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down we fall.

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hinweise:


- enthält Canon Referenzen zu traumatischen Erlebnissen

- enthält negative Wertungen bezogen auf das Ausdrücken von Gefühlen, insbesondere von Verletzlichkeit und dem Grundbedürfnis nach menschlicher Nähe

- enthält (teilweise unreflektierte) Auseinandersetzungen mit dem Thema psychotherapeutischer Behandlungen

- enthält destruktive Gedanken in Erzählperspektive


Meinungen und Aussagen der Charaktere spiegeln nicht die des Autors wider und sollten keinesfalls als Ratschläge aufgefasst werden!



Vorwort (von fanfiktion.de):


Ein Grund zu feiern: Endlich, endlich kann ich mal etwas abschließen! Genau, mit diesem Kapitel ist die Geschichte nun wirklich beendet – hiernach wird nichts weiter zu dieser Geschichte folgen, keine Pre- oder Sequels, keine Sidestories, keine weiteren Kapitel. Und es fühlt sich so gut an, endlich mal wieder etwas Längeres als einen Oneshot abgeschlossen zu haben, und das sogar ganz ohne den Rahmen eines Wettbewerbs! Es hat Spaß gemacht, die Geschichte zu schreiben und es war in gewisser Weise auch irgendwie katharsisch.


Mein Dank gilt allen Lesern, die mich mit ihren respektvollen, nachdenklichen, wertschätzenden Kommentaren darin bestärkt haben, dieses Baby zu einem Ende zu führen. Ich hoffe, ich kann uns allen nach einer aufwühlenden Reise mit diesem Abschluss zu etwas Frieden verhelfen!


Alles in allem konnte ich die Dinge unterbringen, die mir persönlich wichtig waren und für die ich die Geschichte irgendwie unbewusst auch überhaupt geschrieben habe:

1.) Eine Hurt&Comfort-Story so aufzubauen, wie ich sie selbst am liebsten lese.

2.) Das Thema Depressionen (und unterschwellig auch PTBS/ Traumata).

3.) Destiel, aber ohne TFW bedeutungslos dabei werden zu lassen (Jack kam zu kurz, ich weiß).


Passt auf euch auf und denkt immer daran:

Always Keep Fighting! Komplett anzeigen

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Always Keep Fighting!

„Bist du sicher, dass du das allein tun willst?“

 

Nein.

 

Dean schnaubte.

 

„Eher lass ich dir von Cas die Augen ausbrennen, als dass du da reingehst.“

 

„Dean ...“

 

Sie wussten beide, dass Sam das Chaos längst mehr als einmal gesehen hatte. Dass ihn vermutlich nichts davon schockieren konnte, was sie aus dem Durcheinander aus Dreck und Abfall bergen würden. Dass Sams Unerschrockenheit nichts an dem Schmerz und der Betroffenheit ändern würde, die es mit sich brachte, dem Leid in der eigenen Familie auf den Grund zu gehen.

Aber Dean dachte daran, was Cas ihm in der letzten Zeit immer wieder deutlich zu machen versucht hatte.

 

„Muss das alleine machen. Ist besser so.“

 

Sein Bruder nickte auf diese unangenehm verständnisvolle Sam-Art, sagte aber glücklicherweise nichts weiter dazu. Wenigstens schien er keine Einwände zu haben, auch wenn Deans Entscheidung eindeutig seinem Helfersyndrom widersprach. Dean spürte seinen Blick schwer auf sich ruhen, als er, mit Putzutensilien und frischen Müllbeuteln bewaffnet, in seinem alten Zimmer verschwand.

 

Es war nicht lange ein Geheimnis geblieben, dass Dean und Cas sich seit dem Fall mit dem Chupacabra ein Zimmer teilten. Um ehrlich zu sein, war sich Dean nicht einmal sicher, ob es überhaupt je ein Geheimnis gewesen war.

„Müssen wir jetzt nicht mehr so tun, als wüssten wir nicht, dass Dean Cas liebt?“, hatte Jack in aller Unschuld und Ernsthaftigkeit gefragt, als sie sich am zweiten Morgen nach der Jagd alle in der Küche getroffen hatten. Sam war in dem Moment herein gekommen, als Cas die Arme um Dean gelegt hatte, dessen Stirn auf die Schulter des Engels gesunken war. Überrascht war Sam im Türrahmen stehen geblieben, was dazu geführt hatte, dass Jack beinahe in ihn hinein gelaufen wäre. Dean hatte den Kopf augenblicklich in die Höhe gerissen und instinktiv versucht, vor Cas zurückzuweichen, der ihm jedoch nur ungerührt einen flüchtigen Kuss auf die Braue gedrückt hatte. Eigentlich hätte die offene Zurschaustellung von Zuneigung nur noch mehr dafür sorgen müssen, dass Dean sich unter Druck gesetzt fühlte. Doch er war mit einem Mal wieder so unbeschreiblich müde gewesen. Cas‘ Lippen auf seiner Stirn, seine Arme, die immer noch sachte um seinen Oberkörper geschlungen gewesen waren, hatten dafür gesorgt, dass sich etwas in ihm gelöst hatte. Etwas, das mit aller gespannt angehaltenen Atemluft in einem tiefen Seufzer aus seinen Lungen entwichen war. Dean war vollkommen in sich zusammengesackt – und weiter in Cas‘ Arme hinein.

Den Ausdruck auf Sams Gesicht war es wert gewesen.

 

„Niemand muss hier irgendetwas vortäuschen“, hatte Cas auf Jacks Frage hin endlich geantwortet und Sam, immer noch um Fassung ringend, hatte ihm schließlich beigepflichtet: „Genau. Wir sind immerhin eine Familie“, doch es waren Cas‘ nächste Worte gewesen, für die Dean ihn auf der Stelle hätte küssen können:

 

„Während ihr beide auf der Jagd wart, sind Dean und ich zu einer Übereinkunft gekommen. Wir teilen uns bis auf Weiteres mein Zimmer. Ihr könnt natürlich alle Fragen stellen, die euch auf dem Herzen liegen, aber Dean und ich zögen es vor, wenn ihr auch uns erst einmal Zeit gebt, uns an die … unerwartete Entwicklung zu gewöhnen. Die Situation ist für uns alle neu.“

 

Sams und Jacks vermutlich verdatterten, vielleicht verständnisvollen, schlimmstenfalls gerührten Gesichter waren in weite Ferne gerückt, als Dean, von Dankbarkeit ergriffen, plötzlich nur noch Augen für Cas gehabt hatte. Und dann hatte er ihn eben doch geküsst. In der Küche, an den Kühlschrank gelehnt, vor Sam, vor Jack. Und alles war in diesem Augenblick so einfach gewesen. Für einen herrlichem Morgen lang, für die Dauer eines gemeinsamen Frühstücks, so lange, wie es eben dauerte, um von einer erfolgreichen Jagd zu erzählen und sich genug Koffein ins System zu schütten, bis man wieder halbwegs rund lief. Ein so ruhiger und friedlicher Morgen, wie Dean ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt hatte. So hatte er sich früher den Himmel auf Erden vorgestellt.

Aber das Leben schlief nicht. Und so war Dean irgendwann doch wieder vor der Tür gelandet, hinter der sein Versagen lauerte, seine Schwäche, die Sinnlosigkeit und die ganz speziellen Alpträume der letzten Zeit.

 

Das Aufräumen und Putzen dauerte fast eine halbe Woche lang. Hätte Dean mehr Kraft und Ausdauer besessen, oder hätte er die Hilfe angenommen, die ihm Sam, getarnt als wortloser Hundeblick, immer wieder anzubieten schien, wäre er vermutlich deutlich schneller fertig geworden. Es half, dass er jeden Abend zurück in den Schutz von Cas‘ Zimmer und in die wartenden Arme des Engels zurückkehren durfte. Es half auch, jedem potentiell aufkommenden Versteckspiel unmittelbar einen Riegel vorgeschoben zu haben; es war eine wahre Erleichterung, sich vor Sam und Jack nicht rechtfertigen zu müssen und sich, einmal im Leben, nicht für das Bedürfnis nach emotionaler (und körperlicher) Nähe falsch zu fühlen.

Ertappt kam er sich trotzdem jedes verfluchte einzelne Mal vor, wenn Sam sah, wie er, von endlich nicht länger unterdrückter Sehnsucht geleitet, die Hand nach Cas‘ ausstreckte, oder wenn Jack sich in größter Selbstverständlichkeit zu ihnen setzte, wenn Dean vor dem Fernseher den Arm um den Engel gelegt hatte.

 

Cas hatte die Veränderung in ihre Beziehung ‚Entwicklung‘ genannt. Dean war sich nicht ganz sicher, wie er selbst sie nennen sollte, ob er überhaupt wollte, dass die Veränderung eine eigene Bezeichnung bekam. Es war schließlich gut so, wie es war und auch Cas schien zufrieden damit.

Doch was immer es auch war, das sie von nun an miteinander teilten, gab es noch ein weiteres Thema, dem Dean nicht so einfach entfliehen konnte. Schon gar nicht, wenn es nach Sam ging.

 

Ich will jagen!“, hatte Dean auch seinen Bruder wissen lassen, sobald er sicher gewesen war, dass der Umzug in Cas‘ Schlafzimmer weitestgehend unkommentiert blieb. Auf den stummen Austausch zwischen Cas und Sam nach seiner Ankündigung war er trotzdem nicht vorbereitet gewesen.

Er ist noch nicht so weit!‘, schienen ihre Blicke förmlich zu schreien und, obwohl sie nicht einmal Dean gegolten hatten, waren sie doch wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.

Wut und Trotz waren in ihm hochgekocht, so unbändig, dass er sich im ersten Moment selbst völlig überwältigt davon fühlte. Seit wann war er plötzlich wieder zu anderen Gefühlen fähig, die über Erschöpfung, Leere und Schmerz hinausgingen?

 

Keine Jagd für Dean Winchester, zumindest nicht zusammen mit seinem Bruder, seinem Engel und ihrem Nephilim …

Aber nichts hinderte Dean daran, sich selbst einen Fall zu suchen und allein mit dem Impala aufzubrechen, oder?

 

Sie können mich nicht ewig hier einsperren! … Ich bin nicht schwach! … Ich bin kein Kind! … Sie können nicht über mich bestimmen!

 

Solche und ähnliche Gedanken waren es, die ihn auf den Fahrersitz von Baby trieben, den Schlüssel bereits im Zündschloss, den Fuß auf der Kupplung – aber irgendetwas hinderte ihn daran, sie einfach durchzutreten und den Motor zu starten. Vielleicht die Tatsache, dass er noch gar keinen Fall aufgetrieben hatte, dass es überhaupt keine Richtung gab, nach der er sich wenden konnte. Dass es Jahre her war, dass er allein zur Jagd aufgebrochen war. Dass er genau wusste, dass er nie weniger allein in seinem Leben gewesen war und es jetzt keinen Grund gab, diese Tatsache zu ignorieren und leichtsinnig zu sein, nur, weil er sich selbst etwas beweisen und ihnen allesamt kräftig in den Arsch treten wollte …

 

Beinahe hätte er lauthals gelacht, wie er da allein in der Garage hinterm Steuer saß und aus lauter Starrsinn nicht wusste, wohin mit sich und seinen Gefühlen, die sich in seiner Brust so unbeholfen und hölzern anfühlten. So, als müsste er erst wieder lernen, mit ihm umzugehen. Waren das alles vielleicht nur Zeichen, dass er wieder dabei war, normal zu werden? Der Zustand der Lethargie hatte Monate angehalten und es hatte ebenso Monate gebraucht, sich überhaupt erst darüber klar zu werden, dass etwas nicht stimmte. Sollte das große, bedrohliche, abgrundtiefe Nichts einfach von einen Tag auf den anderen verschwunden sein?

 

Er wusste nicht, wie lange Zeit er im Auto verbrachte, immer mal wieder am Schlüssel herumspielte, im Rhythmus zu den Songs vom Band aufs Lenkrad trommelte oder einfach minutenlang den Kopf in den Armen vergrub, während er versuchte, an nichts zu denken, obwohl er eigentlich über alles nachdachte. Über Sam und Cas und Jack und Mom und sein nun aufgeräumtes Zimmer, in dem er aber trotzdem nicht mehr schlief. Über potentielle Fälle, die Nachwehen von Michael. Lucifer. Den Bunker. Die Zukunft, die Vergangenheit und Dad und Bobby. Himmel und Hölle, die Erde, Engel, Dämonen, über Chuck, die Finsternis und den Tod. Jede Apokalypse, der sie, gerade so, noch einmal von der Schippe gesprungen waren. Es waren eigentlich viel zu viele Dinge, über die er gleichzeitig versuchte, nicht nachzudenken. Er spürte, wie ihm die geschlossenen Augen wieder einmal überliefen und Dean musste lächeln, lächelte stumm in seine Armbeuge hinein; ein wenig so, wie er es auf den Rat von Frank Devereaux hin einst getan hatte. Das Lächeln ließ die Tränen nicht versiegen und es tat weh, es schmerzte wie die Hölle, aber es war ein anderer Schmerz als der, den er verspürte, wenn er Sam etwas vorzuspielen versuchte.

 

Nein, es war kein Wunder, dass er sich gegenüber allen Gefühlen verschlossen hatte. Dass ihm jedwede Energie gefehlt hatte. Dean war vielleicht nicht allein, nicht mehr, aber das bedeutete nicht, dass es nicht Dinge gab, die er allein zu stemmen hatte. Und vielleicht waren die einfach mit der Zeit zu viel geworden, zu groß, zu überwältigend? Gab es vielleicht schlicht und ergreifend einen Punkt, an dem auch ein Dean Winchester nicht mehr konnte?

 

Er schniefte erstickt in seinen Ärmel hinein und kam sich wieder einmal so unheimlich schwach und verweichlicht vor. Wenigstens war er dieses eine Mal, für diesen Moment der Niederlage, mit sich allein, dachte er, konnte unbehelligt und im Stillen seine Wunden lecken – als er ein leises Klopfen an der Scheibe zu seiner Linken hörte. Er seufzte in seine Armbeuge, wappnete sich für etwa drei Sekunden, bevor er den Kopf hob (nicht ohne unauffällig über seine Augen zu wischen). Am Autofenster vor dem Impala stand Sam.

 

Dean schaltete den Kassettenrekorder aus und nickte mit dem Kopf Richtung Beifahrertür. Sam folgte dem wortlosen Wink augenblicklich, ging um den Wagen herum, öffnete die unverriegelte Tür und kletterte neben Dean auf seinen angestammten Platz. Niemand sprach und es dauerte eine Ewigkeit, bis das Echo der zuschlagenden Autotür in der Stille verklungen war. Sie standen noch immer bei abgeschaltetem Motor in der Garage, umgeben von dem schwachen Geruch nach Metall und Motoröl und Leder. Und das Vertraute an der Situation half etwas dabei, einen klaren Kopf zu bewahren. Das hier war Routine, altbekanntes, bewährtes Pflaster. Sam an seiner Seite. Sie beide im Impala, gegen den Rest der Welt. Dean holte tief Luft. Alles würde gut werden.

 

„Hatte nicht vor, abzuhauen, falls du das denkst“, brummte er und sah stur weiter geradeaus durch die Windschutzscheibe, als hätte er die unzähligen in die Jahre gekommenen Fahrzeuge der Men of Letters noch nie zuvor aus dieser Perspektive gesehen und müsste sie jetzt erst einmal in aller Ruhe aus diesem völlig neuen Blickwinkel betrachten.

 

„Denke ich gar nicht“, erwiderte Sam gelassen. Als er einen Blick aus den Augenwinkeln riskierte, sah er, dass Sam die Hände auf den Knien aufgestützt hatte und ebenfalls gebannt durch die Frontscheibe zu starren schien.

 

„Warum bist du dann hier?“ fragte Dean zurück, ohne sich die Mühe zu machen, seine Überraschung und Neugier zu verbergen.

 

Diesmal war es an seinem Bruder zu seufzen, aber irgendwie klang es ein wenig verschnupft und heiser, so dass Dean seine Zurückhaltung über Bord warf und sich schließlich richtig zu seinem Bruder umwandte. Nur, um festzustellen, dass dessen treue Dackelaugen, halb im Schatten seines viel zu langen, schokoladenbraunen Mopps verborgen, in Tränen schwammen.

 

Eine eiserne Faust schloss sich um Deans Herz. Reue, Panik. War das seine Schuld?

 

Weint er wegen mir?

 

Unbehaglich kämpfte er auf seinem Sitz mit sich, nicht sicher, ob er die Hand nach seinem Bruder ausstrecken sollte – doch er fand sich schon die Schulter seines Bruders tätschelnd wieder, bevor er noch länger darüber nachdenken konnte.

 

Huh.

 

War Dean schon immer so verweichlicht gewesen oder erst, seit er sich jede Nacht von Cas in den Schlaf wiegen ließ? Seit er selbst regelmäßig heulte, wie der größte Schwächling auf Erden?

 

„Sammy?“

 

Sams Schultern bebten mit einem Mal und er antwortete nicht sofort, schien all seine Konzentration darauf zu richten, ruhig zu atmen. Was ihm gehörig misslang.

 

„Hey? Sam! Was ist denn los?“

 

Sam stieß seine Hand nicht weg, doch er schüttelte verbissen den Kopf. Nein, eine Antwort würde er von ihm nicht bekommen. Vermutlich war die auch gar nicht nötig. Wenn Sam nicht hier war, weil er glaubte, Dean würde sich klammheimlich aus dem Staub machen, dann konnte es nur einen anderen Grund für dieses seltsame Aufeinandertreffen geben: Eine Rede, vielleicht fast schon eine Intervention. Wahrscheinlich über Gefühle oder vielmehr über Deans Nicht-Gefühle der letzten Zeit. In jedem Fall über ein herrlich unangenehmes Thema und er hatte absolut nichts dagegen, den unausweichlichen Startschuss für dieses Gespräch so lange wie möglich hinauszuzögern. Also war es nur erneutes beharrliches Schweigen, das ihnen blieb. Dean wusste nicht, wie lange sie stumm nebeneinander im Wagen saßen, die Stille nur durchbrochen von Sammys schniefenden, abgehackten Atemzügen. Beide starrten sie wieder aus dem Fenster, immer stur geradeaus. Als läge vor ihnen eine endlose Straße bei voller Fahrt und nicht ein Dutzend in die Jahre gekommener Fahrzeuge, unter Abdeckplanen verborgen, vor einer Backsteinwand.

 

Einfach so tun, als wär nichts. Trotzdem wissen, dass er gerade Anlauf nimmt …

 

„Ich mache eine Therapie.“

 

Und da war der Startschuss. Sams Stimme klang allerdings so heiser, so kleinlaut und leise, dass Dean sich nicht sicher war, ob er sich die Worte nicht eingebildet hatte.

 

„Sag das noch mal“, nuschelte er schließlich, als lange Zeit nichts weiter auf die merkwürdige Offenbarung folgte.

 

„Ich mache eine Therapie, Dean. Seit … ungefähr drei Monaten. Nicht regelmäßig, ich hab ja nicht immer Zeit, wegen … weil … wie wir leben. Aber sie kennt es, sie weiß Bescheid, sie ist ein bisschen so wie die Trauerbegleiterin – du weißt schon – und … Dean, es hilft. Es hilft wirklich. Das Reden! Jemand Unbeteiligtes, der das alles nachvollziehen kann und trotzdem neutral ist und Ahnung hat! Ich ...“

 

„Stop.“

 

Endlich nahm Dean die Hand von Sams Schulter, um mit ihr vor seinem Gesicht herum zu wedeln und den wirren Monolog aus dem Mund seines Bruders zu unterbrechen. Die Informationsflut, die es zu verarbeiten galt, wog schwer und sie hatte einen eigentümlich bitteren Nachgeschmack.

 

Sam ging also zu so einem Seelenklempner, einem Ex-Jäger vermutlich, der glaubte, verstehen zu können, wie es war, Himmel und Hölle entkommen zu sein? Den eigenen Körper als Marionette für Erzengel missbraucht zu wissen? Mehr Tode gesehen zu haben, als es für ein einziges Menschenleben überhaupt möglich sein sollte? Er versuchte, seine ohnehin schon chaotischen Gedanken halbwegs zu ordnen, versuchte, nach etwas in dem Wirrwarr zu greifen, das er Sam entgegen setzen konnte. Ohne nach dem Wie und Weshalb zu fragen. Ohne vorwurfsvoll zu klingen.

 

Warum erzählst du mir das erst jetzt?

 

Warum bist du damit nicht sofort zu mir gekommen?

 

Ich bin für dich da … Immer war ich für dich da! Wer denn sonst, wenn nicht ich? Wir gegen den Rest der Welt.

 

Aber in der letzten Zeit warst du für niemanden da. Hast dich nur in deinem eigenen Elend gesuhlt, flüsterte da plötzlich eine böse kleine Stimme irgendwo in seinem Kopf. Er versuchte, sie beiseite zu schieben und erstaunlicherweise schwieg sie auch schnell wieder. Doch ihre Worte wogen schwer, hallten lange, viel zu lange in seinen Gedanken nach.
 

Wir sind eine Familie. Unsere Angelegenheiten gehen keinen sonst was an.

 

„Was willst du mir damit sagen, Sam?“

 

Dean war selbst überrascht, wie finster seine Stimme mit einem Mal klang.

 

„Willst du, dass ich auch -?“

 

Sam lachte bitter und unterbrach damit Deans unausgesprochene Frage. Ein Glück. Er wusste ohnehin, wie die Antwort darauf lautete. Aber Sam wusste ein weiteres Mal, ihn zu überraschen.

 

„Als würde ich glauben, dass man dich davon überzeugen könnte, mit jemandem über deine Gefühle zu reden!“

 

„Und es hat nur 36 Jahre gedauert, bis du das kapiert hast?“, schoss Dean in Ermangelung einer klügeren Antwort zurück.

 

Sam starrte ihn an. Seine Augen waren gerötet, doch die Tränen darin waren verschwunden. Wie hatte er das angestellt? Für die Zukunft wäre es hilfreich, seinen Augen bei Bedarf einfach den Hahn abdrehen zu können. Vielleicht hatte Sammy da einen Trick auf Lager, den Dean noch nicht kannte.

 

„Ich habe das schon vor Jahren kapiert, Dean“, sagte Sam schließlich und es klang viel weniger bitter als müde.

„Es ist mir nur schwer gefallen, es zu akzeptieren. Und als du angefangen hast, dich so von allem abzuschotten – ich meine, noch schlimmer, als du das je vorher gemacht hast – da habe ich das einfach nicht länger ausgehalten.“

 

Dean spürte, wie sich tiefe Furchen über seiner Nasenwurzel bildeten, so fest zog er die Brauen zusammen. Eine Menge lag ihm auf der Zunge, hauptsächlich giftgespickte, verzweifelte Phrasen, die die Schuld darüber von ihm wiesen, dass sein Bruder eine Therapie benötigte. Während in seinem Kopf gleichzeitig alles danach schrie, dass es eben doch einzig und allein seine Schuld war.

 

Und wenn nur, weil du nicht für ihn da warst. Arschloch!

 

Versager …

 

„Ich mach das doch nicht mit Absicht, Sam“, war schließlich das, was tatsächlich seinen Mund verließ und er hasste sich dafür, wie kleinlaut es selbst in den eigenen Ohren klang.

 

Sam neben ihm holte tief Luft.

 

„Weiß ich doch, Dean. Ich habe meinen Weg gefunden. Und inzwischen glaube ich daran, dass du deinen finden wirst.“

 

„Ach, echt?“

 

Sam warf ihm einen langen Blick zu. Einen, unter dem Dean sich vorkam, als wartete er auf ein Urteil. Das Urteil darüber, ob Sam ihn ebenfalls als ‚Versager‘ betiteln würde, wie es die fiese Stimme in seinem Bewusstsein erst vor zwei Minuten zum letzten Mal getan hatte.

 

„Na ja“, begann Sam und machte eine Pause; lange genug, um Deans Herz für einen kurzen Moment aussetzen zu lassen. Wie sehr war er wirklich eine Enttäuschung für seinen Bruder? Doch was nun folgte, ließ Dean die Kinnlade herunter klappen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

„Du hast ja auch endlich bei der Sache mit Cas deinen Kopf aus dem Arsch gekriegt, hm? Dann schaffst du auch den Rest.“

 

Dean schloss den Mund wieder und kam sich selten dämlich vor.

 

„War ja klar, dass dazu noch was kommen muss.“

 

„Das kannst du mir nicht verübeln. Du bist mein Bruder und er ist mein bester Freund. Familie. Ich bin froh, dass ihr das endlich auf die Reihe gekriegt habt! Es war ja kaum auszuhalten -“

 

„Halt‘s Maul, Sammy!“, unterbrach Dean und grinste. Zögerlich, behutsam nur. Eines von den echten Grinsen, die manchmal wehtun konnten – innerlich wie äußerlich. Grinste, weil er genau wusste, dass Sam ihn nur aufzog, dass er sich wirklich und wahrhaftig für ihn freute. Dass er sich um ihn sorgte. Weil Sam eben sein kleiner Bruder war. Familie, wie er gesagt hatte.

 

Sam erwiderte sein Grinsen mit einem Funkeln in den Augen, dass aus heiterem Himmel abenteuerlustig wirkte, fast ein bisschen verwegen. Es ließ ihn jünger wirken, eine Winzigkeit weniger sorgenvoll.

 

„Also, ich würde sagen, wir kriegen dich schon wieder auf die Beine.“

 

Und damit schien das Urteil gefallen, das Dean so sehr gefürchtet hatte.

 

Den Abend verbrachten sie zu viert bei heißem Kakao, kaltem Bier und selbstgemachtem Popcorn im Raum mit dem Weltkartentisch. Auf Deans (inzwischen nur noch halbherziges) Drängen hin, war jeder von ihnen mit Laptop, seinem Smartphone oder der Tageszeitung bewaffnet, alle auf der Suche nach einem einfacheren Fall.

Dean spürte deutlich, dass niemand in seiner Familie darüber begeistert war, dass er sich sofort zurück in sein altes Leben stürzen wollte, konnte aber deutlich spüren, dass sie sich trotzdem Mühe gaben, ihn zu unterstützen. Jedem von ihnen war bewusst, dass das Jägerleben das einzige war, das er kannte, das, was ihm Halt gab. Einen Ausweg daraus konnte man immer noch finden, sobald wieder alles beim Alten war.

 

Hinter Sam und Cas‘ Rücken gab Dean Jack einen großzügigen Schluck Bier in die leere Kakaotasse. Er ignorierte das Stirnrunzeln seines Engels, als Dean und Sam sich mit Popcorn bewarfen. Er zeigte seinem Bruder den Mittelfinger, als Castiel ihn plötzlich, einfach so, mitten auf den Mund küsste.

Und Dean lächelte in den Kuss hinein. Er wusste, dass er noch nicht wieder auf der Höhe war. Aber er fühlte auch, dass er bereits alles hatte, um wieder dorthin zurückzufinden. Und an diesem Abend fühlte sich Dean Winchester nicht wie ein Versager.

 

 

~*~

 

The End ...

(… is just a new beginning in disguise …)


Nachwort zu diesem Kapitel:
P.S: Der Titel des letzten Kapitels wurde von der Campagne von Jared Padalecki aus dem Jahre 2015 inspiriert.


http://www.supernaturalwiki.com/index.php?title=Always_Keep_Fighting


P.P.S: Vielen Dank fürs Lesen! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KiraNear
2019-08-09T19:41:19+00:00 09.08.2019 21:41
Hach, das letzte Kapitel ist auch so schön ~
Ich kann es mir vorstellen, dass das alles für ihn nicht leicht war und ich konnte auch gut nachvollziehen, wie er sich gefühlt hat, Auch, dass er sich langsam zu seinen Gefühlen öffnen konnte, wird wohl etwas sein, was er noch länger lernen wird und muss, immerhin hat er sich ja lange damit zurückgehalten. Der Schluss macht Hoffnung darauf, dass es für ihn, aber auch für die anderen drei besser ablaufen wird und, dass, was auch immer passiert, sie immer füreinander dasein werden.
 
Eine sehr schöne FF mit einem sehr angenehmen Abschluss :3


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