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Shapeless Dreams

[Atem center]
von

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Sein Übermut

Die Tage vergingen. Die Nilschwemme kam und befruchtete die Felder. Als sie ging, überließ sie überall ihre Nilschlacke, in denen die Bauern ihre Saat auslegten. Als der zehnte Tag der Woche sich näherte, näherte sich auch der Tag des Min-Festes. Die Menschen arbeiteten hart. Pausenlos wurde am Wiederaufbau gearbeitet. Lehmhäuser erneut errichtet, Aquädukte aufgestellt und sorgsam restauriert und Straßen gesichert, um die Versorgung zu sichern. Doch in der Unterstadt und in den äußeren Bezirken kam es weiterhin zu Auseinandersetzungen. Die Räubergruppe rund um Bakura versetzte das Land in Angst und Schrecken. Man hörte Gerüchte über ihre Gräueltaten und sie machten vor nichts Halt.
 

Bisher war es dem Pharao und seinen Soldaten nicht möglich gewesen, diesen Mann zu fassen und in den Zeiten des Min-Festes durfte er auf keinen Fall Schwäche zeigen, da er sonst sein eigenes Volk verängstigen würde und dies einen großen Schatten auf ihre Ernte werfen würde. Er musste Haltung bewahren. Atem besuchte den Tempel und verneigte sich vor den Tempelwänden, an denen die Bilder der Götter gehauen wurden und zudem den Verlauf des wichtigen Min-Festes erläuterte. Die Hohepriester und der Pharao würden die Götter mit Opferdarreichungen besänftigen und um ihre Gunst bitten und die Statue des alten Pharao Akhenamkhanen von einem Tempel zum nächsten tragen, um so Atems Herrschaftserneuerung zu feiern. Er würde feinste Kleider tragen und Schmuck aus Gold. Eine Woche – zehn Tage lang – würde gefeiert werden, doch Atem befürchtete, dass diese Feierlichkeiten von der Räuberbande gestört werden würden.
 

Es war also nötig noch mehr Wachen in den Stadt zu positionieren. Im gleichen Atemzug bedeutete dies jedoch auch, den Schutz des Palastes zu verringern und sich angreifbar zu machen. Natürlich hatten sie die Millenniumsartefakte und ihre mächtigen Ka-Bestien, die sie im Ernstfall beschwören konnten, doch er hoffte sehr, dass es zu keinem Kampf kommen würde.
 

Als die Festlichkeiten abgehalten wurden, feierte ganz Kemet. Die Bewohner des Landes ließen all ihre Sorgen hinter sich und feierten ausgelassen. Lachen und Freude überall. Sämtliche Feste, die mit dem Nil zusammenhingen, wurden überall begannen und die Menschen erwarteten freudig die Nilschwemme und den zurückbleibenden Schlamm. Mit fröhlichen Liedern wurde der Schlamm willkommen geheißen und mit Instrumenten spielte man wunderschöne, wohltuende Klänge und Melodien, um den Göttern für ihren Segen zu danken. Vor allem Gott Sobek wurde gepriesen, der ihnen einst den Nil schenkte.
 

Atem saß in seinen Privaträumen und lauschte der Musik. Sie feierten bis zur späten Nacht, tranken lieblichen Wein, sangen Loblieder und Hymnen, die sie den Göttern widmeten und aßen duftendes, frisch gebackenes Brot und verspeisten die süßen Datteln und Feigen.
 

In der Nacht war es zu vielen Ausschreitungen gekommen. Es kam zu Streit zwischen einzelnen Bewohnern, welcher rasch zu einer Massenschlägerei ausartete. Es waren heilige Tage und normalerweise wurde das Fest nicht unterbrochen, doch die Hohepriester und der Pharao kamen zusammen, um ein Urteil über jene zu fällen, die die Feierlichkeiten störten. Dann ein Mann, der es gewagt hatte, ein Grab eines Pharaos ausrauben zu wollen, der jedoch nichts stehlen konnte, da die Kammer bereits ausgeleert wurde. Er zeigte keinerlei Reue, obgleich er die heiligen Gemäuer eines Königs wissentlich betreten und zerstört hatte. Seth wies ihn dazu an, zu schweigen und zeigte mahnend mit seinem Millenniumsstabs auf ihn.
 

„Das Reich eines ruhenden Pharaos ist das Reich eines Gottes!Wer seine Ruhe stört, auf den wartet die Strafe der Götter! Du wirst sie am eigenen Leib erfahren! Nun werden die Artefakte ein Urteil über dich fällen!“
 

Karim – Hüter der Millenniumswaage – erhob sein Artefakt und es leuchtete für einen Moment auf, ehe die eine Seite sich senkte, ein Zeichen für die Schwere des Verbrechens und die finstere Seele des Mannes. Priester Shada sah in die Seele des Mannes mithilfe seines Schlüssels, den er einst von Siamun Muran erhalten hatte und erkannte den Schatten einer bösen Ka-Bestie, die Seth mithilfe seines Stabes aus der Seele des Mannes zog und sofort in eine Steinplatte bannte und daraufhin eine sofortige Hinrichtung forderte. Akhenaden jedoch forderte sieben Jahren Frondienst. Die Priesterin der Millenniumskette zuckte zusammen und sie meinte, einen dunklen Schatten zu spüren, der sich dem Palast näherte und nur wenige Augenblicke später hörte man die entsetzlichen und schmerzverzerrten Schreie der Wachen, die den Thronsaal bewachten. Ihre Körper prallten dumpf zu Boden und die Speere, mit denen sie bis eben den Weg versperrt hatten, klirrten laut als sie den Boden erreichten.
 

Sämtliche Priester zeigten Achtsamkeit und sie warfen ihre Blicke gen Eingang, abwartend und bereit für einen etwaigen Kampf. Wer auch immer es wagte, den Palast während der Festlichkeiten zu betreten, konnte nichts Gutes im Sinn haben. Die Schritte näherten sich und die Anspannung wuchs. Ein Mann mit rotem Umhang kam herein, auf seinem Rücken trug er Schätze aus reinem Gold und um seine rechte Hand hatte er ein Seil gespannt, mit dem er etwas hinterherzog. Es handelte sich um die Mumie des vorherigen Königs Akhenamkhanen. Es kam zum Kampf. Die Hüter der Millenniumsartefakte beschworen ihre Bestien, um den barbarischen Dieb, der es gewagt hatte, die heilige Ruhestätte eines Pharaos zu durchbrechen, zu bestrafen und hinzurichten, doch dieser Mann war alles andere als schwach. Auch er besaß eine Ka-Bestie, die durch seinen Hass und seine Rachegelüste unglaublich stark und gefährlich war.
 

Er stellte sich als Bakura, König der Grabräuber, vor und teilte mit, dass er ein Überlebender des Dorfes Kul Elna war. Atem zeigte keinerlei Interesse an dem Mann, sondern lief mutig voran, schubste den Dieb beiseite und nahm die sterblichen Überreste seines Vaters in die Arme, warf einen trauernden Blick auf diesen und bat diesen gedanklich um Verzeihung. Bakura hatte es gewagt, die Ruhe seines Vaters zu stören und dies machte ihn unglaublich wütend. Mahaad war zuständig für die Bewachung der Grabstätte. Hatte er nicht genügend Soldaten abgestellt?
 

In seinem Kopf war nur noch Nebel. Zorn. Hass. Enttäuschung. Zähneknirschend legte er den toten Körper auf den Boden und machte sich zum Kampf bereit. Bakura floh nach draußen und Atem folgte ihm. Er hörte die Stimmen seiner Priester, die ihn zur Ruhe ermahnten und ihm anwiesen, diesem Dieb nicht zu folgen, doch Atem ließ sich das nicht gefallen. Dieser unverschämte, abscheuliche Kerl hatte es gewagt, seinen geliebten Vater Akhenamkhanen aus seinem Grab zu zerren und seinen leblosen Körper in den Thronsaal zu bringen, sondern forderte ihn zum Kampf heraus, beleidigte nicht nur die Götter, sondern auch seinen Stolz als Sohn ebendieser. Er sollte die Ruhe bewahren?! Unmöglich!
 

Atem schwang sich auf sein Pferd und folgte dem Räuber. Er war der Sohn der Götter und als solcher war er mächtig, mutig und vor allem stolz. Die Wachen der Palastmauern passierend, orderte er diese an, ihm zu folgen und den Gotteslästerer zu fangen. Jemand, der die Götter und ihn verhöhnte und es gar wagte, die Ruhe seines Vaters zu stören, hatte den Tod verdient und durfte nicht frei herumlaufen. Geblendet von diesem unendlichen Gefühl des Hasses, folgte er ihm. Die Sonne ging bereits unter und die Dunkelheit der Nacht brach herein, doch auch diese Umstände, störten den Pharao nicht, der ihm unentwegt folgte und sein Pferd immer wieder antrieb. Seine sechs Priester folgten ihm und er hörte Mahaads Stimme und sein Flehen stehenzubleiben, doch in seinem Kopf herrschte nur noch ein Gedanke: diesen schäbigen Dieb zu bestrafen und für seine schrecklichen Taten und all das Leid, was er im Land verbreitet hatte, zu stellen.
 

Aus der Ferne hörte er die Stimme des Priesters Seth, der ihn davor warnte, keinen Alleingang zu unternehmen und obwohl Atem seine Worte wahrnahm, so konnte er ihre Bedeutung nicht verstehen. Sein Vater hatte nur einen Fehler gemacht: zu warten. Er hatte den Krieg abgewartet und geglaubt, dass er dem Kampf aus dem Weg gehen musste und Atem hatte beschlossen, dass er einen anderen Weg eingehen musste, um sein Land zu schützen. Vielleicht war die fremde Stimme in seinem Kopf der Wille der Götter und auch wenn er dies nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, so wollte er dieser Botschaft glauben.
 

ԃυ ԃαɾϝʂƚ ƙҽιɳҽ ʂƈԋɯäƈԋҽ ȥҽιɠҽɳ. ԃҽιɳ ҽɳԃҽ ɳαԋƚ, ɯҽɳɳ ԃυ ԃҽɱ ρϝαԃ ԃҽιɳҽʂ ʋαƚҽɾʂ ϝσʅɠʂƚ, hörte er die Stimme erneut in seinem Kopf und er umfasste die Zügel noch fester. Feuer brannte in seinen Augen und seiner Seele. Er würde diesen Kampf gewinnen und so beschwor er gleich mehrere Ka-Bestien auf einmal, die den Grabräuber attackierten. Der Boden begann zu beben und sein Pferd wurde plötzlich unruhig. Sie befanden sich inmitten der Unterstadt. Die Schreie der verängstigten Bürger waren von allen Seiten zu hören und panisch liefen sie davon. Ein Erdbeben versetzte ihr geliebtes Kemet in Angst und Schrecken und die Götter selbst halfen ihnen in dieser scheinbar aussichtslosen Situation nicht. Atem ließ sich davon nicht abschrecken und ritt dem Dieb weiterhin hinterher. Außerhalb der Stadt angekommen, glaubte er, endlich den Dieb stellen zu können.
 

Bakura ritt unentwegt weiter.
 

Ist das eine Falle? Will er mich weglocken? Ha! Kann mir nur recht sein! Ich fürchte dich nicht!, dachte er und ließ sich auf dieses Katz und Maus Spiel ein.
 

Die Nacht war hereingebrochen und dunkle Wolken zogen über Kemet auf. Sie verhießen nichts Gutes. Donner grölte und Blitze erhellten den Himmel und schlugen im Wüstensand auf. Plötzlich blieb der Dieb stehen und der Boden unter ihm zeigte erneut seinen Zorn, der Boden brach auf und sie wurden getrennt von einem Abgrund. Es waren nur klägliche fünf Meter zwischen ihnen, doch sein Pferd weigerte sich, die Verfolgung weiterhin aufzunehmen und wieherte panisch, trabte auf der Stelle und versuchte den Rückweg anzutreten. Atem kämpfte gegen sein störrisches Pferd, das mindestens so stolz war wie er, doch im Herzen auch ein Feigling. Selbst sein stolzer Mustang erkannte die Gefahr und stellte sich nun gegen ihn, doch Atem blieb dabei, bewies eiserne Hand und Dominanz, zwang sein Pferd dazu, mit einem großen Sprung das Hindernis zu überwinden. Nur die besten und kräftigsten Pferde konnten Sprünge dieser Distanz leisten und Atem wäre nicht der Pharao dieses Landes, wenn nicht auch sein treues Pferd zu Höchstleistungen imstande war.
 

Mittlerweile hatten sie die anderen Priester fast abgelenkt. Er war sich sicher, dass Mahaad noch nicht aufgegeben hatte und ihm weiterhin unbeirrt folgte, doch Atem hatte keine Zeit auf diesen zu warten und ihm die Möglichkeit zu geben, ihn einzuholen, denn sein Ziel lag klar vor seinen Augen und er konnte es sich gar nicht leisten, dieses aus den Augen zu verlieren. Seine Ka-Bestien griffen weiterhin aus der Distanz an, doch Bakura wich den Angriff geschickt aus und longierte sein Pferd äußerst gewandt. Unter anderen Umständen wäre dieser Mann sicher ein guter Soldat geworden. Was auch immer ihn zur Seite der Finsternis gelockt hatte und ihn dazu brachte, Moral und Anstand aufzugeben und das Leben eines Räubers zu führen, hatte Kemet eine unglaublich gute Arbeitskraft gekostet. Bedauerlich, dass die menschliche Seele so schwach war und sich schnell hinreißen ließ.
 

Endlich stellte sich Bakura ihm und blieb stehen. Er zückte einen Säbel aus seiner Seitentasche und ritt auf den Pharao zu, doch Atem, der jahrelang Kampfpraktiken erlernt hatte, wusste genau, wie er einen solchen direkten Angriff kontern konnte. Auch er zog seinen Säbel und ihre Klingen kreuzten sich. In weiter Ferne schlug ein Blitz ein, genau in dem Moment, als ihr geschärftes Eisen aufeinander schlug und sie ritten aneinander vorbei, umkreisten sich und beobachten ihren Feind, ein jeder darauf wartend, dass der Gegenüber auch nur den winzigsten Fehler machte.
 

„Atem, du bist nichts weiter als ein dummes Kind. Kaum zu glauben, dass du mir bis hierher gefolgt bist!“, lachte Bakura siegessicher und leckte sich über die Lippen, während seine Pupillen sich weiteten, wie bei einem Falken, der kurz davor war, sich auf seine Beute zu stürzen und diese brutal in Stücke zu reißen.
 

„Du wagst es mich beim Vornamen zu nennen? In Kemet haben wir keinen Platz für einen Gotteslästerer und Grabschänder wie du es bist! Erwarte keine Gnade von mir! Die Schonzeit ist endgültig vorbei!“, brüllte Atem sichtbar aufgebracht. Auch seine Augen zeigten Kampfeswille und zeugten von seinem Entschluss, seinen Feind niederzustrecken.
 

Bakura lachte nur amüsiert, griff den König erneut an, doch wieder verlief ihr Aufeinandertreffen unentschieden und sie umkreisten sich erneut wie hungrige Hyänen der Wüste, die seit Tagen nichts mehr zu Fressen bekommen hatten. Atem war nicht gewillt aufzugeben, beschwor erneut seine Ka-Bestien und forderte diese dazu auf, ihn anzugreifen. Sein Angriff ging ins Leere, denn Bakura wich nicht nur aus, sondern ließ sich auf diese Art des Kämpfens ein, holte sich seine Ka-Bestie Diabound zur Hilfe, welches mit seinen zwei Mäulern bedrohlich knurrte und gierig den jungen König begutachtete.
 

Bakuras Lachen ertönte weiterhin. Siegessicher, triumphierend und vor allem manisch. Atem wurde nun noch vorsichtiger. Hatte sein Gegenüber den Verstand nun vollends verloren? Sein Lachen hallte durch die Finsternis der Nacht und ließ Atem für einen Moment erschauern.
 

„Verstehst du es denn wirklich nicht?“, fragte Bakura und beruhigte sich nun endlich.
 

„Das alles ist nur ein Spiel. Wir sind Schachfiguren und werden von deinen achso geliebten Göttern übers Brett gescheucht. Du hast keinen eigenen Willen! Wir haben keine Freiheit! Wir leben in Furcht und Abhängigkeit und du bist unwissend!“
 

„Hüte deine Zunge! Ich bin Pharao Atem – Sohn der Götter – und du befindest dich auf Heiligen Boden! Wage es nicht, die Götter weiterhin zu beleidigen! Du bist nichts weiter als ein größenwahnsinniger Räuber, dem die Hitze zu Kopf gestiegen ist!“
 

„Ist das so? Glaubst du, dass ich dich grundlos angreife? Aus Langeweile?!“
 

„Jemand wie du braucht keinen Grund um anderen Menschen Leid zuzufügen. Du bist nichts weiter als Abschaum!“
 

„Ein unwissender Pharao, der nicht einmal die Wahrheit hinter den Millenniumsartefakten kennt und trotzdem große Töne spuckt!“
 

Atem hob neugierig eine Augenbraue. Die Wahrheit? Was meinte er? Bakura zog eine Augenbraue hoch und zuckte mit den Schultern.
 

„Der gutherzige Herrscher weiß nichts über die Tragödie von Kul Elna und dem Opfer, das erbracht wurde, um den Frieden eures Landes zu sichern? Wie viele Menschen mussten ihr Leben lassen, um euren bequemen Alltag zu retten? Ich frage mich, wie sich Akhenamkhanen gefühlt hat, als man ihm endlich sagte, dass Blut an seinen Händen klebte? Auch du, Atem, bist nichts weiter als ein Mörder! Nur weil du die Wahrheit nicht kennst, macht dich das nicht unschuldig!“
 

„Schweig! Deine Lügen beeindrucken mich nicht!“
 

Mein Vater... ein Mörder? Unmöglich! Er hat alles getan, um uns den Frieden zu bringen und hat Gewalt verabscheut!
 

„Meine Lügen vielleicht nicht, aber vielleicht meine wahre Macht“, erklärte der Dieb und plötzlich schlugen mehrere Blitze ein, beleuchten den Dieb in einem verheißungsvollen Licht.
 

Dunkelheit breitete sich aus. Atem wurde unruhig und sein Pferd wich einige Schritte zurück, schnaubte aufgebracht. Sein stolzes Tier und Begleiter wollte die Flucht ergreifen, doch Atem blieb stur. Er umgriff die Zügel und wollte seinem nervösen Pferd gutzusprechen, doch dieser wieherte nur laut, warf seinen Reiter von seinem Rücken und ergriff die Flucht. Empört sah der Pharao seinem Pferd hinterher. Schon bald war dies nicht mehr möglich, als die Finsternis ihn endgültig umkreiste und er von seinem Pferd getrennt wurde. Plötzlich fiel ihm das Atmen schwer und er rang nach Luft, versuchte weiterhin sich keinerlei Schwäche ansehen zu lassen. Mit dem Millenniumspuzzle und seinen Ka-Bestien hatte er starke Waffen auf seiner Seite, zudem war er der Sohn der Götter. Er war unfehlbar und somit unbesiegbar.
 

Zwei tiefrote, leuchtende Punkte erschienen am Himmel, sie schienen auf ihn herabzublicken, wie zwei gigantische Augen, die ihn in den Abgrund reißen wollten. Sofort beschwor der König all seine Ka-Bestien und griff den selbsternannten König der Räuber an, ließ all seinen Zorn, seinen Hass und seine Wut an diesem aus und zum ersten Mal ging sein Angriff durch. Im nächsten Moment sprang er Bakura entgegen, riss ihm die Zügel aus der Hand und kletterte an dessen Pferd hoch, schwang seinen Säbel in dessen Richtung, doch dieser wich aus und sprang nun von seinem Pferd.
 

„Immer von vorne, ein wahrer Anführer, der niemals kneift“, spöttelte Bakura und umgriff seinen eigenen Säbel nun fester. Sein Pferd galoppierte davon. Sie standen sich erneut direkt gegenüber, sahen sich Aug in Aug, hatten ihre Waffen aufeinander gerichtet und ein jeder wartete darauf, dass der andere den nächsten Schritt wagte. Atems schwarzer Säbel war mit goldenen Hieroglyphen verziert und der Knauf trug das Bild eines Falken, der die Flügel ausgebreitet hatte. Ein Abbild des Horus. Atem glaubte fest daran, dass die Götter an seiner Seite standen und er fühlte sich sicher. Ein gemeiner Dieb würde ihn nicht besiegen können und er grinste dem Weißhaarigen selbstbewusst entgegen. Seine drei Ka-Bestien standen hinter ihm, der Keltische Wächter, Gaia, Ritter des Dunklen Windes und sein loyales Kuriboh, welchem ihrem Feind einen bösen Blick zuwarf und dabei bedrohlich quiekte. Atem hatte noch mehrere andere Monster, die er hätte rufen können, doch er wollte diesen Mann mit seinen eigenen Händen erledigen.
 

Erneut kreuzten sie die Klingen. Klirrend stießen ihre Säbel aufeinander. Elegant wich Atem mit einem Ausweichschritt zur Seite weg, während seine Monster sich gegen das schlangenähnliche Monster ihres Gegenübers kümmerten. Diabound schoss wild mit Laserstrahlen umher, sodass Atem rasch eine Rolle zur Seite machen musste. In diesem Moment hatte er Bakura aus den Augen verloren. Ob er sich in dem dunklen Nebel, diesen Schatten der Finsternis, versteckte und nur auf den richtigen Augenblick wartete, um sich in einem Moment der Unachtsamkeit auf ihn zu stürzen und wie ein gieriger Löwe, den man in die Ecke getrieben hatte, erbarmungslos die Kehle aufzuschlitzen? Sein Blick wanderte umher. Außer dem dunklen Nebel erkannte er nichts. Die beiden roten Augen über ihm schienen ihn zu beobachten und irgendetwas in ihm sagte ihm, dass er vor diesem Leuchten auf der Hut sein musste, wenn er nicht nichtsahnend, in Stücke gerissen werden wollte. Er glaubte fast daran, dass Bakura nicht sein einziger Gegenspieler war. Knurrend drehte er sich um seine eigene Achse.
 

„Komm raus, du Feigling! Ich dachte, du wolltest einen Kampf? Und nun versteckst du dich? Ein König beweist Mut, also stell dich mir, wenn du dich selbst einen König schimpfst!“
 

„Ich muss mich niemanden beweisen“, hallte Bakuras Stimme von allen Seiten zu ihm.
 

Wo zum... steckt er?! Diese Finsternis, die mich umringt... ist sie etwa ein Teil von ihm?, überlegte Atem und hob seinen Säbel verteidigend vor sich, als wollte er einen Angriff parieren. Von Anfang an war ihm bewusst, dass Bakura ihn in eine Falle lockte und er hatte nicht geglaubt, dass ein direkter Frontalangriff Wirkung zeigen würde, aber er hatte fest damit gerechnet, als Sieger aus diesem Kampf zu gehen. Jetzt war er sich dem nicht mehr so sicher. Atem biss sich auf die Unterlippe, schüttelte den Gedanken wieder ab. Er war der König. Er musste Haltung bewahren und stets Mut beweisen. Es war seine Pflicht sein Land zu verteidigen und den Schutz des Volkes zu garantieren. Ein dreister Dieb, der sich selbst einen Titel verlieh, zwang ihn nicht in die Knie.
 

Seine drei Monster besiegten Diabound und dieser verschwand. Wenigstens eine Sorge weniger. Ein manisches Lachen, das aus allen Richtungen zu kommen schien und zig Echos in verschiedenen Tonlagen warf. Atem erschauderte es für einen Moment. Bakura war zu feige, sich in einem richtigen Duell gegen ihn zu messen und versteckte sich, wie eine Schlange, die aus dem Hinterhalt agierte und ihr tödliches Gift in Sekundenschnelle in ihren Gegner injizierte. Er warf erneut einen Blick in Richtung der Augen und im selben Moment sah er nicht nur zwei rot leuchtende Punkte über ihn schweben, sondern hunderte. Seine drei Monster eilten ihm zu Hilfe und stellten sich schützend vor ihm, als die hellen Strahlen auf ihn herabregneten. Knallend schlugen leuchtende Speere in den Böden und er wusste, dass seine drei Monster nach diesem Angriff erledigt sein würden und er schutzlos, nur mit einem Säbel bewaffnet, dastehen würde.
 

Verdammt... er ist weitaus stärker als ich dachte! Was ist das für eine Macht? Was nur hat dieser Kerl geopfert, um so mächtig zu werden und sich selbst den Göttern als ebenbürtig zu erweisen?!, zerbrach er sich den Kopf und schloss für eine Sekunde die Augen, als die nächste Salve direkt vor ihm zu Boden kam und sein Monsterwall nun endgültig verschwand. Sein Gegner stellte nun seinen Angriff ein. Der Sand wurde von den herabstürzenden Speeren aufgewirbelt und Atem röchelte, als der feine Staub ihn umgab und er diesen ungewollt einatmete. Seine Augen brannten. Feine Sandkörner hatten sich in diese verirrt, doch er durfte auf keinen Fall Schwäche zeigen.
 

Der Staub verzog sich langsam und aus der Finsternis kam nun endlich Bakura. Langsamen Schrittes kam er näher, blieb nur wenige Meter vor dem König stehen, welcher sofort verteidigend seinen Säbel hob und ihn herausfordernd ansah, keinen Funken an Angst ausstrahlte und dabei den Weißhaarigen mit hasserfüllten Augen fixierte.
 

„Dein Blick gefällt mir. Er erinnert mich an mich selbst. Wenn ich dich sehe, habe ich das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Schon eigenartig, nicht wahr? Wie sehr Gefühle unsere Entscheidungen beeinflussen. Wie sehr Hass uns verändern kann und was wir bereit sind, zu tun, um unsere eigene Gerechtigkeit durchzusetzen.“
 

„Worauf willst du hinaus?!“, brüllte Atem und hoffte, dass Bakura Abstand nahm.
 

„Diese Gerechtigkeit... sie ist sehr vielfältig und doch meint sie immer dasselbe. Gerechter Lohn, gerechte Urteile oder soziale Normen, die unser Miteinander bestimmen sollen. Und doch bedeutet sie am Ende nur, dass man sich vor seinen eigenen Taten und seiner eigenen Haltung rechtfertigen kann und wir im Reinen mit dem sind, was wir tun. Mein süßer, kleiner Pharao, bist du im Reinen mit dir selbst? Kannst du all deine Entscheidungen, die du in deinem Leben gefällt hast, auch vor deinen Göttern rechtfertigen? Wiegt dein Herz mehr als die Feder der Maat? Kannst du das mit Bestimmtheit sagen?“
 

„Du schwafelst Unsinn und beleidigst nicht nur mich, sondern auch die Götter. Aus deinem Mund kommt nur Schund und ich weiß genau, dass du meinen Verstand zu vergiften versuchst. Du bist wie eine Krankheit, die sich ausbreitet und alles infiziert, was in ihre Nähe kommt!“
 

„Die Wahrheit tut weh, nicht wahr? Dein unbeschwertes, schönes, bequemes Leben und auch dein Thron – alles worauf dein ganzes Wesen basiert, wurde erbaut auf dem Blut und den Leichen meines Volkes! Euer Frieden ist möglich, weil ihr jene geopfert habt, die ihr für nicht lebenswert hieltet! Doch du verschließt die Augen vor dieser Ungerechtigkeit, forderst im gleichen Atemzug Gerechtigkeit und wagst es, mich zu verurteilen? Ich mag die Krankheit sein, doch du bist ihr Auslöser! Ihr, die Herrscher Kemets, seid die wahre Ursache der Symptome!“
 

Atem antwortete nichts und starrte ihn einfach nur wütend an.
 

„Da verschlägt es dem süßen Pharao die Sprache. Sag, du naives Kind, wie viel wiegt ein Menschenleben? Wie viel zehn? Gar hundert? Tausende? Was macht das Leben deines Volkes wertvoller als das meiner Familie? Wo ist sie, die Gerechtigkeit, nach der du so sehr strebst?!“
 

„Selbst, wenn das, was du sagst, wahr sein sollte, gibt es dir nicht das Recht Unschuldige zu töten! Du schändest die Gräber meiner Ahnen und störst ihren Frieden, attackierst Frauen und Kinder und bestiehlst selbst die Ärmsten der Armen und erwartest von mir Erbarmen oder gar Verständnis? Ich werde dich vom Antlitz dieser Welt tilgen und damit die Krankheit, die ich selbst in die Welt gerufen habe, endgültig vernichten!“
 

Brüllend liefen sie aufeinander zu. Sie tauschten mehrere Schläge aus und trafen sich abwechselnd. Keuchend standen sie einander gegenüber. Ihre Verletzungen waren tief. Das Blut, das Atem übers Gesicht lief, verschlechterte seine Sicht, doch er wäre wohl kaum ein würdiger Herrscher, hätte ihm sein Lehrmeister nicht von klein auf beigebracht, nicht nur mit seinen Augen, sondern mit seinem ganzen Wesen zu sehen. Auch Bakura befand sich in einem schlechten Zustand. Seine Knie zitterten und Atem war sich sicher, dass er schon bald all seine Energie verlieren würde und er ihm den vernichtenden Schlag verpassen konnte. Er grinste. All das Adrenalin in seinen Blutbahnen gab ihm das Gefühl von Sicherheit, gar Überlegenheit. Hah. Er hatte die Götter selbst auf seiner Seite!
 

Mit einem letzten Hieb lief er auf Bakura zu. Die Erde unter seinen Füßen fühlte sich wie Watte an. Alles verlief in Zeitlupe und er sah, wie Bakura sich langsam aufrichtete und dieses ekelhafte Grinsen auf seinen Lippen trug. Er sah auf ihn hinab. Atem hatte nicht genügend Zeit, um zu sehen, was sich abspielte. Ein riesiger leuchtender Strahl kam ihm entgegen. In seinen Augen spiegelte sich das hell leuchtende Ungetüm wieder, der Boden unter seinen Füßen wurde aufgerissen und erneut breitete sich der Abgrund unter ihn aus, noch ehe er ausweichen konnte, spürte er eiskaltes Metall, das sich durch seinen Brustkorb fraß und er sah den Säbel seines Feindes, welcher so tief in seinen Körper gerammt worden war, dass nur noch der Griff zu sehen war. Der Geschmack von Blut füllte seinen Mund und er spuckte die rote Flüssigkeit ächzend aus. Der Laserstrahl traf ihn und er fiel hinab in die Tiefe. Das letzte, was er sah, war Bakuras ekelhaft siegessichere Grinsen und zwei rote leuchtende Augen am Himmel, die ihn zu verhöhnen schien.
 

Ich flehe Euch an, Ihr Götter! Lasst dies nicht mein Ende sein! Bakura darf nicht gewinnen! Wenn ich ihn nicht aufhalte, wird er mein Land und mein Volk bedrohen. Er ist dem Wahnsinn verfallen, er ist nur noch eine Hülle, die von der Finsternis kontrolliert wird. Ich flehe Euch an! Gebt mir eine zweite Chance und lasst mich für mein geliebtes Land kämpfen!
 

Atem stieß ein Stoßgebet gen Himmel auf. Doch die Götter erhörten ihn nicht und so endete die Herrschaft des Pharaos Atem und Kemet würde erneut einen neuen König brauchen, der das Land verteidigen würde und Wohlstand und Frieden sicherstellte. Dieser König würde niemand anderes sein als sein Priester Seth, von dem er nie wusste, dass er sein Cousin gewesen war. Niemals würde Atem erfahren, dass Akhenaden sein Onkel war und er würde das Schicksal seines Landes nicht mehr miterleben. Bakura und die Finsternis bedrohten sein heiliges Land und er selbst war es, der dieses Unglück zugelassen hatte. Kemet versankt erneut in Krieg und Kampf. Das Blut tausender Unschuldiger wurde vergossen und in Zukunft würde niemand den Namen des Pharaos mehr kennen. Der Pharao, der sein Land verraten hatte und dem die Götter nicht gewogen waren. Er verlor die wichtigste Schlacht und brachte Schande über sein Reich. Sein Name würde gestrichen werden und er selbst würde vergessen werden.
 

Alles, was er noch tun konnte, war darauf zu vertrauen, dass seine Hohepriester stark genug waren, sein Land zu verteidigen und dass die Götter ihnen beistanden, wo sie doch seine verzweifelten Rufe nicht mehr zu erhören schienen. Er selbst hatte diese Katastrophe heraufbeschworen. In seiner jugendlichen Naivität und seiner verzweifelten Suche nach dem richtigen Weg, hatte er das Licht und den Schutz der Götter verloren. Sein Herz war zu schwach gewesen und Finsternis nagte von innen heraus an ihm und tötete seinen Körper wie ein Parasit.
 

Der namenlose Pharao, der den Frieden Kemets geopfert hatte und Leid und Schande brachte. Ein Mann, vergessen von der Welt, abgekommen vom richtigen Weg und auf den Weg in das Totenreich.
 

Kannst du all deine Entscheidungen, die du in deinem Leben gefällt hast, auch vor deinen Göttern rechtfertigen? Wiegt dein Herz mehr als die Feder der Maat? Kannst du das mit Bestimmtheit sagen?
 

Atem fiel in die Tiefe. In die Finsternis. Er war allein. Schutzlos. Er spürte, wie er sein Leben aushauchte.
 

[Kapitel 7]
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Am Sonntag (11.08.19) folgen Kapitel 7-35 in einem Rutsch. Bitte bedenkt, die Kapitel nicht chronologisch zu lesen und euch an die Anweisungen zu halten. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2019-08-20T00:17:57+00:00 20.08.2019 02:17
Ah, hier schließt sich der Kreis, die Lücke, die ich so verzweifelt versiegeln wollte.

Bakura spricht ein interessantes, philosophisches Dilemma an, in dem Fall den Utilitarismus, das aber ein wenig wie blanker Hohn und Spott aus seinem Munde wirkt: Unrecht kann Unrecht auch nicht vergelten. Das war aber sicher nicht nur seine Intention; Zorc hat seine eigenen Regeln, und ein Stück weit somit auch Bakura.

Ja! Atem, endlich nicht ein ruhiger, kühler, kalkulierender Charakter, sondern ein Mensch; ein Mensch der durchdreht, und dessen Erziehung, getaucht in Selbstsicherheit und dem Mythos, der Sohn der Götter zu sein, sich nun endlich rächt.

Ein Heer aus Ka-Bestien zu besitzen ist keine Hilfe, wenn man im entscheidenden Moment zu stolz ist, sie einzusetzen. Atem war am Ende doch noch ein Kind, mit teils schlechten Lehrern, einer zu frühen Herrschaft und einem zu schweren Erbe. Dafür hat er sich gut geschlagen, aber trotzem...

Die Zweifel, die in Atem beim Kampf aufkeimen, dann wieder der Wahnsinn, das Adrenalin, das durch seinen Körper strömt; ich habe diese Parallelen zu Bakura gesehen und genossen, selbst ohne den Vergleich des Königs der Diebe. Der Irrsinn, der an Bakura nagt, scheint auch dezent bei Atem vorhanden zu sein.

Wahnsinn, Yuugii, die Sprache, derer du dich im Dialog der beiden Kontrahenten bedienst, das ist genau meins. Erinnert mich ein wenig an meinen Ritter in einem anderen RPG. Altertümlich, mit einem Hauch von unterschwelliger Höflichkeit, die alsbald vom Hass und dem aufkeimenden Zorn aufgebrochen wird.

Auch die Kampfszene; sie war nicht überladen, man konnte dem Geschehen gut folgen, und wusste irgendwie bald, dass Atems Stunde geschlagen hat - trotzdem war da der kleine Hoffnungsschimmer, er würde Bakura vernichten.

Wüsste ich nicht, ob der nächsten Kapitel, ich würde das Handy weglegen und fast ein wenig traurig sein. Das liest sich so endgültig; Atems Verzweiflung, die aufkommende Stille und Schwärze, und das Wissen, versagt zu haben. Wunderschön, auch wenn es makaber klingen mag.

So, und nun, die Frage der Fragen: Was passiert jetzt? Ich bin gespannt.

Ganz liebe Grüße von einem geflashten

SuperCraig


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