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down we fall.

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Für alle Freunde des tiefsten Hurt & Comfort Destiel-Morastes habe ich hier eine kleine Entschädigung dafür, dass es bei meinen WiPs seit so langer Zeit nicht weitergeht.


Triggerwarnungen für:

- Depressionen (detaillierte Darstellung von Symptomen und ihren Folgen)
- Suizidgedanken (angedeutet)
- Panikattacken (näher beschrieben)
- Verletzungen und Blut (Unfall)


Hinweise:

- enthält Auseinandersetzungen mit männlich gelesener Sexualität in Form von Masturbation und Erektionsstörungen
- enthält teilweise detaillierte Beschreibungen von männlich gelesener Körperlichkeit in einem nicht-sexuellen Kontext
- enthält einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen (Don‘t like, don‘t read!)


Passt auf euch auf!

Dino

PS: Der Song heißt Down we fall, ist von Drake Bell und wurde nachträglich zur Story hinzugefügt, als sie schon fertig war. Der gleichnamige Titel war Zufall und Auslöser, dass das hier mehr oder weniger eine Songfic wurde.

PPS: Danke an DragomirPrincess und SquirrelFeathers. Komplett anzeigen

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down we fall.

You were so clever,

You kept it together, today.

 

 

Es dauerte seine Zeit, bis Dean etwas auffiel.

Er lachte weniger. Nicht, dass er bis dato regelmäßig unter Seitenstechen vor lauter Lachen gelitten hätte. Ihr Leben war vielmehr gespickt von Situationen, die dafür sorgten, dass einem zum Weinen zumute war. Wenn man dafür nicht zu männlich gewesen wäre oder den entsprechenden Zugang zu den eigenen Tränen gehabt hätte. Nein, es fiel Dean selbst auf, dass er weniger lachte, weil sein Gesicht öfter schmerzte, wenn sie in Situationen gerieten, in denen ein Lachen angebracht war. So viel zwischenmenschliches Knowhow besaß er dann doch, um zu wissen, dass er Jack, Cas und Sam gelegentlich ein Zucken seiner Gesichtsmuskulatur schuldete. Und dass er ein dazu passendes raues Geräusch aus sich heraus zu pressen hatte, das ihm im Hals kratzte, wie zu viel Salz bei quälendem Durst; ein falsches Lachen, das vielmehr wie ein schwaches Brüllen klang. Brüllen, ja. Danach war ihm wirklich zumute. Wenn er nur die Kraft dazu gehabt hätte.

 

Die Sache mit der Kraft, oder vielmehr ihr Fehlen, war das nächste, das Dean an sich auffiel. Wenn sie nicht auf der Jagd waren und die Welt ausnahmsweise einmal nicht daran hindern mussten, zugrunde zu gehen, blieb er normalerweise gern länger liegen, auch eine ganze Weile nach dem Aufwachen noch. Manchmal ließ er sich bis zum Aufstehen von der ein oder anderen beschämenden Lektüre auf Social Media berieseln; Klatsch und Tratsch über den Cast von Dr. Sexy MD, ein Review zur aktuellsten Folge oder einfach nur ein paar halb intelligente Memes über die Charaktere seiner persönlichen Kultserie.

Inzwischen erwachte er meist Stunden vor dem Weckerklingeln und egal, wie unbequem seine Position auf den zerwühlten Laken auch war, wie unangenehm er den Druck seiner vollen Blase spürte oder das taube Kribbeln seines eingeschlafenen Arms, den er unter sich begrub – er blieb so lange möglichst regungslos liegen, bis Sam in den frühen Mittagsstunden gegen seine Zimmertür hämmerte. Manchmal ertappte er sich bei der Wunschvorstellung, dass das Bett ihn einfach verschlucken möge, so dass er es nie wieder verlassen müsste.

 

Doch selbst der Schutz seiner Bettdecke hielt nun nicht mehr für ihn bereit, worauf Dean sich so lange Zeit verlassen hatte: Früher hatte er die ruhigen Morgen in der friedlichen Einsamkeit seines Schlafzimmers vor allem genutzt, um etwas Anspannung loszuwerden und vor dem Aufstehen gepflegt Hand an sich selbst zu legen. Die vorausgehende intensive Auseinandersetzung mit Dr. Sexy erwies sich dabei nicht selten als hilfreich.

In der letzten Zeit fehlte ihm bloß selbst dazu nicht nur die Kraft, es gelang ihm auch nicht mehr, sich genug in Stimmung zu bringen, um zu Ende zu führen, was er da allenfalls halbherzig unter der Decke anfing. Vielleicht hätte ihn die Tatsache frustriert, dass er es nicht einmal schaffte, sich selbst zu befriedigen. Doch Frustration forderte zu viel Energie – die er nicht besaß. So war Scham das einzige, was ihm noch blieb und er verzog sich meist mit einem gequälten Seufzen tiefer unter seine Bettdecke, kauerte sich in Embryostellung in ihrer stickigen Dunkelheit zusammen und wartete darauf, dass die lästige Morgenlatte von selbst abflaute. Wenn dabei noch eine Flasche mit Hochprozentigem vom Vorabend auf dem Nachttisch stand, spülte er nicht selten seinen Scham mit ihrem Inhalt hinunter, noch bevor er sich das erste Mal richtig im Bett aufgesetzt hatte.

 

Es war Dienstag, der Tag der Woche, den Sam üblicherweise mit einer Morgenmuffeligkeit beging, die selbst Cas in seiner Zeit als Mensch erblassen ließ.

Deans Dienstagmorgen war genau wie jeder andere in der letzten Zeit auch. Mit einem müden Tippen erweckte er das Display seines Smartphones zum Leben, sah dass es erst sieben Uhr in der Früh war und außerdem, dass er seit gestern Nachmittag, seit er zu Bett gegangen war, fünf E-Mails, drei Nachrichten und diverse Benachrichtigungen über Interaktionen auf sozialen Netzwerken erhalten hatte. Außerdem einen Anruf in Abwesenheit. Von Cas.

Er ignorierte sie allesamt und sah zu, wie die Bildschirmbeleuchtung nach einer halben Minute von selbst wieder erlosch. Ihm fehlte nicht nur der Elan, auf auch nur eines davon zu reagieren, nein, er sah schlichtweg keinen tieferen Sinn dahinter, die Nachrichten überhaupt erst zu lesen.

 

Im Gang vor seiner Zimmertür war ein dumpfes Poltern wie von schweren Schritten zu hören; offensichtlich wütete Sam bereits durch den Bunker und machte sich selbst zu dieser frühen Stunde nicht die Mühe, in der Nähe der Schlafzimmer leise zu sein.

Dean kniff die Augen zusammen und hoffte darauf, dass der Schlaf ihn, trotz Lärm, noch für ein paar weitere Stunden vor der Sinnlosigkeit des Wachens bewahren würde. Doch es half nichts. Er hatte Hunger, er musste pinkeln und außerdem war die Luft im Raum so schlecht, dass er das Belüftungssystem des Bunkers auf seine Funktionalität würde überprüfen müssen. Die Sauerstoffarmut verursachte ihm inzwischen schon Kopfschmerzen, wobei deren Ursache durchaus auch anderswo liegen konnte …

Wie in Zeitlupe quälte er sich aus dem Bett, verzichtete darauf, die Deckenbeleuchtung einzuschalten. Es war besser, sein Zimmer momentan im Dunkeln zu lassen und, falls man sich doch nicht ohne Licht zu behelfen wusste, nicht allzu genau hinzusehen. Schmutziges Geschirr stapelte sich auf nahezu allen Oberflächen, und, wie Dean auch in tiefster Schwärze nur allzu genau vor Augen hatte, war es nicht selten mit bereits pelzig werdenden Resten von inzwischen undefinierbaren Lebensmitteln bestückt. Berge von schmutziger Kleidung türmten sich zwischen Bett und Schreibtisch und machten den Weg auch bei Licht zu seinem wahren Hindernislauf. Dazwischen lag Abfall jeder Art verstreut – von alten Pizzakartons über leere Bierflaschen, sogar benutzte Papiertaschentücher flogen zerknüllt im Durcheinander herum.

Sam hatte einmal etwas über den Darwinismus hinter Deans Esskultur zum Besten gegeben und inzwischen ließ sich dieser Zustand wohl auf seinen gesamten Lebensstil beziehen. Wobei ‚Lebensstil‘ nicht das Wort war, mit dem er selbst die Situation in seinem Zimmer beschrieben hätte. Es war nicht so, dass ihm gefiel, wie er derzeit auf engstem Raum hauste. Leider war es aus einem ihm unerklärlichen Grund aber auch einfach unmöglich, etwas daran zu ändern. Möglicherweise hatte es etwas mit dem Mangel an Kraft und Energie zu tun und der lähmenden Lustlosigkeit, die mehr als nur seine fleischlichen Gelüste betraf …

 

Mit nackten Füßen behutsam den Untergrund erfühlend und mit einer Hand an der Steinmauer entlang, tastete er sich bis zur Zimmertür vor und schnappte sich auf dem Weg geistesgegenwärtig den Morgenmantel des toten Man of Letters, dessen Tragen ihm meist schon dabei half, sich wenigstens ein bisschen besser zu fühlen. Als er vorsichtig die Tür zum Gang aufriss, blendete ihn die Helligkeit der schummrigen Wandbeleuchtung, so dass er tatsächlich kurz blinzeln musste. Komisch. Wie lange hatte er jetzt in der Dunkelheit seines Zimmers verbracht?

Als Dean erneut Schritte hörte, quetschte er sich schnell und unbeholfen durch den Spalt und schloss die Tür eilig hinter sich, so dass derjenige, der sich ihm näherte, weder den unangenehmen Geruch bemerken würde, der aus seinem Zimmer hervor waberte, noch eine Ahnung von dem Saustall bekam, den Dean in der Dunkelheit vor dem Rest der Welt (und auch vor sich selbst) versteckte. Er hatte keine Lust auf Fragen.

 

Es war Sam, mit einem dampfenden Becher in der Hand, und offensichtlich auf dem Rückweg von der Küche, der um die Ecke gestapft kam. Instinktiv presste sich Dean den Morgenmantel möglichst großflächig vor den Körper, um zumindest ein paar der Flecken auf dem Shirt zu verbergen, das er seit nun fast einer Woche am Körper trug. Ganz zu schweigen von dem lästigen Halbmast in seinen Boxershorts, in denen er die Nacht verbracht hatte.

 

„Heya, Sammy,“ begrüßte er seinen Bruder und gab sich Mühe, nicht nur die Mundwinkel hochzuziehen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sich die Fältchen in seinen Augenwinkeln zu vertiefen begannen. Die Haut in seinem Gesicht fühlte sich dabei an, als sei sie von einer zähen, trockenen Schicht überzogen, die seine Muskulatur nahezu lähmte. Was bedeuten musste, dass er an dem Versuch, nicht allzu hölzern zu wirken, kläglich gescheitert war. Seine Augen begannen zu tränen.

 

„Dean! Hi“, grüßte Sam zurück und ließ sich zu einem Lächeln herab, das ungefähr so gequält aussah, wie sich das eigene auf Deans Gesicht anfühlte. Sam öffnete den Mund, um erneut etwas zu sagen, doch er hielt inne und – schnüffelte plötzlich auffällig ins Nichts.

 

„Mein Gott, wann hast du das letzte Mal geduscht, Mann?“, platzte es aus ihm heraus und sein trüber Blick wurde mit einem Mal deutlich schärfer, verweilte kurz an den dunklen Flecken unter den Achseln von Deans T-Shirt, bevor Sam seine Haare und schließlich das seit Tagen unrasierte Gesicht musterte.

 

„Nimm‘s mir nicht übel, aber du siehst Scheiße aus. Und du stinkst!“

 

„Immer noch besser als du“, konterte Dean lahm und war selbst irritiert davon, wie viel Mühe es ihm bereitete. Doch nur für einen Moment. Jedes Gefühl, das zu sehr von dem tauben Nichts abwich, das in seinem Inneren nagte, wurde alsbald von der Erschöpfung erstickt, die ihn daran hinderte, Nachrichten auf seinem Smartphone zu lesen oder unter dem Bett nach seinen Hausschuhen zu suchen.

 

Ein paar Atemzüge lang, die Sam missbilligend den Nasenrücken kräuseln ließen, schwiegen sie. Dean, der Sams Blicken auswich, während der ihn viel zu genau von oben bis unten zu mustern schien.

 

„Was ist eigentlich mit dir los, Dean?“, fragte Sam schließlich, überraschenderweise um einige Grad milder, als seine Dienstagslaune es eigentlich zulassen dürfte.

 

Keine Ahnung. Alles Scheiße, bot Deans Hirn als müde Antwort darauf an, doch anstatt sie auszusprechen, schüttelte er bloß den Kopf.

 

„Tja, nu. War auf dem Weg unter die Dusche. Ist noch Kaffee da?“

 

Diese Worte ließen Sams Lippen schmal werden; der unheilvolle Vorbote seines berühmt-berüchtigten Bitch-Faces, das Dean an manchen Tagen vor Lachen die Tränen in die Augen trieb. Sein Augen tränten noch immer, doch das lag höchstens daran, dass sie immer noch wehtaten, seit er die Dunkelheit verlassen hatte.

 

„Halbe Kanne steht in der Maschine“, antwortete Sam schließlich knapp, nachdem er sich geräuspert hatte. Vielleicht schien er zu wissen, dass er von seinem Bruder in diesem Moment keine gescheite Antwort erwarten durfte; zumindest keine, die ihn zufrieden stellen würde. Vielleicht ahnte er auch einfach, dass Dean ihm schlicht keine Antwort geben konnte, weil er selbst keine wusste. Immerhin kannte ihn niemand besser als Sammy. Der Sammy, der schlechte Laune hatte, weil ihn eine dienstägliche Zeitschleife einmal so sehr traumatisiert hatte, dass er alle paar Wochen immer noch darüber in einem Loch versank, wie es war, seinen Bruder zu verlieren.

 

Das bin ich gar nicht wert.

 

Dieser letzte Gedanke jagte einen Schauer über Deans bloße Unterarme, die er vor der Brust verschränkt hatte und hinter denen er noch immer den Morgenmantel schützend an sich gepresst hielt. Der Gedanke, dass sein Bruder ihn verlieren würde, weil Dean einfach nicht mehr länger …

 

Nein. Hier geht‘s nicht weiter. Stopp!

 

„Danke, Sammy,“ krächzte Dean und machte Anstalten, sich an seinem Bruder vorbei zu drängen, um endlich unter die Dusche zu kommen. Tatsächlich schien dieser einzusehen, dass weiteres Nachhaken im Augenblick wenig Sinn hatte, denn er wich einen Schritt zurück, um Dean Platz zu machen.

 

Er war schon fast um die nächste Ecke verschwunden, als Sam ihn noch einmal zurückrief.

 

„Was hältst du nach deinem Kaffee von einem Fall?“, fragte er und schien sich diesmal etwas mehr Mühe mit seinem Lächeln zu geben.

 

Nichts. Absolut gar nichts.

 

„Jack hat in der Zeitung einen möglichen Hinweis auf einen Chupacabra gefunden und ich finde, wir sollten uns das mal ansehen.“

 

Dean spürte, wie sich die Muskulatur in seinen Schultern automatisch versteifte, was ihn erst darauf aufmerksam machte, wie verspannt er eigentlich die ganze Zeit über gewesen war.

 

Ich krieg meinen Arsch kaum aus dem Bett – wie soll ich da Monster kalt machen? Aber vielleicht ist es genau das, was ich brauche … Vielleicht hilft‘s?

 

Jagen war gut. Er liebte die Jagd. Es gab keinen Grund, sie nicht als Heilmittel für sein derzeitiges, namenloses Problem zu betrachten. Sie hatte bisher immer dafür gesorgt, dass er sich lebendig fühlte, dass sein Dasein auf Erden ein bisschen mehr Sinn und Berechtigung erhielt. Dean nutzte die Anspannung in seinem Nacken, um sich dagegen zu lehnen, die Schultern zu straffen, seine Haltung vor Sam aufrechter wirken zu lassen, als sie eigentlich war. Entschlossener, kampfbereit.

 

„Klingt gut. Bin dabei.“

 

Eine Jagd zu dritt mit dem Jungen – eigentlich klang das doch wirklich nicht allzu schlecht.

 

 

*

 

 

Das Wasser, das auf seine Schultern hinab rauschte und in einem viel zu harten Strahl auf seine Kopfhaut trommelte, war zu heiß. Wasserdampf stieg um Dean herum in der Duschkabine auf und das Atmen fiel ihm bald fast so schwer, als wäre er in einer Sauna. Trotzdem verringerte Dean weder den Wasserdruck am Brausekopf, noch die Temperatur am Hebel. Ein wenig erhoffte er sich hiervon, dass es gegen die Verspannung in seinem oberen Rücken half, aber gleichzeitig kümmerte es ihn auch nicht genug, um dafür zu sorgen, dass die Dusche angenehmer wurde. Es kostete ihn allein schon Überwindung, nach dem Shampoo in der Ablage zu greifen und es in seinen Haaren zu verteilen. Sie waren länger geworden, wie ihm plötzlich auffiel, als er die seifigen Strähnen zwischen seinen Fingern hindurch gleiten spürte. Vermutlich brauchte er dringend einen Haarschnitt. Aber das war schwer zu sagen, da er schon seit einiger Zeit nicht mehr in den Spiegel gesehen hatte. Selbst beim Zähneputzen wich er dem eigenen Anblick aus.

 

Das Einshampoonieren erwies sich als erstaunlich einfach im Vergleich dazu, seinen Körper einzuseifen. Es gelang ihm gerade so, noch etwas Duschgel aus der fast leeren Flasche zu quetschen. Es war die übliche Sorte; sein liebster Zitrus-Duft von der bezahlbaren Marke, die es an jeder Tankstelle zu kaufen gab. Kein Problem, an Nachschub zu kommen, auch nicht für einen Jäger auf Achse. Für einen Jäger ohne Antrieb vermutlich schon eher …

Die Unterarme einzuschäumen, gestaltete sich noch als relativ harmlos. Er gab sich Mühe, es bis zu den Achseln zu schaffen, denn gerade in diesem Bereich schien ein Auffrischen der Hygiene dringend notwendig. Ihm selbst fiel jetzt der ranzige Geruch nach Schweiß und Talg auf, den er wohl schon seit Tagen verströmte.

 

Schultern und Brust zu waschen, war bereits eine wahre Qual, wobei er nicht genau sagen konnte, woran das eigentlich lag. Es war vielleicht eine Mischung der Schmerzen, die seine Verspannungen ihm nun mit jeder falschen Bewegung bereiteten, obwohl er sich doch noch problemlos hatte die Haare waschen können; ein hartes Blockieren bei einigen Bewegungsabläufen sorgte dafür, dass er routinierte Handgriffe nahezu neu erfinden musste, um sämtliche Stellen seines Oberkörpers zu erreichen. Hinzu kam das plötzlich so eigenartige Gefühl, sich selbst zu berühren. Es verursachte, dass Dean sich seiner mit einem Mal so unangenehm bewusst wurde, als wäre er in sich selbst gefangen. Seine Haut spannte über den kraftlosen Muskeln, seine Brustwarzen reagierten irritierenderweise auf seine Berührung und all das fühlte sich scheußlich an. Sein Körper prickelte unangenehm, während sich seine Haut gleichzeitig zu eng und doch viel zu groß für Deans Innerstes anfühlte. Wie eine Hülle, die nicht passen wollte, weil sie einfach nicht zu ihm gehörte.

 

Er atmete schwer und mit weit geöffnetem Mund, schmeckte den bitteren Geschmack des Shampoos, das der harte Wasserstrahl aus seinen Haaren spülte und über seine Lippen rinnen ließ. Wann hatte er sich das letzte Mal so gefühlt? Fühlte er gerade eigentlich überhaupt? Oder füllte sein Geist dieses erdrückende Nichts nur mit kindischen Einbildungen, die er für echte Emotionen hielt?

Erschöpft lehnte er sich gegen die kühlen Kacheln, deren Kontrast zur Wassertemperatur beinahe brannte. Seit wann war er gleichzeitig so taub und so dermaßen empfindlich? Dean kam sich lächerlich vor. Oder vielmehr wusste er, dass er sich unter normalen Umständen lächerlich gefühlt hätte. Bloß war da wieder dieses taube Nichts, das jedwede Empfindung zu verdrängen wusste, die intensiv genug war, um ihn sich menschlich fühlen zu lassen.

 

Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis er sich endlich von Kopf bis Fuß gewaschen hatte, und als er damit fertig war, fühlte er sich so ausgelaugt, dass er sich bereits wieder nach seinem Bett sehnte. Die Zähne putzte er sich noch, aber auf eine Rasur verzichtete er ganz und als Dean einen kurzen Blick im beschlagenen Spiegel auf sich erhaschte, sah er nur die undeutlichen Umrisse einer Gestalt mit ungepflegtem Bartansatz. Er zwang sich dazu, nicht wieder in seine schmutzige Schlafkleidung zu schlüpfen, sondern sich nach dem halbherzigen Abtrocknen den Morgenmantel überzuwerfen. Immer noch barfuß und mit feuchten Haaren tapste er aus dem Bad und trug dichte Schwaden aus Wasserdampf mit sich in den Flur. Immerhin gelang es ihm, die Wäsche auf dem Weg zur Küche im Hauswirtschaftsraum zu lassen.

 

Das sollte sich nicht wie die Meisterleistung der Woche anfühlen.

 

Erschreckenderweise war sie aber genau das.

 

 

*

 

 

By the way,

I'll no longer ignore you,

I wanted to show you again,

I'm your friend.

 

Sometimes we just pretend.

 

 

Sam hatte Dean Frühstück gemacht. Was bedeutete, dass Sam sich Sorgen um ihn machte. Als Dean, immer noch im Morgenmantel und barfüßig, die Küche betrat, warteten ein Teller mit Bacon, Toast und Rührei auf ihn und sogar seine Lieblingstasse, gefüllt mit duftendem schwarzen Kaffee.

 

Sam sagte nichts, sondern deutete mit stummem Hundeblick auf den gedeckten Platz, den er Dean zugedacht hatte. Der Blick sprach Bände und Dean gab sich Mühe, so zu tun, als bemerke er ihn nicht. Vielleicht hätte Sam eine der vielen ungestellten Fragen aufgebracht, die hinter seiner sorgenumwölkten Stirn zu toben schienen, wenn Jack nicht mit ihnen am Tisch gesessen hätte.

 

Während Dean sein Frühstück aß, das enttäuschenderweise nach nichts schmeckte, außer nach Fett und heiß und eine eigenartige Konsistenz in seinem Mund annahm, desto intensiver er kaute, las Jack ihnen den Artikel vor, der ihn auf den potentiellen Chupacabra in Nebraska aufmerksam gemacht hatte. Es war dabei schwer zu sagen, ob die angeblichen Augenzeugen nur einem äußerst fragwürdigen Kult angehörten, oder ob es sich tatsächlich um ein Monster handelte, das nachts dem Vieh in den Ställen das Blut aussaugte.

 

„Fahren wir hin?“, fragte Jack und klang herzzerreißend hoffnungsvoll, so als sei der gemeinsame Aufbruch zur Jagd wie ein kleines Abenteuer für ihn, auf das er sich unverhohlen freute.

 

Dean kaute auf einem Stück Bacon herum wie auf zähem Leder, gab es irgendwann auf und spülte es mit einem großen Schluck Kaffee hinunter, als er die erwartungsvollen Blicke seines Bruders und ihres Ziehsohnes auf sich spürte. Der Kaffee schmeckte genau wie sein Shampoo. Das musste Einbildung sein.

 

„Vielleicht sollten wir mal nachsehen“, brummte Dean zustimmend und leckte sich vorsichtig Kaffee und Bratfett von den Lippen.

 

Keine Einbildung.

 

„Dir ist aber klar, dass du dir dafür was anziehen musst, oder?“, fragte Sam in dem offensichtlich verzweifelten Versuch, an Deans Eitelkeit zu appellieren. Oder an seine Schlagfertigkeit. An seinen Humor. An irgendetwas von ihm, das ihn eben ausmachte, das Dean zu Dean machte. Er zwang sich dazu, einen Blick mit Sam zu tauschen und wusste, dass es ein Fehler war. Er besaß nicht genug Energie, um mit einem spöttischen Zwinkern zu reagieren oder mit einem flapsigen Konter. Also nickte er nur.

 

„Lasst uns packen. Wir treffen uns in einer Stunde in der Garage.“

 

Sam lächelte gequält, aber schließlich nickte er ebenfalls und erhob sich, um auch noch das Geschirr für Dean abzuwaschen. An jedem anderen Tag wäre die Quittung dafür Dankbarkeit getarnt als höhnischer Seitenhieb gewesen. Jack schien es nicht zu merken, dass sowohl Sam als auch Dean vergebens darauf warteten.

 

 

*

 

 

And all I can say is you save me,

Changed all the things that have made me,

 

entertaining,

 

thoughts are raining,

down we fall …

 

 

Bei Licht war der Zustand seines Zimmers noch schlimmer als in seiner Erinnerung. Um ehrlich zu sein, glich der Anblick vielmehr einer Müllhalde. Etwas war auf seinem Schreibtisch bereits so von grünem Flaum überzogen, dass es schwer zu sagen war, was sich unter dem Schimmel überhaupt verbarg.

 

Dean saß auf der Bettkante, die Unterarme auf die nackten Knie gestützt, die unter seinem Morgenmantel hervorlugten. Er starrte in seinen weit geöffneten, völlig leeren Seesack, der zu seinen Füßen in Dreck und Unordnung darauf wartete, möglichst sinnvoll von ihm gepackt zu werden.

Im Moment würde es bereits eine Herausforderung bedeuten, auch nur ein frisches Hemd zu finden. Doch halt, am Fußende seines Bettes hatte er gestern Nachmittag eine halbwegs saubere Jeans zerknüllt zurückgelassen, als er unter die Decke gekrochen war …

Er versuchte, tief Luft zu holen und spürte, wie sich das Bild der offenen Tasche vor seinen Augen zu drehen begann. Alles begann sich zu drehen, der ganze Raum, ja, es fühlte sich so an, als sei es sein Kopf, der ihm plötzlich auf dem Hals rotierte, weil sein Hirn einfach nicht mehr genug Sauerstoff in dieser stickigen, nach Schweiß und Schimmel riechenden Luft bekam. Seine nutzlosen Atemzüge gingen immer schneller, flacher, erfüllten ihren Zweck weniger, während sein Brustkorb ihm nun viel zu eng für die ganze Luft vorkam, die er in sich einsaugte, und die doch nicht ihren Zweck zu erfüllen schien.

 

Scheiße! Du hyperventilierst, du Hurensohn!

 

Er hob den Arm, um sich selbst zu ohrfeigen – doch das nächste, was er fühlte, war ein unheilvolles Knirschen, als er vornüber kippte und ungebremst mit dem Gesicht auf dem Boden landete. Das dumpfe Puckern in seinem Nasenrücken verriet ihm, dass er es tatsächlich geschafft hatte, sich die Nase zu brechen. Zumindest fühlte es sich genau so an.

 

Ganz ruhig. Komm klar! Beruhige dich!

 

Blut lief ihm dick und zähflüssig in den Rachen und er hustete, bekam weder durch Nase noch durch den Mund ausreichend Luft und das Gefühl, am eigenen Atem zu ersticken, überwältigte ihn erneut.

 

Scheiße! Scheiße! Scheiße! Fuck!

 

„Dean!“

 

Die tiefe Stimme war vermutlich das letzte, was er jetzt hören wollte und doch war ihr Klang so tröstlich, dass er seinen Kampf mit der Atemnot für den Moment beinahe vergaß. Zwei starke Hände halfen ihm dabei, sich aufzurichten und Dean wehrte sich nicht einmal dagegen, dass ihr fester Griff auf seinen Schultern verweilte, selbst, als er bereits wieder aufrecht und an den Bettrahmen gelehnt auf der Erde saß. Es war tatsächlich Castiel, der vor ihm kniete. Dean hob nicht den Blick, um in sein besorgtes Gesicht zu sehen, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass in den blauen Augen kein Urteil auf ihn wartete. Weder über den eigenen Zustand, noch über den seines Zimmers.

 

„Dean, sieh mich an!“, forderte Cas und er spürte, wie der Engel eine Hand von seiner Schulter nahm, um stattdessen mit den Fingern behutsam sein Kinn anzuheben. Der ungetrimmte Bart in seinem Gesicht dämpfte dabei die Berührung, was sich eigenartig anfühlte. Fremd und unwirklich. Eine Spur zu fern.

 

Dean hielt die Augen gesenkt. Blut lief ihm aus den Nasenlöchern und bildete beim Sprechen eine Blase über dem Mund, die unappetitlich zerplatzte, als er „Hi, Cas“, zu sagen versuchte. Ein stecknadelkopfgroßes Tröpfchen landete karmesinrot auf dem blütenweißen Kragen von Cas‘ Hemd. Dean entzog sein Kinn aus dem Griff des Engels und versuchte ein Grinsen. Natürlich ging es daneben.

 

„Dean … Was ist denn nur passiert?“, fragte Cas so sanft, dass es in Deans Magen unheilvoll zu rumoren begann. Cas‘ Sorge und seine Behutsamkeit waren nur schwer zu ertragen. Beides hatte Dean nicht verdient.

 

Cas schien das jedoch anders zu sehen. Seine Finger strichen kühl über den schmerzhaft pochenden Nasenrücken, was Dean für einen Augenblick zum Schielen brachte, ihn schließlich schnell die Augen schließen ließ, als er merkte, wie sich das heilende, blaue Licht von Cas‘ Gnade über seinem Bruch konzentrierte. Als das kühle Glühen erloschen war, blinzelte er vorsichtig, bevor er es wieder wagte, die Augen zu öffnen – nur, um Cas‘ Blick erneut auszuweichen.

 

„Wollten gerade zur Jagd aufbrechen. Chupacabra. Nebraska. Bist du dabei?“

 

Cas sagte eine ganze Zeit lang gar nichts und Dean war so sehr damit beschäftigt, ihn nicht anzusehen, dass ihm erst nach einer Weile auffiel, dass der Engel sein Gesicht inzwischen mit beiden Händen umfasste. Er hielt ihn nach wie vor behutsam, beinahe zaghaft, fast wie eine unausgesprochene Bitte; Dean hätte sich jederzeit aus seinem Griff entziehen können, wenn er gewollt hätte. Nervös befeuchtete er seine Lippen, an denen immer noch Blut klebte. Himmel, er musste furchtbar aussehen. Sam hatte recht – da reichte es wohl auch nicht mehr, dass er erst vor kurzem geduscht hatte.

 

„Dean“, sagte Cas endlich, diesmal nicht mehr als ein Flüstern. Ein Daumen strich über Deans Wangenknochen, so zaghaft, dass es auch Zufall hätte sein können.

 

„Du hast gestern meinen Anruf ignoriert. Was war denn los?“

 

Dean schluckte. Der dunkelrote Tropfen auf dem weißen Kragen sah aus wie der Punkt unter einem Ausrufezeichen. Genau so mahnend, fast ein bisschen aufgebracht.

 

„Wer wirklich was will, ruft noch mal an“, murmelte er schließlich und kam sich mit dieser Antwort wie der größte Versager auf Erden vor. Von Cas hatte er früher, als der Engel noch seine Flügel gehabt hatte, schließlich auch immer verlangt, dass er sofort auf der Bildfläche erschien, wenn er nur nach ihm gerufen hatte.

 

„Wie auch immer. Danke fürs … Danke hierfür.“

 

Dean machte eine halbherzige Handbewegung in Richtung seines verschmierten Gesichts, die dazu führte, dass er sich aus Cas‘ viel zu zärtlichem Griff herauswand.

Ein schneller Blick in die tiefblauen Augen, den er postwendend bereute, denn sie waren zu dunkel; verhangen von etwas, das Dean nur als Sorge zu beschreiben wusste.

 

„Also, kommst du mit?“

 

Alles, um seinen besten Freund zumindest ein bisschen davon abzulenken, wie es in seinem Zimmer aussah, wie er selbst aussah, in welchem Zustand er ihn aufgefunden hatte. Dean rappelte sich zeitgleich mit Cas auf und ignorierte, dass er sich dabei an ihm festhalten musste, um überhaupt auf die Beine zu kommen. Wenigstens nahm Cas es kommentarlos hin, stützte ihn sogar ein wenig, indem er nach seinen Unterarmen griff.

 

„Du solltest im Moment nicht jagen, Dean“, sagte der Engel ernst. Dean sog scharf die Luft ein.

 

Jetzt ist‘s so weit, jetzt denkt er, ich hätte den Verstand verloren! Jetzt traut er mir nicht mal mehr zu, dass ich meinen Job mache …

 

Die Erkenntnis schmeckte mindestens so bitter wie das fade Frühstück von vorhin, das sich in seinem Mund so … vergeudet angefühlt hatte.

 

„Mir geht‘s gut, Cas!“, sagte er, als er endlich sicher auf den eigenen Beinen stand. Wieder, so wie zuvor bei Sam, lehnte er sich in die eigene Verspannung hinein, um aufrechter zu wirken, größer, imposanter. Wahrscheinlich wirkte er bloß wie eine Witzfigur.

 

„Sieh mal, ich fahre Baby, wir machen Monster kalt … Hey, hinterher können wir Burger essen gehen.“

 

Er wusste, dass Burger genau so sehr nach bitterem Nichts schmecken würden, wie das Frühstück. Wie Apfelkuchen. Wie alles. Wie das Leben.

 

„Alles gut!“

 

Er grinste. Das Grinsen mit den Mundwinkeln und den Fältchen in den Augen. Inzwischen hatte er Übung darin. Und er war daran gewöhnt, dass seine Augen automatisch zu tränen begannen, sobald er so tat, als würde er lächeln.

 

„Oh, Shit.“ Die Tränen in seinen Augen wurden diesmal ein bisschen viel, sogar so viel, dass er sie einfach nicht länger halten konnte. Er hielt das Gesicht weiterhin zu einem Grinsen verzerrt, starrte in die weit geöffnete Tasche zu seinen Füßen, auf deren Boden sich plötzlich große dunkle Tropfen sammelten, als hätte es in der Luft darüber zu regnen begonnen.

 

„Ich mein, wir sind ja alle zusammen. Wenn – wenn du auch mitkommst. Sammy und Jack und du und ich! Komm … Komm einfach mit, okay?“

 

Wieder rann etwas über seine Oberlippe und Dean war sich ziemlich sicher, dass es diesmal kein Blut war. Er musste schniefen und hob den Ärmel seines grauen Morgenmantels, um seine Nase daran abzuwischen. Es fühlte sich an, wie eine weitere Niederlage auf seinem langen Weg nach unten – die Anerkennung der Tatsache, dass er Rotz und Wasser heulte. Vor Cas. Als wäre er in diesem Augenblick nicht schon abstoßend genug gewesen.

 

„Komm mit mir, Dean“, sagte Cas plötzlich. Dean fühlte, wie sich ein starker Arm um seine schmerzenden Schultern legte und ihn mit sanfter Gewalt durch das Durcheinander seines Zimmers nach draußen führte.

 

 

*

 

 

It's all okay,

when I say,

you and I.

Take your time,

I can't wait

to see you fly.

 

 

„Denkst du wirklich, dass Sam und Jack das alleine schaffen?“, fragte Dean und sah dabei zu, wie Cas den Waschlappen über dem Becken auswrang. Das laue Seifenwasser darin hatte sich inzwischen rostbraun gefärbt und Dean war ein wenig froh, dass er den Blick in den Spiegel gemieden hatte, bis Cas ihn, ganz nach Menschenart, gesäubert hatte.

 

„Natürlich. Sam besitzt die nötige Erfahrung und Jack muss allmählich lernen, seine Kräfte auch im Ernstfall richtig einzusetzen.“

 

Dean entging das leicht besorgte Stirnrunzeln nicht, als Cas sich wieder über ihn beugte, um ihm ein letztes Mal über das Gesicht zu tupfen. Dass sich der Engel Jack nicht angeschlossen hatte, war nicht nur eine Seltenheit, sondern auch ein gewaltiger Vertrauensbeweis gegenüber Sam.

Vielleicht auch Zeugnis dessen, wie wichtig Dean Cas war.

Und das hier, was auch immer das hier war, war eine äußerst merkwürdige Situation; vergleichbar mit nichts, was Dean bisher erlebt hatte – ganz gleich, ob mit Cas oder jemand anderem. Es hatte nichts damit gemein, wenn er und Sam sich gegenseitig ihre Wunden nach der Jagd säuberten; die Art der Vertrautheit war eine gänzlich andere.

 

Cas hatte ihn vorsichtig ins Bad geführt und ihn auf einen Stuhl vor eines der Waschbecken gesetzt. Dann war er verschwunden, hatte Dean aufgetragen, einfach sitzen zu bleiben und auf ihn zu warten.

Dean konnte nur vermuten, dass Cas, während er selbst auf seine nackten Füße starrte und an dem Gürtel seines Morgenmantels herumspielte, mit Sam gesprochen, seinen Bruder mit Jack allein auf die Jagd geschickt hatte. Was die Erklärung für Sam, ob Deans abschiedslosen Zurückbleibens, gewesen war, wollte er sich lieber nicht ausmalen. Vielleicht hatte sein Bruder inzwischen auf der Suche nach ihm in sein Zimmer gesehen.

 

In dem Fall bitte einmal sterben, dachte Dean stöhnend und vergrub das verschmierte Gesicht in den Händen.

 

Als Cas zurückgekehrt war, hatte er nicht nur Seife, frische Handtücher und Waschlappen mitgebracht, sondern auch ein vollständiges Rasur-Set in einem von Sams Kulturbeuteln, wie Dean ziemlich genau wusste. Er beäugte es eine ganze Weile misstrauisch, wie das dunkelblaue Täschchen unschuldig und unangetastet neben dem Waschbecken stand – doch seine Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf andere Dinge, als Cas damit anfing, ihm mit zärtlicher Bestimmtheit das Gesicht zu waschen.

 

„Leg den Kopf in den Nacken.“

Die Worte holten Dean in die Gegenwart zurück und es war ihre liebevolle Strenge, die ihn widerstandslos gehorchen ließ. Überrascht hörte er das unmissverständliche Geräusch der Pumpflasche, sah, wie Cas, nach einem kräftigen Schütteln, Rasiergel in seinen Handflächen verteilte.

 

„Uhm, Cas …?“

 

„Halt den Mund geschlossen und leg den Kopf in den Nacken, Dean. Es ist schon eine Weile her, seit ich das zum letzten Mal gemacht habe ...“

 

Mit vor Überraschung geweiteten Augen ließ Dean zu, dass Cas das aufgeschäumte Gel in sanft kreisenden Bewegungen auf seinen Wangen, über seinem Kiefer, am Kinn und über seiner Kehle verteilte. Cas‘ Blick folgte konzentriert seiner Arbeit und so fiel es Dean zum ersten Mal an diesem Tag, vielleicht zum ersten Mal seit Wochen, nicht schwer, seinem besten Freund tatsächlich offen ins Gesicht zu sehen. Der Anblick tat unbeschreiblich gut. Vielleicht waren es auch nur die massierenden Fingerspitzen, die ihn sich fühlen ließen, als würden sich seine Züge nach langer Zeit endlich wieder entspannen. Als würde sein Gesicht ein bisschen mehr zu ihm gehören. Ein Seufzer entwich ihm, ohne, dass er es bemerkte. Cas‘ ernster Ausdruck wurde von einem kleinen Lächeln erhellt und als Dean diesmal die Augen schloss, war es nicht, um sich selbst vor ihm unsichtbar zu machen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so … locker gewesen war.

 

„Warum tust du das?“, fragte er schließlich, als er das Gefühl hatte, dass Cas eigentlich längst fertig war, doch seine schaumigen Handflächen immer noch sacht an Deans Wangen gepresst hielt.

 

Er öffnete die Augen und sah gerade noch rechtzeitig, wie sich Cas‘ Zeigefinger auf seine Nasenspitze senkte, um sie mit einem weißen Klecks zu dekorieren.

 

„Hey!“

 

Dean tat empört, aber er gluckste leise. Das Lachen war ehrlich, auch wenn es seltsam schmerzte. Er ließ es schnell wieder sein, als er spürte, dass es sich nicht wie früher anfühlte, nicht die gleiche Erleichterung nach großer Anspannung verschaffte, nicht einmal annähernd so befreiend war.

 

Cas lächelte immer noch, als er sich abwandte und damit begann, sich die Hände zu waschen und das blutige Seifenwasser im Waschbecken abzulassen. Dean beobachtete sein Gesicht dabei im Spiegel, sah dabei zu, wie das Lächeln blieb, aber ernster wurde. Traurig.

 

„Ich möchte, dass du wieder du selbst wirst, Dean“, sagte er deutlich über das Rauschen und Gluckern des Wassers hinweg.

 

„Und ich möchte dir dabei helfen, so gut ich kann. Aber du musst es selbst tun“, schloss er bestimmt, stellte das Wasser ab und trocknete seine Hände an einem der mitgebrachten Handtücher.

 

„Es selbst tun“, wiederholte Dean und versuchte gleichermaßen, zu verarbeiten, was Cas ihm soeben eröffnet hatte, als auch nicht zu sehr darauf einzugehen. Das Thema wirkte heikel, unangenehm, ja, sogar gefährlich. So, als könnte man damit erneutes in Tränen Ausbrechen riskieren und das wollte Dean um jeden Preis vermeiden. Bis hierher war es ihm soweit ganz gut gelungen, zu ignorieren, dass er sich vor Cas in der letzten halben Stunde in so vielerlei Hinsicht bis auf die Knochen blamiert hatte.

 

Was muss ich selbst tun?“

 

Er bereute die Frage bereits, bevor er den Mund wieder geschlossen hatte. Außerhalb seines Blickfelds hörte er Cas herumkramen, das ratschende Aufziehen eines Reißverschlusses, sah das Muskelspiel seiner breiten Schultern unter dem weißen Hemd. Tatsächlich hatte er Trenchcoat und Jackett für ihr gemeinsames Badezimmer-Abenteuer abgelegt und sogar die Hemdsärmel aufgekrempelt. Es war ein netter Anblick. Cas sah gut aus.

 

„Du musst von allein wieder zurück zu dir selbst finden“, sagte Cas und drehte sich mit dem Rasierer in der Hand wieder zu ihm um.

 

„Und leider kann ich dir nicht einmal den richtigen Weg zeigen.“

Ein Umstand, den Cas tief zu bedauern schien, wobei Dean den Grund dafür nicht sofort begriff.

 

„Ich kann dich höchstens bei der Suche begleiten, Dean. Und dir aufhelfen, wenn du denkst, dass du alleine nicht wieder hochkommst.“

 

Fuck.

 

Musste Cas eigentlich so derartig geschwollenen New Age Hippie-Mist von sich geben? Seine Worte stocherten schon wieder verdammt nah an Deans Tränendrüse. Oder in seiner Herzgegend oder woher auch immer diese albernen Tränen kamen, die sich in der letzten Zeit gerne in seine Augen stahlen, wenn er nicht zu genau aufpasste.

 

„Deshalb möchte ich, dass du dich rasierst, Dean. Jetzt.“

 

Hätte er gekonnt, hätte es nicht so sehr geschmerzt, hätte er die Kraft dazu besessen – Dean hätte Cas vermutlich ausgelacht. Der Engel stand vor ihm, hielt ihm auffordernd den Rasierer entgegen und musterte ihn abwartend mit einer stummen Mischung aus Hoffnung, Vertrauen und etwas, das entfernt an einen Befehl erinnerte.

Dean sah zwischen dem silber-blauen Nassrasierer in Cas‘ Hand und seinem ernsten Gesicht hin und her. Schließlich war es der unterschwellige Befehl, der sein Innerstes genug ansprach, um darauf zu reagieren.

Schwerfällig erhob er sich von dem Plastikstuhl, dessen Beine in der Stille des Badezimmers unangenehm laut über die Bodenfliesen schabten. Cas‘ Blick fest erwidernd, griff er nach dem Rasierer und wandte sich mit gemischten Gefühlen dem eigenen Spiegelbild über dem Waschbecken zu.

 

Dean musterte sich selbst, während er sich Wasser zum Rasieren ins Waschbecken einließ. Er versuchte, die geröteten Augen zu ignorieren und sich auf möglichst objektivere Dinge zu konzentrieren. Auf seiner Nasenspitze thronte beispielsweise noch immer der große Klecks dichten, weißen Schaumes, den Cas ihm aufgedrückt hatte. Ansonsten schien er gute Arbeit geleistet zu haben: Ohne, dass Dean sich dessen bewusst gewesen war, hatte der Engel bei der sanften Wäsche darauf geachtet, Haut und Bart einweichen zu lassen, um die Rasur zu erleichtern. Dean stellte das Wasser ab. Noch einmal suchte er Cas‘ Blick im Spiegel, bevor er tief Luft holte und die Klingen zum ersten Zug ansetzte.

 

 

*

 

 

You don't have to wander,

I've finally discovered tonight,

where we're at.

 

 

„Besser?“, fragte Dean mit dem vorsichtigen Versuch eines Grinsens, als er sich das letzte Bisschen überflüssigen Schaums abgewaschen hatte.

 

„Wieder … ich?“

 

Cas stand ihm gegenüber, vielleicht eine halbe Armeslänge entfernt, nah genug, so dass Dean seinen Atem auf dem frisch rasierten Gesicht spüren konnte. Seine Haut prickelte. Der Blick, mit dem Dean bedacht wurde, fühlte sich eigentümlich forsch an.

 

„Besser, ja.“

 

Cas nickte ernst.

 

„Aber noch nicht ganz wieder du. Sieh mich nicht so an, Dean. Du hast Wochen, vielleicht Monate und Jahre gebraucht, um so weit zu fallen. Es braucht mehr als eine Rasur, um dich da wieder herauszuholen.“

 

Die Worte brannten fast mehr, als wenn Cas ihm eine Ohrfeige gegeben hätte. Vor allem, weil sie die Wahrheit waren. Und, weil Dean sich nur allzu deutlich im Klaren darüber war, dass Cas genau wusste, wovon er sprach. Der Engel war selbst gefallen, hatte, gerade in seiner Zeit als Mensch, neue Abgründe kennen gelernt. Und er war beängstigenderweise in der Lage, Deans Seele zu sehen.

 

Dean schluckte.

 

„Die Haare kann ich mir aber nicht selbst schneiden, Cas“, nuschelte er und gab sich Mühe, dem Blick aus den traurigen blauen Augen weiter Stand zu halten.

 

Cas nickte erneut. Verstehend. Sie wussten beide, dass es um deutlich mehr als nur einen neuen Haarschnitt ging.

 

„Ich denke, das ist in Ordnung. Was hältst du davon, wenn du ein Bad nimmst, während ich dir etwas Sauberes zum Anziehen suche?“

 

Es war sehr unwahrscheinlich, dass Cas noch etwas halbwegs Brauchbares finden würde. Außerdem gefiel Dean die Vorstellung ganz und gar nicht, dass er dafür ein weiteres Mal den Saustall würde betreten müssen.

 

„Ich hab vorhin geduscht, Cas ...“, wagte er einen lahmen Protestversuch, den Cas mit einem einzigen Blick niederzuschmettern wusste.

 

„Es wird gegen deine Verspannungen helfen“, versprach der Engel und Dean war klug genug, nicht zu hinterfragen, woher er davon überhaupt wusste.

 

„Von mir aus“, gab er sich geschlagen. Fast war er im Begriff, sich den mit Blut und Rotz beschmierten Morgenmantel von den Schultern gleiten zu lassen, als ihm auffiel, dass Cas noch immer regungslos vor ihm im Raum stand und ihn aufmerksam ansah.

 

„Persönlicher Freiraum?“, half Dean nach und hielt den verrutschten Morgenmantel vor der Brust zusammen.

 

Cas neigte fragend den Kopf und starrte weiter. So lange, bis Dean schließlich verlegen von einem Fuß auf den anderen trat.

 

„Dean, ich weiß alles von dir. Es gibt nichts, was du vor mir verbergen könntest.“

 

Genau das machte es ja so schlimm.

 

„Schön, wenn du schon alles weißt und … gesehen hast, dann gibt‘s ja keinen Grund, dass du jetzt noch mal gucken musst, oder?“, fragte Dean und zwang sich dazu, Cas‘ wachen Blick möglichst herausfordernd zu erwidern.

 

Cas sah aus, als müsste er einen tiefen Seufzer unterdrücken.

 

„Wenn du so willst. Ich lasse dir noch das Wasser ein und lege dir dann die sauberen Sachen vor die Tür. Wenn du fertig bist, würde ich mich freuen, wenn du mir in meinem Zimmer Gesellschaft leistest.“

 

 

*

 

 

This is just the beginning,

it's all that I'm tryin' to say,

if I may.

You're never in my way.

 

 

Die Sachen, die Dean nach seinem Bad vor der Tür entdeckte, waren nicht nur sauber – sie gehörten tatsächlich ihm. Dunkel erinnerte er sich daran, dass er sie einst Cas überlassen hatte, als dieser in seiner menschlichen Form Kleidung zum Schlafen gebraucht hatte. Eine etwas ausgeleierte Jogginghose und ein verblichenes Pink Floyd Band-Shirt lagen, nach Weichspüler duftend und fein säuberlich gefaltet, für ihn bereit. Unter der Hose fand Dean erstaunlicherweise seine Hausschuhe, die er schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen hatte. Er beeilte sich damit, sich anzuziehen und tapste mit gemischten Gefühlen den Gang entlang in Richtung Castiels Schlafzimmer, das der Engel als persönlichen Rückzugsort im Bunker nutzte.

Trotz unverhohlener Neugier darauf, was ihn wohl auf der anderen Seite erwartete, verbrachte Dean beschämend lange Zeit vor der verschlossenen Zimmertür, während der er sich fragte, was ihn eigentlich daran hinderte, einfach die Hand zu heben und anzuklopfen. Ob Cas wohl bereits wusste, dass er sich hier die Beine in den Bauch stand? Vermutlich. Wie er bereits selbst gesagt hatte: Er wusste alles von Dean.

 

Trotzdem hatte er noch nicht das Weite gesucht. Immer noch nicht, obwohl sich in all ihrer gemeinsamen Zeit so viele Möglichkeiten dafür geboten hätten. Obwohl es dafür so viele Gründe gegeben hätte. Besonders jetzt. Vielleicht wäre es besser, wenn er selbst den entscheidenden Schritt machte und Cas den Rücken kehrte? Dann bliebe diese Aufgabe nicht an seinem besten Freund hängen …

 

In diesem Moment, fast so, als hätte er den Tiefpunkt in Deans trüben Gedanken gehört, schwang die Tür zu Cas‘ Schlafzimmer nach innen auf und der Engel selbst erschien an der Schwelle.

 

„Dean?“, fragte er und neigte wieder einmal auf so typisch fragende Weise den Kopf zur Seite.

„Warum kommst du denn nicht herein?“

 

„Ich ...“, antwortete Dean, bevor er überhaupt wusste, was er darauf erwidern sollte.

 

Ich bin feige.

 

Das wäre wohl die einzig richtige Antwort gewesen.

 

Doch Castiel nickte nur, so als hätte er Dean auch ohne Worte verstanden. Mit einem kleinen Lächelnd trat er ein Stück zur Seite und öffnete die Tür weiter, so dass Dean an ihm vorbei das kleine Schlafzimmer betreten konnte. Es sah genau so aus, wie all die anderen Schlafräume im Bunker, bloß war es vielleicht der einzige, der durch das Fehlen von persönlichen Gegenständen erst seine tatsächliche Eigennote bekam: Das Zimmer war genauso minimalistisch eingerichtet, wie zu dem Zeitpunkt, als Cas es bezogen hatte, und abgesehen von seinem Trenchcoat und dem Jackett, die beide säuberlich über der Stuhllehne hingen, wies nichts im Raum darauf hin, dass überhaupt jemand hier wohnte. Es schrie förmlich nach dem Engel. Und seltsamerweise roch es irgendwie auch nach ihm. Dean war nie zuvor aufgefallen, dass Cas einen Eigengeruch hatte. Vor allem nicht, wie angenehm der war. Unauffällig hielt er sich davon ab, zu tief einzuatmen.

 

Was Dean jedoch am meisten überraschte, waren nicht der berauschend wohlige Duft oder Cas‘ nicht vorhandene persönliche Dekoration, sondern die Tatsache, dass das Bett aufgeschlagen war und eine Wärmflasche unter der Decke hervorlugte. Alles wirkte bereit, um sich sofort in die Laken sinken zu lassen.

 

„Was soll das denn, Cas?“, fragte Dean leise und und zog die Brauen hoch.

 

„Ich dachte mir, du seist vielleicht müde“, sagte Cas ruhig, nachdem er die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte. Mit der Hand wies er galant in Richtung Bett, als habe er Dean einen Stuhl angeboten.

 

Das stimmte tatsächlich. Das Aufstehen war kaum ein paar Stunden her, doch Dean fühlte sich bereits so erschöpft, als sei er einen ganzen Tag auf den Beinen gewesen, ohne auch nur ein einziges Mal auszuruhen.

 

„Ich hab selber ein Zimmer“, hörte Dean sich trotzig erwidern, ohne dass er sagen konnte, woher er auf einmal die Kraft für dieses Auflehnen nahm. Seine eigenen Worte ließen ihn augenblicklich zusammenzucken. Wäre Cas nicht Cas gewesen, hätte sein Gegenüber ihn im Anbetracht des Durcheinanders in seinem Schlafraum vermutlich gnadenlos verhöhnt.

 

„Sorry, Cas. Ich weiß, du willst nur helfen“, murmelte Dean schließlich mit hängenden Schultern, nachdem sie beide einen Moment lang geschwiegen hatten.

 

„Dann bitte ich dich, dir auch von mir helfen zu lassen“, sagte Cas und es klang tatsächlich wie eine Bitte. Dean zögerte.

 

Was hab ich noch zu verlieren? Er hat schon alles gesehen ...

 

„Kay. Ja. Gut“, sagte Dean.

 

Er ließ zu, dass Cas ihn, mit einer Hand am Rücken, zum Bett führte und ihm dabei half, sich auf der Matratze auszustrecken, so als sei er ein alter Mann und nicht 40. Er machte sogar Anstalten, die Decke über Deans Körper auszubreiten, hielt dabei jedoch für den Bruchteil einer Sekunde inne. Es fiel Dean trotzdem auf.

 

„Na, was ist?“, fragte er müde und schaffte den Anflug eines spöttischen Lächelns. „Doch nicht bereit, jetzt den ganzen Weg zu gehen?“

 

Sobald ihm klar wurde, welche Art von Herausforderung da seinen Mund verlassen hatte, war Dean dankbar, dass Cas die Doppeldeutigkeit dahinter entgangen zu sein schien. Erstaunlicherweise begriff er seine Worte aber wohl dennoch als Herausforderung, denn der Engel tat etwas, was Dean bisher selten bei ihm gesehen hatte: Er schob trotzig das Kinn vor. Außerdem schien er, den Bewegungen seiner Beine nach zu urteilen, seine Schuhe vor dem Bett abzustreifen. Dann kletterte ohne Umschweife neben Dean auf die Matratze und zog die Decke über sie beide. Dean war sprachlos und, zugegeben, ein klein wenig beeindruckt. Cas besaß eindeutig mehr Courage als er.

 

Vollkommen regungslos und stumm lagen sie nebeneinander auf dem Rücken, ohne sich auch nur ansatzweise unter der Bettdecke zu berühren. Cas neben ihm wirkte eher wie ein Brett als eine menschliche Gestalt, mit der er das Bett teilte.

 

„Liegst du bequem?“, konnte Dean es sich nicht verkneifen, zu fragen und rutschte ein wenig auf der Wärmflasche hin und her, die Cas ihm zuvor noch unter den Nacken geschoben hatte. Ihr flüssiger Inhalt gluckerte bei der Bewegung laut und er zwang sich erneut, still zu liegen.

 

„Ich nehme es an. Was ist mit dir?“, gab Cas zurück und klang unsicher dabei.

 

Dean grunzte statt einer Antwort und erneut schwiegen sie eine Weile. Mit der Zeit verlor die Stille ihren lauernden Unterton; er merkte, wie er sich auf der Hitze der Wärmflasche zu entspannen begann und wie gut es tat, sauber und gepflegt in einem frisch bezogenen Bett zu liegen. Mit seinem besten Freund an seiner Seite.

 

„Also … warum liegen wir noch mal zusammen in deinem Bett? Mitten am Tag?“, flüsterte Dean irgendwann und spürte, dass das Grinsen, das sich in sein Gesicht stehlen wollte, wieder ein echtes war.

 

Aus dem Augenwinkel sah er, wie Cas den Kopf auf dem Kissen nach ihm umdrehte. Er schien sorgfältig über seine Antwort nachzudenken, und nahm sich dabei so viel Zeit, dass Dean unruhig wurde. Die Wärmflasche kommentierte sein Zappeln mit einem warnenden Glucksen.

 

„Vielleicht ist es gut, wenigstens bei einer Sache im Leben aufzuräumen. Sich nicht mehr zu verstecken. Meinst du nicht auch, Cas?“, platzte es aus ihm heraus.

 

„Meinst du damit dein Zimmer oder ist es eine Metapher?“, fragte Cas trocken.

 

Dean wand sich ertappt. Noch mehr Gluckern. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis jemand die Dinge beim Namen nannte. Trotzdem waren da wieder dieser Scham und das Gefühl des Versagens. Wieso ließ diese eklige Leere in ihm eigentlich nur solche Gefühle zu? Wieso konnte er nicht einfach genießen, dass er eine Ausrede hatte, einvernehmlich neben Cas zu liegen, ohne, dass sie dabei zu viele seiner inneren Grenzen überschritten?

 

Das ist so unfair. Ich brauche … Ich brauche irgendetwas. Jemanden.

 

„Beides“, murmelte Dean schließlich dumpf, inzwischen so tief abgetaucht, dass die Bettdecke bis über seinen Mund reichte.

Und dann: „Ich brauche dich!“, als wäre etwas von seinen verzweifelten Gedanken übergelaufen und aus seinem verräterischen Großmaul geschwappt, ohne, dass er etwas dagegen tun konnte. Leider reichte die Decke nicht aus, um die Bedeutung seiner Worte zu dämpfen, leider machte sie sie nicht ungesagt, und zu all dem besaß Castiel leider auch ein übermenschliches Gehör. Für einen winzigen Moment sehnte Dean sich nach seinem eigenen Zimmer zurück. Nach der Whiskeyflasche am Bett.

 

Cas neben ihm atmete hörbar aus, bevor er sich zu ihm herumdrehte, ganz herumdrehte, bis er auf der Seite lag, Dean direkt ansehen konnte. Dean starrte eisern zur Zimmerdecke hinauf. Wieso hatten sie eigentlich das Licht angelassen?

 

„Ich weiß, Dean“, sagte Cas endlich leise, seine tiefe Stimme nicht mehr als ein weiches Brummen, ganz in der Nähe von Deans Ohr.

„Ich weiß, und ich … brauche dich auch.“

 

Da waren sie wieder. Tränen, diese Miststücke. Er fühlte, wie sie sich in seinen äußeren Augenwinkeln sammelten, bis sie seine Schläfen hinunterliefen und in seine Ohrmuscheln landeten. Er hätte sie gern fort gewischt, doch vielleicht half es einfach, wenn er sie nur entschlossen genug ignorierte.

Es war Cas, der sich seiner schließlich erbarmte, mit dem Handrücken sein Gesicht trocknete. Es wäre Deans Job gewesen, zurückzuweichen. Zusammenzuzucken. Irgendetwas. Doch er ließ es einfach geschehen, presste sein Gesicht schamlos in die Berührung hinein.

 

„Dean, ich möchte, dass du weißt, dass es nicht dein … Zustand ist, der uns an diesen Punkt geführt hat. Ich handele weder aus Mitleid, noch steht mir im Sinn, deine Lage auf irgendeine Weise auszunutzen.“

 

Dean schnaubte. Dank seiner laufenden Nase klang es ein wenig zu feucht, aber es schien Castiel nicht zu stören. Zumindest nahm er seine Hand nicht fort, die ihren Weg inzwischen in seine zu langen Haare gefunden hatte.

 

„Weiß ich doch, Cas. Genau das meinte ich. Aufräumen. Klar Schiff machen. Wenigstens … hierbei -“

 

Cas‘ Fingerspitzen waren so viel besser als der harte Wasserstrahl unter der Dusche. Deans Kopf fühlte sich unter ihren streichelnden, kraulenden Bewegungen auf einmal so herrlich leer gefegt an, dass er mitten im Satz abbrach.

 

Er hatte die Augen geschlossen und sah den Kuss nicht kommen. Doch als er Cas‘ Lippen auf seinen spürte, dachte er diesmal nicht daran, zurückzuweichen oder zusammenzucken. Cas küsste behutsam, zögerlich, aber mit einer erstaunlichen Selbstsicherheit, die dafür sorgte, dass Dean das Herz bis zum Hals schlug.

Als Cas sich von ihm löste und Dean die Augen wieder öffnete, war der Abstand zu ihren Gesichtern immer noch so gering, dass ein weiterer Kuss unausweichlich schien. Eine seltsame Eingebung von Sehnsucht ließ Dean Anstalten machen, seine sich gerade erste lockernde Verspannung zu ignorieren, sich ungelenk auf der Matratze aufzurichten, Cas entgegenzukommen, um ihn erneut zu küssen. Doch Cas hielt ihn mit einer Hand zurück.

 

„Du solltest jetzt schlafen.“

 

Dean ließ sich zurücksinken.

 

War das ‘ne Abfuhr?

 

„Darum sind wir doch hier. Ruh dich aus, Dean.“

 

Dean brummte etwas, gab sich Mühe, nicht den Eindruck zu erwecken, er sei beleidigt.

 

„Also ‚wachst du über mich‘, während ich schlafe?“

 

Cas schien erstaunt.

 

„Immer, Dean. Nicht nur, während du schläfst.“

 

„Aaawww, das ist rührend -“ Bevor Dean weiter spotten konnte – denn überraschenderweise schien er diese Fähigkeit zurückerhalten zu haben, zumindest kurzzeitig – brachte Cas ihn mit einem weiteren Kuss zum Schweigen. Und dann mit noch einem.

 

 

*

 

 

And all I can say is you save me,

changed all the things that have made me,

 

entertaining,

 

thoughts are raining,

down we fall.

 

Entertaining,

thoughts are raining,

down we fall.

 

 

~*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  KiraNear
2019-08-03T19:08:36+00:00 03.08.2019 21:08
Wow, das war einfach nur so angenehm und schön zu lesen, auch wenn mir Dean die ganze Zeit leid getan hat. Vor allem seine Gedanken und Gefühle waren so gut beschrieben, dass sie selbst ein Holzkopf wie ich verstanden habe. Ich freue mich schon darauf, den Rest der FF zu lesen 😊


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