedes Wort. Das neben ihr war nicht mehr ihr tollpatschiger, kleiner Bruder, der liebend gern Bertie Bott’s Bohnen naschte und rumheulte, wenn Fred und George ihm ihre Zaubertricks nicht zeigen wollten, sondern ein erwachsener, mutiger und pflichtbewusster junger Mann. Seine Zuneigung zu Hermine war für jedermann sichtbar. Wenn jemand zusammengehörte, dann die beiden. Sie würde mit Sicherheit Ja sagen.

 

„Sirius kennt da wen“, fuhr Ron fort. „Und ich würde mich freuen, wenn wir es noch schaffen zu heiraten, bevor das Baby kommt. Denn dann wird für alles andere erst einmal kaum noch Zeit bleiben. Außerdem denkt Mum sehr altmodisch, wie du weißt.“

 

„Wie hat sie eigentlich reagiert?“, fragte Ginny nach, die sich nur daran erinnern konnte, wie das Auftauchen der hochschwangeren Hermine im Grimmauld Place für allgemeine Sprachlosigkeit gesorgt hatte.

 

Für einen Moment huschte ein Schatten über das Gesicht ihres Bruders. „Sagen wir es so. Sie war nicht erfreut und hat mir eine Predigt gehalten, aber ihre Freude über ein weiteres Enkelkind ist größer als ihr Zorn über unsere offensichtliche Leichtsinnigkeit.

 

Ginny nickte zustimmend. „Gerade von Hermine würde man das nicht erwarten.“

 

„Zu dem Zeitpunkt wussten wir auch nicht, dass so etwas passieren könnte.“ Bei dem skeptischen Blick von Ginny wurde er wieder leicht rot und schüttelte schnell den Kopf. „So meine ich das nicht“, entgegnete er schnell. „Ich meine, eh, von heute auf morgen steht Hogwarts in Flammen und wir sind mit Dumbledore auf der Flucht. Kurze Zeit später hat sich Hermine von ihren Eltern verabschiedet und ihnen geraten das Land zu verlassen. Sie haben Verwandte in Frankreich. Da wollten sie hin, bis sich … naja, bis alles wieder so ist wie früher. Hermine hat sehr darunter gelitten, nicht zu wissen, wann sie ihre Eltern wiedersieht. Ob sie sie jemals wiedersieht.“ Leicht zuckte er mit den Schultern, was Lockerheit vortäuschen sollte, doch seine belegte Stimme zeugte davon, wie sehr ihn das alles ebenfalls belastete. „Mir ging es genauso. Noch dazu waren uns die Todesser auf den Fersen. Wir sind von einem Ort zum anderen gezogen. Einmal war es haarscharf. Sie haben uns in Cuminestown aufgespürt und es kam zum Kampf. Dumbledore konnte Schlimmeres verhindern, aber … Harry wurde verletzt. Keine Panik“, fügte er schnell hinzu, als Ginny schockiert aufkeuchte. „Dumbledore – er hat einen Bruder, wusstest du das? Jedenfalls hat Aberforth – so heißt sein Bruder – es arrangiert, dass Harry versorgt werden konnte. Ich weiß nicht mehr wie er heißt, aber er kannte jemanden, der jemanden kennt. Du weißt ja, wie das ist. Nach einem Heilzauber und mehreren Heiltränken war Harry fast so gut wie neu. Trotzdem. Wäre es ein anderer Fluch gewesen, dann wäre es das gewesen. Und das zeigt einem, wie schnell das gehen kann.“

 

Nachdem erst Ron und Hermine und später Harry und Dumbledore zum Grimmauld Place zurückgekehrt waren hatten sie viel davon berichtet, was ihnen in den vergangenen Monaten wiederfahren war. Die Geschichte von Harrys Verletzung war neu für Ginny. Offensichtlich gab es noch vieles, das die vier nicht erzählt hatten.

 

„Es war nicht leicht“, seufzte Ron. „Wir wussten nicht, ob wir den nächsten Tag erleben würden, da kam einem nicht wirklich der Gedanke an … äh, Schutz, naja“, druckste Ron rum, dem es offensichtlich unangenehm war, genauer über dieses Spezielle Thema zu sprechen.

 

Ginny drückte noch einmal mitfühlend seine Schulter. „Ich bin froh, dass euch nichts passiert ist“, gestand sie ehrlich. „Und ich freue mich darauf meine Nichte bald kennenlernen zu dürfen.“ Auch wenn Ginny bereits Tante einer Nichte war würde sie gegen eine weitere nichts einzuwenden haben. Ganz im Gegenteil. „Vielleicht ist das ein Zeichen. Der Anfang von etwas Neuem.“

 

Ron begegnete ihrem Blick und ein warmes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ja. Das glaube ich auch.“

 

In diesem Moment schien es, als hätte es diese Anspannung zwischen ihnen nie gegeben, als ständen sie sich näher, als je zuvor. Beide versanken in dem Gedanken von Glück, den die nächste Generation symbolisieren würde. Ein neues Leben, ein Baby, würde im Grimmauld Place sicher eine längst verblasste Hoffnung und Glückseligkeit entfachen sowie einen weiteren Grund, für den es sich lohnte zu kämpfen.

 

Mehrere Sekunden lang hingen beide ihren Gedanken nach, dann räusperte sich Ron abermals und sein Gesicht wurde wieder ernster.

 

„Ich wollte es dir als erstes erzählen, Ginny, dass ich Hermine einen Antrag machen werde“, überraschte er sie plötzlich. Bevor sie etwas darauf erwidern konnte, sagte er: „Denn als ich darüber nachdachte, dass jeder Tag unser letzter sein könnte, wusste ich, dass wir das zwischen uns klären müssen. Ich will nicht, dass es irgendwann dafür zu spät ist.“

 

Diese offene Ehrlichkeit überraschte sie so sehr, dass sie ihn nur sprachlos ansehen konnte. Offenbar hatte Hermine doch nichts mit seinem Auftauchen zu tun. Nein, ihr Bruder hatte Angst, dass einer von ihnen sterben könnte, ohne dass sie sich vorher miteinander vertragen hatten.

 

„Oh, Ron!“

 

Diesmal wollte sie den Drang nicht unterdrücken, wodurch Ginny ihrem Bruder um den Hals fiel, was er mit einem überraschten „Uff“ quittierte. Sie drückte ihn fest an sich und spürte, wie ihre Augen begannen zu brennen. Er hatte recht. Er hatte sowas von recht! Jetzt kam sie sich albern und töricht vor und wusste nicht, was sie je davon abgehalten hatte, auf ihn zuzugehen und die Schwierigkeiten zwischen ihnen aus der Welt zu schaffen. In dieser Welt gab es so viele andere, schlimmere Probleme, wieso mussten sie sich selbst noch weitere schaffen?

 

„Es tut mir leid“, wisperte sie leise, während er ihr den Rücken tätschelte. Wofür sie sich genau entschuldigte wusste sie nicht. Wegen Draco? Weil sie nichts gesagt hatte? Weil sie ihn übergangen und die Entscheidung ohne ihn getroffen hatte? Oder wegen der allgemeinen Situation?

 

„Wieso hast du es mir nicht gesagt?“, fragte er, und sie wusste sofort, wovon er sprach. Über den Grund, für die Anspannung zwischen ihnen. Obwohl er versuchte seine Stimme neutral zu halten war die Enttäuschung nicht zu überhören.

 

Ginny ließ ihn los, zog sich zurück und seufzte, während sie überlegte, wie sie dieses Gespräch am besten führen konnten, ohne das einer von ihnen einen Wutanfall bekam. Er war eben sehr ehrlich zu ihr gewesen. Nun war sie an der Reihe. „Ich habe es niemandem erzählt“, antwortete sie schließlich. Sie und Draco, ihre Affäre in ihrem sechsten Schuljahr war ihr süßes kleines Geheimnis gewesen. Allerdings hatte dieses Geheimnis auch seine Schattenseiten gehabt. Wie oft hatte sie sich gewünscht mit jemandem reden, sich jemandem anvertrauen zu können? Jemanden um Rat zu bitten? Vielleicht hatte sie befürchtet statt auf Verständnis auf Ablehnung zu stoßen. Draco hatte es ihr bereits schwer genug gemacht, da hatte sie nicht noch ihre Freunde oder ihren eigenen Bruder gebrauchen können, der versuchte sie auseinander zu bringen.

 

„Es war einerseits, weil ich angenommen habe, dass ihr es nicht dulden würdet.“ Vorsichtig lugte sie zu ihm, aber Ron sah sie nur abwartend an und hörte ihr zu. „Außerdem haben wir versucht vorsichtig zu sein. Niemand sollte davon erfahren. Das zwischen uns ging auch nicht lange. Gerade mal zwei Monate. Eines Tages hat es Zabini herausgefunden. Noch am gleichen Tag hat Draco es beendet. Ich weiß nicht, was Zabini zu ihm gesagt hat, aber …“ Die schmerzhaften Erinnerungen überschwemmten sie plötzlich so heftig, dass sie nicht weitersprechen konnte. Diese Zeit danach war wirklich eine Qual gewesen. Mittlerweile wusste sie, dass Draco sich nicht von ihr getrennt hatte, weil er sie nicht liebte, sondern weil er davon überzeugt war, dass sie, da sie auf unterschiedlichen Seiten standen, ohnehin keine Zukunft hätten. Er war in dieser Angelegenheit nun einmal rationaler, als sie.

 

Ron, dem Ginnys Emotionen nicht entgangen waren, versuchte das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Darf ich ihn mal sehen? Den Mondstein?“

 

Zuerst war Ginny von dem Themenwechsel überrascht, bis sie bemerkte, dass es gar keiner war. Sie nickte und griff nach dem Lederbeutel, der wie immer an ihrem Gürtel hing. Vorsichtig öffnete sie die Fibel, griff in den Beutel aus Drachenhaut, den ihr Charlie zu Weihnachten geschenkt hatte, und holte den blauen Stein hervor.

 

„Wehe, du machst ihn kaputt“, tadelte sie halb ernst, halb im Scherz. Ron rollte gespielt mit den Augen. Vorsichtig nahm er ihr den Mondstein aus der Hand und betrachtete ihn. Er musste wissen, dass Draco ihn ihr gegeben hatte, sonst hätte er nicht genau dann danach gefragt, als sie über ihn sprachen. Vermutlich hatte Harry ihm davon erzählt. Abgesehen von ihm und Dumbledore wusste keiner von ihnen, wie das mächtige Schutzobjekt es in den Besitz des Orden des Phönix geschafft hatte.

 

Ron starrte in das schimmernde Blau, das er in seinen Händen hielt. „Er hat Hermine verschont. Und dir diesen Schutzstein gegeben.“ Mit diesen Worten drückte er ihr den Mondstein wieder in die Hand. In ihrer wirkte der Stein viel größer, als in seiner. Rasch ließ sie ihn in ihrem Lederbeutel verschwinden. „Nur deshalb habe ich ihn noch nicht in einen Flubberwurm verwandelt.“

 

„Als wenn du das schaffen könntest“, ertönte es plötzlich selbstgefällig.

 

Die beiden Rotschöpfe drehten sich synchron zur Tür, in dessen Rahmen nun Draco lehnte.

 

Ron schoss sofort die Röte ins Gesicht. „Schon mal was von Anklopfen gehört?“ Es war ihm offensichtlich peinlich, dabei erwischt worden zu sein, wie er über den Slytherin sprach. Ginny fragte sich, wie viel von ihrem Gespräch Draco wohl mitbekommen hatte. Ron rappelte sich schwerfällig auf und starrte Draco herausfordernd an.

 

„Ich bin ein halber Black, Weasley“, entgegnete Draco unbeeindruckt. Er breitete die Arme aus. „Dieses Haus gehört theoretisch mir.“

 

Ron schnaubte. „Ha! Dass ich nicht lache! Auch wenn deine hässliche Visage auf diesen ollen Teppich gestickt wurde“, meinte er mit einer Geste in Richtung Black‘scher Stammbaum, wobei er jedoch die Familie Malfoy um mehrere Meter verfehlte, „hast du hier überhaupt nichts zu sagen!“

 

„Ich wette Kreacher sieht das anders.“

 

„Das reicht jetzt!“, ging Ginny dazwischen, die erst Ron, der bereits wütend die Faust ballte, und dann Draco tadelnd ansah. „Hör auf ihn zu ärgern, Draco.“ Ginny stemmte die Hände in die Hüften und sah warnend zu ihm auf, in der Hoffnung eine ähnlich einschüchternde Aura wie ihre Mutter auszustrahlen. Molly Weasley konnte allein mit einem Blick sogar Alastor Moody zum Schweigen bringen.

 

Das überhebliche Lächeln auf seinem blassen Gesicht verschwand jedoch nicht. Er sah erst zu Ginny, dann zu ihrem Bruder. „Wieso mit alten Gewohnheiten brechen?“ Ginny hätte am liebsten den Kopf geschüttelt, ob diesen kindischen Verhaltens.

 

„Hör auf zu schwafeln, Malfoy, und sag uns lieber, ob du erfolgreich warst“, sagte Ron. Er versuchte sich nicht weiter provozieren zu lassen, aber er wirkte immer noch angespannt, wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, jederzeit bereit zur Verteidigung. „Schließt sich noch einer aus Slytherin uns an?“

 

Nun sah auch Ginny ihn erwartungsvoll an. Während des Gesprächs mit Ron waren die Gedanken an Draco und seinem Vorhaben ganz in Vergessenheit geraten. Offenbar war er unversehrt und sogar in bester Laune. Das schien ihr ein gutes Zeichen zu sein.

 

Draco ließ sich genüsslich Zeit mit seiner Antwort, in der die Spannung stieg. „Nicht einer“, begann er, während seine Mundwinkel noch weiter nach oben wanderten. Er hob den rechten Arm und hielt Zeige- und Mittelfinger hoch. „Sondern zwei.“

 
 

***

 

„Ich habe noch nie zuvor einen Unverzeihlichen gesprochen“, gab sie leise, aber ein wenig neugierig zu, während sie ihren Zauberstab auf den Drachen richtete. Schon beinahe ehrfurchtsvoll flüsterte sie: „Imperio.“

 

Zufrieden beobachtete Draco, wie sich der Walisische Grünling Astorias Willen unterwarf. Sie forderte ihn auf sich zu verbeugen und er senkte wie befohlen sein Haupt vor ihr, was an einen Hippogreifen erinnerte. In ihren blauen Augen blitzte bei dieser Geste etwas auf. Vielleicht war es die Macht, der sie sich bewusst wurde, und die sie nun über dieses mächtige Tierwesen verfügte.

 

„Der Imperius-Fluch ist der einfachste von den drei Unverzeihlichen“, meinte Nott unbeeindruckt, der neben ihr stand und ebenfalls den Zauberstab bereithielt. „Mir ist er nie schwer gefallen. Imperio!“

 

Draco bemerkte den abschätzigen Blick, den Potter dem braunhaarigen Slytherin ob dieser Aussage zuwarf, während auch Nott einem der drei Drachen seinen Willen aufzwang. Potter war es deutlich anzumerken, wie unwohl er sich in der Gesellschaft der drei Slytherins fühlte – immerhin war er hier in der Unterzahl –, doch er hatte darauf bestanden, sie nach Rumänien zu begleiten und ihren Babysitter zu spielen.

 

Augusta Longbottom war es gelungen einen Portschlüssel – ein verbogener Kleiderbügel – in den Grimmauld Place zu schmuggeln. Man konnte sagen was man wollte, aber diese alte runzlige Hexe war, im Gegensatz zu ihrem Enkel, eine bemerkenswerte Frau. Selbst Draco war von dem furchtlosen Kampfeswillen der nicht auf den Mund gefallenen Dame mit dem selbstsamen Spitzhut beeindruckt – was er selbstverständlich nie jemandem gegenüber zugeben würde.

 

Die drei Slytherins standen nun ihren drei Drachen gegenüber. Jeder von ihnen kontrollierte einen von ihnen. Das Antipodische Opalauge, das von Anfang an Dracos Favorit gewesen war, gehörte ihm. Diese schöne Bestie würde er mit niemandem teilen. Merlin sei Dank hatte sich der Drache mithilfe seiner Pflege von den Wunden, die er während des Kampfes gegen das Goldene Trio erlitten hatte, vollständig erholt. Manchmal fühlte es sich für den Slytherin immer noch seltsam an, dass sie nun auf der gleichen Seite standen, nachdem sie sich davor bekämpft hatten.

 

„La naiba, sie werden mir fehlen“, sagte Avram mit seinem starken, dunklen Akzent etwas wehmütig. „Ihr passen gut auf sie auf, da?“ Der rumänische Drachenmeister erinnerte Draco ein wenig an Charlie. Zwischen den beiden Männern lagen gut zwei Jahrzehnte und dennoch strahlte er dieselbe selbstsichere und lässige Ausstrahlung aus, wie sein Schüler. Er trug sein Haar ebenfalls in einem Pferdeschwanz und sein Vollbart war noch länger, als der des Weasleys, nur war sein Haar nicht rot, sondern schwarz, in dem sich bereits feine silberne Linien abzeichneten. Die sichtbare Haut im Gesicht sowie auf den muskulösen Ober- und Unterarmen war von etlichen Brandnarben gezeichnet. Andenken von der Arbeit im Drachenreservat.

 

Draco sah sich unmerklich in ihrer kleinen Gruppe um. Anscheinend war er der einzige, der nicht dem Narbenclub angehörte.

 

Während Potter sich, wie es sich gehörte, bei Avram dafür bedankte, dass er die drei Drachen so spontan in seinem Reservat aufgenommen und die Pflege sowie die Versorgung übernommen hatte, kletterten die drei Slytherins auf die Rücken ihrer Drachen. Astoria stieß einen kurzen, erschrockenen Laut aus, als der Grünling sich ruckartig aufrichtete. Nott hingegen wirkte auf dem Norwegischen Stachelbuckel, der immerhin zahlreiche Möglichkeiten bot, um sich festzuhalten, als hätte er nie etwas anderes getan, als auf dem Rücken eines Drachens zu sitzen. Er verschmolz mit ihm wie ein Quidditchspieler mit seinem Besen.

 

Die drei waren bereit für den Rückflug nach England. Draco wollte gerade den Befehl zum Losfliegen geben, als sein Blick auf Potter fiel, der unschlüssig zwischen den drei Drachen hin und her schaute.

 

„Wenn du mitwillst solltest du dich beeilen. Wir werden nicht ewig auf dich warten“, triezte Draco, dem Potters Unwohlsein noch besser gefiel, als Süßigkeiten zu Weihnachten. Immerhin musste der Gryffindor sich entscheiden, bei wem er mitfliegen wollte. Draco mochte er am meisten hassen, aber die anderen beiden kannte er so gut wie gar nicht. Noch dazu handelte es sich bei Astoria um ein Wesen des weiblichen Geschlechts und Draco vermutete, dass Potter zu dem Typ Mann gehörte, dem übertriebener Körperkontakt unangenehm sein könnte. Nott wirkte mit der Narbe, die er dank Ginny in seinem Gesicht trug, wenig vertrauenserregend.

 

Obwohl er sich ein anderes Ergebnis gewünscht hätte überraschte es ihn nicht, dass sich der Schwarzhaarige mit verbissenem Gesicht dazu entschied, unbeholfen auf den Rücken des Opalauges zu klettern. Als Potters Hände dann seine Hüften berührten, als er sich hinter ihn setzte, um sich widerwillig an seinem Vordermann festzuhalten, fragte Draco sich, wieso sie bei ihrem glorreichen Plan nicht in Erwägung gezogen hatten, für die Rückreise ebenfalls einen Portschlüssel zu verwenden.

 

Draco gab in Gedanken den stummen Befehl für den Start. Das Antipodische Opalauge breitete die Flügel aus und stieß sich kräftig vom Boden ab. Die anderen beiden Drachen taten es ihm gleich. Der Drache stieg nicht nur schnell sondern auch ziemlich senkrecht in die Luft, sodass Potter glatt von dessen Rücken gefallen wäre, wenn er sich nicht so heftig an Draco klammern würde. Seine Arme umschlangen ihn heftiger als Oliver Wood den Quidditchpokal.

 

„Du bist schlimmer als ne Teufelsschlinge!“, beschwerte sich Draco sichtlich genervt. Dieser ungewollte Körperkontakt war der reinste Alptraum. „Wenn du so weiter machst zerquetscht du mich noch!“

 

„Ich kann nichts dafür!“, brüllte ihm Potter hinter ihm ins Ohr, um gegen den Flugwind anzukommen. „Glaub mir, mir ist das genauso unangenehm wie dir!“

 

Das glaube ich kaum, schoss es Draco durch den Kopf. Der Gedanke, dass er Potter jederzeit in die Tiefe schubsen konnte, sollte es ihm zu viel werden, tröstete ihn ein wenig.

 

In wenigen Sekunden hatten sie den winkenden Avram und das Drachenreservat hinter sich gelassen und obwohl sie in den dichten Wolken verschwanden sprach Draco einen Tarnzauber über sie alle. Während des langen Fluges wollten sie nicht entdeckt werden, vor allem nicht, sobald sie die Landesgrenzen Englands erreichten.

 

Lord Voldemort würde noch früh genug erfahren, dass sie auf dem Weg zu ihm waren!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  _Natsumi_Ann_
2022-03-10T19:51:16+00:00 10.03.2022 20:51
"Ich liebe dich. Sehr sogar"


Awwww das lässt doch jeden Ginny/Draco Fan höher schlagen <3
Ich fand es total knuffig, dass Ginny eifersüchtig auf Astoria war xD
Obwohl sie ja eigentlich auch Grund dazu hat weil sie in ihren Draco verliebt ist O.O
Ich hoffe aber Astoria kriegt noch wen anderen ab ^^ Dann stört sie beide auch nicht mehr :D
Antwort von:  stone0902
11.03.2022 11:16
Hehe, ich mag diese Szene auch. Es ist zwar sehr schwierig Draco ein paar romantische Worte in den Mund zu legen, da so oft betont wurde, dass er seine Gefühle eher durch Taten ausdrückt, doch nachdem er schon einmal in der Situation war geglaubt zu haben sie für immer verloren zu haben wollte er das Ginny unbedingt sagen. Ich würde auch noch gerne mehr Momente mit den beiden einbauen, da sie in Teil 2 definitiv zu kurz kommen, aber bisher ist wenig Platz, da so viel drumherum passiert.
Eine eifersüchtige Ginny ist ein bisschen OOC, aber ich denke, nachdem was ihnen beiden passiert ist vielleicht etwas nachvollziehbar. In meinem ersten Entwurf war sie noch viel eifrsüchtiger, aber dann fand ich, dass es doch nicht zu ihr passt. Ich wollte einfach nur noch mal diese weibliche Intuition verdeutlichen, dass Ginny sofort etwas merkt, dass bei Astoria mehr dahinter steckt, als eine Verbündete aus Slytherin. Was Astoria betrifft werde ich nichts verraten. In der ursprünglichen Planung kam sie gar nicht vor, erst als ich 2019 wieder angefangen habe weiterzuschreiben. Ebenso wie Nott. Die Idee mit den drei Drachen und den drei Slytherins fand ich einfach gut. Erinnert zwar ein wenig an Game of Thrones, aber was soll's ^^ So ist Draco nicht der einzige Rebell. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja noch mehr? *zwinker*

Danke, dass du die Geschichte bis hierhin gelesen hast :)


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