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When the Sky Darkens

von

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CULLEN

Cullens Begeisterung für den Ausflug in die Deep Roads hielt sich in Grenzen. Immerhin waren sie erst vor einigen Monaten knapp dem Tod und dem Untergang der Welt entkommen. Es war ein Wunder, dass es sie überhaupt überlebt hatten, dass Lavellan noch immer an seiner Seite war.

„Bist du sicher, dass es notwendig ist, dort hinunter zu steigen?“, fragte er, obwohl er selten Lavellans Entscheidungen hinterfragte. Immerhin hatte sie sich längst bewiesen und vor ihm musste sie sich sowieso nicht rechtfertigen. Nie vor ihm.

Doch trotz seines tiefsitzenden Vertrauens, verweilten Zweifel in ihm, eine Angst, die sich mehr um Lavellans Wohlbefinden als sein eigenes sorgte.

Cullen ging in ihrem Zimmer auf und ab. „Ich meine nur... Wir wissen bereits, dass uns eine Verderbnis bevorsteht. Ein Ausflug in die Deep Roads wird daran nichts ändern.“

Lavellan festigte die Schnüre, welche ihren Brustpanzer zusammenhielt. „Das vielleicht nicht, doch ich bezweifele, dass wir mit König Jons Unterschätzung rechnen können, wenn wir ihm keinen handfesten Beweis liefern. Selbst wenn er uns glaubt, er hat ein Volk zu vertreten.“ Nachdenklich sah sie zu ihm hinüber, mit Augen so grün wie frisches Gras in der Sonne. „Und sein Königreich ist nicht klein, sondern umfasst mehrere Länder. Auch seine Schwester regiert. Sie wird mitziehen, wenn wir ihn auf unserer Seite wissen, da bin ich mir sicher. Auf all das können wir nicht verzichten, Cullen.“

Ein raues, freudloses Lachen entrann seiner Kehle. „Sag doch einfach, dass wir keine andere Wahl haben.“

„Wir haben keine andere Wahl, Cullen.“ Doch sie lächelte, was selbst diese Tatsache leichter zu ertragen machte, auch wenn die Angst wie ein Stein im Schuh war, immer da und immer spürbar.

Lavellan kam auf ihn zu und legte die Arme um seine Hüften, bevor sie sich auf Zehnspitzen stellte und ihm einen Kuss auf den Mundwinkel presste. „Wir haben schon Schlimmeres überstanden. Das ist nichts im Vergleich.“

„Ich hoffe, du hast recht...“ Er strich ihr eine rotbraune Haarsträhne hinter das Ohr, bevor er sich von ihr löste, um seinen Schwertgürtel umzumachen, der seine Rüstung vervollständigte. „Wir sollten Cassandra besser nicht wieder warten lassen.“

Damit begaben sie sich zum Thronsaal, in dem auch Jon, sein Berater Sam, Blackwall, Cassandra, Brienne und drei weitere Soldaten bereits auf sie warteten. Nur wenige Worte wurden ausgetauscht, bevor sie ein weiteres Mal in die Katakomben unter dem Schloss hinunterstiegen und Blackwall das Siegel zu den Deep Roads öffnete. Dieses schlossen sie hinter sich, so dass nur noch die mitgebrachten Fackeln die ewig weilende Finsternis hier unter erhellten.

Ein Frösteln ging durch Cullens Körpers und seine Hand tastete nach dem Schwert an seiner Hüfte. Das Licht ihrer Fackeln erhellte die langen Steintunnel mit ihren hohen Decken, die von Säulen gehalten wurde. Ihre Schritte hallten in der Dunkelheit davon, ganz gleich wie leise sie sich bewegten. Ihre Gruppe war zu groß, die Anzahl ihrer Mitstreiter zu hoch.

„Seid Ihr sicher, dass die Karte aktuell ist, Lady Seeker?“, fragte Sam und ein Beben lag in der Stimme des königlichen Beraters.

Auch Cullen flatterte das Herz in der Brust und seine Hände schlossen sich fester um die Fackel und seinen Schwertgriff.

„Natürlich ist sie nicht aktuell“, stellte Cassandra klar. „Einige Tunnel werden eingestürzt sein, so alt wie sie sind.“ Nun schlich sich etwas Spott in ihre Tonlage. „Aber ich denke, es kann mit Sicherheit gesagt werden, dass die Abzweigungen sich nicht geändert haben. Dass die Tunnel nicht umgegraben worden sind.“

Cassandras Kommentar entlockte Lavellan ein fast lautloses Kichern und auch Cullen spürte, wie sich der Knoten in seinem Magen ein wenig löste.

Dies war jedoch nicht von langer Dauer, denn ein langgezogenes, hohes Jaulen zerschnitt die Stille und somit auch seine Belustigung über Cassandras Antwort.

Sie kamen zum Stillstand. Schwerter wurden gezogen, als sie warteten. Sie warteten auf weitere Geräusche, auf Schritte, auf Silhouetten, die sich in der Finsternis bewegten, sich in den Lichtkreis ihrer Fackeln bewegten – aber nichts von dem geschah.

„Irgendetwas befindet sich definitiv hier unten“, meinte Jon nach einigen Minuten.

„Was auch immer es ist, es scheint uns nicht gehört zu haben“, sagte Blackwall, als sie dem Tunnel weiterfolgten.

Dieser mündete auf einer langen Steintreppe, die tiefer in die Erde führte. Sie war so lang, dass das Licht ihrer Fackeln ihr Ende nicht erreichte. Ihre Schritte waren leiser als zuvor, doch ihre Rüstungen klapperten leise, als sie die Stufen hinabstiegen.

Die Treppe nahm einen Bogen und dumpfe, fahle Helligkeit wartete hinter diesem, woraufhin sie die Fackeln auf den Steinboden gleiten ließen, um sie auszutreten. Darin brauchten sie sich nicht absprechen. Sie hielten inne und formten einen engen Kreis, während die Dunkelheit sie vor neugierigen Augen verbarg.

„Hier unten brennt ein Feuer?“, flüsterte Sam. „Leben hier etwa Menschen?“

„Hier unten überlebt nichts besonders lange. Nichts Menschliches zumindest“, entwich es Cullen und der Gedanke an das, was sie erwartete, stellte ihm unangenehm die feinen Härchen im Nacken auf.

„Keiner weiß, wer die Feuer hier unten entfacht“, erklärte Blackwall wispernd. „Aber die Aufzeichnungen der Grauen Wächter erzählen schon seit Jahrhunderten von den Feuern in den Deep Roads. Die einzige Erklärung ist, dass sie von der Dunklen Brut entzündet worden waren.“

„Eigenartige Kreaturen“, murmelte Jon. „Sie scheinen uns in dieser Hinsicht nicht ganz so unähnlich sein, wie ich mir erhofft habe. Auch sie brauchen Helligkeit. Oder sehnen sie sich danach?“

„Es spielt keine Rolle“, entwich es Cassandra. „Wir sind nicht hier, um die Eigenschaften der Dunklen Brut zu erkunden, eure Majestät. Lasst uns weitergehen und sehen, was dort vor sich geht, während wir hoffen, unbemerkt zu bleiben.“

„Cassandra hat recht“, sagte Lavellan und legte eine Hand auf Cullens Arm, durch die Rüstung nur durch ihr Gewicht spürbar. „Für alles andere haben wir auch später noch Zeit.“

Kein Widerspruch folgte. Stattdessen setzten sie ihren Weg fort und stiegen auch die restliche Treppe hinunter, die in einem riesigen Gewölbe endete. Die Ecken waren mit Dunkelheit erfüllt, doch viele kleine Feuer, die kein Holz oder Laub zum Brennen brauchten, waren in der Mitte entfacht worden.

Einige, umgefallene Steinsäulen lagen zerbrochen umher, boten weitere Verstecke für sie, hinter denen sie Schutz suchten. Cullen fand sich mit Brienne an seiner Seite hinter einer von ihnen wieder. Der Atem der Frau ging schnell und kurzatmig, als sie die schuppigen, grunzenden Kreaturen ins Auge fasste, die sich um die Feuer gesammelt hatten.
 


 

BLACKWALL

So viele der Grauen Wächter hatte es schon in die Deep Roads verschlagen. Es war der letzte Ort, den sie besuchten, ihre Grabstätte, sobald die Verderbnis in ihnen die Oberhand gewann, die sie sich freiwillig einverleibt hatten, um besser die Dunkle Brut zu bekämpfen. Vorausgesetzt sie vielen nicht zuvor auf dem Schlachtfeld eben diesen Monstern zum Opfer.

Trotzdem war jede Faser von Blackwalls Sein zum Zerreißen angespannt, von einer uralten Angst erfüllt, die sich auch der fähigste Soldat nicht vollkommen entledigen konnte.

Gleichzeitig erfüllte ihn Schuld, denn obwohl er auf Lavellans Bitte den Posten des Kommandanten der Grauen Wächter angenommen hatte, war er keiner von ihnen, nicht wirklich. Nie komplett.

Er war ein Außenseiter, ein Verräter und ein Feigling und ein Lügner, ganz gleich, ob seine Lügen längst das Licht der Welt erblickt hatten und unter den Umständen und durch sein Mitwirken gegen Corypheus aufgrund der Notwendigkeit vergeben worden waren.

Beim Erbauer, wie konnte er da noch mehr wollen? Er hatte so viel mehr, als er sich jemals verdienen und wieder gutmachen könnte. Er hatte noch immer Lavellans Vertrauen und ihre Freundschaft, wenn auch nicht ihr Herz.

Doch nicht einmal die bevorstehende Verderbnis und die Dunkle Brut nur wenige Meter von ihnen entfernt konnte etwas an der zerreißenden Sehnsucht ändern, die Blackwall in Lavellans Gegenwart verspürte.

Die zierliche Frau, die ihren athletischen Körper unter einer blauvioletten Rüstung verbarg, presste sich neben ihn an das Gestein, als sie über den zertrümmerten Pfeiler hinweg linste.

Blackwall tat es ihr gleich. „Sie sind uns überlegen“, flüsterte er.

„Ihre Anzahl bestätigt unsere Theorien, da bin ich mir sicher“, antwortete Lavellan und selbst in der Halbdunkelheit las Blackwall die Angst aus ihrem Blick heraus. Er wollte nichts lieber, als sie in die Arme zu schließen.

Anstatt jedoch diesem egoistischen Impuls nachzugeben, suchte er die zertrümmerte Gegend nach dem Rest ihrer Truppe ab. Sie alle hatten hinter Steinbrocken Schutz gefunden und spähten an ihren Rändern zu ihren Feinden hinüber.

Blackwall wandte sich ab und seine Hand fand den Platz auf Lavellans schmaler Schulter. Ihre Muskeln spannen sich noch ein wenig mehr unter seiner Berührung an. „Wir haben gefunden, wofür gekommen sind. Ein Rückzug an dieser Stelle wäre keine Schande.“ Immerhin waren sie nicht zum Kämpfen hier, sondern nur, um dem König von Westeros den Beweis zu liefern, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen. Die Anwesenheit der Dunklen Brut dürfte genau dies erledigt haben.

Lavellan nickte. „Richtig. Gib das Zeichen, Blackwall.“

Das geplante Handzeichen gab er an Cassandra und die anderen weiter, die mit demselben antworteten, bevor sie einer nach dem anderen wieder in die Richtung der Treppe huschten.

Bevor aber auch nur einer von ihnen die untersten Stufen erreicht hatte, drang ein tiefes Grölen an ihre Ohren. Blackwall, der sich direkt hinter Lavellan befand, warf einen Blick über die Schulter zurück zu der Dunklen Brut, die plötzlich in Auffuhr war.

Wie hatten sie sich verraten? Sie waren leise gewesen. War es ihr Geruch? Etwas ganz anderes?

Blackwalls Frage blieb unbeantwortet, als die schuppigen, mutierten Kreaturen losrannten, direkt in ihrer Richtung. Sie verbreiteten sich schwarzes Wasser, strömten zwischen den umgestürzten Stützpfeilern hindurch und direkt auf sie zu.

„Sie kommen!“, brüllte Blackwall, doch seine Stimme sowie ihr Echo wurden von den Gegrunze und den anderen Lauten der Brut verschluckt, ehe sie bereits eingeholt worden waren.

Er zog das Breitschwert surrend aus der Scheide und schlitzte einem Hurlock im selben Hieb den Magen auf. Adrenalin pumpte durch Blackwalls Arterien, während die verdorbenen Kreaturen einen Kreis um sie zogen, mehrere Kreise, welche sie alle voneinander trennten.

Lavellan hatte ihr Dolche hervorgezogen. Mit geschickten Bewegungen blockte sie die verrosteten Schwerter der Brut ab, ihre scharfen Klauen, die nach ihrem Fleisch lechzten. Gemeinsam hackten sie sich durch die Horde, die nicht weniger zu werden schien.

„Blackwall!“, rief Lavellan und schob einen Dolch zurück in die Halterung auf ihrem Rücken.

Er rückte näher an sie heran, bis er hinter ihr stand und sie von hinten deckte. Sie kämpften schon so lange Seite an Seite, dass sie nichts sagen brauchte. Auch wenn er nicht einverstanden war, verstand er, was sie vorhatte.

Den Bruchteil einer Sekunde später erhellte ein gleißendes, grünes Licht das Gewölbe bis auf den hintersten Winkel, als Lavellan das Mal an ihrer Hand benutzte, das noch immer in ihrer Hand prangte. Das sich längst weiter ihren Arm hinaufzog und sie irgendwann verschlingen würde, ein Überbleibsel von Corypheus und seinen machthungrigen Plänen.

Die Wut stieß Blackwall bitter auf, während das Mal alles einsaugte, was sich vor ihr befand. Der magische Luftstrom zog an seinen Haaren, während er hinter sich Lavellans ersticktes Keuchen vernahm.

Ein Blick ging über seine Schulter, als Lavellan die Hand schloss und das Mal versiegelte, bevor sie erschöpft zu Boden rutschte. Genauso wie es sich ausbreitete, raubte es Lavellan immer mehr an Energie, während der Schmerz anwuchs. Sie redete nicht oft darüber, doch hatte sich ihm vor einiger Zeit nach einem Trinkgelage in der Bar anvertraut.

Blackwall nutzte die allgemeine Verwirrung der Dunklen Brut, die plötzlich in fast vollständiger Dunkelheit getaucht war, da die Feuer bis auf ein paar vereinzelten, erlöscht waren, um Lavellan am Oberarm zu packen und sie auf die Beine zu ziehen.

„Hier rüber!“, rief Cullen. Dieser trat einem Genlock in den Magen, bis dieser zurückstolperte, bevor er ihm mit seinem Schwert den Kopf vom Körper trennte. Er winkte sie heran, da Cassandra und Brienne ihnen einen Weg zwischen den Kreaturen freigehackt hatten.

Blackwall zog Lavellan hinter sich her, sie halb stützend, während sein Schwert schwer in seiner Hand wog.

Mit keuchendem Atem und hastigen Schritten stürzten sie fort von den Kreaturen und blind in die Finsternis hinein, schneller und schneller, fort von den Treppen.
 


 

BRIENNE

Die Finsternis war dunkler in diesem Teil der Deep Roads. Brienne kannte die Hand kaum vor den Augen erkennen, als sie sich weiter vorwagten. Zudem war es furchtbar leise, so leise, dass Brienne ihren Atem vernehmen konnte. Doch wenigstens war das Gegrunze und das Jaulen dieser Dunklen Brut verstummt, die bis vor kurzem noch auf ihren Fersen gewesen waren. Anscheinend sahen diese jedoch genauso wenig bei dem fehlenden Licht hier unten. Die Fackeln hatten sie längst zurückgelassen und auch die Dunkle Brut hatte keine auf ihrer Jagd nach ihnen mitgenommen. Brienne zweifelte jedenfalls nicht daran, dass sie dies hätten tun können, da sie immerhin Schwerter und andere Waffen halten konnten. Sie waren menschlicher, als ihr lieb war, den White Walkers in dieser Hinsicht nicht unähnlich. Nur waren sie stärker, dies hatte Brienne deutlich gemerkt, als ihre Schwerter aufeinander geprallt waren.

Der Tunnel, in den sie geflüchtet waren, war eng und halb eingestürzt. Nacheinander tasteten sie sich am Gestein entlang, darauf bedacht sich leise zu bewegen, um die Dunkle Brut nicht doch auf sich aufmerksam zu machen.

„Sie scheinen in einen der größeren Gänge abgebogen zu sein“, flüsterte Cassandra, die hinter ihr ging und somit das Schlusslicht ihrer Gruppe bildete.

„Gut“, erklang es von weiter vorn. Brienne erkannte die Sorge sogleich aus Jons Stimme heraus. „Weil dieser Weg uns nicht weiterbringt. Der Tunnel ist vollkommen verschüttet, soweit ich sagen kann.“

„Wir sitzen in der Falle“, murmelte Sam und ein Zittern unterlag seinen Worte, die auch Brienne die kurzen Härchen im Nacken aufstellte.

„Nur wenn sie uns finden“, bemerkte Cullen und schob sich an Sam und Cassandra vorbei, um Lavellan zu erreichen, die noch immer von dem Grauen Wächter gestützt wurde.

„Ich denke, dass sie uns hier nicht vermuten“, sagte Cassandra. „Der Tunneleingang war versteckt, darum haben wir ihn schließlich gewählt. Ausserdem ist er schmal. Die größeren Hurlocks dürften nicht einmal zwischen den Felsen hindurchpassen.“

„Verwinkelt wie es ist, dürfte ein kleines Feuer keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen, oder?“, fragte Jon.

Ein paar Sekunden später flackerte eine schmale Flamme, die winzig war, doch genug Licht in der vollkommenen Dunkelheit erzeugte, um ihre Gesichter preiszugeben. Jon hatte es aus ein paar mitgenommenen Zweigen entzündet, seine Überlebensqualitäten erneut unter Beweis stellend. Er benahm sich noch immer mehr wie ein Soldat, der auf alles vorbereitet war, und weniger wie der König, der er inzwischen war.

Briennes Blick wanderte von einem zum anderen, während Blackwall sich von Cullen und Lavellan abwandte, um den Tunnel zu bewachen. Er entfernte sich, bis die Finsternis ihn abermals verschluckte.

Cullen half Lavellan sich auf einem heruntergefallenen Stein niederzulassen. Er schraubte die Wasserflasche auf, um ihr einen Schluck zu gönnen, den sie mit einem müden, aber dankbaren Lächeln akzeptierte.

Einst hatte Brienne gedacht, oder vielleicht eher gehofft, dass Jaime und sie irgendwann ein ähnliches Band haben würden: Seite an Seite kämpfen, sich umeinander sorgen und einander beschützen, bis sie vielleicht irgendwann im selben Kampf beieinander auf dem Schlachtfeld fielen.

„Ser Brienne?“, erkundigte sich Cassandra. „Hier. Wasser. Ihr seht bleich aus.“ Unzeremoniell drückte sie Brienne die lederne Flasche in die Hand, bevor sie neben Lavellan und Cullen auf dem Stein Platz nahm, während Jon das Feuer unter Sams wachsamen Blick vergrößerte.

„Danke, Ser“, murmelte Brienne mit belegter Stimme und schluckte die Sehnsucht nach Jaime hinunter. Vielleicht hätte sie nicht so abweisend zu ihm sein sollen. Immerhin hatte er sich tatsächlich um sie bemüht, schon seit Wochen und länger nach einem Gespräch, nach ihrer Aufmerksamkeit, gesucht, auch wenn sie ihm stets aus dem Weg gegangen und ihm ausgewichen war.

Sie steckte das Schwert weg. Das Wasser schmeckte bitter und warm, als sie es trank und sich abseits der Leute aus dem fernen Ferelden auf den Steinboden setzte.

Schweigen breitete sich aus. Erst Blackwall brach es, als er nach Minuten zurückkehrte. „Soweit ich das beurteilen kann, suchen sie noch immer nach uns. Sie scheinen sich in Gruppen aufgeteilt zu haben.“

„Das könnte ein Vorteil für uns sein“, sagte Lavellan. „Weniger zu beseitigen, wenn ihr uns auf dem Rückweg zum Tor vor einigen von ihnen verstecken können. Zur Not kann ich das Siegel in meiner Hand—“

„Auf keinen Fall“, unterbrach Cullen, bevor er sich räusperte und mit der behandschuhten Hand durch das Haar fuhr. „Ich meine... Wir schaffen das auch so irgendwie.“

„Ser Rutherford hat recht“, sagte Jon und richtete sich auf. „Irgendwann werden sie ihre Suche aufgeben und sich in Sicherheit wiegen. Wenn wieder Ruhe eingekehrt, machen wir uns auf den Rückweg. Wenn wir vorsichtig genug sind, dürfte es uns gelingen.“

„Das könnte Tage dauern“, murmelte Sam.

Cassandra schnaufte. „Das glaube ich nicht. Diese Kreaturen sind nicht für ihre hohe Konzentration und Ausdauer bekannt. Auch nicht für ihre Hartnäckigkeit. Sie jagen und töten, was ihnen in den Weg kommt. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Genug Wasser, um für eine Weile hier zu bleiben, haben wir“, sagte Cullen. „Gut, dass wir einige Vorräte gepackt haben.“

„Dann ist es beschlossene Sache“, sagte Jon.

Brienne straffte die Schultern und ließ die Trinkflasche sinken. „Gut. Wir sollten abwechselnd Wache schieben. Ich werde die erste übernehmen.“

Jon schenkte ihr ein grimmiges Lächeln und nickte.

„Ich werde Sie ablösen, Ser Brienne“, sagte Blackwall und Brienne war dankbar, dass er sich nicht anbot, sondern ihre Worte akzeptierte.
 


 


 

JON

Hier unten in den Deep Roads war es einfach, sein Zeitgefühl zu verlieren. Sie waren am Nachmittag aufgebrochen und Jon war sich sicher, dass inzwischen einige Stunden vergangen waren. Daher nahm er an, dass es nun tiefste Nacht sein musste, seit sie in diesem Teil der Höhle festsaßen und darauf warteten, dass die Dunkle Brut sie aufspürte. Dies war bisher jedoch nicht geschehen.

In ihrer Gruppe war es inzwischen still geworden, während sie alle sich ausruhten und ein wenig Schlaf zu finden versuchten, nach dem das Adrenalin aus ihrem Blut gewichen war.

Doch schon oben m Schloss kam Jon nur schwer und selten zur Ruhe, wenn er nicht gerade vor völliger Erschöpfung ins Bett fiel. Hier in der ewigen Dunkelheit nur von dem kleinen Feuer erhellt, welches auch nicht ewig brennen würde, fand er keinen Schlaf.

Als es schließlich Zeit wurde, Blackwall bei seiner Wache abzulösen, war Jon fast froh darüber. Seine Knie knackten und fühlten sich steif an, als er sich vom Steinboden erhob und die wenige Helligkeit des Feuers zurückließ, um sich durch den Spalt im Gestein zu schieben. Dort begrüßte ihn die Dunkelheit, sodass es mehr ein Vorantasten als alles andere war.

Ein schleifendes Geräusch war zu vernehmen: ein Schwert, welches aus der Scheide gezogen wurde.

„Ich bin es, Jon“, sagte Jon, um Blackwall zu versichern, dass er keine dieser Kreaturen war.

„Ist es schon Zeit für die Ablösung?“, antwortete die tiefe, raue Stimme des Grauen Wächters. Sie klang erschöpft, aber nicht viel anders als sonst.

„Wer weiß das hier unten schon“, sagte Jon, da er sich lediglich auf sein Instinkt verließ. „Aber ich denke schon.“

Blackwall räusperte sich irgendwo vor ihm. „Seid Ihr sicher, dass ihr allein Wache halten wollt, eure Majestät? Wenn dem König von Westeros—“

„Selbst wenn mir etwas passieren sollte, wird meine Schwester eine würdige Nachfolgerin sein“, sagte Jon, da er schon weit schlimmere Sachen erlebt hatte, als einen Tunnel in völliger Finsternis zu bewachen. Immerhin wusste er sogar, wie sich das Sterben anfühlte.

Blackwall protestierte nicht, sondern suchte sich den Weg an Jon vorbei. Ihre Ellenbogen berührten sich, als sie sich aneinander vorbei manövrierten.

Jon fand einen heruntergefallenen Stein, auf den er sich setzte, die Hand am Schwertgriff. Blackwalls Schritte verebbten und hinterließen vollkommen Stille. Wie lange Jon dort saß und in die Dunkelheit starrte, wusste er nicht. Die Zeit schien genauso zäh zu fließen, wie sie es gerade eben noch getan hatte. Sie konnten nicht ewig hier bleiben. Schon bald müssten sie sich aus ihrem Versteck wagen und den Rückweg finden, um—

Jons Gedanken kamen zum abrupten Stillstand, als er weitere Schritte vernahm. Sein Herz klopfte schneller, doch das Geräusch kam nicht von vorn.

„Ich kann nicht schlafen“, erklang Cassandras Stimme.

Jons Muskulatur entspannte sich wieder. „Dann sind wir schon zwei“, antwortete Jon. Eine Hand fand seine Schulter und benutzte sie als Wegweiser, bis Cassandra neben ihm Platz nahm. Es war merkwürdig, wie schnell er sich an Cassandras Anwesenheit gewöhnte, aber es fühlte sich an, als ob sie einander schon sehr lange kannten.

„Die Inquisition kann mit jeder Unterstützung rechnen, die sie braucht. Alles und jeden, den wir entbehren können“, sagte Jon schließlich, denn er hatte die Dunkle Brut, die ihre Welt bedrohte, mit eigenen Augen sehen wollen und hatte dies getan. Man versuchte ihn nichts vorzuspielen. Diese Verderbnis war keine lang verstummte Legende, sondern etwas, was ihnen erneut bevorstand.

Für einen langen Moment schwieg Cassandra neben ihm, so lange, dass Jon beinahe annahm, dass sie ihn nicht gehört hatte. „Das ist sehr großzügig von Ihnen, Jon“, antwortete sie irgendwann.

Jons Mundwinkel hoben sich bei ihrem höflichen Ton. „Großzügig?“, spöttelte er und vernahm ein Lufteinziehen neben sich. „Wohl eher notwendig.“

„Das mit Sicherheit“, sagte Cassandra und etwas Weiches schlich sich in ihren Ton. Er hätte gern ihr Gesicht gesehen, ob die Sanftheit auch ihre dunklen Augen erreichte und ihr markantes Gesicht entspannte.

„Ich nehme nicht an, dass diese Verderbnis genau aus dem Siegel unter King’s Landing herausbrechen wird?“, erkundigte sich Jon. Sie redeten im Flüsterton.

„Den Vorfällen von zerstörten Ortschaften in Westeros nach zu urteilen, hat die Dunkle Brut bereits einen anderen Weg an die Oberfläche gefunden“, sprach Cassandra. „Vielleicht ist der Erzdämon auch bereits an der Oberfläche oder auf den Weg dorthin.“

„Es ist ein Drache?“ Jon erinnerte sich unwillkürlich an Drogon. „Ich kannte einst einen Drachen. Erst ist zusammen mit dem toten Körper seiner menschlichen Mutter davongeflogen. Ich habe keine Ahnung wohin, aber soweit ich weiß, hat niemand ihn seitdem gesehen.“

Cassandra bewegte sich neben ihm. Jon konnte es nicht sehen, doch spürte ihre Schulter, die sich gegen seine presste, Rüstung gegen Rüstung. „Es kann gut sein, dass dieser Drache einen Weg in die Deep Roads gefunden hat. Irgendeinen versteckten Durchgang und dort der Dunklen Brut in… in seiner Trauer zum Opfer gefallen ist.“

In seiner Trauer…

Jon lächelte freudlos. Er wünschte, er hätte Dany nach ihrem Absturz vor den White Walkers beschützen können. Vielleicht wären sie dann nicht hier in den Deep Roads mit einer Horde verdorbener Kreaturen, die alles abschlachteten, was ihnen in den Weg kam.

„So oder so“, unterbrach Cassandra seine Gedanken. „Es macht keinen Unterschied, wie die Verderbnis entstanden ist. Sie ist hier und wir müssen uns um sie kümmern.“ Die Schulter entfernte sich, als Cassandra aufstand. „Ich werde versuchen zu schlafen. Wir brauchen unsere Kräfte. Ich werde Sie in ein paar Stunden ablösen.“

„Schlafen Sie gut, Seeker.“



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