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Rivals' Reunion

von

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Elegie


 

5: Elegie

Ziggy played guitar, jamming good with Weird and Gilly,

And the Spiders from Mars.

He played it left hand

But made it too far

Became the special man,

then we were “Ziggy's band”

He could lick 'em by smiling,

he could leave 'em to hang

'Came on so loaded man,

well hung and snowwhite tan.

Making love with his ego

Ziggy sucked up into his mind

Like a leper messiah

When the kids had killed the man

I had to break up the band.

(David Bowie)

Mokuba Kaiba im Interview
 

Ich bin eigentlich ziemlich anders als mein Bruder. Naja, ich bin ein Kaiba. Daran wird sich nichts ändern und das gehört auch zu mir. Auch wenn man Bruder irgendwie mehr mit dem Namen in Verbindung gebracht wird. Immerhin hat er sich das auch alles alleine aufgebaut. Deshalb ist er auch so stolz auf den Namen.
 

Ja, also manchmal muss ich schon sagen, dass ich mir wünschte, ich hätte einen anderen Namen. An der Uni zum Beispiel. Man ist schon immer stigmatisiert. Sobald die Leute „Kaiba“ hören, hat man eigentlich keine Chance mehr, Vorurteile zu vermeiden. Sie denken dann, dass man einen Haufen Geld hat, in einer Villa wohnt, alles bekommt, was man will, verwöhnt ist, dass man unnahbar ist und so weiter. Jedenfalls trauen sich viele gar nicht mit mir zu reden. Sie tuscheln dann nur hinter meinem Rücken in den Vorlesungen. Manchmal macht mich das echt sauer. Ich hab‘ gar keine Chance, sie vom Gegenteil zu überzeugen.
 

Auch wenn ich Mädchen kennengelernt hab, hab‘ ich mich oft gefragt, ob sie mich nur wegen meinem Namen und dem Geld, das dahintersteht, daten. Ja, man wird schon echt paranoid. Aber kein Wunder. Ich hab auch schon oft solche Erfahrungen gemacht, Seit sich meine Freundin aus der Schule von mir getrennt hat, hatte ich eigentlich keine Beziehung mehr. Ok, das liegt natürlich auch daran, dass ich jede Frau, die ich treffe, versuche an ihr zu messen. Bei ihr wusste ich eben auch einfach, dass sie mich wirklich gern hat. Naja … jedenfalls …
 

Mit meinem Bruder kann ich darüber nicht so richtig reden. Ich will ihn nicht verletzen. Er denkt dann, dass ich mich für ihn und unseren Namen schäme oder sowas. Aber das stimmt nicht. Ich sage nur: Es ist manchmal eben nicht so einfach. Ich bin in das Ganze eben so reingewachsen. Mein Bruder hat das ja auch zu einem großen Teil für MICH getan, damit ich ein gutes Leben hab. Und dafür bin ich ihm auch sehr dankbar, keine Frage. Aber manchmal frage ich mich trotzdem, wie es wäre, wenn ich „normal“ aufgewachsen wäre. Ich fühle mich nicht „besonders“.
 

Klar, ich bin jetzt auch in der Firma dabei, aber dafür habe ich nichts getan. Ich hatte nicht mal ein Vorstellungsgespräch. Vielleicht wäre jemand anders ja geeignete gewesen. Bestimmt sogar … ich wünschte manchmal, ich hätte auch mehr geleistet dafür, was ich hab. Ich denke, ich brauche noch ein bisschen, bis ich das Gefühl hab, ich hab mir den Posten verdient.
 

~*~
 

Limono war gegen eine Mauer geprallt, als er versucht hatte, ungezwungen mit Umko zu kommunizieren. Wer konnte es ihm verübeln, dass er vollkommen abblockte. Limono hatte herausfinden wollen, wie die Stimmung zwischen ihnen war, und darüber war er nun vollkommen im Bilde.
 

Als er den Vertrag zur Teilnahme an dieser Show unterzeichnet hatte, hatte man ihm vorenthalten, dass Umko ebenfalls mit von der Partie war. Alles in allem überraschte ihn diese Art von abgekartetem Spiel nicht im Geringsten und normalerweise wäre er sich für eine solche öffentliche Bloßstellung zu schade gewesen. Im Grunde hatte er den Medienrummel nie gemacht. Alles, was er gewollt hatte, war, Musik zu machen und im Moment zu leben. Zu einer Person der Öffentlichkeit zu werden war ein unangenehmer Rattenschwanz, den es mit sich zog, wenn man etwas gut machte.
 

Dennoch hatte er die Anfrage dieses Mal nur schwerlich ignorieren können. Er brauchte das hier einfach. Es war leicht verdientes Geld und da er den Plan gefasst hatte, den Szeneclub „Black Rainbow“ aufzukaufen und zu betreiben, nachdem der Besitzer in Ruhestand gehen wollte, ihm aber das nötige Kapital dafür fehlte, kam die Teilnahme hier wie gerufen. Zudem hatte ihn Seto geradezu angebettelt, diese Sache gemeinsam durchzuziehen. Für den Firmeninhaber war es bereits klar gewesen, dass dies der Weg war, den er gehen musste. Es war wohl nötig für ihn, um sich über einige Dinge klarzuwerden und endlich den Staub seiner Vergangenheit abzuklopfen und einen neuen Pfad zu finden. Und auch Limono war es ein wenig wohler, solange er sich der Gesellschaft eines Freundes sicher sein konnte. Und Freunde waren sie. Oder zumindest etwas in der Art.
 

Oft grübelte Limono darüber nach, wie es gewesen wäre, wenn er sich damals anders entschieden hätte. Schon lange war sein Leben komplett aus den Fugen geraten. Noch mehr als es ohnehin schon der Fall war. Die Beziehung mit Umko endlich zu beenden und ihnen beiden all das zu ersparen, war für ihn die logische Konsequenz gewesen. Ja, er hatte es über Umkos Kopf hinweg entschieden, aber er dachte, ihnen beiden einen Gefallen zu tun. Manchmal ertappte er sich dabei, wie er sich fragte, wie alles jetzt wäre, hätte er es nicht getan. Hätten sie alles wieder auf geregelte Bahnen bringen können? Oder wäre dieser Ausgang ohnehin unvermeidlich gewesen? All diese absurden Streits, die Spannungen. Vielleicht war dieses Leben einfach nicht für ihn. Alles, was er begann, schien in einem Scherbenhaufen zu enden. Es zeigte ihm einmal mehr, dass er es lieber ganz bleibenlassen sollte. So, wie er es damals mit seiner Schullaufbahn oder dem Medizin- oder Jurastudium getan hatte, das sein Vater sich von ihm immer gewünscht hatte. Er hätte auch diesen Anforderungen nicht genügen können, deshalb war es das Beste gewesen, es gar nicht erst zu versuchen.
 

*
 

Das Ende seiner zugegeben kleinen Glückssträhne hatte damit begonnen, dass sich die Tür des kleinen Untergrund-Clubs „Black Rainbow“ vor 5 Jahren geöffnet hatte und sein alter Freund und Bandkollege Riku an den Tresen trat, wo Limono fast jeden Abend als Barkeeper arbeitete. „Sieh an, ein bekanntes Gesicht. Lange nicht gesehen“, sagte er, während er sich lässig über die Theke lehnte. Limono schmunzelte amüsiert. „In der Tat. Was für ne nette Überraschung. Du bist ja richtig erwachsen geworden. Was verschlägt dich hierher?“ „Und du hast dich kaum verändert. Immer noch die kühle Schönheit“, sagte Riku, während er Limono direkt in die Augen sah, „Ich war gerade in der Gegend – und dachte, ich besuche mal einen alten Freund. Dich ausfindig zu machen, war nicht allzu schwer. Dein Ruf eilt dir ja geradezu voraus.“ Limono grinste. „Ja, da hast du nicht Unrecht. Also benimm dich hier besser gut, denn der Club ist unter meinem Regime.“ „Das glaube ich nur zu gern“, lachte Riku auf, „hey … was hältst du davon, wenn wir uns mal treffen und uns ein bisschen über die letzten Jahre updaten … vielleicht ein bisschen zusammen jammen, wie in den alten Zeiten.“
 

Als Teenager hatten Riku und Limono zusammen mit einigen anderen Freunden Musik gemacht, meistens nur privat in irgendwelchen Kellern. Manchmal hatten sie sich auch an eigenen Songs versucht. Aufgetreten waren sie damals nicht. Sie waren sehr jung gewesen und alles, was sie gewollt hatten, war, sich von einem Moment zum nächsten treiben zu lassen. So wie die Musik sie dahin trug, wo die Momentaufnahmen ihrer eigenen Gemüter hinwollten, so war es auch mit ihren Emotionen und Begierden. Im Falle von Limono und Riku trugen diese sie in eine kurze, aber intensive Affäre, die recht schnell wieder endete. Die Musiker verloren sich aus den Augen, Limono dachte nicht mehr viel an diese Zeit.
 

Nie hätte er geglaubt, dass vier Jahre später Riku hier vor ihm an der Bar stehen würde. Er hatte sich in der Tat verändert, wirkte reifer, wusste, was er wollte. Und was er wirklich wollte, war, mit Limono Musik zu machen. Als sie die ersten Songs zusammen angestimmt und die Zeit darüber vergessen hatten, war Limono überrascht. Er erinnerte sich nicht mehr daran, dass sie musikalisch so gut harmonierten. Er musste es zugeben: Es fühlte sich verdammt gut an, all seine Gefühle und Stimmungen in Töne fließen zu lassen. Und jemanden an Bord zu haben, der jede Nuance davon heraushörte, aufgriff und umsetzte. Eine perfekte Symbiose. Es war eine Intimität auf einer ganz anderen Ebene als die, die er in seiner Ehe mit Umko teilte.
 

Riku hatte ihn ungläubig angeblickt, als Limono ihm erzählt hatte, er sei mittlerweile verheiratet. Und er spürte seine musternden und fast eifersüchtigen Blicke auf ihm, wenn Umko ihn von den Proben abholte und Limono einen Song vor dem letzten Akkord abbrach, um ihn mit einem Kuss zu begrüßen oder wenn er und Umko nach einer durchzechten Nacht zusammen das Black Rainbow verließen und in ihre gemeinsame Wohnung zurückkehrten.
 

Limono konnte nicht sagen, dass er es nicht genoss, diese Art von Aufmerksamkeit zu erhalten. Er spürte, dass Riku mehr wollte und er reizte diese Situation bis zum Äußersten aus. Durch kleine Gesten und wohlgewählte Worte ließ er immer die Möglichkeit offen, dass Rikus Hoffnungen nicht ganz vergebens waren. Riku wusste, durch die Musik teilten sie eine Verbindung, die Umko verwehrt blieb. Sie waren Musiker, Künstler. Spontan und unvorhersehbar.
 

Dabei spielte es Riku nur in die Hände, dass die Klauen des Erfolgs sie unerwartet mit sich riss. Plötzlich spielten sie statt kleiner Gigs im Black Rainbow oder in anderen Bars vor 1000, dann vor 5000, schließlich vor 20 000 Menschen. Limono verbrachte auf Tour mehr Zeit mit Riku als mit seinem Mann. Er reflektierte nicht mehr. Weder den unerwarteten Ruhm, der so gar nicht zu seinem bisherigen Leben passte, noch seine Taten. Es gab viel Alkohol und andere Substanzen mit Suchtpotential und irgendwo inmitten dieses Rausches vergaß Limono sich. Oder vielleicht fand er sich auch darin. Wer konnte das schon sagen? Doch für Riku war all das mehr als nur ein kurzer Trip. Er war wirklich erwachsen geworden. Er wollte mehr von Limono. Er wollte ihn für sich.
 

*
 

„Scheiße, du weißt, dass ich verheiratet bin. Das war von Anfang an keine Option. Jetzt lass endlich diesen Mist und lass uns einfach die Show heute Abend hinter uns bringen.“ Limono lief genervt in seinem Trailer auf und ab und wischte Rikus Belange wie beiläufig weg, während er sich Ketten und Armreife anlegte und eine karierte Krawatte band. Alles war mittlerweile so routiniert, dass er die Musik in seinem Blut kaum noch spürte, wenn sie auf der Bühne waren. Alles war so weit weg, als lebte er das Leben eines anderen. Der Rausch war mittlerweile verflogen. Alles fühlte sich dumpf an und Limono wusste nicht mehr, für was er das hier alles tat, was es ihm noch gab.
 

„Ach ja?“, schnappte Riku ungehalten, „das sagst du mir ständig, aber ich sprech es jetzt mal aus, wie es ist, Limono: Deine Körpersprache sagt was anderes als deine Worte. Mal ganz ehrlich: Wann hast du das letzte Mal an Umko gedacht? Wann hast du mit ihm gesprochen?“ „Ich wüsste nicht, was dich das angeht. Das ist eine Sache zwischen Umko und mir“, Limono zog seine Jacke und Stiefel an, dann griff er nach seiner Gitarre, aber Riku hielt ihn am Handgelenk fest. „Versuch nicht immer wegzulaufen, wenn es um die Dinge geht, über die du nicht nachdenken willst“, knurrte er bedrohlich. Limonos ganzer Körper spannte sich unter der Berührung an, aber er begegnete Rikus Blick hart und in seinen Augen glomm jetzt Wut auf, „Lass mich sofort los. Ich sag's nicht noch einmal.“ Riku bemerkte, dass er zu weit gegangen war, und ließ von Limono ab. „Und jetzt entschuldige mich“, zischte dieser, bevor er den Trailer verließ, „ich habe einen Gig zu spielen.“ Es war zwei Monate, bevor die Band „Green Leviathan“ ihre letzten Atemzüge aushauchte.
 

*
 

In den Proberaum fiel ein spätsommerliches Licht, als Limono alleine dasaß und seine Finger auf den Saiten seiner Gitarre die Irrwege nachzeichneten, die seine Gedanken nahmen, und sie in Musik verwandelten. In eine beunruhigende und verlorene Melodie. Trotz der Musik war die Stille schreiend. Niemand außer ihm war mehr übrig und die Erkenntnis sickerte in ihn hinein, dass es vermutlich das letzte Mal war, dass er Zeit in diesem Raum verbrachte, dass er mit Tönen gefüllt werden würde. Es bedeutete auch, dass er seine letzte Zuflucht eingebüßt hatte. Die immer seltener werdenden Proben mit der Band waren mittlerweile die einzigen Momente , in denen er das Gefühl hatte, frei atmen zu können. Er konnte sich von der Musik davontragen lassen, sie ließ ihn überall dorthin reisen, wo ihn nichts zu Boden drückte und schwer auf seinen Lungen lag.
 

„So geht das einfach nicht, Limono“, hatte Riku gesagt, „ich kann das einfach nicht mehr. Du … machst es uns allen echt verdammt schwer. Scheiße, du machst uns das Leben zur Hölle.“ Die anderen hatten nur stumm danebengestanden Ihre Blicke hatten Zustimmung preisgegeben, aber sie waren nicht bereit dazu gewesen, diese Entscheidung selbst zu fällen. Limono fuhr sich mit den Fingern durch sein giftgrünes Haar und hob das Kinn ein wenig an. „Tja … wenn das eure Entscheidung ist … es ist ja euer Verlust.“ Er schnaubte und drehte sich gleichgültig weg, tat die Anschuldigung wie beiläufig ab.
 

Riku war der letzte, der im Proberaum zurückgeblieben war. Er wirkte hilflos und unzufrieden, als läge ihm noch immer etwas auf dem Herzen. „Was denn noch?“, schnappte Limono, ohne sich umzudrehen. „Limono, verdammt, kannst du mich nicht mal ansehen? Ich hätte echt mehr von dir erwartet. Ich hätte mir wenigstens mal eine Entschuldigung erhofft. Dass du es bereust, dass das alles hier kaputtgeht.“ Limono senkte den Kopf. Dann drehte er sich langsam zu Riku am. Um seine Mundwinkel spielte jetzt ein Lächeln, selbstsicher und herausfordernd. „Was weißt du schon von mir? Du kennst mich reichlich schlecht, wenn du geglaubt hast, ich komme jetzt reumütig bei euch angekrochen, mein Lieber. Es gibt nichts, was ich bereuen müsste. Aber wenn du das anders siehst – denke ich, war's das ab hier. War ne nette Zeit mit uns. Ist sonst noch was?“ Er würde keinem von ihnen den Gefallen tun, ihnen nachzuweinen oder sie anzubetteln. Wenn sie hinter seinem Rücken geplant hatten, ihn abzuservieren, dann sollten sie wenigstens mit dem Gefühl gehen, die größte Chance ihres Lebens verspielt zu haben.
 

Riku stand noch einen Augenblick da, mit offenem Mund und verletztem Gesichtsausdruck. Schließlich sackte er ein wenig in sich zusammen und räumte das Feld.
 

Später schloss Limono den Raum ab – wohl zum letzten Mal. Auf dem Nachhauseweg nahm er einen Umweg, um das Unvermeidbare hinauszuzögern. Aber endlich konnte er sich nicht mehr länger davor drücken. Er war in die Probe vor dem geflohen, was ihn in Umkos und seiner gemeinsamen Wohnung erwartete. Nun war diese letzte Zuflucht ausgelöscht und er musste sich auch diesem letzten, diesem größten Missstand in seinem Leben stellen. Er musste endlich einen Schlussstrich unter all das ziehen, Alle Menschen, die er in dieses Netz gesponnen hatte, das ihnen unbarmherzig ins Fleisch schnitt, endlich daraus entwirren. Dennoch – diesen letzten Faden zu durchtrennen würde bei Weitem am schwersten sein. Denn diesmal würde er nicht mit einem einzigen überheblichen Lächeln und einigen schroffen Worten alles Gewesene wegwischen können. Und das wollte er auch gar nicht. Diesmal nicht.
 

*
 

Limono und Umko saßen auf der Treppe ihres Mehrfamilienhauses. Limono Hand ruhte auf Umkos Arm, der schlaff auf dessen Knie lag. Umko hatte kaum reagiert, sodass Limono sich fragte, ob er überhaupt verstanden hatte, was er ihm zu sagen versuchte. Vielleicht hatte er sich weit in seinen Kopf zurückgezogen, sich abgeschottet und ihn ausgesperrt. Hinter seiner Brille konnte Limono seine azurblauen Augen kaum erkennen.
 

„Umko … versuch mich zu verstehen. Es müssen doch nicht immer die ganz großen Gefühle sein. Manchmal ist vielleicht die große Liebe nicht, was erstrebenswert ist. Schau dir doch an, wo uns das alles hingebracht hat. In den letzten Monaten haben wir fast jeden Tag mehr gestritten als sonst irgendwas miteinander geredet. Ich hab‘ Mist gebaut, ich weiß. Und ganz ehrlich: Ich kann dir nicht garantieren, dass ich’s nicht wieder tun würde. Ich meine: Was ist besser: Ein ganzes Leben voller Aufs und Abs und dass du immer und immer wieder verletzt wirst? Oder ein ruhiges, beständiges Leben mit einem Partner, der dir das alles erspart und dich auf lange Sicht glücklich macht.“ Das hier war anders als die Trennung von seiner Band, die ihm nur noch lästig geworden war, nicht mehr zu ihm gehörte. Er wollte, dass Umko es begriff, dass er ihm auf den Wegen seiner Gedanken folgte und zum selben Schluss kam wie er, nachdem er alles tausende Male durchgespielt hatte.
 

„Heißt das, es gibt keinen Weg, wie ich dich umstimmen kann? Wirst du jetzt einfach das Handtuch werfen und verschwinden?“, fragte Umko nun endlich tonlos. Limono atmete schwer aus. Er legte seine Stirn in seine Handfläche. Er war so müde. So erschöpft von all den Wortgefechten, den endlosen Streitereien, die sie tagtäglich austrugen, innerlich wundgerissen von den scharfen Worten. Durchgerüttelt von all den Momenten, in denen sie aufeinander zugingen, sich füreinander öffneten, tiefe Gefühle zuließen, sich dann wieder gegenseitig abstießen, die Berührungen des anderen wegschlugen und sich gegenseitig auf Abstand hielten. Zerfressen von seinem Gewissen, das mit jedem Tag lauter und aufdringlicher wurde, das Stück um Stück aus seinem Inneren nagte, bis nichts mehr von ihm übrig war.
 

Sanft hob er Umkos Kopf an und zwang ihn, ihn anzusehen. Er nahm ihm langsam die Brille ab und strich ihm sein wirres, schwarzes Haar, das er so mochte, aus der Stirn. Nur ganz leicht berührten seine Lippen Umkos. Einmal. Und ein letztes Mal. In Umkos Augen las er Resignation. Er hatte begriffen, dass es keinen Weg gab, ihn von seinem Entschluss abzubringen.
 

*
 

Er hatte nichts bei sich außer ein wenig Geld, das er abgehoben hatte, einige Klamotten und seine Gitarre, als er in den Bus stieg. Er wusste nicht, wo es ihn hinführen würde, aber das machte ihm nichts aus. Er war ein Überlebenskünstler und hatte mehr Tage erlebt, an denen er nicht wusste, was hinter der nächsten Ecke auf ihn wartete, als jeder, der er kannte. Die Türen schlossen sich und die stickige Luft des Busses umfing ihn. Er lehnte seinen Kopf gegen die Scheibe und dachte an Umko. Daran, wie traurig er ausgesehen hatte, gebrochen. Er spürte einen leichten Stich in seiner Brust. Aber das würde vorbeigehen, so, wie die Landschaft um ihn herum sich verändern würde, wie ihm sein vorheriges Leben bald wie ein farbenfroher Traum erscheinen würde. Menschen würden in den Bus einsteigen, andere würden aussteigen. So war es immer gewesen. Er schaute nicht zurück.



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