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In Zeiten des Krieges

Draco x Ginny
von

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Teil 2 – Kapitel 12

August 1998
 

Draco wollte gerade einen Bissen von seinem Mittagessen nehmen, als das leise Plop ihn innehalten ließ. Die Gabel voller Kartoffelpüree verweilte daraufhin vor seinem Mund in der Luft. Sein Magen knurrte. Da er die Nacht erst spät nach Hause zurückgekehrt war hatte er das Frühstück einfach verschlafen. Damit er nicht noch eine weitere Mahlzeit verpasste hatte Narzissa einen Hauselfen geschickt, um ihn zu wecken. Die beiden Malfoys saßen sich nun in der Mitte der langen Tafel gegenüber. Lucius war nicht in Malfoy Manor, weshalb die beiden allein zu Mittag aßen und der Platz des Hausherrn leer blieb.

 

„Verzeihen Sie die Störung, Miss, aber Mister Nott ist hier“, quiekte Wicked, der sich nervös die langen, knochigen Finger rieb.

 

Narzissa sah von ihrem Teller auf, die Nase leicht gerümpft. Die wohlerzogene Frau konnte es überhaupt nicht leiden, wenn man sie beim Essen störte. Das sollten eigentlich auch die Hauselfen wissen und deshalb auch zu dieser Zeit keinen Besuch zulassen. „Nott Senior?“

 

„Nein, Miss“, antwortete Wicked mit ängstlicher Stimme und Draco hörte sich selbst schwer seufzen. Er hatte es bereits befürchtet. „Es handelt sich um Mister Nott Junior, Miss. Er wünscht den jungen Master Malfoy zu sprechen.“

 

„Wir essen gerade. Er soll später wiederkommen.“ Daraufhin erhob Narzissa ihr Silberbesteck, um sich wieder ihrem Wildschweinbraten zu widmen. Für sie war die Angelegenheit erledigt. Doch statt des erlösenden Plops hörte man nur, wie sich der kleine Hauself nervös räusperte.

 

„Wicked ist unverzeihlich, Miss, aber Mister Nott wies Wicked darauf hin, dass die Angelegenheit sehr wichtig sei.“

 

Draco atmete einmal tief durch, um die aufkommende Wut zu unterdrücken und legte seine Gabel beherrscht auf den Teller. „Jetzt verfolgt dieser Kerl mich auch noch zu Hause“, grummelte er, stand auf und warf die weiße Serviette, die auf seinem Schoß lag, genervt auf den Tisch. Sein reichlich bedeckter Teller lag noch unangerührt vor ihm und bei dem Anblick des schmackhaft aussehenden Bratens zog sich sein Magen hungrig zusammen. Seine Mutter schenkte ihm einen bedeutungsvollen Blick, doch er schüttelte entschuldigend den Kopf. „Ich werde schnell nachsehen, was er will, sonst fürchte ich werden wir ihn nicht mehr los. Ich bin gleich wieder da.“

 

Narzissa war nun an der Reihe missbilligend mit dem Kopf zu schütteln, hielt ihren Sohn aber auch nicht davon ab sich vom Tisch zu entfernen. Draco ging mit schnellen Schritten auf die Tür zu. „Wo ist er?“, fragte er seinen Diener, als er ihn erreichte.

 

„Im Entree, Sir.“ Draco nickte und der Hauself verschwand wieder. Während er den Salon hinter sich ließ und den Flur Richtung Eingangsbereich entlang schritt, überlegte er, was Nott von ihm wollen könnte. Es war anscheinend so wichtig, dass es nicht warten konnte, bis sie sich im Hauptquartier wiedertrafen. Ging es vielleicht um seinen Vater? Steckte er vielleicht in Schwierigkeiten? Nein, wenn ihm etwas zugestoßen wäre hätten sie jemand anderen geschickt als Nott, um die traurige Botschaft mitzuteilen. Ging es vielleicht  um Snape? War es einem der Widerständler gelungen den hakennasigen Zaubertränkebrauer in einen Flubberwurm zu verwandeln, sodass man ihn als Zutat für einen seiner eigenen Tränke missbrauchen könnte? War etwas mit den Drachen? Oder aber war Dumbledore womöglich aus seinem Versteck gekrochen und endlich aufgetaucht? Was es auch war, Draco hoffte nur, dass das Narbengesicht einen guten Grund lieferte, um ihm an seinem freien Tag auf die Nerven zu gehen.

 

Als Draco die lange Treppe betrat erblickte er seinen ehemaligen Schulkameraden, der sich bei den Geräuschen, die seine teuren Schuhe auf dem weißen Marmor verursachten, zu ihm umdrehte. „Dein Timing ist miserabel, Theodore. Wir essen gerade.“ Der Anblick dieser Narbe verdarb einem aber ohnehin den Appetit. Inzwischen war sie ein wenig blasser geworden, doch sie würde nie richtig heilen. Für einen Moment fühlte er sich an Astoria erinnert. Als Draco die unterste Stufe erreichte und kurz darauf vor Nott stehenblieb verschränkte er missbilligend die Arme vor der Brust. „Was willst du hier?“

 

Nott sah ihn merkwürdig an. „Dann weißt du es noch nicht?“ In seiner Stimme schwang etwas mit, was ihm mitteilte, dass etwas Schlimmes passiert war und wieder einmal kam ihm der besorgte Gedanke an seinen Vater. Doch er riss sich zusammen und gab sich völlig desinteressiert.

 

„Ich weiß was nicht?“, schnarrte er gedehnt. Die gleiche Frage und den gleichen Ton hatte er auch immer bei Pansy angeschlagen, wenn sie ihm den neuesten Tratsch aus Hogwarts erzählen wollte.

 

Nott verzog das Gesicht, als würde ihm die Narbe, die ihn so entstellte, große Schmerzen bereiten. „Es gab gestern einen Angriff auf die Tabubrecher. Sie haben ein verstecktes Lokal entdeckt, in denen sie sich heimlich trafen.“

 

Draco fühlte sich, als hätte ihn ein Lähmzauber erwischt. Er war wie erstarrt, bemerkte nur noch, wie er blinzelte und in seinem Inneren schienen sich seine Eingeweide schmerzhaft zusammenzuziehen. Es vergingen mehrere Sekunden, in denen sie sich nur anstarrten, bis Draco die Kraft aufbringen konnte, seinen Mund zu öffnen. „Und das erzählst du mir weil …?“ Seine Stimme klang seltsam fremd und weit weg in seinen Ohren.

 

Gedanken schossen durch seinen Kopf, Gedanken, die er nicht denken wollte. Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein! Sein bester Freund war gestern schließlich mit ihm zusammen gewesen. Aber nein, Blaise war danach noch irgendwo hingegangen … Draco wurde speiübel. Sofort formte sich die schlimmste Befürchtung, doch er weigerte sich es zu glauben. Seine Augen suchten in denen von Nott die Bestätigung.

 

Hätte er Blaise doch bloß aufgehalten! Wenn er gewusst hätte, was er vorhatte, dann … Vielleicht war Blaise vergangene Nacht auch einfach nur nach Hause oder irgendwo anders hingegangen, an einen anderen, sicheren Ort und befand sich augenblicklich in Plymouth und aß mit seiner Mutter zu Mittag, so wie Draco es tun würde, wenn Nott nicht hier auftauchen und sein Leben zerstören würde.

 

Nott wich seinem Blick aus und schluckte hart, wodurch Draco es schon wusste, bevor er es aussprach. Nott hob eine Hand, um sich irgendwie erklären zu wollen. Hilflos suchte er nach den richtigen Worten „Draco …“, murmelte er und die nächsten Worte kamen wie durch einen dichten Nebel zu ihm. „Blaise war ebenfalls unter ihnen.“

 

Es ausgesprochen zu hören war schlimmer, als es nur zu denken. Beinahe riss es ihm den Boden unter den Füßen weg. Unsichtbare Hände griffen nach ihm und schnürten ihm die Kehle zu. Sein Herz hämmerte wie wild gegen seinen Brustkorb und in seinem Kopf herrschte solch ein Chaos, dass ihm das Denken schwerfiel.

 

Draco wandte kurz den Kopf, um sich umzusehen. Er brauchte irgendetwas, woran er sich im Notfall festhalten konnte, denn er befürchtete jeden Moment umzukippen. Er kniff die Augen zusammen, um den Schwindel zu bekämpfen und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können.

 

Die naive Hoffnung kämpfte in ihm immer noch ums Überleben. Dutzende Szenarien schossen durch seinen Kopf, eine schlimmer als die andere. „Wurde er …“ Draco befeuchtete sich seine Lippen, da sein Mund plötzlich staubtrocken war. „Ist er im Ministerium?“

 

Nott schüttelte ganz langsam den Kopf.

 

Draco drehte sich um, legte die Hände auf seine Stirn und rieb sich über das angespannte Gesicht. Verdammt, das durfte einfach nicht wahr sein! Wie oft hatte er Blaise gewarnt? Er hatte ihm gesagt, dass diese Orte nicht sicher waren und dass die Todesser sie hochnehmen würden. Die ganze Zeit über hatte er befürchtet Blaise würde so unvorsichtig sein und den Todessern in die Arme laufen und nun war es tatsächlich geschehen. Und wofür?

 

Noch ein letztes Mal kratzte er seinen letzten Hoffnungsschimmer zusammen. Schon beinahe monoton meinte er: „Dieser Tabubruch wird selten mit dem Tod bestraft. Üblicherweise werden sie nur zu einer Haft in Askaban verurteilt. Er kann nicht …“ Vor seinem inneren Auge sah er Blaise, gekleidet in die hässliche, gestreifte Kluft des Zauberergefängnisses, verängstigt in der feuchten Zelle sitzend, vor der die Dementoren Angst und Schrecken verbreiteten. Draco arbeitete bereits an einem Plan, seinen Freund aus Askaban herauszuholen. Wenn es einem Irren wie Sirius Black gelang sich aus den unüberwindbaren Mauern zu befreien würde auch er einen Weg finden einen Unschuldigen vor dem seelischen Zerfall zu retten.

 

Er wagte es nicht Nott in die Augen zu sehen, aber das Mitleid in seiner Stimme war unüberhörbar. „Es kam zu einem Kampf. Blaise hat sich gewehrt. Der Todesfluch hat ihn getroffen.“

 

Wieder einmal fuhr Draco sich übers Gesicht und atmete zitternd aus. Er fühlte sich auf einmal so unglaublich müde. Seine Stimme fragte leise, beinahe einem Flüstern gleich: „Bist du sicher?“

 

„Bletchley war gestern mit dabei. Er hat es mir erzählt.“

 

Er spürte, wie die Welt um ihn herum zusammenbrach. Erst Pansy und jetzt auch noch Blaise … Das war doch nicht richtig, das war ganz und gar falsch! Er spürte wie sich Tränen in seinen Augen sammelten, doch er würde sich vor Nott gewiss nicht die Blöße geben.

 

„Ich weiß, dass ihr beste Freunde wart“, fuhr Nott leise, schon fast sanft, fort, „Als ich davon erfahren habe wollte ich dir das mitteilen, weil ich mir dachte, dass du es vielleicht lieber von mir erfährst, als von jemand anderem.“

 

Draco schnaubte bitter.

 

Vielleicht sollte er ihm tatsächlich dankbar sein, denn jeder andere Todesser würde vermutlich mit dieser Tat prahlen. Wenn er an manche Diener des Dunklen Lords dachte, denen es gefiel seine Opfer zu quälen, bis sie ihren Verstand verloren, lief ihm ein Schauer über den Rücken und er hoffte nur, dass Blaise nicht hatte leiden müssen. Hoffentlich würde niemand anfangen Fragen zu stellen, weshalb Draco Verbindungen zu einem der Tabubrecher hatte und ob es eventuell Parallelen zwischen diesen beiden jungen Zauberern gab. Womöglich würden einige von ihnen falsche Schlüsse ziehen. Ihm würde nichts anderes übrig bleiben als zu lügen und zu behaupten, er hätte von den Ambitionen seines besten Freundes nichts gewusst. Ebenso wie in Pansys Fall dürfte er seine Trauer niemals offen zeigen.

 

Schließlich ließ Draco die Hand sinken und er wandte sich zu Nott, starrte ihn mit funkelnden Augen an. Ein neues Gefühl breitete sich langsam in ihm aus: Zorn. Dieses Gefühl war willkommener, als die quälende Trauer, die ihm das Herz brach. „Soll ich dir jetzt dafür auch noch danken?“, spuckte er ihm förmlich entgegen. Für einen Moment hatte er angenommen so etwas wie Mitgefühl in Notts blauen Augen zu erkennen, doch wahrscheinlich täuschte er sich und er war nur hier um Draco zu demütigen und sich an seinem Leid zu ergötzen. Merlin wusste, welches Urteil er sich bildete, nachdem er nun erfahren hatte, dass Blaise – jemand, mit dem er sieben Jahre lang einen Schlafsaal geteilt hatte – so einer war.

 

„Er war auch mein Mitschüler. Hast du schon einmal daran gedacht, dass es mich vielleicht auch mitnehmen könnte?“, zischte Nott nicht weniger wütend. Er kam einen Schritt auf ihn zu, doch Draco warf ihm einen warnenden Blick entgegen, der bedeutete, dass er bloß nicht näherkommen sollte. „Ich bin nicht dein Feind, Draco. Es ist verständlich, dass du wütend bist, aber ich bin nicht dafür verantwortlich.“ Die blauen Augen warfen ihm einen flehenden Blick zu, in der eine versteckte Botschaft lag, die Draco in seinem aufgewühlten Zustand allerdings nicht deuten konnte. Nach einer kurzen Pause fügte Nott, nun ruhiger, hinzu: „Sag, findest du nicht, dass gerade wir zusammen halten sollten? Wir zwei sind jetzt die einzigen, die noch übrig sind. Ich bin auf deiner Seite, das kannst du mir glauben.“

 

Was auch immer Nott jetzt sagte, es machte alles nur noch schlimmer. Es war einfach so ungerecht, dass so viele tot waren und er noch lebte. Und es machte Draco wahnsinnig ihn bei den Todessern zu sehen, wie er sein Schicksal scheinbar gleichgültig akzeptierte und sich seinem neuen Leben fügte, während Draco es mit jeder Faser seines Körpers verabscheute. Im Moment konnte er den Anblick des anderen Zauberers einfach nicht mehr ertragen und er wollte nur noch allein sein. „Du solltest jetzt gehen“, sagte er kalt und drehte ihm bereits den Rücken zu.

 

Nott seufzte frustriert und raufte sich die Haare. „Draco, ich– … Lass uns reden–“

 

„Geh!“

 

Einige Sekunden später hörte er ein kapitulierendes Seufzen, dicht gefolgt von Schritten, die sich langsam entfernten und die Eingangstür, die sich öffnete und wieder schloss. Kurz darauf ertönte das gedämpfte Geräusch des Disapparierens. Nott ging und lies ihn allein mit seinem Kummer zurück. Zitternd stieß Draco die angehaltene Luft aus und schloss die Augen.

 

Der Teil in ihm, der ihm diabolisch zu zischte, dass es seine Schuld war, dass er mehr hätte tun müssen, um Blaise zu beschützen, wurde immer lauter und lauter.

 

 

* * *

 

Draco stand am Fenster und starrte in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Die Balkontür war geöffnet und ließ ein wenig kühle Luft ins Zimmer und bekämpfte die drückende Sommerhitze, die sich tagsüber angestaut hatte. Er hätte auch einen Kühlungszauber sprechen können, aber die Hitze war ihm egal. Er war Hitze gewöhnt, allein durch seine Arbeit mit den Drachen. Ob sie gerade schliefen? Oder waren sie auch wach, so wie er?

 

Inzwischen machte er sich schon gar nicht mehr die Mühe sich ins Bett zu legen. Schon seit Monaten hatte er Schlafprobleme, er konnte nicht schlafen, und wenn doch, quälten ihn Albträume. Lange hatte er Tränke von Snape ausprobiert, die für einen traumlosen Schlaf sorgten, damit er den Alpträumen entgehen konnte. Die Tränke sorgten für seine Zufriedenheit in der Nacht, aber er hatte noch keinen Trank gefunden, der ihm die Qualen am Tag über nahm.

 

Diese Welt hatte er sich anders vorgestellt. Seit seiner Kindheit hatte man ihm Geschichten erzählt und er hatte von einer besseren Welt fantasiert, doch diese Hölle, in der er sich jetzt befand, hatte er nie im Traum erwartet.

 

Alles was er empfand war Schmerz, deshalb schaltete er seine Gefühle ab, so gut es ging. Tagsüber, wenn er auf Mission oder bei den Drachen war, konnte er sich gut ablenken, doch nachts, wenn die Ruhe einkehrte und die Welt im Schlaf versank, musste er sich seinen Gedanken und Gefühlen stellen.

 

Draco hatte immer gedacht, er wäre kalt und rücksichtlos, doch er hatte festgestellt, dass er nicht dieses egoistische und gefühllose Monster war, für das ihn so viele hielten. Nachts verfolgten ihn die Gesichter seiner Opfer und viel schlimmer, die Gesichter seiner verstorbenen Freunde.

 

Er wusste nicht, wie lange er das noch aushalten sollte.
 

Leise öffnete er die Tür zum Balkon. Ihn umwehte ein angenehm kühler Wind. Er stellte sich ans Gitter und blickte hinab. Hier auf Malfoy Manor fühlte er sich zumindest ein wenig wohler, als im Hauptquartier, in dem er sich ständig aufhalten musste. Doch selbst in seinem Zuhause hatten die Wände Augen und Ohren und schienen ihn stets zu beobachten und auf einen Fehler seinerseits zu warten. Ständig stand er unter Beobachtung.

 

Die Nacht war so schön friedlich und still. Er wollte einfach nur noch weg von hier. Nicht mehr weiter machen. Nicht mehr töten. Nie wieder.

 

Ein Geräusch erklang in der Nacht. Er sah auf und erkannte in der Dunkelheit der Nacht schwarze Schwingen.

 

Mit dem Blick gen Himmel folgte er mit sehnsüchtigem Blick dem Raben. Er würde gerne fliegen, frei sein, wie ein Vogel, und einfach alles zurücklassen.

 

Und dann dachte er an sie und die Sehnsucht zerriss ihm beinahe sein Herz …

 

Er schaute hinab in die Tiefe ins dunkle Schwarz des Abgrunds. In der Dunkelheit war der Boden nicht zu erkennen. Es war alles ganz einfach. Nur ein kleiner Schritt und der ganze Schmerz wäre vorbei.

 

Langsam kletterte er auf die Absperrung des Balkons …

 

… und sprang …

 

Einen Moment lang spürte er nur das Gefühl des Fallens und des Kontrollverlusts über seinen Körper, spürte wie alles an ihm vorbeiglitt, doch dann ging ein Ruck durch seinen Laib und er begann sich zu verwandeln. Schwarze Federn breiteten sich über seinem gesamten Körper aus, der immer weiter in sich zusammenschrumpfte und seine Arme verwandelten sich in lange Schwingen, die einmal kräftig schlugen, noch ehe er den Boden berührte. Mit weiteren zügigen Schlägen erhob er sich wieder in die Luft, immer höher und höher, als wären diese Bewegungen von Geburt an vertraut und nicht gerade erst instinktiv erlernt.

 

Er schlug weiter mit seinen Flügeln, immer weiter gen Himmel und so schnell er konnte, sodass er sein Zuhause in wenigen Sekunden meterweit hinter sich ließ. Sofort bemerkte er wie seine Augen viel klarer und deutlicher sehen konnten und wie die menschlichen Gefühle, die ihn zuvor so sehr quälten, zurückgedrängt wurden. Schon noch einer kurzen Weile ließ er Wiltshire hinter sich und genoss den Anblick des Erdbodens, sowie der zahlreichen Wälder und Dörfer, die in der Stille der Nacht weit unter ihm in tiefem Schlaf verborgen lagen.

 

Der Rabe krächzte einmal laut. Das Fliegen glich dem Ritt auf einem Besen beinahe ebenso sehr, wie es sich von ihm unterschied. Der Besen selbst musste kontrolliert werden und war stets nur so gut wie der Zauberer, der auf ihm saß, doch in seiner Animagusform flog er ganz und gar allein, ohne Hilfsmittel. Er brauchte nun weder Besen noch Drachen, um zu fliegen und konnte vollkommen unabhängig den süßen Geschmack der Freiheit kosten.

 

„Keine Sorge, Draco“, flüsterte die Stimme seiner Großmutter in seinem Kopf. „Du wirst noch oft genug fliegen.“

 

Nun verstand er es. Die Karte, die sie ihm immer und immer wieder gezeigt hatte, das Gefühl, nachdem er sich immer gesehnt hatte. Die Antwort war der Rabe, der Vogel, in den er sich verwandelt hatte. Draco flog immer weiter, schon gar nicht mehr wissend, wo er sich überhaupt befand. Den Weg zurück würde er schon finden. Doch nun wollte er erst einmal herausfinden, wie weit ihn diese Schwingen tragen konnten. In dieser Form würde ihn kein Todesser aufspüren, weder Lucius, noch Severus, nicht einmal der Dunkle Lord. Eine schwere Last fiel von ihm bei der Gewissheit, dass ihn niemand in diesem Moment beobachten konnte und er an jeden Ort fliegen konnte, zu dem er wollte.

 

Es fühlte sich wirklich an wie frei sein …

 

Als die Sommersonne begann aufzugehen war er immer noch in der Luft. Die Welt erschien viel wärmer, als sich die Sonnenstrahlen ausbreiteten und das dunkle Schwarz mit helleren Farben verdrängten. Vom Himmel aus betrachtet sah alles so winzig aus, so unbedeutend, als wären all die Probleme, die ihn belasteten, ganz weit entfernt und unbedeutend. Der Gedanke, sich nie wieder zurück zu verwandeln, war ziemlich verlockend.

 

Unter ihm lagen endlose Felder, doch zu seiner Linken erspähte er einige Hügel und Bäume, auf die er nun zusteuerte. Meilenweit befand sich keine Menschenseele, nur die Natur und der Morgentau. Er zog einige Kreise, ließ sich herabsinken und landete schließlich auf einem umgestürzten Baumstumpf. Der Rabe krächzte noch einmal, dann verwandelte er sich zurück in seine menschliche Gestalt. Draco sah erst einmal an sich herab und überprüfte, ob noch alles da war, wo es hingehörte. Schließlich hatte er so etwas noch nie zuvor gemacht. Wer wusste schon, ob es irgendwelche Folgen geben konnte, wie das Zersplintern beim Apparieren. Beide Handflächen vor die Augen haltend versuchte er erst einmal zu realisieren, was gerade geschehen war. Er hatte sich in ein Tier verwandelt! Dabei war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass er das konnte, oder dass er das überhaupt wollte. In dem Moment, als er gesprungen war – was wäre passiert, wenn er sich nicht verwandelt hätte? Hatte er vielleicht insgeheim geahnt, dass so etwas passieren würde? Oder hatte er es tatsächlich drauf angelegt? Er war sich nicht sicher …

 

„Was wärest du für ein Tier? Als Animagus, meine ich.“

 

„Man kann sich die Gestalt nicht aussuchen. Der Charakter einer Person beeinflusst, in welches Tier man sich verwandelt. Das müsstest du eigentlich wissen. Ehrlich Weasley, vielleicht solltest du doch lieber lernen gehen.“

 

„Na fein, was wärst du für ein Tier, wenn du es dir aussuchen könntest?“

 

„Ich weiß nicht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich schätze irgendetwas, was fliegen kann.“

 

Wenn er genauer darüber nachdachte, vielleicht war es doch nicht ganz so überraschend, wie er am Anfang vielleicht dachte. Schon als Kind hatte er sich danach gesehnt fliegen zu können, noch lange bevor er das erste Mal auf einem Besen gesessen hatte. Aber auch später, als er auf seinem Nimbus 2001 durch die Lüfte flog, oder selbst auf dem Rücken seines Antipodischen Opalauges konnte er nie die lang ersehnte Freiheit spüren, nach der er sich so sehr sehnte. Dass seine Animagusform ausgerechnet der Rabe war, wie das Symbol auf der Karte seiner Großmutter, die ihn all die Jahre über begleitet hatte, konnte doch kein Zufall sein.

 

„Wie kommst du auf einen Raben?“

 

„Ich weiß nicht. Ich finde es passt zu dir.“

 

Ein sanftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht bei der Erinnerung an dieses Gespräch. Es war eins der wenigen aufrichtigen und ehrlichen Gespräche gewesen, die sie geführt hatten. Er wünschte sich, es hätte mehr solcher Momente gegeben.

 

„Weil Raben dafür bekannt sind, dass sie Pech bringen?“

 

„Nein, weil Raben schlau sind.“

 

Draco hatte sich immer für schlau gehalten doch in letzter Zeit schien er nur die falschen Entscheidungen zu treffen. Sein Leben ging den Bach runter und kam ihm vor, wie ein langer, schreckenerregender Albtraum. Alles wurde nur schlimmer und schlimmer. Er diente nun einem Diktator, den er verabscheute, führte ein Leben ohne eigenen Willen, wurde gezwungen Unschuldige zu töten, nur weil das Ignorieren des Befehls den eigenen Tod bedeuten würde. Seine beiden besten Freunde wurden ermordet, obwohl sie versucht hatten Voldemorts Idealen zu entsprechen und sich nur einen winzigen Fehltritt erlaubt hatten. Und er konnte nicht mit der Frau zusammen sein, die er liebte, weil sie in diesem Krieg auf unterschiedlichen Seiten standen. Sie wollte nicht in dieser Diktatur leben und besaß im Gegensatz zu ihm den Mut dagegen anzukämpfen.

 

Für Pansy und Blaise mochte es zu spät sein, aber vielleicht gab es noch eine Chance, das Richtige zu tun. Was hielt ihn noch in den Reihen der Todesser, wenn sie jeden umbrachten, der ihm etwas bedeutete? Selbst wenn sie auf seiner eigenen Seite standen? Draco wusste, auch er musste sich nur den kleinsten Fehltritt erlauben und der Dunkle Lord würde nicht zögern ihn mit den Unverzeihlichen zu bestrafen.

 

Sein Vorhaben mochte seinen Tod bedeuten, wenn es jemals herauskam, doch eventuell bot ihm seine Animagusform ein kleines Schlupfloch. Draco apparierte kurzerhand zurück nach Malfoy Manor, direkt in sein Schlafzimmer. Seine Eltern schliefen vermutlich noch, da der Morgen noch jung war und die Hauselfen sie erst in ein paar Stunden zum Frühstück wecken würden. Eine Ausrede für sein Verschwinden würde ihm schon noch einfallen. Hastig griff er nach seinem Weißdornstab, der auf dem penibel aufgeräumten Schreibtisch lag. Wenigstens war er so schlau gewesen den Mondstein mit einem Aufspürzauber zu belegen, bevor er ihn ihr überlassen hatte, auch wenn er sich vorgenommen hatte ihn nie anzuwenden. Die letzten Monate war er immer stark geblieben, doch seit Blaise‘ Tod war von dieser Stärke nichts mehr übrig. Vor allem ihretwillen hatte er sich von ihr ferngehalten, doch nun siegten Verzweiflung und Egoismus über Vernunft und Verstand. Im Moment war die Sehnsucht einfach zu groß, um zu wiederstehen. Er wollte sie sehen, er musste sie einfach sehen …

 

Deshalb schwang er den Stab und sprach die Worte, damit der Zauber ihm offenbarte, wo sich Ginevra derzeitig aufhielt.

 

„Investigo!“

 

 
 

* * *

 

Und mir sprießen Rabenfedern

Und so flieg' ich unerkannt

Über Grenzen in das Leben

Wie der Wind schnell übers Land

 

Und ich breche alle Regeln

Um heut' Nacht bei dir zu sein

Fühl mein Rabenherz, es schlägt so

Schnell und nur für dich allein

 

Schenk' dir eine Rabenfeder

Uns'rer Liebe Unterpfand

Denk an mich, ich komme wieder

Denk an mich, hältst du sie in der Hand

(ASP – Krabat)

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hier seht ihr nun den Auszug aus dem Prolog von Teil 2 und wie alles zu dieser Szene auf dem Balkon kam. Von Blaise müssen wir uns an dieser Stelle leider verabschieden. Schade, ich mochte ihn wirklich sehr T__T

Der Songtext am Ende des Kapitels ist von dem Lied "Krabat" von der Band ASP. Dieses Lied hat mich damals zu dieser Geschichte inspiriert. Das Lied ist wirklich wunderschön. Hört es euch doch mal an ;)

Draco ist also ein Animagus! Wer hätte das gedacht? :O

Naja, ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und ihr feut euch genauso sehr auf das nächste Kapitel, wie ich ;)

LG
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  MagicFire
2021-01-11T21:17:54+00:00 11.01.2021 22:17
Dann habe ich ja richtig geahnt, in welche Richtung es geht. Es ist schade, aber es ist die einfachste Art, überzeugend zu erklären, warum Draco endlich den Mut findet, die Seiten zu wechseln.
Das mit dem Animagus hätte ich nicht gedacht. Ich habe auch eigentlich immer eher gedacht, mann müsste Monate lang dafür lernen, bis man es schafft sich zu verwandeln und nicht, dass es einfach so passiert. Aber deine Idee ist auch schön! Ich bin wie immer gespannt darauf, wie es weiter geht! :)
Antwort von:  stone0902
13.01.2021 16:43
Huhu,

ich wollte immer, dass sich Draco nicht nur wegen Ginny der guten Seite zuwendet. Nur der Liebe wegen wäre mir in Dracos Fall zu unrealistisch gewesen. Es wurde ja schon am Anfang der Story deutlich, dass er Voldemorts Aktionen nicht wirklich gut heißt. Pansy Tod hat einen großen Zweifel hinterlassen und da jetzt auch noch Blaise gestorben ist fängt er an alles zu überdenken.

Zum Thema Verwandlung in einen Animagus konnte ich leider nichts finden. Ich weiß nicht, ob man das erst lernen muss oder ob man das von alleine beherrschen kann. In meiner Story kann er das einfach ^^ (Draco war schon immer ein guter Schüler, von daher denke ich könnte er durchaus das Talent dazu haben.) Ein Animagus muss ja eigentlich auch registriert sein, aber die Kimmkorn hat sich darum ja auch nicht geschert und schließlich geht es bei der Verwandlung in den Raben ja gerade darum, sich heimlich aus dem Staub machen zu können ^^

Danke fürs Kommi. Es freut mich, dass jemandem meine Geschichte gefällt :)


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